DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 28.04.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 ? 20.00 Uhr Labor des Wegwerf-Menschen Arbeitssklaven in Kalabrien Ein Feature von Aureliana Sorrento URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik Ansage Labor des Wegwerf-Menschen Arbeitssklaven in Kalabrien Ein Feature von Aureliana Sorrento AT im Containercamp O-TON Gui Prima Ahmad Io sto arrivando in Italia...regola./ Non è che piace...in Italia/In tempo di guerra...pericoloso 1.Übersetzer: Ich bin 2011 in Italien angekommen, mit einem Boot, das in Pantelleria angelegt hat. Burkina Faso habe ich aber viel früher verlassen, ich war drei Jahre in Libyen, wo ich in einer Bäckerei gearbeitet habe. Eine gute Arbeit, mit Arbeitsvertrag und festem Lohn. Es war nicht mein Wunsch, nach Italien zu kommen. Das Problem war der Krieg gegen Gaddafi. Während des Krieges haben alle zugemacht, alle Fabriken, alle Unternehmen. Es gab keine Arbeit mehr. Und man konnte sich auch nicht mehr frei bewegen. Es gab Waffen überall, Waffen aus allen Ländern. Autorin Es ist Anfang Dezember, aber die Temperaturen sind mild in Rosarno. Gui Prima Ahmad lebt in einer der zwanzig weißen Hütten, die die Stadtverwaltung rings um einen Sandplatz hat aufstellen lassen: Notunterkünfte für die Erntearbeiter, die auf den Orangen- und Mandarinen-Plantagen der Gegend schuften. Jeder Container ist mit sechs Schlafplätzen, einer Toilette und einer Kochplatte ausgestattet. O-TON Gui Prima Ahmad Io fare contatto con mio amico ...altro tempo in Sicilia. 1.Übersetzer: Ich hatte Kontakt zu einem Freund, der schon hier in Rosarno war. Er sagte mir, hier gebe es Arbeit für den Winter, bei der Orangen- und Mandarinenernte. Also kam ich 2012 hierher. Als die Arbeit hier vorbei war, bin ich wieder nach Sizilien gegangen. Ich pendle: Fünf Monate verbringe ich in Kalabrien und die restlichen auf Sizilien. AT im Containercamp Autorin In dem Container, den sich Gui Prima Ahmad mit fünf anderen Erntearbeitern teilt, ist jeder Zentimeter Boden mit Wäsche, Schuhen, Kochutensilien und anderen Habseligkeiten bedeckt. Kleidungsstücke hängen auch am Maschendrahtzaun, der das Lager umgrenzt. Jenseits des Zauns türmt sich Müll. Die kalabresischen Gemeinden haben schon lange kein Geld mehr für eine regelmäßige Entsorgung, nicht einmal in den Stadtzentren. O-TON Gui Prima Amahd Qua lavoro il giorno 8 ore 9 ore, dalle 6 fino alle 4 o le 5...20 euro 22 euro non di più. / Noi non volevo...o pagare affitto. / Qui in Italia...due volte di lavoro. 1.Übersetzer: Ich arbeite acht oder neun Stunden am Tag, von sechs Uhr morgens bis vier oder fünf Uhr nachmittags. Allerdings nicht jeden Tag. An manchen Tagen gibt es Arbeit, an anderen Tagen nicht. Wir leben schlecht, man verdient nichts, nicht mal genug, um Lebensmittel zu kaufen. Die Plantagenbesitzer zahlen pro Kiste, die man füllt. Für eine Kiste Mandarinen kriegen wir einen Euro, für eine Kiste Orangen 50 Cent. Wenn sie pro Tag zahlen, dann kriegen wir 20, höchstens 22 Euro. Wir würden gerne in einer richtigen Wohnung wohnen statt hier im Lager. Aber es geht halt nicht. Weil wir keine regelmäßige Arbeit haben. Mit den 20 oder 22 Euro, die wir nicht mal jeden Tag verdienen, kann man keine Miete bezahlen. AT im Containercamp Autorin Das Lager für die Erntearbeiter hat man weit weg vom Stadtkern Rosarnos errichtet. Es befindet sich auf einem Areal, das man hier Industriegebiet nennt, wo es aber keine Industrie gibt. Die italienischen Regierungen der 1970er-Jahre hatten den Kalabresen Tausende von Arbeitsplätzen versprochen. In Rosarno wollten sie Stahlwerke bauen. Daraus wurde nichts. Man goss lediglich Asphalt auf fruchtbares Ackerland, dann platzte der Traum von der Industrialisierung. Jetzt hausen hier die Afrikaner, mit denen die meisten Bewohner des Orts nichts zu tun haben wollen. O-TON Gui Prima Ahmad Da noi uscire la...cento Km che è tanto./ Senta motivo...terra sta cosi`. 1.Übersetzer: Ich habe Burkina Faso verlassen, weil der Präsident Blaise Campaorè das Ackerland meiner Familie enteignet hat. Sonst wäre ich dort geblieben und hätte unseren Acker bewirtschaftet. Uns ging es gut, wir hatten keinen Hunger. Aber wir waren nicht die einzigen, denen das Land weggenommen wurde. Der Präsident hat 100 Kilometer Land enteignet. Wir wissen nicht warum. Es heißt, dass sie dort Tiere halten, einen Zoo errichten wollen. Aber jetzt liegt alles brach. Autorin Von Landgrabbing hat Gui Prima Ahmad nie etwas gehört. Er weiß nicht, dass im Rahmen eines Projektes der Weltbank, das angeblich die Ernährungssicherheit Burkina Fasos gewährleisten sollte, Tausende Hektar fruchtbaren Landes an ausländische Investoren für 99 Jahre verpachtet worden sind. Er weiß nur, dass es für seine Familie nichts mehr zu essen gab und für ihn keine