COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Von Bayern nach Berlin Freie Wähler wollen in den Bundestag Autor Watzke, Michael Redaktion Stucke, Julius Länge 19'57' Sendung 13.11.2012 - 13 Uhr 07 Die Freien Wähler wollen bei der Bundestagswahl 2013 Union und FDP Stimmen abjagen. Antreten wollen sie als bürgerliche, konservative, liberale Alternative. Der Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger ist überzeugt, dass seine Wählervereinigung in der Lage ist, bundesweit Listen mit Kandidaten aufzustellen. Der Politiker aus Bayern rechnet damit, 2013 im Bund auf mehr als 10 Prozent zu kommen. Punkten will die Wählervereinigung vor allem mit der Euro-Skepsis. Die Freien Wähler sind insbesondere für Union und FDP eine Gefahr: Sie stammen aus einem bürgerlichen bis ländlichen Milieu und vertreten bei den meisten Themen eher konservative Positionen. Damit sind sie auf kommunaler Ebene schon lange erfolgreich. 2008 gelang den Freien Wählern in Bayern der Sprung in den Landtag - sie wurden mit 10,2 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft. M A N U S K R I P T B E I T R A G Der Freie Wähler Markus Orterer hat Hände wie Baggerschaufeln. Normalerweise wuchtet der Bierkutscher von Königsdorf damit Getränkekisten auf seinen LKW. Doch heute breitet Orterer seine Arme im Steinernen Saal des Bayerischen Landtags aus. MARKUS ORTERER "Schee. Man fühlt sich, wenn man reingeht, sofort dahoam. Ruhig. Majestätisch. Beeindruckend. Bärig einfach." Bärig sieht auch Orterer aus. Ein kräftiger Mann mit rotem Schnurrbart, der in seiner Freizeit Trompeter in der Königsdorfer Blaskapelle ist. Orterer trägt Lederhosen und Haferlschuh, genau wie im Gemeinderat von Königsdorf, in dem er seit zehn Jahren für die Freien Wähler sitzt. Heute ist der Oberbayer zum ersten Mal im Landtag - und stellt sich an das Rednerpult im leeren Maximilianeum. MARKUS ORTERER "Der Plenarsaal ist schön. Der ist bayerisch-modern. Man sieht, dass Bayern nicht stocksteif auf seiner Tradition besteht. Sondern dass Bayern und die Moderne gut zusammenpassen. Das kann sich sehen lassen." Markus Orterer blickt auf die 187 roten Abgeordnetensessel. 20 dieser Sitze belegen seit der letzten Landtagswahl die Freien Wähler. Das, sagt Orterer, war eigentlich ein Zufall: MARKUS ORTERER "Die Freien Wähler haben damals nur Massl g'habt. Und wenn alle Freien Wähler ehrlich san, müssen's zugeben: das hat nur geklappt, weil es damals in der CSU a weng g'matzt hat." A weng g'matzt - das ist oberbayerisch für: "es gab Krach". Im Jahr 2008 gab es in der CSU nach dem Sturz Edmund Stoibers mächtig Krach. Viele konservative CSU-Mitglieder waren verärgert über die partei-internen Umstürzler. Im Windschatten der christsozialen Palastrevolte zogen die Freien Wähler erstmals in den bayerischen Landtag ein. MARKUS ORTERER "Das waren lauter Trotzwähler, warum die Freien Wähler da reingekommen sind. Das war nur eine Trotzwahl. Und da sind sie plötzlich in was Größeres reingekommen. Und haben gesagt: wir Freien Wähler, tun wir uns z'samm! Aiwanger vorne hin, und dann marschieren wir los!" Wenn Markus Orterer den Namen Hubert Aiwanger ausspricht, dann zuckt sein roter Schnurrbart. Dass Aiwanger seit zweieinhalb Jahren Bundesvorsitzender der Freien Wähler ist, behagt dem Königsdorfer Gemeinderat gar nicht. Als Orterer vor dreißig Jahren den Freien Wählern beitrat, sei es noch anders zugegangen: MARKUS ORTERER "Freier Wähler, das heißt: