COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Sendereihe: Forschung und Gesellschaft Datum: 12. Dezember 2013 Zeit: 19:30 Uhr Titel: Tod aus dem Stall Wie Antibiotika aus der Tierzucht den Menschen bedrohen Autor: Banse, Philip Redaktion: Jana Wuttke Jedes Jahr sterben in deutschen Krankenhäusern geschätzt zwischen 10.000 und 50.000 Menschen, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr wirken, die Krankheitserreger gegen sie immun sind. Eine der wichtigsten Quellen dieser Resistenzen ist die industrielle Tiermast. Hähnchen, Schweine und Rinder - Bestände von Zehntausenden Tieren werden oft komplett mit Antibiotika behandelt, weil ein Tier erkrankt ist - oft sogar mit Antibiotika, die für Menschen gedacht sind. Welche wirtschaftliche Rolle spielen Antibiotika im System der Massentierhaltung? Philip Banse hat einen Tierarzt bei seinem Arbeitsalltag begleitet: 1 OTON Ebner-Reportage-Station4-Klauen-Untersuchung-Schaben (Muh, Besen) Hier sehen sie noch die ganz traditionellen Werkzeuge. Früher hatten die Tiere so weiche Klauen in den alten Aufstallungen, dass man praktisch mit so einem Messer die Klaue korrigieren konnte. Das geht heute mit den Aufstallungsformen, die wir jetzt haben natürlich nicht mehr. (schnitzt am Huf) AUTOR Die Kuh hat keinen Auslauf, steht nur in der Box, nicht auf Stroh, sondern auf einem Gitter. Deswegen hat sich ihr Hinterhuf entzündet, sagt Tierarzt Rupert Ebner. Von außen ist nur eine Rötung zu erkennen. 2 OTON Ebner-Reportage-Station4-AB- -ATMO In 90 Prozent der Fälle würde so einer Kuh zuerstmal ein Antibiotikum gespritzt. AUTOR Aber Ebner will das vermeiden, schnitzt immer mehr Horn weg vom Huf. 3 OTON (weiter) BANSE: Jetzt machen sie da ein Loch rein? EBNER: Ich schaue mal, wohin das geht. Sie sehen schon, da kommt überall Eiter raus. Das ist alles unterminiert. Ich nehme die Flex, lege das frei, mache einen Verband drüber und das hat gute Chancen, dass so was heilt. ATMO Ebner-Reportage-Station4-Flexen (flext den Huf ab) AUTOR Nach einer halben Stunde Arbeit am Huf fährt der Tierarzt vom Bauernhof seines Kunden, einem Kleinbauern in der Nähe von Ingolstadt, wo Ebner seine Tierarzt-Praxis hat. 4 OTON Ebner-Reportage-Station4-AB-nicht-gebraucht-zufrieden (Im Auto) Das war jetzt wieder sehr befriedigend, weil wenn man das sieht, dass so eigentlich kaum was zu sehen ist von außen nur der Ballen so ein bisschen geschwollen, ja, ach, da neigt Tierarzt schon dazu, schnell die Antibiotikaspritze zu geben und zu schauen, weil das ist halt doch harte Arbeit, auch nicht gut bezahlt, aber es ist halt Tiermedizin. Es ist halt befriedigend. Jetzt haben wir eine Diagnose. Wir haben einfache, gut funktionierende Therapie. Die Kuh wird zu 99 Prozent wieder fit und wir haben keinen Tropfen Antibiotika gebraucht. AUTOR Antibiotika gehören zu den größten Errungenschaften der modernen Medizin. Bevor diese keimtötenden Medikamente vor knapp 100 Jahren entdeckt wurden, sind Menschen an einfachen Infektionen gestorben. Doch gerade wird die Zeit zurückgedreht: Heute sterben wieder Menschen an einfachen Infektionen, sogar in Krankenhäusern. Denn immer mehr Antibiotika wirken nicht mehr. Dagmar Thysiak betreibt eine Selbsthilfegruppe für Menschen, bei denen Antibiotika nichts mehr ausrichten. 5 OTON MRSA-Opfer1 Mein Mann ist ja mit einer Harnwegs-Infektion ins Krankenhaus gekommen. Und er sollte schon wieder entlassen werden. Der Arzt druckste dann eines Tages rum und sagte, es ist was eingetreten. Ich sagte, ja, was ist denn? Ja, ihr Mann hat sich den MRSA-Keim geholt. AUTOR MRSA - das ist das Kürzel für Keime, die Menschen krank machen können und resistent geworden sind gegen Antibiotika. 