Arbeit. AT Landatmo Autorin Rosarno liegt im Süden Kalabriens, in der Ebene von Gioia Tauro, am nördlichsten Rand der Provinz von Reggio Calabria. Die Ebene von Gioia Tauro war traditionell ein Olivenanbaugebiet. Erst in den 1950er-Jahren wurden rund um Rosarno, das mit seinen oft unfertigen und unverputzten Häusern wie die gesamte Region recht desolat wirkt, Olivenhaine durch Orangenbäume ersetzt. Von den Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung abgesehen ist die Landwirtschaft bis heute die einzige Einkommensquelle der Gegend ? zumindest die einzig legale. Das große Geld wird aber in den Geschäftszweigen gemacht, denen die Ndrangheta, ihre besondere Aufmerksamkeit widmet: Drogenhandel, Schutzgelderpressung, öffentliche Bauaufträge, Waffen- und Müllhandel. Außerdem kontrolliert die kalabresische Mafia den Warenverkehr und sämtliche Dienstleistungen im Hafen von Gioia Tauro, das vier Kilometer von Rosarno entfernt liegt. Bis vor wenigen Jahren, so heißt es, habe die Ndrangheta auch den Orangenhandel in der Region kontrolliert, seitdem die EU aber die Subventionen gestrichen hat und die Preise für Orangen gefallen sind, scheint die Ndranghetta jegliches Interesse verloren zu haben. Musik Autorin Von Ende November bis Februar strömen Tausende afrikanischer Wanderarbeiter zur Orangenernte nach Rosarno. Stumm und geduckt schleichen sie durch die Gegend. Meist laufen sie am Rand der Ausfallstraßen, oder auf den Wegen, die zu den Plantagen führen. Die glücklicheren fahren klapprige Fahrräder. In Trauben stehen sie an den Plätzen und Straßenkreuzungen, die als "Straßenstrich" für Tagelöhner bekannt sind. Nicht nur in Rosarno, in ganz Italien hat sich eine Rekrutierungsmethode durchgesetzt, die man "caporalato" nennt. Sogenannte "caporali" ? meist Zuwanderer aus Osteuropa ? sammeln die Afrikaner auf den Straßen auf, karren sie in LKWs auf die Felder oder Baustellen und kassieren einen Teil ihres Lohns. Eine illegale Praxis, aber weder Haftstrafen noch saftige Geldbußen konnten sie bislang aus der Welt schaffen. AT Straßenkreuzung Autorin Heute sei noch niemand gekommen, klagt Mussa. Mit sechs Kumpeln hat er sich an einem Punkt postiert, an dem sich vier Landstraßen kreuzen. O-TON Mussa Niente, mattina qua, poi nove e mezza andare a casa,.. io per forza gira. 1.Übersetzer: Nichts, ich war schon früh hier, um halb neun bin ich ins Zeltlager zurückgegangen, dann wieder herumgelaufen. Herumlaufen, herumlaufen, herumlaufen. Aber nichts, keine Arbeit. Was soll man tun? 2011 bin ich nach Italien gekommen, seitdem bin ich unterwegs. Ich ziehe herum und suche Arbeit. Wo ich Arbeit finde, bleibe ich, wenn es keine Arbeit gibt, muss ich halt weiterziehen. AT Schritte und Stimmen auf dem Grundstück von Albanese Autorin In der Clementinen-Plantage von Michele Albanese klackern die Scheren seit Tagesanbruch im Dickicht der Kronen. Heute und morgen wird geerntet. Zwei Hektar sei sein Grundstück groß, sagt der Bauer: O-TON Michele Albanese Circa 800 piante...nelle case delle persone. 2.Übersetzer: Es sind zirka 800 Bäume, 25 Jahre sind sie alt. Wir beschneiden sie, sodass sie niedrig bleiben, damit die Ernte leichter wird. Es ist eine Intensivkultur, sie kann pro Jahr 60 Tonnen erbringen. Und da die Früchte sich nicht länger als einen Monat auf dem Baum halten, muss man sie möglichst schnell ernten. AT Schritte Flugzeug im Hintergrund Autorin In einem langen Mantel schreitet Michele Albanese den Feldweg entlang, der seine Plantage teilt, und überwacht seine Pflücker. O-TON Michele Albanese La raccolta...per l'intero anno. 2.Übersetzer: Für die Ernte heuern wir Saisonarbeiter an, die wir regulär anstellen. Die meisten sind Afrikaner, dann gibt es eine Gruppe Bulgaren, und zwei Rumänen, die aber das ganze Jahr bei uns bleiben. Autorin "Regulär anstellen" bedeutet nicht, dass die Pflücker fest angestellt würden. Erntearbeiter sind Tagelöhner, sie werden tageweise bezahlt und müssen jeden Tag aufs Neue Arbeit suchen. Er zahle 35 Euro pro Tag, sagt Albanese, und außerdem führe er Rentenbeiträge ab. Madi bestätigt das. Er ist der einzige Pflücker, mit dem ich reden darf. Die anderen sind hinter den Bäumen verschwunden. AT Madi bei der Arbeit O-TON Madi Non tutti, ogni ha sua legge. C'è chi ti paga a cassetta. ...ti paga quello che fa. Oggi sono come...lavoro urgente. 1.Übersetzer: Nicht alle Padroni zahlen das gleiche. Jeder hat sein eigenes Gesetz. Manche zahlen pro Kiste. Wenn du hundert Kisten vollkriegst, geben sie dir 100 Euro, wenn du weniger schaffst, dann zahlen sie dir nur das, was du geschafft hast. Heute arbeite ich als Tagelöhner auf Abruf. In dieser Plantage gibt es gerade Arbeit, die dringend erledigt werden muss, deswegen bin ich für zwei Tage angeheuert worden. O-TON Madhi Pero io non deve fermare...perche sono bagnato. Autorin Er dürfe nicht still halten, sagt Madi, sonst würde ihm kalt, sein T-Shirt ist nass. Es hat geregnet in der Nacht, auf den Blättern flimmern noch Wassertropfen. Madi stammt aus Mali. Er ist 2005 in Italien angekommen. O-TON Madhi Lavoro tutto l anno perche conosco tanto padrone...Torino Piemonte. Sempre da 7 anni cosi. Ho lavorato un anno c... è durano. Perche i documenti si durano in questura? Perchè? È giusto così? 1.