DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Dossier "Vorsicht, Zivilcourage! Vom gefährlichen Leben der Whistleblower" Ein Feature von Michael Reitz Sprecher: Sigrid Burkholder und Frank Mayer, Sprecherin Ansage/Zwischentitel: Bettina Scholmann Produktion 14. und 15. September M2 ------ Redaktion/Regie: Ulrike Bajohr Ton und Technik: Michael Morawietz und Anna D`hein URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio 01 Tonbandprotokoll Nixon ? Haig Nothing else of interest in the world today? ? Yes Sir, very significant. This goddamn New-York-Times expose of the most highly classified documents of the war (..) ? Do you think that was leaked out of the Pentagon? ? This is a devastating security breach, of the greatest magnitude of anything I've ever seen. ? I'd just start right at the top and fire some people 01 unter Text Sprecher : Juni 1971. General Alexander Haig, militärischer Berater des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon, informiert seinen Vorgesetzen über ein schweres Sicherheitsleck. Die New York Times ist im Besitz geheimer Dokumente aus dem Pentagon. Sie belegen, dass die Vereinigten Staaten den Vietnamkrieg provozierten ? und ihn auch trotz der hohen Verluste weiter führen wollen. Die undichte Stelle hat einen Namen: Der US-Regierungsbeamte Daniel Ellsberg gab die Papiere an die Presse. Seiner Zivilcourage ist es zu verdanken, dass die amerikanische Öffentlichkeit von nun an nicht mehr länger über den Krieg belogen werden kann. 01 weiter .... the mass got fight in the Democratic Party, understand, against the war. Aginst the war. (..) It's a Pentagon study, yeah? Sprecher weiter: Er war das, was man einen Whistleblower nennt. M1 (Musik: CD: Michael Sell/Super/Track 1/ von Anfang bis 15") Ansage "Vorsicht, Zivilcourage! Vom gefährlichen Leben der Whistleblower" Ein Feature von Michael Reitz M1 (Musik hoch, weiter, darauf ) Sprecherin Whistleblower, abgeleitet vom Englischen: "to blow the whistle". Die Trillerpfeife blasen. Alarmschlagen. Bezeichnet einen Menschen, der Missstände oder illegales Handeln an seinem Arbeitsplatz wahrnimmt... und dieses Wissen an die Öffentlichkeit bringt. M1 (Musik 36 bis 40" stakkato, darauf) Sprecher Mordechai Vanunu, israelischer Nukleartechniker. Machte das Atomwaffenprogramm seines Heimatlandes publik und saß dafür achtzehn Jahre im Gefängnis. M1 (Musik 36 bis 40" stakkato, darauf) Sprecherin William Felt, alias "Deep Throat". Hoher FBI-Beamter, gab die entscheidenden Informationen zum Watergate-Skandal und sorgte so für den Sturz von US-Präsident Nixon. M1 (Musik 36 bis 40" stakkato, darauf) Sprecher Alexander Nikitin, Kapitän der russischen Marine. Deckte die unzureichende atomare Sicherheit der Nordmeerflotte auf und landete wegen Landesverrats und Spionage mehrere Jahre in Haft. (Musik weiter, darauf) Sprecherin In den USA und in Großbritannien stehen das hohe persönliche Risiko und das gesellschaftliche Engagement der Whistleblower seit Ende der 1980er-Jahre unter ausdrücklichem gesetzlichen Schutz. Sprecher Und in Deutschland? M1 (Musik bei ca 1`04 hoch und weg. ) O-Ton (02) Deiseroth: Bei Whistleblowing geht es ja um die Frage, ob Insider in einem Betrieb, in einer Dienststelle ihre Auffassung (...) zu Missständen, zu Fehlentwicklungen aussprechen und an außenstehende Stellen weitergeben dürfen. Sprecher (hier Atmo von O-Ton) Dieter Deiseroth, Richter am Leipziger Bundesverwaltungsgericht, juristischer Berater des deutschen Whistleblower-Netzwerks. O-Ton (3) Deiseroth: Sei es an Staatsanwaltschaften, Polizei, Gewerbeaufsichtsämter, Lebensmittelkontrollbehörden (...) Und die Frage (...) in welchem Umfang können sie sich dabei auf Grundrechte stützen, weil ihnen eben bei jeder dieser Whistleblower-Aktivitäten (...) entgegengehalten wird (...) sie hätten ihre Treuepflicht verletzt gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Dienstherren, und (...) sie hätten den Betrieb geschädigt. Sprecher In Deutschland ist die Lage für einen potentiellen Whistleblower ausgesprochen prekär. M1 (auf Musik 1`16 bis 1`26) Denn hierzulande gilt jemand, der mit seinem Insiderwissen an die Öffentlichkeit geht, immer noch als Sprecherin Verräter, Sprecher Netzbeschmutzer, Sprecherin Denunziant. (Musik weg) Sprecher: Und nicht etwa als jemand, der seinem Land und der Demokratie einen großen Dienst erweist, indem er, der verantwortungsvolle Bürger, Hochbrisantes ans Tageslicht bringt. O-Ton (4) Deiseroth: Jedem Whistleblower wird ja entgegengehalten, er verhalte sich illoyal. Und die entscheidende Frage ist, welche Loyalität hat der eigentlich, ist der nur verpflichtet, loyal zu sein gegenüber seinem Arbeitgeber oder muss er auch der gesellschaftlichen Loyalität gegenüber den grundlegenden Rechten anderer Bürger gerecht werden. Sprecher Der Whistleblower steht zunächst alleine da ? ohne gesellschaftlichen Rückhalt. Und er merkt sehr bald: auch die Rechtsprechung ist nicht unbedingt auf Seiten desjenigen, der Miseren aufdeckt, sondern oft genug bei jenen, die sie verursacht haben. M1 (Musik: 5`19 bis 5`30, darauf: ) Sprecherin /Ansage Erstes Beispiel: Whistleblowing in der freien Wirtschaft. Der Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch. Sprecherin (Bericht ab kursiv unter folg. Text) Die angespannte