COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Gehäuse des wilden Klangs Erinnerungen an die Magnetbandkassette Feature von Tobias Barth Deutschlandradio Kultur Zeitfragen 24.8.2016, 19.30 Uhr Abteilung Künstlerisches Wort Sprecher: Lydia Herms und Ilja Richter Schnitt: Hans-Peter Ruhnert Ton: Holger König Regieassistenz: Matthias Seymer Regie: Andreas Meinetsberger Redaktion: Ulf Köhler Produktion: Mitteldeutscher Rundfunk 2013 (Tapedeck, Kassette einlegen, play, rauschen, Musik: Revanche - "Augen der Großstadt") Erzähler Sie war ein Versprechen: Ansagerin "Nimm mich, bespiel mich, füll mich mit den Sounds Deines Lebens." Erzähler Sie war klein und handlich. Ihre Maße Ansagerin 60 - 90 - 120 Erzähler Schlank, schnurrend und rollig. Ansagerin Und schnell: 4,7 Zentimeter je Sekunde. Knitterfrei aufgespult und auf Knopfdruck bedienbar. Erzähler Sie war uns lieb und teuer Ansagerin Einheitlicher Verkaufspreis EVP 20 Mark, oder Drei D-Mark in Forumschecks. Erzähler Sie sollte die treue Begleiterin sein einer Generation - verrauscht, aber berauschend: Ansage (wie auf Diktiergerät) Gehäuse des wilden Klangs Erinnerungen an die Magnetbandkassette Feature von Tobias Barth (Musik weiter: Augen der Großstadt / Mitten in der Nacht bin ich aufgewacht ...) O-Ton Olaf Parusel Dass man einen Rekorder hatte und seine eigene Musik hatte, die man hören konnte wenn man wollte, das war gerade in der Pubertät ein Befreiungsschlag, weil man dann wirklich für sich autonom war. Musik war so wichtig gewesen über die hat man sich identifiziert im Freundeskreis hat man sich über Musik häufig ausgetauscht. Und dass man das dann hören konnte wann man wollte, mit Batterien sogar wo man wollte, das war gigantisch. Erzähler Die Kassette: Eine gelbe BASF C 60 Ferro, ungelenk beschriftet "DEMO TAPE". Revanche hieß die Band und Olaf Parusel spielte den Bass. Aufgenommen Anfang der 80er Jahre in einem Probenkeller am Stadtrand von Halle. O-Ton Olaf Parusel In der Frohen Zukunft war das. Da war meine erste Band gewesen und es war immer eine sehr lange Straßenbahnfahrt da hin gewesen. Ich hab meinen Geracord dabeigehabt. Und habe mir den auf meine Knie hingelegt und die Musik gehört. Und weil ich anständig sein wollte habe ich dann immer nach geregelt. Denn es gab ja Leute, die dann immer volle Lautstärke und die ganze Straßenbahn beschallt haben; Ich hab's versucht zumindest so ziemlich leise, so dass es nur ich höre Und wenn die Straßenbahn hielt und alles ruhiger war. Aber ich dann runter geregelt und habe mir die Sex Pistols angehört und andere Sachen (Lachen). (Sex Pistols - "God save the queen" no future....) Erzähler Geracord - der Kassettenrekorder aus dem VEB Elektronik Gera, ein Betrieb im Volkseigenen Verbund Radio und Fernmeldetechnik RFT. Das Gerät - ein simpler Monorekorder. Schwarzes Thermoplastgehäuse. Preis 1980 ganze 605 Ostmark - der Monatslohn eines Facharbeiters. Olaf Parusel kaufte seinen Geracord mit 14 - wie viele seiner Generation vom Geld, das er zur Jugendweihe geschenkt bekommen hatte. O-Ton Olaf Parusel Die alternative Szene, die Punk-Szene die tauschte sich über Kassetten aus. Die sind durch die ganze Republik gewandert eigentlich Über Kassetten und man hat sich das überspielt. Und wenn einer an einer Stelle mal aus Versehen auf Aufnahme gekommen ist und ein wupp drinne war, dann war das, ob man in Rostock war oder in Erfurt oder in Berlin, überall hörte man die gleiche Aufnahme, überall diesen Wuuhp, weil sich das alle gegenseitig überspielt haben. Erzähler "No