Wort und Weltall ein literarischer Raumflug Autorin Dana Ranga Redaktion Dorothea Westphal Reihe Wortspiel Länge 55? Stimmen 1. Erzählerin 2. Sprecherin (Übersetzungen der O-Töne) 3. Sprecher (Übersetzungen der O-Töne) 4. Zitator MUSIK M1 / A.Parsons, Sirius (Instrumental) ATMO 1 / O-TON Meldung: Gagarin im All TAKE 1 / COLLAGE O-TÖNE Welcher Mensch hat bitte geträumt ins Weltall zu gehen?? Nur weil Dings da diese Flügel gebaut hat? Warum denn?/ Das ist eine ganz exklusive Angelegenheit, da kann man sagen, ich war dort - du auch? Nee, nicht?/ The American space Program./ Aus dem Bewusstsein moderner Kunst völlig undenkbar./ Als ich klein war habe ich von meinem Großonkel eine Rakete bekommen. Das war eine Rakete aus der Ukraine./ Was zeigen die uns vom Mars? Dieses Wägelchen, das sich kaum bewegt./ Und dann hat man einen Traum weniger./ Die Bilder haben uns die Phantasie genommen./ Wir waren schon 1000 Mal im Kosmos./ Sagt mir nichts. Stur, nicht?/ Mensch im Weltall? Er ist auf der Erde schon verloren. Ich will da nicht hin./ Es war mir völlig egal./ Der Gedanke einer Verherrlichung der Weltraumerforschung wäre nichts anderes als ein Lob auf die Welt so wie sie ist. MUSIK nochmal hochziehen ZITATOR ?Ein 38jähriger amerikanischer Mensch steht auf der Oberfläche des Mondes ? Fußabdruck im Kohlestaub ? er trat hinaus und es ist der alte vertraute Mond, ein Ort wie der Meeres- Boden oder der Gipfel eines Berges ? ?Sehr hübsch hier auf dem Mond!? oh, als wär?s reines Gold - Laute Stimmen ?Houston ruft Mond? ? Zwei ?Amerikaner? auf dem Mond! Wunderbarer Anblick wie sie da auf der Oberfläche herum- hüpfen ? ?einem Viertel der Erde werden diese Bilder von ihren Herrschern vorenthalten!? Sie stellen die Fahne auf!? ERZÄHLERIN Aus Allen Ginsberg, ?Einsiedlerhütte im Mondschein?. TAKE 2 / Iwona Mickiewicz Meine Kindheit war auch so ein bisschen kosmisch. Wir hatten zum Beispiel als die Ersten einen Fernseher im Dorf, in Polen. Und das war natürlich etwas Kosmisches, so etwas zu haben, so etwas zu sehen. Wir hatten als die Ersten im Dorf einen Kühlschrank, das war auch so etwas Kosmisches. Das Kosmische, das sind die Produkte, die man damals nicht hatte oder die man nur mit großer Mühe bekommen konnte, wie ein Haarfön, oder Fernseher, oder Toilettenpapier - es war eine Seltenheit! Diese Technik, so etwas Wunderliches, ein Gerät, das wie unter einem Zauberdruck etwas machte und du hattest dabei eine große Freude. ERZÄHLERIN Wo schwebt das Wort im Weltall, und wie kommt das Weltall ins Wort? Das erste Werk in diesem Zusammenhang wurde von dem griechischen Philosophen Lucian von Samosata verfasst, im Jahr 165 vor unserer Zeitrechnung. Sein Held, Menippus, fliegt zum Mond ? mit einer Hand hält er sich an einem Adler fest und mit der anderen an einem Falken. Es dauerte jedoch 13 Jahrhunderte, bis wieder ein Schreibender zum Himmel schaute: der italienische Dichter Ludovico Ariosto, im Jahr 1532. In seinem epischen Gedicht ?Orlando Furioso? reist der Ritter Astolpho in einer Kutsche zum Mond. Auch der Astronom Johannes Kepler beschrieb 1615 in seiner Erzählung ?Somnium? eine Mondreise. In diesem Fall flossen das erste Mal auch wissenschaftliche Erkenntnisse ein: dass die Erdatmosphäre nach oben hin begrenzt ist und zwischen Erde und Mond das Vakuum des Alls liegt. Die erste Science- Fiction Geschichte war entstanden. Das nächste Werk folgte 1865 mit Jules Vernes Buch ?Von der Erde zum Mond?. Darin stellt er diese Reise so genau dar, dass Raumfahrer auch heute mit Respekt darüber sprechen. Vieles, das nach und nach zu diesem Thema geschrieben wurde, war eine Verquickung aus Fiktion und Wissenschaft. Irdische Gegebenheiten wurden verwandelt und ins Weltall verlagert: das Genre Science Fiction hatte Gestalt angenommen. TAKE 3 / COLLAGE O-TÖNE / ATMO 2 unterlegt Die Weltraumerforschung wurde zur Metapher der Bewusstseinserforschung./ Es geht jetzt los, man startet, das ist der Anfang!/ I?m Story Musgrave, I was an astronaut./ Mut gehört dazu, einfach so allein ?peng? zu fliegen./ Whitman was in space already./ Das Wort Stern ist ein sehr schönes Wort./ Transformations, translations, translocations, trans, trans, trans./ Früher hab ich gedacht, ach, das war mir zu weit weg, zu hoch./ The cosmos-flower./ Wordsworth, Coleridge, Shelley, Keats./ The night sky comes into focus. ERZÄHLERIN Science Fiction schaut in die Zukunft ? doch wie reagiert die Literatur auf die Gegenwart, auf die tatsächlichen Schritte des Menschen im All oder auf die Entdeckungen der Astronomie? Vor dem ersten Raumflug diente das Weltall als Raum für Träume und Symbole, die immer wieder in Lyrik und Prosa aufleuchteten. Doch nachdem die Träume Wirklichkeit geworden waren, nachdem Sputnik die Erde umkreiste, Gagarin die Welt von oben sah und Armstrong auf den Mond landete, schien das Interesse der Schriftsteller