DEUTSCHLANDFUNK Hörspiel/Hintergrund Kultur Redaktion: Hermann Theißen Sendung: Freitag, 20.06.2014, 19.15 - 20.00 Uhr Dossier Vorkehrungen gegen den kommenden Aufstand Militarisierung für den Wohlstand Von Aureliana Sorrento URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - ATMO Angriff auf die Diaz-Schule, Schreie Erzählerin: 21. Juli 2001, der vierte Tag des siebenundzwanzigsten G8-Gipfels in Genua. Zwischen 22 Uhr und Mitternacht stürmten 346 Beamte der Bereitschaftspolizei die Armando-Diaz-Schule. Dort schliefen Aktivisten des globalisierungskritischen "Genoa Social Forum". Die Stadtverwaltung hatte ihnen das Schulgebäude als Medienzentrum und Schlafstätte überlassen. Franco Fracassi war einer der ersten Journalisten, die nach dem Angriff die Schule betraten. O-Ton Franco Fracassi Era una scena terrificante perche al piano terra ... al piano terra al primo al secondo e al terzo. Sprecher: Es war ein entsetzliches Bild. Im Erdgeschoss gab es einen großen Saal, der normalerweise als Sporthalle genutzt wird. Dort lagen Dutzende von Schlafsäcken. Als ich mich den Schlafsäcken näherte, sah ich an den jeweiligen Kopfenden Blutlachen. Dann bemerkte ich, dass überall Blutbäche über die Flure flossen, in allen Etagen. Erzählerin: Globalisierungskritiker aus allen Erdteilen waren nach Genua gekommen. Sie protestierten gegen eine Politik, die nur den Interessen der transnationalen Konzerne diene, und gegen das neoliberale Instrumentarium, mit dem sie vollzogen wird: Liberalisierung der Waren-, Arbeits- und Finanzmärkte, Privatisierungen und Sozialabbau, Auslagerung von Arbeitsplätzen und Ausbeutung von Billiglohnarbeitern in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Diese Form der Globalisierung machten sie für Armut und die Zerstörung des Ökosystems verantwortlich. Im "Schwarzen Block" zusammengeschlossene militante Globalisierungsgegner verwüsteten die ligurische Stadt. Aber statt ihnen das Handwerk zu legen, ging die Polizei äußerst brutal gegen die friedlichen Vertreter der globalisierungskritischen Bewegung, gegen Gewerkschafter und katholische Pazifisten vor. Am Nachmittag des 20. Juli tötete der Carabiniere Mario Placanica den 20-jährigen Demonstranten Carlo Giuliani durch einen Kopfschuss. Die Erstürmung der Diaz-Schule war der vorläufige Schlussakt einer dreitägigen Gewaltorgie. O-Ton Franco Fracassi In una bagno trovai l' impronta ...quanta la scuola. Sprecher: An der Tür einer Toilette fand ich den Blutabdruck einer Hand. Die Spur der Hand konnte man durch den Raum und die Treppe hinunter verfolgen. Als hätte jemand den Besitzer dieser Hand blutig geprügelt und den Körper durch das ganze Gebäude und die Treppe hinab an den Füßen gezogen. Erzählerin Die heutige Bundestagsabgeordnete der Linken, Christine Buchholz, gehörte 2001 zu den Globalisierungskritikern, die in Genua demonstrierten. O-, Christine Buchholz, Track 2, 2:10 /2:37 Es war offensichtlich, dass man die Bewegung einschüchtern wollte. Man wollte diese Bewegung faktisch zerschlagen. Der Mord an Carlo Giuliani, als die Nachricht sich verbreitete, es war ein riesengroßer Schock. MUSIK ANSAGE Vorkehrungen gegen den kommenden Aufstand Militarisierung für den Wohlstand Von Aureliana Sorrento Erzählerin: Zwei Wochen nach den Exzessen von Genua, forderte der deutsche Innenminister Otto Schily in einem Interview den Aufbau einer internationalen Aufstandsbekämpfungspolizei. In einem Brief vom 20. September 2001 an die "Heads of central bodies for public order and security" der EU schlug die deutsche Regierung vor, gemeinsame Standards für Ausbildung und Ausrüstung von Spezialkräften der EU-Mitgliedsstaaten festzulegen, die für die öffentliche Ordnung sorgen müssen und forderte: Sprecher: Auch müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit ein Mitgliedstaat die Entsendung von Spezialeinheiten erbitten kann. ATMO: Jeepfahrt durch die Heide Erzählerin: Die Colbitz-Letzlinger Heide in der Altmark ist Naturschutzgebiet, wird aber seit 1936 militärisch genutzt. 1994 hat die Bundeswehr das 23.000 Hektar große Gelände von der Sowjetischen Armee übernommen. Heute befindet sich hier das "Gefechtsübungszentrum Heer", auch GÜZ genannt - die zentrale Bildungseinrichtung der Bundeswehr. O-Ton Peter Makowski Der gesamte Platz ist Natura 2000 und Flora Fauna Habitat, ... wird von Bäumen, Sträuchern/ Bevor die Baumaßname begonnen hat... Erzählerin: Die Bundeswehr sorge für den Erhalt des Biotops, sagt Oberstleutnant Makowski, der Leiter des GÜZ. Auch die Stadt, die hier gerade entstehe, werde das Gleichgewicht der Natur nicht stören, versichert er. Die Pflanzen, die der Bebauung weichen mussten, habe man an anderer Stelle wieder angepflanzt. ATMO Jeepfahrt Erzählerin: Peter Makowski ist ein stattlicher Mann, dem man seine Verantwortung für die jungen Soldaten ansieht, die