COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft - 28.8.2008 Redaktion: Ralf Müller-Schmid Unter dem Wikiskop Digitale Netzwerke revolutionieren die Wissensgesellschaft Von Jana Wuttke O-Ton- Collage Zitator: "Unsere Gründung hat den Zweck, die Ursachen des Naturgeschehens zu ergründen, die geheimen Bewegungen in den Dingen und die inneren Kräfte der Natur zu erforschen. Dies sind, mein Sohn, die Kostbarkeiten des Hauses Salomon. Über die Tätigkeit und die Aufgaben unserer Mitglieder kann ich dir folgendes berichten" Geräusch 1: Trenner 1 O-Ton Klumpe: Ich denke da an so etwas, das so sein muss wie ebay. Wo Menschen jeden Tag Tausende von digitalen Repräsentationen von physikalischen Objekten ins Netz laden und mit ganz komplizierten Metadaten-Schemata beschreiben, und sie machen es jeden Tag richtig. 2 O-Ton Enke Dass tatsächlich über diese technologischen Möglichkeiten, die mit Computern, Speichern und Netzwerk zu Verfügung stehen, auch das ganze Potential genutzt werden kann." Geräusch 1: Trenner 3 O-Ton Harris Es ist, wie wenn man eine Nuss mit einem ganz großen Hammer schlägt. Sprecher Als Francis Bacon 1626 in seinem Fragment "Nova Atlantis" den utopischen Inselstaat "Bensalem" beschrieb, konnte er die Möglichkeiten des Internetzeitalters noch nicht voraussehen. Sein Ideal einer arbeitsteiligen, fortschrittsgetriebenen Wissenschaft unter Leitung der gelehrten "Gesellschaft des Hauses Salomon" kann jedoch als digitale Utopie verstanden werden. Mit dem Internet als "reichen Warenbehälter und Schatzkammer zur Ehre des Werkmeisters aller Dinge und zum Heil der Menschheit". Geräusch 2 Sprecher Wer heute allen Ernstes noch den Begriff "digitale Revolution" in den Mund nimmt, erntet allenfalls ein müdes Lächeln. Dennoch: Digitale Netzwerke sind im Begriff, die neuzeitliche westliche Wissenschaft zu verändern. Unter Schlagworten wie "Cyberinfrastructure" oder "e-Science" werden neue Plattformen für kooperative Forschung geschaffen. Atmo 1 Sprecherin Im Astrophysikalischen Institut in Potsdam ist es auffallend still und das Gelände fast menschenleer. "Die Wissenschaftler arbeiten halt...", erklärt Harry Enke und führt mich zum Hauptgebäude in einen sechseckigen Sitzungssaal. Vor uns ein Laptop, durch ein großes Fenster sieht man die Kuppel der alten Sternwarte. 4 O-Ton Enke "Also ich habe 2003 hier im Institut angefangen. Ich bin von der Ausbildung her Tieftemperatur-Physiker. Das heißt, ich habe mich mit dem quantenmechanischen Effekt - dem Josephson-Effekt - beschäftigt. Nach meiner wechselhaften und nicht immer ausschließlich akademischen Karriere habe ich erst mit über 40 meine Promotion gemacht." Sprecherin Zuvor arbeitete er unter anderem als Berater für Netzwerke in der freien Wirtschaft. Vielleicht hat ihn diese Kombination vor manchen akademischen Scheuklappen bewahrt. Keine schlechte Eigenschaft, wenn man sich mit wissenschaftlichen Kooperationen beschäftigt. Auch wenn sie in erster Linie technischer Natur sind. 5 Einspieler " Hallo, hier ist das Seti Institut und wir richten unsere Teleskope in den Himmel und hoffen so Signale von E.T. zu hören. .." Sprecher Ende der neunziger Jahre starteten Wissenschaftler im amerikanischen Berkeley mit Seti@home die sicherlich populärste Zusammenarbeit. Bei Seti (Search for Extra- Terrestrial Intelligence) werden Daten des zweitgrößten Radioteleskopes der Welt in Arecibo , Mexiko, ausgewertet, die intelligentes Leben im Universum ausmachen sollen. Dazu kann jeder einen Bildschirmschoner mit entsprechender Software herunter laden. Auf der Suche nach außerirdischem Leben analysieren mittlerweile eine halbe Million Rechner in der ganzen Welt Stück für Stück Daten von Radioteleskopen. Eine Datenflut, mit denen die Wissenschaftler allein gar nicht fertig werden würden. 