Deutschlandradio Kultur, Forschung und Gesellschaft Erdgas zum Ausquetschen Mit Fracking können neue Gasreserven erschlossen werden - eine Gefahr und eine Chance für die Umwelt von Dirk Asendorpf Cut A1: Atmo Anti-Fracking-Demo, "Sprechchöre Stopp Fracking...", darüber: Sprecherin: Landauf, landab wird gegen Fracking demonstriert, die Gewinnung von Erdgas durch das Erzeugen unterirdischer Gesteinsrisse. Unter hohem Druck muss dafür ein Wasser- Chemikalien-Gemisch in mehrere Kilometer tiefe Bohrlöcher gepresst werden. Beigemischter Sand stellt sicher, dass die haarfeinen, aber Dutzende Meter langen künstlichen Spalten über Jahrzehnte für den Abtransport des eingeschlossenen Erdgases geöffnet bleiben. Cut A2 (Demo-Atmo): Mann: Warum sind Sie heute hier? Frau: Ja, eigentlich aus Angst. Ich hab die ganze Zeit die Entwicklung beobachtet. Und ich hatte von Anfang an den Eindruck, Exxon spielt einfach nicht mit offenen Karten. Sprecher: "Gegen Gasbohren" heißt ein Zusammenschluss von über 30 Bürgerinitiativen. Vom niedersächsischen Völkersen über das westfälische Nordwalde bis ins bayrische Breitbrunn protestieren sie gegen das unsichtbare Geschehen unter ihren Füßen. An Dramatik lassen sie es nicht mangeln. Der Rentner Ernst Harms-von-Quintus-Icilius ist in Bötersen aktiv, dem Standort einer Gasbohrung zwischen Bremen und Hamburg. Cut O1 (Ernst Harms-von Quintus-Icilius): Unter der Erde, da liegt die Gefahr. In 30, 40, 20 Jahren. Und keiner kann das lösen. Ist schon absoluter Wahnsinn, die Leute sind verrückt. Da gibt's kein Argument dafür, es gibt keins. Nur Profit machen, schnell schnell. Sprecherin: Dabei verursacht Erdgas in der Nutzung von allen fossilen Brennstoffen den geringsten Umweltschaden. Ein Gaskraftwerk bläst pro erzeugter Kilowattstunde Strom nur halb so viel CO2 in die Luft wie ein Kohlekraftwerk. Von Greenpeace bis zum Wirtschaftsministerium gehen alle Energieszenarien deshalb davon aus, dass unser Gasverbrauch in den nächsten zwei Jahrzehnten noch ansteigen wird - parallel zum Ausbau der Erneuerbaren Energien. Doch nur noch 12 Prozent des Erdgases, das wir in Deutschland verbrauchen, stammt aus heimischen Quellen, die Fördermenge geht seit Jahren zurück. Sprecher: ExxonMobil möchte das ändern, 70 Prozent der deutschen Erdgasförderung gehen auf das Konto des amerikanischen Multis. Der Ingenieur Norbert Stahlhut leitet die Kommunikationsabteilung der deutschen Exxon-Niederlassung in Hannover. Cut O2 (Norbert Stahlhut): Wir sind sicherlich von der öffentlichen Diskussion überrascht worden, aber der Einsatz der Frack-Technologie ist für uns ja eigentlich Routine hier in Deutschland. Wir machen das seit Anfang der 60er Jahre und haben insgesamt über 300 Bohrungen hier schon gefrackt ohne dass es einen nachweislichen Fall gibt, wo wir also Grundwasser verschmutzt hätten oder wo wir irgendwo ein Ereignis gehabt hätten. Sprecherin: Fracking ist allerdings nicht gleich Fracking. Bisher wurden Gasbohrungen am Ende ihrer Lebenszeit gefrackt, um die Restförderung zu erhöhen wenn der natürliche Gasdruck langsam nachlässt. Künftig wollen Exxon und Co Gas auch aus Gesteinen gewinnen, die es ohne Fracking überhaupt nicht hergeben würden. In Deutschland sind das Kohleflöze und Schiefer. Daran hat sich der Protest vor drei Jahren entzündet. Cut A3: Demo-Atmo, Sprechchor: "Exxon no, no, Exxon no, no", darüber: Sprecherin: Um Kohleflöze oder Schiefer, die sogenannten unkonventionellen Lagerstätten, in 1200 bis 4000 Metern Tiefe aufzusprengen, muss die Menge des Wasser-Chemikalien- Gemischs größer und der Druck, mit dem es in das Bohrloch gepresst wird, wesentlich höher sein als beim Fracken konventioneller Bohrungen. Das birgt neue Gefahren, doch die möglichen Fördermengen klingen verheißungsvoll. