COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Ausgebrannt vom Nichtstun - Bore-Out ist der Gegenspieler des Burn-Out - aber kaum bekannt Von Jenni Roth "Ich sitze hier meine Lebenszeit einfach nur ab."               Atmo: Büroartikel fallen auf den Boden   Sprecher Kugelschreiber und Büroklammern auf dem Boden verstreuen...   Atmo: Schnarchen   Sprecher ... dann danebenlegen mit den Füssen gegen die Tür und dem Kopf unterm Pult. Schlafen.   Atmo: Bürotür rumpelt   Sprecher Wenn dann jemand ins Büro kommt, kann man so tun, als ob man eifrig die Stifte und Klammern vom Boden einsammelt.   Atmo: Einsammeln von Gegenständen   Sprecher Bei der Arbeit ein Nickerchen, ohne dass jemand es merkt. Altmodischer Trick. Heute geht es im Großraumbüro eher darum, den Computerbildschirm im richtigen Winkel aufzustellen, damit einem nicht jeder über die Schultern guckt, wenn man gerade auf den Malediven surft oder bei Online-Otto. Oder sogar, wie sich bei Luzerner Staatsangestellten herausstellte, auf Pornoseiten.   Werder Man kann ja mit dem Shortcut Alt Tabulator schnell wechseln von der Ferienseite zur Excel-Tabelle...   Sprecher  „Cyberloafing“ heißt das: Bei der Arbeit nicht arbeiten, sondern surfen. Sein Facebook-Profil aktualisieren, Kommentare posten, Filmchen herunterladen, den Hausrat versteigern. Tatsächlich sammeln die einschlägigen Seiten 70 Prozent ihrer Clicks zu Kernarbeitszeiten, und 60 Prozent aller Online-Einkäufe finden zur Arbeitszeit statt. Insgesamt widmen Arbeitnehmer sich täglich eineinhalb bis drei Stunden anderen Dingen.   Atmo: In Zeitlupe tickende Uhr   Sprecherin Drei Stunden? Jeden Tag? Haben die alle nichts zu tun?   Atmo: In Zeitlupe tickende Uhr   Sprecher Private Dinge am Arbeitsplatz zu erledigen – das tun viele. Die Frage ist nur: Wie oft? Wie viel? Eine halbe Stunde pro Tag, eine Stunde, vier, fünf Stunden? Und vor allem: Tun sie es freiwillig – oder weil es eben nicht anders geht?   Anna Es ging mir insofern nicht gut, als dass ich etwa acht Stunden am Arbeitsplatz bei Vollzeitbeschäftigung sein musste aber nur ein Arbeitsvolumen von etwa drei Stunden hatte. Dh. ich war damit konfrontiert, dass ich nach drei Stunden mit der Arbeit fertig war. Was darauf hinauslief, dass ich mich fünf Stunden still beschäftigen musste, und so tun, als ob ich was tue, aber faktisch nichts zu tun hatte. Und das ist `ne ganz belastende Situation, wenn man was schaffen will.    Sprecher Zwei Jahre arbeitete Anna S., Akademikerin und 36 Jahre alt, in einer Institution mit behördenähnlichen Strukturen. Anfangs fand sie ihren Job spannend, alles war neu, sie lernte viel. Aber das blieb nicht lange so: Wenn es überhaupt etwas zu tun gab, dann meistens nur Routinearbeiten.   Atmo: Tinnitus-Geräusch, das bis zum O-Ton von Anna lauter wird   Sprecher Was passiert, wenn ein Mensch arbeiten, etwas leisten will, aber nicht darf oder kann?   Sprecher2: Zitat Als Boreout-Syndrom (von englisch boredom ‚Langeweile‘) bzw. „ausgelangweilt sein“ wird ein Zustand ausgesprochener Unterforderung im Arbeitsleben bezeichnet. (Wikipedia)   Sprecher Der Name Boreout erinnert an Burnout. Und ist tatsächlich auch mit ihm verwandt. Die Symptomatik ist bei beiden Phänomenen ähnlich.   