6 OTON MRSA-Opfer2 Sie konnten praktisch sehen, wie der Keim meinen Mann auffraß. Er war nachher bis zum Bauchnabel schwarz und wie verfault, die Füße unten waren offen und der Bauch war geschwollen und mein Mann war er nicht richtig bei sich. Und nach einem halben Jahr ist er dann verstorben. AUTOR Eine der mächtigsten Waffen der Medizin wird stumpf: Immer mehr Bakterien und Keime sind immun gegen Antibiotika. In deutschen Krankenhäusern sterben nach Angaben des Berliner Robert Koch Instituts jedes Jahr bis zu 15.000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Tierarzt Rubert Ebner: 7 OTON Ebner-Problem-AB-machen-Res-15000-Tote Mit dem Einsatz eines Antibiotikas beginnt auch seine Resistenzbildung. Das ist einfach per Definition klar. AUTOR Denn durch ihre Angriffe auf Keime erhöhen Antibiotika den Selektionsdruck: Wer kann überleben? Nur die stärksten - nur die resistenten. Diese resistenten Keime vermehren sich und vererben die Fähigkeit zur Resistenz gegen bestimmte Antibiotika. 8 OTON Ebner-Problem-AB-machen-Res-15000-Tote Die Frage ist nur, wie schnell geht diese Resistenzbildung voran. Sie geht dann schnell voran, wenn häufig Antibiotika eingesetzt werden und sie geht dann schnell voran, wenn die Dosierung der Antibiotika nicht optimal ist, sprich zu niedrig dosiert wird oder zu kurz dosiert wird. Und dann entstehen Resistenzen. 9 OTON Hensel_Problem-RichtigerAB-Einsatz-entfernt Der Antibiotikaeinsatz mit dem richtigen Mittel, in der richtigen Dosierung für die richtige Zeit - davon sind wir in Deutschland, sowohl in Tiermedizin, als auch in der Humanmedizin, noch (denkt nach) entfernt. AUTOR sagt Professor Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, das der Bundesregierung untersteht. Antibiotika-Missbrauch beim Menschen ist lange bekannt. Antibiotika-Missbrauch bei Tieren rückt erst langsam ins Blickfeld der Öffentlichkeit. 10 OTON Focke_Tsunamiwelle Wir werden von einer Welle überrollt, die Tsunami-Qualität haben kann. AUTOR Warnt der Tierarzt und Buchautor Hermann Focke. Er war 18 Jahre leitender Amtsveterinär im Raum Südoldenburg, der Tiermastregion Deutschlands. In Deutschland werden jedes Jahr um die 1700 Tonnen Antibiotika an Tiere verabreicht - fast doppelt so viel, wie lange von der Pharmaindustrie behauptet. 11 OTON Ebner-80Prozent-TierAB-auchHumanAB Und die Problematik ist schlicht und einfach, dass 80% aller in der Tiermedizin verwendeten Antibiotika auch nach wie vor in hohem Maße wichtige Antibiotika für den Menschen sind. AUTOR Mehr Antibiotika in Ställen, gleich mehr resistente Keime bei Tieren. Professor Andreas Hensel vom Bundesinstitut für Risikobewertung: 12 OTON Für uns ist ja die zentrale Frage: Gibt es Resistenzen, die von Tieren oder von Produkten, die von Tieren gewonnen werden, die auf den Menschen übertragen werden? AUTOR Die Antwort lautet: ja. Denn für Mensch und Tier eigentlich völlig ungefährliche Keime haben die Fähigkeit, dass sie ihre Eigenschaft der Antibiotikaresistenz genetisch vererben können: So erben für den Menschen bedrohliche Keime eine Antibiotikaresistenz von Keimen, die aus dem Stall über Lebensmittel zum Menschen kommen, erklärt Bernd Alois Tennhagen vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Beispiel: Escherichia coli, ein auch für Menschen harmloses Bakterium im Tier-Darm. 13 