COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Ländersache Kultur (7b) Die Kulturpolitik der Bundesländer Niedersachsen Autorin Schrammar, Susanne Redaktion Stucke, Julius Sendung 05.04.12 - 13.07 Uhr Sprecher Holländer, Thomas Regie Graf, Roswitha - M A N U S K R I P T B E I T R A G - (Wanka) "Ich bin - das hat vielleicht etwas mit Mathematikerin zu tun - gerne für prinzipielle, strukturelle Überlegungen. Also Strukturen zu schaffen, in denen Kunst sich entfalten kann, das ist die wichtigste Aufgabe, die Kulturpolitik hat und das versuche ich auch, ein Stück weit systematisch anzugehen. Ich habe gelernt und plädiere dafür, dass man Veränderungen auch mal als Chance ansieht." Johanna Wanka, Ministerin für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, ist an Veränderungen gewöhnt. Sie war Mathematikprofessorin, Hochschulrektorin - dann Kulturministerin in Brandenburg. Nun will die CDU-Politikerin in Niedersachsen das umsetzen, was in anderen Bundesländern längst selbstverständlich ist: Eine Kulturentwicklungsplanung - ein strategisches Konzept, das festlegt, welche Ziele die Kulturpolitik verfolgen soll - und was sich das Land in Zeiten leerer Kassen noch leisten will. "Wie stellen wir uns vor die Kultur, die Kulturlandschaft in Niedersachsen in den nächsten zehn bis 15 Jahren. Was kann man von Seiten des Landes sicher zusagen? Was will man erhalten? Wo wird man sich verabschieden, was sind Mängel, was brauchen wir anders, welche Wege müssen wir gehen?" Systematik, Weitblick und konstruktive Veränderungen fehlten in den vergangenen Jahren in der niedersächsischen Kulturpolitik. Als Christian Wulff 2003 die Landtagswahlen in Niedersachsen gewann, setzte der CDU-Politiker seinen Parteikollegen Lutz Stratmann, Wankas Vorgänger, als Minister für Wissenschaft und Kultur ein. Der Jurist galt schon Jahre vor seiner Ablösung 2010 immer wieder als Wackelkandidat. Er konzentrierte sich auf Hochschulreformen, in der Kultur agierte Stratmann oft glücklos und ungeschickt, zum Beispiel bei der geplanten Neuordnung der niedersächsischen Museenlandschaft im Jahr 2008. "In der Tat gebe ich zu, dass ich da manches unterschätzt habe." Den sechs niedersächsischen Landesmuseen wollte der Kulturminister Schwerpunkte und damit ein schärferes Profil verpassen. Hannover etwa sollte Schwerpunkt für Malerei, Braunschweig Zentrum für Archäologie werden. Doch die in Niedersachsen traditionell starken und selbstbewussten Regionen fürchteten, kulturell wertvolle Exponate an andere Landesmuseen zu verlieren. Monatelang tobte ein Sturm der Entrüstung. Kritiker warfen Stratmann eine Reform im Schnellschussverfahren und mangelhafte Kommunikation vor. Der ehemalige Leiter des Braunschweiger Landesmuseums Gerd Biegel: "Veränderungen struktureller Art, die auch zu einer Effizienzsteigerung, wie es so schön heißt, führen könnten oder auch können oder tatsächlich auch führen - ich will das ja gar nicht ausschließen, sie müssen letzten Endes nicht von oben nach unten entwickelt werden, sondern von unten nach oben. Die Erfahrung vor Ort kann man von außen nicht bewerten. Man glaubt nur, dass man sie bewerten kann. Man muss sie mitnehmen." Zwar bemühte sich Stratmann ein "Musikland" Niedersachsen zu etablieren, förderte das Singen bei Schülern und Landesmusikfestivals, doch in der Kulturförderung regierte in den vergangenen zehn Jahren vor allem der Rotstift. Im Kulturfinanzbericht des Statistischen Bundesamtes, der im Frühjahr veröffentlich wurde, landet Niedersachsen im Bundesvergleich auf dem vorletzten Platz: Nur 72 Euro geben Land und Kommunen demnach pro Einwohner für "Kultur und kulturnahe Bereiche" aus. Die Zahlen dieser Untersuchung sind fünf Jahre alt, doch die Opposition wirft der schwarz-gelben Landesregierung auch heute noch vor, den Kulturhaushalt "wie eine Zitrone auszuquetschen". Nachdem die SPD nach 13jähriger Regierungszeit große Schuldenberge aufgetürmt hatte, waren CDU und FDP 2003 in Niedersachsen mit einem rigorosen Sparwillen angetreten. In seinem Ressort kündigte Lutz Stratmann gleich nach Amtsantritt eine vierprozentige Kürzung des Gesamtetats an, im Bereich Kultur sollte vor allem bei den Staatstheatern gespart werden. "Wenn man sich drei Staatstheater leistet, dann kostet dann entsprechend auch viel Geld und dieses Geld ist im Prinzip nicht mehr vorhanden. Was wäre denn die Alternative? Die Alternative wäre, dass ich so weiter mache wie bisher und die Neuverschuldung weiter erhöhe. Das ist nicht mehr zu verantworten." Doch der Minister änderte seine Pläne, wollte die "Leuchttürme", in die mehr als 70 Prozent der Landesmittel fließen, schonen und holte stattdessen