Anna Lustiger Tinnitus auf der linken Seite, Übelkeit, Fahrstuhlgefühl, Empfindungsstörungen in den Händen, einmal bunt durch die Klamottenkiste, ein buntes Potpourri an sehr unangenehmen Dingen. Das ging letzten Sommer los, ziemlich von jetzt auf gleich, mit `ner Menge von unterschiedlichen Symptomen, die am Anfang in Zusammenhang standen mit dem Weg zur Arbeit, das heißt, da wurde mir immer schwindlig. Ich dachte, das ist der heiße Sommer, ich hab eh einen niedrigen Blutdruck, vielleicht bisschen Kreislauf, naja, wird sich schon geben. Aber es wurde immer massiver, da wurde mir extrem schwindlig, dass es mich fast vom Stuhl gehauen hat, und es wurde nicht besser durch Ablegen und Füße hoch. Was die Ärzte rausgefunden haben, dass ich einen Zwerchfellbruch habe. Das haben viele Menschen, aber der innere Stress richtet ja viel an, in dem Fall war`s auch `ne fette Entzündung am Mageneingang. Stress fördert ja Entzündungen im Körper.   Sprecher Manche Betroffene leiden so stark unter ihrer Erschöpfungsdepression, dass sie in einer Klinik landen. Bei Wolfgang Merkle in Frankfurt zum Beispiel. Der Chefarzt des Hospitals zum Heiligen Geist schätzt, dass von den 300 Patienten, die er jährlich aufnimmt, jeder zehnte an Unterforderung im Job leidet.   Merkle Interessanterweise ist auch eine Unterforderung ein Stress, so dass Symptome zwischen Boreout und Burnout gar nicht so unterschiedlich sind. Das heißt, die haben auch Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, nervöser Magen, Schwindel, Reizdarm, Schlafstörungen und Depressionen. Also das ist nicht so unterschiedlich vom Burnout, weil das auch Stress ist, allerdings auf einer anderen Basis. Die Ungewissheit, diese Leere ist nicht so eine Leere wie der Sonntagnachmittag auf der Parkbank.   Sprecher Unter den Boreout-Patienten seien mehr Frauen, beobachtet Merkle. Das kann daran liegen, dass Frauen eher Hilfe suchen. Oder daran, dass Frauen in Deutschland immer noch öfter unter ihrer Qualifikation arbeiten.   Sprecherin Der Burnout als Krankheit der Leistungsträger wird dreimal häufiger diagnostiziert. Dementsprechend wenig wird in dieser Hinsicht geforscht.   Merkle Erstaunlicherweise interessiert auch das Burnout die Kollegen viel mehr als das Boreout. Die Unterforderung, da gibt es nur einzelne Forscher. Der Boreout hat überhaupt keinen Niederschlag in der internationalen Klassifikation gefunden.   Sprecher Der Begriff Boreout ist nicht als Krankheitsbild definiert, ebenso wenig wie übrigens der Burnout. Und tatsächlich wurde der Boreout erstmals nicht in der Medizin beschrieben, sondern in der Wirtschaft: 2007 veröffentlichten die Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter Werder das Buch „Diagnose Boreout“.   Werder Wir haben viele Leute beobachtet, von denen wir nicht sicher waren, was die tun tagein, tagaus. Waren morgens früh im Büro, und sind abends spät nach Hause. Die zelebrieren das auch, haben vielleicht einen Aktenkoffer dabei, um zu zeigen, ich muss zu Hause noch weiterarbeiten, bringen gern Stapel mit Dokumenten mit in Sitzungen, schreiben fleißig Notizen oder Projektpläne, immer was Neues, was dann nach viel Arbeit aussieht.   Sprecherin Das „Italian Jacket“ ist eine der typischen Verhaltensstrategien beim Burnout: ein Aktionismus der Betroffenen, um ihr Nichtstun zu kaschieren.   Atmo: vielleicht findet man das Originalzitat von Woody Allen...?   Sprecher Woody Allen hat einmal gesagt: Achtzig Prozent des Erfolgs bestünden darin, sich zu zeigen. Also: Überhaupt hinkommen ist ein erster Erfolg. Präsenz markieren und begeistert sein, wenn ein neues Projekt vorgestellt wird, der nächste. Wer sich dann noch mit vorgezeigtem Bedauern ausklinkt – er sei ja leider, leider gerade mit einem andern Projekt beschäftigt – hat die besten Karten.   