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt, dass die deutschen Schiefergasvorkommen ausreichen könnten, um den Erdgasbedarf unseres Landes bis zu 25 Jahre lang vollständig zu decken. Volker Steinbach leitet die Energieabteilung der Bundesanstalt. Cut O3 (Volker Steinbach): Bisher wird ja Schiefergas noch nicht wirtschaftlich gewonnen. Aus unserer Sicht hat es durchaus ein interessantes Potenzial. Beispielsweise ist eben durch diese Schiefergasproduktion USA zum größten Erdgasproduzent weltweit geworden. Und deshalb ist es natürlich wichtig, dass dieses Potenzial untersucht wird - egal, ob es jetzt oder künftig genutzt werden kann oder nicht. Sprecherin: Doch schon diese Untersuchungen sind heftig umstritten. Erst ein einziges Mal ist in Deutschland Schiefer testweise zur Gasgewinnung angebohrt und gefrackt worden - vor fünf Jahren im niedersächsischen Damme. Seitdem hält sich die Industrie mit neuen Explorationsprojekten zurück. Einige sind zwar geplant, Genehmigungsanträge wurden bei den zuständigen Landesbergämtern bisher aber nicht eingereicht. Exxon-Sprecher Norbert Stahlhut: Cut O4 (Norbert Stahlhut): Wir haben jetzt durch die Diskussionen ob vor Ort oder im politischen Bereich Verzögerungen und wir haben 2008 schon angefangen mit der Erkundung und haben diese jetzt noch nicht mal abgeschlossen. Danach muss ich dann die Frage klären: kann ich das auch wirtschaftlich tun. Und dann müssen Sie natürlich die Frage klären: Kann ich das auch unter Akzeptanz der Bevölkerung tun. Und erst wenn alle diese Fragen geklärt sind, dann können Sie wirklich in eine Gewinnungsphase eintreten. Sprecherin: Doch um die Akzeptanz der Bevölkerung steht es schlecht. Verantwortlich dafür ist vor allem das schlechte Beispiel, dass die USA bei der Öl- und Gasförderung abgeben. In Deutschland wurde es durch den Dokumentarfilm Gasland des US-Amerikaners Josh Fox bekannt. Ein Mann hält dort ein Feuerzeug an seinen Wasserhahn. Daraufhin zerplatzt ein Feuerball, der Kameramann zuckt zurück. Cut A5: Trailer Gasland, unter dem letzten Satz einblenden, frei stehen lassen mit dem Ausruf "Jesus Christ", dann darüber: Sprecherin: Ob der brennende Wasserhahn im Film tatsächlich etwas mit dem Fracking zu tun hat, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden. Bei dem ausströmenden Gas handelt es sich nicht um Erdgas, wie es in der Umgebung gefördert wird, sondern um biogenes Methan, wie es auch in Deutschland aus natürlichen Gründen in manchen Trinkwasserbrunnen vorkommt. Cut O5 (Norbert Stahlhut): Wenn Sie ins Münsterland gehen, werden Sie dort in vielen Regionen solches Gas vorfinden können und es gibt Menschen, die machen Ihnen auch im Münsterland den brennenden Wasserhahn. Das hat mit unseren Aktivitäten, denn wir haben da noch nicht gebohrt, wir haben da auch noch nicht gefrackt, nichts zu tun. Sprecherin: Allerdings ist es auch möglich, dass biogenes Methan durch die kleinen künstlichen Erdbeben, die beim Fracking ausgelöst werden, in Bewegung gerät. Was genau unter der Erde passiert, kann nur indirekt aus seismischen Untersuchungen und der Begutachtung von Bohrkernen geschlossen werden, für das menschliche Auge ist es unsichtbar. Ganz im Unterschied zu den spektakulären Bildern, auf die sofort stößt, wer im Internet nach Fracking googelt. Die große politische Wirkung hat der Film Gasland aber auch deshalb entfaltet, weil seine Grundaussage stimmt: Schiefergasfracking ist in den USA ein Umweltskandal. Cut A6: Atmo Bohrturm in Gardendale, darüber: Sprecher: Zum Beispiel hier, an der Ecke von Goldenrod und Horseshoe Drive mitten in Gardendale, einem 220-Einwohner-Örtchen im Westen von Texas. 50 Meter links steht ein Haus, 50 Meter rechts steht auch ein Haus und genau dazwischen ragt ein Bohrturm in den Himmel. Das Gestänge quietscht rund um die Uhr, ein Generator läuft auf Hochtouren, Trucks liefern Wasser und Material. Gleich gegenüber wohnt Joe Paul Wood. Cut O6 (Joe Paul Wood): I can hear it every night. I woke up this morning and I could smell the diesel fumes rafting over my house. Earlier in the year I was gassed by frack flow back, developed a head ache, stomach ache, scratchy throat. They came out, the commissioner came out and they went back and said: we didn't really smell anything. You're kidding. Overvoice männlich jung: Ich höre es jede Nacht. Heute morgen bin ich aufgewacht