zum Kahlschlag bei den 1200 freien Kulturbetrieben in Niedersachsen aus. Von den acht Millionen Euro, die jährlich an die kleinen Literaturbüros, Musikschulen, Kulturvereine, Freien Theater, Jugendkunstschulen und soziokulturellen Zentren gezahlt wurden, sollte nur noch eine Million übrigbleiben. Nach wochenlangen öffentlichen Protesten kamen die staatlichen Einrichtungen glimpflich davon - und die Vereine und Initiativen der freien Szene mussten mit vier Millionen Euro weniger auskommen. "Und da waren wir erstmal ziemlich muffig...." Georg Halupczok, erster Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur in Niedersachsen. "Zumal wir in Gesprächen eigentlich immer etwas anderes erfahren hatten. Also wir - und ich auch natürlich - erwarten von Kulturpolitik, dass sie zu dem steht, was sie tut." Auch ein weiteres Sparprojekt - die Fusion von Landesbühne Hannover und Stadttheater Hildesheim - ging nicht wie gewünscht über die Bühne. 2007 vollzogen sollte sie als Modellprojekt für kränkelnde Häuser dienen. Doch auch das neue, zusammengelegte "Theater für Niedersachsen" blieb in finanzieller Schieflage. Der Grund: Stratmann hatte es dazu verdonnert, alle tariflichen Lohnsteigerungen selbst zu erwirtschaften. Die Folge: chronische Unterfinanzierung und drohende Häuserschließungen. 2011 lief die Zielvereinbarung aus. Und diesmal überraschte die schwarz-gelbe Landesregierung ihre Kritiker: Johanna Wanka, die Lutz Stratmann inzwischen abgelöst hatte, erhöhte nicht nur den Sockelbetrag für die kommunalen Theater, sie behob auch den "Konstruktionsfehler" ihres Parteikollegen. (Gade) "Wir haben einen neuen Zuwendungsvertrag, der eine Laufzeit hat bis 2014, also der Tarifausgleich ist jetzt wieder da..." Jörg Gade, Intendant des Theaters für Niedersachsen. "...und das zeigt mir, dass es in der Landesregierung auch die Bereitschaft gibt, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Kein Theater ist dauerhaft in der Lage, die Kostenentwicklung im Personalbereich selber zu erwirtschaften." Mit Johanna Wanka scheint frischer Wind in die niedersächsische Kulturpolitik gekommen zu sein. Sie gilt als durchsetzungsstark und profitiert von ihren Erfahrungen als Ministerin in Brandenburg und langjährige Hochschulrektorin. Wanka wisse genau, was sie wolle, heißt es bei Kulturschaffenden, doch sie könne auch zuhören und habe eine spürbare Leidenschaft für Kultur. (Wanka) "Ich glaube, dass es in der Kulturpolitik ganz ganz wichtig ist, innerhalb eines Landeshaushaltes - oder eben auch beim Bund - um Geld zu kämpfen. Und dass es gelungen ist, wenn man einen Landeshaushalt hat, der kleiner werden muss, einen Haushalt zu bekommen, wo der Kulturbereich nicht gekürzt, sondern gestärkt wurde, darauf bin ich stolz." Um eine Million Euro wurde 2011 der Kulturetat aufgestockt, 2012 sogar um elf Millionen. Jetzt gibt das Land etwa 200 Millionen Euro jährlich für Theater, Museen, Bibliotheken, Denkmalschutz oder Heimatpflege aus, etwa 0,75 Prozent des Gesamtetats. (Schneider) "Herzlichen Glückwunsch, aber gucken Sie mal, in welchem Verhältnis das zu anderen Ausgaben steht. Ich finde das gut, wie Frau Wanka da für die Kultur kämpft, aber man darf sich jetzt natürlich auch nicht in die Tasche lügen und sagen, da hat sich jetzt eine ganze Menge bewegt. Prozentzahlen sind, wie vieles in der Statistik, interpretierfähig." Wolfgang Schneider, Leiter des Instituts für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim. "Wo ist der Aufbruch zur Umverteilung? Wo sind konkrete Strukturreformen in unserer Kulturlandschaft, die tatsächlich eine nachhaltige Wirkung haben? Es ist nicht so, dass wir alle Menschen erreichen mit der Kulturpolitik. Es ist nicht so, dass wir uns bisher verständigt hatten, was für eine Kultur wir haben wollen." Das soll sich mit dem von Ministerin Wanka geplanten Kulturentwicklungskonzept ändern. Nach einer Bestandsaufnahme will die Regierung einen breiten Diskurs mit Akteuren der Kulturszene starten. Bis Ende 2012 sollen Ergebnisse feststehen, die in die künftige Kulturpolitik des Landes einfließen sollen. Allerdings: im Januar 2013 wird in Niedersachsen gewählt. Es bleibt die Frage, ob die gewonnen Erkenntnisse wirklich umgesetzt werden oder ob die CDU mit dem Dialogprozess im Wahlkampf nur gute Stimmung bei den Kulturschaffenden machen will. Johanna Wanka ist seit zwei Jahren im Amt. Wäre es ihr ernst mit dem Kulturentwicklungsprozess, von dem sie bereits 2010 gesprochen hat, hätte sie ihn längst gestartet. So sieht es aus, als habe die niedersächsische Landesregierung Angst, so kurz vor der Wahl möglicherweise auch unbequeme Entscheidungen zu verkünden. - E N D E -