COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62120 Organisationseinheit: 46 Reihe : Zeitreisen Titel : Im Gadgetrausch Elektronische Spielzeuge als Vehikel der Popkultur des 21. Jahrhunderts Autor : Moritz Metz Redakteur/in : Jana Wuttke Sendung : 09.02.2011 Regie : Klaus-Michael Klingsporn 1 O-Ton: Verkaufsstart iPad New York: "Are you ready? 5 3 2 1 Go (Gejubel)" 2 O-Ton: "Gutjahr1-Schlange" Die Schlange vor dem Apple Store in New York in der Fifth Avenue, das ist so die Mutter alle Schlangen. Für mich war das so eine Art Happening, für mich war das so' n bisschen Woodstock 2.0, dass man sich da einfach mit den Leuten, die es halt auch nicht mehr erwarten können, zusammentut. Und dann bist du unter Gleichgesinnten, kannst dich da ein bisschen austauschen - und freuen! ZUSP: Trenner-Musik 1 SPRECHER 1: Als Kind wollte ich immer ein "Allesgerät". Ein kleines Gerät, das alles kann. Das gab es vor 20 Jahren genauso wenig wie heute. Aber heutige "Gadgets" kommen diesem Wunsch schon sehr nahe. SPRECHER 2 Der Duden beschreibt sie als einen "kleinen, raffinierten technischen Gegenstand". Gadget kommt eventuell von einem Wort für namenlose Werkzeuge, das französische Matrosen im 19. Jahrhundert verwendeten: Gagée - übersetzt Dingsbums. 3 O-TON Ehgartner Ein Gadget ist ein Stück Technologie, das ich eigentlich überhaupt nicht brauche, das eigentlich nur meiner Lust am Spaß, am Erleben, am intensiven Erleben. SPRECHER 2: The singing Bulb - die Glühbirne mit Funk Lautsprecher: 4 OTON: Singing Bulb 5 O-TON: Tore Meyer Gadget wird immer leicht so Richtung Spielzeug abgetan, aber das ist es für mich eigentlich nicht. Für mich ist ein Gadget etwas, das mein Leben sinnvoll ergänzt. SPRECHER 2: Die "Buddha Jukebox", die man sich um den Hals hängt. Spielt tibetische Mantras in jeder Lebenslage. 6 OTON: Buddha Jukebox (2s) 7 O-TON Sascha Kösch Ein Teil das man gerne hat. Ein Gadget ist ein Teil, mit dem man sich auf irgendeine Weise zu identifizieren beginnt. Das so Teil des eigenen Lebens wird. Das man "du Scheißteil" nennt, wenn es einem auf die Nerven geht - anstatt zu sagen: oh, dieses Telefon geht nicht oder so. Und Gadgets sind im Allgemeinen klein. SPRECHER 1 Früher gab es den Walkman und James Bond. Auch er war ganz gut ausgestattet mit Gadgets. Aber erst mit der Digitalisierung, der Globalisierung und dem Internet kamen Gadgets überall an. Der USB-Kaffetassenwärmer steht am Arbeitsplatz, das neue Smartphone ist der beste Gesprächsanlass in der Mittagspause. SPRECHER 2 Eine Armada von Internet-Blogs widmet sich den neuesten Gadgets, Testberichten, Spekulationen und Gerüchten über Erscheinungsdaten. Man braucht ja immer das Neueste. Gleichzeitig gibt es schon über 72 Millionen ungenutzte Handys in deutschen Haushalten. ZUSP Trenner/Musik SPRECHER 1 Im Sommer 2007 bestellte ich mir einen MP3-Player. Er sollte gut funktionieren und auch ein Mikrofon mit Aufnahmefunktion mitbringen. Ich wählte den "i.Beat Organix" der hessischen Handelsmarke "Trekstor". Als ich das silberne, unansehnliche, feuerzeuggroße Gerät das erste Mal anschalte, erklingen drei mitgelieferte Dateien. 