Übersetzer: Ich arbeite das ganze Jahr, weil ich viele Padroni kenne. Nach der Ernte in Rosarno fahre ich nach Turin, pflücke Äpfel, Pfirsiche, Pflaumen, Kiwi. Dann komme ich wieder hierher. So ist es seit sieben Jahren. Ein Jahr habe ich in Parma in einer Käsefabrik gearbeitet. Dann gab es dort keine Arbeit mehr, also bin ich hierher gekommen, 2007. Ich habe schwarz gearbeitet, weil ich keine Papiere hatte. Jetzt habe ich eine Aufenthaltsgenehmigung, die muss erneuert werden. Dazu habe ich meine Papiere schon im vergangenen April zum Polizeipräsidium gebracht, aber sie haben sie noch nicht bearbeitet. Warum das? Jetzt habe ich einen Arbeitsvertrag und alles nötige. Warum brauchen die so lange? Ist das gerecht? Autorin Madi besitzt keinen Flüchtlingsstatus. Als Saisonarbeiter darf er aber in Italien leben, so lange er Arbeit hat. Nach dem Bossi-Fini-Gesetz, das die Regierung Berlusconi erließ und das immer noch gilt, können Nicht-EU-Ausländer in Italien bleiben, solange sie einen Arbeitsvertrag vorweisen können. Verlieren sie die Arbeit, müssen sie auch das Land verlassen. Wenn Madis Aufenthaltsgenehmigung abläuft, gilt er als Clandestino, das heißt als illegaler Einwanderer ? dann unterschreibt ihm kein Arbeitgeber mehr einen Arbeitsvertrag. O-TON Madhi Pfeift...Non devi tornare a casa, ... Se non hai documenti devi lavorare in nero. 1.Übersetzer: Dann muss man nicht zurück, dann muss man halt ohne Papiere da bleiben und schwarz arbeiten. Autorin Illegale Einwanderer gelten als Straftäter und sind daher erpressbar. Weil sie auf jeden Cent und auf das Schweigen des Arbeitgebers angewiesen sind, kann der sie nach Gutdünken ausbeuten. Inzwischen wird Schwarzarbeit auch in Italien mit saftigen Geldstrafen geahndet. Das ist vermutlich der Grund, weshalb kein Bauer mit mir reden will, der Einwanderer illegal beschäftigt und weit unter Tarif bezahlt. O-TON Filippo Zerbi Io quando li ho utilizzati...molto pesanti 2.Übersetzer: Wenn ich Einwanderer angeheuert habe, habe ich sie immer legal beschäftigt und Rentenbeiträge für sie abgeführt. Clandestinos kann man natürlich nicht regulär anstellen. Wer Clandestinos beschäftigt, tut es auf eigenes Risiko, denn die Strafen dafür sind sehr hoch. Autorin Filippo Zerbi ist in erster Linie Olivenbauer; seine Orangenplantagen habe er vor kurzem auf Kiwis umgestellt, sagt er. Aber er kenne die Zustände auf Rosarnos Orangen- und Mandarinen-Plantagen sehr gut. O-TON Filippo Zerbi Se le dovessi dire su 10 neri ... sono rifugiati politici. 2.Übersetzer: Ich schätze, dass von zehn afrikanischen Erntearbeitern in Rosarno nur einer, höchstes zwei, legal und sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden. Egal, ob sie Clandestinos sind oder asylberechtigt. AT Ernte O-TON Sane Osmane Dopo la rivolta...sono andato via. 1.Übersetzer: Mit einem italienischen Freund und anderen Leuten habe ich damals, in den Tagen nach der Revolte, den anderen Einwanderern zur Flucht verholfen. Ich wollte meine Brüder in der Gefahr nicht alleine lassen, so bin ich als einer der letzten geflüchtet. Autorin Sane Osmane ist später wieder zurück gekommen nach Rosarno. O-TON Sane Osmane La rivolta è una storia...vendevano droga. 1.Übersetzer: Was der Auslöser der Revolte war, ist schwer zu sagen, denn darüber sind verschiedene Geschichten im Umlauf. Aber meine Freunde haben mir gesagt, dass einige Afrikaner lange Zeit für einen Bauern gearbeitet hatten, der sie nicht bezahlte. Eines Tages sind sie zu ihm gegangen, um ihren Lohn zu fordern. Aber der sagte, er habe kein Geld. Das regte sie auf, weil sie lange gearbeitet hatten, also kam es zu einem heftigen Wortwechsel. Der Bauer sagte ihnen, sie sollten weggehen, wenn er wieder Geld habe, würde er sie bezahlen. Nachdem sie in der Fabrik angekommen waren, in der sie wohnten, ging einer von ihnen Wasser holen, um duschen und kochen zu können. Ein Auto fuhr an ihm vorbei, und er spürte plötzlich einen starken Schmerz und merkte, dass er blutete. Er dachte, man habe einen Stein auf ihn geworfen. Aber die anderen Jungs sahen, dass man auf ihn geschossen hatte. Die Leute aus Rosarno erzählen eine andere Geschichte. Sie sagen, das Problem sei gewesen, dass manche Afrikaner Drogen verkauft hätten. Autorin Die Revolte ? so nennt man in Rosarno die Ereignisse vom Januar 2010. Es gibt die Zeit vor der Revolte und die Zeit nach der Revolte. Nach der Revolte hat man das Containerlager errichtet, seit der Revolte schickt das Arbeitsamt Kontrolleure auf die Plantagen. Seitdem gibt es mehr reguläre Arbeitsverträge. Die Pflücker arbeiten allerdings an viel mehr Tagen im Jahr als die Arbeitgeber gegenüber den Behörden angeben. AT im Olivenhain von Trungadi Autorin Im Januar 2010 hielten sich zirka 2500 afrikanische Erntearbeiter in Rosarno auf. Die meisten hatten in zwei aufgelassenen Fabriken Unterschlupf gefunden. Michele Trungadi kannte viele von ihnen. Er ist Olivenbauer, sein Häuschen liegt mitten in einem Wald mit uralten, majestätischen Olivenbäumen. 