an dem näher gekommenen Himmel zu verblassen. Warum war die kulturelle Wirkung dieser ersehnten und doch bahnbrechenden Ereignisse so klein? Der Kulturphilosoph George Steiner: ZITATOR ?Postmoderne Gurus erklären uns, die Zeit der ?großen Geschichten? sei vorüber; wir könnten solche Geschichten nicht mehr erzählen und erst recht nicht erfinden. Stellen wir zumindest die Frage: Was für eine Geschichte, was für ein Mythos wäre unserer gegenwärtigen Lage gemäß, was für ein neuer Mythos könnte unserem europäischen Sein seinen lebenden Spiegel vorhalten? Eine solche Geschichte würde, glaube ich, die Wirklichkeit der Naturwissenschaften in sich fassen müssen. Nichts ist symptomatischer für die Entkräftung, für die ?Dekompression? der abendländischen Phantasie als unsere Unfähigkeit, auf die Mondlandung eine Antwort zu geben. Nicht ein einziges großes Gedicht oder Gemälde, nicht eine Metapher ist aus diesem atemberaubenden Akt hervorgegangen, nichts, was den Erzählungen von der Befreiung des Prometheus, von Ikaros oder von Phaethon im Flug zu den Sternen vergleichbar wäre.? MUSIK M2 / Brian Eno, Silver Morning (Instrumental) ERZÄHLERIN Als er aufgefordert wurde, die Musik für einen Apollo- Dokumentarfilm zu schreiben, erklärte der Komponist und Künstler Brian Eno: ZITATOR ?Wie die meisten von uns habe ich die erste Mondlandung gesehen, aber es gibt zwei Gründe, warum mich die Fernsehberichte nicht beeindruckt haben. Erstens hatte ich das Gefühl, dass der kleine Bildschirm mit seinen blassen Farben ungeeignet war, die Weite des Alls wiederzugeben. Zweitens meine ich, dass die Angst der Reporter, das breite Publikum zu langweilen, sie dazu verleitet hatte, die Übertragungen aus dem Weltall zu beschleunigen und sie der Geschwindigkeit einer Nachrichtensendung anzupassen - was alles unsympathisch erscheinen ließ. Kurze Einstellungen, schnelle Schnitte und zu viele Experten, die die erhabene Schönheit und das Fremdartige dieses Ereignisses mit ihrem erdgebundenen Geplapper verdeckten.? ERZÄHLERIN Erst nachdem er sich persönlich mit den Archivbildern und Interviews der Mond-Astronauten befasst hatte, kam die Begeisterung. Brian Eno bediente sich der Musik, um sie auszudrücken. Dass die Ereignisse um den ersten Raumflug die Berichterstatter beinahe sprachlos machte, ist einem O- Ton aus dem Jahr 1961 zu entnehmen: ATMO 3/ O-TON ?Und unter dem Jubel der Moskauer, meine Hörer, verlässt Juri Gagarin, Major Juri Gagarin allein die Maschine, Beifall brandet aus, beifall für den Helden des Tages, Juri Gagarin, unbeschreiblich! Unbeschreiblich, meine Hörer! Juri Gagarin ist in Moskau!? MUSIK M3 / A.Parsons, Eye in the Sky ERZÄHLERIN Die Raumfahrt erlebte ihre bisher spannendsten Momente während des Kalten Krieges. Diese Ereignisse standen im Zeichen des Militarismus und der Politik, im Wettlauf um die Eroberung des Alls. Die Astronauten flogen für die USA, die Kosmonauten für die Sowjetunion. Im Sozialismus befassten sich zwar Kunst und Literatur mit diesem Thema, doch meistens auf einer Umlaufbahn, die von den Regierungen vorgeschrieben wurde. Unter diesen Umständen war es für viele schwierig, über Gagarin, Tereschkowa oder die Raumstation Mir zu schreiben. Sollte man sie, einzig zulässig, glorifizieren oder dann doch besser ignorieren? Das wenige Neue entsteht daher heute, im Rückblick. Wie bei der polnischen Schriftstellerin Iwona Mickiewicz, die in Berlin lebt und schreibt. Sie wurde in ihrer Kindheit besonders von der ersten Kosmonautin beeindruckt, Valentina Tereschkowa: TAKE 4 / Iwona Mickiewicz Ich bin 1963 geboren und 1963 war Tereschkowa schon eine Heldin. Das war etwas Besonderes, weil sie eine Frau war. Instinktiv dachte ich, es ist so was wie eine Mutter, und wenn eine Frau fliegen kann, vielleicht kann ich irgendwann das auch machen. Sie war nur die Erste und dann kommen die anderen Frauen. Ich habe sie mehrere Male auf Fotos gesehen, in Zeitschriften, und sie war eine sehr sympathische, schöne Frau. Und sie hat immer sehr schön auf dem Bild gelächelt. Na ja, Gagarin war als Mann viel anwesender als die Mama, die Tereschkowa. Tereschkowa war ein bisschen so, im Schatten. ERZÄHLERIN Iwona Mickiewicz veröffentlichte bisher drei Lyrikbände mit surrealistischem, grotesken Charakter. In ihrem Prosastück ?Einsamkeit? geht es um einen großen, runden Bauch, den sie absurderweise als sphärische Form definiert. ?Die traurig tiefe, weibliche Einsamkeit an männlichen Bäuchen, die schamlos wachsen?, so die Autorin, sei nur mit der Einsamkeit einer Frau im All zu vergleichen. ZITATOR Mit einem sichtbaren Ekel schaue ich mir den Bauch meines Freundes an. So haben wir gelebt ? sage ich diesmal ohne zu piepsen ? wie in einem Reagenzglas, und wir konnten die anderen Bäuche nicht realistisch mit den unseren vergleichen. Noch ein Tag, noch eine kleine gezüchtete Sentimentalität