Besonders gut funktionieren die Ablenkungsmanöver seit Einzug der Informationstechnologie in die Bürowelt. Als Arbeitsgerät ist das Handy in Sitzungen sogar erwünscht. Schach spielen statt Termine eintragen? Merkt keiner. Und E-Mails so zu programmieren, dass sie um Mitternacht oder halb sechs morgens beim Chef eintreffen, ist auch kein Hexenwerk. Deshalb gibt es den Boreout auch nicht in allen Berufen, sagt Unternehmensberater Peter Werder.   Werder Sie brauchen einen PC, Sie brauchen Alternativen auf dem PC, was sie tun können, wenn sie nicht arbeiten: um Ferien zu buchen, chatten, Auto verkaufen. Das ist in den letzten zehn Jahren erst so stark geworden, dieses Alternativangebot, dass man es überhaupt aushält, zu wenig zu tun zu haben, und trotzdem so zu tun, als ob man arbeiten würde. Ein Maurer kann ja nicht so tun, als ob er eine Mauer hochziehen würde. Unterforderung ist nicht Boreout, Borout ist eine Kombination aus Unterforderung, Langeweile, Desinteresse und der Art so zu tun, als ob man arbeiten würde.   Sprecher Aber warum eigentlich so tun als ob?   Werder Heute ist es so, dass Stress sozial erwünscht ist. Das bedeutet, wenn am Abend unter Freunden über Arbeit diskutiert wird, dass es sozial erwünscht ist, möglichst viel zu tun  zu haben, gestresst zu sein, und sozial unerwünscht ist, nicht gestresst zu sein. Das bedeutet, keiner steht dazu, wenn er oder sie zu wenig zu tun hat. Das ist sicher ne Entwicklung der letzten 10, 15 Jahre. Weil alles auf Effizienz getrimmt ist.   Sprecher Wenn man sich schon mit wenig Stress schwer sehen lassen kann, dann umso weniger mit fehlendem Stress.   Merkle Mit Burnout kann man sich ganz gut sehen lassen, weil wer ausgebrannt ist, der hat ja immerhin mal gebrannt. Der Ausdruck Boreout, den ich nicht mag, letztlich ist Unterforderung der bessere Begriff.  Unterforderung ist ein guter Ausdruck, Unterforderungssyndrom. Das nimmt nicht so die Disqualifikation des Patienten ins Blickfeld, sondern die Nichtpassung zu dieser Umwelt. Also die Empathie für den, der unter Boreout leidet, ist in unsrer Gesellschaft nicht so groß.   Sprecher Das „Recht auf Faulheit“, wie es Paul Lafargue, der französische Sozialist und Schwiegersohn von Karl Marx, Ende des 19. Jahrhunderts in einer Streitschrift festhielt, ist veraltet. Ebenso wie die Forderung des Philosophen Friedrich Nietzsche, der 1880 für mehr Muse plädierte. Heute ist der Beruf oft zudem auch da, um sich selbst zu verwirklichen und zu entfalten. Wenn er zum Zeitdieb wird, ist das fatal.   Anna Es war die pure Langeweile. Das waren dann die vorherrschenden Gedanken irgendwann, dass ich dachte: Ich sitze hier fünf bis sechs Stunden meiner Lebenszeit täglich ab, das ist meine Lebenszeit. Die rinnt mir durch die Finger, mit Nichtstun. Für was? Für ein paar Kröten. Das kann‘s nicht sein. Da ist mir mein Leben, da bin ich mir zu wichtig, um mir das zu geben.   Sprecher Meistens sind die Leute betroffen, die am meisten leisten wollen, die im Leistungsdogma sozialisiert worden und darauf getrimmt sind, jede Sekunde ihres Lebens auszufüllen. Und die schämen sich, wenn sie nichts leisten. Burnout-Betroffene wollen nicht über ihre Situation sprechen. Und wenn doch – wie Anna –, dann wollen sie anonym bleiben. Aber auf einschlägigen Internetforen wird klar, wie virulent das Thema ist.   