2010 engagierte sich Michele Trungadi mit Freunden und Mitgliedern von medico international für die Einwanderer. Sie brachten ihnen Lebensmittel und Kleidung und kümmerten sich um medizinische Versorgung. O-TON Michele Trungadi Prima della rivolta in UNO dei due... per far scoppiare questa rivolta. 2.Übersetzer: In einer der zwei Fabriken, einer Ölraffinerie, die nie in Betrieb gekommen war, wohnten mehr als 1000 Wanderarbeiter, zusammengepfercht und unter unmenschlichen Bedingungen. Manche schliefen in den Öltanks. Es war eine schwierige Situation. Zumal sie arbeitslos waren, in jenem Winter gab es kaum Arbeit bei der Orangenernte. Die Preise waren gefallen und die Bauern ließen die Ernte ausfallen. Autorin Am 7. Januar eskalierte die Lage. Trungadi erfuhr nur, dass Jugendliche aus Rosarno Jagd auf Schwarze gemacht hätten. Sie seien zuerst zur Ölraffinerie, dann zu der anderen Fabrik gefahren und hätten auf die Pflücker, die von der Arbeit zurückkamen, mit Luftgewehren geschossen. O-TON Michele Trungadi Queste notizie si sono trasmesse...spaccando tutto. 2.Übersetzer: Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Sie wurde noch durch das Gerücht verschärft, einer der Verwundeten sei gestorben. Daraufhin sind die Afrikaner ins Dorf gezogen und haben alles, was sie sahen, kurz und klein gehauen. Autorin Er habe sich zur Zeit der Randale im Krankenhaus von Gioia Tauro bei den verwundeten Pflückern aufgehalten, sagt Trungadi. Die Verwüstung habe er erst nach seiner Rückkehr nach Rosarno gesehen. O-TON Michele Trungadi I giorno dopo c'è stato il linciaggio...die paesi vicini. Ervamo preoccupati ma...in quei giorni. 2.Übersetzer: Die Einwohner Rosarnos reagierten mit Lynchjustiz. Am Tag danach habe ich Leute gesehen, die Schaufelstiele kauften, um damit den erstbesten Afrikaner zusammenzuschlagen, den sie sahen. Die ganze Bevölkerung schäumte vor Wut. Es fand eine regelrechte Jagd auf die Afrikaner statt. Manche steckten aufgelassene Bauernhöfe in Brand, in denen Erntearbeiter schliefen. Deshalb haben wir beschlossen, zuallererst diejenigen in Sicherheit bringen, die an abgelegenen Orten wohnten. Wir haben Geld gesammelt, ihnen Zugfahrkarten gekauft und sie zu den Bahnhöfen von Nachbardörfern gebracht. Wir waren besorgt, aber uns war klar, dass es für Schwarze in jenen Tagen zu gefährlich war, in Rosarno zu bleiben. Autorin Die Staatsanwaltschaft ermittelte lediglich, ob die Ndrangheta an den Unruhen beteiligt war oder sie gar angefacht hatte. Ein Mitglied eines Clans wurde verhaftet. Weil er einen Afrikaner angefahren hatte. Wie es wirklich zu der Revolte gekommen war und was sich im Einzelnen dabei ereignet hatte, wurde nie aufgeklärt und wollte wohl auch niemand so genau wissen. AT in der Zeltstadt Autorin Da das Containerlager nicht alle Erntehelfer aufnehmen konnte, die im Winter nach Rosarno kommen, beschlossen die Gemeinderäte von Rosarno und aus dem Nachbardorf San Ferdinando für sie auch ein Zeltlager zu errichten. So entstand 2012 im Industriegebiet zwischen den zwei Gemeinden die sogenannte "Tendopoli": die Zeltstadt. 72 blaue Zelte, auf denen "Innenministerium, Nothilfe" zu lesen ist, stehen in Reih und Glied auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern. Ein Maschendrahtzaun umschließt das Gelände. Wo man den Zaun niedergerissen hat, ist der Eingang. Anfangs hatten die Gemeinden die Betreuung des Lagers einer protestantischen Organisation namens "Mein Freund Jonathan" anvertraut. Sie sorgte für eine warme Mahlzeit, warme Duschen und ein Mindestmaß an Hygiene. Dann konnten die Gemeinden kein Geld mehr dafür aufbringen, und die Freunde Jonathans verließen das Lager. AT in der Zeltstadt Autorin Rauchschwaden wabern vor den Zelten. Sie quellen aus Blecheimern empor, die zu Feuerstellen umfunktioniert und mit Bratrosten versehen sind, die Lagerbewohner aus gefundenem Holz und Eisenstäben gezimmert haben. Manche versuchen, mit dem Verkauf von Fleischspießen ein wenig Geld zu verdienen. Einer hat auf einem zusammengeschusterten Verkaufstisch eine Art Tante-Emma-Laden improvisiert und verkauft Jeans, Socken, Kochutensilien, Plastikbesteck, Seife und allerlei Krimskrams. Neben dem Eingang wird in großen Kesseln Wasser gekocht und für 50 Cent pro Eimer angeboten. Im Lager gibt es ansonsten kein warmes Wasser mehr. O-TON Issa L organizzazione qua senza luce primo...minimo 8 persone. 