OTON Tennhagen_Zunahme-der-Resistenz-transfer Und diese Keime haben Resistenzen gegen Cefalosporine erworben im Laufe der letzten Jahre, das hat sehr stark zugenommen in den Mastbetrieben. AUTOR Cephalosporine sind ein für Menschen wichtiges Breitband-Antibiotikum, das auch Tieren verabreicht wird - und so bei diesen harmlosen Darmbakterien eine Resistenz erzeugt hat. 14 OTON BfR_Tennhagen_Zunahme- Resistenz-transfer Und wir sehen eben mit Sorge, dass über diese harmlosen Keime, die auch in Lebensmitteln zu finden sind, die Keime zum Menschen gelangen und dort die Resistenzen dann auf andere Keime übertragen werden können. AUTOR Keime vom Tier können also an Keime im Menschen jenes Erbgut weiter reichen, dass sie gegen Antibiotika unempfindlich macht. So wandern Resistenzen aus dem Stall zum Menschen. 15 OTON Ebner-Reportage02- Kuh-Gebärmutter-AB (Bustür zu, Tür auf) [...] Wir kommen da zu einer Kuh, die sehr schwer gekalbt hat, wo es wohl verschiedene Verletzungen während des Kalbens gab. Ich habe sie Freitag gründlich untersucht und festgestellt, dass die Rückbildung der Gebärmutter nicht in Ordnung ist. Ich habe ihr dann Medikament gegeben, das dazu führen sollte, dass der Muttermund aufgeht und der Eiter abfließt. Und dann ist eben genau die Frage, wie behandelt man jetzt diese Infektion dieser Gebärmutter? Setzt man Antibiotika ein oder setzt man kein Antibiotikum ein? 16 OTON Ebner-Reportage03-Stall-Haltung (Ankunft beim Stall, Kittel anziehen) Autor Auf seiner heutigen Visite besucht der Ingolstädter Tierarzt Rupert Ebner einen weiteren Stall, etwa 20 Kühe stehen angekettet auf Gummimatten, liegen in ihrem Kot. Ebner streift einen schulterlangen Plastikhandschuh über und hält den Schwanz der Kuh zur Seite. Dann verschwindet sein Arm bis zur Schulter in der Kuh. 17 OTON Ebner-Reportage04-Wartezeit-Null BANSE: Jetzt greift er mit dem Handschuh hinten in die Gebärmutter. EBNER: Das hat schon gut funktioniert. Die Gebärmutter hat sich weitgehend entleert. Sie ist nur noch halb so groß wie sie war am Freitag. Das ist sehr erfreulich. Bernhard, grüß´ Dich. Geht´s ihr deutlich besser? BAUER: Joa, scho´. EBNER: Hier ist jetzt die Frage: Wie will man den Heilungsprozess noch beschleunigen? Und ich entscheide mich jetzt nicht für ein Antibiotikum, sondern ich nehme ganz einfaches Polyvidon Jod. Das Problem ist nur: Das Polyvidon Jod hat vier Tage Wartezeit auf die Milch. BANSE: Was heißt das Wartezeit auf die Milch? EBNER: Er darf die Milch jetzt vier Tage nicht liefern von dieser Kuh. BANSE: Das ist natürlich nicht so angenehm für ihn. EBNER: Ganz schlecht ist das für den Landwirt. BANSE: Bei einem Antibiotikum wäre diese Wartezeit nicht? EBNER: Null. Das muss mir jemand mal erklären. Ich zeigs ihnen! (raus aus Stall) Autor Ebner geht zur geöffneten Heckklappe seines Kleinbusses und zieht ein kleines Fläschchen aus einer Schublade - darin: jenes Breitband-Antibiotikum, das nur im Notfall eingesetzt werden sollte, damit möglichst wenig Resistenzen entstehen und es also bei Menschen auch noch wirkt, wenn übliche andere Antibiotika nichts mehr ausrichten. 18 OTON Ebner-Reportage05-Wartezeit-Null EBNER: Das ist das Cephalosporin, Antibiotikum, dafür zugelassen und geeignet, und hier steht... BANSE: "Wartezeit Rind, Milch: Null Tage." EBNER: Und das Polyvidon Jod hat vier Tage. Das soll mir mal jemand erklären. Neben der Anwendungspraxis gibt es also noch ungeklärte Zusammenhänge in der Arzneimittelzulassung. Autor Der Besitzer der Kuh steht schweigend neben Ebner. 