und konnte die Dieselschwaden über meinem Haus riechen. Vor einigen Wochen habe ich Gase aus dem Bohrloch abbekommen, ich bekam Kopfschmerzen, der Bauch tat mir weh und der Hals kratzte. Kontrolleure kamen her. Bevor sie zurückfuhren sagten sie: Wir haben wirklich nichts gerochen, Sie machen Witze. Cut A6 wieder hoch, darüber: Sprecher: Seit drei Jahren geht das jetzt so. Zuvor hatte niemand daran geglaubt, dass es jemals lukrativ werden könnte, mitten zwischen all den Häusern, Ställen und Gärten Öl und Gas zu fördern. Doch dann wurde das sogenannte Horizontalbohren erfunden. Sprecherin: Um Schiefergas zu gewinnen, reicht es nicht aus, wie bei der konventionellen Förderung einfach gerade in die Tiefe zu bohren. Stattdessen muss die Bohrung tief in der Erde um 90 Grad abknicken und über Hunderte Meter horizontal durch das Gestein gefräst werden. Nur so kann das anschließende Fracken genug Risse erzeugen, um die fest im Gestein gebundene fossile Energie freizusetzen. Die dafür nötige Bohrtechnik ist erst seit wenigen Jahren so günstig, dass sich ihr großflächiger Einsatz lohnt. Sprecher: Kaum war es soweit, tauchten in Gardendale schon die Mitarbeiter von Ölfirmen auf. Alle paar hundert Meter markierten sie ihre Bohrlöcher - und fast über Nacht verwandelte sich das verschlafene Nest in ein geschäftiges Öl- und Gasfeld. Auch Debbie Leverett lebt dort. Cut O7 (Debbie Leverett): We knew there was minerals, but at the time we bought, technology wasn't there to get to it. But they all knew this, early 2003, 4, 5, they knew what was coming and they started signing land amends, if you'd gone to any courthouse, you'd seen them sitting there, trying to find people that had minerals and buy them up cheap. Yes, they knew. They knew way back then. They get so close, they get so close. 140 feet to that little house, to that little house, to that little house. That's unreasonable. And this is happening in Montana, Wyoming, Pennsylvania. Overvoice weiblich: Schon als wir unser Haus kauften, wussten wir, dass darunter Bodenschätze lagen. Aber es gab keine Technik, um an sie heran zu kommen - dachten wir jedenfalls. Aber die Unternehmen wussten schon 2003, dass die Technik kommen würde und begannen, Förderrechte aufzukaufen, die in Texas von den Grundstücken getrennt gehandelt werden. In jedem Gerichtsgebäude sah man sie mit Leuten zusammen sitzen, denen sie die Rechte billig abkauften. Ja, sie wussten schon lange was kommt. Und jetzt rücken sie uns mit ihren Bohrtürmen auf die Pelle. 50 Meter von dem kleinen Haus da, und von dem da und dem da. Das ist doch nicht in Ordnung. Aber es passiert überall, in Montana, in Wyoming, in Pennsylvania. Sprecherin: Schiefergestein-Fracking hat die Energiewirtschaft der USA in einen Rausch versetzt, in 29 der 50 Bundesstaaten wird es bereits praktiziert. Die Folge: Erdgas wird das Land womöglich schon bald ex- statt importieren und beim Erdöl könnten die USA um 2030 herum zum Selbstversorger werden, schätzt die Internationale Energieagentur. In 25.000 amerikanischen Bohrlöchern ist das Schiefer-Fracking bereits eingesetzt worden. Und täglich kommen neue hinzu. Cut A7: Atmo Rig #205, darüber: Sprecher: Zum Beispiel hier, am Rand von Gardendale. Der Chef auf dem Bohrturm heißt Wylie Stokes. Seit 20 Jahren arbeitet der Kalifornier auf den texanischen Ölfeldern, Dreck und Gestank, sagt er, machen ihm nichts aus. Cut O8 (Wylie Stokes): The doctors give me a full physical every year and never ever has anything I've handled out here ever affected me. It's a safer environment than when I came out of the army and started working here. And pays better too. It is probably the only job that a guy with no education can come out here and make the type of money we can. I've got two 18 year olds and a 14 year old and my two 18 year olds are graduating this year and I have been able to have my wife to be a stay-at-home-mom all the time because of this oil field. It gives you a good income. Overvoice männlich jung: Ich lasse jedes Jahr einen Gesundheits-Check machen und noch nie