8, 10, 11. 1.Übersetzer: Wir haben keinen Strom hier, und die sanitären Einrichtungen sind unzureichend. Wir leben schlecht, wir schlafen schlecht. Es gibt kein Licht in den Zelten, und in jedem Zelt wohnen acht, zehn, manchmal auch elf Personen. Autorin Issa ist der Fahrradmechaniker der Zeltstadt. Die Fahrradleichen, die vor dem Eingang zum Lager liegen, sind sein Arbeitsmaterial. Er sei 2008 in Lampedusa gestrandet, erzählt er und habe ein Jahr in einem Aufnahmelager im kalabresischen Crotone verbracht. O-TON Issa Poi andare via, solo tre mesi...io andato a girare...per riparare un po'. 1.Übersetzer: Dann bin ich weggegangen, sie haben mir eine dreimonatige Aufenthaltsgenehmigung gegeben und 20 Euro für die Zugfahrkarte. Dann bin ich herumgewandert, habe Freunde gefragt, ob sie mir bei der Suche nach einem Schlafplatz helfen könnten, und am Ende bin ich hier gelandet. Da habe ich gesehen, dass viele Leute kaputte Fahrräder hatten. Sie sagten, es gebe keinen Fahrradmechaniker. Also habe ich einen Schraubenschlüssel gekauft und ein paar Ersatzteile, um sie zu reparieren. Autorin Issas Werkstatt ist eine rostige Wohnwagenruine voller Fahrradteile, in der er auch schläft. Neben der Werkstatt knien Männer unter einem Moskitonetz und beten. O-TON Issa Questo qua per pregare per le mosche. E un altro per dormire. 1.Übersetzer: Das ist unser Gebetsraum, das Moskitonetz braucht man gegen die Fliegen. Und das andere ist zum Schlafen. Autorin Er meint ein Zelt aus Brettern und Plastikfetzen, das wohl vor kurzem erst errichtet wurde. Daneben steht ein Gerüst, an dessen Querbalken ausgeweidete Schafe hängen. O-TON Issa Loro vendere carne...che e meglio 1.Übersetzer: Sie verkaufen Fleisch. Sie kaufen Schafe und schlachten sie, dann verkaufen sie sie uns. Ihr Fleisch kostet 2, 3 Euro pro Kilo, in der Stadt kostet es 7 Euro pro Kilo. Deshalb kaufen wir es lieber hier. Autorin Normalerweise leert sich die Zeltstadt an Wintertagen bei Sonnenaufgang und füllt sich bei Sonnenuntergang, wenn die Erntearbeiter von den Feldern zurückkehren. Aber dieses Jahr herrscht schon am frühen Nachmittag reges Treiben. Einer kickt einen Ball wild vor sich hin, es heißt, er habe den Verstand verloren. Manche hocken auf Holzkisten und starren ins Leere. Andere stehen in Gruppen plaudernd vor ihren Zelten. Abdullah kauert mit angewinkelten Beinen vor einer Feuerstelle und rührt in einem Topf. O-TON Abdullah I want to cook dinner...c'est problem. / I don't have family here...are hungry. 1.Übersetzer: Ich koche für meine Wohngemeinschaft Abendessen. Wir wohnen zu zehnt in diesem Zelt, und wir helfen einander. Wenn ich heute koche, tut es morgen ein anderer. Es ist das vierte Mal, dass ich hier bin. Ich bin hierher gekommen, um einen Job zu finden. Aber ich habe keinen Job und kein Geld. Ich bin alleine hier, ich habe keine Familie. Ich sagte mir, geh dorthin und versuch, etwas zum Überleben zu finden. Aber seitdem ich da bin, habe ich nur drei Tage gearbeitet. Ich bin wirklich traurig. Denn, wenn du kein Geld hast, kannst du dich nicht wie ein Mensch benehmen. Das ist der Grund, weshalb sich hier alle wie Affen aufführen. Wenn du nichts in der Tasche hast, kannst du dich nicht gescheit benehmen. Weil du Hunger hast. Musik Autorin Domenico Cannatàs Haus ist so groß, die Räume sind so weitläufig, dass man drinnen auch friert, wenn draußen beinah sommerliche Temperaturen herrschen. Der Bauer besitzt zwei Orangenplantagen in Kalabrien, eine in Rosarno, die andere an der ionischen Küste. O-TON Domenico Cannatà Il problema qual'è? Che noi ...hanno lavoro nemmeno loro. Non si possono pagare, ...noi incassiamo andiamo sottocosto. 2.Übersetzer: Das Problem ist, dass seit 20 Jahren jeden Winter fünf- bis sechstausend Afrikaner nach Rosarno kommen, um Clementinen und Saftorangen zu pflücken. Aber da der Preis für Clementinen und Orangen in den Keller gefallen ist, sind viele Bauern dabei, den Anbau einzustellen. So geraten auch die Erntehelfer in Schwierigkeiten, denn sie finden keine Arbeit mehr. Man kann sie einfach nicht bezahlen, nicht mal 20 oder 25 Euro am Tag. Denn mit dem, was wir für die Orangen kriegen, decken wir nicht mal die Produktionskosten. Autorin Trotz solcher Probleme, so Domenico Cannatà, zahle er seinen Arbeitern den Tariflohn. Auch Alessandro Di Stefano klagt über Absatzprobleme. Er besitzt in Rosarno Zitrusplantagen, die er von seinen Eltern geerbt hat. Fragen über deren Größe und über seine Einkünfte will er nicht beantworten. Er sagt nur, er würde seinen Betrieb als mittelgroß bezeichnen und dass er kein Ausbeuter sei. O-TON Alessandro Di Stefano Si è parlato di sfruttamento della manodopera....in Svizzera. 