19 OTON Ebner-Reportage07-Bauer-Jod BANSE: Für sie als Bauer wäre es doch besser zu sagen: Gib der Kuh ein Antibiotikum, dann kann ich weiter Milch liefern. BAUER: Da weiß ich zu wenig über die Wirkungsweisen der Medikamente. Vielleicht würde ich was anderes sagen, wenn ich mehr über die Medikamente wüsste (lacht). BANSE: Aber die wird schon wieder die Kuh, oder? EBNER: Die wird schon wieder die Kuh, keine Frage. Autor Eine eigenartige Praxis der Medikamentenzulassung ist nicht das einzige, was den Antibiotika-Einsatz im Stall begünstigt. ATMO Ebner-Reportage13-Station2-Anfunft (Ankunft mit Auto auf Hof, Kies, Stimmen, Begrüßung) AUTOR Rupert Ebner fährt mit seinem Kleinbus auf den Hof von Martin Weber in Freinshausen. Früher standen 25 Kühe im Stall, heute sind es über 50. Bauer Weber hat einen Futtermischwagen gekauft, der habe zu einer Leistungsexplosion bei den Kühen geführt, sagt Ebner: Statt 7000 Liter Milch im Jahr, gebe eine Kuh jetzt bis zu 9000 Liter. "Kühe auf Vollgas", sagt Ebner, damit hätten auch die Gesundheitsprobleme der Tiere zugenommen. 20 OTON Ebner-Reportage13-Station2-Abspülen (Abspülen der Stiefel, Wasserplätschern) Einen Kübel Wasser brauche ich. Die hat jetzt gestern gekalbt und da kommt es bei Kühen in der Regel zu einer Komplikation, die oft nicht zu vermeiden ist, dass eben die Secundinae, die Nachgeburt nicht abgeht. Und das machen wir jetzt. AUTOR Ebner streift sich wieder einen dieser langen Plastikhandschuhe über und schiebt seinen Arm bis zur Schulter in die Kuh. Mit der Hand löst er die Nachgeburt in der Gebärmutter ab, holt sie raus und lässt sie aufs Stroh fallen. Eine solche Behandlung werde von Tierärzten abgelehnt, die sich für die Argumente der Pharmaindustrie offen zeigen, sagt Ebner. 21 OTON Ebner-Repor13-Station2-Reserver-AB-Einsatz- EBNER: Sie raten über die landwirtschaftlichen Zeitschriften den Bauern, die Kühe zu beobachten und im Falle, dass sie von dieser Problematik Fieber bekommen, den Einsatz eines systemischen Antibiotikums. AUTOR Tiere mit einer festsitzenden Nachgeburt sollen demnach also zunächst nicht behandelt werden. Erst wenn sie ernsthaft krank werden, bekommen sie nach der Industrie-Therapie ein Antibiotikum, das im ganzen Körper wirkt, also auch Keime im ganzen Körper zur Resistenzbildung anregt. 22 OTON Ebner-Reportage13-Station2- Ja, genau. Wir haben das natürlich auch ausprobieren müssen. Ich kann nur sagen: Unsere Tiere werden damit schwer krank, wenn man es drin lässt und systemische Antibiotika spritzt. Und das dazu zugelassene und empfohlene Antibiotikum ist ein Cephalosporin der dritten Generation - unzweifelhaft ein Reserve-Antibiotikum. AUTOR Also wieder jenes Antibiotikum, das eigentlich möglichst nicht eingesetzt werden soll, damit es im Notfall weiter für Menschen wirksam bleibt. Dieses Notfall-Antibiotikum, sagt Ebner, werde Rindern nach problematischen Zwillingsgeburten jedoch routinemäßig gespritzt - anders sei Massentierhaltung nicht möglich. 23 OTON Focke_Reserver-hilft-gar-nichts-mehr Und wenn ich die jetzt vermehrt in der Tiermast einsetze, wird es Jahr für Jahr nötig sein, die Dosen zu erhöhen. AUTOR Der Tierarzt und einstige Amtsveterinär Hermann Focke. 24 OTON Focke_Reserver-hilft-gar-nichts-mehr Durch die Reserveantibiotika werden Resistenzen geschaffen und eines Tages - und diese Zeit ist gar nicht so fern - hilft gar nichts mehr. AUTOR Eigentlich ist vorgeschrieben: Der Tierarzt darf Antibiotika nur für Tiere verkaufen, die er selber gesehen und untersucht hat. Doch zum Stall fahren, Tier untersuchen, Diagnose stellen - das ist viel Arbeit, bei Tausenden Ferkel in einem Stall kaum möglich. Also werden genaue Anwendung und Dosierung der Antibiotika oft den Bauern überlassen. 