seine Regierung in den Krieg schickt. Vor einem Auslandseinsatz durchlaufen alle deutschen Soldaten eine Ausbildung im GÜZ. Bis zu 1.500 Soldaten könnten auf dem Gelände trainiert werden, weshalb der Truppenübungsplatz gerne auch von anderen Armeen der NATO- oder von EU-Staaten gemietet werde. Natürlich trainiere man auch zusammen mit den Partnern, sagt Makowski. O-Ton Peter Makowski In der Zukunft wird sich diese Art des gemeinsamen Übens, bevor man in den Einsatz geht, aller Vermutung nach weiter steigern, denn die Bundeswehr ist nirgendwo einsam und als einzige Nation allein im Einsatz, sondern immer multinational. Erzählerin: Ab 2020 werden die Bundeswehr und die verbündeten Armeen in einer eigens für solche Übungen geplanten Stadt trainieren können, die gerade auf dem Gelände des GÜZ entsteht. Schnöggersburg soll sie heißen. Peter Makowski bringt mich zu der Stelle, wo eine Baugrube im Boden klafft und wo 520 Gebäude errichtet werden sollen. Ein "urbaner Ballungsraum" werde hier entstehen, sagt der Oberstleutnant, in dem werde man die Soldaten realitätsnah im Häuserkampf ausbilden. O-Ton Peter Makowski Das gesamte Areal soll 2500 mal 2500 Meter sein, aber hier sehen sie schon typische Elemente einer städtischen Bebauung die natürlich mit dazu gehören: ein neu angelegter Wald, praktisch als Stadtwald hinterher zu nutzen, sie sehen dort in der Tiefe des Raumes hinten die freie Fläche, dort wo die Bauernhöfe errichtet werden, all das gehört in den Raum hinein, und wenn man hier, direkt hier vorne, schaut, hier wird der eigentlich bebaute Raum sein. Erzählerin: Einstweilen ist dort nur ein Graben zu sehen, der sich durch das Gelände schlängelt. O-Ton Peter Makowski Der Fluss, der in der Mitte errichtet wird, denn wir haben kein natürliches fließendes Gewässer, dieser Fluss ist an der breitesten Stelle 22 Meter breit. Warum? Weil wir es nicht einfach gestalten, sondern sehr komplex, wie die richtigen Situationen auch im Einsatz aussehen. Das heißt auch: Die Häuser, die dann hier gebaut werden, werden drumherum Zäune, Mauern, etc. bekommen, so dass alles sehr unübersichtlich ist, genau wie in der Realität. Erzählerin: Schnöggersburg soll eine Musterstadt werden, wie es sie überall auf der Welt geben könnte, erklärt Makowski. Sie werde eine Altstadt und eine Neustadt haben, ein Wasserwerk, ein Umspannwerk, eine Kanalisation und einen U-Bahn-Tunnel, einen Friedhof, eine Einkaufsstraße, ein Diplomatenviertel, ein Elendsviertel, ein Industriegebiet, einen Sportplatz, ein Funkhaus, eine Moschee, die man bei Bedarf in eine Kirche umwandeln könne, eine Autobahn und einen Bahnhof. Die ersten Gleise hat man schon gelegt. Schnöggersburg wird die größte und bestausgestattete Anlage ihrer Art in Europa werden. Kein Wunder, dass das Ganze 100 Millionen Euro kosten soll. O-Ton Peter Makowski Warum brauchen wir das überhaupt? Wenn der deutsche Bundestag einen Einsatz beschließt, dann ist dieser Einsatz sehr genau festgelegt, wie viele Soldaten gehen wohin und mit welchem Auftrag. Es ist ein politischer Auftrag. Das Militär setzt diesen Auftrag dann um. Und wenn man sich mal anschaut, wo es in den letzten Jahren passiert ist, dann waren es immer Räume, wo urbane Zentren existiert haben. Wir wissen es aus der Vergangenheit und es wird in Zukunft nicht anders sein, denn wenn man wichtige demoskopische Angaben sich anschaut: Zurzeit leben knapp über 50% der Weltbevölkerung in urbanen Strukturen, 2025 werden es schon 60% sein und 2050 werden es sogar 70% sein. Da haben wir uns gesagt: OK, wenn Politiker Militär einen Auftrag gibt, in solche Bereiche zu gehen, dann müssen wir als Militär dafür auch sorgen, dass der Soldat, der diesen Auftrag dann militärisch erhält, auch bestmöglich ausgebildet werden kann. Erzählerin: Friedensinitiativen mutmaßen, Schnöggersburg werde auch gebaut, um Soldaten auf die Niederschlagung von Aufständen in den europäischen Metropolen vorzubereiten. Damit konfrontiert ist Oberstleutnant Peter Makowski entrüstet. Die Bundeswehr halte sich an das Grundgesetz, sagt er. Und das Grundgesetz verbiete den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Musik Erzählerin: In der Tat verbietet das Grundgesetz den Bundeswehreinsatz im Inneren, allerdings heißt es schon in der Notstandsverfassung von 1968: Sprecher: Zur Abwehr einer drohenden Gefahr fu¨r den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Erzählerin: Überdies hat das Bundesverfassungsgericht mit einer Entscheidung vom 3. Juli 2012 das Verbot des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren weiter aufgeweicht. Sprecher: Enge Grenzen sind dem Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand (...) durch das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt. Hiervon erfasst werden nur ungewöhnliche Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes. Schließlich