Future" auf dem Geracord: So hatten sich das die Verkünder der Frohen Zukunft sicher nicht gedacht, als sie den tragbaren Kassettenrekorder zur Staatsaufgabe machten. In den frühen 70er Jahren war das, und auf Prospekten der parteibetrieblichen "DEWAG-Binnenmarktwerbung" für die "Magnetbandkassettengeräte" mit Namen wie Sonett, Anett und Babett ist der Geist jener Jahre ablesbar. Werbesendung Sternrekorder Ansagerin Auf dem Gebiet der Reisegeräte gibt es wohl kaum eine sinnvollere Kombination als die eines Rundfunkempfängers mit einem Tonbandgerät. Beide lassen sich getrennt voneinander betreiben, ergänzen sich jedoch vortrefflich, denn man kann vom Rundfunkteil oder einem Fremdgerät liebgewordene Sendungen aufnehmen. Ist einmal "nichts im Rundfunk", so genügt ein Druck auf die Taste, und das eigene Archiv beginnt zu "spuren". Erzähler Sie war ein Versprechen, ein Geschenk, Ansagerin "ein kleines technisches Wunderwerk." Erzähler Erfunden von Lou Ottens, Chefentwickler bei Philips, vorgestellt auf der Berliner Funkausstellung im September 1963. DOK Fanfare Funkausstellung 1963 Ansagerin Und ein Ding mit Vergangenheit Dok-Ton Kaiser Franz ( aus "15 Jahre Bayerischer Rundfunk") "Diese neue Erfindung hat mich sehr interessiert, und ich danke sehr für die Vorführung derselben" Erzähler Mit diesen aufmunternden Worten würdigt Kaiser Franz Joseph von Österreich auf der Weltausstellung 1900 das Draht-Ton Telegraphon. Ansagerin Induktion, Telegraphon, Magnetophon - Eine kleine Geschichte der elektromagnetischen Schallaufzeichnung. Erzähler Das Verfahren des dänischen Erfinders Valdemar Poulsen basiert auf der Erkenntnis, dass sich Metalldraht durch Strom magnetisieren lässt. Ein Mikrofon wandelt Schallwellen in eine definierte Wechselspannung. Wird nun der Stahldraht an einem Tonkopf vorbei geführt, induziert die Wechselspannung eine bleibende Magnetisierung. Wenn man den Stahldraht anschließend wieder an dem Elektromagneten vorbeiführt, wird wiederum in diesem eine elektrische Spannung induziert. Ein Lautsprecher macht das ursprüngliche Signal wieder hörbar. 1908 werden in Kopenhagen sämtliche Reden auf dem Internationale Kongress der Techniker auf Draht genommen - 14 Stunden Ton aufgespult auf 2.500 Kilometer Draht. Dok-Ton SFB Der dünne Draht, der ist von Poulsen in den 80er oder 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelt worden, auch da kann ich Ihnen eine originelle Sache erzählen: Ansagerin Tondokument Sender Freies Berlin. Der Technikjournalist Heinrich Kluth erinnert sich an die 1920er Jahre. Dok-Ton SFB Der Draht wurde seinerzeit von Stille benutzt und Stille wollte bei uns in der Redaktion die Sprechzeiten zwischen Paris und Berlin verkürzen. Da hat er folgendes gemacht, er hat ein Band nach Paris geschickt, hat dort die Aufnahmen raufsprechen lassen und sie wissen, wenn man das Band schnell zurücklaufen lässt, dann zwitschert das so schön, und dieses Zwitschern haben wir über Telefonleitungen nach Berlin übertragen, haben dann das Band rückwärts wieder ablaufen lassen und bekamen so in verhältnismäßig kurzer Zeit, das was sonst eine Stunde dauert, in etwa zehn Minuten nach Berlin. Erzähler Herr Kluth war Funkamateur der ersten Stunde. Er schrieb Bücher wie "Rundfunk für Jedermann" oder "Die tönende Schrift". Und er erlebte die Erfindung des Magnetbandes aus erster Hand mit. In Dresden veredelte damals der Buntpapierfabrikant Fritz Pfleumer die Mundstücke von Zigarren, indem er sie mit Kupfer überzog. Pfleumer war aber auch begeisterter Elektronik-Tüftler: