GEFÄHRLICH, ABER GUT Die Lange Nacht mit Dieter Hildebrandt und Volker Kühn Autor: Oliver Kranz Regie: Rita Höhne Redaktion: Monika Künzel Sendedatum: Deutschlandradio am 2.11.2013, 0.05-3.00 Uhr Deutschlandfunk am 2./3.11.2013, 23.05-2.00 Uhr Opener / 1.Stunde Titelmusik des Films "Kir Royal" 10 sec frei stehend, dann leise geblendet Volker Kühn: Wir wollten eine andere Republik. Wir wollten alles verändern, uns auch ein bisschen, aber doch mehr die anderen. Hildebrandt: "Es wird in Zukunft in unserer Republik keine Polizei mehr geben, weil bei uns dann keiner mehr kriminell sein muss. Es wird keiner mehr stehlen müssen. Es wird keiner mehr einen anderen betrügen müssen. In unserer Republik ist das nicht nötig, also brauchen wir keine Polizei." Adenauer: Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande. Volker Kühn: Dann hat heftig die Bild-Zeitung und Springer mitgeholfen, dass das Kabarett sich etablieren konnte, weil die ja das erst mal mit Schweigen übergangen haben, und dann haben sie gesagt: "ganz gefährlich. Reichskabarett/"Der Guerilla lässt grüßen": Also dann: Vorwärts mit der Berliner Parole "Lieber tot als rot!" Genauer: "Lieber Tote, als Rote." Volker Kühn: Und dann gab es ein Programm "Der Guerilla lässt grüßen", wo die dann geschrieben haben: "sehr gefährlich, aber leider sehr gut." Titelmusik des Films "Kir Royal", kurz hoch, dann Schlussakkord Oliver Kranz Wie haben Sie beide sich eigentlich kennen gelernt? Dieter Hildebrandt Ich weiß nicht, wer wen kennengelernt hat, aber ich glaube, er hat mich kennen gelernt, ich weniger ihn. Ich hatte einfach von ihm gehört. Ich hatte deswegen von ihm gehört, weil wir hatten damals Mitteilung über ein Kabarett, das uns vollkommen in die rechte Ecke gestoßen hat, dadurch dass es überhaupt existiert hat - das war das Reichskabarett. Da hörte ich von diesem legendären Volker Kühn, der dort ein Kabarettprogramm gemacht hat, das durch ganz Deutschland schallte und hallte. Da wurde ich ein wenig aufmerksam. Das heißt, der Neid klopft an die Tür. Weil damals war auch die Zeit, wo man sagte: wer ist linker? Die waren linker. Oliver Kranz "Die" das war das Reichskabarett in Berlin. Da hat Volker Kühn zwar nicht auf der Bühne gestanden, aber er hat Texte geschrieben und Regie geführt. Das Programm, das 1968 in aller Munde war, hieß "Der Guerilla lässt grüßen". Ich habe einen Szenenausschnitt mitgebracht... Szene / Reichskabarett "Der Guerilla lässt grüßen" - Was haben Sie eigentlich gegen die Springer-Presse? Sie halten doch auch das Massenschlachten in Vietnam für eine tragische Verstrickung und eine eingeschlagene Fensterscheibe für brutalen Terror. Seien Sie lieber froh, wenn es jemand versteht, Ihren Zynismus einem ganzen Volk unterzujubeln. - Was haben Sie eigentlich gegen die Diktatur in Griechenland? Seien Sie lieber froh, dass die Obristen Ihnen die Chance geben, immer noch schön liberal zu erscheinen. - Was haben Sie eigentlich gegen die Notstandsgesetze? Hätten wir die eher gehabt, hätte es in Hamburg nie eine Flutkatastrophe gegeben. - Was haben Sie eigentlich gegen die NPD? Sie gibt Ihnen immerhin die Möglichkeit, auch mal zu jemand: "selber Faschist" zu sagen. - Was haben Sie eigentlich gegen den Krieg um Biafra. Seien Sie doch froh, wie vorbildlich und zukunftsweisend hier Sowjets und Briten zusammen arbeiten, wenn es um die Vernichtung lebensunwerten Menschenmaterials geht. - Was haben Sie eigentlich gegen den Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei? - Hatten Sie vielleicht was gegen den Einmarsch der Amerikaner in Vietnam? - Seien Sie lieber froh, dass der Albtraum eines attraktiven Sozialismus im Eimer ist und Ihr Steinzeitweltbild vom Kommunismus endlich wieder hinhaut. - Entweder ihr wacht endlich auf und knüppelt, was das Zeug hält oder ihr erwacht eines Tages in einer sozialistischen Welt und dürft in eurer eigenen Fabrik den Angestellten spielen. - Also dann vorwärts mit der Berliner Parole: Lieber tot als rot! Genauer: Lieber Tote, als Rote. - Los, legen Sie die Karten auf den Tisch. Haben Sie doch keine Angst. Die überwältigende Mehrheit ist auf Ihrer Seite. - Sie haben leuchtende Vorbilder, aufrechte Persönlichkeiten, die sich die Hände schmutzig machen. Für Sie, für Sie und für Sie. Und ganz besonders für Sie. (Musik - wegblenden) Dauer: 1´35 Oliver Kranz "Der Guerilla lässt grüßen", ein Programm des Reichskabaretts aus dem Jahr 1968. Der Gruppe wurde damals ja von der Presse empfohlen, lieber gleich in Ostberlin aufzutreten. Das hätte der Lach- und Schießgesellschaft in München nicht passieren können. Oder Herr Hildebrandt? Dieter Hildebrandt: Wir hatten ja damals schon einen gewissen Namen. Als Fernsehkabarett wurden wir beschimpft. Dabei haben wir nur einmal eine Sendung im Jahr gemacht. So lernte ich Volker kennen. Dann stellte sich beim ersten Zusammentreffen, an das ich mich gar nicht mehr so richtig erinnere. Ich weiß nur: irgendwann ist es passiert und da stellte ich fest, der Ruf der ihm vorausging, der war zwar richtig, er war streng, aber mit mir hat er alles ganz gut noch hingehen lassen. Also ich bin ganz gut weg kommen. Oliver Kranz Das Reichskabarett, in den frühen sechziger Jahren gegründet von Volker Ludwig. Herr Kühn, was waren denn die Ziele dieses Reichskabaretts? Volker Kühn Um nochmal auf die Frage zurückzukommen, die Sie Dieter gestellt haben: ich weiß auch nicht mehr genau, wann ich ihm zum ersten Mal begegnet bin, aber ganz sicher ist, dass der Komplize, der danach geholfen hat Sammy Drechsel war, der mich immer wieder nach München geholt hat. Der war ja deswegen so einmalig schon, weil er uns allen klargemacht hat, dass wir Zunftsbrüder sind, dass wir alle die gleichen Gegner haben und dass wir eigentlich dasselbe wollen, wenn auch manchmal mit unterschiedlichen Vorstellungen. Wir wollten eine andere Republik. Das wolltet ihr ja, glaube ich, nicht... Oliver Kranz Sammy Drechsel muss man dazu sagen, der Produzent, der Gründer der Lach- und Schießgesellschaft... Dieter Hildebrandt Der Sammy ist eine Legende und er hat sie auch immer wieder bekräftigt. Also er hat immer wieder was gemacht, dass er legendärer wurde. Sammy habe ich kennen gelernt als Sportreporter, als Fußballspezialist und Eishockeyspezialist des Bayerischen Rundfunks. Er kam in unsere Vorstellung, hat sie sich angesehen und dann hat er gesagt: er käme auch vom Kabarett. Er hat ein Kabarett als Conférencier begleitet im Jahr 1946 und hat eine Bädertournee gemacht. Daraufhin habe ich ein bisschen Misstrauen gehabt und gefragt, ob er wirklich etwas verstünde davon. Es stellte sich dann heraus, er verstand was, ohne was zu wissen, und machte Regie, ohne es zu können und das alles mit Erfolg. Im Übrigen war er ein Hans Dampf in allen Gassen. Er kannte jeden und duzte jeden. Ich nannte ihn den größten Duzer Deutschlands. Das hat er sogar mit Willy Brandt geschafft. Nach vier Sätzen sagte er: "Du, Willy", und niemand ist zusammen gezuckt, nur ich. Sammy kam als jemand, der alles konnte, alles machte, alles umdrehte, alle Leute zusammenbrachte und irgendwann hat er die Premiere von uns gemacht und da saßen tatsächlich sämtliche Filmproduzenten, sämtliche Programmdirektoren vom Bayerischen Rundfunk, alle saßen da. Mit allen hat er Kontakt aufgenommen. Und alle Kontakte hat er genutzt. So wurden wir innerhalb ganz kurzer Zeit in München zum Stadtgespräch. Oliver Kranz Und der hat Sie beide auch zusammen gebracht? Volker Kühn Sammy hat alle zusammengebracht. Er war der große Promoter und hatte ja auch unglaubliche Sprüche, die er von sich gab. Da gab es ganz legendäre Sachen, dass er zum Beispiel eine Reportage über die Eisenbahn machte und sich dann von einem Güterzug überfahren ließ. Das ging durch alle Medien und alle Zeitungen. Dieter Hildebrandt Du weißt auch warum? Es gab hier eine Sendung in Ostberlin, in der DDR, die wurde von allen Westberlinern gesehen. Das hat die Westler geärgert. Die Amerikaner natürlich auch. Die haben beraten, was machen wir? Etwas Sensationelles muss es sein. Da haben sie von Sammy gehört, er würde alles machen. Der sagte auch ja. Er war in der Redaktion mit Löwenthal, im RIAS. Der ist vom Funkturm in ein Netz gesprungen und hat während des Springens kommentiert wie ihm ist. Der hat unglaubliche Geschichten gemacht. Und das ist in der Tat gelungen. Diese Sendung wurde eingeschaltet und die wurde natürlich zur gleichen Zeit mit der DDR-Sendung gemacht. Plötzlich waren die Verhältnisse anders. Volker Kühn Sammy hat mir Tipps gegeben, wie man Kabarettregie führt. Ich hatte das schon mal gemacht beim Reichskabarett und er sagte: "Kann ja sein, aber ich habe das Gefühl, du bist viel zu bemüht. Ich habe auch gehört, dass die Leute, wenn sie über dich reden immer über Folter-Kühn sprechen. Also es gibt ein paar Tricks, die musst du dir aneignen. Also wenn du Regie machen willst, ist eins wichtig: Immer für Heizung sorgen, nett sein und für frische Brötchen. Das andere lässt du laufen. Die machen das dann schon." - Zum Teil habe ich das beherzigt, zum Teil ging das nicht immer. Oliver Kranz Kann man sagen, das Reichskabarett, dem ging es natürlich nicht ums Wohlfühlen, sondern um politische Botschaften? Man wollte doch die Welt verändern... Volker Kühn Wir wollten eine andere Republik. Wir wollten alles verändern, uns auch, aber doch mehr die anderen. Und wir hatten das Problem, dass wir immer vor Leuten spielten, die das, was wir denen erzählen wollten, längst wussten. Das ist überhaupt eine Geschichte im Kabarett, die ein bisschen schwierig ist: Die Leute wissen das alles schon. Song "Neues Deutschlandlied", Reichskabarett CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 8, Titel 18 Text: Kennt ihr das Primus-Land? Das Augenstern-Land? Das Langemarck-Land? - Chor: Pikant, pikant, pikant. Das knallte auf die Fresse, wie nie ein Land zuvor, doch Kapital und Presse, Justiz und Wehrmachtschor, die Kriegsverbrecherklasse blieb einzig unversehrt und wird noch von der Masse ihrer Opfer hochverehrt. Gold gab ich für Messing, heute hat's der Plessing, der Spendeneinwimmler vom Freundeskreis Himmler. Der Club, der dieses Land regierte, hat es schon mal gründlich ruiniert. Doch das stört keinen Piepel, man nimmt es ihm nicht mal übel. Chor: Lalala. Dauer: 4'06 Oliver Kranz Vor wem ist denn das Reichskabarett aufgetreten? Volker Kühn Vor Insidern, vor Studenten. Die kamen von überall. Kay Lorentz kam vom Kom(m)ödchen und sagte: "Ich verehre euch ja so. Wie kriegt ihr das hin? Ihr redet mit jungen Leuten. Bei mir gehen die nicht ins Kabarett. Meine Zuschauer sind alle überaltert und kommen mit dem Stock. Ihr habt nur junge Leute. Wie macht ihr das?" - Es waren ein bisschen andere Themen als in Düsseldorf. Oliver Kranz War damals Mao Tse-tung schon? Volker Kühn Wie hast Du mal gesagt? Das Kom(m)ödchen war das Kabarett mit dem kleinen Latinum. Dieter Hildebrandt Das war für die Hochgebildeten. Deswegen saß auch die gesamte Bonner Prominenz bei der Premiere da drin. Die redeten in ihren Texten über diese Leute und die saßen alle drin und fanden es toll. Die Kritiken waren hervorragend. Sie waren das Flaggschiff, wenn man das als Flotte bezeichnet, was da an flotten Kabarettisten war. Die haben den Ton angegeben. Szene: Lore Lorentz, "Selbstkritik" CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 10, Titel 1 (ab 1´01) "Man muss nicht gleich 'kapitalistischer Ausbeuter' sagen. Man kann ja auch singen: 'das Geld ist in den falschen Händen.' Und jedes Chanson in einem neuen Kostüm. Und was haben wir nicht alles durch den Kakao gezogen: den Adenauer, den Schröder, den Franz Josef und die Frau Mende und den Seebohm. Richtig bös sind die manchmal mit uns geworden. Ja, ja, ja - das haben wir gelacht, und sie haben alle mit gelacht. Wir dienten dem Staat, aber mit Salmiak plus. Wir waren das frivole Feigenblatt der Nation. Und der Gerstenmeier hat applaudiert. Na ja, was sollte er denn machen? (Lachen) Und der Stücklen hat auch einmal applaudiert, bei einem Fußballsketch. Sie wussten Bescheid, wir wussten Bescheid, die wussten Bescheid. Wir waren eine einzige, augenzwinkernde Familie. D: 1´05 Oliver Kranz Das war Lore Lorentz, die mit ihrem Mann Kay das Kom(m)ödchen in Düsseldorf gegründet hat und dort bis in die 80er Jahre auch auftrat... Dieter Hildebrandt Sie hatten glänzende Texte. Dagegen ist nichts zu sagen. Es gab nur eine Konkurrenz, die sie heftig befehdeten, das war die Kleine Freiheit in München. Die hatten noch bessere Texte. Das Verrückte ist, dass beide Häuser mit Textern arbeiteten, die dieselben waren. Das war Martin Morlock und es war Eckart Hachfeld. Der vorübergehende Schwiegervater von meiner jetzigen Frau, Renate Küster. Es bleibt alles in der Familie. Die Lore Lorentz und Kay Lorentz - der Morlock hat mir das mal erzählt - sie wurden praktisch in Quarantäne gesetzt. D.h., in eine kleine Wohnung: da wurden sie eingeschlossen und wenn das Programm fertig war, hat Kay Lorentz sie wieder rausgelassen (lacht) Oliver Kranz Reichskabarett. "Andere Republik" haben Sie gesagt. Kann man sagen sozialistische Republik? Volker Kühn Wir wollten mehr. Wir wollten Revolution, was immer das auch war. Das wussten wir auch nicht genau. Nun muss man sagen: es gibt graduelle Unterschiede zwischen München und Berlin. Damals auch schon. Hier hingen die ganzen Studenten rum. Hier war ein bisschen was anderes als in München. Das war völlig klar. Dann hat kräftig die Bild-Zeitung und Springer mitgeholfen, dass das Kabarett sich etablieren konnte, weil die ja das erst mal mit Schweigen übergangen haben, und dann haben sie angefangen, darüber zu schreiben und gesagt: "ganz gefährlich. Das sind alles Leute, die sollte man durch die S-Bahnsperren prügeln und ab nach drüben, wenn es denen hier nicht gefällt." Und dann gab es ein Programm "Der Guerilla lässt grüßen", das war unser Durchbruch, wo die dann geschrieben haben: "sehr gefährlich, aber leider sehr gut." Das war unser Ritterschlag. Die