muss der Unglücksfall bereits vorliegen. Dies setzt zwar nicht notwendigerweise einen bereits eingetretenen Schaden voraus. Der Unglücksverlauf muss aber bereits begonnen haben und der Eintritt eines katastrophalen Schadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen. Erzählerin: Mit Verweis auf solche Ausnahmeregelungen wurde die Bundeswehr schon im Juni 2007 zum Schutz des G8-Gipfels in Heiligendamm eingesetzt. O-Ton Matthias Monroy Das ist teilweise mit der Abwehr von sogenannten terroristischen Angriffen begründet worden. Dafür wurde die Luftabwehr installiert, also Luftabwehrraketen, Aufklärung natürlich. Erzählerin: Matthias Monroy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko: O-Ton Matthias Monroy Aber die Bundeswehr wurde auch gegen Demonstranten eingesetzt. Beispielsweise verfügt die Bundeswehr über Aufklärungseinheiten, die in so kleinen Panzern untergebracht sind, mit entsprechender Technik, mit Nachtsicht- und Weitsichtgeräten etc.: Die wurden eingesetzt, um ankommende Demonstrierende aufzuspüren, damit die Polizei rechtzeitig reagieren kann. Ein anderer Punkt war, dass die Bundeswehr schon Wochen zuvor begonnen hat, mit Kampfflugzeugen, die umgerüstet sind zu Aufklärungszwecken, die Gegend zu überfliegen. Es sind die sogenannten Tornado-Aufklärungs-Flugzeuge, die in Schleswig-Holstein stationiert sind./ Und diese Überflüge hat es sogar auch während des Gipfels gegeben. Musik Sprecher: Die Zukunft der Kriegsführung liegt in den Straßen, Abwasserkanälen, Hochhäusern und dem Häusermeer, aus denen die zerstörten Städte der Welt bestehen. Unsere jüngste Militärgeschichte ist gespickt mit Städtenamen wie Tuzla, Mogadishu, Los Angeles, Beirut, Panama City, Hue, Saigon, Santo Domingo - aber diese Zusammenstöße sind nur der Prolog des eigentlichen Dramas gewesen, das uns bevorsteht. Eine Armee, die auf Operationen in urbanem Raum nicht umfassend vorbereitet ist, ist unvorbereitet auf die Zukunft. Parameters, Zeitschrift des US Army War College, 1996. Sprecherin: Wo Armut, Slums und unzureichendes Einkommen das Ergebnis inadäquater urbaner Infrastruktur sind, können Spannungen entstehen. Wir denken, dass dieser Trend von immer größerer Bedeutung sein wird, und dass er in Zukunft zu inneren Unruhen, Aufständen und Gefahren für die Sicherheit führen wird, auf die die lokalen Behörden werden reagieren müssen. Urban operations in the year 2020, Studie der Research and Technology Organisation der NATO, 2003. Sprecher: Es ist festzustellen, dass tiefsitzende Ungleichheiten in der Verteilung ökonomischer, politischer und sozialer Ressourcen, welche mit Armut zusammenhängen und von der Globalisierung und neoliberalen makro-ökonomischen und politischen Prozessen untermauert werden, die am meisten verbreiteten Ursachen urbaner Gewalt sind. Urban violence and humanitarian challenges, herausgegeben vom European Union institute for security studies, 2012. Sprecherin: Es zeichnet sich eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Bürger und der Unfähigkeit der Regierungen ab, diese Erwartungen eines besseren Lebens zu erfüllen. Diese Diskrepanz kann zu Revolten und Verzweiflung führen. Global trends 2030 - Citizens in an interconnected and polycentric world, herausgegeben vom European Union Institute for Security Studies, 2012. Sprecher: Die großen politischen Verwerfungen, die zu erheblichen gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, verlagern sich; an die Stelle des früheren horizontalen Wettbewerbs unter ebenbürtigen Elitestaaten treten vertikale Spannungen zwischen den verschiedenen globalen sozioökonomischen Schichten. Durch die Technologie schrumpft die Welt zu einem globalen Dorf, das sich allerdings am Rande einer Revolution befindet. Während wir es mit einer immer stärker integrierten Oberschicht zu tun haben, sind wir gleichzeitig mit wachsenden explosiven Spannungen in den ärmsten Unterschichten konfrontiert. In der postmodernen Gemeinschaft müssen wir zum einen darauf achten, dass unser dominierendes globales System nicht zusammenbricht (man denke an die derzeitige Wirtschaftskrise), und zum anderen müssen wir uns zusammenschließen und gemeinsam eine Strategie zur Bewältigung unserer gemeinsamen weltweiten Herausforderungen entwickeln. (...) Auf das Militär werden verschiedene Aufgaben zukommen, hauptsächlich Polizeiarbeit. (...) Perspektiven für die europäischen Verteidigung 2020, herausgegeben vom European Union Institute for security studies, 2011. Musik ATMO 28./29. Juni 2011, Athen, Straßenkampf Erzählerin: 28. und 29. Juni 2011, Generalstreik in Athen. O-Ton Margerita For two days we were like in a gas square. It was terrible.... A short break and again, for two days long. Sprecherin: Zwei Tage standen wir in einer Gaswolke, der Platz war voll Tränengas. Es war schrecklich. Und es