8 ZUSP: (bereits am Ende des Sprechers rhythmisch unterlegen) Trekstor Test 1 (Piepton) SPRECHER 2: Bei der zweiten Datei leuchten chinesische Schriftzeichen auf: "??-?? " Die stehen für "Celine Dion" 9 ZUSP Trekstor Celine Dion Every night in my dreams I see you, I feel you" SPRECHER 1 Danach spricht eine weibliche Stimme zu mir: 10 O-TON: Trekstor Testchinesisch Ni Hao, ni Hao, ni Hao, ni Hao" SPRECHER 1: Was sagt die Person? Ich veröffentliche einen Blogeintrag über den Fund. Ein in China lebender Kollege schreibt: SPRECHER 2: Es heisst ganz einfach: "Guten Tag! Guten Tag! Guten Tag! usw." bzw. wörtlich "Du gut!" SPRECHER 1 Das Ni-Hao-Ni-Hao-Girl muss also eine Fabrikarbeiterin sein, die am Fließband vergessen hat, ihre Mikrofon-Testaufnahmen zu löschen. Irgendwo in China. ZUSP Trenner/Musik SPRECHER 1 Anruf beim Geräte-Markenhersteller Trekstor in der südhessischen "Engineering Region Darmstadt Rhein Main Neckar". Die Presse-Verantwortliche ist erstaunt und versucht Kontakt zur Geschäftsleitung herzustellen. Aber es könne dauern, die Firma befinde sich gerade in einer Insolvenzphase. Monatelang kommt keine Antwort. SPRECHER 2 Die Firma Trekstor stellt die Geräte nicht selbst her, sondern lässt nur seinen Namen aufdrucken. In Internet-Katalogen findet man den MP3-Player unter verschiedenen Produktnamen und von verschiedenen Herstellern. Produziert in China. Wie fast alle Gadgets. SPRECHER 1 Die meisten der Gadgets werden, ergeben die Recherchen, hergestellt in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen. ZUSP: Trenner /Musik Kreuzblende 11 ZUSP Atmo FÄHRE (unter den Sprechertexten stehen lassen) SPRECHER 1 Vom Flughafen Hong Kong ist es nur eine kurze Fahrt mit der Fähre mitten in die Wirtschaftsmetropole Shenzhen. Noch vor 30 Jahren war Shenzhen ein Fischerstädtchen mit 30.000 Einwohnern. 1980 wurde es zur ersten Sonderwirtschaftszone Chinas ernannt. Investoren anlocken und zum Exportweltmeister werden - dieser Plan ging auf. Shenzhen explodierte. Was früher "made in Hongkong" war, ist heute "made in China". SPRECHER 2 Heute ist Shenzhen eine Megastadt. Das Umschlagaufkommen der Containerhäfen von Shenzhen ist heute das vierthöchste der Welt. Und Shenzhens Einwohnerzahl lässt sich allenfalls schätzen. Zwischen 8 und 14 Millionen - etwa vierhundert mal mehr als noch vor dreißig Jahren.Grund für die Ungenauigkeit der Schätzungen sind auch die Millionen von Wanderarbeitern, vor allem in der Elektronik-Industrie. ATMO Fähre: aus SPRECHER 1 In einem Starbucks-Café mitten in Shenzhen treffe ich den Open-Source Aktivisten und Geräte-Entwickler Wolfgang Spraul. Kann er helfen, die Arbeiterin zu finden? 12 O-TON Wolfgang Spraul Zunächst einmal müsste man die genaue Fabrik finden. Das wird schon schwer. Und dann müsste man in der Fabrik noch die genaue Mitarbeiterin finden. Und diese Arbeiter, die rotieren oft, die kommen und gehen, das sind ganz junge Schülerinnen größtenteils, die das nur ein paar Jahre machen. Also die genaue Schülerin zu finden, die dann an der Stimme erkannt werden müsste, das ist die Stecknadel im Heuhaufen. 