haben sehr viel mitgeholfen, dass es überhaupt so gekommen ist. Dann kam in unser kleines Kabarett, das aussah, wie eine Volkshochschule, wir saßen alle Bänken, ganz schrecklich lustfremd. Es wurde mit Lachen etwas gegeizt. Es ging ja um angeblich witzige, aber sehr große Themen, von denen ich damals immer schon dachte, man könnte die vielleicht ein bisschen witziger verpacken, weil die Leute ja eigentlich ganz gern mal ablachen. Dieter Hildebrandt: Heute nennt man das Pointendichte. (Lacht) Volker Kühn Aber dann kamen da solche Leute wie Bundespräsident Heinemann - hoch interessiert - und Enzensberger und diskutierten dann, wie sehr wir an der Wirklichkeit dran seien oder an der Literatur. Das war eine spannende Zeit. Dieter Hildebrandt Und Heinemann hat euch gerettet. Oliver Kranz Inwiefern? Dieter Hildebrandt Er hat für Subventionen gesorgt. Volker Kühn Er hat vor allen Dingen die berühmte Geschichte mit Ohnesorg in der 68er Zeit, wo er in Fernsehansprachen deutlich gemacht hat, dass die Leute vorsichtig sein sollen, wenn sie mit dem Finger auf einen zeigen. Wenn Sie mit dem Zeigefinger zeigen, zeigen immer vier Finger auf Sie zurück. Wenn man sich mit 68 auseinandersetzen will, dann muss man das im Kopf haben. Dieter Hildebrandt Also diese Pointe, beanspruchen viele inzwischen. Es gibt inzwischen fünf Politiker, die behaupten, ihnen wäre das eingefallen. Das ist wie bei uns, in unserer Branche. Oliver Kranz Zurück zur ersten Begegnung. Herr Hildebrandt, Sie haben gerade gesagt, Sie waren eigentlich der Konservative, im Vergleich zum Reichskabarett, der schon Fernsehen gemacht hatte und der eben nicht die Revolution wollte. Wie kann man denn dann mit einem jungen Wilden aus Berlin kommunizieren? Dieter Hildebrandt Meine Argumente waren immer natürlich Totschlagargumente. Ich habe immer gesagt: "ich bin eine Generation älter als ihr. Ich gehöre zur Kriegsteilnehmergeneration." Ich gehöre zu diesen heute sehr verspotteten Flakhelfern. Diese Flakhelfer, die schon Soldaten waren, was keiner weiß, weil die nie darüber reden, die hatten von vornherein eine ganz andere Einstellung zu dieser Republik. Sie waren überhaupt froh, dass es eine gab. Denn sie sind ja aufgewachsenen in keiner. Wir wussten gar nicht, wie das ist, eine Republik. Wir hatten das mal gelesen. So viel wussten wir schon, was Republik bedeuten würde. Das Grundgesetz hatten wir auch gelesen. Das ist um die Ecke bei uns entstanden in Herrenchiemsee. Wir hatten großen Respekt vor diesem Grundgesetz. Das war neu. Wir haben das gelesen und fanden es gut und haben gesagt: "So müsste die Republik funktionieren. Wenn man sich an das Grundgesetz halten würde, würde das funktionieren." Nun ging das ein bisschen auseinander. Das Grundgesetz blieb so, wie es war und das Verhalten zum Grundgesetz nicht. D.h. mit anderen Worten, es fing die Kritik daran an und die Enttäuschung darüber, dass es nicht so gelaufen ist. Aber das Grundgesetz blieb für uns, was die nicht mehr wollten. Die wollten bereits den Sozialismus, den wir, meine ich, schon als nicht funktionierend gelesen haben. Das wusste ich schon seit 1929. Da hat nämlich Kessler "Die Sonnenfinsternis" geschrieben. Von da an war ich sehr misstrauisch. Alles was Sozialismus heißt, war bei mir schon auf der Prüfstation. Insofern war ich konservativ. Das stimmt schon. Ich wollte bewahren, das, was ich mir an Republik vorgestellt habe. Es war aber nicht die Republik, die ich wollte. Da wurde man vielleicht sogar noch ein bisschen böser, als die anderen. Die anderen hatten doch wenigstens das Gefühl, dass andere zu zerhauen und dann kommt etwas Neues, das gehört uns. Diesen Vorteil hätte ich nie gehabt. Oliver Kranz Aber trotzdem sind Sie irgendwie miteinander klar gekommen, immerhin haben Sie ihn ja eingeladen, Texte für sich zu schreiben. Volker Kühn: Wenn ich mal den Moderator hier spielen darf. Das ist zwar alles richtig, was Dieter hier sagt, aber wenn der Eindruck entsteht, dass da eine Divergenz gewesen ist, das ist gar nicht so gewesen. Dieter Hildebrandt Nein. Volker Kühn Wenn immer davon die Rede gewesen ist, dass wir eine andere Republik wollten, muss man auch sagen: wir wollten auch eine andere Republik, die sich zum Beispiel Wort für Wort ans Grundgesetz hält. Das wäre ja toll gewesen. Wir haben eine Zeit erlebt, die 60er Jahre, in denen das Grundgesetz, wie sagte der Hüsch? Dieter Hildebrandt Er wollte es nicht immer unterm Arm tragen... Volker Kühn Es wurde auch nicht ernst genommen. Dieter Hildebrandt Das ging ja auch nicht, denn immer wenn du die Hände überm Kopf zusammenschlägst, fällt es runter. (Kühn lacht) Es hat keine Chance gehabt. Song: Hanns Dieter Hüsch "Marsch der Minderheit" CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 8, Titel 20 Freunde, noch sind wir wenige Doch täglich werden wir mehr - Wir sind weder Playboys noch Könige Und wir haben kein grausames Heer! Wir sind auf dem Marsch Schon jahrhunderteweit Durch Flüsse und Dschungel Gebirge und Eis - Auf dem Marsch der Minderheit! Man kann uns verbieten, man kann uns bespei'n Man kann uns den Löwen zum Fraße hinstreu'n Man kann uns in Katakomben treiben Man kann uns in Ghettos zusammenfassen Man kann uns die härteste Folter beschreiben Und uns die Folter auch spüren lassen! Man kann uns Nägel und tödlichr Pfeile Durch unsere freundlichen Hände schlagen Man kann uns durch Sümpfe und faulende Wälder Mit Wolfshunden jagen! Freunde Wir sind auf dem Marsch Schon jahrhunderteweit Trommeln und Traum Sind in unserm Gesang! Man kann uns in lieblichen Gärten Als Vergnügungsfackeln verbrennen Doch man kann unsre Herzen Nicht von unsren Hoffnungen trennen! Wir sind auf dem Marsch Schon jahrtausendelang Von Peking bis Rom Und von Rom bis Haarlem Und von Haarlem bis Da Nang! Freunde, noch sind wir wenige Doch täglich werden wir mehr - Wir sind weder Playboys noch Könige Und wir haben kein grausames Heer! Für eine bessere Welt Für eine glücklichere Zeit Sind wir auf dem Marsch - Auf dem Marsch der Minderheit! Auf dem Marsch der Minderheit! Auf dem Marsch der Minderheit! D: 2'41 Oliver Kranz Das war der "Marsch der Minderheit" von Hanns Dieter Hüsch, der natürlich die Hoffnung ausdrückte, dass die Minderheit, die Ende der 60er Jahre gegen das Establishment protestierte, bald die Mehrheit sein würde... Volker Kühn So war das einfach. - Um nochmal auf Sammy Drechsel zurückzukommen, das war einer von den Leuten, die gesagt haben: "Ihr gehört zusammen. Der eine macht es so, der andere ein bisschen anders." Ich bin mit Neuss in Erlangen - oder wo wart ihr da? - beim Programm gewesen. Dieter Hildebrandt Das war das Räuberprogramm 1968. Volker Kühn Prag. Dieter Hildebrandt Das war Prag, da sind die Russen hereingepanzert. Und wir hatten ein Programm, das hatte davon noch keine Ahnung. D.h., wir hatten eine Ahnung, dass es so kommen könnte, aber leider kam es dann so. Acht Tage später hatten wir Premiere. Zu der Zeit waren Wolfgang Neuss und Gaston Salvatore als Helfer und Berater von Sammy engagiert worden. Mit guter Gage kamen sie und sahen mit Schrecken, was wir für ein Programm machen, nämlich genau das, was sie bekämpft haben. In Erlangen war Premiere, ich weiß nicht, warum. Ja, ich weiß warum. Wir wollten mal, dass nicht unser altes Premierenpublikum vor uns sitzt, sondern ganz neue Leute. Dann haben wir Premiere in Erlangen gemacht und in den ersten fünf Reihen saß unser ganzes Publikum aus München. Da saß auch Wolfgang Neuss dabei und pfiff dazwischen. Er hat Zwischenrufe gemacht... Volker Kühn Ich war dabei. Er hat gesagt: "Zu der Premiere, da müssen wir hin." Und Gaston begleitete uns. Aber das ist heute schwer zu bestimmen. Man muss wissen - über Wolfgang Neuss haben wir noch gar nicht geredet. Müssten wir. Es ist so gewesen, dass Wolfgang Neuss immer ein bisschen unsicher war. Das haben Autodidakten an sich. Er hat lange bei mir auch übernachtet. Jedes Mal, wenn wir eine Sendung gemacht haben - ich glaube, ich habe 500 Sendungen mit ihm gemacht - dann war es immer so, dass er sich früh schlafen gelegt hat. Er nahm Tabletten. Er stand dann aber um fünf Uhr auf und briet sich ein Kalbschnitzel - also überhaupt nicht meine Lebensart. Und dann legte er sich immer ein Buch unters Kopfkissen. Dann habe ich da mal nachgeguckt und dann war das das "Kursbuch". Dann habe ich gefragt, "Was willst Du damit?" - "Das muss ich mir aneignen, wie die schreiben. Enzensberger, wenn der einen Essay schreibt, das ist unglaublich. So müsste man schreiben können." - Da habe ich immer gesagt: "Wolfgang, pass mal auf. Der Witz entsteht erst, wenn die so sprechen können, wie du auf Bühne bist. Du musst dich nicht verändern. Die holen dich doch nur dazu, weil du etwas hast, was die nicht können." Also er wollte gern so knochentrocken, unverständlich schreiben können, wie im "Kursbuch" und in anderen schlimmeren... Dieter Hildebrandt Ich kenne seine Irrwege. Volker Kühn Dazu kommt, dass Gaston eine große Rolle spielte, gewissermaßen als Bildungsoffizier, der aus Chile kam und viel über die Dritte Welt wusste, aber ganz wenig über das Kabarett oder gar nichts. Und auch sehr irritiert war darüber, was so bei einem normalen Kabarettabend abging und dann aber Wolfgang eintrichterte: "Das darfst du nicht machen, hast du gehört! Da haben sie gedacht - das ist ganz schlecht und kontraproduktiv." Dieter Hildebrandt Das war furchtbar. Szene: Wolfgang Neuss "RRRRrrrrevolution" CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 8, Titel 22 Hier Rrromulus Rrriech rrruhelos ... Es muss immer was zum Rollen drin sein, in einer Sprachübung. An der Wiener Burg habe ich mein rollendes R gelernt und heute auf den deutschen Bühnen kann ich es kaum noch radebrechen. ... Rrrrrevolution! Wer so sprechen kann - hui - da ist sie schon gemacht... D: 3´42 Volker Kühn Man muss einfach wissen, dass ich dem Wolfgang immer gesagt habe: "Du kannst etwas, um das diese Leute dich beneiden. Lass dich nicht vereinnahmen von denen, weil die möchten ja eigentlich..." Oliver Kranz Aber warum hat der Neuss so gepfiffen 1968 in Erlangen? Dieter Hildebrandt Der Grund ist... Volker Kühn Er hat eine Nummer geschrieben über eine Schreibmaschine. Dieter Hildebrandt Er hat versucht, mitzuschreiben für unser Programm, aber das passte nicht und das haben wir einfach weggelassen und dann hat er uns geraten zu einer Nummer, die wir dann andersrum geschrieben haben, weil die Politik auch anders geworden und er hatte darauf bestanden, dass wir es in dieser Richtung machten. Die Tatsache auch, dass er da war mit dem Gaston Salvatore und der saß da, setzte sich in die Mitte und wir hatten eine Beratung. Das ganze Ensemble saß um einen großen runden Tisch und er erklärte uns den Sozialismus. Wir saßen alle da und warteten, was er sagt, weil das wichtig war für die Texter, für den Klaus Peter Schreiner und mich auch, welche Richtung wir gehen sollen. Da sagte er zum Beispiel, es würde in Zukunft in unserer Republik, dann auch in deiner, wird es keine Polizei mehr geben. Da war die neugierige Frage natürlich: Wieso? - "Weil dann keiner mehr kriminell sein muss und werden wird. Es wird keiner mehr stehlen müssen. Es wird keiner mehr einen anderen betrügen müssen. In unserer Republik ist das nicht nötig, also brauchen wir keine Polizei. Und es wird niemand mehr eine Dienstleistung leisten müssen für den anderen, wofür er von dem anderen etwas kriegt, wie Trinkgeld oder so etwas. Das ist verächtlich. Die Würde muss einziehen in unserer Republik." - In dem Moment kam unser Ober und fragte, ob er noch etwas will, und er sagte: "Ein Bier." Und dann lachten wir alle, und er wusste nicht warum. (Lacht) Das war so exemplarisch. Du weißt ja, was er heute macht. Er sitzt in Venedig und hat da einen Palast und berät irgendwelche großen Konzerne. Das ist der Weg... Oliver Kranz Ihr erstes großes gemeinsames Projekt war die Fernseherreihe "Notizen aus der Provinz". Ein Satiremagazin im ZDF. Wie ist es dazu gekommen? Volker Kühn Es ist so lange her. Meine Erinnerungen sind, korrigiere mich, wenn ich das falsch gespeichert habe, dass ihr in Bad Homburg aufgetreten seid, ich wohnte ja im Taunus damals. Mit dem Bus kamt ihr alle an. Ich weiß nicht, welches Programm. Ist ja auch egal. Ihr stiegt alle aus und Du kannst auf mich zu: "Volker, wir haben die ganze Zeit über dich geredet. Wir haben nämlich auf unserem Kassettengerät die Pol(H)itparade gehört. Das ist so toll gewesen." Da habe ich den Versuch gemacht - wir können ja nachher vielleicht ein Titel spielen daraus - ich habe den Versuch gemacht, Realsatire zu machen. Ich habe mir Originalreden aus dem Bundestag besorgt - mit Vorliebe Originalreden aus den Wahlkämpfen, weil da hat man daher immer noch ein bisschen direkter und kabarettistischer formuliert, und habe die mit Musik abgemischt, so dass das richtige Hits wurden. Es wurden auch Hits. Ich habe damals gewollt: ich möchte einmal eine Strauß-Rede haben, mit der ich in die Hitparade komme, und das ist mir auch gelungen. "Deutschland braucht Bayern" hielt sich über Wochen in der Hitparade. Wir sind zu Radio Luxemburg gefahren, da saß ein junger Moderator, der hieß Frank Elstner und sagte: "Letzte Woche Humphrey Singers mit 'Balla Balla' und diese Woche Nummer 1) Franz Josef Strauß mit 'Deutschland braucht Bayern'"... Oliver Kranz Das war 1973 Song aus der Pol(H)itparade: Franz Josef Strauß "Deutschland braucht Bayern" CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 9, Titel 18 Text: Warum denn in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah. Deutschland braucht Bayern. Deutschland braucht Bayern. Bayern ist nicht nur ein Ferienland mit Bergen und Seen. Bayern ist nicht nur ein Land für Lederhosen, folkloristische Künste, Schuplattln, Zupfgeigen und Ähnliches. Bayern ist auch das Land, in dem die Liebe zur Heimat sich mit der Treue zu Deutschland verbindet. In der Not lässt man sein Vaterland nicht im Stich. Wenn man einen Beamten dazu bringen will, ohne Beförderung sich