6 O-Ton Enke Das sind Radiosignale von Arecibo, die dort ausgewertet werden, nach einem bestimmten Programm. Im Grunde genommen haben wir das jetzt am Einstein-Institut an einem ähnlichen Experiment mit genau demselben Verfahren gemacht. Das sind zwei Detektoren, die Gravitationswellen messen sollten. Um aus den Messdaten mögliche Wellensignale herauszufiltern, teilt man diese Messdaten so wie bei Seti in lauter kleine Stücke und bearbeitet die. Sprecher Eine Rechenaufgabe auf mehrere Computer zu verteilen, ist billiger und effizienter als einen Supercomputer anzuschaffen. Auf einem ähnlichen Grundprinzip basiert auch das so genannte GRID-Computing. 7 O- Ton Enke Der Grundgedanke der Grid-Technologie ist, dass durch die vorhandene Zusammenschaltung von Rechnern über das Internet eine bessere Ausnutzung möglich ist, als wenn diese getrennt und separiert da stehen. Sprecher Als Geburtsort des World Wide Web ist das europäische Kernforschungszentrum CERN eine der treibenden Kräfte bei der Entwicklung des verteilten Rechnens. Der Large Hadron Collider ist das weltweit größte wissenschaftliche Instrument. Herzstück sind zwei Vakuumstahlröhren, in denen Forscher Protonen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit frontal zusammenstoßen lassen wollen. Hier soll am 10. September erstmals rekonstruiert werden, was eine Billionstelsekunde nach dem Urknall geschah und ob das seit 30 Jahren diskutierte Standardmodell der Teilchenphysik richtig ist. Der technische Aufwand ist immens. Doch noch viel größer ist die Herausforderung, die gigantische Zahl von Ereignissen, die bei den 600 Millionen Kollisionen pro Sekunde entstehen, zu analysieren. Mit Grid sollen Wissenschaftler auf der ganzen Welt auf die Daten zugreifen und sie gemeinsam auswerten können. Kaffee-Atmo Sprecherin Eine resolute Sekretärin betritt den Raum und stellt - unbeeindruckt vom Interview - mit viel Schwung die Kaffeekanne auf den Tisch. Harry Enke lehnt sich mit einer Tasse zurück und versucht, den komplizierteren Teil des Grid zu erklären: 8 O-Ton Enke Grid-Technologie ist von der Vorstellung her, dass man verschiedene Hardware hat. Diese Hardware wird von operating systems betrieben, also Linux, Windows, was auch immer. Und diese operating systems stellen Schnittstellen zur Verfügung, um Applikationen laufen zu lassen. Zum Beispiel wenn man Word auf Windows laufen lässt, benutzt Word die Schnittstellen von Windows, wenn man Open Office auf Linux laufen lässt, dann benutzt Open Office die Schnittstellen von Linux. Grid schafft nun Standardschnittschnellen, die unabhängig vom Betriebssystem sind. Sprecher Ziel ist es, den persönlichen Desktop zu einem vollständigen Rechenzentrum auszubauen, ohne dass man sich Gedanken darüber machen muss, wie und wo gerechnet wird. 09 O-Ton Enke Und dieser Service produziert soviel an Output, dass die traditionellen Bearbeitungskonzepte zunehmend darauf nicht mehr anzuwenden sind. Wir brauchen an der Stelle neue. Sprecher: Ungeheure Datenmengen sind heute eines der wesentlichen Probleme in Forschung und Industrie. Allein der Teilchenbeschleuniger am CERN soll jährlich 15 Petabyte Daten produzieren, auf die tausende Wissenschaftler auf der ganzen Welt Zugriff haben sollen. Das entspricht etwa 1 Prozent der globalen Informationsmenge. Chris Anderson, Chefredakteur des Computermagazins Wired, verkündete bereits den Anfang des "Petabyte-Zeitalters" mit weit reichenden Konsequenzen für die Wissenschaft. 