Dok-Ton 1927 kam zu mir ein Ingenieur namens Pfleumel. Der sagte, hören Sie mal, ich hab hier etwas Besonderes. Er führte mir das vor, das war ein erstes Bandspielgerät, bei dem das Band nicht aus Stahlband, wie bei einem anderen Verfahren bestand, sondern aus einem Papierstreifen, und darauf waren Feilspänchen angebracht. Ich dachte, das könnte doch eigentlich nicht gehen, er führte das vor - und bei dieser Vorführung zerriss das Band. Jetzt kam das interessanteste: der Mann nahm einfach ein bisschen Kleister, klebte das Band wieder zusammen, wartete einen Augenblick und konnte es dann wieder vorführen. Das war so interessant, dass ich das einigen Kollegen von anderen Tageszeitungen erzählte, die haben auch darüber berichtet, und durch diese Berichte ist seinerzeit der Geheimrat Bücher drauf aufmerksam geworden und daraus ist später die Erfindung des Magnetophons entstanden. Erzähler Fritz Pfleumer gibt die Nutzungsrechte seines Patents an die als Deutsche Edison- Gesellschaft für angewandte Elektricität gegündete AEG - und die verfeinert seine Erfindung. Statt Papier wird bei BASF in Ludwigshafen mit Acetylcellulose operiert, statt der Stahlspäne kommt bald magnetisierbares Eisenoxyd zum Einsatz. Das erste Magnetophon K1 ist die Neuheit der Funkausstellung 1935. Dem Dirigenten Philipp Wüst werden Probe-Aufnahmen seines Orchesters vorgespielt - seinen Kommentar dazu spricht er auf Magnetband... Dok-Ton DRA 1935: Kommentar von Philipp Wüst zur Versuchsaufnahme von Violoncello und Klavier mit dem Magnetophon: Wir sind erstaunt über die Klarheit des Tons sowie über die Möglichkeit, auch die speziellen Eigentümlichkeiten eines Instruments zu erfassen und wiederzugeben. Sogar das Klavier, der Schrecken der Grammophone und Radioapparate, war annehmbar zu hören. Wir glauben vor allem, dass dieser Apparat, auch wie er jetzt schon ist, sehr wohl dazu dienen kann, bei Sängern und Sängerinnen, bei Geigern, Schauspielern und so weiter die Kontrolle übernehmen kann, die (wuuhp)) viel mehr überzeugen kann als alles das, was ihm der Lehrer sagt, und was er ja immer nur teilweise glaubt. Ansagerin Kassettenliebe zurückgespult Erzähler Ein Himmel voller Stern-Rekorder und hinterm Horizont die MK 60 O-Ton Moritz Götze Das erste Kassettengerät, mit dem ich laboriert habe, war ein Kassettengerät meiner Eltern und die hatten irgend so 'ne schwarze DDR-Plastebombe. Es war so der Nachfolger von diesem ersten Stern-Recorder. Gab's dann irgendetwas Aufdesigntes Anfang Ende der 80er Jahre. Und das war im Prinzip so das erste Kassettengerät, was bei uns im Haus war. Und was ich dann also immer versucht habe in Beschlag zu nehmen. Erzähler Im Atelier von Moritz Götze. Maler in Halle, Jahrgang 64. Kassettengeneration. Schubschränke an den Wänden, gefüllt mit Farbtuben, Papieren, Pinseln - und Kassetten: O-Ton Moritz Götze (Geräusche Schubladen, lachen) Das ist sozusagen mein musikalisches Erbe, was sozusagen grauenhaft ist. Meine ganzen Bandaufnahmen und denn aus der Christuskirche, von diesem Punkfestival, und eben und irgendwo ist auch das dabei. Und das absolut verrückte ist, diese eine Kassette, diese russische Kassette, ist überhaupt meine allererste Kassette. Die habe ich bei 'ner Freundin aus'm Papierkorb geholt Ende der 70er, weil da war das Band gerissen und die hatte die weg geworfen. Und da habe ich die wieder rausgeholt und dann irgendwie wieder aufgeschraubt oder aufgeschnitten und dann wieder zusammengeklebt und die geht immer noch. Erzähler Moritz Götze nimmt die "Magnitofonnaja Kasseta" - MK 60, so heißt die russische Kassette und es klingt ein bisschen wie AK 47 oder T 34 oder Sojus T7. Er eilt durch die voll gestellten Räume seines Ateliers - und wirkt dabei wie eine seiner bunten Pop-Art-Figuren. An den Atelierwänden lehnen Werke auf Emaille: Ungelenke Figuren stehen in knallbunten Sehnsuchtslandschaften, und überall rauscht blau das Meer. Und mittendrin rauscht Götzes Tapedeck: O-Ton Moritz Götze Udo Lindenberg: Das war auch ne wichtige Zeit für mich, mit Udo Lindenberg. Und man hat dadurch auch sehr viel konzentrierter Radio gehört, weil man musste ja immer rechtzeitig auf den Knopf drücken, damit man den Sprecher nicht hat und rechtzeitig wieder "Aus" drücken, was mitunter bedauerlich ist, weil manchmal hat man wirklich noch Aufnahmen von damals, und es gab damals, auf NDR 'ne Nachtclub - also hier in Halle hat man überwiegend NDR 2 gehört, und da gab es Nachtclub mit Ruth Rockenschock "souldream" und die hat so herrlich verschachtelte Sätze gesprochen, und ich hab noch ein paar Schnipsel von damals, die so göttlich sind, und da ist es eben schade, dass man immer den Moderator noch rausgeschnitten hat, weil das wäre eine Bereicherung noch gewesen. Erzähler Die Kassette öffnet Welten. Bannt den Klang aus dem Westradio auf einen Tonträger, der in die Hemdtasche passt. Der sich tauschen und kopieren lässt. Und der auch selbst zum Musikinstrument werden kann, zum Experimentierfeld für einen jungen Mann, der Künstler werden will. O-Ton Moritz Götze Das ging ja dann auch späterhin mit dem Aufnehmen weiter. Wo ich dann meine Band hatte dann bzw. dann durch nun, wo ich jugendlich war, durch so Einflüsse, wo ich so bei einem Malerkollegen meines Vaters in Dresden, dem Helge Leiberg, er hat auch so Musikexperimente gemacht, so mit Tonbandschleifen, die zusammengeklebt worden sind, die dann als Rhythmus abgespielt wurden, wieder aufgenommen und zu was anderem dann dazu. Und so was habe ich dann auch abgeguckt und dann habe ich sogar 'n paar Aufnahmen davon, wo ich so Klangexperimente gemacht habe und dann dazu Musik gespielt und dann dazu Geräusche, wie jemand durch die Straße läuft und so was. Und das ging natürlich mit Aufnehmen und das war natürlich faszinierend. Dok-Ton Soundexperimente Götze Erzähler Sie war ein Versprechen - und diente dem Verbrechen: Ansagerin "Alles was Du sagst, kann gegen Dich verwendet werden." Erzähler Sie war klein, handlich, gefügig - ein Lieblingsobjekt von Horch und Guck. Ansagerin Big Brother is listening to You. Erzähler Sie war als große Verheißung der Technik zugleich auch ein Fluch. Ansagerin Gehäuse im Dienst des Geheimen - die Kassette als Hure der Staatssicherheit. O-Ton Frau Steinbach So kamen die Kassetten aus Leipzig zu uns. Die sind unverpackt, mit Nummern beschriftet. Und in dem Fall ist es eine ORWO-Kassette mit 60 Minuten Aufzeichnungsdauer. Die lege ich in mein Kassettengerät. ... Erzähler Elke Steinbach ist Archivarin. In der Berliner Normannenstraße. Zu tausenden liegen dort, beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Magnetbandkassetten der Marke ORWO - Original Wolfen und harren auf ihre inhaltliche Erschließung: O-Ton Frau Steinbach ...stecke die Lautsprecher dran ... und höre erst mal nichts. Und es kann auch sein, dass sich in den nächsten 30 Minuten nichts daran ändert. Wobei, wenn man ganz genau hinhört, hört man schon, dass das eine gelöschte Aufzeichnung ist. Aber das sind jetzt Inhalte, die jetzt nicht mehr erschließbar sind. Und insofern würde die Kassette