versetzen zu lassen, geht es mit dem Flugzeug nach München wesentlich leichter. Ohne Beförderung mit dem Zug nach Bonn ist fast ein Verstoß gegen die Menschenrechte ... Refrain: Deutschland braucht Bayern ... D: 5´03 Dieter Hildebrandt Das war grandios. Das war eine völlig neue Richtung. Das war ein Einfall, ein wahnwitziger Einfall. Es war so gut. So gut wird nie wieder ein Politiker gelegt - seit der Zeit schon nicht mehr. Die Satire kann machen, was sie will, mit diesen Platten ist es belegt, dass es anders gehen sollte und müsste. Nur Leute, wir haben diese Möglichkeiten nicht gehabt. Wir hätten es gern nachgemacht. Es war so überzeugend, weil die haben sich selbst erledigt. Volker Kühn Seit der Zeit habe ich auch immer Probleme gehabt mit Parodisten und habe gedacht: die parodieren sich am besten selbst. Das war der Einfall. Und es hat funktioniert. Und wenn ich das weiterführen darf: es war so, dass du ausstiegst und gesagt hast: "Wir haben gerade deine Songs gehört und mussten lachen und übrigens ich habe ein Attentat auf dich vor: ich soll eine Fernsehsendung machen. Du kommst nicht drauf bei welchem Sender - beim ZDF. Ich traue dem ganzen nicht. Ich weiß nicht, was das ist. Erst habe ich gedacht, die wollen mich verarschen, dass weil die Zeit nach 'Hallo, Nachbarn'..." Oliver Kranz "Hallo Nachbarn", Satiremagazin... Volker Kühn Ja, mit Richard Münch. Dieter Hildebrandt Der Grund war ein Mensch, der dort saß. Der war Abteilungsleiter - Peter Gerlach... Volker Kühn Beim ZDF jetzt? Ich war noch bei "Hallo, Nachbarn"... Dieter Hildebrandt Ach so. Volker Kühn Peter Gerlach, ja. Es sind immer die Menschen, die in den Institutionen doch noch was bewegen können. Das wollen wir hier mal festhalten. Jedenfalls war es zu unserer Zeit so. Dieter Hildebrandt Ich habe mit unserem Programmdirektor hier im SFB mit dem Schneider, Dr. Norbert Schneider. Ich kann nur sagen: das war ein Programmdirektor, der war für uns geschnitzt. Ein Theologe. Mit dem haben wir praktisch diese Art zu arbeiten dann auch gemacht. Das heißt: der konnte konstruktiv mitdenken, hat mir aber eines Tages gesagt: "Wissen Sie, woran ich ein bisschen leide? In der Kantine sitzen immer Menschen, die sind schon ein bisschen betrunken. Das sind Redakteure. Die sagen immer: 'Es ist so beschissen an diesem Sender. Man kann ja nichts machen.' - Und wenn ich dann hingehe und sage: 'Machen Sie', dann wissen sie nicht mehr was." (Lachen) Dieses Bild habe ich noch aus dem Bayerischen Rundfunk. Und es stimmt. Es gibt manchmal so Programmdirektoren wie ihn, die würden zulassen, doch es müssen die Ideen kommen. So war es auch mit dem ZDF und Peter Gerlach. Volker Kühn Und Du hast zu mir gesagt, "Es soll eine Fernsehsendung gemacht werden. Ich würde da vielleicht mitmachen, aber nur, wenn Leute wie du mitmachen. Willst du dich nicht mal unterhalten mit dem Mann, um den es geht" - der heißt nämlich Biber und hatte ein paar Leichen im Keller. Ich weiß nicht, wie es war. Jedenfalls, der sollte das produzieren. Dann habe ich gesagt: "Ich kümmere mich drum." Dann hab ich den Biber getroffen und stellte fest, dass der gesagt hat: "Ich bin freier Produzent und ich habe eigentlich so historische Dokumentationen gemacht, würde aber auch etwas anderes machen. Diese Sendung ist mir jetzt weggebrochen, d.h. Sendereihe, und dann habe ich dem ZDF vorgeschlagen, wir machen was anderes. Ich muss nur auf meine Zusagen kommen. Mir sind zugesagt worden: zwölf Sendungen im Jahr - worum und worüber ist eigentlich egal." - Da habe ich gesagt: "Da machen wir doch Kabarett." Und dann habe ich eine Idee gehabt und habe Optionen ausgesprochen auf drei Leute, die alle mit H anfangen: das ist Hildebrandt, Herking und Hilbig, Ernst Hilbig. Wusstest Du das? Ich habe gesagt, "Ich mache das mit den drei Hs, mit Hildebrandt, Herking und Hilbig." Dieter Hildebrandt Ja, ich erinnere mich. Volker Kühn "Mehr weiß ich nicht, was wir noch machen, aber ich habe Dieter Hildebrandt angefragt." Und er sagte: "In einer Woche wird das beschlossen beim ZDF, und ich frage mich, wer da ein Papier einreicht, weil das kann ich nicht." Dann habe ich gesagt: "Dann kann ich mich ja vielleicht hinsetzen und schreibe euch so ein Papier." Ich hatte keine Ahnung, ob man das im Keller spielen lässt oder im Freien oder mit Mikrofon und Kamera in den Kabarettkeller geht und ein bestehendes Programm mitschneidet - das wäre das Langweiligste eigentlich. - "Also, machen Sie mal." - Und dann habe ich mich hingesetzt und dann rief der zwischendurch immer an und sagte: "Das ist jetzt aber Zeit. Wie weit sind Sie denn?" - Dann gab es einen Arbeitstitel, der ganz furchtbar war. Der hieß "Akut". Dieter Hildebrandt Ja. So was... Volker Kühn Der Titel war vom ZDF ausgegeben worden. Was machen wir da? Also die Herking ist eine wunderbare Kabarettistin, mit der habe ich dann noch gedreht. Wunderbar. Also Kästner, Kleine Freiheit, vorher schon Schaubude. Und dann habe ich gedacht: Hilbig, der ist eher der Faxenclown. Den schicken wir Straßenbefragungen machen. Dieter Hildebrandt Das war er zu der Zeit. Er war früher mal ein großer Komiker. Volker Kühn Und dann blieb nur noch einer übrig, und das war Dieter. Dann habe ich gesagt: "Dieter wird die Sendung moderieren müssen." Damals lag ja nahe, dass wir eine Löwenthal-Parodie machen. Ich habe noch ganz frühe Aufnahmen aus der Zeit. Das war über Strecken eine reine Löwenthal-Parodie. Dieter Hildebrandt Natürlich. Das war so gedacht. Oliver Kranz Ich muss dazu sagen: Gerhard Löwenthal, ZDF-Magazin, das politische Magazin, das im kalten Krieg sozusagen die Position des Westens vertreten sollte. Volker Kühn Der westliche Schnitzler kann man sagen... Oliver Kranz Ja, der westliche Karl Eduard von Schnitzler. Dieter Hildebrandt Darf ich einwenden oder hinzufügen: mit dem Löwenthal passierte uns eine wunderbare Geschichte. Wir hatten gehört, dass die Rechtsradikalen sich auf einer Burg versammeln werden. Da war dieser Neonazi, der verkündete das Ende der Republik, diese "Schweineregierung", wie er sagte, die müsste weg. - Und da kamen diese ganzen Rechtsradikalen auf diese Burg. Da habe ich zu meinen Kollegen gesagt: "Da müssen wir hin. Das müssen wir mitschneiden. Wie machen wir das?" - Daraufhin ist einer hingegangen und hat angerufen und hat gesagt: "Wir haben Interesse an dem, was Sie da sagen." - Und dann haben die etwas misstrauisch gefragt: "Wer sind Sie denn?" - Da der gesagt: "Wir sind ein ZDF-Magazin." Das war vollkommen richtig. Die haben gedacht: das ZDF-Magazin und haben uns mit Löwenthal verwechselt und haben gesagt: "Gern." - Da sind unsere Kameraleute hingegangen und haben das Ding aufgenommen. Und es war wirklich so, dass dann die Staatsanwaltschaft ermittelt hat und den einen, den Röder, ins Gefängnis gebracht hat. Das war Löwenthal. Volker Kühn Das war der Anfang. Und dann machte der unheimlich Druck. Ich hatte den Einfall, dass Du moderierst. Wer sollte das denn sonst machen? Dieter Hildebrandt Nein, das war gut. Das hast du vielleicht vergessen. Unser Gespräch lief doch darauf hinaus: Wir müssen das Magazin überhaupt, nicht nur das ZDF-Magazin, hintergehen. D.h., wir müssen in Filmen dann Mitteilungen machen, wo die Leute die Ohren spitzen und sagen: "Nein, das kann nicht sein." - Und das lügen wir. Wir lügen Geschichten. Wir spielen ein Magazin. Das haben die dann später heraus gekriegt. Das war allerdings drei Jahre später, da haben sie heraus gekriegt, was dahinter steckte. Da mussten wir dann immer drunter schreiben: "Achtung Satire". Oliver Kranz Also ganz geschickt gemacht, weil teilweise mit dokumentarischem Material und teilweise nachgestelltem Material ... Dieter Hildebrandt Richtig. Volker Kühn Ich weiß noch, wir haben damals, ich bin ja da auch zum Teil und in die Archive gegangen beim ZDF und habe da recherchiert. Die tollsten Sachen gab es immer bei Löwenthal ... Da haben wir immer feste geklammert, bis der Löwenthal gesagt hat: "Wie kommen die immer an das Material?" Das nicht nur über diesen Mann da im Taunus. Das war ja im Taunus das Archiv... Dieter Hildebrandt Whistleblower. Volker Kühn Und dann gibt es ein Lex ... nein, das kann man nicht sagen, aber es gab von Stolte, einen Ukas, der nannte sich Ukas Kühn und das hieß: 'Ab sofort darf aus den verwandten politischen Magazinen nichts mehr für "Notizen aus der Provinz" geklammert werden.' Musik (instrumental) - Ende der ersten Stunde - Opener / 2. Stunde Titelmusik des Films "Kir Royal" (7 sec frei stehend, dann leise geblendet) Volker Kühn: Alles, was das Fernsehen ausstrahlt, wird vom Publikum eins zu eins als Realität genommen. Es ist die Realität an sich. Hildebrandt: Also ein Filmbeitrag, der bewiesen hat, dass es die Bestrebung gibt, Äpfel viereckig zu machen, weil sie so besser zu verschicken sind. Es gab eine Riesenaufregung, weil die haben das sofort geglaubt, die Leute... Ansage zum Film "Hochkant": Um die nachfolgende Sendung optimal genießen zu können müssten Sie Ihren Fernseher oder, falls vorhanden, ihr tragbares Zweitgerät, hochkant stellen. Und zwar von Ihnen ausgesehen nach rechts gekippt im Uhrzeigersinn. Volker Kühn: Eine Stunde lief das dann quer. Am nächsten Morgen in der Bild- Zeitung: eine Unverschämtheit! Ein Rentner wäre aus Verzweiflung über die mangelnde Qualität des deutschen Fernsehens aus dem dritten Stock gesprungen. Hildebrandt : Nach jeder Sendung gab es im Landtag in Rheinland-Pfalz, wozu das ja gehört (das ZDF): eine Debatte "Was darf die Satire?" Und der spätere Minister war der Vorsitzende des ZDF Komitees, der hat jedes Mal Einspruch erhoben. ... In diesen sechs Jahren war viel Dampf unterwegs. Viel, viel. Musik endet mit Schlussakkord Oliver Kranz Also ein Kabarettmagazin, das wie ein Politmagazin daher kam. Ein Moderator, der aussah wie ein Nachrichtensprecher und der Fernsehzuschauer, der hat das dann für bare Münze genommen? Dieter Hildebrandt Ein Beispiel. Also ein Filmbeitrag, der bewiesen hat, dass es die Bestimmung gibt, Äpfel viereckig zu machen, weil sie so besser zu verschicken sind. Mit vollem Ernst habe ich das mit einem Filmbeitrag gesendet. Es gab eine Riesenaufregung, weil die haben das sofort geglaubt, die Leute. Das ist ein Beispiel dafür. Das haben wir mit politischen Inhalten natürlich auch so gemacht. Wir haben Dinge an die Wand gemalt, die eigentlich schon dran waren. Volker Kühn Das machte so einen Spaß. Ich habe einen Film gemacht, der hieß "Hochkant" - also ich habe die These vertreten, das Fernsehen hat unkritischer Weise das Format vom frühen Spielfilm übernommen. Aber eigentlich ist alles, was im Leben eine Rolle spielt, hochkant. Das geht mit der Physiognomie los und mit den wunderbaren Bergen. Da habe ich alle möglichen Leute interviewt - Louis Trenker hat mitgemacht:" Diese Majestät der Berge, die sind ja nur hochkant zu erfassen..." Und dann habe ich mit Professor Grzimmek, der hatte diese Tiersendung aus dem Frankfurter Zoo, und der hat gesagt: "Dann könnte ich endlich mal Giraffen aufnehmen". Das lief. Und dann kamen die Fernsehgewaltigen, die gesagt haben: "Alles, was das Fernsehen ausstrahlt, wird vom Publikum eins zu eins als Realität genommen. Es ist die Realität an sich. Alles andere sind Variationen." - Das war ein Spielmaterial, das uns in die Hände gegeben wurde, mit dem man nicht nur wunderbar spielen konnte, sondern auch die Wirklichkeit auf unsere kabarettistische Weise zu interpretieren. Das war ein Riesenspaß. Fernsehton: Ansage zum Film "Hochkant" "Und nun liebe Zuschauer zu unserer Sendung Hochkant, einer Premiere besonderer Art im deutschen Fernsehen. Das Fernsehspiel Hochkant von Volker Kühn und Wolfgang Braune wurde vom hessischen Rundfunk in einer neuen, bisher nicht genutzten Technik produziert und zwar, wie der Titel bereits vermuten lässt im Hochformat. Dazu begrüßen wir auch die Zuschauer in Österreich sehr herzlich. Um die nachfolgende Sendung optimal genießen zu können müssen Sie Ihren Fernseher oder, falls vorhanden, ihr tragbares Zweitgerät, hochkant stellen. Und zwar von ihnen ausgesehen nach rechts gekippt im Uhrzeigersinn." Oliver Kranz Herr Kühn, war die Sendung, wirklich so gefilmt, dass sie quer auf dem Bildschirm erschien? Volker Kühn Ja, die wurde im Liegen moderiert von Dietmar Schönherr. Der hat auch angesagt: "Meine Damen und Herren, jetzt sehen Sie einen Beitrag im Querformat. Um das sehen zu können, müssen Sie Ihren Fernseher um 90° kippen. Aber vorsichtig, damit das Gerät nicht implodiert." Da gab es Geschichten mit den Justiziaren. Und es wurde gesagt: "Wenn Sie zu alt und zu schwach sind, um das Gerät zu bewegen, können Sie auch eine nicht so gute Lösung machen: Sie können sich auf das Sofa quer legen. Dann haben Sie einen ähnlichen Eindruck." Dann lief das eine Stunde quer. Film "Hochkant" Dietmar Schönherr: "Guten Abend, liebe Zuschauer, ich begrüße Sie zur ersten Hochkantsendung des deutschen Fernsehens. Bevor ihn aber unser kleines Fernsehspiel Hochkant Vorspielen, möchte ich Sie mit den neuen Sehweisen das Hochformat-Fernsehens vertraut machen. Wenn ich jetzt auf Ihrem Bildschirm zuhause liegend erscheine, liege ich bei Ihnen nicht ganz richtig. Ein kleiner Dreh und die Welt ist wieder in Ordnung. Vorsicht allerdings. Techniker behaupten, dass das Anfassen von Fernsehgeräten nicht ohne Risiko sei" Volker Kühn Am nächsten Morgen in der Bild-Zeitung: eine Unverschämtheit! Ein Rentner wäre aus Verzweiflung über die mangelnde Qualität des deutschen Fernsehens aus dem dritten Stock gesprungen, was natürlich nicht stimmte. Dieter Hildebrandt Das hätten wir auch erfinden können... Volker Kühn Hätten wir alles machen können. Und dann am Schluss der Sendung wurde abgesagt: "Jetzt sehen sie das deutsche Fernsehen wieder im gewohnten Format." Die Ansage vorher machte die Lottofee aus Frankfurt. Sie sagte: "Das ist eine Testsendung." Sollte sich das beim Publikum rum sprechen und auch Fürsprecher finden, dann überlegt man sich von Seiten des Fernsehens, ob