Personalsituation und deren negative Auswirkungen wurden wiederholt mit den Verantwortlichen der Pflegeeinrichtung erörtert und dringend geraten, umgehend Maßnahmen einzuleiten. Die Pflegeeinrichtung wird den besonderen Anforderungen geronto-psychiatrisch beeinträchtigter Bewohner nicht ausreichend gerecht. Die Farbgestaltung ist zwar etagenbezogen unterschiedlich gestaltet und für den Aufenthalt im Freien steht ein umfriedeter Garten zur Verfügung, aber obengenannte verbesserungsbedürftige Auffälligkeiten machen den Handlungsbedarf deutlich. Die Atmosphäre in den Bewohneretagen wurde an beiden Prüftagen insgesamt als unbelebt und wenig einladend wahrgenommen. Auffallend wenige Besucher hielten sich im Flurbereich oder im Tagesraum auf. Mehrfach waren dies rohlstuhlabhängige bzw. offensichtlich desorientierte Besucher. Pflegekräfte waren nicht anwesend. Sprecher: Mai 2006. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen, MDK, der für die Versicherungsträger medizinische Einrichtungen überprüft, legt seinen Bericht über eine Berliner Altenpflegestätte vor. Ihn zu lesen, bedarf es starker Nerven. Von einer ausreichenden Versorgung der alten Menschen kann absolut keine Rede sein. "Vivantes ? Netzwerk für Gesundheit" nennt sich die GmbH, die die Einrichtung betreibt. Das Unternehmen, das Land Berlin ist dessen Mehrheitsgesellschafter, steht unter starkem Finanzdruck. Die marktwirtschaftliche Lösung: weniger Pflegekräfte für mehr Patienten. (Bericht hoch) Sprecherin Die Bewohnerin war in einem reduzierten Allgemeinzustand. Der Ernährungszustand befindet sich im Risikobereich. Weder dem Gespräch mit der Pflegekraft noch der Pflegedokumentation konnte eine Begründung für die reduzierte Kalorienzufuhr entnommen werden. Sprecher Vor der Prüfung durch den MDK hatte eine Mitarbeiterin der Vivantes-GmbH längst intern Alarm geschlagen: die Altenpflegerin Brigitte Heinisch, eine unerschrockene Berlinerin mit dem Herzen auf der Zunge. Sie schrieb mehrere "Überlastungsanzeigen" an ihren Arbeitgeber ? Informationen über unhaltbare Arbeitsbedingungen, die zu beseitigen sie dringend forderte. Die Geschäftsleitung hatte in einer internen Zusammenkunft eingestanden, dass wegen umfangreicher Stellenstreichungen zwar Pflegequalität verloren gegangen sei ? über daraus entstehende Missstände sei nach außen hin zu schweigen. Auf die Eingaben von Brigitte Heinisch und ihren Kollegen erfolgte keine Reaktion. Als die Zustände im Winter 2004 eskalierten ? unruhige Patienten wurden an ihren Betten festgebunden, manche lagen oft tagelang in ihren Fäkalien ? platzte Brigitte Heinisch der Kragen. Sprecherin Sie zeigte ihren Arbeitgeber an. M1 (Musik: 5`19 ,verkürtzt)) Sprecher Und der revanchierte sich umgehend mit einer Kündigung, gegen die die Altenpflegerin klagte: In der ersten Instanz bekam sie auch Recht. Doch damit begann für Brigitte Heinisch ein juristischer Spießrutenlauf, der bis heute anhält. O-Ton (5) Heinisch: Vivantes ist dann in Berufung gegangen und hat dann gesagt, ich habe eine gesteigerte Loyalitätspflicht dem Arbeitgeber gegenüber .Und dann hast du immer wieder Hoffnung und denkst, na ja, das Bundesarbeitsgericht wird dann anders entscheiden. Und nachdem ich in der Berufungsverhandlung von der Richterin sehr runter gemacht worden bin und dem Arbeitgeber auch noch gesagt wurde, wieso haben sie die Frau denn nicht gekündigt, weil sie angezeigt hat (...) Redeverbot vor Gericht, und da habe ich gedacht: das geht nicht .Und wenn dann das Bundesverfassungsgericht der Meinung ist, sie brauchen noch nicht einmal eine Begründung zu schreiben, warum sie sich mit dem Fall nicht befassen ? verstehe ich dann nicht. Sprecher Brigitte Heinisch erhielt insgesamt drei Kündigungen. M1 (auf Musik 3`00 bis 3`23, einschl. 06)) Sprecherin wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten, wegen Mitwirkung an einem Vivantes-kritischen Flugblatt wegen Weitergabe interner Informationen an die Presse. Sprecher Alle drei Kündigungen wurden höchstrichterlich für korrekt erklärt. Doch Brigitte Heinisch ließ nicht locker O-Ton (6) Heinisch: Die Sache läuft juristisch seit vier Jahren und liegt jetzt vor dem europäischen Gerichtshof. Das ist eine Sache, die kann sich noch Jahre hinziehen. Damit macht man im Grunde genommen die Menschen kaputt das finde ich nichts anderes um Zeit zu gewinnen und die Leute mürbe zu machen. M1 (Musik 3`23 hoch und weg) Sprecher : Bei allen drei Kündigungen berief sich Vivantes gegenüber Frau Heinisch auf einen arbeitsrechtlichen Passus: Sprecherin "Zerstörung des Vertrauensverhältnisses" Sprecher Wie abstrus diese Sichtweise sein kann, beschreibt der Kölner Politikwissenschaftler Werner Rügemer. O-Ton (7) Rügemer: Im Arbeitsrecht gilt es in Deutschland ja, dass die Störung des Betriebsfriedens der oberste Leitwert ist und ein Mitarbeiter eines Unternehmens, der kann völlig im Recht sein, wenn er etwas anprangert, die Fakten können alle stimmen, aber wenn nach Beurteilung des Unternehmensvorstandes oder der Geschäftsführung der Betriebsfrieden gestört ist, dann darf dieser Mitarbeiter dennoch mit Unterstützung des Arbeitsrechts gekündigt werden. M1 (Musik ab 4`11 unter Sprecher) Sprecher Wer also erfährt, dass sein Chef Waffen in Krisengebiete verkauft, die eigenen Mitarbeiter bespitzelt oder