hörte nicht auf. Sie haben es immer wieder geschossen. Sie schossen Gaspatronen, der Platz wurde weiß, dann gab es eine kurze Pause, und sie schossen es nochmals. Das dauerte zwei Tage lang. O-Ton Pavlos There were articles that cited the Lausanne Convention of 1923 ......this huge amount of chemicals. Sprecher: Zeitungen führten die Konvention von Lausanne an und schrieben, dass in diesen zwei Tagen soviel Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt wurde wie bei einem echten Krieg mit Chemiewaffen. Es wurde CN-Gas verwendet, und dieses ist nach der Konvention von Lausanne eine geächtete Chemiewaffe. Meine Freundin und ich waren nach diesen Demonstrationen einen ganzen Monat krank, nur weil wir dieses Gas eingeatmet hatten. ATMO Straße, von weitem, Vögel Erzählerin: Die Armando-Chinotto Kaserne liegt an einer Ausfallstraße der norditalienischen Stadt Vicenza. Vier längliche Altbauten umsäumen einen weiträumigen, quadratischen, baumbestandenen Innenhof. Einst beherbergte die Kaserne eine Akademie für Carabinieri-Offiziere; seit 2005 hat das "Center of excellence for stability police units", abgekürzt CoEspu, hier seinen Sitz: das Kompetenzzentrum für stabilisierende Polizeieinheiten. Hier werden europäische, amerikanische und afrikanische Polizisten auf "Friedensmissionen", also auf Einsätze in Kriegsgebieten vorbereitet. In einem Flügel der Kaserne findet gerade ein Workshop mit afrikanischen Polizisten statt. ATMO Übung im CoEspu, Vicenza Erzählerin: Zwei Gruppen stehen sich mit Gewehren im Anschlag vor einer Tür gegenüber und schreien einander an. Blauuniformierte Offiziere trennen sie. Erst als sich die Männer ein wenig beruhigt und ihre Waffen abgegeben haben, lassen die Uniformierten sie in den Raum. O-Ton Alberto Veronese Qui stiamo simulando una missione della Nazioni unite ...grazie all'intervento die peacekeepers Sprecher: Wir simulieren hier eine Friedensmission der Vereinten Nationen. Mit einem Meeting mit dem Stabschef, einer Versammlung mit den ethnischen Gruppen, die sich bekriegt haben, bis zur Verfassung eines offiziellen Schlusskommuniqués. Erzählerin: Die streitenden Männer stellten Delegationen von zwei verfeindeten afrikanischen Ethnien dar, die sich jahrelang bekriegt hätten, sagt Carabinieri-Oberleutnant Alberto Veronese. Aufgabe der UN-Peacekeeper sei es, sie an den Verhandlungstisch zu bringen. O-Ton Alberto Veronese Vengono ricevuti dal capo di stato maggiore...come si verifica nei processi di negoziazione e di mediazione. Sprecher: Es wird also eine Schlichtung simuliert, wie sie bei Friedensverhandlungen tatsächlich stattfindet. Erzählerin: Das CoEspu werde zwar von Carabinieri geführt, sagt Geneal Paolo Nardone, es sei aber eine internationale Einrichtung und werde vornehmlich von den USA finanziert. O-Ton General Paolo Nardone Diciamo che... e utilizzato questa struttura per portarlo avanti. Sprecher: Die Idee für das Zentrum, geht auf den G8-Gipfel in Sea Island in den Vereinigten Staaten zurück. Da sah man die Notwendigkeit, polizeiliche Einsatzkräfte für Peace Support Operations, Friedensunterstützungsmissionen, global aufzustocken. Man steckte sich das Ziel, 75.000 Peacekeeper auszubilden, von denen 10%, also 7.500, robuste Polizeikräfte sein sollten, wie das Gendarmerien sind. Diese Aufgabe hat Italien übernommen. O-Ton Christian Kreuder-Sonnen Die Gendarmerie als übergeordneter Begriff bezeichnet Polizeieinheiten mit paramilitärischen Fähigkeiten, hat eine hybride Struktur zwischen Polizei und Militär, so dass diese Einheiten sowohl militärische als auch polizeiliche Fähigkeiten vereinen und sie flexibel gewichten können. Erzählerin: erklärt der Politikwissenschaftler Christian Kreuder-Sonnen. O-Ton Christian Kreuder-Sonnen Das heißt: Sie haben auf der einen Seiten robuste Selbstverteidigungsfähigkeiten, sie sind darüber hinaus in der Lage, sich flexibel zu bewegen auch in einer Konfliktregion, weil sie auf gepanzerte Fahrzeuge, bewaffnete Fahrzeuge zurückgreifen können. Und gleichzeitig haben sie eine zivilpolizeiliche Ausbildung und Arbeitstechniken gelernt, mit denen kriminalpolizeilich agiert werden kann. Und natürlich auch, und das ist eine Besonderheit von Gendarmerie-Einheiten, dass sie besonders geschult sind im Umgang mit gewaltsamen Aufständen. Erzählerin: Zusammen mit Ronja Kempin, die derzeit im Verteidigungsministerium tätig ist, hat Christian Kreuder-Sonnen für die CDU-nahe Stiftung Wissenschaft und Politik ein Strategiepapier über Gendarmerieeinheiten verfasst. Darin plädieren sie für den Aufbau von Gendarmerien auch in Deutschland, allerdings nur für den Einsatz in internationalen Stabilisierungsmissionen. ATMO Schulungszentrum Erzählerin: In einem Seminarbericht, den man auf der Homepage des CoEspu nachlesen kann, werden die Fähigkeiten zur Aufstandsbekämpfung, oder, wie es