man nicht in Zukunft alle Sendungen im Querformat ausstrahlt. Und dann kamen die Bedenkenträger in den Anstalten die sagten: "Es muss eine Bauchbinde drauf sein: 'Vorsicht Satire!'" Damit wäre die Luft natürlich raus gewesen. Das wollten wir nicht. Das war unser Hickhack mit dem Sender. Dieter Hildebrandt Leider mussten wir das dann wirklich machen... Volker Kühn Ich weiß. Oliver Kranz Beim "Scheibenwischer"? Dieter Hildebrandt Nein, das hat mit dem "Scheibenwischer" nichts zu tun. Der kam später. Oliver Kranz Um es zeitlich einzuordnen: "Notizen aus der Provinz" 1973-79 - 6 Jahre. Eine ziemlich lange Zeit dafür, dass Sie so viel Staub aufgewirbelt haben. Gab es denn jemals den Versuch, Zensur auszuüben? Dieter Hildebrandt Den Versuch?! Das waren gelungene Mitteilungen. Einmal haben sie uns ausgeschaltet. Aber ich weiß nicht, ob da der Volker die Hand im Spiel hatte. Es war ein Grenzfall. Der Vorwurf an die Männer war, warum müssen die Frauen immer die Pille nehmen und verhüten? Wir haben gesagt: das stimmt. Wir müssen die Männer in die Verantwortung nehmen. Und da haben wir eine Sterilisationsabteilung eingerichtet, wo ein Mann, vollkommen nackt, mit den Händen sein Geschlecht bedeckend durch die Straßen lief, weil man ihn sterilisieren wollte und er war dagegen. Das hörte der damalige Programmdirektor, der von unserem Gebiet nicht viel verstand, der hatte damals die Verantwortung für den Humor von "Mainz wie es singt und lacht". Der war Programmdirektor und hat das gesehen bei der Abnahme und ist zu Tode erschrocken. Am Abend sollte das Programm laufen. Und er hat den Intendant angerufen: Holzhammer. Mir fällt der Name manchmal aus Rache nicht ein. Holzhammer war eigentlich immer weg, wenn unsere Sendung lief. Das passt immer. Und der hat sofort aus der Ferne gesagt: "Kommt gar nicht in Frage." Und die ganze Sendung fiel aus. Dafür haben sie dann eine Sendung von Jürgen von Manger eingebaut. Der konnte gar nichts dafür, der Jürgen von Manger. Da gab es viel Protest. Die haben, glaube ich, sehr gelitten unter diesem Ausfall, weil alle gesagt haben: die Pressefreiheit. Das war gut für uns. Dann haben wir die nächste Sendung gemacht und ich habe gesagt: "Sagt doch dem Jürgen von Manger, es wäre schön, wenn die nächste Sendung anfängt und er ist wieder da." Dann kam Jürgen und sagt, das macht er gern. Dann fing die Sendung wieder an, als ob nichts gewesen wäre und sofort gab es Drohanrufe. Und dann kam ich raus und sagte: "Entschuldigung, wir haben uns das als Scherz ausgedacht. Jürgen von Manger ist Gast. Die Sendung fällt heute nicht aus." Vorspannmusik / Notizen aus der Provinz Verblenden "Notizen aus der Provinz" Sendung 5.12.1975 (ab 5´00) Hildebrandt: Es ist überhaupt viel geschehen in der letzten Zeit in unserem Lande, was wieder zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Wussten Sie übrigens, dass vier Umfrageinstitute fünf verschiedene Ergebnisse bezüglich der nächsten Bundestagswahl heraus gefragt haben? Die Wähler in diesem Lande wissen also heute schon ganz genau, was sie im nächsten Jahr wollen. Sie wollen einen Regierungswechsel, wollen aber Helmut Schmidt behalten. Sie wollen den Strauß als Oppositionsentertainer und aber auch als Justizminister. Demokratie wollen sie auch, aber ohne die Herrschaft des Volkes. Einer muss da sein, der sagt wie's gemacht wird und basta. Freiheit muss auch sein, natürlich, aber eingesperrt gehören die, die etwas anders denken wollen, als die meisten. Also unser Demokratieverständnis ist völlig in Ordnung, und um das zu erhalten muss man manchmal eben auch manchmal mit undemokratischen Maßnahmen vorgehen. Das ist doch klar. Darum sollen wir die Augen offen halten, wenn wir unter uns Menschen vermuten, die sich das alles anders vorstellen. Solche Leute muss man melden: nicht denunzieren, das wäre sittenlos, aber melden. Besonders aufmerksam müssen wir sein an Tankstellen, Telefonzellen und in Volksschulen. Da treffen sich die meisten. Achten Sie auf Bärte, tief herunter gezogene Mützen und mürrische Gesichter. Es handelt sich in den meisten Fällen um Gesellschaftsverweigerer. Ungepflegte Schuhe und schwarze Zigaretten - ganz gefährlich. Achtung! Stellen Sie sich auf vor kleinen Kinos. Sollte so ein Mensch, manchmal sind es auch Frauen, die sich meistens im Zustand eines jungen Mädchens befinden. Sollte so ein Mensch in ein Kino gehen, folgen Sie unauffällig und achten Sie darauf, was das für ein Film ist. Es handelt sich meistens um ganz typische Filme, nämlich Politik und Pornographie und manchmal auch umgekehrt. Wenn Sie so etwas merken, rufen Sie sofort an! Und dann noch etwas. Wenn Sie hören, dass einer sich als Cineast bezeichnet - Achtung! Das sind meistens Studenten. Und wenn einer so viel Zeit hat, und einer ist, also ein Student dann ist er zur Hälfte schon überführt. Achten Sie auch auf junge Leute, die vor Buchhandlungen stehen und in die Auslagen starren. Meistens trifft einer bei so einer Gelegenheit einen anderen. Oder, was noch schlimmer ist: er versucht, sich Buchtitel einzuprägen und das ist ganz gefährlich. Sofort anrufen! D: 2´45 Dieter Hildebrandt: Nach jeder Sendung gab es im Landtag in Rheinland-Pfalz, wozu das ja gehört (das ZDF): eine Debatte "Was darf die Satire?" Und der spätere Minister war der Vorsitzende des ZDF Komitees, der hat jedes Mal Einspruch erhoben. Wir mussten uns auch in einer großen Runde dann rehabilitieren. Das haben wir dann auch getan, mit dem sehr konservativen Feuilletonchef vom Münchner Merkur. Das war ein sehr toller Mann. Der hat erklärt: "Satire darf alles." Ach so? Die hatten erwartet, dass wir Walter Jens nehmen. So was passierte ununterbrochen. In diesen sechs Jahren war viel Dampf unterwegs. Viel. Oliver Kranz Also eine wunderbare Zeit fürs Kabarett? Volker Kühn Es sind sogar solche Sachen passiert: Ich habe zwölf Jahre meine Hörfunksendung gemacht: "Bis zur letzten Frequenz". Einmal hatte ich ein Magengeschwür und musste ins Krankenhaus. Dann ist im nächsten Tag in der Frankfurter Rundschau auf der ersten Seite über dem Bruch - das muss man sich mal vorstellen - eine Meldung gekommen: "Kühns Kabarettsendung verboten" - es war nichts anderes, als dass ich ins Krankenhaus musste. Also es gab eine gewisse Erwartungshaltung und eine Nervosität. Auch das Publikum wusste - da wird immer gerangelt. Die Leute waren damals sehr hellhörig, was die Pressefreiheit anging - nicht nur die Rundschau. Es war ja auch noch nicht so lange her, dass der Spiegel überzogen worden ist, weil Herr Adenauer meinte, es sei ein Abgrund von Landesverrat... Konrad Adenauer (1962 im Bundestag) Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande. Je mehr Macht - auch journalistische Macht - jemand in Händen hat, desto mehr ist er verpflichtet dazu, die Grenzen zu wahren... ausgeblendet D: 0´28 Dieter Hildebrandt Das war mehr prähistorisch. Volker Kühn Aber es spielte immer noch eine Rolle. Dann kam Rühmkoff und hat draußen protestiert vor dem Spiegel. Die Zeit war jedenfalls so, dass jeder das wahrnahm und für Kabarettisten natürlich wunderbar, weil wir hatten sofort Reaktionen, von allen möglichen Publikumskreisen. Es war auch so, dass das Spaß machte, diese Rangelei mit den Oberen der Aufsichtsräte. Da saßen zum Teil auch Leute! Ich hätte fast jede Woche mich zu verteidigen oder jeden Monat - ich schrieb ja einmal im Monat, die Monatsbilanz. Dann saßen da irgendwelche Landräte im Hörfunkausschuss und entblödeten sich nicht zu sagen: "Immer diese Kühn-Sendung! Wenn ich den Namen Tucholsky oder Ossietzky schon höre, dann weiß ich schon, wohin die Reise geht." (Hildebrandt lacht) (weiter) Volker Kühn: Das waren dann aber SPD-Genossen. Kanalarbeiter. Also es war eine gute Zeit. Oliver Kranz Weil wir vorhin von der Sendung gesprochen haben mit der Abtreibung: Es gab natürlich auch eine Sendung mit politischeren Inhalten, die auch nicht kommen durfte, nämlich die über Terrorismus. Woran hat es da konkret gelegen? Wissen Sie das noch? Dieter Hildebrandt Terrorismus, da war immer das rote Warnlicht. Wenn wir einen Namen nur erwähnt haben, war schon einer an der Ecke. Es war genauso gefährlich, wie den Namen Leo Kirch zu erwähnen. Das auch gefährlich. Oliver Kranz Der wurde doch erst später gefährlich. Dieter Hildebrandt Nein, Leo Kirch den gab es damals schon. Das war in "Notizen aus der Provinz". Da wurde mir und untersagt, den Namen Leo Kirch zu erwähnen, und zwar von Herrn Stolte. Über einen Geschickten. Der war nicht sehr geschickt, aber, wie Bismarck sagte, gesandt. Der musste aufpassen, dass ich den Namen Leo Kirch nicht erwähne. Es war albern, aber es war so. Und dann habe ich ihn doch erwähnt. Ich habe das dann umgedreht und habe Kirch untergebracht über die Post und über die Alpen. Plötzlich war Leo Kirch mit seinem Kapital drin. Und der arme Mann, der das verantworten musste, der hieß Mechoff. Gerhart Polt hat alle seine Leute, die er mit negativen Attributen bedecken wollte, in seinem Programm, die hat er immer Mechoff genannt. Volker Kühn Auch seinen Hund. Dieter Hildebrandt Als die Sendung beendet wurde, das war das Allerschönste, haben wir eine Feier gemacht in der Bavaria, da warst du leider nicht dabei, eine Abschlussfeier nach sechs Jahren dieser Sendung. Da war Herr Mechoff da, der immer nur da war um etwas zu verhindern in dieser Sendung. Und wenn wir aber einen Preis kriegten, war er da nahm den Preis mit. Herr Mechoff kam auf mich zu und ich dachte: "Was will er jetzt noch?" Und dann sah ich, er hatte Tränen in den Augen. Ich dachte: "Mechoff, nein. Mach keinen Scheiß jetzt." - Und dann drückte er mir die Hand und sagte: "Herr Hildebrandt. Ich bin ja so froh, dass es jetzt vorbei ist." (Lachen) Oliver Kranz Was war der Grund, die Sendung, die ja eigentlich erfolgreich war, abzuschalten? Dieter Hildebrandt Das war so. Es war '79 und '80 stand ins Haus. Das war das Wahljahr. In dem Jahr hat Franz Josef Strauß kandidiert und Stolte war ein Straußianer. Was nicht anders denkbar war. Er hat uns gesagt in einer großen Konferenz - warst du eigentlich dabei damals? Volker Kühn Ja, ich war dabei. Dieter Hildebrandt Wir waren zehn Leute und die waren zwei. Herr Stolte und Peter Gerlach. Peter Gerlach konnte nichts anderes tun als das abnicken, denn er war Hauptabteilungsleiter inzwischen. Und dann teilte uns Herr Stolte mit gesetzten Sätzen mit, er müsse uns das Ende der Sendung mitteilen, wodurch natürlich überhaupt keine Trauer bei uns eintrat, weil den "Scheibenwischer" hatten wir schon unter Vertrag. Das wusste er bloß nicht. Wir waren froh, dass wir die Sendung los waren. Und dann sagte er, er verordne uns eine Denkpause für das Jahr 1980. Und da habe ich ihn gefragt, ob ich ein Jahr nicht denken solle, obwohl doch Franz Josef Strauß der Kandidat werden würde. Aber es kam raus, er wollte uns weg haben. Und das ist ihm auch gelungen. "Notizen aus der Provinz vom 22.11.1979 (letzte Sendung) Hildebrandt: Guten Abend meine Damen und Herren. Damit das im nächsten Jahr nicht wieder von vorn anfängt, hören wir jetzt auf. Die "Notizen aus der Provinz" haben über sechs Jahre einmal pro Monat eine sehr günstige Sendezeit für bessere Sendungen blockiert. Das ganze Fernsehen blockiert wahrscheinlich ein besseres Fernsehen. Der Norddeutsche Rundfunk hat 20 Jahre lang zwei andere Sendeanstalten blockiert. Kenner sagen, der Norddeutsche Rundfunk sei ein Unglück, und das möchte Ernst Albrecht jetzt verdoppeln. Unsinn! Er will das Angebot für die Funk- und Fernsehteilnehmer verdoppeln. Was ein Redakteur bei Radio Hamburg nicht sagen darf, darf einer in Hannover schon zweimal nicht. Das ist eine Erhöhung der Meinungsvielfalt um 100 %. Natürlich soll jeder Redakteur seine Meinung abgeben. Im wahrsten Sinn des Wortes. Er soll sie bei Beginn der Sendung bei seiner Leitung abgeben und bekommt sie wieder, wenn er pensioniert ist. Kritik üben darf er auch, aber eben wie ein Geiger übt: zu Hause. D: 1´05 Oliver Kranz: Herr Hildebrandt, Sie haben in der letzten Sendung von "Notizen aus der Provinz" noch mal gehörig über kontrollwütige Intendanten gespottet. Der "Scheibenwischer" kam dann logischerweise nicht mehr beim ZDF, sondern beim Sender Freies Berlin... Dieter Hildebrandt Ja. Volker Kühn Ich darf noch hinzufügen, ich habe teilgenommen bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik. kriegtest du nämlich den Grimme-Preis für "Notizen aus der Provinz". Deswegen musste dort die Sendung nochmal gezeigt werden. Das war dem Stolte sehr unangenehm und allen Beteiligten - Peter Gerlach nicht, aber allen Oberen. Und da war längst raus, dass "Scheibenwischer" schon abgesprochen war. Und dann wurde er gefragt von Journalisten - die waren ja hauptsächlich für Journalisten da, diese Mainzer Tage - wie denn das gewesen wäre, ob es Querelen gegeben hatte. Ob denn das so gewesen wäre, wie man es sich zuraunte, dass kurz vor und kurz nach jeder Sendung dann in der Intendanz heftig die Politiker einflogen. Und dann hat Herr Stolte das mit Emphase von sich gewiesen und hat gesagt: es hat niemals eine Anmutung von Einspruch gegeben. Das müsse man doch zulassen, das wäre Pressefreiheit. Kabarett sowieso. Man müsste das zulassen, weil man in einem demokratischen Staat lebt. Und dann habe ich mich gemeldet und habe gesagt: "Herr Stolte, es ist sehr schön, dass Sie das hier sagen, obwohl das ja ohne Belang ist für die Sendung, weil wir sind ja jetzt beim SFB. Aber mein Gedächtnis speichert doch etwas ganz anderes. Ich kann mich nicht entsinnen, dass es Konferenzen gegeben hat, wo es nicht ausschließlich darum gegangen wäre, dass die Intendanz da und da und überall Einspruch erhoben hat." Da war er sehr beleidigt und hat vorzeitig die Mainzer Tage verlassen. Dieter Hildebrandt Es trifft auf ihn zu, was der erfolgreiche Intendant Dieter Dorn einmal über seinen Verhinderer im Stadtrat von München gesagt hat: es handelt sich hier um das bestangezogene Stück Seife, das er kenne. (Lacht) in etwa so sehe ich ihn