hat mir irgendwas, womit ich hier draußen hantiere, geschadet. Heute ist die Arbeit sicherer als damals, als ich nach dem Militärdienst hier angefangen habe. Und außerdem viel besser bezahlt. Wahrscheinlich ist es der einzige Job in der Gegend, den ein Kerl ohne Ausbildung machen und dabei so viel Geld verdienen kann. Ich habe zwei 18jährige und ein 14jähriges Kind. Die beiden älteren machen dieses Jahr Abitur und weil es dieses Ölfeld gibt, konnte meine Frau bei ihnen zu Hause bleiben. Es verschafft uns wirklich ein gutes Auskommen. Cut A8: Atmo Wasserbecken hinter dem Bohrturm, darüber: Sprecher: Direkt hinter dem Bohrturm sprudelt das Abwasser in offene, mit Plastikfolie ausgekleidete Gruben, sogenannte Open Pits. Bis zum Ende des Fracking-Prozesses werden weit über zehn Millionen Liter in das Bohrloch gepresst. Der Rückfluss enthält neben den zugesetzten Chemikalien auch Schwermetalle und radioaktive Stoffe aus den tiefen Gesteinsschichten. Ben Shepperd sieht darin kein großes Umweltproblem. Er ist Präsident des lokalen Ölunternehmer-Verbands. Cut O9 (Ben Shepperd): There are open air pits where essentially the water will be left to evaporate off. And right around here it will evaporate off in a month. But it could take six months if we have a lot of rain or something like that. And then what you're left with is dry cuttings they call it, the pieces of rock that are used. Those cuttings will be folded over kind of like a burrito and buried eight, ten feet underground outside. The typical pit of cuttings is not what you would consider a toxic mess. It's probably not something you want to play in, but over time the soil will degrade the chemicals and dilute them. Overvoice männlich älter: Das sind Open-Air-Gruben, in denen das Wasser zurückbleibt und verdunstet. Hier passiert das innerhalb eines Monats. Wenn wir viel Regen haben, kann es auch mal bis zu sechs Monate dauern. Aber dann bleiben nur diese trockenen Gesteinsbrocken zurück. Wir vergraben sie unter einer Erdschicht - ungefähr so wie die Füllung in einer zugeklappten Tortilla - in drei bis vier Metern Tiefe. So eine Grube ist wirklich keine Giftkippe. Sie ist nicht gerade als Spielplatz geeignet, aber mit der Zeit zersetzt der Boden die Chemikalien und verdünnt sie. Sprecherin: Bislang betrachten die amerikanischen Bohrunternehmen den Chemikalien-Mix, den sie dem Bohrwasser beimischen, als Betriebsgeheimnis. Kein Gesetz verlangt, dass sie es offen legen. Sprecher: Shane Leverett hat sein ganzes Leben in Gardendale verbracht und wollte wissen, welche Rückstände die Ölfirma nach Abschluss der Bohrarbeiten auf seinem Grundstück zurückgelassen hat. Er arbeitet selber im Ölgeschäft, doch das Analyseergebnis war ein Schock für ihn. Cut O10 (Shane Leverett): The levels of Benzene in my neighbours pit were 8 times EPA level. And the levels of Benzene in my pit were 40 times EPA level. Overvoice männlich alt: Bei meinem Nachbarn waren die Benzol-Grenzwerte um das Achtfache überschritten, auf meinem Grundstück sogar um das 40fache. Sprecherin: Benzol ist krebserregend, als Lösungs- und Reinigungsmittel ist es deshalb verboten. Gerät der aromatische Kohlenwasserstoff ins Grundwasser, darf es nicht mehr genutzt werden. Cut O11 (Shane Leverett): Estimating from when they buried this pit, this pit is approximately 30 to 40 feet deep. And the top of the water table here is around 80 feet. So that Benzene is within 40 or 50 feet of my water table. And not just my water table but all of our water tables. Do we have to wait until it is in the water table before they actually do anything? Overvoice männlich alt: Diese Grube ist ungefähr 10 bis 12 Meter tief. Und die Oberkante des Grundwassers liegt hier in rund 25 Metern Tiefe. Das Benzol ist also gerade mal 13 bis 15 Meter von meinem Grundwasser entfernt. Und nicht nur von meinem, es ist ja unser aller Trinkwasser. Müssen wir wirklich erst darauf warten, dass es hineinsickert bevor sie etwas tun? Cut A9: Atmo Rig #205, darüber: Sprecher: Die Verzweiflung ist groß in Gardendale - und mit