10 O-Ton Anderson (engl. - Voice Over Sprecher 2 ) Ich denke, wir haben heute eine neue Art wissenschaftlichen Arbeitens, die Möglichkeiten bietet, die vor den Zeiten massiver Daten und dem so genannten "Petabyte Scale computing" einfach nicht möglich waren. Wir haben im Grunde genommen ein neues wissenschaftliches Werkzeug, ähnlich einem Mikroskop oder Teleskop, das unsere ursprüngliche Einordnung in Theorie und Experiment aufhebt. Wir Wissenschaftler sind Datensammler geworden. Als erstes bestimmen wir die Daten, dann die Korrelationen. Und das reicht uns. Sprecherin Ein Petabyte sind eine Billiarde Bits. Eine unvorstellbare Datenmenge. Trotz dieser gigantischen Datenauswertung kann man auf Denkprozesse und traditionelle Forschung nicht verzichten, findet jedenfalls Harry Enke: 11 O-Ton Enke Aber ich bin immer noch der Ansicht, dass das menschliche Denken unabdingbar ist, um aus den Daten - seien sie auch noch so geordnet, Wissen herauszuziehen. Man kann selbst mit intelligenten Data-Mining nicht erwarten, dass es von sich aus eine neue wissenschaftliche Erkenntnis produziert. II Musik 1 Zitator Drei sammeln Material über Versuche auf dem Gebiete der reinen Wissenschaft, der ganzen mechanischen Technik und der übrigen praktischen Anwendungen der Wissenschaft. Dies sind die so genannten ,Jäger'." Aus dem Fragment "Nova Atlantis" von Francis Bacon. Atmo 2 Sprecherin Die Wahrscheinlichkeit, beim SETI-Projekt Radiosignale einer neugierigen außerirdischen Intelligenz zu empfangen, ist eher gering. Aber selbst wenn man meint, nur einen Asteroiden entdeckt zu haben, gibt es festgelegte Abläufe, erklärt Alan Harris, Planetenforscher am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum. 13 O-Ton Harris Die Entdeckung eines neuen Asteroiden ist nicht so einfach wie es sich anhört. Es passiert so, dass jemand, der Teleskopbeobachtungen macht, Aufnahmen während einer Nacht, annimmt, er hätte etwas Neues gefunden. Man muss natürlich zuerst durch riesige Kataloge von schon entdeckten Objekten gehen, um festzustellen, dass das tatsächlich was Neues ist. Sprecherin Alan Harris ist Spezialist für kleine, erdnahe Himmelskörper. Er gehört zu jenen Wissenschaftlern, denen man die Begeisterung an der Forschung mit jedem Satz anmerkt. 14 O-Ton Harris Die Astronomie ist für mich die Untersuchung unserer - im weitesten Sinne - natürlichen Umgebung. Wir leben in einer Welt, wir müssen diese Welt verstehen. Aber für mich ist diese Welt nicht nur dieser Planet sondern das ganze Universum. Das ganze Universum müssen wir auch anfangen zu verstehen. Weil wir leben drin, wir sind abhängig von den Prozessen, die hier vorgehen. Sprecherin In seinem kleinen Büro am Institut für Planetenforschung stapeln sich Papierberge. Trotz des Internets, das gerade in der Astronomie unentbehrlich geworden ist. 15 O-Ton Harris Wir haben hier jetzt die Möglichkeit über das Internet ein Teleskop in Hawai direkt zu steuern. Wir müssen nicht mehr nach Hawai fahren, was manchmal schade ist, aber wir sparen natürlich sehr viel Geld, wenn wir nicht reisen müssen, und wir können über das Internet von Berlin