dann auch ausgesondert werden. Erzähler Von den 170.000 Tonträgern, die bei der Stasi-Auflösung gesichert wurden, erwiesen sich nur 26.000 als hörbar bespielt. Das älteste Kassettendokument der Stasi stammt aus dem Jahr 1966 - drei Jahre nach Erfindung der Kompaktkassette. Es ist das Protokoll einer Untersuchung, bei der Sabotage vermutet wurde. Dok-Ton MfS Am 15.02.1962 gegen 23:30 Uhr wurde in einem Stall der gleichen LPG in Molkenberg ein Brand bemerkt, welcher einen Schaden von circa 5.000 Mark verursachte. Am 21.12.1964 gegen 23:45 Uhr brach auf dem Hof 1 der LPG in einem Stall ein Brand aus in dessen Folge der Stall vollständig niederbrannte. Die Einschätzung der Brände ergibt, dass in der Gemeinde Molkenberg eine Konzentration an Bränden entstanden war, die intensiv bearbeitet werden musste. Erzähler Die Stasi nutzte ORWO-Kassetten aus dem VEB Filmkombinat Wolfen. Manchmal aber finden sich in den Beständen auch Kassetten, die offenbar aus Westpaketen oder von Westbesuchern konfisziert wurden: Bunte Musikkassetten, Mireille Mathieu und Udo Jürgens, überspielt in auch zu DDR-Zeiten illegalen Abhöraktionen. Die meisten Kassetten nutzte die Stasi, um Telefongespräche mitzuschneiden: Aus den Botschaften in der DDR, aus dem Berliner Palasthotel, aus privaten Haushalten, die der geheimen Observierung unterlagen. O-Ton Frau Steinbach An einem einzigen Tag im Oktober des Jahres 1978 hörten 32 MfS-Mitarbeiter einer Auswertungsabteilung 14 Fernsprechleitungen zwischen Ost - und Westberlin ab, zeichneten 783 Gespräche auf, aus denen sie 33 operativ bedeutsame Informationen sowie 92 Stimmungsberichte und Meinungen herausarbeiteten, dabei deckten sie eine geplante Republikflucht, vier rechtswidrige Antragstellungen von DDR-Bürgern zwecks Übersiedlung in die BRD oder Westberlin auf. Den Auswertern lagen für diesen Tag aus den anderen MfS-Diensteinheiten 139 Anträge für die Überwachung von Telefonschlüssen und 24 akustische Überwachungsaufträge, das sind dann zum Beispiel die Raumüberwachungen, vor. Also nur mal für die Dimension, und das Ende der 70er Jahre Erzähler Eine der merkwürdigsten Aufnahmen stammt aus dem Bestand der Bezirksbehörde Halle. Aufgenommen offenbar im Kellerraum einer Dienststelle. Dok-Ton MfS (brummen, ritsch-ratsch) -Was machste mit den ganzen Rapportstapeln hier? - Meine hab ich vernichtet. Na dann fort! Was solls. -Bis off die letzten zwee hier -was willste mit die letzten zwee? Ansagerin -Was machste mit den ganzen Rapportstapeln hier? - Meine hab ich vernichtet. Na dann fort! Was solls. O-Ton Frau Steinbach Ja, da laufen im Hintergrund Nachrichten. Und anhand der Nachrichten konnten wir herausfinden, dass es am 8.11.1989 ist. Erzähler Aktenvernichtung im Stasi-Keller - einen Tag vor dem Mauerfall. Dok-Ton MfS (Nachrichten) ...man dürfe aber auch nicht zulassen, das in 40 Jahren Erreichtes auf dem Müllhaufen der Geschichte lande. ... müsse die volle Wahrheit ans Licht kommen - Kassettenklack. Ansagerin ...man dürfe aber auch nicht zulassen, dass in 40 Jahren Erreichtes auf dem Müllhaufen der Geschichte lande. ... müsse die volle Wahrheit ans Licht kommen. Fanfare Erzähler Sie war ein Versprechen, etwas Revolutionäres Ansagerin Komfortabel, transportabel, batteriebetrieben: Erzähler 1963 wirbt Philipps mit der Möglichkeit ... Ansagerin "... außerhalb des "Steckdosenbereiches" Aufnahmen zu machen. So können Sie z. B. das pulsierende Leben der Großstadt oder auch die Laute der freien Natur einfangen." Erzähler Mit Lou Ottens Erfindung war der Welt