radioaktives Material unzureichend entsorgt, kann dies zwar anzeigen. Hinterher ist er jedoch seinen Job los. Und dürfte auch anderswo kaum noch unterkommen, denn er gilt als Verleumder und Petzer. Sprecherin Bestenfalls als Nervensäge. M1 (Musik 4`34 hoch und weg) Sprecher Nach Auffassung von Werner Rügemer wären die schlimmsten Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise in Deutschland vermeidbar gewesen, wenn sich mehr Bankenmitarbeiter hätten sicher sein können, dass die Veröffentlichung von Insiderwissen ihrer Karriere und ihrem Image nicht schadet. Da kein Banker bis jetzt sein Wissen preisgab, ist auf Initiative Werner Rügemers ein Internet-Forum zur Klärung der Vorgänge bei der Hypo Real Estate in Arbeit. Hier werden Whistleblower und Insider explizit ermutigt, sich zu melden. Larry McDonald, Topmanager der Lehman-Brothers-Gruppe, veröffentlichte nach dem Zusammenbruch seines Unternehmens eine detaillierte Insider-Analyse der abenteuerlichen Praktiken seines ehemaligen Arbeitgebers. Zu spät, sicher, aber gerichtlich belangt wurde McDonald nicht. M1 (Musik /-Zäsur 3`40 bis 3`44)-- Sprecher Im Bundestag lag lange Zeit ein Entwurf, der das Anzeigerecht für Arbeitnehmer im bürgerlichen Gesetzbuch festschreiben sollte. Er scheiterte am Widerstand der Union. Doch warum ist eine Änderung des Arbeitsrechts überhaupt nötig? Reicht das Grundgesetz nicht? Sprecherin Artikel zwei: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Artikel fünf: Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. O-Ton (8) Deiseroth: ....und es wäre schon viel gewonnen, wenn die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung ebenso wie das Bundesverfassungsgericht für öffentliche Meinungsäußerungen grundsätzlich davon ausgeht, dass dann, wenn der sich Äußernde einen Beitrag zum öffentlichen Meinungsbildungsprozess leistet, dass dann eine Vermutung für das Freiheitsrecht besteht. Und die Meinungsäußerungsfreiheit darf nicht eingeschränkt werden allein unter Bezugnahme auf ein Gesetz, wie meinetwegen arbeitsvertragliche Regelungen, ohne diese Regelungen im Lichte der Bedeutung des Grundrechts für den demokratischen Meinungsbildungsprozess zu bewerten und zu berücksichtigen. Die Crux besteht darin, dass die arbeitgerichtliche Rechtsprechung dies im Grundsatz zwar akzeptiert, aber die Grenzziehung durch eine relativ freie Abwägung von Gesichtspunkten, die grundrechtlich geschützt sind, mit anderen Interessengesichtspunkten abwägt und damit unkalkulierbar macht. M1 Musik 3`37 bis 3`44 unter Text Sprecher Arbeitspsychologen nennen das Resultat der Rechtsunsicherheit chilling effect: Sprecherin Lähmende Abschreckung, Erstarrung. (Musik weg) Sprecher: Doch nicht nur die juristische Unwägbarkeit bringt viele Menschen dazu, ihr Wissen für sich zu behalten: Wer sich an die Öffentlichkeit wagt, wer Alarm schlägt, riskiert den Umsturz seines gesamten Lebens. Der Whistleblower meint, etwas Gutes für die Gesellschaft getan zu haben ? und braucht nun zum Schutz gegen die Reaktionen nicht nur ein stabiles Nervenkostüm, Sprecherin sondern auch Unterstützer. Sprecher Hier setzt das Whistleblower-Netzwerk an, ein Verein, der Whistleblowern beratend und helfend zur Seite steht. Der Kölner Wirtschaftsjurist Guido Strack ist Vorsitzender des Netzwerks. O-Ton (9) Strack: Der Whistleblower hat ja am Anfang die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden, will ich das melden oder will ich das nicht melden. Das heißt, wenn er nicht ausreichend geschützt wird, wird er sich ganz einfach, und das passiert heute überall, dafür entscheiden, gar nicht erst zum Whistleblower zu werden. Den Kürzeren zieht dabei die Gesellschaft und der Staat, weil die Information, die wichtig wäre, wird gar nicht erst weitergegeben. M1 Musik ab 4`11 unter 0-Ton O-Ton (10) Strack: Als Betroffener zwingt mich ja keiner. Und die meisten schweigen ja. Die Kollegen sagen nichts, also warum soll ich Depp den Kopf rausstecken und ihn abgeschlagen bekommen. Das heißt, es passiert eben nichts und das ist das, was überall passiert (..) Das Unternehmen hat davon Nachteile, weil es ist ja gar nicht gesagt, dass die Information wirklich von der Unternehmensleitung negativ beurteilt wird. Das sind ja auch für die Unternehmen ganz wichtige Informationen. Aber da ist dieser Korpsgeist und diese Angst vorm Denunziantentum und die Angst, aus der unmittelbaren Gruppe ausgeschlossen zu werden ? das ist das Haupthindernis. (Musik weg) Sprecher Guido Strack weiß, wovon er redet. Als Mitarbeiter bei der EU-Kommission in Luxemburg machte er im Jahr 2002 das Amt für Betrugsbekämpfung ? kurz OLAF Sprecherin Office Europèen de Lutte Antifraude Sprecher auf Unregelmäßigkeiten in seiner Dienststelle aufmerksam. OLAF untersuchte, stellte aber nach sechzehn Monaten das Verfahren ein. Guido Strack erhob daraufhin beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Verfahrenseinstellung. Weil sich immer noch nichts bewegte, quittierte er den aktiven Dienst. Wie die meisten Skandalaufdecker redet auch er nicht gerne über die seelischen Folgen seines Engagements. Er weiß jedoch, womit Whistleblower zu rechnen haben. O-Ton (11) Strack: Dass halt gar keine Kündigung stattfindet (..) sondern Mobbingprozesse einsetzen, die dann dazu geeignet sind, die Betroffenen