Forumszitate Sprecher3 Ich habe mir in dieser Zeit keine professionelle Hilfe geholt, trotz extremster Schlafstörungen und Alpträume, Zukunftsängste und ab und zu Selbstmordgedanken. Aber eigentlich sollte man sich helfen lassen.   Sprecher4 Meine Arbeit hatte keinen geistigen Reiz. Es war so viel Routine und unqualifizierte Arbeit dabei, die eigentlich eine wöchentliche studentische Aushilfe auch hätte tun können. Sprecher5 Ich erlebe das gleiche, was Semmelchen beschrieben hat: die Dinge, die dann doch zu tun sind (außer Akquisen, gähn), dauern einfach unfassbar lange und fallen mir schwer - dabei sind das eigentlich Routinetätigkeiten, die ich bei Stress mal eben nebenbei fix erledige....   Sprecherin Auch Arbeitnehmer, die immer nur Teilaufgaben erledigen müssen, können an Boreout erkranken. Denn aus psychologischer Sicht ist es wichtig, Erfolgserlebnisse zu haben und Dinge abzuschließen. Und es geht immer auch darum, gebraucht zu werden.   Werder Das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, hält man auf Dauer nicht aus. Es ist eine Form von Anerkennung, die fehlt. Das Selbstwertgefühl leidet, wenn man weiß, dass man nicht gebraucht wird.   Sprecher Dann rutschen die Betroffenen in die Unterforderung, in den Aktionismus. Und selbst der schwindet irgendwann, sagt Anna:   Anna Ich hab dann irgendwann auch aufgegeben so zu tun, als ob ich was tue, und hab auf meim Handy gedaddelt. Das wurde gesehen, das wurde wahrgenommen, sagte keiner was zu. Hinter vorgehaltener Hand: was das Betriebsklima nicht vorsah, das laut kundzutun, bzw. es deutlich wurde, was gutgeheißen wurden, dass es am besten ist, die Klappe zu halten, den Kopf unten zu halten. Ich hab mich mit Kollegen ausgetauscht, hinter vorgehaltener Hand, und hab die Bestätigung gekriegt, Ja, ich hab auch nicht mehr zu tun, ja ich beschäftige mich irgendwie.   Prammer Es ist eine Art von informellem Exit. Das heißt, die Leute bleiben physisch im Unternehmen, verlassen das Unternehmen aber schon, in dem sie`s in Form von Nichtengagement oder aktiver oder passiver innerer Kündigung machen.   Sprecher Elisabeth Prammer, Wiener Soziologin und Autorin von „Boreout - Biografien der Unterforderung und Langeweile“:   Prammer Wenn diese innere Kündigung vollzogen wird und der Betroffene aufhört zu quengeln, hat er „endlich“ verstanden, was die Organisation will und passt sich an an das, was wir von ihm verlangen. Und ich würde sagen, dass es insgesamt nicht positiv ist, wenn jemand seine Fähigkeit zur Kreativität abgibt und Dienst nach Vorschrift macht. Das Problem ist, wenn jemand passiv innerlich kündigt, der teilt Ihnen das ja nicht mit, der macht das einfach. Und wenn das ein Zustand ist, geht das mal ein halbes Jahr oder Jahr, und das ist nicht gut, weil das verschwendetes Potenzial ist. Die Betroffenen erzählen auch von Dequalifizierung, die Negativspirale, die in Kraft tritt.   Susanne Ich hab während der Arbeit gemerkt, dass ich mich zunehmend schlechter konzentrieren konnte, wenn ich Texte oder umfangreichere Sachen lesen wollte oder ein Buch in meiner Freizeit, das ging nicht mehr. Das war merkwürdig, weil ich hätte ja Zeit gehabt. Als ich dann aus dem Job raus war und zwei, drei Tage nichts gemacht hab, war diese Nervosität weg, wie auf Knopfdruck konnte ich wieder ruhig sein. Und hatte auch nicht mehr das Zappeln im Bein, das hatte ich früher in der Schule, wenn ich gelangweilt war, hab ich mit dem Bein gewippt. So ähnlich war das, dass ich innerlich raus wollte, was tun wollte. Aber mein Job war es ja, da acht Stunden zu sitzen.   