oder ausgedachte kosmische Spur ? und es hätte uns in einen großen Bauch verschlungen. So haben wir gelebt, wir sind als Walentina Tereschkowa-Nikolajewna in den Kosmos geflogen und da sie eine Frau war und ihren Bauch nicht stolz wie ein Mann vorzeigen konnte, mussten wir im Gagarin-Ruhm auf die Erde zurückkehren und so lange als Gagarin darauf schreiten, bis wir das Heulen des Hundes Laika hörten. Und als sich die Zähne von Laika in die Maschinerie des Photoapparates Leica verwandelten, sollten wir zusätzlich richtig piepsen. Weit entfernte Galaktiken mit schmalen, süßen Bäuchen behandelten wir wie ein Magengeschwür: mit Seufzen und Bangen, ohne Teleskope und anderes geeignetes Zubehör. Wer wusste schon, dass ein Quasar stärker als eine Atombombe leuchtet? MUSIK M4 / T.Rex, Life?s a Gas ERZÄHLERIN In vielen Städten Osteuropas waren die Kosmonauten und ihre Raketen zu trivialen Begleitern im Alltag geworden. Sie schauten von Fassaden und Denkmälern in den Himmel und schwebten auf diese Weise aus der Sphäre der Aufmerksamkeit hinaus. Sie waren als Spielzeug und Briefmarken-Bilder beliebt, weil sie damit aus der propagandistischen Wirklichkeit wieder in die Welt der Symbole und der Phantasie zurückkehrten???. Auf der anderen Seite der Welt, in den USA, gab es allerdings auch Hindernisse, die die Kommunikation zwischen Intellektuellen und Raumfahrern erschwerte: die Sensationslust der Medien, die eine restriktive Informationspolitik der NASA und eine persönliche Abschottung der Astronauten bewirkte. In einem Gedicht von 1962 entdeckte William Carlos Williams hinter dem medialen Filter den Menschen im Helden: ZITATOR Gagarin sagt, verzückt, Er hätte ewig So weitergemacht Er schwebte, Aß und sang Und als er sich löste, Hundert und acht Minuten lang Fort von der Erde Lächelte er. Dann kehrte er zurück Und nahm seinen Platz ein Zwischen uns anderen. MUSIK M5 / A.Dreyblatt, Star Trap (Instrumental) ERZÄHLERIN Der Schriftsteller Jan Faktor kam 1978 aus Prag nach Berlin. Hier veröffentlichte er seine Bücher mit experimenteller Lyrik und Prosa. In der Tschechoslowakei erlebte er als Kind die ersten Momente der Raumfahrt: TAKE 5 / Jan Faktor Ich kann mich erinnern an die ersten großen Ereignisse wie Sputnik, Laika und Gagarin. In Prag damals, das waren Ausbrüche nationaler Freude. Die Lautsprecher auf den Straßen wurden angeworfen, plötzlich, mitten am Tag, laute Musik kam, freudige, große Marschmusik, und dann eine Stimme, Gagarin, im Weltall, und alle blieben stehen auf der Straße. So viele so freudige Ereignisse gab?s damals nicht, das war etwas ganz Besonderes. Die Technik war weiter als die Kommunikation über diese Dinge, und weil sich sehr viel mehr im Kopf abspielte, war das alles auch intensiver. Wenn man sich Bilder von Menschen aus dieser Zeit anguckt, das war alles Osten, das war wirtschaftlich schwierig und ideologisch schon sehr gebrochen, trotzdem, in den Gesichtern sieht man noch Optimismus. Deswegen waren diese kleinen Lichtpunkte in der Technik solche Wegweiser. Das Gefühl war schon, es geht jetzt los. ATMO 4 TAKE 6 / Jan Faktor Ich wollte keine Geschichten erzählen, ich wollte mit der Sprache pur und formal sauber arbeiten. Und in dieser Beschäftigung war für die Sterne nicht so viel Platz. Ich hatte nicht so viel Energie in den Himmel zu gucken und weiter zu denken, ich war gut ausgelastet. Den Text, den ich geschrieben habe, die Anregung dazu kam von Arnold Dreyblatt, das war ein Text für eine Performance von ihm. Ich wäre wahrscheinlich auf die Idee selber nicht gekommen; das war ein Lehrbuch der Astronomie, das ich ganz gelesen hab und die Terminologie mir notiert hab. Durch die Terminologie hab ich die Poesie und dieses Organische und Lebendige im Weltall entdeckt. Aber mehr als ein experimenteller Schreiber, der die Wörter entdeckt, und die Metaphern und die Melodie in diesen Wortreihen, beim Spiel mit dem Neuzusammensetzen der Terminologie. ZITATOR / Musik M5 unterlegt: ?Star Trap? Aus Professor Doktor Voigts Abriss-Story. Paare. Visuelle Paare, visuelle Doppelsterne, astronomische Doppelsterne alias ?Sterne mit unsichtbaren Begleitern?, spektroskopische Doppler und Doppelsterne, photometrische Doppelsterne; physische Paare, weite Paare, enge Paare, Entwicklung enger Paare, Entfremdung enger Paare, gemeinsame Eigenbewegung; bipolare Fleckengruppe. Spektraltyp-Kombinationen: Riese-Riese, Riese-Zwerg, Zwerg- Zwerg. Visuelle Dreifachsysteme, unsichtbare Begleiter, visuelle Paare mit entfernten Begleitern, visuelle Paare mit spektroskopisch doppelter Komponente, symbiotisch; es gibt auch Mehrfachsysteme mit bis zu insgesamt 12 Komponenten. Bei instabilen Systemen führt der Energieaustausch zum beschleunigten Verfall. Die Welt im Großen bietet von jedem Punkt aus den gleichen Anblick. Die Vergangenheit ist faktisch, die Zukunft ist möglich. Es