dort heißt zu "crowd and riot control", als Ausbildungsziele des Kompetenzzentrums besonders hervorgehoben. "Stabilisierungspolizisten" müssten in der Lage sein, Störungen der öffentlichen Ordnung zu bewältigen, sensible Infrastruktur zu überwachen, Prominente zu eskortieren, Terrorismus und Aufstände zu bekämpfen, Barrikaden zu entfernen und lokale Polizisten in der Technik der Aufstandsbekämpfung auszubilden. Das CoEspu hänge zwar nicht von der EU ab, sagt General Nardone, aber es unterhalte seit einigen Jahren besondere Beziehungen zur Union. O-Ton Paolo Nardone Pero l Unione Europea soprattutto in questi ultimi anni ha un ruolo importante nell attivita del Coespu...forze di polizia a tutti gli affetti pero a status militare. Sprecher: Zuerst 2009, dann in den letzten zwei Jahren, sind wir von der EU mit einem umfangreichen Trainingsprogramm beauftragt worden. Dabei werden wir europäische aber auch nicht-europäische Polizeikräfte trainieren, vor allem afrikanische. In erster Linie wird es sich um robuste Polizeikräfte handeln, d.h. Polizeieinheiten mit militärischem Status wie die Carabinieri. Erzählerin: "European Union Police Services Training" heißt dieses Programm, bei dem Polizisten und Gendarmen aus mehreren EU-Ländern gemeinsam trainieren und sogenannte "Best practices" entwickeln. Das Projekt wurde im Jahre 2008 von der Europäischen Kommission und der Französischen Gendarmerie initiiert. Die erste Trainingssession fand im Nationalen Trainingszentrum der Französischen Gendarmerie in Saint Astier statt. Das Folgetraining wurde 2009 vom CoEspu an seinem Sitz in Vicenza ausgerichtet, das dritte erfolgte 2010 unter der Ägide der deutschen Bundespolizei in einer Bundeswehr-Kaserne in Lehnin bei Potsdam. ATMO von der Internet-Seite eupst.eu: Übung, Demonstranten Erzählerin: Auf der Website des Projekts eupst.eu findet sich eine Dokumentation dieser Ausbildung. Ein Video zeigt die Simulation von Protesten, die von internationalen Polizeieinheiten unter Kontrolle gebracht werden. Matthias Monroy gehörte zur parlamentarischen Delegation, die das Training in Lehnin besuchte. O-Ton Matthias Monroy Dort wurden Missionslagen geübt, nach einem Bürgerkrieg, der militärisch befriedet wurde, es wurde angenommen, dass die Militärs die Lage unter Kontrolle gebracht haben, aber nachdem das Militär weiter zieht, muss die öffentliche Ordnung gesichert werden. Und in diesem Szenario agierten dann die Polizeien und Gendarmerien zusammen. Und geübt wurden beispielsweise Demonstrationen der Bevölkerung; Flüchtlingstrecks, die angegriffen werden; aber auch hoher Staatsbesuch. Was auch geübt wurde, sind solche Sachen wie große Sportereignisse. Jetzt muss man sich überlegen: In einem Post-Bürgerkrieg-Szenario wird kaum ein großes Sportereignis wie eine Fußballmeisterschaft oder eine Olympiade abgehalten. Das heißt, es zeigt sich eigentlich ganz gut, dass diese Übungen dafür da sind, so größere Demonstrationslagen in den Griff zu bekommen bis hin zu Aufständen in Krisenregionen oder Kriegsgebieten. ATMO Hof , Vögel Erzählerin: In der Armando-Chinotto-Kaserne, in der das CoESPU seinen Sitz hat, befindet sich auch das Hauptquartier der European Gendarmerie Force, abgekürzt: Eurogendfor - die europäische "Stabilisierungspolizei" per excellence. O-Ton Armando Sisinni Noi siamo più un comando di pianificazione...forze. Il comando è fatto...i fondi. Sprecher: Aber hier werden nur die Missionen geplant, das ist das Ständige Hauptquartier. Dem permanenten Stab gehören nur 32 Personen an. MUSIK Erzählerin: Im Einsatzfall müsse innerhalb von 30 Tagen eine 800 Mann starke Einheit aus den an Eurogendfor beteiligten Staaten zusammengestellt werden, erklärt Oberleutnant Armando Sisinni. Die Gendarmen kämen von den nationalen Gendarmerien, die Eurogendfor-angehören: die italienischen Carabinieri, die spanische Guardia Civil, die französische Gendarmerie Nationale, die niederländische Koninklijeke Marechaussee, die portugiesische Guardia National Republicana und seit 2008 die rumänische Jandarmeria Romana. Die türkische Gendarmerie hat im Bund ein Beobachterstatus, die polnische und die litauische gelten als Partner. Die European Gendarmerie Force wurde aus einer "Absichtserklärung" geboren, die fünf europäische Staaten 2004 in Noordwijk in den Niederlanden unterschrieben haben. O-Ton Matthias Monroy Es gab den Versuch, eine Gendarmerie-Truppe unter der Verantwortung der Europäischen Union aufzubauen, der Vorschlag kam von Italien und Frankreich vor über 10 Jahren, wurde allerdings so diskutiert von verschiedenen Mitgliedsstaaten, dass man das nicht haben will, weil es nicht in die nationale Gesetzgebung passt, Großbritannien und Deutschland haben sich zum Beispiel gewehrt; Italien und Frankreich haben aber kurzerhand gesagt: Dann machen wir es eben alleine, und haben alle