2.Übersetzer: Man hat uns Ausbeutung der Erntearbeiter und Hungerlöhne vorgeworfen. Ich würde sagen, dass die Pflücker zwischen 25 und 30 Euro pro Tag erhalten. Und da muss ich eine Frage stellen: Was ist der Stundenlohn eines Angestellten bei McDonald's? 4 Euro? Mal 7 Stunden Arbeit macht das 28 Euro. Und was ist der Stundenlohn eines Minijobbers in Deutschland? Also, wenn hier Menschen ausgebeutet werden, dann werden sie auch in Deutschland und in der Schweiz ausgebeutet. O-TON Filippo Zerbi Io non parlerei di sfruttamento...Qui non si arricchisce nessUNO, si condividono i problemi e basta. 2.Übersetzer: Ich würde nicht von Ausbeutung reden, sondern von Teilnahme an der Armut. In dem Sinne, dass der Bauer seine Probleme mit den Erntearbeitern teilt. Der Bauer verdient nichts, und die Erntearbeiter verdienen wenig im Vergleich zu ihrer Leistung. Aber Ausbeutung bedeutet, dass jemand sich auf Kosten anderer bereichert. Hier bereichert sich niemand. Autorin Filippo Zerbi entstammt einer alten Adelsfamilie, die einmal ausgedehnte Latifundien in Kalabrien besaß. Den Orangenanbau habe er aufgegeben, weil er sich nicht mehr rentiert habe. O-TON Filippo Zerbi Le prime volte che...si vende a 6 Cent. 2.Übersetzer: Ich hatte mich mit Orangenanbau zum ersten Mal in den 80er-Jahren beschäftigt, als ich Grundstücke meiner Mutter und meiner Tante verwalten musste. 1985 war das erste Krisenjahr, und doch konnten wir 300 Lire für ein Kilo Orangen erzielen, das entspräche heute 15 Cent. Wir dachten, es sei ein sehr niedriger Preis, denn in den Jahren davor hatte man Orangen noch für 800 Lire pro Kilo verkauft, also für 40 Cent. Aber heute bekommen wir für ein Kilo Orangen nur noch 6 Cent. O-TON Alessandro Di Stefano La crisi ... e non la qualità. 2.Übersetzer: Die Krise begann Ende der 70er-Jahre, Anfang der 80er. Schuld daran waren die Öffnung der Märkte für Produkte aus den nordafrikanischen Ländern, unkontrollierte Importe und eine europäische Politik, die die Produktion großer Mengen beförderte, statt auf Qualität zu setzen. Autorin Vor allem der Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft hat den kalabresischen Bauern Probleme bereitet. Die spanischen Regierungen förderten die Bildung von Kooperativen, die viel kostengünstiger produzieren können als einzelne Kleinbauern. Die italienischen Regierungen vernachlässigten hingegen die Landwirtschaft. Und nachdem die früher riesigen Ländereien der kalabresischen Adelsfamilien durch Erbteilung oder Vergabe an die ehemaligen Pächter zersplittert worden waren, gab es in Kalabrien nur landwirtschaftliche Kleinbetriebe, die sich als unfähig erwiesen, sich zusammenzuschließen. Auch konnten spanische Bauern schon in den achtziger Jahren auf ein riesiges Reservoir an billigen Arbeitskräften aus Nordafrika zurückgreifen, oder auch direkt in Marokko produzieren, wo sie Grundstücke besaßen. Nach und nach verdrängten die spanischen Orangen die italienischen aus dem europäischen Markt. Die Bauern aus Rosarno, die ihre frischen Orangen nicht mehr los wurden, stellten auf Saftorangen um, deren Produktionskosten wesentlich niedriger sind als die von frischem Obst. Saftorangen, so Domenico Cannatà erfordern weder eine besondere Pflege noch eine Nachbehandlung, damit sie schön aussehen. O-TON Cannatà E finchè l'industria pagava...preferisce comprare in Brasile. 2.Übersetzer: Solange wir von den Saftherstellern 15 Cent pro Kilo Orangen bekamen, überstiegen die Einnahmen die Produktionskosten. Aber inzwischen zahlen die Safthersteller 5, maximal 6 Cent. Sie sagen, es läge daran, dass man den Saft nicht mehr verkaufen könne, weil Coca-Cola jetzt lieber in Brasilien Saft einkaufe. AT Verarbeitungsmaschine in der COPAM Autorin Die Maschine spuckt Orangen wie Geschosse auf ein Förderband, von dem die unbrauchbaren aussortiert werden. Arbeiterinnen trennen dann die schönen von den hässlichen Orangen. Die schönen werden geschrubbt und gewachst, die hässlichen landen in einer Anlage, die sie auspresst und konzentriert. AT Gabelstapler fahren herum Autorin COPAM, die "Genossenschaft der Zitrus-Produzenten Süditaliens", ist ein Zusammenschluss von Agrarbetrieben aus Kalabrien, Sizilien und Latium. Ihr Sitz liegt 30 Kilometer von Rosarno entfernt. Die Bauern liefern hier ihre Zitrusfrüchte ab, damit sie behandelt, vermarktet und ausgeliefert werden. Rocco Scarpari, der Präsident der Genossenschaft, ist unter anderem für den Vertrieb zuständig. O-TON Rocco Scarpari Faccimo tantissimo Polonia, Germania, ...Lidl. In Italia...Esselunga, che forniamo. 2.