gibt viele Weltmodelle, die in sich widerspruchsfrei sind. ERZÄHLERIN Jan Faktor lässt sich von dem Rhythmus der Planeten-Namen inspirieren. Andere, wie der bosnische Song-Texter und Musiker Miron Jakupovic, entwerfen Bilder, die durch Ereignisse inspiriert ???werden. Isaac Newton, der die Schwerkraft als Erster beschrieb, trifft auf einen Astronauten, der um die Erde kreist: ZITATOR ?Ein Schritt vor dem Traum ich schaue in die Kristallkugel hier gibt es keine Gravitation der Apfel ist schon längst gefallen hoch vom Himmel ein Schritt vor dem Traum. Drahtlose Telefone hallo, ich bin?s, dein Astronaut ich würde so gern bei Dir sein?? MUSIK M6 / M.Jakupovic, Ein Schritt vor dem Traum ERZÄHLERIN Auch heute noch werden in den zwei großen Raumfahrtnationen die Kosten für die Weltraumerforschung vom Militär getragen, und noch immer wird der Informationsfluss zensiert. Die meisten Raumfahrer bleiben in Interviews nüchtern und sachlich, um sich innerhalb der Institution nicht ins Abseits zu stellen. Reflektionen und Gefühle, die die Phantasie anregen und das Herz bewegen könnten sind unerwünscht und könnten als Zeichen der Schwäche gesehen werden. Das Interesse in der Gesellschaft flammt nur noch sporadisch auf, wie bei der letzten Marsmission. Und was die bemannte Raumfahrt betrifft, vermag es nur noch eine Katastrophe, neugierige Blicke auf sich zu ziehen. Doch hin und wieder lässt die NASA auch subjektive Berichte zu ? Post aus dem All. Der Astronaut John Grunsfeld flog im Dezember 2001 in den Weltraum, um das Hubble-Teleskop zu warten: ZITATOR ?Ich schwebte aus der Luke hinaus und verbrachte einige Zeit damit, mich an das freie Schweben zu gewöhnen. Um sich im All zu bewegen, braucht man sehr kleine, feine Bewegungen. Man würde schnell die Kontrolle verlieren, wenn man zu viel Kraft einsetzte. Dabei war die Sicht so klar, dass sie unwirklich erschien: ein hellblauer Ozean mit Wolkenstreifen und das Hubble-Teleskop, auf dessen glänzender Oberfläche sich die Erde spiegelte. Und darunter sah ich mich selbst gespiegelt, im Raumanzug. Ich streckte die Hand aus um das Teleskop zu berühren.? ATMO 5 ERZÄHLERIN Als Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All und Kosmonaut der DDR, nach der Rückkehr einige Worte zu seiner Weltraumreise sagte, schaute er dabei sichtlich berührt in die Fernsehkamera. Für manche war das Propaganda. Denn in diesem offiziellen Kontext konnte man sich mit ihm und seinem Erlebnis einfach nicht identifizieren. Die Schriftstellerin Elke Erb lebte in der DDR. Seit 1966 verfasste sie Lyrik und Kurzprosa. Nach zahlreichen Veröffentlichungen und literarischen Preisen kam es ihr fast wie ein Vorwurf vor, als ihr jemand sagte, dass das Wort ?Stern? doch ein Mal in ihren Texten auftaucht. TAKE 7 / Elke Erb Es ist ja so: mein Sohn hatte Besuch, von mehreren kleineren Jungs, und die guckten fern. Und dann gingen die am Korridor raus und sagten, ?wir haben gesiegt?. Das war nämlich ein Fußballspiel. Und da hab ich gedacht, mein Gott! Sie haben gesiegt, die kleinen Tröpfe haben gesiegt! Ein Tropf nach dem anderen ging an mir vorbei und sie hatten gesiegt. Und so ähnlich finde ich die Beziehung zum ?wir sind auf dem Mond?. Es kann ja sein, dass ich ganz lieblos und stupide etwas übersehe dabei. Aber eigentlich ? tut mir Leid. Eine kleine mathematische Verbindung, die in meinem Hirn auftaucht, die reizt mich wirklich. Und da ist ?jemand landet auf dem Mond? keinerlei Ersatz, für diese fehlende Imagination, die wirklich das menschliche Hirn nährt. Und da kommt eigentlich auch die Abwehr der Himmelsvorstellungen. Weil die anderen Nachrichten auch schon immer so waren, wie da gibt es den Mars und da gibt es das, und alles hat mit dir nichts zu tun! Was du ständig erfährst, wie du eingewiesen wirst in dein Leben und dann auch in deinen Kosmos, das hat nichts mit dir zu tun, und dann wirst du die Leere nicht noch vergrößern. Ja, wir sind geistig nicht darauf eingerichtet. MUSIK M7 / A. Parsons, Children of the Moon ERZÄHLERIN Im den Diskurs über die Relevanz des Weltalls, über seine Spuren im täglichen Leben, mischen sich Schriftsteller heute nur wenig ein. Jede Generation begegnet dem Thema anders, dabei spielt auch der historische Kontext eine Rolle. TAKE 8 / Elke Erb (singt) ?Weißt du wieviel Sternlein stehen an dem großen Himmelszelt? Gott der Herr hat sie gezählet? Schlaflied für Kinder. ?Dass ihm auch nicht eines fehlet?. Als Kinder haben wir dann diese Lieder gehabt. ?Siehst du den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön?? ? von Claudius. Diese Mond-und-Sterne, die dann immer auftauchen in den Gedichten, ist für mich ein verlassener Bereich. Ich würde das auffassen als Poesilien. Und ich hätte nicht anfangen können zu schreiben, wenn ich damit fortgesetzt hätte. Da war der Krieg gewesen, der Faschismus. Vielleicht ist auch