Sprecher Auch Susanne M. weiß, wie sich ein Boreout anfühlt, aus ihrem Job in der internationalen Zusammenarbeit bei einer Nichtregierungsorganisation. Viele Betroffene fühlen sich irgendwann unfähig, überhaupt noch etwas zu tun. Sie teilen ihre Sorgen in den Internetforen:   Forum-Zitat Sprecher3 Mein Gehirn wurde irgendwann langsamer. Je länger ich in dem Unternehmen blieb, desto verbrauchter, müder wurde ich und desto mehr Fehler machte ich. Ich war irgendwann nicht mehr in der Lage einen einzigen Satz ohne Rechtschreibfehler zu schreiben. Ich brauchte irgendwann mal einen ganzen Tag nur um eine Email zu schreiben. Und nach dieser Email war man auch noch geistig erschöpft, wie nach einem Examen. Ja ich weiß, das kann kein Außenstehender nachvollziehen, weil es so absurd ist.   Anna Da war ein Kollege, der sehr lange für meinen Arbeitgeber gearbeitet hat, der teilte sich seine Arbeit sehr sorgfältig ein, weil es nicht viel zu tun gab. Wenn mal ein Schub Arbeit kam, er ist halt schnell in die Überforderung reingegangen, er brauchte für die Sachen, für die ich 3 Stunden brauchte, 6 Stunden. Und es hat ihn teilweise ganz aus dem Konzept gebracht.   Sprecherin Lähmung durch Nichtstun ist ein Grund, warum viele an ihrer Situation nichts ändern. Wenn man nur Routineaufgaben macht und dazu noch irgendwelche Sachen einscannt, dann traut man sich nichts mehr zu – am wenigsten, sich neu auf andere Stellen zu bewerben.   Sprecher Oft sind es aber auch die Strukturen, die es nicht zulassen:   Anna Es ist ein Unterschied, ob man in einem eher institutionellen Betrieb ist oder in einem Start-up, wie groß das Ganze ist, wie viel Tradition da ist, wie konservativ die Strukturen sind. Wenn man 200, 250, 300 Rädchen hat, die perfekt funktionieren in dem System, und ein paar, die nicht so gut funktionieren, denen`s nicht so gut geht, da ist die Abwanderung der Rädchen, denen`s nicht so gut geht, eher vorprogrammiert als dass sich an den Strukturen was ändert.   Susanne Ich war verantwortlich für einen Bereich, wo alle super eingearbeitet waren, super gearbeitet haben. So dass ich das Gefühl hatte, wenn ich da jetzt auch noch was sage, fühlen sich die Leute auf den Schlips getreten oder überwacht. Da spielt das Thema Boreout mit, dass ich nicht die Kraft hatte, das durchzusetzen. Bei uns wars so, dass die Organisation sparen musste. Sparen hieß, dass wir nicht mehr so viele Projekte umsetzen konnten. So wars zum Teil auch, wenn ich Projekte mit akquiriert habe, o nein, nicht noch ein Projekt, da haben wir doch gar kein Geld für. Der Sinn meiner Tätigkeit war durch so ne Sparpolitik total in Frage gestellt. Gleichzeitig war meiner Chefin daran gelegen, dass ihr Personal nicht abgebaut wird, dass da ne sichere Struktur für ihre Projekte blieb. Größeres Engagement hätte bei der Sparpolitik und der starren Strukturen eher zu Problemen geführt. Dass die einzige logische Konsequenz war, ok, lass ich`s und versuch, mich zu arrangieren.   