ein handliches, praktisches Ding geschenkt worden. Jetzt war es jedermann möglich, die Klänge der Welt zu bannen: Dok-Ton Kopetzky: Aufnahmen Büffel/Frösche/Störche O-Ton Helmut Kopetzky Die Störche, aha, das war in Meriva, in der Estremadura in Spanien. Abends, als das Rindvieh gemolken werden wollte und schon brüllte. Und in den Bäumen saßen Störche, so ungefähr 120 Paare. Und das ist jetzt ne Sache, die ist nicht gemixt, nicht künstlich gemacht, nur komprimiert in der Länge, weil wir haben da eine ganze Kassette voll gespielt. Erzähler Einer, der dieser Entwicklung große Teile seines erfüllten Berufslebens verdankt, ist der Feature-Autor Helmut Kopetzky. O-Ton Helmut Kopetzky Die fingen so periodisch an zu Klappern, die Störche. Einer fing an, und dann der ganze Verein... Erzähler Kopetzky reportierte für den Sender Freies Berlin und für die ARD, aus Sibirien und Sudetenland, von der Elbe und vom Amazonas. O-Ton Helmut Kopetzky Das war so ein Sony-Walkman, professional und ein ganz einfaches Elektret- Mikrofon mit einer kleinen Batterie, 1,5 Volt. Erzähler Kopetzkys inniges Verhältnis zur Kompaktkassette begann nicht gleich nach der Erfindung derselben, sondern erst in den 80er Jahren. Den Berufsreportern galt die Kassette zunächst als Spielkram, als Amateurgelumpe. Sie zogen weiter durch die Gegend mit ihren Eindruck heischenden, schweren Spulenrekordern, mit der NAGRA oder dem UHER-Report. Erst in den 80er Jahren, als Sony den Walkman erfunden hatte und auch eine Profi-Version mit DOLBY-Rauschminderung auf den Markt brachte, wurde die Kassette zum Standardgerät der Radiofritzen: O-Ton Kopetzky Es war schon noch richtiger Dschungel dort ringsum. Und wir haben dann Exkursionen gemacht, und ich hatte also wie immer meine Sachen umgeschnallt und nun war das die Zeit der großen Überschwemmungen, Regenzeit Mangrovenwald. D.h. also, dass große Teile des Waldes also unter Wasser standen. Man watete also bis zum Bauch im Wasser mit Schuhen und Socken und so weiter, da hat man sich eh daran gewöhnt, es war ja warm und musste eben immer die Geräte sehen das die über der Wasserfläche blieben und ich bin da abgewichen von der Tour, vielleicht zwei Meter seitlich und der Führer hat da auch nicht drauf geachtet und auf einmal wurde es schwarz um mich herum und ich war in ein Loch hinein getaucht mit meiner ganzen Ausrüstung. Nur das Mikrofon war noch über Wasser war also Heidrun hat das noch geschnappt und hat das festgehalten. Erzähler Es gibt kein Foto von dieser Szene, aber Kopetzky hat sie gezeichnet: Ringsum Piranhas und Kaimane, er selbst unter Wasser, nur eine Hand mit dem Mikrofon in der Luft und seine Frau Heidrun rettet es - nicht ihn. O-Ton Kopetzky Aber das interessante, was jetzt unser Thema angeht, war, dass ich erst einmal erfahren habe wie viel Wasser in so ein Gerät hinein passt das war ja nun voll gelaufen (Lachen). Und andererseits das Band retten wollte. Wir sind ja stundenlang da gelaufen und schöne Aufnahmen gemacht zwischendurch. Und da habe ich mich das erste Mal getraut dort, eine Kassette auf zu schrauben in dieser Lodge, es sind ja eigentlich nur vier Schrauben an den Ecken so einfach war das. Einen Chip kann man nicht aufschrauben aber das Ding konnte man aufschrauben. Und da haben wir eine Leine aufgespannt, wo wir sonst unsere Klamotten daran aufgehängt haben, hier an dem Foto sieht man das dann habe ich das Band vorsichtig daran aufgehängt zum Trocknen. Das ganze Band was in dieser Kassette drin war. Dann hat es mindestens wieder 2 Stunden