frei denken, frei handeln, frei wählen. Das ist ein Freier Wähler. Ein echter Freier Wähler. Der das im Herzen hat: frei denken." ATMO "Bayerischer Defiliermarsch" Ein Bierzelt im niederbayerischen Karpfham. Hubert Aiwanger ist hier auf Wahlkampf- Tour: HUBERT AIWANGER / BIERZELTGAST "Grüß Gott, kann ich was für Sie tun?" / "Nein, eigentlich nicht." Viel tun kann Hubert Aiwanger an diesem Nachmittag tatsächlich nicht. Der Vorsitzende der Freien Wähler humpelt - nach einem Achillessehnen-Riss beim Fußballspielen. HUBERT AIWANGER "Drei bis vier Wochen, am Ende mit so einem Stützstiefel, damit hab ich mich rumgequält. Aber ich hab ihn sehr schnell abgelegt und wieder versucht, auf eigenen Beinen zu gehen. Hab's auch geschafft!" Auf dem Volksfest in Karpfham lässt sich Aiwanger von den niederbayerischen Bauern bejubeln, die auf Einladung der Freien Wähler in die Schwaimer Hütte gekommen sind: HUBERT AIWANGER "Diese europäische Rettungspolitik, wo man Verschuldungshaftung für mehrere 100 Milliarden Euro übernimmt. Und am Ende gar nicht genau weiß, was man unterschrieben hat. Da wenn drei Bauern gesessen hätten, wäre nicht so viel Blödsinn passiert wie mit diesen hunderten Bankern und Experten..." Unter den Bauern in Niederbayern hat Hubert Aiwanger seine treuesten Anhänger. Er ist selbst gelernter Landwirt. Auf dem elterlichen Hof im niederbayerischen Rahstorf lässt er sich gern mit den Ferkeln fotografieren. HUBERT AIWANGER "Wo sollen wir uns hinstellen? Wo sind die meisten Kameraleute? Gut, dann gehen wir da hin!" Zuletzt ließ sich Hubert Aiwanger mit Ferkel und Christian Ude ablichten. Dem SPD- Spitzenkandidaten für die bayerische Landtagswahl 2013. Aber er sei auch zu anderen Ferkeleien bereit, grinst Aiwanger. HUBERT AIWANGER "Natürlich steht dem nichts im Wege, wenn der Herr Seehofer vorbeikommt und ein Ferkelbild machen will, dann drücke ich auch ihm ein Ferkel in den Arm. Er braucht nur anzuklopfen. " Das Kokettieren mit den Koalitions-Absichten kommt bei den Grünen und Sozialdemokraten nicht gut an. Die brauchen die Freien Wähler nämlich, wenn sie nächstes Jahr die CSU-Regierung ablösen wollen. Bauchschmerzen bereitet Rot-Grün der Anti-Euro-Kurs des Hubert Aiwanger. SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen fordert: NATASCHA KOHNEN "Die sollen sich endlich mal wieder zu dem bekennen, was sie eigentlich mal waren. Zu ihren Werten, zu ihren Inhalten, zu ihren Zielen." Die Stärken der Freien Wähler lagen stets in der Kommunalpolitik. Niemand stellt in den kleinen Gemeinden so viele Bürgermeister. Allerdings nur in Bayern. Hubert Aiwanger will aber im kommenden Jahr zur Bundestagswahl antreten. HUBERT AIWANGER "Ich war gestern in Niedersachsen. Im Raum Hannover. In Ronnenberg ganz genau, und auch die waren begeistert von meiner Rede. Ich muss ganz ehrlich sagen: ich glaub, dass wir deutschlandweit Klartext sprechen müssen. Also, wir sind auf dem richtigen Weg." Auf dem Weg in den deutschen Bundestag setzt Hubert Aiwanger auf Konrad Adenauer. Genauer gesagt: auf den Ruf des ersten deutschen Bundeskanzlers. Denn Aiwangers Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2013 ist Stephan Werhahn. Der ist ein Enkel Adenauers und spricht gern und häufig von Opa Konrad. STEPHAN WERHAHN "Ja, als er starb, 1967, da war ich 14 Jahre alt. Ich habe am 2.Weihnachtstag Namenstag, und immer, wenn wir uns als Familie in Rhöndorf getroffen haben, dann bekam ich zusätzlich zum