zu zermürben. Wir setzen uns dafür ein, die gesetzliche Situation zu verändern und das explizit ins Gesetz reinzuschreiben, dass jemand das Recht hat, auf Missstände im Betrieb hinzuweisen und auch das Recht hat, Behörden zu informieren. M1 (Musik 6`36 bis 6`59 unter Text) Sprecher Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch fühlte sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn sie die Zustände in ihrer Arbeitsstelle nicht publik gemacht hätte: Sprecherin ? "Garantenpflicht" heißt das im Juristendeutsch: Sprecher Sie gilt für jene, die in Ausübung ihres Berufes dafür verantwortlich sind, eine Straftat und deren Folgen zu verhindern, zum Beispiel ausdrücklich für Ärzte oder Krankenpfleger. Man sollte also annehmen, dass kritisches Verhalten von Arbeitnehmern gesellschaftlich und auch per Gesetz erwünscht ist. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus ? wie der Fall Brigitte Heinisch zeigt: Sie musste sich von ihren ? gegen sie aufgehetzten - Kollegen öffentlich als Denunziantin beschimpfen lassen. Lange Zeit (wie lange?) war sie arbeitslos und Hartz IV-Empfängerin, bevor sie endlich wieder eine Anstellung bei einem privaten Pflegeheim bekam. Trotz ihren bitteren Erfahrung hält Brigitte Heinisch gesetzliche Änderungen nicht für nötig. Eine konsequenter innerbetrieblicher Schutz für diejenigen, die sich auf die Garantenpflicht berufen, wäre sinnvoller. O-Ton (12) Heinisch: Die Streichung aus den Dienstverträgen und auch normalen Arbeitsverträgen, dass der Arbeitnehmer eine Loyalitätspflicht hat gegenüber dem Arbeitgeber, würde vollkommen reichen. Und die zweite Sache ist, dass ja unser Grundgesetz auch ausgelegt werden kann je nach Kräfteverhältnis, und da brauch ich keine neue Gesetzgebung, sondern die Gesetze, die da sind, die müssen einfach nur richtig angewandt werden und da ist die Justiz sehr konservativ. M 2 (Musik: CD: Michael Sell/Super/Track 3/ 9´30 bis 9´40) Sprecherin/Ansage : Zweites Beispiel: Whistleblowing in Behörden. Rudolf Schmenger und Frank Wehrheim. Musik weg O-Ton (13) Schmenger: Das war ja zu dem damaligen Zeitpunkt ein Novum, das gab es ja bis zu dem Zeitpunkt gar nicht in unserer Republik, dass Steuerfahnder in einer Bank einlaufen und sich dort verhalten wie in ihren eigenen Diensträumen. Sprecher: Rudolf Schmenger, ehemaliger Steuerfahnder in Frankfurt am Main. O-Ton (14) Schmenger: Und ich kann mich noch ganz gut erinnern, an einem Tag, als einem hohen Bankmanager das Verfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung von mir bekannt gegeben wurde, erwiderte er, dass er heute Abend mit unserem Bundeskanzler zu Abend isst. Und ich hab ihm dann erwidert, dann sagen Sie unserem Bundeskanzler einen schönen Gruß von der Steuerfahndung Frankfurt. M 2 (auf Musik Track 3, ab ca. 40") Sprecher Die Geschichte der Steuerfahnder Frank Wehrheim und Rudolf Schmenger sowie ihrer Kollegen im Frankfurter Finanzamt Fünf begann im Sommer 2001. Die beiden Beamten gehörten zu der wohl erfolgreichsten Truppe der bundesdeutschen Steuerfahndung, sie waren Teil des sogenannten "Bankenteams". Denn in den 1990er-Jahren war der Verdacht aufgekommen, dass die Commerzbank und die Deutsche Bank Gelder solventer Kunden zum Zweck der Steuerhinterziehung ins Ausland transferiert hatten. Banken wurden durchsucht, kistenweise wurde belastendes Material beschlagnahmt. Die Arbeit des Teams brachte dem Land Hessen eine Viertelmilliarde D-Mark Steuereinnahmen, bundesweit sogar eine ganze Milliarde. Sprecherin Doch dann geschah das Merkwürdige: M2 (Musik: Schlag, bei 1`35) Sprecher Die Leitung des Finanzamtes teilte den Fahndern mit, dass ein steuerstrafrechtlicher Anfangsverdacht nur noch dann bestehen soll, wenn mehr als 500.000 Mark ins Ausland transferiert wurden. Für die Beamten eine ungeheuerliche Anweisung, denn sie wissen, wie Steuerhinterziehung im großen Stil funktioniert: es werden immer mehrere kleine Beträge überwiesen ? jeweils unter 500.000 Mark. O-Ton (15) Schmenger: Der Widerstand in der Dienststelle war so stark, und wir wurden dann in der Folge, nachdem die Verwaltung gesehen hat, dass wir von unserer Auffassung nicht abweichen, nacheinander abgestraft. Und da war natürlich für die restlichen Kollegen klar, wie sie sich in Zukunft zu verhalten haben. Sprecher Schnell wurde Rudolf Schmenger von seinen Vorgesetzten als Rädelsführer der kritischen Fahnder ausgemacht, denn er war durch seine Beharrlichkeit und sein ruhiges Argumentieren extrem unbequem. Zunächst hatte er, wie andere Kollegen auch , dem Vorgesetzten seine Bedenken gegen eine vermutlich rechtswidrige Dienstanweisung mitgeteilt. Er machte vom sogenannten Remonstrationsrecht für Beamte Gebrauch: Sprecherin Ignoriert der Vorgesetzte die Bedenken , verantwortet er die Folgen. Sprecher Rudolf Schmengers Bedenken wurden ignoriert. Er gab sich damit nicht zufrieden, er ging weiter: Mehrmals schrieb er den hessischen Ministerpräsidenten und den Finanzminister an, doch es erfolgte keine Reaktion. Nachdem eines dieser Schreiben in die Presse geraten war, richtete der Landtag einen Untersuchungsausschuss ein, der herausfinden sollte, ob es bei der Amtsverfügung mit rechten Dingen zugegangen war. Rudolf Schmenger wollte vor diesem Gremium aussagen und darüber hinaus bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten. Aber davor steht das deutsche Beamtenrecht ? Sprecherin - die Aussagengenehmigungsbeantragungspflicht - Sprecher ein Grund dafür, dass der Untersuchungsausschuss wie das Hornberger Schießen endet. M2 (Musik: Schlag, bei 1`35) Ohne Ergebnis. O-Ton (16) Schmenger: Man muss natürlich wissen, dass ein Staatsdiener, wenn er Straftatbestände in seiner Dienststelle feststellt, die nicht einfach anzeigen kann. Sondern er muss nach dem Beamtengesetz erst mal die Aussagegenehmigung beantragen, das heißt, man zwingt einen Beamten, zu dem Täter zu gehen und den Täter zu bitten, dass er ihm die Aussagegenehmigung erteilt. Das ist ja schon ein sehr grotesker Vorgang. Und mir wurde diese Aussagegenehmigung verweigert mit dem Hinweis, wenn ich mich über diese Weisung hinwegsetze, dass man dann gegen mich ermittelt mit dem Ziel, mich aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. M2 (Musik Track 3 ab 7`unter Text) Sprecher Der Konflikt eskalierte, als sich immer mehr Steuerfahnder wehrten. Daraufhin verschlechterten sich deren dienstliche Beurteilungen rapide. Gegen Rudolf Schmenger wurden kleinliche Disziplin-Vorwürfe erhoben, die schließlich dazu führten, dass er zusammen mit einem Dutzend Kollegen aus der Steuerfahndung in den Innendienst versetzt wurde. Zwei Abteilungen seiner Dienststelle wurden sogar komplett aufgelöst. Gesundheitlich hielt Rudolf Schmenger die ständigen Nadelstiche und Drangsalierungen nicht aus: er erlitt einen Zusammenbruch. (Musik weg) Sein Kollege Frank Wehrheim war zu dieser Zeit Sachgebietsleiter und versuchte ihm zu helfen. O-Ton (17) Wehrheim: Ich hab dann dem Behördenleiter Mobbing vorgeworfen und hab das also öffentlich gemacht. Mit der Folge, dass ich zwei Monate später ebenfalls mich an einem neuen Arbeitsplatz vorgefunden habe. Und das ist dann passiert mit weiteren zehn Kollegen, ne völlig überzogene, ne völlig falsche Maßnahme, die den Staat nur Geld kostet, weil diese Leute, Fahnder, ne Sonderausbildung haben (...) Man hat dann in der Folge die Stellen (...) die hat man ausgeschrieben, da durften sich dann alle drauf bewerben, nur nicht die Fahnder. Sprecher Warum will das Land Hessen unbedingt eine Schwächung seiner Steuerfahndung? M2 (8`20 bis 8´47) In der Abteilung Fünf wird die Vermutung laut, dass die Banken Druck auf der politischen Ebene ausgeübt haben. Schließlich ist Frankfurt der Finanzstandort schlechthin in Deutschland. Und: hat die hessische CDU nicht selbst illegale Transfers nach Liechtenstein veranlasst, wo sie in eine Stiftung namens "Zaunkönig" einzahlte? Spekulationen, an denen sich Frank Wehrheim und Rudolf Schmenger nicht beteiligten. Sprecherin Was jetzt kommt, hat mit Finanzpolitik wenig zu tun. (Musik weg) Sprecher Sondern eher mit KGB-Praktiken. Rudolf Schmenger und mehrere andere Steuerfahnder wurden zum Amtsarzt geschickt. M2 (auf Musik 8`47 bis 9´23) Sprecherin "Da es sich bei der psychischen Erkrankung Herrn Schmengers um eine chronische und verfestigte Entwicklung handelt, ist eine Rückkehr an seine Arbeitsstätte nicht denkbar und Herr Schmenger als dienstunfähig anzusehen. An diesen Gegebenheiten wird sich aller Voraussicht nach auch nichts mehr ändern lassen, sodass eine Nachuntersuchung nicht als indiziert angesehen werden kann. Sprecher Rudolf Schmenger wurde also kurzerhand für verrückt erklärt (Musik weg) und mit Wirkung vom 1. Januar 2007 zwangspensioniert ? mit gerade mal fünfundvierzig Jahren und nach über zwei Jahrzehnten tadelloser Arbeit als Beamter. Wie ihm erging es noch drei weiteren Beamten. Frank Wehrheim durfte zunächst weiterarbeiten. O-Ton (19) Wehrheim: Wenn ich mir das überlege, wenn mich einer für bekloppt erklärt (...) ich wüsste nicht, was ich dagegen unternehmen würde, wie ich versuchen würde, dagegen zu klagen. Weil das heißt doch mit anderen Worten, ich bin gaga und das bestimmt irgendeiner, der mich nicht mal untersucht hat und einer in der Verwaltung sagt mir, wir haben hier ein Gutachten, tschüss, du bist doof, du hast sie nicht mehr alle, du gehörst eigentlich in die Psychiatrie. Das in der Demokratie im 21. Jahrhundert, das kann ich nciht nachvollziehen.Psychiat Sprecher Wenige Monate nach seinem Rausschmiss aus dem Finanzamt Fünf ließ die Hessische Steuerberatungskammer Rudolf Schmenger als Steuerberater zu. Das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten kam zu dem Schluss, dass Rudolf Schmenger psychisch vollkommen gesund ist. Seitdem ermittelt die Landesärztekammer Hessen in einem berufsrechtlichen Verfahren gegen den Psychiater, der Schmenger für verrückt erklärte. Ihr Verdacht: Gefälligkeitsgutachten für die Finanzbehörde Frankfurt. Die wollte unbequeme Beamte loswerden ? und entlässt und mobbt bis heute munter weiter. O-Ton (20) Schmenger: Wir haben jetzt mitgeteilt bekommen, dass (...) ein weiterer Ex-Steuerfahnder gegen seinen ausdrücklichen Willen in den Ruhestand mit 39 Lebensjahren versetzt wurde (...) Und diese Versetzung geschah in Abstimmung mit dem hessischen Ministerium der Finanzen, auch mit Billigung des hessischen Finanzministers. Und dann sind wir natürlich an einem Punkt, wo es für die Zukunft hochkompliziert wird. Einerseits erwartet man von den Staatsdienern, dass sie die Interessen der Bürger wahrnehmen, aber (..) die Kollegen