auch. Scheibenwischer / Titelmusik + Applaus Verblenden Scheibenwischer vom 12.6.1980 Hildebrandt: Es hilft niemandem, wenn irgendjemand eine Sendung macht, glauben Sie mir. Das will auch hier im Hause eigentlich gar keiner. Damals als die politischen Parteien das Fernsehen noch gar nicht entdeckt hatten, da konnte man noch vieles machen. Aber heute ist das alles ganz anders. Ein wahnsinniger Karrierist hat ihnen gesagt, man muss in Fernsehen nicht nur drin sein, man muss es haben. Jetzt reißen sie von allen Seiten an ihm herum, wie an dem kaukasischen Kreidekind und jetzt ist es schon so kaputt und sie zeigen auf die Trümmer und fordern ein neues. Ich arbeite an so einer Sendung, am Manuskript, so lange, bis die Sendung verhindert ist. (Lachen) und wenn es dann wirklich passiert, wenn eine mal droht zu gelingen, dann lasse ich einfach so einen Satz einfließen, zum Beispiel "die pharmazeutische Industrie wird es so weit bringen, dass unsere Jugend das Altersproblem überhaupt gar nicht kennt." (Lachen, Applaus) Oliver Kranz Herr Hildebrandt, als der "Scheibenwischer" auf Sendung ging, 1980 beim SFB, da war die Sendung anders aufgebaut - nicht mehr als Politmagazin, sondern, ich glaube Sie haben darauf bestanden, dass das eine live abgefilmte Kabarettproduktion ist. Dieter Hildebrandt Ich hätte das nicht gemacht, wenn das nicht live gewesen wäre, weil die Erfahrung war eben die mit "Notizen aus der Provinz", wenn das geschnitten wird, ist es immer möglich, dass man uns das Wort im Mund umdreht. Dann hat der damalige Intendant vom SFB, Wolfgang Haus, ein sehr anständiger Mann, ein Sozialdemokrat, ein richtiger Sozialdemokrat, so wie ich ihn mir vorgestellt habe 1948, der hat dann den Vertrag mit uns abgeschlossen, mit Sammy. Sammy hat einen guten Vertrag gemacht. Und wir hatten viel Freiheit und es passierte etwas in der ersten Sendung, nämlich ein Angriff von Gerhard Polt. Der sagte: er sehe den Intendanten Stolte als einen Mann mit viel Humor. Er hätte mal rein gekuckt in die Sendung "Mainz, wie es singt und lacht", und da hätte er gesehen, wie Herr Stolte vor Lachen in das Tischtuch gebissen hätte. Scheibenwischer vom 12.6.1980 Gerhard Polt: Der Programmdirektor von einer ganz großen deutschen Fernsehanstalt, ich komme jetzt nicht auf den Namen. Es ist eine ganz große geschlossene Anstalt (Lachen) der hat gesagt: "Satire", sagt er, "soll die Wirklichkeit nicht überzogen widerspiegeln." Als auf Deutsch gesagt, Satire soll etwas normales sein und nicht etwas überzogenes. Ob er da nicht ein bisschen überzieht, der Programmdirektor? Aber man sagt, er soll ein ganz normaler Mensch sein, mit einem ausgesprochen gesunden Menschenverstand. Ich glaube, ich hab ihn einmal gesehen in einer satirischen Sendung "Karneval in Mainz oder Köln"- eine sehr gute Sendung. Die müssen sie sich einmal anschauen. Und das war ein Alaf- Satiriker und der hat gesagt, ganz witzig, "der Willi Frahm, der soll nach Sibirien gehen, wo er hingehört." Der Programmdirektor, der hat sich zerwurzelt vor Vergnügen. Grad', dass er nicht in die Tischdecke hineingebissen hat, weil er was von Satire versteht. (Lachen, Applaus) Blenden D: 1´35 Dieter Hildebrandt Daraufhin kam eine Meldung zurück sofort vom Justiziar des ZDF: Herr Stolte hätte, das wird hiermit belegt, nicht in das Tischtuch gebissen. Daraufhin war der Kontakt zu Ende. Das war sehr schön. Und da hat der Wolfgang Haus nach der Sendung bei mir angerufen, hat sich bedankt für die Sendung, er fand sie sehr gut. Und dann habe ich gesagt: "Herr Haus, wie ist es denn. Sie haben ja jetzt Ärger mit dem ZDF?" Und da hat er gesagt: "Herr Hildebrandt, ich bin Intendant, lassen Sie das meine Sorge sein, ich werde dafür bezahlt. Lassen Sie das meine Sorge sein." - Donnerwetter, es geht auch so. Volker Kühn Vielleicht kann man noch sagen, unter welchen Bedingungen die "Notizen" gewesen sind. Dass es eine spannende Sache war, das nicht vor Publikum zu machen, sondern mit fiktiven Sachen zu arbeiten. Dieser Sendung verdanke ich, in aller Bescheidenheit, zwei meiner ganz großen satirischen Momente. Das erste war Gerhart Polt, dem sie was gestrichen haben. Und zwar ging es darum, dass er den Preis kriegte vom Unterhaus und dann war es ausgemacht, dass man auch eine Vorstellung im Unterhaus machen musste, die dann aufgezeichnet wurde. Da kam auch der Herr Mechoff und hat gesagt dieses und jenes dürfe er nicht sagen. Das war die Zeit, wo er auch seinen Hund Mechoff nannte und sagte: "Platz! Du gibst jetzt Ruh! Kein Wort!" - Dann hatte Gerhart Polt, wie es so seine Art war, sich nicht aufgeregt. Ich war ja eher der Choleriker. Aber Polt trug das mit Ruhe. Ich fragte ihn: "Wie machst du das denn jetzt, wenn er dir das und das streicht?" - Er sagte: "Kein Problem. Ich gehe jetzt raus. Dann hat er die Geschichte mit dem Wecker gemacht. Er hat einen Wecker hingestellt und hat gesagt: "Ich darf ja heute nichts sagen. Ich hatte ein schönes Programm, aber das soll ich hier nicht vortragen. Ich habe überlegt, ich nehm das jetzt konsequent an und sage mal gar nichts. Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen. Der hat gesagt ich soll die Uhr laufen lassen 20 Minuten und dann waren immer kucken, was man in 20 Minuten alles nicht sagen kann." Dieter Hildebrandt Kannst du dich noch erinnern? Der schaute ins Publikum mit diesem Blick, mit der Zunge und der Unterlippe. So. Frech. Unverschämt. Und er sagte dann - und das ist nur im Bayerischen zu machen - "Es zieht sich, gell?" (Kühn und Hildebrandt lachen) Gerhard Polt bei Verleihung des Kleinkunstpreises 1980 Die ersten 5 min haben wir schon. Jetzt haben wir noch einmal 5 min. (Lachen) Ich komme jetzt zum Wesentlichen. Ich soll hier auftreten und sage es in aller Öffentlichkeit, aus mir ist nichts rauszukriegen. (Lachen) I bin doch net blöd. (Lachen, Applaus) Ich habe doch keine Rechtsabteilung. Wenn es darauf ankommt, sagen wir mal, dann kann ich mir vielleicht einen Advokaten leisten für eine Instanz. Aber so eine Rechtsabteilung, die haben Zeit. (Lachen, Applaus) außerdem habe ich eine Familie. Es wird schon allmählich. Also ich muss zugeben, reizen täte es mich schon, dass ich was sage. (Lachen, Applaus) verstehen Sie? Wenn ich jetzt zum Beispiel sagen täte... für Rechtsabteilung das Schlechteste, was man machen kann ist, wenn man Namen nennt, einen Vornamen und einen Nachnamen. Dann wird es sehr deutlich. Aber wenn ich zum Beispiel sagen täte... nicht sagen, erwähnen. Einen Namen wie Löwen... das sag ich nicht. Beinahe hätte ich schon wieder einen Fehler gemacht. Es gibt Namen wie Schmidt, Genscher, Vogel, Tandler (Lachen) ich sag nix. Aber wissen Sie, was ich machen könnte? Ich könnte, wir haben ja noch ein bisschen Zeit, ich könnte zitieren. Verstehen Sie? Dann habe ich es ja nicht gesagt, sondern gesagt hat es der andere. Für so eine Rechtsabteilung: die sollen sich an den wenden. Nicht an mich. (Lachen) D: 2´17 Oliver Kranz Gerhart Polt 1980 bei der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises in Mainz... Volker Kühn ... und die zweite Geschichte hat mit meinem lieben, hochverehrten Nachbarn zu tun, mit Dieter. Ich entsinne mich an einen Nummer, ich weiß gar nicht, ob du sie noch weißt. Ich habe es irgendwann aufgeschrieben mit dir, und zu belegen, warum ich die so liebe. Das war eine Sendung, da muss man ganz kurz ausholen und die Bedingungen für diese Nummer erklären. Das war in den siebziger Jahren. Es ging um Naziverbrechen und sie hatten die Gesetzeslage so verändert, dass nur noch Mord bestraft werden konnte und Totschlag nicht mehr. Es ging also in den ganzen Prozessen gegen SS-Männer nur noch darum, ob es Totschlag oder Mord war. Hier gab es einen Fall von einem SS-Mann, der vor Gericht stand und angeklagt war, in der Ukraine Frauen und Kinder in einen LKW gesperrt zu haben und dann die Auspuffgase mit einem Schlauch in das Innere zu leiten. Es ging jetzt um die juristische Frage, ob das Mord sei oder nicht. Wenn es nur Totschlag war, hieß es, der Mann wird freigesprochen, wenn es Mord war, dann müsste schon Grausamkeit mit im Spiel gewesen sein. Dieter Hildebrandt Es kommt noch ein Satz hinzu, der wichtig war. Deswegen haben wir es ja überhaupt gemacht. Der Tod hatte sich innerhalb von 1 min abgespielt und das wäre nicht so doll. Volker Kühn Die Juristen haben darüber geredet, was ist Grausamkeit? Wann ist der Mord justiziabel? Dann haben sie gesagt: Mord findet dann statt... Normalerweise bei dieser Art Tötung durch Abgase sind es 60-70 sec, bis der Tod eintritt oder zumindest, dass die Leute ohnmächtig werden und dann merken sie es ja nicht mehr. Also Mord ist gegeben, wenn es um Grausamkeit geht und dann müsste das Opfer, also diese Frauen und Kinder, mindestens 90 sec im vollen Besitz des Bewusstseins sein. Dieter Hildebrandt Drunter war es human. Volker Kühn Das haben wir nicht glauben können, was wir da gelesen haben und dann haben wir überlegt, was machen wir? Mein Vorschlag war, der längst nicht so gut war wie deiner Dieter. Ich habe mit drei Kameras auf dem Viktualienmarkt gedreht und habe mir einfallen lassen: Ich hatte einen Kübelwagen und hatte ein Rohr, das da so nach innen geht, und habe einen Schauspieler engagiert, der stand da und hat gesagt: "Wir kennen doch alle das Problem: wie wenn die Leute in den Urlaub fahren wollen, sie von ihren Haustieren tyrannisiert werden, in dem sie Herrchen und Frauchen nicht in den Urlaub fahren lassen. Das mit den Hundehotels funktioniert auch nicht so richtig. Da bieten wir an: Ex und hopp. Die werden auf ganz menschliche Weise in den Tierhimmel befördert." Dieter Hildebrandt Klaus Peter Schreiner stand mit einem schwarzen Pudel da. Und der Aufnahmeleiter hatte einen toten Pudel geholt aus der Tierkadaveranstalt und den lebenden hatten wir auch. Und der Schreiner hat auf die Uhr gekuckt und hat gesagt: "OK, jetzt ist er tot", und hat ihn in die Mülltonne geworfen. Es gab Riesenärger. Volker Kühn Es gab Riesenärger. Da hat sich im Nu eine Menschentraube gesammelt, wobei man sagen muss, die meisten fanden das OK und haben sich für die Preise interessiert. Da hieß es für einen Dobermann, 9 Mark 50 und für einen Pudel 3,75. Kanarienvogel 1 Mark. Da gab es Leute, die haben sich dafür interessiert. Dann gab es welche die haben heftig diskutiert, ob diese Preispolitik nicht ungerecht sei, warum der Dobermann nun das Fünffache von dem Kanarienvogel kostet. Die Minderheit fand das empörend und hat nach der Bild-Zeitung gerufen. Und nach der Polizei. Die kam dann auch. Das haben wir mit drei versteckten Kameras gedreht. Ich hatte das gedacht, das ist eine Interpretation, um das sinnfällig zu machen. Das wurde dann in Mainz vorgeführt und natürlich sofort gesagt: "Es kommt überhaupt nicht infrage, das zu senden." Dann haben wir zusammengesessen und gesagt: "Was machen wir jetzt? Diese Nachricht wollen wir bearbeiten." Und dann kam Dieter auf die geniale Idee, die mir vermittelt hat: was ist Satire. Dieter hat sich nämlich hingesetzt und hat das ganz einfach gelöst, viel genialer... Dieter Hildebrandt Bevor du weiter sprichst: die Idee war leider nicht von mir, sondern von Peter Gerlach. Volker Kühn Die ist von Peter Gerlach? Der ist doch tot. Dann werde ich ihm die gutschreiben. Oliver Kranz Was war es denn nun? Volker Kühn Dieter hat sich hingesetzt an den Moderationstisch hat gesagt: "Dann wollen wir mal sehen. Wenn die Lage so ist, dass erst ab 90 sec das Grausamkeit ist und Mord und unter 90 sec bis das human, dann wollen wir mal gucken, wie lang 90 sec sind. Dann hat er sich hingesetzt und hat die ganze Zeit nur in die Kamera gekuckt. Da sind 90 sec eine Ewigkeit. Ich weiß noch, wie Mechoff und alle möglichen Leute rumliefen und sagten: könnt ihr nicht noch irgendetwas im Bild sich bewegen lassen. Das ging ja nun gerade nicht. Und Dieter hat 90 sec lang in die Kamera gekuckt und keine Miene verzogen. Das ist eins der ganz großen Highlights für mich. Dieter Hildebrandt Du weißt, was daraufhin passierte? Ich kriegte Hunderte von Briefen: "Ich kann Ihre Fratze nicht mehr sehen!", "Unverschämtheit!" Das war der Höhepunkt der Beschimpfungen. Volker Kühn Ein großer Schritt für die Satire... Dieter Hildebrandt Für mich war es so, weil der Peter Gerlach den Erfolg nicht haben konnte - Stolte war auch nicht so begeistert von seinem Freund Gerlach. Oliver Kranz Herr Kühn, Sie haben dann ja auch für "Scheibenwischer" Texte geschrieben? Volker Kühn Ja, aber nicht sehr viel. Ich habe mal einen ganzen geschrieben über die Frankfurter Startbahn... Szene: Scheibenwischer vom 25.11.1982 Mann: Wie sieht es denn draußen aus vor Ort? Politiker: Aktion Weihnachtsmann. Draus vom Walde komm ich her, ich kann euch sagen, es gibt ihn nicht mehr. (Lachen) Mann: Horchen Sie mal! Horchen Sie mal!!! Wollen Sie mich hier verarschen! Um 3 Millionen Bäume geht es da!! Politiker: Entschuldigen Sie, die sind doch sowieso alle krank. Haben Sie denn noch nie etwas vom sauren Regen gehört? Mann: Eben drum! Politiker: Das muss man doch gesundschrumpfen. Gegen das Waldsterben hilft roden, abholzen. Mann: Aber Sie wissen doch ganz genau, dass Sie mit solchen Argumenten nicht weiterkommen. Das haben Sie doch gemerkt bei der letzten Hessenwahl. Politiker: So schlimm war es wieder auch nicht. Das Ergebnis war mager, aber nicht entmutigend. Immerhin vierte 3 % (Lachen, Applaus) D: 0´55 Volker Kühn Für mich war nur interessant an der Sendung, weil ich hatte das geschrieben über die Startbahn, war dann mit im Studio. Da kam der Krähkamp, den ich sehr gut kenne. Der war Nachbar von mir. Der sagte: "Es ist furchtbar, ich kann meinen Text nicht behalten und der Kreindl ist Österreicher und Schauspieler, die können doch immer alles. Ich habe so eine Angst, dass ich stecken bleibe." Das erzählte er allen und das erzählte er auch dem Kreindl und der hat immer gesagt: "Ganz ruhig, das kriegen wir schon hin. Du kriegst dein Stichwort von mir, da kann dir nichts passieren." Und als die Sendung dann lief, wurde