Weihnachtsgeschenk auch ein Namenstag-Geschenk von ihm. Das waren meist Präsente, die er mitbrachte von irgendwelchen Reisen, irgendwelche ungewöhnlichen Spielzeuge für die Enkel halt. Und dann bin ich auf seinen Schoß gerufen worden: ,Stephan, komm mal her, ich hab' hier noch ein schönes Geschenk zum Namenstag!'" Stephan Werhahn war noch vor kurzem CDU-Mitglied. Dann verließ er die Partei aus Protest gegen Angela Merkels Euro-Kurs. Werhahn ist Hedgefonds-Manager bei der General Capital Group, einer Investment-Gesellschaft mit Sitz in der feinen Münchner Maximilianstraße. Die Homepage der Gesellschaft listet Werhahn weiterhin als "Partner" auf - trotz seines Einstiegs in die aktive Politik. Werhahn begründet sein Engagement für die Freien Wähler mit dem Vermächtnis seines Großvaters: STEPHAN WERHAHN "Weil auch die Freien Wähler kommen aus der kommunalpolitischen Basis. Und genau das war bei Adenauer in Köln dasselbe. Was würde Adenauer heute anders machen? Er würde nicht die Mehrheit der Europäer sozusagen dazu zwingen - weder die Europäer im Norden noch die im Süden - eine Gemeinschaftswährung zu akzeptieren, die überhaupt nicht ihren Bedürfnissen und auch nicht ihren Nöten, ihren Spargroschen, ihren Währungen entspricht." Stephan Werhahn und Hubert Aiwanger sind ein ungleiches Paar. Hier der Schweinezüchter aus Niederbayern, der jedes "a" wie "ou" ausspricht und deshalb im bayerischen Landtag als "Mister Opfelsoftschorle" verspottet wird. Dort der vornehm- hanseatische Hedgefonds-Manager, der meist im dunklen Zweireiher auftritt. Doch die beiden eint ihre Skepsis gegen die Rettung des Euro. STEPHAN WERHAHN / HUBERT AIWANGER "Wir sind in jeder Hinsicht doppelt Spitze!" / "Das hat er gut gesagt. Wir ergänzen uns ganz gut und verstehen uns auch ganz gut. Ich glaub, wir sprechen mit einer Zunge. Bayern und der Bund sind ja nicht auseinanderzudiskutieren. Und wir sind überzeugt, dass seine Finanz- und Wirtschafts-Kompetenz uns gut tut." Im bayerischen Bierzelt allerdings fällt Werhahn glatt durch. Vor den Landwirten in Karpfham unterbricht er seine technokratische Rede mehrfach, weil ihn die Bierzeltbedienungen ablenken: STEPHAN WERHAHN "Dadurch, dass Kapitalien hin- und herfließen können, durch diese Freiheit... okay, nachdem Pommes bestellt wurden, mach ich jetzt mit Europa weiter... das ist ein zentrales, äh, zentralisiertes Europa... noch 'ne Currywurst! Okay, ich mach trotzdem weiter. Europa ist mir momentan wichtiger als Currywurst." Wie wichtig ist Europa den Freien Wählern wirklich? In Bayern mehren sich die Stimmen, die Aiwanger Populismus vorwerfen. Auf den Anti-ESM-Demos, die der Freie-Wähler-Chef jeden Montag in München abhielt, tummelten sich örtliche NPD-Größen. Auch wenn Aiwanger versicherte: HUBERT AIWANGER "Wir sind keine Extremisten oder Berufs-Demonstranten, sondern wir sind Leute, die sich Sorgen um die Zukunft dieses Landes machen, meine Damen und Herren." Aiwangers Problem: um für die Bundestagswahl 2013 eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen, braucht er starke Kreis- und Bezirksverbände im ganzen Land. Bisher hat er solche Strukturen nur in Bayern, wo die Freien Wähler traditionell am stärksten verwurzelt sind. In anderen Landes-Verbänden gibt es zum Teil zweifelhafte Mitglieder. Anfang November war auf der Homepage der Freie-Wähler-Fraktion im Frankfurter Römer ein "Zwischenruf" zu lesen mit dem Titel: "Die sogenannten NSU- Morde werden