13 ZUSP Atmo Bus SPRECHER 1 Wolfgang und seine chinesische Kollegin Yi wollen die Suche nicht aufgeben. Wir besteigen einen Stadtbus. Außerhalb vom aufpolierten Zentrum mit seinen neuen Wolkenkratzern ziehen unfertige Betonbauten vorbei, Stadtautobahnen und Einkaufszentren, später Wohnviertel und Hinterhof-Fabriken. Essensstände, ärmere Leute. Shenzhen ist zwar eine der chinesischen Modellstädte in Bezug auf Umweltschutz, der Industrie-Smog liegt aber deutlich in der Luft.? 14 O-TON Wolfgang Spraul Wir sind nach Nanshan gefahren, das ist ein Teil von Shenzhen, wo wir jetzt eine Fabrik besuchen, die MP3-Player und Video-Player herstellt. SPRECHER 1 Ein U-förmiger Hinterhof aus der Zeit des Kommunismus. Auf beiden Seiten befinden sich Fabriketagen, am Kopfende steht das Arbeiterinnen-Wohnheim. Hier wird das Gerät von Wolfgang und Yi zusammengebaut. Sie können mich als einen Mitarbeiter ihrer Firma ausgeben: Interne Dokumentationsaufnahmen. Wir passieren die ohnehin laxe Sicherheitskontrolle eines alten Mannes und betreten die Büros der Fabrik. Die jungen Ingenieure, die uns begleiten, sind etwas verwundert über den Gast mit dem Mikrofon. Eine Kamera hätten sie nicht zugelassen. 15 ZUSP Atmo Fabrik (schon vorher einblenden) SPRECHER 1 In dieser Fabrik bauen ungefähr 300 Mitarbeiter angelieferte Bauteile zu fertigen Geräten zusammen. Derzeit Video-Abspielgeräte und MP3-Player, deren Aussehen denen von Apple nachempfunden ist. Die Fertigungsprozesse sind laut, in vielen Etagen steht der beißende Geruch von Plastik oder Lötzinn. Die Filteranlage der großen Lötmaschine sei modern, aber teilweise in Reparatur, heißt es. Direkt neben dem Schornstein stehen die Wohnheime der Arbeiterinnen. Jene, die gerade im Dienst sind, tragen weiße Kittel, teilweise Mundschutz und Handschuhe. Die meisten von ihnen sind junge Mädchen, nur wenige Jungs mischen sich darunter - oft leitende Ingenieure. Atmo hoch, kurz stehen lassen SPRECHER 1 Schließlich das Ziel der Führung, der ganzen Reise. Die Abteilung Qualitätskontrolle. Bevor die Geräte am Ende verpackt und verschickt werden, müssen auch hier die Mikrofone der MP3-Player getestet werden. 16 ZUSP Testgesänge (drunterlegen) SPRECHER 1 Eine Arbeiterin nimmt einen ganzen Fächer von Geräten in die Hand, drückt den Aufnahmeknopf und singt die hiesige Testparole "eins, zwei, drei, eins, zwei, drei". Ihre Tischnachbarin prüft die Aufnahmen. Und löscht sie wieder. Testgesänge (kurz hochziehen) SPRECHER 1 Die Ingenieure gestatten es, der verblüfften Vorarbeiterin zwei kurze Fragen zu stellen. Besser keine nach den Arbeitsbedingungen, denke ich. Ob sie manchmal an die Menschen denkt, die ihre Geräte benutzen? 17 O-TON Antwort und engl. Übersetzung SPRECHER 2 "Nein, alle Leute können ja damit MP3 anhören und Filme" kucken SPRECHER 1 Was ist ihre Lieblingsmusik? 18 O-TON Antwort und engl. Übersetzung SPRECHER 2 Am liebsten höre ich Musik mit englischen Texten. ZUSP: Musik Celine Dion SPRECHER 1 Begeisterung für den westlichen Lifestyle. Ist das die Motivation für das Leben der Arbeiterinnen? Apo Leong ist seit den 70er Jahren Arbeitsrechts-Aktivist und arbeitet für den "Asia Monitor Resource Center" in Hong Kong. 19 O-TON Leong The ordinary workers, they are baptized with the consumer. They think the western world is the best, enjoying all these