mir klar, der Krähkamp war ganz sicher und konnte außerdem improvisieren, wie ein Teufel. Das war nachher so, dass der die Texte so runterspulte ... Dieter Hildebrandt ... und der Kreindl stotterte. Volker Kühn Hin und wieder kriegte er eine Großaufnahme und war mit entsetzten Augen zu sehen. Dann legte Krähkamp los. Der sprang, was gar nicht vorgesehen war, über das Sofa mit einer Hechtrolle. Und hat die Großen angezogen, praktisch ein Solo abgelassen, was gar nicht vorgesehen war. Dieter Hildebrandt Ein alter Mimentrick. Alexander Moissi hat den schon angewandt. Volker Kühn Wie spiele ich meinen Partner an die Wand? Und ich habe den Werner Kreindl, den ich sehr gut kannte, mit dem ich viel gemacht habe, der hatte auch mit Qualtinger Kabarett gemacht. Der war mit allen Wassern gewaschen, aber das kannte der nicht, diese Durchtriebenheit und stand da und war sprachlos. Das ist in einer Großaufnahme nicht so toll in einer live Sendung. Aber es passiert. Dieter Hildebrandt Die Idee war, als ich anfing: ich möchte gern Schauspieler in meiner Sendung haben. Ich habe viele Schauspieler angefragt und die haben alle gesagt: "Wunderbar, Herr Hildebrandt. Ich würde schon, aber ich habe Angst." Ich habe immer gedacht: Der spielt den König Lear und hat minutenlange Monologe und so. - "Ja, aber das ist geprobt." Das sehe ich auch ein. Die proben ja auch mit Requisiten, die es bei uns nicht gibt. Bei uns ist der Text klar, und die sagen: "Mit diesem Satz gehe ich zum Schrank, dann setze ich mich hin, dann zünde ich mir eine Zigarette an. Da ist dieser Text. Wie komme ich ohne Text jetzt über die Bühne zum Schrank? Da ist es bei Schauspielern ganz verständlich, dass sie Angst haben. Daher ist das Ganze auf einmal leider Gottes nicht mehr weitergegangen. Ich wollte Schauspieler haben, die ich so kenne... Volker Kühn Es waren viele drin. Dieter Hildebrandt Aber viele auch leider nicht. Volker Kühn Wie unterscheiden sich Kabarett und Schauspielerei? Es gibt noch ganz frühe Tonfilme aus dem Jahr 1930 - da haben die zum Teil auch mit Platten gearbeitet, die sie mitlaufen ließen und hoffnungslos asynchron waren. Und dann gab es eine ganz kurze Zeit, wo Filme gedreht wurden in einer Woche - ein 90 min Film, indem sie einfach eine ganze Kassette leer gedreht haben. Das haben sie erst mit Schauspielern versucht und es ging überhaupt nicht, weil die gesagt haben: "Ich soll zu Türen hereinkommen. Mit dem linken oder mit dem rechten Fuß? Wo soll ich denn hingucken? Wie soll ich den Satz dann sagen? Und dann muss ich zum Tisch gehen, aber wie soll ich das machen?" - Im Nu brauchten die 14 Tage für so einen Film und die hatten sie nicht. Das war ja Massenware Anfang der Dreißiger Jahre. Und dann sind die drauf gekommen und haben die ganzen Kabarettisten reingeholt - Morgan, Fritz Grünbaum, Nikolaus, Otto Walburg und wie sie alle hießen... Dieter Hildebrandt Was für eine Zeit... Volker Kühn ... und die haben gesagt: "Kamera läuft, die Kassette dauert 3 min, spielt". Und dann haben die drauflos gespielt und haben improvisiert, auch auf Texte, die gar nicht im Drehbuch standen, bis die Kassette eben leer war. Dieter Hildebrandt Finck war wahrscheinlich auch dabei. Volker Kühn Ja, natürlich... Oliver Kranz Und so lief das bei Scheibenwischer auch manchmal, dass nicht genau klar war, welche Texte? Dieter Hildebrandt Ja, es gab auch Krisenmomente, weil der von mir hochverehrte Nikolaus Paryla, der Niki - ich liebe ihn, er ist ein glänzender Schauspieler, ein Komiker von hohen Graden und Gnaden. In einer Sendung hat er von Klaus-Peter Schreiner einen Text bekommen hat und Klaus-Peter hatte den Text schwierig gestaltet. Um es mal so zu sagen: er war nicht besonders gut. Bei schwierig geschriebenen Texten, die aber nicht besonders gut sind, kann man sich an nichts halten, d.h., man kann sich es auch nichts merken. Und Paryla sagte nach der zweiten Probe: "Ich kann das nicht." - Ich wusste schon, warum er es nicht kann. Es lag am Text. Nun konnte ich ihm das nicht sagen, sonst wäre er ausgestiegen. Die Sendung kam, die Generalprobe lief und er blieb stecken. Dann hat er gesagt: "Scheiße!", und ist hinter die Bühne, hat den Text weggeschmissen und gesagt: "Ich mach das nicht." Dann haben wir ihn überredet, Sammy kam natürlich hat gesagt: "Mach das bitte." Und dann blieb er in der Sendung stecken, genau an der Stelle. Dann wollte er abgehen und ich habe gesagt: "Um Gottes willen", und bin mit dem Textbuch rausgegangen und er hatte die Bühne noch nicht verlassen. Ich habe ihn getroffen und habe ihm den Text gesagt: "Das ist doch ganz einfach: der Text ist folgendermaßen." - Was mit Belustigung des Publikums natürlich sofort zu tun hat, weil das ist ganz klar: "Fernsehen, das nicht funktioniert, ist viel interessanter als die Perfektion. Die Perfektion ist langweilig. Jetzt plötzlich war etwas los auf der Bühne. Und dann habe ich ihn auf der Bühne überredet, den Text zu sagen. Ich hatte mich kaum umgedreht, da hing er schon wieder (lacht) Dann habe ich gesagt: "Ich sage jetzt mal den Text vor. Dann guckte er mich an, Angst im Gesicht. Das war alles live - also ein Schauspieler, der stecken bleibt, öffentlich, ist furchtbar, so hat er es gesehen. Mit Mühe hat er den Text geschafft und kriegte einen Riesenapplaus. Das war eine richtig große Leistung. Solche Sachen passierten natürlich. Es bleibt immer mal jemand hängen. Ich habe mit Richard Rogler gesungen. Der mochte überhaupt nicht singen. Dann blieb er natürlich stecken. Und da habe ich gesagt: "Weißt du was, Richard, wir fangen nochmal von vorn an." - Das war komisch. Das ging die ganzen Jahre durch, die ganzen 23 Jahre. Musik instrumental - Ende der zweiten Stunde - Opener / 3. Stunde Titelmusik des Films "Kir Royal" (15 sec frei stehend, dann leise geblendet) Hildebrandt : ich empfand die 90er Jahre als hochpolitisch, weil das die Jahre gewesen sind nach der sogenannten Wiedervereinigung. Das war eine politische Zeit, die hochbrisant war, wo man versucht haben muss, mit den Kollegen, die man von früher kannte, das man wieder zusammen arbeitete. Szene /Volker Pispers: Inzwischen fragen sich viele, was die bucklige Verwandtschaft noch alles will. Sie haben doch alles! Kühn: Ich bin natürlich schon irritiert, dass es hier in Berlin auch Lokalitäten gibt, wo nur unpolitisches Kabarett gemacht wird, Kabarett ohne großen Anspruch. Szene Volker Pispers: Die Supermärkte sind über all eröffnet. Alle Waren sind ausgezeichnet, also ausgezeichnet. Das jetzt noch? Arbeitsplätze? Moment mal. War vor der ersten gesamtdeutschen Wahl von Arbeitsplätzen die Rede? Hildebrandt: Man kann Menschen unruhig machen, die viel zu ruhig sind. Man kann einen Menschen auffordern, den Zorn, den er hat, bei allen Dingen, die in so einer Republik passieren, dem Zorn Raum zu geben. Das heißt, sich zu äußern. Für mich ist Kabarett der Ersatz für eine psychiatrische Behandlung. Ich kann das sagen am Abend. Viele können das nicht sagen. Die bleiben damit und verkrusteten so langsam. Kabarett kann etwas lösen. Kühn: Ich glaube auch nicht an diesen Satz, den unsere Eltern uns immer aufoktroyiert haben, dass man mit 20 Revolutionär ist, mit 30 und 40 liberal und mit 80 dann stockkonservativ. An mir entdecke ich ganz andere Geschichten - ich werde immer radikaler und unduldsamer, was die Ungerechtigkeiten in der Welt angeht. (weiter) Musik "Kir Royal" 15 sec frei stehend, dann Schlussakkord Oliver Kranz Wir haben ja schon drüber gesprochen, die siebziger und achtziger Jahre waren für das Kabarett eine Goldene Zeit. Dann fiel die Mauer und der Systemkonflikt war weg. Und dann kam so etwas auf, was Comedy hieß und wo Leute auf der Bühne standen, die zwar auch irgendwie in ein Mikrofon sprachen, aber die haben mehr über sich und ihre Großmutter und über die Männerklischees und über die Frauenklischees geredet - und alle fanden das toll. Comedy war auf einmal das Neue. Kabarett war das Alte. Wenn man allein das Wort Kabarett sagte, dann gehörte man zu den Alten, Verstaubten. Wie haben Sie das erlebt? Dieter Hildebrandt Ich habe das nicht zur Kenntnis genommen. Es ist auch unsinnig. Die Trennung hat es nie gegeben. Wir haben immer beides gemacht. Wir haben unseren Spaß gehabt mit völlig unpolitischen Themen auch. Wir haben uns gegenseitig Fallen gestellt und sind rein gefallen. Das ist doch alles Comedy. Comedy ist etwas sehr Schönes. Begabte Comedians, das ist für mich das Schönste was es gibt. Wir haben ja genug Gute. Ich habe diese Trennung nie gesehen. Das ist ein Journalisteneinfall. Journalisten haben ja den Nachteil, dass sie immer von sich abschreiben. Es gibt doch sehr faule Journalisten, die sagen: "Ich schreibe lieber das, was der andere schon geschrieben hat." Deswegen sind jetzt viele Beurteilungen von Comedy und dem Unterschied zwischen Comedy und Kabarett abgeschrieben aus Kollegenarbeiten vor 20 Jahren. Deswegen kommt mir das jetzt auch schon sehr alt vor. Oliver Kranz Auf einmal hießen aber auch alle Shows Comedy - gut, der "Scheibenwischer" lief mit beneidenswerter Konsequenz immer weiter... Dieter Hildebrandt Als Show habe ich es immer gesehen, wenn jemand steppt und da ist eine kleine Band dabei, es singt jemand, es ist ein Komiker dabei. Das ist für mich eine Show. Wenn aber jetzt eine Talkshow eine Show ist, dann weiß ich nicht, was eine Show sein soll. Das verstehe ich nicht. Da sitzen vier Leute mit übergeschlagenen Beinen und reden über Themen, die wir alle schon hundertmal gehört haben. Das soll eine Show sein? Genau wie: "Ich habe eine Fernsehsendung." - Wer hat eine Fernsehsendung? - "Ich habe eine Fernsehsendung." - Wie macht der das? Macht der das alles alleine? - Nein. Diese Unterscheidungen spielen für mich keine Rolle. Für dich? Volker Kühn Nein. Oliver Kranz Sie haben mir mal gesagt, dass Sie sehr gelitten haben unter den Comedy-Leuten. Volker Kühn Ich muss sagen, bevor wir das differenzieren, dass ich das ganz genauso sehe wie Dieter. Es ist ja auch nichts Neues. Das hat es immer schon gegeben. Man kann Tucholsky nachlesen, der wird einem klar machen, dass auch in den 20er Jahren 85 % das war, was man heute Comedy nennen würde und 15 %, aber da muss man schon nachhelfen, das war, was wir Kabarett genannt hätten. Damals ging das alles miteinander und es gab halt gutes Kabarett und weniger gutes Kabarett. Tucholsky hat es auf den Nenner gebracht, dass er gesagt hat: das was man heute Comedy nennt, hat man damals Radaukomiker oder so genannt... Dieter Hildebrandt Klamotte. Volker Kühn ...oder Klamotte. Das gab es lange vor den Comedy-Leuten, diese Butterfahrten, wo man nach Dänemark fuhr, um Spirituosen oder Butter einzukaufen. Da gab es immer einen Conférencier, der witzbegabt sein musste und die Leute dazu bringen musste, einmal auf dem Schiff ein paar Häppchen zu sich zu nehmen und vor allen Dingen anschließend ein paar Rheumadecken zu kaufen - Sachen, die man normalerweise nicht braucht. Und das gab es immer. Das wird es auch immer geben. Was vielleicht neu ist, und insofern denke ich schon da ist was dran, was Dieter gesagt hat, dass das mehr oder weniger ein Einfall von Journalisten ist, die solche Rubriken wünschen und brauchen. Ich bin natürlich schon irritiert, dass es hier in Berlin auch Lokalitäten gibt, wo nur unpolitisches Kabarett gemacht wird, Kabarett ohne - aus meiner Sicht - großen Anspruch. Da gehe ich nicht hin und es regt mich nicht sonderlich auf. Aber dass es das immer nebenbei geben wird, ist mir klar. Ich finde nur, wenn ich jetzt schon darauf angesprochen werde, es schon ein bisschen bedenklich, welche Rolle das Fernsehen da auch gespielt hat... Dieter Hildebrandt Da sitzen ja auch Journalisten... Volker Kühn Es gibt ja den sogenannten "Satiregipfel" oder Satireshows - das waren in der Regel Sendungen, in denen Satire überhaupt nicht stattgefunden hat. Ich meine, man muss ja auch sehen, was aus dem "Scheibenwischer" dann geworden ist. Das muss einem gefallen oder nicht. Da gibt es Einsprengsel, die man nicht so gut findet, wie andere. Ich zum Beispiel langweile mich furchtbar, wenn ich ein kabarettistisches Programm sehe, wo meine kabarettistischen Ansprüche gar nicht berücksichtigt werden. Ich denke immer noch, es muss doch jemanden, wenn er aufs Kabarettpodium geht, egal ob das im Fernsehen, im Hörfunk oder sonst wo im Keller ist, dann möchte ich spüren, dass der mit dieser Welt, in die er da geworfen ist, so sich nicht anfreunden kann, sondern immer das Bedürfnis hat, etwas daran noch zu verbessern. Wer das nicht will, dass man die Umstände, die man vorfindet und die ja nicht so optimal sind, wie sie sein müssten, verändern will, mit dem kann ich auf dem Kabarett ganz wenig anfangen. Ein Beispiel: wenn in jeder Sekunde, die wir hier reden, 2-3000 Kinder weltweit verhungern, weil wir nicht in der Lage sind, unseren Überbedarf an Luxuswaren unter die Leute zu bringen und zu verteilen, dann bin ich mit dieser Welt, in die ich reingeboren worden bin, unversöhnt, und denke, daran müssen wir, verdammt noch mal, was ändern. Ob wir es ändern können, weiß ich auch nicht so genau. Im Alter wird man immer bescheidener. Aber ich will es wenigstens wollen. Ich glaube auch nicht an diesen Satz, den unsere Eltern uns immer aufoktroyiert haben, dass man mit 20 Revolutionär ist, mit 30 und 40 liberal und mit 80 dann stockkonservativ. An mir entdecke ich ganz andere Geschichten - ich werde immer radikaler und unduldsamer, was die Ungerechtigkeiten in der Welt angeht. Das hat mit Kabarett zu tun in meinem Verständnis. Song "Ende des Kabaretts" von Lukas Resetarits CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 12, Titel 25 Text: Die Nacht hat schon ein bissel zugebissen, eh ich heut ein bissel schlafen geh', werd' ich mich noch ein bissel fürchten müssen, falls ich mich noch ein bissel in der Welt umseh'... D:3'33 Oliver Kranz Herr Hildebrandt, "Scheibenwischer" gab es dann ja noch mehr ganze Weile, bis 2008, glaube ich. Sie sind ausgestiegen. Woran lag