Übersetzer: Wir exportieren viel nach Polen und Deutschland. Zu unseren Kunden gehören beispielsweise die REWE-Gruppe, Penny oder Lidl. In Italien haben wir Verträge mit mittleren und kleinen Handelsketten, aber auch mit ein paar größeren wie Auchan und Esselunga. Autorin Das Saftkonzentrat verkauft die COPAM an Safthersteller, die es wiederum an Getränkehersteller verkaufen, an Konzerne wie Coca Cola, San Pellegrino, Züegg oder Nestlee. O-TON Rocco Scarpari C'e il succo brasiliano che è il nostro competitor principale ...con i prezzi. Essendo un mercato globale ... ti devi adeguare a quel prezzo. 2.Übersetzer: Unser Hauptkonkurrent ist der Orangensaft aus Brasilien. Der macht die Preise kaputt. In einem globalen Markt stehen wir im Wettbewerb mit der ganzen Welt. Nicht nur Coca-Cola, sondern auch die anderen Getränkehersteller nehmen die Preise, die Brasilien fordert, als Bezugspunkt. Und da Coca-Cola dort zu einem bestimmten Preis Orangensaft kaufen kann, kann uns der Konzern auch sagen: "Gut, wenn du deinen Saft loswerden willst, musst du ihn mir zu dem Preis verkaufen, den Brasilien verlangt. Autorin Von dem, was Getränkehersteller für Saftkonzentrat zahlen, blieben den kalabresischen Bauern derzeit 7 Cent pro Kilo übrig, sagt Scarpari. Dabei koste allein die Ernte eines Kilos Orangen 6 Cent. O-TON Rocco Scarpari Non solo la manodopera viene pagata poco...non gli rimane nulla o quasi nulla. 2.Übersetzer: Die Preise sind niedrig. Für alle. Nicht nur die Arbeitskraft wird schlecht bezahlt, alles wird schlecht bezahlt. Es stimmt, dass die Erntearbeiter wenig bekommen. Aber Mathematik ist keine Meinung. Ich fordere jeden heraus, hierher zu kommen und alle Produktionskosten zusammenzuzählen, Cent für Cent. Dann soll er mir sagen, ob man den Erntearbeitern wirklich mehr zahlen könnte. Als Genossenschaft stellen wir immer wieder fest, dass unseren Orangenbauern, zumindest denen, die uns Saftorangen anliefern, nichts oder fast nichts in der Tasche bleibt. Autorin Für frische Zitrusfrüchte erzielt COPAM immerhin zwischen 50 und 70 Cent pro Kilo, aber auch das sei ein Preis, der sich auf die Dauer nicht rechne, sagt Rocco Scarpari. O-TON Rocco Scarpari Diciamo che con le spese...questi costi. 2.Übersetzer: Wir müssen für unsere Ware zig Gesundheits-Bescheinigungen bezahlen, Kosten, die durch unsere Erlöse kaum zu tragen sind. In Italien sind die Pflanzenschutzmittel, die etwa in Spanien oder Portugal verwendet werden, verboten, also muss hier zertifiziert werden, dass unser Obst keine Spuren davon enthält. Ich verstehe dann aber nicht, warum es erlaubt wird, dass Obst aus jenen Ländern auf unseren Markt kommt. O-TON Rocco Scarpari Infatti, se si continuera cosi, ...quantomeno di arance. 2.Übersetzer: Tatsächlich glaube ich, dass es in zehn Jahren, wenn es so weiter geht, in Kalabrien keinen Orangenanbau mehr geben wird. Musik Autorin Die kalabresischen Kleinbauern hätten den Sprung zur industriellen Landwirtschaft versäumt, schreibt der Soziologe Fabio Mostaccio in seinem Buch "Der Krieg der Orangen" und deshalb seien sie dem Preisdiktat der Konzerne ausgeliefert. O-TON Mostaccio In qualche modo è chiaro che poi il prezzo...poco cambia. Il meccanismo è lo stesso...filiera dello sfruttamento. 3.Übersetzer: Der Kleinbauer muss den Preis akzeptieren, den ihm die Konzerne aufzwingen. Ob es sich dabei um einen multinationalen Getränkehersteller oder eine Handelskette handelt, die die Orangen als frisches Obst an den Mann bringt, der Mechanismus ist der gleiche: Der Preis wird verkehrt herum gebildet. Grundlage sind nicht die Produktionskosten, sondern der Preis, den der multinationale Konzern den Bauern zahlen will. Mit diesem Preis muss der Kleinbauer klar kommen: Überleben, produzieren und die Arbeitskraft bezahlen. So werden aus Angestellten Schwarzarbeiter, die immer schlechter bezahlt werden. Deshalb haben italienische Landarbeiter ihre Jobs in der Landwirtschaft längst aufgegeben. Jetzt werden die Einwanderer ausgebeutet. Dadurch entsteht das, was ich eine Ausbeutungskette nenne. O-TON Fabio Mostaccio Quello che si evidenzia è le conseguenze...che attecchiscano è più difficile. La sensazione che io ho...questo tipo di fenomeno. 3.Übersetzer Wir können hier die Folgen der neoliberalen Globalisierung für die Randzonen der Welt beobachten. Was in Rosarno passiert, hat zwar auch lokale Aspekte, weist aber sehr viele Aspekte auf, die alle Randgebiete der Erde betreffen. Mein Eindruck ist, dass diese Regionen gerade als Laboratorien dienen, in denen neue Arbeitsverhältnisse erprobt werden, die wir als "Ausbeutung" oder "Sklavenhaltung" bezeichnen, weil wir noch keine adäquate Bezeichnung gefunden haben. O-TON Fabio Mostaccio Siamo di fronte ad un lavoratore usa e getta. ...in quel posto di lavoro. Non è schiavitù, è l'oltre schiavitù...quando vuoi. 3. Übersetzer: Die Einwanderer, die in Rosarno ernten, sind aber keine Sklaven. Sie sind Wegwerf-Arbeiter. In der Antike wurden Sklaven geachtet. Man gab ihnen zu essen, weil sie stark sein mussten, um