der hessischen Finanzverwaltung gucken jetzt seit 2001 zu, wie nichts passiert, wie alles brutalst möglich ausgesessen wird. Und wie diese aufrechten Beamten, die auf Missstände in der hessischen Finanzverwaltung hinweisen, nach der Reihe alle weggebeamt werden. Und die Brutalität, die hat über die Jahre auch zugenommen, da werden disziplinarische Ermittlungsverfahren konstruiert, da werden Beamte beruflich diffamiert, da werden Geheimakten geführt . Also wir reden nicht über China, wir reden auch nicht über die neuen Bundesländer vor 89, wir reden über Hessen. M2 Zäsur: 9`24 bis 9´30 (ev. doppeln) Sprecher Sowohl Rudolf Schmenger als auch Frank Wehrheim, der dem Druck schließlich auch nicht standhielt und mit Mitte fünfzig in den vorzeitigen Ruhestand ging, nahmen Rechte wahr, die jedem Staatsdiener zustehen. Sprecherin Freie Meinungsäußerung. Remonstrationsrecht. Petitionsrecht. Sprecher Das Ergebnis: von den acht Beamten, die sich direkt an den hessischen Landtag wandten, sind sieben nicht mehr im Dienst. O-Ton (21) Schmenger: Das macht das natürlich auch kompliziert für die Zukunft, weil die Steuerfahnder, die heute noch aktiv im Dienst sind, fragen sich jetzt natürlich: wie sollen wir uns in Zukunft verhalten? Und die Verantwortlichen fühlen sich natürlich durch ihre Handlungsweise und die Situation, dass es keine Gegenwehr gibt, auch noch bestätigt. Und finden das toll. Und das ist natürlich eine Situation, wo unser Rechtssystem am Scheideweg steht. M2 Musik: 9`19 bis 10` Sprecher Was wäre passiert, wenn die beiden wahrhaften Staatsdiener Rudolf Schmenger und Frank Wehrheim geschwiegen hätten? Die Steuerhinterziehung im großen Stil wäre wahrscheinlich nie ans Tageslicht gekommen. Dass Vorgesetzte und Arbeitgeber diese Zivilcourage in den seltensten Fällen würdigen, versteht sich nach Lage der Dinge fast von selbst. Sprecherin Aber auch die Öffentlichkeit tut sich schwer damit. Sprecher Damit sich das ändert und die Skandalaufdecker die Anerkennung bekommen, die ihnen gebührt, wird seit 1999 in Deutschland alle zwei Jahre der Whistleblower-Preis verliehen. (Musik weg) Ins Leben gerufen haben ihn die IALANA und die VdW Sprecherin ? die Internationale Juristenorganisation gegen Atomwaffen und die Vereinigung deutscher Wissenschaftler. Sprecher. Annegret Falter, Politologin und frühere Geschäftsführerin der VdW, beschreibt die Motive der Preisstifter. O-Ton (22) Falter: Es geht mit dem Preis zum einen darum, öffentliche und politische Aufmerksamkeit auf den Sachverhalt zu lenken. Dann eventuell einen Beitrag zur gesellschaftlichen Risikokommunikation zu leisten. Es geht um den Schutz des Whistleblowers und der Person, die diesen Sachverhalt öffentlich gemacht hat. Und es geht um die Ermutigung. M 2(Zäsur: 1`42 bis 1`50 unter Tex wegt) Sprecher Denn das, was auf ihn zukommt, kann der einzelne Whistleblower alleine nicht verarbeiten. Weder die Altenpflegerin Brigitte Heinisch ? 2007 Whistleblower-Preisträgerin ? noch die Steuerfahnder Schmenger und Wehrheim, die 2009 die Auszeichnung bekamen, konnten sich ausmalen, mit welcher Rücksichtslosigkeit sie zu rechnen haben würden. Deshalb bieten die VdW und das Whistleblower-Netzwerk jedem potentiellen Alarmschläger zunächst einmal ihren Rat an. Guido Strack, Vorsitzender des Netzwerks. O-Ton (23) Strack: Man soll sich durchaus mal ankucken, was mit Whistleblowern passieren kann und sich dessen bewusst sein (...) Denn wenn es nachher zu ner Auseinandersetzung kommt, ist es ganz wichtig, das beweisen zu können. Ich rufe jetzt niemanden dazu auf, Beweismittel zu sichern, die er nicht sichern darf, aber die Sachen, an die man drankommt (..) da soll man das auch ruhig tun. Da muss man natürlich auch immer vorsichtig sein, nicht aufzufliegen, also in dieser frühen Phase (...) zu viel mit anderen Leuten zu reden, zu auffällig Informationen zu sichern (..) Alle Aktivitäten, die in diese Richtung gehen, außerhalb des Büros und vor allem außerhalb des Bürocomputers erledigen. Auch die Telefonanlagen im Büro sind nicht sicher (...) Alles dokumentieren, möglichst nichts im Unternehmen machen, möglichst nicht auffallen erst mal und dann sich Rat holen. M 2 (Zäsur: 1`42 bis 1`50, verkürzt) Sprecher Das Whistleblower-Netzwerk kann keinen rechtlichen Schutz bieten, sondern moralische Unterstützung. Aufzeigen, wie jemand, der es nicht mehr aushält, taktisch am besten vorgeht und sich nicht selber schadet. Die Münchner Journalistin Antje Bultmann ist seit Jahren beratend für Whistleblower tätig. O-Ton (24) Bultmann: Erst mal muss man feststellen, stimmt das überhaupt, was der erzählt. Ich hab mich mit noch keinem Whistleblower getäuscht, aber es ist wirklich sehr schwierig, und die normalen (...) Journalisten haben eigentlich keine Zeit, sich so intensiv mit einem Whistleblower zu befassen. Also, erst mal würde ich mir lange, lange erzählen lassen was los ist. Dann würde ich ihn fragen, ob er irgendwelche Bekannte oder Freunde hat, mit denen man darüber reden kann (...) Ich würde also erst mal mit der Familie sprechen, was die dazu sagt (..) und wenn sie nun gerade ein Haus gekauft haben und das abbezahlen müssen, dann würde ich ihnen sagen, das müssen sie sich sehr überlegen (..) Vielleicht würde ich auch empfehlen, (..) mit einem Psychologen zu sprechen (...) Er muss eben einfach versuchen, dass er Rückhalt hat und das er nicht ganz alleine dasteht. Die meisten Whistleblower fallen dann erst mal in ein tiefes Loch. M 2(Musik ab 5´20, darauf ) Sprecherin Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Sprecher Immanuel Kant. M 3 (Musik: CD: Michael Sell/Super/Track 2/ 30´15 bis 30`30) Sprecherin/Ansage Drittes Beispiel: Whistleblowing in der Forschung. Der Fall der Biologin Liv Bode O-Ton (25) Falter: Es kommen eben Wissenschaftler auch in Bezug auf Ergebnisse der Forschung ? da sind wir bei Frau Bode - sie kommen zu anderen Meinungen. Und da muss sorgfältig darauf geblickt werden, was mit diesen anderen Meinungen passiert. Sprecher Doktor Liv Bode, Biologin am Berliner Robert-Koch-Institut, ebenfalls Whistleblower-Preisträgerin 2007. Ihr Spezialgebiet waren und sind die Borna-Viren. Sprecherin Das Borna-Virus: nachgewiesen bei schwer Depressiven. Wird mit psychiatrischen Erkrankungen in Verbindung gebracht. O-Ton (26a) Bode: Also ich sage Ihnen hier sowieso meine persönliche Meinung der ganzen Geschichte, jetzt nicht als RKI-Mitglied, sondern als betroffene Wissenschaftlerin. M3 (Zäsur: langer Ton bei 30`35 ) Sprecher Im Rahmen ihrer Forschung untersuchte Liv Bode 2002 auftragsgemäß mehrere vom Deutschen Roten Kreuz zur Verfügung gestellte Blutspenden und stellte dabei fest, dass eine von ihnen kritisches Material enthielt, das auf eine Infektion mit Bornaviren hindeutete. In einem Maße, wie es bisher nur bei akut an schweren Depressionen leidenden Menschen vorgekommen war. O-Ton (26) Bode: So war die Ausgangslage. So habe ich eben dann die Ergebnisse selbstverständlich unserer Leitung zur Kenntnis gegeben und hab auch Vorschläge gemacht was man tun könnte (...) Das da ein Verdacht besteht, dieser Spender herausgenommen wird aus dem Spender-Verfahren (...) und das man vor allen Dingen auch die Sache weiter abklären muss, bis zur weiteren Abklärung darf der Spender überhaupt nicht mehr spenden. (...) Das war selbstverständlich aus meiner Sicht, dass ich das melde und das Maßnahmen erfolgen. M 3 Musik ab 31`17, darauf Text Sprecher: Hätte Liv Bode Recht mit ihrer Vermutung, dass das Bornavirus auch bei seelisch Gesunden vorkommen kann, wäre damit immerhin ein Prozent aller Blutspenden in Deutschland verseucht. Doch das Robert-Koch-Institut unternahm nichts, informierte weder das Deutsche Rote Kreuz noch die Öffentlichkeit, noch staatliche Aufsichtsbehörden über die Diagnose der eigenen Mitarbeiterin. (Musik weg) Liv Bode behauptete niemals, ihre Erkenntnisse seien hundertprozentig wasserdicht. Sie forderte vom Robert-Koch-Institut nicht mehr und nicht weniger als die Verfahrensweise, die unter Wissenschaftlern üblich ist: die weitere Überprüfung von Ergebnissen. O-Ton (27) Bode: Es wäre ja ganz einfach gewesen, diese Dinge weiter zu verfolgen, das hätte ja nicht bedeutet, dass alle Blutproben gesperrt werden, um Gottes willen (...) das wäre ja auch nicht gerechtfertigt gewesen. Es ging zu dem damaligen Zeitpunkt 2002 darum, diesen einen Spender (...) jetzt erst mal rauszunehmen. Folgeproben zu nehmen um zu sehen, wie entwickelt sich das. (...) Das heißt, 500 Proben, 1000 Proben (...) mit unserer Methode weiter zu untersuchen und zu sehen wie ist es. (...) Meiner Meinung nach (...) eine adäquate Risikostrategie zum damaligen Kenntnisstand. Sprecher Die Institutsleitung ordnete zwei weitere Untersuchungen an. Bei der ersten musste sie selber zugeben, dass sie aufgrund gravierender methodischer Mängel wissenschaftlich nicht brauchbar war. Die zweite Expertise wurde von einem hausinternen Gutachter erstellt Sprecherin ? drei Jahre nach Frau Bodes Alarm. Sprecher Mit diesem unter Wissenschaftlern unüblichen Verfahren gab sich die Institutsleitung zufrieden. O-Ton (28) Bode: Ich wollte einfach nur, dass in einem solchen Fall alles getan wird, damit das Risiko für den möglichen Empfänger einer solchen Probe so klein wie möglich gehalten wird (...) und dann eben so viel wie möglich weiterforschen. Denn ich habe mich ja selbst erschrocken. M3 (auf Musik bei ca 32`10) Sprecherin "Das RKI berät insbesondere das Bundesministerium für Gesundheit. Im Hinblick auf das Erkennen gesundheitlicher Gefährdungen und Risiken nimmt das RKI eine zentrale "Antennenfunktion" im Sinne eines Frühwarnsystems wahr. " Sprecher Heißt es auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts. Doch im Fall Liv Bode war es mit dieser Antennenfunktion offenbar nicht weit her. Im Jahr 2005 stoppte die Leitung das Forschungsprogramm der Biologin und erteilte ihr ein Publikationsverbot. O-Ton (29) Bode: Publikationen sind ja das, was wir Wissenschaftler haben, um die Öffentlichkeit am wissenschaftlichen Diskurs teilnehmen zu lassen. Das ist eines der Basiselemente in der Wissenschaft, dass man publizieren kann. Und genau dieser wissenschaftliche elementare Prozess, davon wurde ich ausgeschlossen. M 3(Musik ab 32`10 unter Text) Sprecher Unter dem Eindruck des Whistleblower-Preises 2007 wurde das Publikationsverbot für Liv Bode zwar zurückgenommen. Die Forschung ruht jedoch nach wie vor. Und mit ihr die Frage, ob im deutschen Blutspende-Wesen eine hinreichende Risikokommunikation gewährleistet ist. Denn die Gefahr besteht immer noch, dass der Mensch, dessen Blutspende