es? Dieter Hildebrandt Ich habe im Jahr 2003 beschlossen, ich höre auf. Da war ich schon ganz schön alt. Ich hatte es schon 23 Jahre gemacht und ich habe dem Sender mitgeteilt, dass ich zu der und der Zeit aussteigen werde. Ich bin also nicht entfernt worden oder so. Es kam die Frage, was ich davon halte, dass der "Scheibenwischer" weitergemacht wird. Ich habe gesagt: "Ja, natürlich." Wir hatten ja, als ich ging, eine wunderbare Mannschaft zusammen. Wir hatten Georg Schramm, wir hatten Bruno Jonas, wir hatten Mathias Richling und das musste genügen. Ob ich dabei bin oder nicht, das war vielleicht gar nicht so wichtig. Dann habe ich gesagt: selbstverständlich. Nur, der Sender hatte ganz andere Gedanken. In dem Moment, wo ich ausstieg, hatte der Programmdirektor das Gefühl, den Schramm müsse man als erstes entfernen. Und den Redakteur Uwe Röhmhild, von dem ich große Stücke halte und ich würde jedem, der eine Sendung macht, empfehlen: nehme ihn. Das ist ein Redakteur, so wie er gebacken ist. So muss er sein. Der Uwe Römhild ist auch nicht so alt. Er könnte noch 20 Jahre arbeiten. Genau den wollte er auch weg haben. Und die neue Intendanz stand wohl auf seiner Seite. Da habe ich schon das Gefühl gehabt, dass das nicht gut gehen kann. Nach einer gewissen Weile hat der Schramm dann auch quittiert und ging. Dann blieb das Ensemble ein wenig offen. Dann kam noch Richard dazu, der ein bisschen geholfen hat. Aber es endete dann so in Belanglosigkeiten. Es gefiel mir nicht mehr. Und als Richling dann sagte, er möchte die Verbindung zur Comedy schaffen und einen Namen nannte, wo ich erschrocken bin, denn der passt überhaupt nicht da rein, da habe ich gesagt: "Ich möchte den Titel wiederhaben. Der ist von mir und der heißt 'Scheibenwischer'". Da habe ich mich nicht beliebt gemacht damit. Die Kollegen haben alle gefragt: "Muss das sein?" Ich hatte das Gefühl: "Ja, es muss sein." Und ich bin immer noch der Meinung, es musste sein. Oliver Kranz Und dann konnte es nicht mehr "Scheibenwischer" heißen? Dieter Hildebrandt Und dann kam die Redaktion, es kann nur ein Redaktionseinfall gewesen sein - "Satirefestival" - (Lachen) Ich vermute, dahinter war der Gedanke, dass es eine Kritik des Problems "Gipfel" ist. Gipfel, die die Städte vernichten. Ich bin der Meinung, man müsste künstliche Inseln schaffen, eine Gipfelinsel, die irgendwo in der Nähe von den Aleuten herum schwimmt. Dann könnten alle Gipfelleute dorthin und dann könnten auch die Olympischen Spiele dort stattfinden. Aber das macht keiner, obwohl es ginge. Es müsste künstliche Inseln geben. Es gibt doch auch Bohrinseln, die riesengroß sind. Wahrscheinlich ist der Gedanke gewesen, es soll eine Spitze sein gegen Gipfel - aber mit Satire verbunden hat das irgendwie keinen Sinn. (Lachen) Oliver Kranz Sie haben gerade gesagt, Comedy sei in den 90er Jahren nichts anderes gewesen, als das alte Kabarett. Trotzdem waren die 90er Jahre weniger politisch, als die Jahre davor. Und die Zehner Jahre des neuen Jahrtausends auch noch. Aber seit wir die Finanzkrise haben, da denkt man wieder politischer... Dieter Hildebrandt Ist das jetzt Ihre Festlegung, dass die 90er Jahre unpolitischer waren? Oliver Kranz Das habe ich so empfunden. Dieter Hildebrandt Das ist aber kein Dogma jetzt? Das sagen nicht Ihre Kollegen auch alle? Weil ich empfand die 90er Jahre als hochpolitisch, weil das die Jahre gewesen sind nach der sogenannten Wiedervereinigung. Das war eine Zeit, die hochbrisant war, wo man versucht haben muss, mit den Kollegen, die man von früher kannte, das man wieder zusammen arbeitete. Es ist zum Teil ja gelungen, nur es dauerte natürlich eine gewisse Zeit. Eine Umformierung des Ensemblekabaretts, das gibt es ja auch nur noch im Osten, aber das Wiederheranziehen des Ensemblekabaretts, weil ich liebe die Ensembles. Ich hasse das, dass es sich jetzt so entwickelt, dass jeder allein unterwegs ist und jeder sich allein vors Publikum stellt. Warum nicht zu zweit, zu dritt? In den Ostkabaretts war das noch da. Man musste sie auffangen, weil sie hatten ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sie mussten sich umstellen von der absoluten Abhängigkeit vom Staat, die sie vorher hatten, zur sogenannten freien Marktwirtschaft, die sie nicht kannten. Die mussten sie erst mal ausbaden. Und die ganze feindliche Übernahme seitens der Bundesrepublik war ein Riesenthema. Der Polt hat sich irgendwo in Zwickau und auf die Bühne gestellt hat gesagt: "Mei, schauen Sie. Nie habe ich gewusst, dass es das gibt, dieses Zwickau. Und jetzt gehört mir." (Lachen) Wenn das nicht politisches Kabarett ist und wenn das nicht notwendig war, dann weiß ich nicht. Ich fand das hochpolitisch. Ich hatte damals nur keine Gelegenheit, es unterzubringen. Szene: Volker Pispers "Deutsche Einheit" CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 12, Titel 2 Pispers: Man muss immer genau zuhöhren. Lothar de Maiziere hat die Sache sehr früh auf den Punkt gebracht. Lothar de Maiziere hat schon sehr früh in einem Quick- Interview gesagt: "Wir kommen nicht als Freunde, wir kommen als Verwandte." (Lachen) Inzwischen fragen sich viele, was die bucklige Verwandtschaft noch alles will. Sie haben doch alles! Sie haben alles, was versprochen war: Sie haben die Mark, sie haben die Marktwirtschaft, sie haben die Supermarktwirtschaft. Die Supermärkte sind über all eröffnet. Alle Waren sind ausgezeichnet, also ausgezeichnet. Das jetzt noch? Arbeitsplätze? Moment mal. War vor der ersten gesamtdeutschen Wahl von Arbeitsplätzen die Rede? Da kann ich mich aber nicht dran erinnern. Man muss dem Kanzler auch zuhören, nicht nur Fähnchen schwenken. Von Arbeitsplätzen hat der Kohl nie geredet. Nein, Helmut Kohl hat gesagt, dass die meisten hinterher besser gehen können oder so ähnlich. Von blühenden Landschaften hatte auch sehr gern gesprochen. Von Arbeitsplätzen war nie die Rede. Von Freiheit war sehr viel die Rede. Au ja. Redefreiheit, Meinungsfreiheit, Reisefreiheit - haben die alles. Das reisen dürfen nicht reisen können bedeutet, dass hätte denen jeder Sozialhilfeempfänger in der alten BRD auch erklären können. Irgendwie haben die Ossis das alles falsch verstanden. Die haben geglaubt, die kommen in die Demokratie und haben jetzt nur noch die Qual der Wahl. Aber das einzige, was man hier hat ist die Wahl der Qual. Wofür haben die Ossis sich entschieden? Für das grausamste Experiment aller Zeiten: die Implantation der freien Marktwirtschaft in einem lebendigen Volkskörper bei vollem Bewusstsein. (Lachen) vom Dachdecker Erich zum Abrissbirne-Helmut. (Lachen) Was haben Sie gemacht, als sie gemerkt haben, was sie sich so gewählt haben? - Da fingen die wieder an zu demonstrieren. Wie niedlich. (Lachen) Haben sie den Kanzler mit Eiern geschmissen. Diese hilflosen Aktionen. Was sind denn eine Hand voll Eier gegen 260 Pfund Tiramisu. (Lachen, Applaus - wird ausgeblendet) D: 1'18 Oliver Kranz: Das war der Kommentar von Volker Pispers zur Deutschen Wiedervereinigung. Herr Hildebrandt, Sie haben Ihre persönliche Kabarett-Wiedervereinigung mit Peter Ensikat aus der DDR ganz gut hingekriegt oder? Dieter Hildebrandt Der Peter, ja. Mit Peter hatte ich vorher schon guten Kontakt. Mit Peter war ich sehr befreundet. Kurz bevor er starb haben wir auch noch ein Buch zusammen geredet. Das heißt "Ansichten zweier Clowns" - also wie sieht der eine diese Zeit, von der wir gerade geredet haben, und wie sieht der andere die Zeit. Und wie sieht der andere überhaupt die Vergangenheit seines Kabaretts im Westen und das im Osten. Das kann ganz interessant werden. Sein Sohn David wird das Buch jetzt zuende schreiben. Das konnte Peter nicht mehr. Leider. Volker Kühn Mir geht es ganz genauso. Ich muss sagen, dass ich die neunziger Jahre als hochpolitisch empfunden habe. Wenn es einen Punkt gibt, wo ich bedaure, nicht mehr 20 oder 30 zu sein, dann lag das in den Neunzigern. Sonst alles geschenkt. Ich würde wahrscheinlich die gleichen Fehler auch wieder machen. Es war alles in Ordnung eigentlich - nur ich würde, da ich ja auch kein Kabarettist bin im Sinne von Auftreten, weiß ich ganz genau, dass ich in den neunziger Jahren diese Funktion nicht mehr haben konnte, Leute anzutreiben, eine Sendung zu machen. Ich habe es sehr bedauert. Ich muss auch mit Blick auf unsere Zunft bedauern, dass es die große Nummer, die ganz große Nummer der deutschen (wir sagen nicht Wiedervereinigung) der deutschen Vereinigung nicht gibt. Es gibt hier ein paar Sprüche und da und da eine kleine Szene, aber die große Nummer - nach 1945 kann ich sie benennen - also Erich Kästner zum Beispiel, "Marschlied 45" - das ist die Nummer, wo einem klar wird, was nach 45 passiert ist. Und so gibt es 68er Nummern, wo ich genau sagen kann: in dieser Nummer habt ihr die ganze Zeit drin. Ich suche die für die Zeit nach der Vereinigung. Die sehe ich nicht. Das ist doch eigentlich traurig, dass das deutsche Kabarett hüben wie drüben sich zu dieser elementaren Frage nicht hat äußern können. Oder? Es gab Leute wie Neuss, die für nichts anderes, auf die Gefahr hin, dass er als konservativ und traditionell empfunden wird, die waren nur von der einen Frage beherrscht: was wird mit uns Deutschen hüben und drüben? Wir können das doch nicht zulassen... Dieter Hildebrandt Was wird mit der Präambel des Grundgesetzes? Volker Kühn Es gibt schöne Sachen: was, wenn die Wiedervereinigung kommt? - Du bist vielleicht gar nicht zuhause. Dieter Hildebrandt Es gibt wunderbare Sätze von ihm, eigentlich muss man sie sammeln und einfach mal senden. Der ist von einer Aktualität, die ist bedrückend. Szene: Wolfgang Neuss; "Bei Onkel und Tante in Treptow" CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 11, Titel 15 Neuss: Ich bin, bevor ich zu Onkel und Tante nach Treptow bin, erst mal ins Café Budapest - erst mal drei Flaschen Krim Sekt, gegessen, leise raus. Ich mache immer Schulden drüben. (Lachen) Natürlich. Wie soll denn sonst das Regime zusammenbrechen? (Lachen) So ein Regime, das beginnt doch nicht Unter den Linden auf dem Regierungsschreibtisch zusammen zu krachen. Das beginnt doch in der Familie, in der kleinsten Zelle eines Staates, beginnt das doch zusammen zu krachen. Ich habe also Onkel und Tante in Treptow besucht. Sehr herzlicher Empfang, also wirklich. Onkel hatte richtig was Gesamtdeutsches in der Pupille, wie er mich begrüßte. (Lachen) ... er sagte gleich: "Ich muss sagen, der Chrustschow war ein guter Junge. Der hatte einen Fehler: er war kein Kommunist." (Lachen) Ich sage: "Ja, Onkel. Ich glaube, das hat ihm auch in West-Berlin sehr geschadet." - Nur damit Sie mal sehen, dass ich auf der dialektisch-verwandtschaftlichen Ebene einwandfrei mitgehalten habe. (Lachen und Applaus) Nun muss man wissen, dass mein Onkel ein irre labiler Typ ist. Nach dem 13. August, wo sie da gebaut haben, ist er bald Kommunist geworden. Ich bin nicht schuld: Ich habe ihm immer geschrieben: "Höre dir nicht die politischen Kommentare im Sender Freies Berlin an." (Lachen) Deutschlandsender war ihm zu langweilig, da hat er immer gehört SFB Dieter Käufler, Herbert Hausen. Da ist er so sukzessive, ohne es zu merken, in die SED hereingerutscht (Lachen). Ehrlich, der ist so Kommunist, wie ich früher Nazi war. (Lachen) Halb so schlimm. Meine Tante, die ist eine auf modern gepeitschte Clara Zetkin. (Lachen) und gemeint: 3 Millionen Kommunisten von der Sorte hätten sie jetzt da drüben. Ich sage: "3 Millionen?" - "Ja, so viele habt ihr geschafft." - (Lachen) - Leistung erkennen sie an. Ich sage: "3 Millionen Kommunisten? Da wird es ja mit der Wiedervereinigung, wie ich sie gelernt habe, nichts. Es sei denn, wir stellen bei der Wiedervereinigung den sozialen Wohnungsbau hinten an und bauen erstmal Gefängnisse, damit der Strafvollzug..." - Wir wollen doch auch mal was gelernt haben. Naja das ist Familie. Wir haben dann noch was gegessen. Es war der Weihnachtsabend. Es gab polnische Ente. Ich hatte eine mitgebracht, die hatten aber auch eine da. (Lachen) Das kommt ja vor, dass zwei Länder denselben Import haben, wenn die Enten gut sind, warum denn nicht. (Lachen) Sie waren sehr höflich und haben meine gemacht (Lachen). Ich wollte gerade den ersten Bissen Ente nehmen, da sagte die Tante zu mir: "Junge, gibt es ein Leben nach der Wiedervereinigung?" - Ich habe die Ente erstmal runtergeschluckt. Es war ja sowieso meine. (Lachen) Ich sage: "Bitte Tante, lasse mich mit den mythologischen Dingern in Ruhe. Ich will mit dir Weihnachten feiern." Der Baum brannte ja schon. Da kann sie nicht mit so tückischen Fragen kommen. Da war es dann halbzwölf, ich musste wieder rüber. Ich habe meinen Onkel zum Abschied gesagt: "Onkel, höre mal: Das geht schon alles klar. Du kannst dich drauf verlassen, die Vereinigung kommt." - Das habe ich sehr überzeugend gesagt, obwohl ich die letzte Veranstaltung vom Kuratorium unteilbares Deutschland schon kannte. Das war von mir meine kleine Leistung gewesen. Ich sage: "Die Vereinigung kommt! Eines Tages steht sie vor der Tür! Du bist vielleicht gleich zuhause!" (Lachen) Blenden D: 4´15 Oliver Kranz Das war eine Szene aus dem Programm "Das Jüngste Gerücht" von Wolfgang Neuss, das 1963 Premiere hatte und das er ein einziges Mal auch in Ostberlin spielen durfte - 1965 in einer geschlossenen Vorstellung für Schauspieler des Berliner Ensembles. Der Mitschnitt, den wir eben gehört haben, wurde damals von der Stasi gemacht. Neuss durfte nie wieder in der DDR auftreten... Volker Kühn Das ist auch etwas, was ich bedaure. Wolfgang Neuss ist gestorben im Mai '89. Hätte er nicht noch ein halbes Jahr zulegen können, damit er wenigstens zwei Pointen über die Wiedervereinigung und den Fall hätte ablassen können. Das war die durchtriebene Art von ihm. Dieter Hildebrandt Wir haben ihn ja immer besucht nach unserer Sendung. Nach dem "Scheibenwischer" gingen wir, Sammy Drechsel und ich, zu der Kokosmatte, wo er saß, mit untergeschlagenen Beinen und hat seinen Obolus verlangt. Das war so eine Art Steuer, die