durch diese Zusammenbrüche der intakten Welt die eigentliche Wissensreife hervorgetreten. So dass diese Beziehungen auch deshalb nicht mehr haltbar waren. Aber wir mussten uns aus dem Überlieferten hinausbewegen. Ganz enzschieden. Ich würde von heute aus gesehen diese Wirtschaft mit den Symbolen als parasitär bezeichnen. Weil das sind nicht deine Dinge, Münzen, Worte, die sind einfach vorgegeben und du spielst bloß damit. ZITATOR ?Wunderlich nah ist der Held doch den jugendlichen Toten. Dauern ficht ihn nicht an. Sein Aufgang ist Dasein; beständig nimmt er sich fort und tritt ins veränderte Sternbild seiner steten Gefahr. Dort fänden ihn wenige. Aber, das uns finster verschweigt, das plötzlich begeisterte Schicksal singt ihn hinein in den Sturm seiner aufrauschenden Welt. Hör ich doch keinen wie ihn. Auf einmal durchgeht mich Mit der strömenden Luft sein verdunkelter Ton?? ?Ihm kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall, wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling.? ERZÄHLERIN Aus den ?Duineser Elegien? von Rainer Maria Rilke. MUSIK M8 / B. Eno, An Ending (Instrumental) ERZÄHLERIN Rilke dachte an Engel, an Wesen die im Äther schweben. Wenn man jedoch an einen Menschen denkt, der weit weg von der Erde in der dunklen Unendlichkeit schwebt, bleiben seine Verse eine der schönsten Beschreibungen dessen, was einen Astronauten ausmacht. Der deutsche Astronaut Ulrich Walter, Physiker und Autor zahlreicher Bücher, gehört zu den wenigen, die im All an mehr gedacht haben als nur an die zu erfüllenden Aufgaben: ZITATOR ?Das ganze Sein ist auf mich selbst reduziert. Ich habe das elementare Gefühl, allein zu sein. Ich bin meine eigene Welt, im jetzt, und nichts existiert außerhalb dieser Grenzen. Wenn ich die Augen schließe ist es, als ob ich keinen Köper mehr hätte. Ich muss die Schulter bewegen, damit sie mein Hemd berührt, um mich zu erinnern, dass ich einen Körper habe.? ERZÄHLERIN Dass ein Astronaut durch die Loslösung von der Erde einen neuen Aspekt des Seins entdeckt, etwas, dass ihn uns gegenüber fremd und einsam macht, inspirierte Kate Bush zum Song ?Rocket Man?. MUSIK M9 / K. Bush, Rocket Man ZITATOR Lange Zeit wird vergehen Bis zur nächsten Landung Werde ich mich wiederfinden? Ich bin nicht der Mann, den sie zu Hause kennen Der Mann in der Rakete Allein hier oben und der Zünder brennt MUSIK M9 / K. Bush, Rocket Man ATMO 6 / O-TON ?Twelve, eleven, ten, nine, ignition sequence starts ? Zündung der Motoren ? five, four, three, two, one, zero, all engines running, lift-off, we have a lift-off of Apollo 11? ATMO 7 / O-TON ?One small step for man, one giant leap for mankind. 21.07.1969: 500 Millionen Menschen verfolgen an ihren Fernsehbildschirmen den ersten Schritt des Menschen auf dem Mond.? SPRECHERIN / ÜBERSETZUNG / TAKE 9 / Donna Stonecipher Ich wurde im Mai 1969 geboren und die Mondlandung kam im Juli. Als ich begann, die Welt bewusst wahrzunehmen, war ja alles schon getan! Ich wuchs auf in dem Wissen, dass es schon Menschen auf dem Mond gegeben hat. Es war keine Phantasie, sondern eine Tatsache. Eine langweilige Tatsache. Ich glaube dass die Sterne und das All viel interessanter sind, wenn man sie als Symbole betrachtet und nicht als reale Tatsachen. Das Gewicht von Jahrhunderten der Literatur in der das All einen symbolischen Wert hat, zu dem man aufstreben kann, ist für mich ergreifender als ein Mensch, der auf dem Mond steht. Das amerikanische Raumfahrtprogramm ist für mich irrelevant. Es wird so viel Geld dafür ausgegeben! Und auf der Erde haben wir noch so viel zu tun. Für mich ist es ein Zeichen der Arroganz. ERZÄHLERIN Donna Stonecipher ist Lyrikerin und wuchs in den USA auf. Ihr erster Gedichtband gibt Einblicke in zwei Welten, die reale, der sie eine stille, reflektierende Poesie abgewinnt und die der Symbole, über die hinaus sich auch das All ausdehnt. ZITATOR Der Nachthimmel klart auf, Stern um Stern. Ich habe die Sternbilder erlernt und sie danach vergessen, weil Überfluss mich blendete. Ich lernte, welche Blume die Kosmos-Blume ist. Ich dachte an Handlungspunkte in Geschichten, so lang, bis sie sich weigerten, wie in einem Sternbild stillzustehn. Der Junge ist wie ein kleines Haus, das noch in dunkler Unschuld ruht. Es ist dieses Nicht-Sichtbare, das schwer zu ertragen ist: für jene die zu wissen glauben, wonach sie auf der Suche sind. Licht für Licht wird angehen, bis er so sichtbar ist wie alle anderen im Raum. Er wird ihren geheimen Stern finden. Das Planetarium fragt nicht, ob es darf. MUSIK M10 / P.Floyd, Set the Controls for the Sun SPRECHERIN / ÜBERSETZUNG / TAKE 10 / Donna Stonecipher Ich habe mir einen Körper vorgestellt, in dem ein Stück Weltall enthalten ist, der geheimnisvolle Raum, weil wir in unser Inneres auch nicht hineinsehen können. Es hat seinen eigenen Rhythums und lässt sich nicht ordnen. Und