Anna Ich bin mit konkreten Projektvorschlägen zu meiner Chefin, aber es passierte Wochen und Monate nichts. Es war faktisch nicht möglich, sich mehr Arbeit zu generieren. Das kenn ich aus andern Jobs, wenn ich merke, das Volumen ist so, dass es mir nicht reicht, da hatte ich immer Möglichkeiten, mir zusätzliche Aufgaben zu suchen, dass ich ein Seminar konzipiert habe oder einen Leitfaden geschrieben habe. Und dass ich da verdammt bin, in meiner eigenen Soße zu kümmern, wusste ich nicht. Ich konnte keine neue Arbeit generieren, weil die Arbeitsgebiete an andere Leute vergeben waren und die nicht wollten, dass ich da reingrätsche, und die auch nicht deutlich mehr gefordert waren. Ich überlege dann schon, ob ich jemandem persönlich zusetze, wenn`s um `ne Struktur geht. Wenn ich laut und rebellisch werde, ist die erste Person, die was auf die Nase kriegt, meine Chefin. Und ich tue mir schon schwer, so in deren Leben so massiv reinzufunken, zu sagen, wenn andre Leute davon abhängen, wie ich mich verhalte.   Sprecher Diese Konstellationen kennt auch Peter Werder aus seiner Arbeit als Unternehmensberater:   Werder Nehmen Sie ne Geschäftsleitung, sieben Personen, alle haben eigene Assistenz, 100%. Nun ist es schwer, zu merken, dass man selbst nicht 100% Assistenz auslasten kann. Sondern dass man sich die Assistenz eigentlich mit jemand teilen könnte. Das ist ein Statussymbol. In einem Team bedeutet das, die Stellenprozente, die einem zugeteilt werden, gibt man nicht gern auf, weil wenn man sie aufgibt, kriegt man sie nicht mehr. Und dann kommt auch die Frage, was hast du denn die letzten Jahre gemacht, da waren`s doch auch zehn Leute, warum geht es jetzt plötzlich mit sieben?   Sprecherin Susanne und Anna sind in die Erschöpfungsdepression gerutscht, ohne dass jemand das beabsichtigt hätte. Man kann Boreout aber auch strategisch einsetzen, sagt Wolfgang Merkle:   Merkle Wenn es sich um reines Mobbing handelt, also einen verdienten Mitarbeiter durch diese Form der Behandlung rauszuekeln aus dem Betrieb, das ist gar nicht so selten, das sind schon mindestens 20% unserer Boreout-Patienten, wo das die Ursache ist. Strategisch eingesetzt, ist das ganz fies. Dass ein Mitarbeiter, der sozusagen überflüssig ist oder nicht mehr gelitten ist von seinem Chef, dass der Aufgaben kriegt, die ihn so unterfordern oder anekeln sollen, dass er so viel Stress hat, dass er selber kündigt. Da gibt es Beispiele, wo Mitarbeiter an leeren Schreibtisch gesetzt werden oder sinnlose Aufgaben kriegen, wo der Chef die vor ihren Augen wieder zerreißt, wenn sie dann nach Wochen fertig sind, um die Demotivierung so groß werden zu lassen, dass er selber kündigt, ohne eine Abschluss- oder Abstandszahlung machen zu müssen. Da lässt sich auch schlecht was vorwerfen. Wenn jemand Überstunden machen muss, kann er das hervorbringen im Arbeitsprozess. Aber mit der Unterforderung, da gibt es viele Möglichkeiten, das zu verstecken.   Sprecherin Aber wenn es nicht gerade um Mobbing geht – wie kann man einen Boreout vermeiden?  Schließlich kostet ein Boreout auch Geld: Neben der bezahlten Nichtarbeit kann es Produktions- oder Eigentumsschädigungen geben, oder die schlechte Stimmung greift auf die Kollegen über. Der volkswirtschaftliche Schaden, der entsteht, ist allerdings schwer zu messen. Dabei kündigt sich das Unheil schon ganz am Anfang an – nur da bemerken die wenigsten, was los ist, meint Peter Werder:   Werder Wenn Sie irgendwo neuen Job kriegen und merken, Sie haben zu tun, aber auch mal Zeit für ne Zigarette oder mit Kollegen zu sprechen, dann ist das am Anfang verlockend. Dann sind Monate weg, und es ist zu spät, um es beim Vorgesetzten anzubringen, das müsste man schon schnell machen, dass man belegen kann, sieht so und so aus, ich hab zu wenig zu tun oder die Arbeit fordert mich zu wenig. Und das am Anfang zu merken, dass man nicht glücklich wird, wenn man während der Arbeit Zeit hat, die Ferien zu buchen, das ist die Falle, da tappt man dann rein.   