dem Eingreifen behördlicher Kontrolleure ist nicht zu rechnen. In Texas gibt es für die Überprüfung von 250.000 Öl- und Gasquellen ganze 400 Inspektoren. Wylie Stokes hat an seinem Bohrturm noch nie einen zu Gesicht bekommen. Cut O12 (Wylie Stokes): An Inspector? On my rig? No. I've never had anybody come out here. Overvoice männlich jung: Ein Inspektor? Auf meinem Bohrturm? Nein, hier ist nie jemand gekommen. Sprecher: In Gardendale, Texas, trägt der Wilde Westen seinen Namen noch zu recht. Es gilt das Recht des Stärkeren, drill baby, drill, ist sein Motto. Wylie Stokes arbeitet für Wes Perry. Dessen Firma hat das Bohrloch gepachtet. In drei Wochen sind die Vorbereitungen abgeschlossen, dann wird es über Jahrzehnte Öl und Gas im Wert von vielen Millionen Dollar produzieren. Drei Viertel gehen an den Besitzer der Bodenschätze, ein Viertel bekommt Perry. Nebenbei ist er Bürgermeister von Midland, der nächstgelegenen Großstadt und Heimat von Ex-Präsident George W. Bush. Cut O13 (Wes Perry): Ok, we're an energy town. How in the world could we truly not let drilling occur. At the north side of town there was a neighbourhood, all of these folks were in the oil business, so they understand their lifeblood is coming from the energy business and the company goes out there and stakes wells all over this neighbourhood, and they go ballistic. I've actually an oil well going on my personal property so I have a feel. It was a big debate and the folks that didn't want to drilling in our town said, the circle needs to be 2000 feet, which basically says: no drilling at all in the city. So the council said: that's too big. The oil companies wanted to have it 100 feet. We want to drill in people's backyards, literally in their backyards. Overvoice männlich älter: Okay, wir sind eine Energie-Stadt, wie, um Herrgotts Willen, können wir da das Bohren verbieten? Im Norden der Stadt gibt es ein Viertel, und all diese Leute arbeiten im Ölgeschäft. Sie wissen also, dass es ihr Lebenselixier ist. Dann kommt diese Ölfirma und markiert überall Bohrlöcher. Und die Leute gehen an die Decke. Ich habe selber eine Ölpumpe auf meinem Grundstück, ich weiß wie das ist. Es war eine Riesendebatte und die Leute, die das Bohren bei uns in der Stadt verhindern wollten, forderten einen Mindestabstand von 700 Metern. Aber das bedeutet ja praktisch: Bohren verboten. Da hat der Stadtrat gesagt: das geht zu weit. Die Ölfirmen wollten 30 Meter, sie wollten wirklich bei den Leuten im Hinterhof bohren. Sprecher: Am Ende hat der Stadtrat einen Mindestabstand von 150 Metern zum nächsten Wohnhaus beschlossen - und damit deutlich mehr als im benachbarten kleinen Gardendale. Schon seit über 100 Jahren leben die Menschen in Westtexas zwischen quietschenden Pumpen und stinkenden Gaslöchern. Trotzdem hat das Schiefergas-Fracking vieles verändert, sagt Amy Mall. Sie beschäftigt sich seit vier Jahren für eine Umweltorganisation in Washington D.C. ausschließlich mit diesem Thema. Cut O14 (Amy Mall): The difference is that it's a lot more intense. It uses a lot more chemicals, it generates a lot more waste, the waste can be quite toxic, it increases the pressure in the wells and the increased pressure is for a longer period of time. So the risks are magnified in a few different ways. Lot more truck traffic because a lot more chemicals and because there is a lot more waste. So everything is just blown up to a larger scale. Overvoice weiblich: Der Unterschied liegt in der Intensität. Es werden viel mehr Chemikalien gebraucht, es wird viel mehr Abfall erzeugt, und der kann ziemlich giftig sein. Der Druck in den Bohrlöchern wird erhöht und der erhöhte Druck bleibt über längere Zeit bestehen. Die Risiken werden auf verschiedene Art und Weise vergrößert. Es gibt viel mehr LKW-Verkehr. Denn viel mehr Chemikalien und Abfall müssen transportiert werden. Alles ist eine Nummer größer. Sprecherin: Das gilt auch für die Klimafolgen des neuen Öl- und Gasrauschs. Zwar sinken die CO2-Emissionen um die Hälfte, wenn Kraftwerke mit Erdgas statt mit Kohle befeuert