aus ein Teleskop auf der anderen Seite der Welt tatsächlich steuern. Man kann auch große Mengen an Daten austauschen und das bedeutet, dass viele Leute, egal wo die in der Welt sitzen, an einem Thema, an einem Paper gleichzeitig arbeiten können. Sprecher Beobachtungen, die zu nichts führten, oder ein Experiment, das gescheitert ist, kämen für eine offizielle Veröffentlichung nicht in Frage. Aber sie können anderen Forschern weiterhelfen, wenn sie nur davon wüssten. Bei den so genannten "elektronischen Laborbüchern" (Lab Notebooks) wird auch die tägliche Forschungsarbeit offen gelegt. Jean-Claude Bradley, Chemiker an der Drexel-Universität, betreibt seit Dezember 2005 solch ein offenes Laborbuch. 16 O-Ton Bradley (engl. - Voice over Sprecher 2) Also ich habe meine Arbeit mit dem Offenen Labor im Sommer 2005 begonnen. Wenn Sie in einem Labor arbeiten, merken Sie ziemlich schnell, dass das meiste von dem, was Sie erarbeiten, nie die Öffentlichkeit erreicht. Als Chemiker führen Sie ein Experiment durch und machen Aufzeichnungen in einem klassischen Notizbuch aus vergilbtem Papier. Ich habe lange überlegt, was man machen könnte, damit Leute, die Sie nicht kennen, von Ihren Forschungsergebnissen profitieren können. Es hat wirklich bis 2005 gedauert, dass Technologien sozialer Software einfach bedienbar wurden. Es gibt viele Beispiele dafür: Blogs, Wikis und so weiter. Sprecher: Noch ist die Idee des "Open Lab" eher in Amerika als in Deutschland verbreitet. Die Gründe hierfür sind auch in der Geschichte zu suchen. Ende der 60er Jahre wurden Computer immer mehr zu Schaltstellen der wissenschaftlichen Kommunikation, gleichzeitig stieg das Bedürfnis nach einem effizienten und schnellen Datenaustausch. So entstand das ARPANET, ein neuartiges Computernetzwerk für das amerikanische Militär, das, allerdings nur der Legende nach, im Falle eines drohenden Atomkrieges störungsfreie Kommunikation ermöglichen sollte. Es lief ab Ende des Jahrzehnts auch an amerikanischen Elite-Hochschulen. In den folgenden anderthalb Jahrzehnten entwickelte sich daraus ein wissenschaftliches Netzwerk: Enthusiastische Spezialisten entwickelten Systeme und Programme für die akademische Welt, die Computersysteme internettauglich machten. Wissen konnte schnell ausgetauscht werden. So wurden bereits Vorläufer des Internets vorwiegend für wissenschaftliche Netzwerke genutzt. 17 O-Ton Bradley (engl. - Voice over Sprecher 2) Ich versuche nicht, die Leute zum Open Lab zu zwingen. Ich vertrete nur die Annahme, dass wenn man seine Versuche nah an der Echtzeit, also der Durchführung des Experimentes, veröffentlicht und transparent macht, dann können wir ein qualitativ ganz anderes Niveau an wissenschaftlichem Fortschritt erreichen. Dafür muss sich noch nicht einmal die Mehrheit der Forscher am Open Lab beteiligen, es reicht, wenn es einige tun. Specher Jeder Eintrag im offenen Laborbuch bekommt einen Zeitstempel. Mit dessen Hilfe ließe sich im Zweifel sehr schnell feststellen, wer eine Idee zuerst geäußert hat. 18 O-Ton Harris Es gibt starken Konkurrenzdruck. Wie in allen Gebieten, glaube ich. Wenn man zum Beispiel auf Daten in einem Rechner zugreift, wo man keinen normalen Zugang hat, dann wird es langsam kritisch. Aber wenn Daten irgendwie auf einer öffentlichen Website zu finden sind, dann kann niemand was sagen. Dann kann jeder zugreifen und jeder kann mit diesen Daten machen, was er will. III Musik 1 Zitator "Drei registrieren die