luxueries and what not. This consumerism is much propagated in the chinesse media and radio. But the income can not ... but so they can offer the fake products here - sometimes as good as the brand names, you know. But for the individual workers, the aspire for an independent, more independent lifehood, to be fee away from the bondage of their parents asking them for marriage and not and not. And away from home some kind of freedom enjoying. But then they are trapped. The freedom is limited by the place they work. By the factory regime which force them to work a lot overtime and lack of job security. OVER VOICE SPRECHER Die meisten einfachen Arbeiter sind verzaubert vom Konsum. Sie denken, im Westen wäre es am besten, lauter Luxus und so. Dieser konsumorientierte Lebenstil wird in den chinesischen Medien sehr verherrlicht. Aber das Einkommen der Arbeiter reicht meistens nur für gefälschte Produkte - immerhin sind die manchmal fast genauso gut wie die Originalmarken. Gewissermaßen genießen die Arbeiter eine gewisse Freiheit - sie sind hier fern von der Heimat, von ihren Eltern, die sie vielleicht zum Heiraten zwingen wollen. Aber dann sitzen sie wieder in der Falle. Ihre Freiheit ist stark von der Arbeit eingeschränkt, von den Fabrikbossen, die sie mit geringen Basislöhnen zu jeder Menge Überstunden zwingen und keine Sicherheiten anbieten. SPRECHER 2 Insbesondere junge Frauen aus Provinzen wie Sezuan reisen in die Sonderwirtschaftszone und schuften einige Jahre in der Industrie. Sie arbeiten bis zu 70 Stunden pro Woche und leben in Wohnheimen. Sind sie länger arbeitslos, müssen sie die Sonderwirtschaftszone Shenzhen wieder gen Heimat verlassen. Die Frauenrate in der Elektronikindustrie liegt bei cirka 80%. Die Unternehmen gehen davon aus, dass Mädchen vorsichtiger und feinfühliger arbeiten, wenn es darum geht, klitzekleine Elektronikteile zusammenzubauen. Obwohl Shenzhen das höchste Pro-Kopf- Einkommen Zentralchinas erzielt, liegt der Mindestlohn bei knapp über 100 Euro. SPRECHER 1 Gleichwohl sieht Arbeitsrecht-Urgestein Apo Leong einen langsamen Wandel. Es gibt mittlerweile Arbeitsrechtsbestimmungen in China, einen Mindestlohn und eine neue Generation von Arbeitern, die sich zunehmend ihrer Rechte bewusst wird. Im vergangenen Sommer gingen Tausende auf die Straße, um gegen die Sieben-Tage- Wochen und die Industriegifte in den Fabriken zu protestieren. Bei Demonstrationen allein blieb es nicht: 20 ZUSP: ZDF Klaus Kleber "Eine schreckliche Serie von Selbstmorden in einer riesigen chinesischen Elektronikfabrik wirft ein brutales Licht darauf, wo manche dieser wunderbaren Hightech-Spielzeuge herkommen, über die wir gerade wieder so begeistert reden. SPRECHER 2 Im Sommer 2010 erlangten die Fabrikarbeiter Shenzhens traurige Berühmtheit. Mindestens 14 Arbeiter des Hardware-Herstellers Foxconn hatten sich im Lauf des Jahres umgebracht. Die Gründe sind vielseitig: Schlechte Arbeitsbedingungen, zu hoher Druck, Heimweh oder soziale Abgrenzung. Der Skandal ging durch die Medien, denn Foxconn fertigt Produkte für bekannte Marken wie Apple, Dell, Nintendo und Sony. Allein in Shenzhen hat das Unternehmen über 400.000 Angstellte. Foxconn reagierte. Es brachte Auffangnetze an den Wänden der Wohnheime an, richtete eine Krisen- Hotline ein und erhöhte die Monatsgehälter. Doch auch im Januar 2011 beging ein Foxconn-Mitarbeiter Selbstmord. 