25 OTON Ebner-Reportage13-Station2- BANSE: Warum macht man das überhaupt? Ist das weniger Arbeit für irgendjemanden? EBNER: Genau, genau. Das ist ja die Philosophie: Spritze rein und fertig. BANSE: Aber der Tierarzt muss ja trotzdem vorbei kommen. EBNER: Der Tierarzt muss natürlich nicht vorbei kommen. Der sagt, wir haben hier 300 Kühe im Stall, ja, es ist zu erwarten, dass ich in der nächsten Zeit 30 Geburten habe, davon bleiben vielleicht zwei Nachgeburten hängen, und... BANSE: Das heißt, dann bekommt der Landwirt zehn Spritzen auf Vorrat und haut die selber rein? EBNER: Genau. 26 OTON Ebner-Problem-Abgabe-ohne-Diagnose Da liegt ja das große Problem, dass dieser unkontrollierter Einsatz von Antibiotika eben nur deshalb stattfindet, weil die seriöse Diagnostik nicht durchgezogen wird, sondern viele Bestände einfach willkürlich mit diesen Substanzen von Tierärzten beliefert werden und sich damit überhaupt keine Gedanken machen müssen, ob sie ihre Stallungen verbessern müssen, ihre Tierzucht verbessern müssen, ob sie ihr Füttersystem umstellen müssen. AUTOR Auch er gebe 800 Ferkeln Antibiotika, wenn 10 Schnupfen haben, gesteht Ebner - Kosten und Aufwand für den Bauern seien sonst zu hoch. Antibiotika auf telefonische Bestellung - das mache er jedoch nicht. 27 OTON Ebner-Problem-Bauer-bestellt-Arzt-liefert Es gibt sicher die ganz viele Tierärzte, die diesen Forderungen nicht wiederstehen können. Da eben mal einzuschreiten, das hat der Staat und die Überwachungsbehörden bis zum heutigen Tag nicht mal ansatzweise geschafft. 28 OTON Ebner-Problem-Kontrolle-Veterinäre-kennen-ihre-Leute-kontrollieren-nicht BANSE: Die Veterinärämter kennen doch in ihrem Gebiet jeden Tierarzt, wissen genau was passiert. Warum gehen die nicht hin und kontrollieren? EBNER: Das kann man nur vermuten, aber es liegt doch auf der Hand, dass die Protektion dieses Systems gesellschaftlich gewollt ist. AUTOR Nur selten landet Antibiotika-Missbrauch vor Gericht. 29 OTON Ebner-Problem-Kontrolle-Behörden-frustriert Und die paar Fälle, die vor Gericht kommen, gehen lächerlich aus. Da geht es um Hundertausende Euro Umsatz und da gibt es dann mal eine Strafe oder einen Strafbefehl - die werden aber nicht veröffentlicht. Statistiken können sie nur erstellen, wenn Urteile gefällt werden. Da steckt politischer Wille dahinter, das nicht zu verfolgen. AUTOR Die Nachfrage nach Antibiotika wird durch eine bei Mästern willkommene Nebenwirkung weiter angefacht: Antibiotika regen den Stoffwechsel an, sprich: Tiere, die Antibiotika bekommen, wachsen schneller. Antibiotika als Mastmittel, verfüttert an gesunde Tiere? Das ist seit 2006 verboten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium schreibt: ZITATOR "Nach dem Arzneimittelgesetz dürfen Antibiotika nur zur Behandlung von kranken Tieren eingesetzt werden, keinesfalls zur Wachstumsförderung oder zur Prophylaxe. Verstöße gegen diese Vorschriften sind strafbar." AUTOR Keine gesunden Tiere? Nicht zur Vorbeugung? Das müssten die Kontrollbehörden der Länder durchsetzen. Doch in der Praxis schert sich kaum jemand um diese gesetzlichen Verbote. Unter der Überschrift "Grippebekämpfung 3.0" wirbt etwa die Firma "Intervet" ganz offen dafür, gesunden Tieren Antibiotika zu spritzen. In der Werbung schreibt die bayrische Pharmafirma: ZITATOR "Die vorbeugende Behandlung ist immer dann sinnvoll, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Tiere mit hoher Wahrscheinlichkeit erkranken würden, wenn nicht behandelt wird." AUTOR Auch in den Ställen ist nicht angekommen, dass es verboten sein soll, gesunden Tieren Antibiotika zu verabreichen. Wenn von 30.000 Hühnern zehn erkranken, ist es üblich, alle 30.000 Hühner mit Antibiotika zu füttern, sagt der pensionierte Amtsveterinär Hermann Focke. 