stimmt es nicht, dass wir aus toten Sternen gebaut sind? Es ist sehr geheimnisvoll, wie unser Körper funktioniert, oder die Welt. Ich glaube, dass wir uns etwas vormachen, wenn wir denken, dass wir diese Geheimnisse gelöst haben. Die essenziellen Dinge begreifen wir einfach nicht. Das ist es auch, was den Nachthimmel so interessant macht, es ist das Geheimnis überhaupt. Wenn man hinaufschaut und diese dunkle Weite sieht, oder dass sich plötzlich darin etwas bewegt. Ja, ein Satellit. Darüber sollte ich nachdenken, hm. Ich werde jetzt nichts mehr sagen. Das ist ein guter Stoff für ein Gedicht. ERZÄHLERIN Im Jahr 1990 sagte der Scgriftsteller Ray Bradbury: ZITATOR Wir haben wichtige Rätsel zu lösen. Wir sind eines der Rätsel. Und einen Weg, uns zu lösen, ist der Flug in einer Rakete. ERZÄHLERIN Der Weltraum und das Ich, ein Paar, dass zusammengehört. Vladimir Nabokov in seiner Erzählung ?Die Venezianerin?: ZITATOR ?Simpson setzte sich auf eine Bank die mit weißem, angetrockneten Vogelmist befleckt war und stützte seine kantigen Ellbogen auf die Knie. Er spürte jene akustische Sinnestäuschung wiederkommen, die er seit seiner Kindheit kannte. Wenn er sich auf einer Wiese oder, wie gerade eben, in einem stillen, bereits dämmernden Wald befand, würde er sich unwillkürlich fragen, ob er in dieser Stille vielleicht hören konnte, wie die ganze, gewaltige Weltkugel mit melodischem Ton das All durchquert, mit dem Summen ferner Städte, dem Donner der Meereswellen und dem Gesang der Telegraphenleitungen über den Wüsten?? ATMO 8 ERZÄHLERIN Heinz Ickstadt, Professor für Amerikanistik, denkt beim Thema Weltall in der Literatur zunächst an die Zeit vor dem ersten Raumflug: TAKE 11 / Heinz Ickstadt Die Literatur hat sich schon immer mit Weltall beschäftigt; der Blick aus der Perspektive des Jenseitigen oder Transzendenten auf die Erde zurück ist eine Perspektive die das kosmische Bewusstsein von Walt Whitman zum Beispiel geprägt hat. Dieser Blick aus der Perspektive der Ewigkeit, der die kleinen Zeitspannen und Rahmen der alltäglichen Geschichte durchbricht und in eine ganz andere Dimension stellt. Der Versuch, körperliche Rhythmen mit kosmischen Rhythmen zu verbinden, dass es letztlich so etwas gibt wie eine Einheit zwischen Mensch und Weltall, ist natürlich ein sehr altes Motiv. MUSIK M11 / B. Eno, Always Returning (Instrumental) ZITATOR Ich seh durch das All hinrollen ein Wunder groß und rund Ich sehe winzige Farmen, Dörfer, Ruinen, Kirchhöfe, Gefängnisse, Werkstätten, Paläste, Schuppen, Hütten von Wilden, Nomadengezelt an der Oberfläche, Ich sehe beschattet die eine Seite, wo Schläfer schlafen, und sonnenbeleuchtet die andre Ich sehe den seltsam jagenden Wechsel von Schatten und Licht?? ERZÄHLERIN Aus ?Salut au Monde? von Walt Whitman, einem der großen amerikanischen Lyriker des 19. Jahrhunderts. TAKE 12 / Heinz Ickstadt Es gibt eine Diskrepanz zwischen dieser Perspektive auf die Welt und der technologischen Fertigkeit, die ja alle Aspekte zerstören muss, auf der Whitman seine Perspektive aufbaut. Alle diese kleinen, minimalen Timeframes, die technologischen Zerkleinerungen und Perfektionismen, die eigentlich auf einem Bewusstsein beruhen, dass dem des Kosmischen völlig entgegengesetzt ist. So dass wir das Problem haben, dass das ganze kosmische Unternehmen durch ein technisches Bewusstsein geschaffen worden ist, das der poetischen Phantasie von Welteinheit entgegensteht. Was nicht bedeutet, dass irgendwann nicht doch beide Stränge zusammenlaufen. Es kann ja sein, dass das Technologische letztlich bewusstseinsverändernde Aspekte hat. Aber zunächst klaffen die Bewusstseinswelten ziemlich weit auseinander. MUSIK M12 / J. Cale, Spinning Around TAKE 13 / Heinz Ickstadt Diese Diskrepanz ist dominant in der amerikanischen Literatur, aber es gibt einige, die versuchen, diese Kluft zu überbrücken. Letztlich sind es alles Dichter, die die Abstraktion, die mit der Technologie zusammenhängt, fürchten und die ihr entgegenwirken, in der eigenen Sprache, die metaphorisch intensiv ist, aber nicht um dem Irdischen zu entfliehen, sondern um es zurückzugewinnen. Das trifft für die meisten Dichter, Gary Snyder ist ganz eindeutig, Jerome Rothenberg. Das ist ein Spagatschritt zwischen dem Versuch, wieder zu mythologischen Strukturen zurückzufinden, wie sie von native Americans vielleicht noch praktiziert werden, und die Technologie mit einzubeziehen. Die Technologie nicht als autonomes, den Ritus zerstörendes Instrument zu betrachten, sondern als neue Form des Rituellen, des Mythologischen. Das heißt, die Integration der Technologie in das Kosmische Bewusstsein. ZITATOR Ich bin ein anderer Stern. Wirst du meine Gedichte essen oder sie lesen oder mit Aluminium-Scheuklappen sonnenfinstere Seiten betrachten? Träumst du oder übersetzt und akzeptierst du Daten mit gleichgültigen, verwelkten