21 O-TON Ruckus Die Gehälter wurden in wesentlich geringerem Maße erhöht, als das angekündigt wurde. Und die neuen Berichte, die ich jetzt bekommen habe, zeigen, dass die Firma auch versucht, selbst wenn sie das Grundgehalt erhöht, das Geld dann woanders einzusparen. Also Foxconn zahlt jetzt nicht die absolut niedrigsten Löhne, es gibt andere Bereiche, gerade Fabriken die quasi im grauen Bereich sind und viele so Fake- Produkte herstellen, die noch schlechter bezahlen als Foxconn. SPRECHER 2 Der Berliner Aktivist und China-Kenner Ralf Ruckus SPRECHER 1 Sollte der Westen chinesische Gadgets boykottieren? Die Arbeiterinnen sind keine Opfer, findet Ruckus. 22 O-TON Ruckus Als ich angefangen habe vor ein paar Jahren, fand ichs besonders erschreckend, dass wenn hier berichtet wird über Bedingungen dort, dann oft die Leute dort als Opfer erscheinen - die armen Arbeiterinnen dort - und ich aber gelernt habe in den letzten Jahren, und das auch hier darstellen will, dass sie keine Opfer sind, sie sind nicht passiv, nehmen nicht Sachen hin, sie nehmen ihre Zukunft auch selber in die Hand. Und die leisten Widerstand wo es geht. Das ist mir halt wichtig, dass das auch hier ankommt. SPRECHER 2 Ruckus ist Mitherausgeber eines Buches über die Streikwelle vom Sommer 2010 und hält direkten Kontakt zu den Arbeiterinnen. Auch sie, auf deren Rücken der westliche Gadgetkonsum aufbaut, schätzen Gadgets. 23 O-TON Ruckus Ein MP3-Player oder auch ein Handy, das ist dann nicht das neueste oft, sowas können sie sich schon leisten, wollen sie auch haben. Ist auch Teil ihrer Kultur, sie hören viel Musik und singen. Das ist allgemein in China, dass die Leute daran Spaß haben. Und bei Handys ist ganz wichtig, sie haben ja keine feste Wohnung. Und das Handy ist im Prinzip das wichtigste Kommunikationsmittel um mit anderen Leuten in Beziehung zu treten. Das heißt, es ist nicht nur ein reines Gadget - die haben da auch einen Gebrauchswert für die Menschen da. 24 ZUSP: Atmo SEG-Markt SPRECHER 1: Der lärmende "SEG-Market" ist der Großmarkt im Zentrum von Shenzhen. Und ein Gadgetparadies. 30-40 riesige, vierstöckige Gebäude, in denen tausende hier ansässige Firmen ihre Produkte präsentieren. Vollgestopfte Ministände, wuselnde Menschenmengen, schlechte Luft. Die einen verkaufen Chips und Platinen, aber auch für Handy-Tastaturen gibt es eigene Etagen. In anderen Hallen werden gebrauchte Handys sackweise gehandelt und in ihre Einzelteile zerlegt. Am auffälligsten sind aber die vielen tausend Quadratmeter voller Fake-Handys. 10 bis 15 Prozent des Handyweltmarktes werden hier abgewickelt. Wolfgang Spraul sieht hier die größte Ansammlung von Kleinherstellern. 25 O-TON Spraul Die Independent-Szene, ja, klar, das ist das größte in der Welt. Der SEG-Markt beliefert letztlich die ganze dritte Welt mit Telefonen. Indonesien, Malaysia, Pakistan, Mittel- und Südamerika. SPRECHER 1 Manche der hier angebotenen Telefone stammen aus derselben Fabrik wie das Original, sie sehen aus wie das Original und funktioneren auch so. Tony Ericsson, Nokaia, Nikia, Samsnug oder Samsong lauten die abgewandelteren Produktnamen. Ein Nokia in Goldbarrenform wird genauso angepriesen wie Armbanduhr- oder Zigarettenschachtel-Handys. Und natürlich gibt es iPhones in allen Größen und Bauformen. 