Länder der Europäischen Union, die Gendarmerien haben, in der Europäischen Gendarmerie-Truppe zusammengefasst, die eben nicht der EU untersteht, sondern ein multilateraler informeller Zusammenschluss ist, und man bietet jetzt die Dienste der EU an, auch der NATO und auch der OSZE. D.h.: diese Gendarmerie-Truppe gibt es, ohne dass das Europäische Parlament diese kontrollieren könnte. Erzählerin: Offiziell war die Europäische Gendarmerie bislang dreimal in Einsatz: in Bosnien-Herzegovina, in Afghanistan und 2010 in Haiti. Ihr hauptsächlicher Auftrag sei es, lokale Polizeikräfte auszubilden, sagt Oberleutnant Sisinni. O-Ton Armando Sisinni Poi ci sono altri scenari, pero bisogna vedere se e quando vedranno Eurogendfor impegnata Sprecher: Es gibt auch andere Szenarien, aber man muss sehen, ob und wann Eurogendfor dann zum Einsatz kommen wird. Erzählerin Was das für Szenarien sind, will ich wissen. O-Ton Armando Sisinni Possono essere...forze di polizia all'interno di un paese destabilizzato. Sprecher: Es kann sich zum Beispiel darum handeln, in einem destabilisierten Land die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Erzählerin: Ob das Land sich auch innerhalb der EU befinden könnte? Der Oberleutnant schüttelt energisch den Kopf. O-Ton Armando Sisinni No, per statuto no. Il nostro impegno è al di fuori dell'Unione. Sprecher: Nein, auf keinen Fall. Unser Engagement gilt Ländern, die sich außerhalb der EU befinden. Erzählerin: Matthias Monroy: O-Ton Matthias Monroy Die Europäische Gendarmerie-Truppe ist tatsächlich für Einsätze in sogenannten Drittstaaten eingerichtet worden, aber das ist nun bald 14 Jahre her, dass die Initiative zur Gründung der Gendarmerie-Truppe kam, das Rad hat sich inzwischen weiter gedreht. Die Revolutionen rücken näher, die Revolutionen finden auch mitten in Europa statt, siehe Ukraine und Bosnien, auch die Aufstände gegen prekäre Lebensumstände, Gentrifizierung, hohe Mieten, hohe Nahrungsmittelpreise, Bankenrettung, Krisenprogramme, siehe Griechenland, Spanien, rücken damit auch ins Herz der EU, und natürlich macht man sich dort Sorgen. ATMO Proteste in Spanien Erzählerin: Barcelona im Mai 2012 O-Ton Johanna Garcia Grenzner La policia a partir de la huelga general del 29 de majo de dos mil doce ... a una mujer a Esther Quintana. Sprecherin: Nach dem Generalstreik vom 29. Mai hat die Polizei begonnen, Tränengas gegen die Demonstranten einzusetzen. Zum Beispiel bei einer Demonstration, zu der die Bewegung 15. Mai aufgerufen hatte, um die Plaza Cataluna zu räumen. Sie haben die Demonstranten brutal attackiert mit Gummigeschossen und Tränengas. Bei der folgenden Demonstration am 14. November 2012 haben sie einer Frau, Esther Quintana, ein Gummigeschoss direkt ins Gesicht geschossen und sie ins Auge getroffen. Sie hat das Augenlicht verloren. Musik Erzählerin: Privatisierung, Liberalisierung, Deregulierung, Präkarisierung der Arbeit, Lohnsenkungen, Sozialkürzungen und ausgeglichene Haushalte - so lauten die Ziele der europäischen Politik spätestens seit den 1990er-Jahren. Als Bedingung für die Gewährung von Krediten aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus hat sie den überschuldeten Staaten der Eurozone neben einem strikten Sparkurs eine Reihe marktliberaler Reformen verordnet, deren Radikalität alles übertrifft, was die Nationalregierungen bislang hatten durchsetzen können. Unter anderem die Entlassung hunderttausender Staatsbediensteter und die Senkung von Renten und Löhnen auf ein Niveau, das nicht einmal zur Nahrungsmittelversorgung reicht. Eine Studie des European Network of National Human Rights Institutions über die Auswirkungen der sogenannten Austeritätspolitik beklagt, dass immer mehr Menschen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hätten, Kinder an Unterernährung litten, Grundrechte nicht mehr gewährleistet seien - unter anderem das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Und dass Proteste gegen die Sparpolitik immer brutaler unterdrückt würden. Sprecher: In den letzten drei Jahren hat die Polizeigewalt zugenommen, vor allem die übermäßige Anwendung von Gewalt gegen Demonstranten. Die Beamten bleiben ungestraft. Es gibt Behauptungen, dass Menschen in Verwahrungshaft gefoltert werden. Erzählerin: Jürgen Wagner, Politikwissenschaftler und Vorstand der Informationsstelle Militarisierung: O-Ton Jürgen Wagner Es gibt eine ganze Reihe von Aussagen von hohen EU-Politikern, die in großer Sorge sind, dass vor allem in Griechenland aber auch in anderen EU-Staaten durch die Spardiktate der Troika die soziale Situation so aus der Kontrolle geraten könnte, dass Aufstände eben die gesamte Situation so prekär machen könnten, dass es zu Militäreinsätzen letztendlich kommen müsse. Und es gibt auch EU-Forschungsprogramme im Rahmen des siebten Forschungsrahmenprogramms, das bis 2013 