Versuchsergebnisse der anderen, nach Stichworten und in Tabellen, um sie übersichtlicher zu gestalten, so daß man daraus besser Beobachtungen und allgemeine Regeln entnehmen kann. Sie heißen ,Ordner' " Aus dem Fragment "Nova Atlantis" von Francis Bacon. Atmo 2 Sprecherin Angenommen, unsere Forscher waren erfolgreich und haben einen neuen erdnahen Asteroiden beobachtet. Zwar entdecken die rund 100 mit Asteroidensuche beschäftigten Astronomen fast jeden Tag einen Himmelskörper, doch nur ein Bruchteil kann auch für die Erde gefährlich werden. Die Berechnungen zur Flugbahn und Kollisionswahrscheinlichkeit sollen möglichst bald veröffentlicht werden. Auch Hobby- Astronomen und diverse Ufologen haben ihr Interesse bekundet. 19 O-Ton Harris Es ist im Interesse aller Beteiligten, dass die Daten, die wissenschaftlichen Ergebnisse so schnell wie möglich für andere Fachleute verfügbar sind. Mit den normalen Zeitschriften, die jetzt noch in Papier erscheinen, dauert es in meinem Fachgebiet mindestens 6-9 Monate zwischen Einreichung und Veröffentlichung in der Zeitschrift. Sprecher Als die Royal Society of London 1665 mit den Philosophical Transactions eines der ersten Wissenschaftsjournale herausbrachte, tauschten sich Wissenschaftler noch in Briefen oder höchstpersönlich aus. 20 O -Ton Bertelmann So wie wissenschaftliches Publizieren funktioniert, so funktioniert es ja seit 200 Jahren, es hat sich so entwickelt. Ich denke, dass Zeitschriften weiter in Zukunft das Medium sein werden, wo zumindest in den Naturwissenschaften, wissenschaftliche kommuniziert wird. Sprecherin Roland Bertelmann ist Leiter der Bibliothek am Helmholtz-Zentrum Potsdam. Er war an der Ausarbeitung der Initiative "Digitale Information" beteiligt, die von deutschen Wissenschaftsorganisationen im Juni dieses Jahres gestartet wurde. Sprecher: Mit dem Internet hat sich der Forschungsbetrieb zu einer regelrechten Erkenntnisindustrie ausgewachsen. Bereits 1991 hatte Paul Ginsparg am Los Alamos National Laboratory einen "eprint Server" eingerichtet, auf dem Physiker ihre Arbeiten vorab als Dateien zur Verfügung stellen konnten. Das ArXive war geboren und damit die Idee eines weltweiten offenen Zugangs - Open Access. 21 O-Ton Bertelmann Open Access sagt ja nichts anderes dass, man ein barrierefreien, offenen Zugang zu wissenschaftlichen Wissen haben möchte. Das heißt nicht - und das ist ein elementares Missverständnis - dass man das vorhandene System bekämpfen oder über den Haufen werfen wolle. Sprecherin Roland Bertelmann ist sehr vorsichtig mit seinen Aussagen. Dass Open Access eine Konkurrenz zu den Fachverlagen darstellt, hält er für falsch. Vielleicht aber auch nur für wenig realistisch. Sprecher Das ursprüngliche Modell, bei dem weltweit rund 25.000 Fachzeitschriften pro Jahr geschätzte 3 Millionen von Fachkollegen überprüfte Artikel veröffentlichen, ist immer noch ein einträgliches Geschäft. Gleichzeitig klagen aber die Universitäten über steigende Abonnement-Preisen. Die neue Strategie heißt daher Kostenverschiebung. Das heißt, wer ein Dokument auf den Server stellt, trägt die Kosten der Veröffentlichung. Diskutiert wird dann eine Abrufgebühr, die aber minimal sein muss. 22 O-Ton Harris Wir geraten jetzt zunehmend in Schwierigkeiten in der Forschung, in der Grundlagenforschung, weil wir in einer zunehmenden "free market economy" leben und arbeiten. Alles muss bezahlt werden. Alles hat seinen Preis. Und ich finde manchmal, es geht zu weit. Sprecher Von einer Open Access-Revolution kann noch nicht die Rede sein. Bislang sind nur geschätzte 10 bis 15 Prozent aller Forschungsarbeiten offen zugänglich - die Mehrzahl der Forscher hat Vorbehalte. 