26 O-TON Spraul Die kosten 50-60 US-Dollar, das ist erstmal nicht schlecht, das kommt bei vielen Leuten in ärmeren Ländern gut an. Weil für jemanden der auf den Philippinen irgendwo lebt, der sieht in irgendwelchen Fernsehshows das iPhone und will dann in seinem Dorf auch der erste sein, der das iPhone hat. Das spielt auch keine Rolle ob es das echte iPhone ist oder nicht, weil im Dorf sich sowieso keiner das echte iPhone leisten könnte. Also der hat dann einfach sein iPhone, genauso wie es in Sex and the City aussieht. ZUSP TRENNER /MUSIK 27 ZUSP: Ipad - Vermutungen "The iSlate, the iTablet, the MacTablet, the ..." SPRECHER 1? Sogar der Name dieses Markengeräts ist geheim. Heißt das neue Wundergerät iSlate, iTablet, iPad oder ganz anders? Ein 10-Zoll-Bildschirm oder kleiner? Kamera? Knöpfe? Gesichtserkennung? Gestensteuerung auch an der Rückseite des Gehäuses? Welches Betriebsystem? Preis über 800 Dollar? Welche Inhalte wird das Gerät darstellen? SPRECHER 2 Diese Fragen waren mehrere Jahre Stoff für unzählige Gerüchte, Artikel und Fotomontagen, die im Netz kursierten. Aber Apple bleibt stumm. Durch extreme Verschwiegenheit geschürte Spekulationen sind die beste Werbung - auch wenn ein Ex-Manager zugab, dass Apple die Gerüchteküche gezielt mit inoffiziellen Informationshappen am Laufen hällt. Gerüchte, wie die angebliche Aussage des Apple- Chefs Steve Jobs, dass das Tablet die bedeutenste Produktentwicklung seiner Karriere sei. 28 O-TON :Steve Jobs "Thanks for coming this morning - we've got some fun stuff. So I'd like to start. I liked the best amazing incredibly good. ? 29 O-TON Daniel Fiene Apple hat in den letzten Jahren eine interessante Strategie entwickelt, doch die ganze Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. SPRECHER 2 Daniel Fiene, Medienjournalist 30 O-TON Daniel Fiene Die halten keine normalen Pressekonferenzen mehr ab, sondern das Ganze ist zu einem richtigen Event verkommen. Es ist eine richtig große, ausgeklügelte Bühnenshow die über Tage hinweg trainiert, probiert wird. Und das zeigt auch wie wichtig diese ganzen Präsentationen für den Konzern sind, das sind keine Pressekonferenzen mehr, das sind große Verkaufsshows. Das heißt es gibt ein enormes Interesse dass die ganzen Netznutzer auch schon live bei dem Stream dabei sein wollen, die wollen es direkt ungefiltert sehen, was natürlich auch die Presseleute unter Zugzwang setzt, damit sie möglichst schnell und möglichst viel berichten, damit sie natürlich auch in diesem Nachrichtenfluss ne Rolle spielen. 31 O-TON Gutjahr Ich bin glaube ich weltweit sogar der erste Kunde, der das iPad gekauft hat. ?SPRECHER 2 Richard Gutjahr, 37, ist Fernsehjournalist beim Bayerischen Rundfunk in München, Blogger und selbsternannter "Apple-Addict". Durch glückliche Umstände gelangte er ganz vorne in die Warteschlange für das iPad - und präsentierte seine Erlebnisse der Apple-Fangemeinde im Internet. SPRECHER 1 Natürlich macht sich der Münchner Fernsehmoderator und Blogger damit zur inffoziellen Werbefigur - als Journalist ist das pikant. 