Sprecher Dabei geht es auch um die jeweilige Erwartungshaltung: Ein Museumswärter, der tagein, tagaus im selben Ausstellungsraum steht, wird kaum an einem Boreout erkranken – weil er von seinem Job gar nichts anderes erwartet. Wenn aber ein Bewerber von seiner neuen Stelle aufgrund der Ausschreibung und des Bewerbungsgesprächs eine Position als Projektleiter mit internationaler Erfahrung erwartet und sich am Schreibtisch herausstellt, dass er nur eine Unterabteilung leitet und ab und zu ein bisschen Englisch sprechen muss – dann ist er prädestiniert für einen Boreout.   Werder Es gibt ja diesen informellen Arbeitsvertrag, wir suchen Leute mit internationaler Erfahrung, belastbar, so richtige Nobelpreisträger. Und wenn die dann arbeiten, nach drei Monaten, merken die, die können das in der Hälfte der Zeit erledigen. Oder die sind nicht mit der komplexen Materie betraut worden, also die Erwartungen, die man schürt, hält man nicht ein.   Sprecher Am Ende macht`s aber die Mischung: Meistens leiden nur Menschen, die quantitativ UND qualitativ unterfordert sind, an Boreout: Wenn sie also die falsche Arbeit kriegen und davon auch noch zu wenig:   Anna Das zweite Jahr war ich in einer Situation, komplette Routine, ich muss noch nicht mal das Hirn einschalten, wenn ich da auflaufe. Also zu wenig gefordert werden geistig einerseits und andererseits so wenig abzuarbeiten zu haben. Es gibt auch Routinetätigkeiten, wo man nicht so viel denkt, wo`s aber die Masse macht, dass die Zeit vorbeigeht. Nur wenn beides nicht stimmt, wird’s kritisch.   Sprecherin So ein “Person-Job-Mismatch”, wie es in der Managersprache heißt, ist für Selbstständige meistens ein Fremdwort. Die Zahl der Boreout-Patienten ist da besonders hoch, wo Firmen unter Auftragsflaute leiden. Wenn Arbeitsplätze wegrationalisiert werden und durch neue Software Aufgaben wegfallen, ist der Druck groß, die eigene Unentbehrlichkeit unter Beweis zu stellen. Und die Angst, seinen Job zu verlieren, wächst, hat Buchautor Peter Werder beobachtet.   Werder Hier in Zürich ist die Arbeitslosigkeit vielleicht 3%, vielleicht 2.5%. Es gab Regionen, in denen wir Workshops gemacht haben, z.B. in den neuen Bundesländern, da war die Arbeitslosigkeit vor 10 Jahren 15 %. Das macht nen Unterschied, wenn sie dazu stehen müssen, zu wenig zu tun zu haben.   Sprecherin Klassischerweise ist der Boreout in der Verwaltung und im Dienstleistungssektor verbreitet. Aber er taucht verstärkt auch in anderen Branchen - etwa im Bankgewerbe - auf.   Werder Dienstleistungen und Banken und Versicherungen und öffentliche Verwaltung, das ist klar, da verschwinden doch einige Funktionen und Personen irgendwo im Nirwana.   Sprecherin Es gibt das Beispiel eines finnischen Steuerkommissärs, der an seinem Schreibtisch gestorben war, was seine Kollegen das erst zwei Tage später bemerkten – so entbehrlich waren er und seine Arbeit. Vor drei Jahren sorgte der Fall eines deutschen Verwaltungsangestellten für Aufsehen, der sich mit den Worten in den Ruhestand verabschiedete, er sei zwar anwesend gewesen, aber „nicht da“. Er hatte sich in all den Jahren übergangen gefühlt und sich mit schwacher Leistung dafür gerächt.   