werden. Beim CO2-Ausstoß haben die USA deshalb den niedrigsten Wert seit 30 Jahren erreicht. Doch gleichzeitig gelangt durch das Fracking immer mehr Methan in die Atmosphäre. Und dieses Klimagas hat einen 30 Mal so starken Treibhauseffekt wie CO2. Der Umweltingenieur Anthony Ingraffea hat die gesamte Klimawirkung des Frackings hochgerechnet. Cut O15 (Anthony Ingraffea): The largest source of methane emissions in the United States is from the oil and gas industry. Up until a few years ago it was from agriculture. Something like 49 percent of all the methane emitted in the US is emitted because of oil and gas production. A very small leakage rate, 2 or 3 percent of methane from shale gas development can have as much effect as burning it twice. What is the net gain, if anything, from the point of view of climate change? Based on the science that we have done so far and the data we have so far at best it's what we call a wash. There is no benefit. Overvoice männlich alt: Die Öl- und Gasindustrie ist zur größten Quelle für Methanemissionen in den USA geworden. Noch vor ein paar Jahren war das die Landwirtschaft. Jetzt stammen 49 Prozent der Methanemissionen aus Lecks bei der Öl- und Gasförderung. Wenn nur zwei bis drei Prozent bei der Produktion verloren gehen, dann verdoppelt das den Treibhauseffekt der Erdgasverbrennung. Gibt es also einen Gewinn für den Klimaschutz? Auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Daten, die wir bisher haben, ist es im besten Fall ein Nullsummenspiel. Es gibt keinen Vorteil. Cut A10: Atmo Bohrturm in Gardendale, darüber: Sprecher: Doch mit dieser Erkenntnis findet Anthony Ingraffea in den USA bisher kaum mehr Gehör als die Bewohner von Gardendale mit der Verzweiflung über die Bohrtürme in ihren Gärten. Cut O16 (Joe Paul Wood): This is a fantastic economic opportunity for oil and gas development. But it's at the expense of all of us, all the people that live from the land in this community. Oil and gas can give, and it can also take away. It's taken away our lives, and it's taken away most of our land. Overvoice männlich jung: Für die Öl- und Gasindustrie ist das eine phantastische Chance. Aber es geht auf unsere Kosten. Öl und Gas kann geben, aber es kann auch nehmen. Es hat uns unser Leben und einen Großteil unseres Landes weggenommen. Cut A11: Atmo Vogelgezwitscher, Trecker, Kühe, darüber: Sprecherin: Zurück nach Deutschland. Hierzulande liegen die ergiebigsten Gasvorkommen in Niedersachsen, 95 Prozent der deutschen Gasförderung finden auf dem platten norddeutschen Land statt und auch die Schiefergasvorkommen sind hier konzentriert. Angezapft werden sie bisher nicht, doch konventionelle Gasförderung gibt es in Niedersachsen schon seit Jahrzehnten. Zwischen ausgedehnten Maisfeldern und kleinen Dörfern weisen Schilder hier und da auf die Anlagen der Gasindustrie hin. Sprecher: Zum Beispiel an der B75 etwas außerhalb von Bötersen, einer Tausend- Einwohner-Gemeinde zwischen Bremen und Hamburg. Hier wohnt der pensionierte Lehrer Hartmut Horn. Vögel zwitschern im schönen Garten, beim Bauern nebenan stehen die Tore zum Kuhstall offen. In der Nähe errichtete Exxon vor zwei Jahren die Anlage Bötersen Z11. Cut O17 (Hartmut Horn): Ich selbst wohne 700 Meter entfernt von dieser Bohrstelle und da habe ich gedacht: Das geht irgendwie nicht. Das will ich nicht und ich möchte auch nicht, dass z.B. unter meinem Grundstück oder so was gebohrt wird. Ich habe mich dann informiert und dann einen Brief geschrieben an die Gemeinden in der Umgebung: Bötersen, wo ich wohne, Hassendorf und Waffensen und Sottrum. Und dort haben wir geworben zusammen mit den Grünen für eine Veranstaltung. Diese Veranstaltung haben wir gemacht und haben die Leute informiert, was hier geschieht. Und so hat sich daraus die Initiative gegründet, die hat erst mit acht Leuten angefangen und heute sind's im Umkreis so 150 Leute, aber der feste Kern, das ist so um 20, 25 Leute. Sprecher: Inzwischen ist Bötersen Z11 in Betrieb gegangen, besondere Vorkommnisse gab es nicht. Der Platz rund um das