32 O-Ton Gutjahr: Das ist Authentisch. Ich mach ja sozusagen nichts anderes was ich in meinem realen Leben auch tue. Nur dass ich halt auch darüber berichte, blogge oder auch mal nen Youtube-Film darüber mache. Das ist echt! Das ist nicht gekauft, ich kriegt da kein Geld dafür, ich interessiere mich halt für diese Geräte und so bin ich. ?SPRECHER 1 Jemand der sich freut, wenn Meinungsmacher öffentlich über bestimmte Geräte berichten, ist Stefan Ehgartner. Die Büros des Mittvierziger mit nach hinten gekämmten Locken befinden sich in edler Münchner Lage. Weitläufige Räume, klingelnde Telefone, Lager mit Promomaterial. Rund 20 Angestellte koordinieren hier die Öffentlichkeitsarbeit für so unterschiedliche Produkte wie Fahrrad-Sättel, Spielzeugeisenbahnen oder Funktionsbekleidung aus Meriono-Wolle. Und HTC - Smartphones aus Taiwan. 33 O-TON Ehgartner Wir sind Geschichtenerzähler. Wir müssen spannende Geschichten schaffen. Wir müssen den Leuten ein Argument an die Hand geben, ein Image geben, was können sie mit diesem Gadget erfüllen, wie können sie sich differenzieren. Und wir versorgen natürlich auch die Konsumenten mit Informationen, vermitteln ihnen schöne Bilder, wir geben ihnen den "Reason why", also den Grund weshalb ich mir das kaufen soll. Ob rational oder nicht spielt keine Rolle. Aber wir müssen ein Kopfkino; wir müssen einen Film im Kopf dieser Menschen anschieben. SPRECHER 1 Das Internet kommt professionellen Geschichtenerzählern wie Stefan Ehgartner sehr entgegen. Traditionelle Gadgetfans sind meistens viel im Netz unterwegs. Populäre US- amerikanische Gadget-Blogs wie Gizmodo, Techcrunch oder Engadget sind mittlerweile relevante Werbeträger. Der Markt ist schnell, alle Blogs stehen in einem permanenten Wettstreit. SPRECHER 2 Für die deutsche Ausgabe von Engadget schreibt Sascha Kösch, Herausgeber des De:Bug - Magazins für elektronische Lebensaspekte. 34 O-TON Kösch Schnell sein im Internet heißt erster sein, heißt, man ist die Referenzquelle. Was wir von Engadget gerne machen, bei der IFA zum Beispeil, da kommen auch die Amis. Und da geht man mit den Amis zusammen auf Pirsch, bevor die Messe aufmacht. Da schleicht man sich in die Hallen. Und kuckt schon mal wo drunter. Ob's da was gibt! SPRECHER 1 Nach ähnlichen Prinzipien funktioniert auch das so genannte "Unboxing" - das erstmalige Auspacken und Inbetriebnehmen von Gadgets vor laufender Kamera. Im Optimalfall hat Unboxing auch einen praktischen Nutzen. Man lernt wie ein Gerät zu bedienen ist und welches Zubehör beiliegt. 35 ZUSP Unboxing - Collage (nach 10s drüber) 36 O-TON Sascha Kösch: Unboxing ist sowas wie son Strip. Da gehts ums Ausziehen. Um dieses tolle Gefühl, etwas zum ersten Mal auspacken zu dürfen. Hach, das ist ein schmieriges Thema, Unboxing. (evtl länger) SPRECHER 1 Das Wort "Unboxing" tauchte erstmals im Jahre 2006 auf und erlebt seither einen regelrechten Boom. Unboxing ist praktizierte Gadgetkultur - und die fast ausschließlich männlichen Geräte-Anbeter machen sich damit zum Vehikel der Werbeindustrie. ZUSP Trenner /Musik SPRECHER 1 Gadgets sind modische, populäre Statusymbole. Aber mit welcher Halbwertszeit? 