lief, die ganz explizit solche Einsatzszenarien vorausgeplant hatten. Ein Beispiel: Focus, ein Projekt im Rahmen dieses Forschungsrahmenprogramms: hier wurden Szenarien ausgeplant, wo es drum geht, Zitat: militärische Kräfte einzusetzen im Falle ziviler Unruhen und Aufstände, und das eben im EU-Inland. Musik Erzählerin: Seit dem 1. Dezember 2009 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft. Er hat einige Neuerungen in die Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union eingeführt. Unter anderem wurde mit Artikel 222, der sogenannten Solidaritätsklausel, eine Art Verpflichtung zur militärischen Beihilfe im Falle eines Notstands festgelegt. Sprecher: Die Union und ihre Mitgliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Erzählerin: Der Vertrag von Lissabon legt allerdings die Einzelheiten der Anwendung dieser Solidaritätsklausel nicht fest. Er verweist vielmehr auf die Notwendigkeit eines diesbezüglichen Beschlusses durch den Europäischen Rat. O-Ton Jürgen Wagner Seither wurde krampfhaft versucht, von der Europäischen Kommission, von EU-Stellen, von wem auch immer, eine Präzisierung zu bekommen, was denn eigentlich eine von Menschen verursachte Katastrophe ist. Es wurde zum Beispiel versucht, von der Kommission eine Versicherung zu erhalten, dass darunter keine Streiks zu verstehen sind. Es wurde abgelehnt, diese Versicherung zu geben, und es wurde immer darauf verwiesen, dass ein Papier der EU-Außenbeauftragten Katherine Ashton zusammen mit der EU-Kommission in der Arbeit sei, die diese Solidaritätsklausel präzisieren solle. Und dieses Papier ist dann schlussendlich Ende Dezember 2012 auch erschienen. Erzählerin: Darin wird festgestellt, dass die Klausel im Falle von Krisen oder Katastrophen in Kraft trete. Und diese werden folgendermaßen definiert: Sprecher: Krise: eine ernste, unerwartete und häufig gefährliche Situation, die rechtzeitige Maßnahmen erfordert; eine Situation, die Menschenleben, die Umwelt, kritische Infrastrukturen oder wesentliche gesellschaftliche Funktionen betreffen oder bedrohen kann und auf eine natu¨rliche oder von Menschen verursachte Katastrophe oder Terroranschläge zuru¨ckgeht; Katastrophe: jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann; O-Ton Jürgen Wagner Und das ist natürlich absolut hinreichend schwammig. Zynisch gesagt: Auch ein Streik hat natürlich, vor allem wenn es ein Generalstreik wäre, ganz gravierende Auswirkungen auf Vermögenswerte, so was wird nicht ausgeschlossen, und ermöglicht damit, zumindest potenziell, man denke zum Beispiel an eine Situation wie Griechenland, dass der griechische Staat EU-Militär anfordert, um soziale Proteste niederzuschlagen. Musik O-Ton Olaf Lindner Der Atlas-Verbund ist die Kooperation der polizeilichen Spezialeinheiten aus den EU-Mitgliedstaaten, ist nach den Terroranschlägen von nine eleven entstanden aufgrund einer politischen Initiative der EU, ist gegründet worden, um Terrorismus zu bekämpfen, aber auch gegen schwere Gewaltkriminalität vorzugehen, und selbstverständlich hat sich die Organisation nach ihrer Gründung im Oktober 2001 weiterentwickelt. Erzählerin: Olaf Lindner, Kommandeur der deutschen Spezialeinheit GSG9, hat derzeit den Vorsitz des Atlas-Verbundes inne. In diesem Verbund sind 37 Elite-Einheiten der 28 EU-Länder zusammengeschlossen. Der Atlas-Verbund organisiert regelmäßig Symposien und Seminare. Aber vor allem wird gemeinsam geübt. O-Ton Olaf Lindner Um Erfolg zu haben, ist es wichtig, dass wir ein taktisches einheitliches Vorgehen haben, ein einheitliches Verständnis von unserer Aufgabenwahrnehmung und zu diesem Zweck entwickeln wir einheitliche Standards, die dann auch geübt werden müssen. Erzählerin: Atlas wird von der EU finanziert und hat ganz explizit den Auftrag, die Solidaritätsklausel umzusetzen: Sollte ein Mitgliedsstaat nicht in der Lage sein, aus eigener Kraft eine sogenannte "Großlage" zu bewältigen, oder wenn Terroranschläge in mehreren EU-Ländern gleichzeitig stattfänden, würde Atlas einschreiten. Ein solches Szenario lag der Übung "Common Challenge", "Gemeinsame Herausforderung", zugrunde, die im April 2013 in neun EU-Staaten gleichzeitig durchgeführt wurde. O-Ton Olaf Lindner Die Übung Common Challenge hat sich zusammengesetzt aus konkreten Szenarien, die sich wie folgt dargestellt haben: Es waren Geiselnahmen, die in Gebäuden, auf Schiffen und in Bussen und in einem Kraftwerk stattgefunden haben, an jeweils unterschiedlichen Orten. Dann wurden internationale Kräfte zusammengezogen, um diese komplexen Szenarien bewältigen zu können. Erzählerin: Während Atlas das prestigeträchtige Aushängeschild des europäischen Sicherheitsapparats ist, finden weniger glänzende Formen zivilmilitärischer Kooperation eher im Verborgenen statt. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die LINKE an die Bundesregierung war zu erfahren, dass die Bundespolizei zwischen 2010 und 2013 an 73 gemeinsamen Übungen mit ausländischen Sicherheitskräften teilgenommen hat - unter anderem mit Gendarmerien, deren Knowhow sich die deutschen Beamten, die qua Verfassung keine paramilitärische Einheit bilden dürfen, somit aneignen konnten. Die LINKE-Abgeordnete Christine Buchholz: O-Ton Christine Buchholz Es gibt einen Erfahrungsaustausch und wir wissen jetzt auch, dass es gemeinsame Polizeiübungen gegeben hat, wo die Polizeien verschiedener Länder Situationen wie Hausbesetzungen und andere Demonstrationen gemeinsam bekämpft haben. MUSIK Erzählerin Im Juni 2012 probten deutsche und österreichische Polizeibeamte in Bayreuth das Szenario "Hausbesetzung, Wohnungsdurchsuchung, Schießen, Naturkatastrophe, Schwimmen und Retten, Begleitschutz". Ende November 2012 wurde mit belgischen und luxemburgischen Polizeikräften in Bad Bergzabern "Blockadebeseitigung" geübt. Am 10. Oktober 2013 fand in Quierschied Göttelborn in Saarland die Übung "Demonstration" statt, an der eine Bereitschaftshundertschaft der saarländischen Polizei, eine Hundertschaft der französischen Gendarmerie mobile und eine Hundertschaft der Compagnies Républicaines de Sécurité teilnahmen. Sprecher: Als Übungslage wurde ein Aufzug mit Zwischen- und Abschlusskundgebung in Anlehnung an das Demonstrationsgeschehen der sogenannten "Blockupy Aktionstage" zugrunde gelegt. Erzählerin: hat die Bundesregierung am 13. Februar 2014 eingestanden. "Blockupy" ist ein Netzwerk von Globalisierungskritikern, Gewerkschaftern und linken Aktivisten, das sich 2012 formierte, um gegen die Krisenpolitik der Troika zu protestieren. 2012 kündigte das Bündnis Aktionstage in Frankfurt an, aber die Stadtverwaltung verbot alle Veranstaltungen bis auf eine einzelne Demonstration. 2013 wurde am 31. Mai und am 1. Juni nochmals demonstriert. Ziel des Demonstrationszuges war, so Blockupy Sprecher Hanno Bruchmann, die Europäische Zentralbank als Hauptakteur der Troika-Politik. O-Ton Hanno Bruchmann Klar ist, dass wir nicht an der EZB, dem eigentlichen Ziel der Demonstration, vorbeilaufen sollten. Und es waren noch nicht mal alle Demonstrationsteilnehmer losgelaufen vom Auftaktort, da hat die Polizei den vorderen Teil, in dem ich mich befand, abgetrennt, hinter uns mit Schubsereien und Schlagstöcken einen Teil der Demonstration rausgetrennt. Vorwand war, dass sich Leute mit Sonnenbrillen und Regenschirmen vermummt hätten. Und das war der Anlass, warum mit Pfefferspray, mit Schlägen ein Block von tausend Leuten aus der Demonstration rausgetrennt wurde und zehn Stunden festgehalten wurde. Die Polizei hat keine Leute rein oder rauslassen, auch nicht Leute mit Presseausweis, auch Sanitäter, und kranke Leute und hat die Leute, die da rumgesprungen sind, wild angegangen, mit Pfefferspray aber auch mit Knüppeln und Schlägen, sind auch Journalisten da verletzt worden, und Sanitäter und in dem Block selber, der da festgehalten wurde, stundenlang durften sie sich nicht bewegen, irgendwann hat die Polizei angefangen, mit Gewalt sie zu räumen, und einzeln rauszusuchen, und mit Schmerzgriffen und anderen Unannehmlichkeiten abgeführt zur erkennungsdienstlichen Behandlung, und ein paar Leute sind auch verletzt liegen geblieben danach. Erzählerin: Die Sanitäter zählten 275 Verletzte. ATMO Marsch nach Madrid am 22. März 2014 und ATMO Plaza de Colon, singende Demonstranten Erzählerin: 22. März 2014. Über eine Million Menschen strömen ins Zentrum von Madrid. Sie tragen Transparente mit den Forderungen: "Pan, techo, trabajo": Brot, ein Dach und Arbeit. Marcha de la dignidad, ein Marsch für die Würde - so heißt die lange vorbereitete Demonstration gegen die Politik der spanischen Regierung und der Troika. Höhepunkt der Kundgebung: Ein Konzert auf der Plaza de Colon im Zentrum von Madrid. Ein Orchester spielt "Va pensiero", das Lied der Sklaven aus Verdis Nabucco; Musiker und Demonstranten singen zusammen. Kurz vor 21 Uhr, als die Demonstration zu Ende gehen soll, stürmt die Polizei die Kundgebung. Vergeblich rufen die Redner auf der Tribüne die Beamten auf, von Provokationen abzusehen. ATMO Demonstranten singen El canto de la Libertad und ATMO Straßenschlacht "El canto de la Libertad", das Lied der Freiheit, ertönt. Die Polizei schießt Gummigeschosse in die Menge. Einige Demonstranten werfen Steine zurück und versuchen, Absperrgitter zwischen sich und die Beamten zu schieben. Wer zu fliehen versucht, wird von der Polizei verfolgt. MUSIK ABSAGE Vorkehrungen gegen den kommenden Aufstand Militarisierung für den Wohlstand Von Aureliana Sorrento Es sprachen: Isis Krüger Nicole Boguth und Volker Niederfahrenhorst Ton und Technik: Eva Pöpplein und Angelika Brochhaus Regie: Anna Panknin Redaktion: Hermann Theißen Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014. 1