Bohrloch ist betoniert, sollte es zu einem Leck kommen, würde die austretende Flüssigkeit aufgefangen. Im nächsten Schritt soll die konventionelle Bohrung gefrackt werden, den Antrag dafür hat Exxon längst gestellt, er liegt seit Monaten beim zuständigen Bergamt in Niedersachsen, wurde bisher aber nicht beschieden. Sprecherin: Der niedersächsische Landtagswahlkampf mit anschließendem Regierungwechsel von schwarz-gelb zu rot-grün hat die Behörde verunsichert. Die einschlägigen Gesetze haben sich bisher zwar nicht verändert, wohl aber die Stimmung im Bundesland. Fracking ist kein Thema mehr, das Bergbauingenieure auf rein technischer Ebene unter sich ausmachen. Heute steht jedes Bohrloch unter öffentlicher Beobachtung, soll gefrackt werden, ist sie besonders groß. Sprecher: So wie in Bötersen. Anders als in Texas würde der gesamte Rückfluss dort nicht in eine offene Kuhle geleitet, sondern in geschlossenen Tanks zwischengelagert und dann von Tanklastern zur sogenannten Versenkbohrstelle Sottrum Z1 gefahren. Dort wird schon bisher der Rückfluss aus allen Bohrlöchern der Umgebung unter hohem Druck in eine poröse Gesteinsschicht in gut 1000 Metern Tiefe gepresst - rund einen Kilometer unterhalb der Rotenburger Rinne, eines Trinkwasserreservoirs, aus dem über 350.000 Menschen versorgt werden. Dass es verschmutzt werden könnte, ist die größte Sorge der Bürgerinitiative. Cut O18 (Hartmut Horn): Das ist wie eine Giftdeponie, die sich ausbreitet und man will uns hier von Exxon klar machen, das würde in einem 120 Meter breiten und 39 Meter tiefen Zylinder sich lagern. Aber Erde ist beweglich und Erde hat Schichten und das Wasser geht überallhin und die Gifte verteilen sich überall, d.h. im Grund stehen wir hier wahrscheinlich auf einem riesigen Giftsee von 950 Millionen Liter giftigen Lagerstättenwasser. Sprecher: Exxon-Sprecher Norbert Stahlhut hält dagegen. Alle Gasbohrungen und auch die Behandlung und Verpressung des Rückflusses seien nach geltendem Recht genehmigt, Probleme habe es damit bisher noch nie gegeben. Cut O19 (Norbert Stahlhut): In Deutschland haben wir hohe Umweltstandards und das ist gut so. Wir haben hier eine Aufsichtsbehörde, die in regelmäßigen Abständen alle unsere Aktivitäten überprüft und wir haben jetzt auch in Folge der gutachterlichen Aktivitäten begonnen, ein Grundwassermonitoring durchzuführen und haben dies vorbereitet mit bisher zwei runden Tischen, zu denen wir also auch aktiv die Bürgerinitiativen einladen. Die haben dieser Einladung leider keine Folge geleistet, aber ich würde es sehr begrüßen, denn das gibt eben auch die Möglichkeit, solche Monitoringprogramme, die ja eingefordert werden, auch mitzugestalten. Sprecherin: Tatsächlich sind die Standards der Öl- und Gasindustrie in Deutschland mit der Wildwestmanier, in der in Texas und einigen anderen US-Bundesstaaten gebohrt und gefrackt wird, nicht vergleichbar. Das bestätigt auch das Umweltbundesamt in Dessau. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums hat es den Stand der Erkenntnis zum Erdgasthema zusammengetragen, Bernd Kirschbaum ist dafür zuständig. Cut O20 (Bernd Kirschbaum): Die Vorgehensweise wie das in den USA ist, kann man schon jetzt sagen: So wird in Deutschland nicht gebohrt und gefrackt. Die technischen Standards sind sehr hoch. Sprecherin: In vier großen Studien haben Geologen und andere Wissenschaftler in den vergangenen Monaten die Chancen und Risiken der Schiefergasförderung in Deutschland untersucht. Eine davon hatte Exxon selber in Auftrag gegeben, die anderen kamen von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Umweltbundesamt. Überraschenderweise kommen alle im Grundsatz zum gleichen Ergebnis. Cut O21 (Bernd Kirschbaum): Wir haben uns, wie auch die anderen Studien, nicht gegen das Fracking ausgesprochen. Also wir haben weder ein Verbot von Fracking gefordert und sehen im Prinzip die Notwendigkeit, in Deutschland das Fracking, also die Gewinnung von Erdgas aus diesen unkonventionellen Lagerstätten umweltverträglich zu gestalten. Und hier gibt es eben durchaus aus