37 O-TON Sascha Kösch Technologie ist so einer der Punkte wo man sich ziemlich sicher sein kann: da wirds weitergehen. Da wirds irgendeine Art von Fortschritt geben. Anders als zum Beispiel bei Frisuren. Wo man sich langsam mal wirklich fragen kann: gibts noch irgendeine Frisur, die eine Generation bezeichnet? ... Bei Technologie ist das halt ganz anders, weil sich Technologie notgedrungen durch den technischen Fortschritt immer weiter entwickeln muss. SPRECHER 1 "Gadget Mad: Maschinen sind die neuen Popstars" titelte Sascha Köschs "De:Bug- Magazin" vor zwei Jahren. 38 O-TON Kösch Das Phänomen: Technologie ist Pop. Das ist ne grundliegende Verschiebung, die es früher nicht unbedingt gegeben hat. Das man da son ne neue Technologie hat, die ist schön klein, die kann man mitnehmen und so. Und die wollen alle haben und die gehört plötzlich dazu, zur eigenen Identität. Man redet drüber wie über Popstars. Hey kennst du schon das neue... Das heißt so ne Zirkulation von Gadgets als Einheiten in nem Raum in dem man sich sozial definiert, in dem man sich selber bestimmt, sein Interesse, sein, naja all dieses Zeug, zirkulieren lässt, über das man redet. Das macht dann letztendlich Gadgets zu Popstars. SPRECHER 1 Vielleicht weil sie die wunderbaren "Allesgeräte" repräsentieren, die wir früher in Science-Fiction-Filmen immer bewunderten, meint der Publizist und Blogger Peter Glaser: 39 O-TON Glaser Die zeigen uns unmissverständlich, dass wir in der Zukunft leben, die vor 30-40-50 Jahren, ums "Jahr 2000" rum, kreiste. Da sind wir jetzt. SPRECHER 2 Beim Gadgethype wird es allerdings nicht immer bleiben, meint Richard Gutjahr: 40 O-TON Gutjahr Ich glaube diese Gadgets, diese Fixierung auf Gadgets, das ist nur ein Zeitphänomen. Wir befinden uns mittendrin im Übergang von Analog auf Digital. Und das ist etwas sehr Abstraktes. Und deswegen klammern wir uns so an dieses Technische. Irgendwann mal wird dieses Technische in den Hintergrund treten, wird unsichtbar werden, das hoffe ich zumindest. Aber im Moment ist es zumindest - da sind wir noch nicht! SPRECHER 1 Bis sich Gadgets ganz auflösen, werden sie dank immer kleinerer Chips noch viel günstiger und populärer werden. Wegwerfartikel fast. Der Gadgetzyklus dreht sich dann noch immer schneller. Falls nicht irgendwann eine Art Entschleunigung eintritt. Peter Glaser: 41 O-TON Peter Glaser Es verrät über unsere heutige Zeit dass die Märkte extrem überfüllt sind und dass ein extremer Lärm gemacht wird und ein extremer Lärm von Leuten die etwas verkauft wollen, gemacht werden muss. Damit sie überhaupt die Aufmerksamkeitsschwelle erreichen und ihre Produkte, ihre Dinge, möglicherweise abgesetzt werden können. Diese ganze Aufregung darüber dass es keine Übergänge mehr gibt sondern dass es nur noch eine einzige Veränderung gibt und dass so ein Gefühl des Gejagtseins und der Hetze verbreitet wird, das halte ich sozusagen für Kulisse. Man kann dem mit einer auch für andere Teile des Informationszeitalters sehr nützlichen Strategie entgegentreten. Nämlich mit Ignoranz.