Antennen? Macht das alles Sinn für die blumig grünen Rezeptoren in deinen Augenhöhlen? Hast du Visionen von Gott? In welche Richtung werden sich die Sonnenblumen drehen, angesichts der Millionen von Sonnen? ERZÄHLERIN Aus Allen Ginsberg, ?Raketengedicht?. ATMO 9 TAKE 14 / Heinz Ickstadt Im Grunde hätten die Astronauten, die zum ersten Mal die Erde aus der Entfernung sahen, extatisch sein müssen. Es war so eine ungeheuer neue Erfahrung, aber die Notwendigkeit, gerade diese Extase zu vermeiden, hat diesen sehr eigenartigen, technologischen Jargon hervorgebracht. Oder sagen wir, die Auswahl der Astronauten, Kosmonauten, die technologisch sein mussten, um überhaupt mit den Anforderungen der Technologie fertig zu werden. Der Gedanke, einen Romantiker ins Weltall zu schicken, der vor lauter Staunen vergisst, die richtigen Knöpfe zu drücken, ist für Houston unerträglich. SPRECHER / ÜBERSETZUNG / TAKE 15 / Story Musgrave Wenn man einen Dichter ins All schicken würde, heißt es nicht, dass man automatisch ein Gedicht zurückbekommt. Er könnte sich vielleicht gar nicht der Erfahrung hingeben, der Schwerelosigkeit, vielleicht hätte er Angst und würde sich unwohl fühlen, man weiß es nicht vorher. Es müsste jemand sein, der neben seinen poetischen Fähigkeiten auch wüsste, wie man sich in dieser Umgebung zurechtfindet und wohlfühlt. ERZÄHLERIN Story Musgrave, der dienstälteste Astronaut der Welt, ist bisher der einzige erfahrene Raumfahrer, der immer wieder und sehr persönlich über seine Erfahrungen im All kommuniziert. Obwohl er in den sechziger Jahren zur NASA kam, wartete er 16 Jahre auf seinen ersten Flug und ging erst in der Space-Shuttle Zeit an den Start. Er flog sechs Mal ins All. SPRECHER / ÜBERSETZUNG / TAKE 16 / Story Musgrave Ich schreibe seit vierzig Jahren Tagebuch und aus diesem Stoff entstehen auch Gedichte. 1986, nach meinem zweiten Raumflug, habe ich Poetik-Kurse belegt. Die Freude am Erzählen hatte ich schon immer, aber der richtige Zeitpunkt, zu dem ich begann, diese Fähigkeit weiter zu entwickeln, kam erst später. Genauso war es mit der Philosophie, Geschichte und Psychologie. Ich befasste mich damit, erst nachdem ich meine technische Ausbildung durchlaufen hatte. MUSIK M13 / B. Eno, Deep Blue Day (Instrumental) ZITATOR Pinien, Spitzen, drehende Kegel, wehende Winde Leben liebt Leben gelbe, rote Wellen, auf meinen Lidern klingende Glocken gelbrote Spektren, Zusammenklang Glockenblumen wachsen hören duftend fruchtbar blühen Bilder, Weinreben auf Weinbergen Leben hält an Leben fest Bäume fallen nieder, fruchtender Grund, verwesendes Leben, lebendiger Tod. Wolken ziehen über Grün Wolken tauchen ein in Grün Stetigkeit des hohen Cirrus Macht des Cumulonimbus. ERZÄHLERIN Aus Story Musgraves Gedicht ?Wanderung?. Obwohl wir heute in den Raumfahrtzentren einfach nur die Hand ausstrecken müssen, um eine Saturn-Rakete zu berühren, ist uns die Relevanz des Symbols verlorengegangen. Und was gilt umgekehrt für den Symbolcharakter der Sprache? Taugt unsere schwerkraft-gebundene Sprache überhaupt für die Beschreibung der neuen Erfahrungen? Äußerungen verschiedener Apollo-Astronauten über den Mond. ZITATOR Starres, flaches Schwarz; eine lange Pause bis zur Landung; hell und neutral; herrliche Verlassenheit; silbern, orange, golden und schwarz; Heiligenschein; Staub wellt nicht auf; die Erde ist eine nasse, glänzende Kugel; der Mond ist ein dunkler, schauerlicher Ort; ich fühle mich stark; beeile dich zum Ort, der erforscht werden muss. ERZÄHLERIN Der Mensch auf der Erde braucht neue Ohren und der Mensch im Weltall eine neue Sprache. ATMO 10 ZITATOR MECO, ROGER, CISLUNAR, T minus 5, Countdown, STS-41, EVA, CAPCOM, ISS, ORBIT, COSMODROM, ZERO-G. SPRECHER / ÜBERSETZUNG / TAKE 17 / Story Musgrave Es mag eine gewisse Musikalität geben, aber diese Begriffe sind reine Signifikanten. Es sind keine Redewendungen, die eine weitere Bedeutung zulassen. Es sind neue Worte, es ist eine nicht-figurative Sprache, die keinen Raum für Interpretation zulässt. Die Worte werden nach oben gesendet, sie haben eine Funktion und sie dürfen nicht zweideutig sein. Ich habe lange Zeit im Kontrollzentrum gearbeitet und daher weiß ich, dass man irrelevant wird wenn man die Konvention nicht einhält. MUSIK M14 / D. Bowie, Space Oddity ERZÄHLERIN Aus David Bowie, ?Space Oddity?: ZITATOR Ich sitze in einer Blechdose Hoch über der Welt Der Planet Erde ist blau Und es gibt nichts, das ich tun könnte Obwohl ich rasend schnell bin Stehe ich still MUSIK M14 / D. Bowie, Space Oddity SPRECHER / ÜBERSETZUNG / TAKE 18 / Story Musgrave In der Schwerelosigkeit wird man sehr langsam und es ist sehr still. Diese Umgebung verändert die Art, in der man denkt und sie verändert die Stimmung. Ich wusste, dass die Sprache sehr begrenzt ist, um das auszudrücken. Aber die Reisen ins All haben mich gezwungen, poetisch zu