vielleicht mit Bornavirus kontaminiert war, weiterhin Blut abgibt. Hinzu kommt: auf dem Tisch des Bundesgesundheitsministeriums liegt seit 2006 der Bericht über den Fall Liv Bode. (Musik weg) Das Ministerium sperrt sich jedoch bis heute gegen die von der engagierten Biologin vorgeschlagenen weiteren Untersuchungen. Sprecherin Es unterscheidet zwischen einem Verdacht und einem begründeten Verdacht. Sprecher: Bei HIV- und Hepatitis-Viren reichen minimale Anhaltspunkte, um Risiko-Ermittlungsverfahren einzuleiten. Bei anderen Erregern muss der Verdacht jedoch erst begründet werden ? was Frau Bode nicht gelingen konnte, da ihre Forschungen ja eingestellt worden waren. M3 (Zäsur, ab 33`) Sprecher Annegret Falter von der Vereinigung deutscher Wissenschaftler setzte sich seinerzeit sehr für eine Preisverleihung an Liv Bode ein ? nicht aus wissenschaftlichen Gründen. Denn die VdW ergreift nicht Partei in wissenschaftlich strittigen Fragen. Sie interessiert sich vielmehr dafür, was mit abweichenden Meinungen und deren Autoren geschieht. O-Ton (31) Falter: Wer vermag denn komplizierte Zusammenhänge, wie den Test, um dessen Validität es geht bei Frau Bode, wer vermag das von außen zu beurteilen? Das können ohnehin nur wenige Experten beurteilen. Aber diese müssen es wenigstens wissen dürfen. Die Grundrechte sollten auch am Arbeitsplatz gelten. Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit, Forschungsfreiheit und Petitionsfreiheit. Diese Grundrechte sind Voraussetzung dafür, Transparenz und Demokratie herzustellen in der Gesellschaft. M1 (Musik: CD: Michael Sell/Super/Track 1/ ab 7`14 Sprecher Whistleblowing ist ein gesellschaftliches Frühwarnsystem, Teil einer internen Qualitätssicherung und sollte dem Arbeitgebern - Unternehmen, Forschungsinstituten, Behörden - hochwillkommen sein. Sollte. (Musik kurz hoch) Sprecherin Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! M 1 (Musik hoch und unter O-Ton weg bei ca 7`35) Sprecher Immerhin haben viele Großkonzerne mittlerweile interne Whistleblower-Hotlines eingerichtet, doch beschränken die sich meist auf Korruptions- oder Kartellvergehen. Außerdem bieten sie keinen Schutz, der außerhalb des Betriebes geltend gemacht werden könnte. Sprecherin : "Wir halten das für Denunziantenschutz". Sprecher Peter Bleser, CDU-Bundestagsabgeordneter, am 9. März 2009 im ZDF-Magazin "Wiso" über den Gesetzentwurf, ein Anzeigerecht für Arbeitnehmer im BGB zu verankern. Daraufhin zeigte ihn die couragierte Altenpflegerin Brigitte Heinisch wegen Beleidigung an. Sprecherin Ein Jahr vorher hatte Brigitte Heinisch unter dem Titel "Satt und sauber" ihre Erfahrungen als Altenpflegerin veröffentlicht. M1 (Musik 36 bis 40" stakkato, darauf) Sprecher Die Steuerfahnder Rudolf Schmenger und Frank Wehrheim sind mittlerweile freie Steuerberater. Sie verklagten den Pressesprecher des hessischen Finanzministeriums, der die beiden Beamten mehrmals öffentlich als unter Verfolgungswahn leidend bezeichnet haben soll. Heute berät Rudolf Schmenger Menschen, denen Ähnliches passiert ist wie ihm. Zudem hat er einen Lehrauftrag an der Internationalen Berufsakademie Heidelberg Sprecherin ? für einen Verrückten eine ziemlich ungewöhnliche Karriere. M 1 (Musik 36 bis 40" stakkato, darauf) Sprecher Liv Bodes Publikationsverbot wurde unter dem Disclaimer, Sprecherin: - dem Haftungsausschluss - Sprecher: ...dass sie nur ihre persönliche Meinung wiedergibt, aufgehoben. Sie arbeitet weiterhin am Robert-Koch-Institut. Wenn auch nicht auf ihrem ureigenen Gebiet, der Bornavirus-Forschung. M1 (Musik 36 bis 40" stakkato, darauf) Sprecherin Die SPD hat einige Wochen vor der Bundestagswahl 2009 den Whistleblowerschutz für sich entdeckt und kündigt einen erneuten Gesetzesentwurf an. Und schließlich: Sprecher: Im europäischen Parlament liegt die Konzeption eines Arbeitsschutzgesetzes, das ausdrücklich die Alarmschläger mit einbezieht. M 1(Musik 8`09 bis Ende/8`26 darauf) Sprecherin/ Absage "Vorsicht, Zivilcourage! Vom gefährlichen Leben der Whistleblower" Sie hörten ein Feature von Michael Reitz Es sprachen: Sigrid Burkholer, Frank Mayer und Bettina Scholmann Ton und Technik: Michael Morawietz und Anna D´hein Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 Literatur und Webadressen: Antje Bultmann: Auf der Abschussliste; Droemer-Knaur, 1997 Gefährliche Zivilcourage; 2006 Werner Rügemer: Grüetzi! Bei welchen Verbrechen dürfen wir behilflich sein?; Distel-Verlag 1999 Wirtschaften ohne Korruption?; Fischer-Verlag 1999 Brigitte Heinisch: Satt und sauber? Eine Altenpflegerin kämpft gegen den Pflegenotstand; Rowohlt-Verlag 2008 Homepage VdW: http://www.vdw-ev.de/ MdK-Bericht: http://www.ungesundleben.org/privatisierung/index.php/Qualit ProzentC3 ProzentA4tspr ProzentC3 ProzentBCfung_des_Medizinischen_Dienstes_im_Vivantes-Wohnpflegezentrum_Reinickendorf_Haus_Teichstra ProzentC3 Prozent9Fe_vom_10._Mai_2006 Nixon-Haig: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB48/nixon.html Homepage Whistleblower-Netzwerk: http://www.whistleblower-netzwerk.de/ SPD zum Whistleblower-Schutz: http://www.whistleblower-net.de/blog/?p=643 Whistleblower-Hotline Thyssen-Krupp http://www.thyssenkrupp.com/de/konzern/whistleblowing.html Whistleblower Protection Act in den USA: http://www.fas.org/sgp/crs/natsec/RL33918.pdf 17 17