30 OTON Focke_Bestandsbehandlung Das ist die Regel. Das ist die Regel. In weit über 95 Prozent der Fälle werden nicht Tiere rausgenommen oder separiert, sondern der gesamte Bestand wird behandelt, wenn Erkrankungen auftreten. AUTOR Bis zur ebenfalls illegalen Antibiotika-Mast ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, den kaum ein Amtstierarzt prüfen kann. Er müsste feststellen, ob ein legal erworbenes Antibiotikum wie verschrieben 5 Tage in regulären Dosen verabreicht wird, um Tiere zu heilen oder ob 15 Tage kleinere Dosen verabreicht werden, um die Tiere zu mästen. 31 OTON Ebner-Reportage13- Nummer-vergessen (Auto) Jetzt haben wir noch was vergessen.... Wir brauchen noch die Nummer der Kuh! Wir brauchen ja für den Anwendungs- und Abgabebeleg ja noch die Nummer der Kuh, das hätten wir jetzt fast vergessen.... AUTOR Die vorschriftsmäßige Anwendung von Antibiotika bedeutet also, dass der Arzt jedes Tier persönlich untersucht und in jedem Fall abwägt, ob ein Antibiotikum angesagt ist. Das allerdings ist viel Arbeit und mitunter hat die verantwortungsvolle Therapie aufgrund eigenartiger Medikamentenzulassungen gravierende Nachteile für Bauern und Züchter. ATMO (im Auto) AUTOR Wer Antibiotika-Missbrauch auf die Spur kommen will, muss wissen, wo besonders viele Antibiotika eingesetzt werden, sagt der Tierarzt Rupert Ebner, der Vizepräsident der bayrischen Landestierärztekammer war. 32 OTON Ebner-Gegenmaß-Kontrolle-Konkreter-Fall Ich habe einen solchen Fall persönlich miterlebt. Da war folgende Situation. In unserer Gegend hatte eine Amtstierärztin eine Tierarztpraxis überprüft und ihr ist aufgefallen, dass dieser Kollege nicht mal Schutzkleidung oder ein Fieberthermometer im Auto hatte. Daraufhin hat sie die Anwendungs- und Abgabebelege dieses Betriebes beschlagnahmt. Und da hat sich raus gestellt, dass er an diesem Tag 600 km gefahren war, ländliche Strecken, da brauchen sie schon ein paar Stunden dafür, und dass er 120 Kühe, 300 Kälber und so weiter behandelt hat - laut diesem Papier. Und mit diesen Unterlagen ging das Veterinäramt vor Gericht. Der Prozess hat einen Tag gedauert. Der Tierarzt wurde verurteilt wegen nicht sachgemäßer Medikamentenabgabe, hat soundso viel Tagessätze bekommen, er hat auch alles eingeräumt. Nur: Er hat seine Praxis hier geschlossen und ist nach Hessen gezogen und Arbeitet seit dem nach dem gleichen System in Hessen weiter. AUTOR Besonders viele Tierärzte müssten Kontrolleure nicht anfahren, sagt Ebner: 33 OTON Ebner-Problem-50-Praxen-50-Umsatz In Deutschland gibt es rund 3200 Tierarztpraxen, die sich mit Nutztieren beschäftigen. Den Medikamentenumsatz zu 50 Prozent machen 50 Praxen. AUTOR Die Hälfte aller Tierarzneimittel geht an 50 Praxen. Diese Zahl kursiert in Tierarztkreisen 34 OTON Ebner-Problem-50-Praxen-50-Umsatz Die Struktur dieser Praxen ist bekannt. Sie haben ein ganz nahes Verhältnis zu den bäuerlichen Organisationen, zu den Ferkelerzeuger-Organisationen, zu den Tierzucht-Organisationen