Atmo/ Trenner   Sprecherin Für den Unternehmensberater Peter Werder sind nicht nur die Strukturen schuld, sondern auch die Arbeitnehmer sind in der Verantwortung: Führungskräfte müssten eine Persönlichkeit erkennen, richtig einsetzen und auch im Blick haben, wie sich eine Stelle über die Jahre verändern könnte.   Werder Das bedeutet, die Leute immer wieder einzuplanen, Veränderungsprozesse auch intern transparent zu machen, also was Talent Management anbelangt. Wir haben bisher nur „running the business“ und nicht „change the business“ gesprochen. Im Change ist es ne andere Geschichte, da kann es sein, dass Leute umplatziert werden intern, weil sie andere Qualifikationen mitbringen. Qualifikationen, die woanders gefragt sind, und da ist schon eine Gefahr, dass man es im Change aus den Augen lässt und dann im Run, wenn`s normal läuft, die Leute an einem Ort hat, wo sie einen Boreout rutschen. Die kündigen dann innerlich, meist die guten zuerst.   Sprecher Und das Phänomen könnte sich weiter ausbreiten, glaubt der Psychiater Wolfgang Merkle:   Merkle Wo es zugenommen hat, ist, wo die Leute migrieren, die aus anderen Ländern kommen und als Jurist oder Mathematiker Lagerarbeit machen müssen. Da kann es zu heftigen Boreout-Reaktionen kommen. Von den Hierarchiestufen, zumindest von denen, die zu uns kommen, die sind eher höher qualifiziert und haben unterfordernde Aufgaben, dass sie sich vielleicht vorkommen, als hätten sie trotz Jurastudium nur Ablagefunktion.   Sprecherin Das nachhaltigste Mittel gegen den Boreout ist ein Jobwechsel. Manchmal hilft aber auch schon der Wechsel in die Teilzeit. Oder eine Therapie.   Merkle Was bestimmt einzigartig ist, dass wir in Deutschland ein einzigartiges psychotherapeutisches Angebot haben, um auf solche Störungen zu reagieren,  während solche Patienten in anderen Ländern, wo es kaum Psychosomatik gibt, eher Antidepressiva gibt und wenig Gespräche. Es gibt ja nur in Deutschland in diesem Ausmaß psychotherapeutische Behandlungen als Kassenleistung.   Sprecher In der Klinik wird den Patienten mit Gesprächen geholfen, mit Körper-, Kunst- und Musiktherapie oder mit Entspannungstechniken.   Sprecherin Susanne und Anna haben sich selbst geholfen und sich von ihrem Job getrennt. Bei Susanne waren die Symptome schon am zweiten freien Tag verschwunden. Anna ist seit Jahresanfang nicht mehr in ihrem Job und ihr Zustand bessert sich täglich.    Anna Ich bin im Moment nicht erwerbstätig, um runterzufahren. Ich probiere viel aus, mache viel ehrenamtlich, aber gehe bewusst grade nicht in eine weitere Erwerbsarbeit rein. Ich beziehe ALG I. Da war ich ganz offen, was los war, und wie mein Betreuer in meinem Lebenslauf sehen kann, bin ich niemand, der Bock hat auf Däumchen drehen. Diese Pause ist einfach begründet, also ich muss verarbeiten, was passiert ist und richte mich neu aus. Da bin ich an einen guten geraten, der nachvollziehen kann, was da los ist. Und mit mir einen Fahrplan festgeklopft hat, wo so viel Luft drin ist, dass ich mich umorientieren kann.   Anna Letztendlich ist es ja so: Was hab ich draus gelernt, wie geht’s weiter? Ich weiß mehr darüber, wie meine Erwerbsarbeit, wie mein Arbeitsplatz gestaltet sein muss, damit es mir damit gutgeht. Mein großes Learning aus der Situation ist, dass ich zum zweiten Mal in meinem Leben in Vollzeitbeschäftigung war, ich hab damals schon gesagt, das ist nicht mein Ding. Neverever, ich werde das nicht wieder tun, das ist großes Aha-Erlebnis aus der Geschichte.