instrumentalisiert". Der Text verharmloste die Mordserie der rechtsextremen NSU-Terrorzelle. Aiwanger reagierte unverzüglich und drohte mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen. Doch das grundsätzliche Problem ist damit nicht gelöst: dass es in den Reihen rechtsextremer Parteien viele Befürworter des Anti-Euro- Kurses gibt, mit dem Aiwanger bei der Bundestagswahl 2013 punkten will. Diese Nähe ist vielen unangenehm - auch dem angesehenen "Haus der bayerischen Wirtschaft" in München. Dort hielt Aiwanger bisher seine Auftritte mit Euro-Kritiker Hans-Olaf Henkel ab. Zum Missfallen von Bertram Brossard, dem Chef des Hauses. Aiwanger hatte ein paar Mal zu häufig das Wort "D-Mark" in den Mund genommen. HUBERT AIWANGER "Wir fordern jetzt nicht aktiv die Wiedereinführung der D-Mark, sondern wir sehen diese Möglichkeit dann gegeben, wenn der Euro-Raum zerbröselt. Und ich glaube, dass es mittelfristig durchaus eine Option ist, um Schlimmeres zu verhindern." ATMO (TALKRUNDE) Eine Diskussions-Veranstaltung der Freien Wähler in München. Thema: die Euro-Rettung. Auf dem Podium steht neben zwei Landtagsabgeordneten der Freien Wähler auch Professor Arnulf Baring. Historiker und scharfer Kritiker des Berliner Politikbetriebes. Baring orakelt, dass der ESM-Rettungsschirm die Europäische Union ins Verderben stürzen werde. ARNULF BARING "Der Euro zeigt, dass das eine ganz fatale Konstruktion ist - und deshalb wird sie auch scheitern. Das kann nicht gut gehen, und ich würde sogar sagen: es darf nicht gut gehen. Dass wir sozusagen der Zahlmeister Europas werden in einem Umfang, der in mehrere Billionen geht. Das ist völlig unverantwortlich. Und im Grunde genommen muss man sich wundern über diese Schafsgeduld im Lande. Dass wir keinerlei Bürgerproteste haben. Die wichtigen Existenzfragen dieses Landes - und das ist heute in erster Linie der Euro - sind an der Bevölkerung völlig vorbei gegangen." [Applaus, Bravo-Rufe.] Im Publikum der Veranstaltung: Menschen jeden Alters und jeder Herkunft. Studienräte, mittelständische Unternehmer, Handwerker. Aber auch sonderbare Gestalten wie ein Mann mit Lederkappe, der sich eine riesige Deutschlandfahne um den Körper gewickelt hat und zum Saal-Mikrofon drängt. FRAGESTELLER "Grüß Gott, mein Name ist Gmahl aus München. Ich sage nur eines: wir Deutschen wollten den Euro am Anfang nicht, wir wollen ihn auch jetzt nicht. Und wenn wir hier wirklich eine Demokratie wollen, dann muss der Wille des Volkes endlich einmal zur Geltung kommen, meine Damen und Herren. Und dafür sollten Sie, die Medien, und auch die Herren Politiker sorgen. Sonst sind Sie schief gewickelt und unfähig und erfüllen nicht unseren Auftrag. Amen." ARNULF BARING "Also es ist ein Unglück, dass Deutschland sozusagen dauernd von allen anderen überstimmt wird und dauernd zurückgesetzt wird. Das liegt daran, dass es in allen Parteien, trotz der Skepsis gegenüber dem Euro, eine verbreitete Meinung gibt, wir seien Europa gegenüber verpflichtet, diese Lasten zu tragen. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass, wenn alle anderen es auf unsere Taschen und Geldbeutel abgesehen haben, dass wir das so töricht und so schweigend hinnehmen, wie wir das praktisch [derzeit] tun. Neben Arnulf Baring auf dem Podium steht Michael Piazolo. Dem Landtags-Abgeordneten der Freien Wähler ist bei einigen der Fragesteller aus dem Publikum sichtlich unwohl. Piazolo ist Professor für Europäische Studien an der Hochschule München und gilt als der intellektuelle Kopf der Freien Wähler. Mit Forderungen nach der Abschaffung des Euro hält er sich zurück. Stattdessen fordert er, was auch CSU-Chef Horst Seehofer einst in den Europa-Leitantrag der CSU schreiben ließ: MICHAEL PIAZOLO "Dass der Bürger bei den wichtigsten Entscheidungen eigentlich das letzte Wort hat. Und deshalb bin ich für Volksabstimmungen. Und wenn wir das zur Leitschnur machen, dann wird auch diese Euro-Rettungsschirm-Politik in Zukunft anders aussehen als bisher." Aber wie genau könnte diese andere Euro-Rettungsschirm-Politik aussehen? Ein detailliertes Programm mit einer praktisch umsetzbaren Alternative haben die Freien Wähler bisher nicht präsentiert, klagt Professor Werner Weidenfeld vom "Centrum für angewandte Politik" der Ludwig-Maximilians-Universität München. WERNER WEIDENFELD "Was ändert sich in Europa, wenn die Freien Wähler stark wären? Das weiß man bisher nicht. Bisher sind sie nicht mit irgendeinem plausiblen Konzept an die Öffentlichkeit getreten. Vielleicht schieben sie noch was bis zur Bundestagswahl nach, aber das wird für sie sehr schwer." Weidenfeld sieht wenig Chancen für die Freien Wähler, bei der Bundestagswahl 2013 auch nur annähernd in den Bereich der 5%-Hürde zu gelangen. Auch das Thema Euro werde nicht greifen, denn: WERNER WEIDENFELD "Die Grundgestimmtheit in Deutschland zu diesem Thema besteht darin, dass die Deutschen im Grundsatz Europa für wichtig halten. Auch richtig finden, dass es dieses starke Europa gibt. Als Grundlage für ein starkes Deutschland. Das gehört alles zusammen. Und es hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis heute noch nie eine Partei gegeben, die anti-europäisch auftrat und damit erfolgreich war. Das ist in der Grundgestimmtheit der Deutschen nicht drin. Was da ist und sich intensiviert hat gegenüber früheren Zeiten, ist Kritik am Detail: wie das mit dem Euro so gemacht wird. Über 70% unserer Mitbürger sagen: ich verstehe das sowieso alles nicht. Es ist ihnen auch nicht erklärt worden. Da ist durchaus ein Frustrationspotential da." Um dieses Frustrations-Potential zu finden, muss man in Bayern nicht lange suchen. Eine kleine Zufalls-Umfrage am Wiener Platz in München reicht. Etwa bei Kiosk-Betreiber Ludwig Gerber. Spätestens seit der Einführung des ESM-Rettungsschirms hat er das Vertrauen in den Euro verloren. LUDWIG GERBER "Weil da können wir das Geld gleich wegschmeißen. Gleich in die Isar werfen. Kommt auf dasselbe raus. Aber mein Gott, was sollen wir als Kleinbürger machen? Die tun doch eh, was sie wollen. Ich mag nicht mehr. Lasst mir mei Ruh. Da, das kleine Büdchen, mehr brauch ich nicht. Ich fahr zum Gardasee, kauf mir ein Schifferl, und dann: Hasta luego." Es sind genau diese Stimmen, auf die es Hubert Aiwanger abgesehen hat. Enttäuschte Kleinbürger und Mittelständler, die um ihre Ersparnisse fürchten, seit das Bundesverfassungsgericht dem ESM-Rettungsschirm grünes Licht gegeben hat. Aiwanger hatte dagegen geklagt - und verloren. HUBERT AIWANGER "Wir freien Wähler sehen dieses Urteil mit eineinhalb weinenden Augen und sagen ganz klar: das ist für die Zukunft eine Riesengefahr für die deutschen Staatsfinanzen. Ist auch eine Gefahr für die bayerischen Staatsfinanzen. Weil natürlich Bayern als Teil Deutschlands in Mithaftung genommen wird. Als Ausweg sprechen wir ganz offen an: Deutschland sollte sich für die Zukunft alle Kündigungsmöglichkeiten offen halten, die