gedauert das rein zu fummeln, man muss sehr vorsichtig Drehung für Umdrehungen und dann wurden die vier Schrauben wieder reingemacht und tatsächlich: bis auf die ersten 2 Minuten, ach vielleicht nicht mal, hat das gespielt wie vorher Stereophone, ist die Qualität. Na gut, es hat es überlebt. Ein Chip hätte das nicht überlebt, ganz sicher nicht. Erzähler Sie war ein Versprechen, eine Verheißung Ansagerin Die sich erfüllte und erschöpfte. Erzähler Und Platz schuf für neues Begehren. Ansagerin Für noch feinere Töne ganz ohne das Rauschen des Bandes. Erzähler Und für eine neue Welt - geformt aus Nullen und Einsen. DOK Ton DRA Kassetteninteface Musik Erzähler: Ein Rundfunkmitschnitt, Radio DDR, Dezember 1989 DOK Ton DRA Kassetteninteface Tja das ist nun das letzte Computermagazin vor Weihnachten und ich freue mich, dass sie wieder dabei sind in einer Zeit, in der man ja kaum Zeit hat, alles Interessante Presse Rundfunk und Fernsehen zu verfolgen. Herzliche Willkommen also bei RAM nr. 21. Die Beiträge für die kommende halbe Stunde sind: Musik, die Kassettenroutine von Basicode, ein Epilog zum Programmierkurs, Kennwort ATARI Basecoder, die Datasette XC 12 und das Softwareangebot zum Mitschneiden, heute vier Basicodeprogramme, Mintex und zwei Dokumentationen. O-Ton Olaf Parusel 1987, 88 zog dann langsam Computertechnik ein und in meinen Betrieb hatten wir einen KC87 Und die Programme wurden auf Kassetten gespeichert, weil es das günstigste Medium war. Floppy Disks oder die Vorläufer der Disketten oder Festplatten war damals noch unvorstellbar, das es so etwas gibt, also hat man das auf Kassetten gespeichert. Erzähler "No Future" galt nicht für den Punkhörer und Nachrichtentechniker Olaf Parusel aus Halle. Der hatte mittlerweile einen echten Walkman und brauchte nicht mehr mit seinem Gerakord auf den Knien Straßenbahn zu fahren. Sondern konnte zeitgemäß unter Kopfhörern hören. Doch die Kassette - sie wandelte sich. Vom Medium des Echten und Wahren, vom analogen Medium der Selbstfindung via Musik hin zum Medium der Digitalisierung. O-Ton Olaf Parusel Und ich hatte dann auch irgendwann einen Commodore 64 Computer mit Datasette so nannte sich das und da hat man auch die Kassette genutzt, um da drauf die Programme zu speichern. Und es gab damals für diese DDR Computer bei DT 64 eine Sendung, wo über den Äther Computerprogramme gesendet worden. Das heißt, dass dann übers Radio diese unsäglichen Geräusche der, krrr, so wie bei einem Faxgerät. D.h. dass da eine Viertelstunde diese Geräusche im Radio gesendet haben und manche mochten das nicht, die gerade das Radio eingeschaltet haben. Aber die, die die Rechte hatten, die waren total froh dass sie diese Programme Gekriegt haben. Denn es gab keine andere Möglichkeit. DOK Ton DRA Kassetteninteface Mit dem angekündigten Basicode-Programm zur Trafoberechnung, möchte ich die REM Softwareecke beginnen. Ihre Recorder sind hoffentlich startklar und wir können beginnen. Na dann, Band ab: Pieptöne Erzähler Während nachts der Rundfunk der DDR Programme für den Heimcomputer sendete, schwirrten andernorts die Festplatten mit hochkomplexen Berechnungen. Die Ingenieure am Fraunhofer-Institut in Erlangen werkeln Ende der 80er Jahre am MP3- Format. Keine 30 Jahre nach der Erfindung der Kassette löst das digitale Format die alten Bänder ab. Dazwischen aber war noch die CD - erfunden auch von Lou Ottens, dem Erfinder der Kompaktkassette. Aus den reichen Ländern des Nordens verschwindet sie gerade, in der ärmeren Hälfte der Welt aber gibt es sie noch: 1