23 O-Ton Harris Es ist sehr einfach, wenn man eine Zeitschrift in Papierform hat, in einer Bibliothek, ändert sie sich nicht. Sie bleibt da. Es sei denn, es kommt ein Feuer oder so etwas. Es gibt viele, viele Kopien von solchen Papers in vielen Bibliotheken der Welt. Das System muss versichern, dass diese Veröffentlichungen nicht mehr geändert werden können, dass es Kopien weltweit gibt, dass das nicht flüchtig ist, sonst geht diese Arbeit für immer verloren. Sprecher Bei einer Weiterentwicklung von Open Access könnten sich digitale Publikationen in multifunktionale Lexika verwandeln. Fachaufsätze erhalten Links, mit denen man auf Datensätze zugreifen und eigene Berechnungen anstellen kann. Die akademische Welt bräuchte dazu neben Archiven bessere Suchmaschinen. Open Access als Idee wird jedoch nicht nur die Publikationen verändern. 24 O-Ton Klumpe Was ich denke, was jetzt noch als neue Thema auftauchen wird, nachdem Open Access in der Literatur diskutiert wurde und sehr weiterentwickelt wurde, wird der nächste Schritt sein, Open Access zu Diensten. Wenn mehr Online kollaborative Werkzeuge da sind, mit denen man mit den Daten spielen kann, die man dann visualisieren kann, dass man Dienste zusammenstöpseln kann in Arbeitsabläufe. Sprecher Jens Klumpe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geoforschungsinstitut in Potsdam und entwickelt Methoden, mit denen Messergebnisse in Datenbanken besser verfügbar und kompatibel werden. III 26 Einspieler 2: Collage öffentlicher Vorträge anlässlich des "Jahres der Physik" 0'50 frei, dann unter dem Zitat ausblenden Atmo 1 Sprecherin Eine Simulation unseres neu entdeckten, erdnahen Asteroiden ist mittlerweile als Video auf youTube angekommen und rangiert in der Beliebtheit gleich hinter einem animierten Hamster. Diverse - mehr oder weniger seriöse - Foren diskutieren die Wahrscheinlichkeit einer Kollision mit der Erde. 27 O Ton Klumpe In der Praxis ist es so, dass die Öffnung noch in Ansätzen ist, aber es ist nicht so, dass es nicht gewollt ist. Es gibt auch schon Institute, wo Vorbehalte sind, wo man jetzt die Daten nicht einer allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich machen will, weil man Angst davor hat, dass es Fehlinterpretationen gibt. Wir haben aber noch ein großes Problem außerhalb der kleinen Fachcommunities zu vermitteln, was man mit Daten machen kann. Das ist zum Teil noch sehr abstrakt für Außenstehende zu verstehen, was ein Erdrotationsparameter sein soll und was der mit dem Klimawandel zu tun hat. Und solche Übersetzungsarbeiten, bis hin zu einer großen Öffentlichkeit, da ist noch ein Weg zu gehen. Sprecherin Jens Klumpe entspricht nicht dem gängigen Klischee eines Wissenschaftlers. Äußerlich könnte er ebenso gut als Surfer durchgehen. Da passt es, dass er in Südafrika Geologie studiert und als IT-Projektmanager bei der Wochenzeitschrift "DIE ZEIT" gearbeitet hat. Er ist einer der wenigen Wissenschaftler, die auch selbst ein Blog betreiben. 