und sie brüsten sich damit, dass sie Betriebe betreuen, die 600 km von ihrer Praxis liegen. AUTOR Sprich, Tiere nicht persönlich untersuchen und behandeln, sondern einfach Antibiotika auf Bestellung an Mastbetriebe verschicken. Doch die Lobby der Pharmaindustrie ist mächtig und so kam erst mal die nur die DIMDI-Verordnung heraus. Diese Verordnung besagt: Hersteller und Lieferanten von Tier-Antibiotika müssen einmal im Jahr melden, wohin sie wie viele Antibiotika geliefert haben. Allerdings: Die Hersteller müssen nicht etwa den Namen und Adresse des Tierarztes angeben, der die Antibiotika bekommen hat. Gemeldet werden nur die ersten beiden Ziffern der Postleitzahl der Region, in die Antibiotika geliefert wurden. ATMO (im Auto) 35 OTON BANSE: Das heißt man kriegt nur die ungefähre Region, in die Medikamente gegangen sind. Welche Höfe, wie viel bekommen haben, für welche Krankheiten sie es angewendet haben, wie oft, in welchen Mengen, für welche Tiere - EBENER: Null. BANSE: Null? EBNER: Null. AUTOR Trotzdem sind die DIMDI-Zahlen interessant. So stellten Experten vor zwei Jahren, als die Zahlen erstmals auf den Tisch kamen, verwundert fest: In Deutschland werden fast doppelt so viele Tier-Antibiotika ausgeliefert wie die Pharmaindustrie jahrelang behauptet hatte, nämlich über 1700 Tonnen im Jahr. Jetzt wurde die Jahreslieferung zum zweiten Mal veröffentlicht. Ergebnis: 2012 wurden 87 Tonnen weniger Tier-Antibiotika ausgeliefert als im Jahr zuvor. Ein Beleg für den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika, jubelt der Deutsche Bauernverband: Entwarnung! 36 OTON Focke_DIMDI2012_Nebel Das ist keine Entwarnung, das sind Nebelkerzen. AUTOR Entgegnet der langjährige Amtstierarzt und Buchautor Hermann Focke. 37 OTON Focke_DIMDI2012_Mehr-Tagesdosen Hinsichtlich der Tagesdosen sind es sehr viel mehr Antibiotika, die eingesetzt wurden in 2012 als in 2011. AUTOR Denn weniger eingesetzt werden nur die alten, immer unwirksameren Antibiotika, von denen Tiere immer höhere Dosen benötigen. Mehr verbraucht werden dagegen die immer noch hochwirksamen Reserve-Antibiotika wie Cephalosporine, die noch in kleinen Mengen wirken. So wurden unterm Strich zwar weniger Tonnen Antibiotika ausgeliefert, mit ihnen lassen sich aber wesentlich mehr Tiere behandeln. Die für den Menschen lebenswichtigen Reserve-Antibiotika sind also für Tierärzte besonders attraktiv: Denn je weniger sie verabreicht werden, desto wirksamer sind sie. Wer also verschreibt und verkauft besonders rücksichtlos Antibiotika? Mit den groben DIMDI-Zahlen kommen Kontrolleure nicht weiter. Sie müssen exakt wissen, welcher Hof wie viel Antibiotika verbraucht. Diese Zahlen gibt es seit Jahrzehnten - bei den Tierärzten. 38 OTON Ebner-Belege5-Was-erfasst-wird EBNER: So sieht das jetzt aus. Hier steht unsere Praxis droben. BANSE: Das ist der Ausdruck. EBNER: Hier steht die Kuh-Nummer drin, hier steht die Diagnose, hier steht das Medikament drin. Das ist die Dosierung, die Applikationsart, die Chargennummer. Nachdem der Landwirt nichts anwendet, steht da natürlich nichts drin. Da würde noch drin stehen, wenn der Landwirt weiter behandeln soll. Und da hinten steht die Wartezeit - sogar sieben Tage für das Vedisept?! Und dann steht da eben der Tierarzt, der das behandelt hat. 39 OTON Ebner-Dokumentation-Alles-bei-Ärzten-Bauern Momentan liegen alle Daten über Tierarzneimittel in den Tierarztpraxen und in den landwirtschaftlichen Betrieben vor. Die Tierärzte haben genau Aufzeichnungen zu führen, was