zu arbeiten. Aber heute ist es ? angesichts der globalisierten Arbeitsteilung ? absolut kein Problem, wenn ein Einwanderer bei der Orangenernte stirbt. Oft hat er keine Papiere, ist also schwer identifizierbar. Und für einen gestorbenen Einwanderer gibt es Hundert andere, die bereit sind, seine Arbeit zu übernehmen. Das ist etwas jenseits der Sklavenhaltung. Der Sklavenhalter braucht den Sklaven. Aber wir haben hier ein Arbeitsverhältnis, in dem der Sklavenhalter den Sklaven nicht mehr braucht. Deshalb kann er mit ihm tun und lassen, was er will. Der Einwanderer ist ein Papiertaschentuch. Du kannst es benutzen und wegwerfen, weil du ein anderes nehmen kannst, wann immer Du willst. AT Ernte / Gesang Autorin Es ist Anfang Dezember, aber der Himmel leuchtet so azurblau, als wäre es Frühling. Zwanzig Grad sind es im Schatten. In der Kooperative "I frutti del sole" werden gerade diese "Früchte der Sonne" geerntet. 16 Bio-Bauern haben sich in der Kooperative zusammengeschlossen, die zum Netzwerk S.O.S. Rosarno gehört. S.O.S. Rosarno ist nicht nur eine Genossenschaft, sondern auch ein politisches Projekt. Ökonomische Entscheidungen treffen hier alle gemeinsam. Genauso wie sie zusammen auf dem Feld arbeiten. AT Ernte / Gesang Autorin Unter den Bäumen singen die Pflücker senegalesische Lieder. Saneh Osmane ist auf eine Gabel des Baumstammes geklettert, um an die oberen Zweige zu kommen. Unter ihm hockt Nang Mohammed auf einem Schemel. Seit eineinhalb Jahren lebt er in Rosarno. O-TON Nang Mohammed Sono venuto...un poco da fare. Prima ho lavorato...neanche respirare. Da mio cugino sono diventato socio di S.O.S. Rosarno...lavoratori. 1.Übersetzer: Ich bin wegen der Arbeit gekommen. Ich war zuerst in Brescia, und dort war ich ein Jahr und drei Monate arbeitslos. Dann hat mir mein Cousin gesagt, dass es hier Arbeit gebe. Also bin ich hierher gekommen und habe zuerst für caporali gearbeitet. 25 Euro am Tag, ohne Pause und mit dem caporale im Nacken, der einen antreibt: schneller, schneller, schneller. Die lassen einen nicht mal atmen. Durch meinen Cousin habe ich dann auch die Leute von S.O.S. Rosarno kennengelernt und bin der Organisation beigetreten. Ich fühle mich wohl bei ihnen, bin seit einem Jahr dabei, und es läuft gut. Wir ernten gerade Mandarinen und Orangen, im Sommer haben wir einen gemeinschaftlichen Gemüsegarten angelegt. Ja, es läuft gut. Ich denke nicht daran, woanders hinzugehen. Hier wird man als Erntearbeiter richtig gut bezahlt, man hat einen regulären Arbeitsvertrag, man wird nicht ausgebeutet. Wir arbeiten von acht bis zwölf und nach einer einstündigen Pause wieder von eins bis vier Uhr. Wie alle Arbeitnehmer. Autorin Inzwischen wohnen Nang Mohamed und die anderen afrikanischen Mitglieder von S.O.S.-Rosarno nicht mehr in einer Ruine, sondern in einer Wohnung mit Strom und warmem Wasser. Kein leichtes Unterfangen, sagt Nino Quaranta, der Vorsitzende des Netzwerks. Die italienischen Mitglieder haben für sie über persönliche Kontakte eine Mietwohnung besorgt. Wie Nino Quaranta ist Michele Trungadi einer der Initiatoren von S.O.S.-Rosarno. O-TON Michele Trungadi SOS Rosarno nasce dopo la rivolta, ...la sua merce. 2.Übersetzer: S.O.S Rosarno wurde nach der Revolte der Erntearbeiter von Leuten gegründet, die sich politisch und sozial engagieren. Wir haben uns gefragt, wie wir den Missständen in Rosarno beikommen können. So kamen wir auf die Idee, die Tagelöhner, die ausgebeutet werden und in unmenschlichen Zuständen leben, mit den Bauern zusammenzubringen, die von den großen Konzernen und Handelsketten ausgenommen werden; also einen Bund der Schwächeren zu schließen. Wir haben uns dann an Initiativen gewandt, die in Italien sich gerade ausbreiten, die sogenannten GAS: Gruppen solidarischen Konsums. Das sind Leute, die sich zusammen tun, um gesunde, ökologisch und nachhaltig hergestellte Lebensmittel direkt bei den Produzenten einzukaufen, möglichst bei Bauern aus dem unmittelbaren Umland. In Norditalien gibt es keine Zitrusfrüchte, also kaufen sie die von uns. O-TON Nino Quaranta Non essendoci ...che operano nei campi. 2.Übersetzer Da es keine Zwischenhändler zwischen Bauern und Käufern gibt, kann man die Produkte zu einem bezahlbaren Preis verkaufen, der aber ausreicht, um den Feldarbeitern und Erntehelfern einen anständigen Lohn zu zahlen. Autorin Momentan kann S.O.S. Rosarno etwa 20 Erntearbeiter beschäftigen. Es werden mehr werden, wenn das Projekt wächst. Musik Absage Labor des Wegwerf-Menschen Arbeitssklaven in Kalabrien Ein Feature von Aureliana Sorrento Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Es sprachen: Janina Sachau, Hüseyin Michael Cirpici, Josef Tratnik und Jonas Baeck Ton und Technik: Gunther Rose und Katrin Fidorra Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Hermann Theißen Musik 2