über diese Wiener Vertragsrechts-Konvention möglich sind." Eine typische Aiwanger-Antwort: die Kündigungsmöglichkeiten nach der Wiener Vertragsrechts-Konvention stehen Deutschland ja offen - unabhängig davon, ob Aiwanger darauf hinweist oder nicht. Die entscheidende Frage ist: wie glaubwürdig kann Aiwanger vermitteln, dass er den Vertrag wirklich aufkündigen würde, wenn er könnte? Hier liegt für Professor Werner Weidenfeld das größte Überzeugungsproblem der Freien Wähler. WERNER WEIDENFELD "Die anderen Parteien versuchen ja, dieses Potential auch mit einzubinden. Indem sie grundsätzlich dafür sind, aber im Detail doch Kritik üben. So dass, wenn die anderen Parteien einigermaßen clever an das Thema herangehen, für die Freien Wähler dann kein Potential mehr übrig bleibt. Weil wenn diese örtlich so erfolgreiche Kommunalpartei jetzt auf die Bundesebene strebt, dann ist das ein anderes Ding. Das sind ja viel abstraktere Themen. Ob das in Verbindung zu bringen ist mit dem "Ich kümmere mich um Euch", da habe ich gewisse Fragezeichen. Zumal man ja auch nicht erkennt: was ändert sich jetzt, wenn es da einen Abgeordneten der Freien Wähler im Bundestag gibt? Was ändert sich denn da für mein Leben hier vor Ort? Schwer zu vermitteln." Was für Hubert Aiwanger noch schwerer wiegt: mit seinem Kurs Richtung Berlin droht er einen Teil seiner Basis in Bayern zu verlieren. Etwa Markus Orterer, den Gemeinderat der Freien Wähler im oberbayerischen Königsdorf. Orterer hat Aiwanger vor einiger Zeit bei einer Rede in Bad Tölz live erlebt. Dort ist der Bundesvorsitzende der Freien Wähler wie üblich über den Euro-Kurs der Kanzlerin hergezogen. MARKUS ORTERER "Ja der hat ja nur geredet in dem Bierzelt, da war ich dabei und dachte: Jaja, wenn man der Rede zuhört, dann begeistert es einen, aber wenn man sich die Rede nachher durch den Kopf gehen lässt, dann denkt man: "Ja, was mogst denn Du da droben?' Das geht doch alles gar nicht, das funktioniert doch nicht. Weil das ganze Netzwerk, das jetzt schon überall aufgebaut ist und gewoben ist, das wird kein Aiwanger, wenn er jetzt daherkommt, auflösen können. Das Ganze ist doch schon so verstrickt und so verhäkelt, da wartet doch keiner auf den Aiwanger." Markus Orterer ist ins Grübeln gekommen, seit Hubert Aiwanger vor zweieinhalb Jahren den Vorsitz der Wählervereinigung übernommen hat. Denn seitdem, sagt Orterer, seien die Freien Wähler wie eine ganz normale Partei geworden - mit einem machtbewussten Partei-Chef an der Spitze. Aber als Partei seien die Freien Wähler nie gedacht gewesen. Schon gar nicht als Bundespartei. MARKUS ORTERER "Ich meine nicht, dass ein Freier Wähler das bundesweit bringt, mit dem Aiwanger, so parteimäßig. Weil dann sind wir ja gebunden an ein Ziel. Und das ist der Freie Wähler nie gewesen, von Grund auf. Ich bin jetzt dreißig Jahre bei den Freien Wählern. Das ist lang. Aber wenn's so ausgeht, dass das mit dem Aiwanger so weiter läuft, dann wär es gescheiter gewesen, wenn ich vor 30 Jahren bei der CSU unterschrieben hätte. Weil wenn uns der Aiwanger jetzt so in die Mangel nimmt, dass wir als Freie Wähler hinter ihm stehen müssen - das ist nicht Bayern. Und der kann auch Bayern nicht so weit bringen, wie es unsere Vorfahren bisher gebracht haben." Unsere Vorfahren, sagt Markus Orterer und öffnet den Trompetenkoffer, der vor ihm auf dem Tisch steht. Im roten Innenfutter liegt ein kleines Porträt-Bild von Franz-Josef Strauß. -E N D E- 1