sie für Medikamente einkaufen - heute schon. Die Tierärzte haben eine jährliche Bilanzpflicht über ihre Medikamente zu erstellen. Das heißt, wir müssen einmal im Jahr hergehen und alles das, was wir gekauft haben zusammenfassen; alles, was wir abgegeben oder angewandt haben erfassen; alles, was in unserer Apotheke steht; und dann müssen wir - wenn die Behörde das will - zeigen, wie wir mit unserem Medikamentenschatz umgegangen sind. BANSE: Aber die Behörde muss nachfragen. EBNER: Sie muss nachfragen. AUTOR Das aber machen Behörden zu selten, klagt der ehemalige Kontrolleur Hermann Focke. Personalmangel sei nur ein Problem. 40 OTON Focke_Lobby-mächtig Die Agrar- und Pharmaindustrie hat eine unwahrscheinlich starke Lobby. Mit die stärkste in der Bundesrepublik. AUTOR Die Kontrolle obliegt den Bundesländern. Sie müssen jetzt eine Antibiotika-Datenbank aufbauen, die neuen Vorschriften auch durchsetzen und Sanktionsmöglichkeiten nutzen. Hermann Focke bezweifelt jedoch, dass die neuen Vorschriften an der eigentlichen Ursache des Antibiotika-Missbrauchs etwas ändern können: an der Massentierhaltung. 41 OTON Focke_System-ist-krank Nicht nur die Tiere sind krank, das ganze System ist krank. AUTOR Denn wenn Ställe zu groß werden, hilft auch kein Bio mehr. STERN TV fand auch auf Biofleisch antibiotikaresistente Keime. 42 OTON Ebner Wenn man diesen industriellen Haltungsformen das Betriebsmittel Antibiotika wegnimmt, dann sind sie nicht mehr rentabel. AUTOR Sagt der Ingolstädter Tierarzt Rupert Ebner. 43 OTON Ebner-Haltung-Schweinefütterung-nicht-ohne-AB-Kontrolle / Ebner-Haltung-Schweinefütterung-nicht-ohne-AB Beim Schwein und noch mehr beim Geflügel weiß man ja ganz genau, wenn man die Fütterungsration so berechnet, dass es zu maximalen täglichen Zunahmen kommt, dass das natürlich immer eine Grenzsituation ist, ob der Darm das packt oder nicht. Und wenn er es eben nicht packt, dann kommen eben Krankheitserreger in den Darm hoch, die das Tier wirklich krank machen und schädigen. Und wenn ich dann weiß, dass ich meine Ration gar nicht ändern muss, sondern für ein paar Euro Medikamente dazu gebe und das Problem gelöst habe, dann nutze ich diese maximale Zuwachsrate der Tiere, weil sich das wirtschaftlich einfach rechnet. Und das raus zu arbeiten, zu sagen: Hier wird mit Fütterungsrationen gefahren, die quasi den Einsatz eines Antibiotikums höchstwahrscheinlich machen. Das ist das, was ich unter intelligenter und zukunftsweisender Überwachung sehe. Aber davon sind wir ja Lichtjahre entfernt. Da müssten die ganzen Ausbildungswege ganz anders sein, damit man so was erfassen könnte. AUTOR Antibiotika-Missbrauch in Ställen gefährdet Menschenleben und hält ein System der Massentierhaltung am Laufen, dass Tiere nur noch als Ware verbucht. Mit gesetzlichen Vorschriften allein könne das Antibiotika-Problem nicht gelöst werden, sagt Andreas Hensel vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Billiges Fleisch und billige Eier seien ohne Massentierhaltung nicht zu haben. Wer besseres Fleisch und andere Lebensbedingungen für Tiere wolle, müsse mehr zahlen. 44 OTON Hensel_Gegenmass-Teuer-Einkaufen Hier bei den Tieren, die gehalten werden, hat jeder Verbraucher die Möglichkeit, wenn er Geld in die Hand nimmt, ein Tier zu kaufen, was Antibiotika-frei gehalten wurde. Diese Produkte gibt es auf dem Markt. Wenn man möchte, dass ein Produkt Antibiotika-frei ist, kann man durch seine Wahl beeinflussen, welche Anwendungsformen in der Breite Anwendung finden. 1