werden. Weil es etwas gibt, das ich ausdrücken muss, das aus mir hinausdrängt. Aber ich habe auch eine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber. Weil ich mich hier oben befinde und das erlebe, muss ich einen Weg finden, es weiterzugeben. ERZÄHLERIN Vielleicht werden weitere Astronauten Verantwortung für die Kommunikation ihrer Eindrücke übernehmen und sprachliche Brücken bauen, aus dem All auf die Erde. Bisher verstehen wir nur, dass das All ein schwarzer, konkaver Spiegel ist, der das Bild des Menschen auf die Erde zurückwirft. Der russische Volksmund hat ein neues Bild hervorgebracht: ein Kosmonaut ist jemand, der Gott berührt hat. Niemand der geflogen ist, hat ihn gesehen. Doch wen suchen wir im All, wenn nicht ein Gegenüber, ein Gesicht? Wir haben Bilder gesehn, von der Erde, vom Mond, von fernen Planeten. Jetzt wollen wir Worte hören, gesprochen von Menschen, die ihre Erfahrungen reflektieren und offenlegen. Weil ein Satellit nur Daten übermitteln kann und ein Teleskop nur ein kaltes Bild. ATMO 11 SPRECHER / ÜBERSETZUNG / TAKE 19 / Story Musgrave Raumfahrt kann nicht ohne Poesie vermittelt werden. Die Poesie ist eine Sprache für sich, die viele Möglichkeiten bietet. Die Raumfahrt ist etwas sehr Neues und wir brauchen eine neue Sprache dafür. Man könnte zum Beispiel Metaphern verwenden. Wenn man auf einem Berg steht, kann man einige Meilen weit hinaussehen, das versteht jeder. Wenn man aber im All ist, sieht man so weit, dass man das gar nicht beschreiben kann, für jemand, der das nicht erlebt hat. Aber wenn ich sage, dass ich ein Riese bin, der den Kopf auf der Höhe des Raumschiffs hat und mit den Füßen auf der Erde steht, ist es vielleicht schön zu wissen, dass die Sturmwolken auf der Erde mir bis über die Fersen reichen. MUSIK M9 / K. Bush, Rocket Man QUELLEN *********************************************************** Whalt Whitman: Zitat (7 Verse) aus dem Gedicht ?Salut au monde? aus dem Band ?Grashalme? nachgedichtet von Hans Reisiger, Diogenes Verlag, Zürich, 1985 Rainer Maria Rilke: - Zitat (8 Verse) aus ?Die Sechste Elegie? und - Zitat (2 Verse) aus ?Die Neunte Elegie?, beides aus dem Band ?Duineser Elegien. Die Sonette an Orpheus?, Suhrkamp, Frankfurt, 1996 Vladimir Nabokov: Zitat (8 Zeilen) aus der Kurzgeschichte ?La Venetiana?, aus ?The Stories of Vladimir Nabokov?, Vintage International, New York, 1997 (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) William Carlos Williams: Zitat (12 Verse) aus ?Heel & Toe to the End?, aus der Anthologie ?Inside Outer Space?, Anchor Books, New York, 1970 (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) Allen Ginsberg: - Zitat (6 Verse) aus ?Poem Rocket?, aus der Anthologie ?Inside Outer Space?, Anchor Books, New York, 1970 (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) - Zitat (8 Verse) aus ?Einsiedlerhütte im Mondschein?, aus dem Band ?Der Untergang Amerikas. Gedichte?, Carl Hanser Verlag, München, 1975; Übersetzung: Carl Weissner Ray Bradbury: Zitat (2 Zeilen) aus ?We Are the Carpenters of an Invisible Cathedral?, Vorwort zu ?In the Stream of Stars. The Soviet/American Space Art Book?, Workman Publishing, New York, 1990 (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) Ulrich Walter: Zitat (6 Zeilen) aus einem Interview/Artikel ?Was bleibt, ist das Denken?, in ?Der Spiegel? (8/1997) John Grunsfeld: Zitat (10 Zeilen) aus ?John Grunsfeld Reports?, 23.und 25.12.2001, www.spaceflight.nasa.gov/shuttle/archives/sts- 103/crew/grunsfeldreports (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) Brian Eno: Zitat (13 Zeilen) Text auf der Schallplattenhülle ?Apollo?, E.G. Records Ltd., 1983, London George Steiner: Zitat (16 Zeilen) aus ?Der Europa Mythos?, Vortrag zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, Salzburg, 1994 Story Musgrave: Zitat (13 Verse) aus dem Gedicht ?Nature Walk?, © Story Musgrave, 1990 (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) Donna Stonecipher: Zitat (8 Verse) aus dem Gedicht ?A Swan?, aus ?The Reservoir?, The University of Georgia Press, Athens, Georgia, 2002 (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) Iwona Mickiewicz: Zitat (19 Zeilen), © Iwona Mickiewicz, 2004 Jan Faktor: Zitate aus ?Prof.Dr.Voigts Abriss-Story?, aus ?Die Leute trinken zu viel, kommen gleich mit Flaschen an oder melden sich gar nicht?? Gerhard Wolf Janus Press, Berlin, 1995 Miron Jakupovic, Zitat (9 Verse) aus dem Song ?Ein Schritt vor dem Traum?, © Miron Jakupovic, 1999, (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) ****** Verlag und Jahr der CDs liegen mir erst am 18.05. vor: Kate Bush: Zitat (6 Verse) aus dem Song ?Rocket Man?, vom Album ?Two Rooms? (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) David Bowie: Zitat (6 Verse) aus dem Song ?Space Oddity?, vom Album ?Space Oddity? (Übersetzung des Zitats: Dana Ranga) 3 1