28 O-Ton Klumpe Die Resonanz auf meine ersten Blog-Gehversuche war auch überraschend für mich. Das ist ein Weg um Ideen zu diskutieren, ohne den langen, mühseligen Weg über die offiziellen Publikationen zu gehen. "Stratigraphy.net internals" geht um ein sehr spezielles Thema. Um den Einsatz von Computertechnik für das Verständnis der Erdschichtung und der Erdalter und wie man zum Beispiel Fossilien zur Altersbestimmung einsetzt. Ein totales Spezialistenthema. Sprecher Komplexe Erkenntnisse sollen der weltweiten akademischen Community so leicht zugänglich gemacht werden, wie Videoclips auf YouTube. Die Information auch verständlich zu machen, ist dabei ungleich schwieriger, allein wegen der oft missverständlichen Fachsprachen. Das Portal SciVee will Abhilfe schaffen. 29 O-Ton (engl. - Voice over Sprecher 2) Pubcasts sind Videos, die direkt mit wissenschaftlichen Aufsätzen verlinkt sind. Die Idee ist, ein Medium zu kreieren, das zwischen einem abstract und dem eigentlichen Aufsatz vermittelt. Ich kann ein abstract in ein paar Minuten lesen, wenn ich aber dann merke, es interessiert mich, ich möchte den ganzen Aufsatz lesen, kann es bis zu 3 Stunden dauern, bis dies geschieht. Wir versuchen nun, dass der Autor selbst eine kurze, ca. 5- 10 minütige Zusammenfassung seines Aufsatzes gibt. Warum sollten Wissenschaftler dies tun? In erster Linie ist es eine Möglichkeit, seine Arbeit einem größeren Publikum vorzustellen. Sprecher Bislang ist die Veröffentlichung herausragender Forschungsergebnisse jedoch ausgeblieben. Vielleicht liegt es daran, dass die Aufmachung nicht zu wenig sondern zu viel an youTube erinnert. IV Musik Sprecher Anfang der neunziger Jahre wurde aus elitären wissenschaftlichen Netzwerken Massenware. Das Internet war der erfolgreichste Versuch einer Demokratisierung des Wissensbestandes seit Gutenberg. 30 O-Ton Klumpe Das ist noch zu wenig. Da ist noch zuviel Arbeit im stillen Kämmerlein, und da ist noch zuviel altes Denken, wo ich dann die Kollegen frage, wie es mit ihrer Medienkompetenz bestellt ist. Und dass die dann sagen, ja aber Wikipedia und Blogs, denen kann man ja nicht trauen ... Klar kann man denen nicht trauen, aber man bekommt gute Ideen. Sprecher An Ideen mangelt es nicht. Daten, Rechenleistung, Software werden vernetzt. Die wissenschaftlichen Publikations- und Kommunikationsformen ändern sich. Letztlich stecken hinter jeder Wissenschaft auch nur Menschen. 31 O-Ton Enke Ich habe, bevor ich im AIP angefangen habe, unter anderem auch als Netzwerk- Consulter gearbeitet. Im IT-Bereich. Meine Erfahrung daraus war, wann immer ich in eine Firma gegangen bin, wo es Probleme im firmeninternen Netzwerk gab, fuhr ich immer sehr gut mit der Regel 50 Prozent sind technische, 50 Prozent menschliche und soziale Probleme. Sprecher Viele Klischees haben ausgedient. Vor allem jene vom unfehlbaren Wissenschaftler als "asozialen Einzelgänger", der am Ende seiner Forschung ein geniales Werk hervorbringt. 32 O-Ton Enke Wenn Sie in Nature reingucken, dann ist dort die Autorenliste oft länger als der abstract. Man kann schon sagen, dass natürlich aus vielerlei Gründen heutzutage die wissenschaftlichen Methoden einen extremen Wandel erfahren haben. Sprecher Ein logisches Theorem besagt, - stark vereinfacht -, Zitator ...dass kein endliches, geschlossenes System die Komplexität eines unendlichen Systems repräsentieren kann." Sprecher Eine Weiterentwicklung der Wissenschaften ist daher nur durch eine Öffnung der internen Strukturen möglich. Durch Vernetzung und Virtualisierung der Forschungsumgebungen, freien Zugriff auf wissenschaftliche Ergebnisse und deren Übersetzung für die Allgemeinheit. Die Notwendigkeit besteht angesichts globaler Probleme bereits jetzt. Musik 1