wir abgeleistet haben. Wir legten das in seinen Hut und davon lebte er ein bisschen - aber nicht nur von uns, sondern es gab viele. Er wollte ja nicht mehr arbeiten und wollte auch nichts mehr verdienen. Geld war ihm... das, was er kriegt, war wichtig. Alles andere beim völlig egal. Er lebte eigentlich so, wie Gaston Salvatore damals beschworen hat, so müsste der Sozialismus sein. Und dann kamen wir eines Tages und er schaute mich lange an und sagte: "Ick werde dir sajen, wenn ick mal sterbe, dann wird mein Geist in dich reindampfen." - Da habe ich gesagt: "Wolfgang, Du hast dein Wort nicht gehalten. Wann soll das denn sein? Das ist jetzt schon lange her." Volker Kühn Aber du weißt, dass wir beide zu den ganz wenigen Leuten gehören, die ein Privileg hatten. Wir durften nämlich beide unabhängig voneinander das Fenster aufmachen bei ihm. Das durften andere nicht. Sammy auch. Das war die höchste Auszeichnung. Dieter Hildebrandt Es war eine Wolke da drin. Und dann kamen wir und das Erste war: "Mach das Fenster auf." Dann schaute er missmutig, aber hat nichts gesagt. Wenn er dann böse war, hat er gesagt: "Eure Sendung war nicht gut gestern." Wolfgang Neuss; "In der Blüte meiner BlauenTage" CD "100 Jahre Kabarett"- LC05197 - Disk 8, Titel 13 Text und Gesang: In der Blüte meiner blauen Tage, spürte ich, dass Spaß ein Luxus war, den man mit der Apothekerwage abwog, denn er war entsetzlich rar. ... da beschloss ich ungebeten, Spaß zu machen für Moneten. Etwa so: Ich komme zum Doktor ... D: 2´49 Oliver Kranz Herr Kühn, Sie haben dann Bücher geschrieben, also Bücher über Wolfgang Neuss und viele andere. Sie sind der große Archivar des Kabaretts, wenn man das so sagen kann. Volker Kühn Das habe ich nie vorgehabt. Oliver Kranz Wenn man in Ihrer Wohnung durch die Zimmer geht, dann sieht man... Dieter Hildebrandt Er ist der einzige, der unvoreingenommen sammelt. Oliver Kranz Stimmt das? Sammeln Sie, was Sie mögen und was Sie nicht mögen? Volker Kühn Ich mag eine ganze Menge. Dieter Hildebrandt Es ist auch sehr viel da. Oliver Kranz Die Frage ist, kann man Kabarett archivieren? Dieter Hildebrandt Warum nicht? Oliver Kranz Die Sachen, die nicht auf Texten beruhen... Dieter Hildebrandt Das muss man dann natürlich mit einer gewissen Kenntnis der Zeit verbinden. Wenn man einen Wissenszusammenhang hat, dann gefallen einem die Pointen. Wenn man sie einordnet und sagt: das hat er aber gut gesagt. Dann kann man sagen: Wo hat er Recht gehabt, wo nicht, war es gut, war es schlecht? - Das ist doch eine spannende Aufgabe. Das dient dem Begreifen der Zeit. Die Zeit muss man ja ein bisschen speichern, damit man die begreift, in der man lebt. Das geht ja ineinander über. Da gibt es ja Ursachen. Wenn es heute in München einen Prozess gibt gegen Nazimörder, also Neonazis, die tatsächlich gemordet haben im Glauben, sie würden Adolf Hitler dadurch dienen, denn darauf ist es ja zurückzuführen, dann befindet man sich in der Stadt, wo es alles angefangen hat. Und in dieser Stadt hat man keinen Gerichtssaal, damit die Journalisten da alle rein können. Das hat doch einen Zusammenhang. Man muss nur wissen, dass es da angefangen hat. Das ist die Brutstätte des Nationalsozialismus, in der ich wohne, nebenbei gesagt. Aber man muss da wohnen, wo es losgeht. Das ist alles vom Kabarett notiert. Werner Finck hat ein ganzes Programm über sein Verhältnis zum Nationalsozialismus gehabt. Oliver Kranz Werner Finck hat 1929 in Berlin das Kabarett Die Katakombe gegründet und ist dort auch aufgetreten, bis er von den Nazis verhaftet wurde. Dieter Hildebrandt Und Sebastian Haffner hat über Finck wiederum geschrieben. Die große Stunde von Wolfgang Neuss, das war der Höhepunkt, hat er geschrieben, der Sebastian Haffner war hier in Berlin und hat beschlossen: hier muss er raus, und ist aber 1934, als die Katakombe offen war, was verwegen war, dass man damals in der Zeit noch spielte, saß er da und hat dem Finck zugehört, was der gesagt hat über diese Zeit, wo bei er immer dachte, jetzt kommt sofort ein SA-Mann, prügelt ihn von der Bühne oder ein SS-Mann oder ein Polizist und führt ihn ab. Er notierte es und sagte: "Das war die größte Zeit des Werner Finck." Wenn man die Zeit kennt, dann muss man den Finck daraufhin lesen. Das kann man auch. So geht es auch mit Neuss. Volker Kühn Vielleicht kann ich das noch ergänzen. Ich bin mir so einig mit Dieter. Ich bin ja auch nicht von ungefähr drauf gekommen. Man braucht ja einen Anstoß. Im Zeitraffer: Ich war vier Jahre in Amerika, kam nach Deutschland zurück, wusste nicht, was ich machen soll, begegnete Eugen Kokon, der sagte: "Man geht nie wieder dahin zurück, wo man aufgehört hat. Wenn du bisher Zeitung gemacht hast, dann fällt das schon mal aus. Mache etwas anderes - mache Fernsehen oder Hörfunk." Er behauptete auch, meine Vorlieben für Politik und Feuilleton, das könnte man in Panorama machen oder in solchen Sendungen. Das war die Vorgeschichte. Ich kam irgendwann zum Hessischen Rundfunk und stellte fest, das war so ein Sender mit ganz langweiliger Unterhaltungsmusik. Die spielten nämlich noch Operette am Stück. Aber Hallo - 2 Stunden nachts. Da haben sie gesagt, ich solle Programme machen, wie es mir gefällt. Dann habe ich aus meiner amerikanischen Begegnung mit der medialen Welt da drüben vieles verändern können. Sie ließen mich auch, weil sie nichts dagegenzusetzen hatten. Also habe ich gedacht, was mache ich? Operette ist stinklangweilig, Schlager auch. Was machst du? Ich mache Kabarett. Dann bin ich nach Berlin gefahren und habe den Neuss getroffen und habe daraus dann meine Sendungen gemacht - nicht nur die Monatsbilanz, sondern auch viele andere kabarettistische Sendungen. So habe ich auch Sammy und euch dann kennengelernt. Und habe mich dann irgendwann gefragt, was haben die eigentlich vor uns gemacht? Wir dachten ja, im Reichskabarett, wir haben eine ganz tolle Nummern erfunden, bis ich dann ein bisschen nachgelesen habe und gesehen habe, im Kaiserreich haben sie das schon ganz genauso gemacht, nur eigentlich ein bisschen besser als unsere Nummer. Die konnten mit der Sprache noch besser umgehen, als wir. Die hatten mehr Vokabeln und waren höher gebildet. Das hat mich natürlich erst einmal demütig gemacht, und dann habe ich gesagt: das will ich genauer wissen. Ich habe das französische Kabarett studiert - Chat Noir usw. - und die deutsche Kaiserzeit um Ernst von Wolzogen, die Zwanziger Jahre usw. Und habe ganz schnell gemerkt, da spielte Herr Hilton eine Rolle vom Kabarettarchiv, der immer, wenn ich eine Sendung gemacht hatte und abends um elf aus dem Funkhaus ging, dann stand der immer hinter der Säule, versteckte sich und ich dachte schon, ich werde beobachtet und fand mich ganz toll. Es war aber nicht so. Es war Hilton, der mir das Manuskript abjagen wollte: Ach, ob er das Manuskript haben könnte von der Sendung. Er hätte ein Kabarettarchiv in Mainz und würde es gern archivieren. Ich habe gedacht: was ist das für ein armer Irrer? (Lachen) die Kabarettpointe von heute ist morgen die älteste Geschichte der Welt. Das ist wie mit der Zeitung. Das kann man doch nicht archivieren. Dann bin ich aber ganz schnell darauf gekommen, dass es sehr wohl zu archivieren ist, bzw. ich kenne Texte aus den Zwanziger Jahren, wo ich auf die Woche genau sagen kann - Erich Weinert zum Beispiel - in welcher Woche die geschrieben worden ist, wann sie vorgetragen worden ist, was sie bewirkt hat und was sie nicht bewirkt hat. Das ist ein ganz spannender Kommentar zur Zeitgeschichte, wie übrigens auch der Schlager. Es gibt Schlagermusik und Schlagertexte, die nicht nur weil sie kabarettistische angehauchte, einen Kommentar zur Weltgeschichte und zur Zeitgeschichte geben, die ich mir spannender nicht vorstellen kann. Jedenfalls spannender als in irgendeinem Roman, der in einem Elfenbeinturm ganz für sich allein abgedunkelt vor sich hin geschrieben wird. Weil das ja immer auch auf Wirkung bedacht ist. Hugh, ich habe gesprochen. Song: Helmut Schmidt "Etwas leisten" CD "Politparade"- LC5197 - Disk 1, Titel 14 Text: Wir haben keine Rezession. Wir haben reale Zuwächse. Wir haben Vollbeschäftigung. Aber damit das alles funktioniert, müssen wir auch alle sparen. Und wer sparen soll, muss auch vorher gut verdient haben. Sonst geht das nicht. Ich habe da ein persönliches Langzeitmotto folgendermaßen formuliert. Das lautet so: etwas lernen. Etwas leisten. Gut verdienen. Anständig und ehrlich seine Steuern bezahlen. Ordentlich was auf die hohe Kante legen. Und im übrigen das alles nicht übertreiben, damit man genug Zeit und Musse hat sich der weiß Gott angenehmen Seiten des Lebens zu erfreuen... D: 4´05 Oliver Kranz Ein Song mit Ausschnitten aus Reden von Helmut Schmidt, den Volker Kühn 1973 produziert hat. Herr Kühn, Sie archivieren ja nicht nur, sondern schreiben auch immer noch selbst. Vor Kurzem haben Sie ein Theaterstück herausgebracht, Sie schreiben Bücher und machen Ausstellungen - auch auch über das Kabarett. Was ist die Motivation? Einer neuen Generation diesen Schatz an Wissen zu übermitteln? Volker Kühn Auch das ist eine Geschichte, von der ich wohl weiß, dass es eine Sisyphusarbeit ist, aber ich lasse mich nicht davon abhalten. Weil ich glaube, dass man immer wieder ein paar Leute trifft, mit denen man zumindest reden kann - zum Beispiel so junge Journalisten, wie Sie. Dann denke ich, das lohnt doch noch, mit denen zu reden. Vielleicht gibt er das weiter. So lange ich kann, werde ich das immer weitermachen und wie weit ich damit glaube, die Welt verändern zu können, da bin ich bescheiden geworden. Das ist schon wahr. Oliver Kranz Herr Hildebrandt, kann Kabarett die Welt verändern? Dieter Hildebrandt Nein, natürlich nicht. Das Kabarett kann durch sein Vorhandensein Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken, wie man sie verändern kann. Mehr kann es nicht, aber das ist schon eine Menge. Man kann Menschen unruhig machen, die viel zu ruhig sind. Man kann einen Menschen auffordern, den Zorn, den er hat, bei allen Dingen, die in so einer Republik passieren, dem Zorn Raum zu geben. Das heißt, sich zu äußern. Für mich ist Kabarett der Ersatz für eine psychiatrische Behandlung. Ich kann das sagen am Abend. Viele können das nicht sagen. Die verkrusteten so langsam. Kabarett kann etwas lösen und kann zum Beispiel einen Widerstand auslösen und kann stören, kann wirklich stören, deswegen haben wir auch im Internet diesen Störsender gegründet. Wir wollen genau diese Ruhe aufstören, und wir wollen hinweisen darauf, dass wir in diesem Fall belogen und betrogen werden, dass das schon Jahre geht. Wir wollen die Finanzpolitik zum Beispiel, die die Bundesregierung betreibt im Rahmen der Brüsseler Union, es stört mich, dass die Leute sich das so gefallen lassen. Also Kabarett kann auf jeden Fall Unruhe erzeugen, und das hat es hin und wieder auch gemacht. Wir haben doch darüber gesprochen jetzt die ganze Zeit, was alles gestört war. Mehr kann es nicht, das muss ich auch zugeben. Oliver Kranz Ich will noch mal die Website sagen: www.Stoersender.TV - das ist eine Sache, die machen Sie und auch andere Kabarettisten... Dieter Hildebrandt Wer macht das noch? (Lachen) Oliver Kranz Ich meine, da kann man Spots mit Ihnen sehen, aber auch mit anderen Kabarettisten. Es ist keine Dieter-Hildebrandt-Alleinveranstaltung, sondern... Dieter Hildebrandt ... es ist eine Mischung. Es ist ein Magazin, das nicht nur aus Kabarett besteht, sondern es ist gleichberechtigt mit Journalismus und mit Poesie. Die Poesie haben wir noch nicht so richtig drin, aber vielleicht kommen noch ein paar Teilnehmer, die uns da helfen. Wir sind offen für Leute, denen was einfällt. Oliver Kranz Ich finde es interessant: Sie sind mit dem alten Format noch sehr erfolgreich. Sie reisen herum und treten auf. Warum haben Sie sich dieses neue Medium gesucht? Dieter Hildebrandt Weil das einen anderen Zugang gibt und weil ich neugierig bin. Das andere mache ich und das läuft und das ist gut, aber das was noch nicht läuft, interessiert mich. Das läuft noch nicht so richtig, das ist klar. Wir sind noch nicht auf dem Höhepunkt unserer Möglichkeiten. Immer wo eine Leiter ist und noch ein paar Sprossen sind, das will man ja rauf. Das ist doch eine alte Geschichte. Also die kleine Leiter da, die will ich noch hoch. Ich will noch ein bisschen was erfahren über dieses Medium. Ich will es nicht genau lernen, wahrscheinlich schaffe ich das auch nicht mehr, aber ... ich will mitmischen. Oliver Kranz Ich habe noch eine ganz wichtige Frage, die ich am Schluss stellen will. Volker Kühn wird 80. Dieter Hildebrandt das bin ich schon. Oliver Kranz Man sieht es ihnen beiden nicht an. (Lachen) Was wünschen Sie ihm zum Geburtstag? Dieter Hildebrandt Dass er noch älter wird. Ich gratuliere dir. Volker Kühn Noch nicht. November. Ich habe dir einen Brief geschrieben und gesagt, dass wir das voraufzeichnen. Ich glaube, dieser junge Herr Kranz hat keinen Glauben an unseren Überlebenswillen oder die Fähigkeit, noch bis November durchzuhalten. Und dann habe ich mich gefragt, wie hättest du das gemacht früher. Ich habe noch eine Erinnerung an die Zeit, wo ich 20 war und ich hätte das auch so gemacht: Wenn ich mit zwei so alten Zauseln zu tun gehabt hätte, die über 80 sind oder auf die 80 zugehen. Ich hätte gedacht: was du heute aufnimmst, das hast du schon im Computer. Wer weiß, was morgen ist? Dieter Hildebrandt Ich sehe das anders. Schau mal, Volker, wen wir alles schon überlebt haben. Wir sind Sieger. Wir sind Siegertypen. Mit Siegertypen spricht man doch. Volker Kühn An uns werden die sich noch die Zähne ausbeißen. Pass mal auf. Dieter Hildebrandt Ich hoffe, dass sie dann noch welche haben. (Lachen) Musik (instrumental) - Ende - Sprecher Sie hörten: "Gefährlich, aber gut" - die Lange Nacht mit Dieter Hildebrandt und Volker Kühn. Eine Sendung von Oliver Kranz. Ton und Technik: ... Regie: Rita Höhne Redaktion: Monika Künzel Die Lange Nacht mit Dieter Hildebrandt und Volker Kühn 6