unserer Sicht noch Handlungsbedarf, da ist mit Sicherheit noch einiges zu forschen. Wie muss eine Überwachung aufgebaut werden, um letztendlich nachzuweisen: ist es zu Schädigungen gekommen oder nicht? Ein begleitendes Überwachen wie z.B. die Rissausbreitung im Untergrund verläuft und letztendlich muss auch eine nachsorgende Überwachung stattfinden. Wir haben jetzt ein zweites Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben zur Emissions- und Klimabilanz, Erdbeben, die eventuell ausgelöst werden können - das sind alles Fragestellungen, die bislang noch sehr offen sind. Sprecherin: Und die nur in der Praxis beantwortet werden können. Bernd Kirschbaum ist deswegen für den vorsichtigen Beginn der Exploration. Cut O22 (Bernd Kirschbaum): Wir wissen so viel, dass wir anfangen könnten in Deutschland zu bohren und auch zu fracken unter intensiver wissenschaftlicher und behördlicher Begleitung, um Fragestellungen auch noch weiter zu untersuchen. Zum Beispiel das Weiterentwickeln von Frack-Fluiden bis hin zum sogenannten, ich sag mal in Anführungszeichen, Green-Frack, also ohne Chemikalien oder mit wenig umweltgefährdenden Chemikalien. Sprecherin: Einführung einer verbindlichen Umweltverträglichkeitsprüfung und ein Fracking-Verbot in Wasserschutzgebieten - das sind die wichtigsten Eckpunkte eines Kompromisses, den die Berliner Koalition für das weitere Vorgehen vereinbart hat. Umstritten ist zwischen Regierung und Bundesrat aber noch die Frage, welche chemischen Zusätze in der Frackflüssigkeit zugelassen werden sollen. Dass es noch vor der Bundestagswahl Klarheit über die künftige Gesetzeslage gibt, ist deshalb eher unwahrscheinlich. Sprecher: In den USA wird die deutsche Diskussion aufmerksam verfolgt. Vier Bundesstaaten im Nordosten der USA haben Schiefergas-Fracking vorerst verboten, auch die amerikanische Umweltbehörde EPA arbeitet an einer umfangreichen Risikostudie, die Ergebnisse sollen aber erst 2014 vorliegen. Cut A12: Demo-Atmo, darüber: Sprecherin: Wer tief in der Erde - und damit für öffentliche Kontrolle unsichtbar - mit gesundheitsgefährdenden Substanzen hantiert, muss streng kontrolliert werden. Welche Schäden drohen, wenn das nicht passiert, ist in den USA zu besichtigen: Schlampiges Bohren versaut dort Grundwasser und Böden, und der Umweltvorteil, den der Umstieg von dreckiger Kohle auf sauberes Erdgas bei der Stromerzeugung eigentlich hat, wird durch unnötige Methanleckagen zunichte gemacht. Cut 35 kurz hoch, darüber: Sprecherin: Ein allgemeines Fracking-Verbot wäre trotzdem falsch. Erdgas ist für die Energiewende vorerst unverzichtbar, Schiefergestein ist eine wichtige Quelle. In Deutschland könnten wir zeigen, wie sie sicher angezapft werden kann. Denn unsere Öffentlichkeit ist aufmerksamer, unsere Umweltlobby ist stärker, die Umwelttechnik ausgereifter und die Bohrindustrie schwächer als in den USA und den meisten Ländern, aus denen wir das Gas importieren, das wir selber nicht fördern. Cut 35 ausblenden. Sprecher: Der amerikanische Umweltingenieur Anthony Ingraffea ist einer der schärfsten und prominentesten Gegner des Schiefergasfrackings wie es derzeit in den USA praktiziert wird. Von Deutschland erwartet er wichtige Impulse. Cut O24 (Anthony Ingraffea): The people of Germany need to understand that the people in the US look to Germany as a model for a large industrial modern country with a large population and you've managed to do in a very short period of time what our politicians in the US say is impossible which is to drastically increase the use of renewable energies so that you can at least question whether you need shale gas. We admire that. Overvoice männlich alt: Die Menschen in Deutschland müssen sich klar machen, dass die Menschen in den USA Deutschland als Vorbild für einen Industriestaat mit einer große Bevölkerung sehen, der es geschafft hat, das zu tun, von dem unsere Politiker in den USA immer sagen, es sei unmöglich: nämlich den Einsatz erneuerbarer Energie drastisch zu erhöhen und damit zumindest die Frage aufzuwerfen, ob man Schiefergas wirklich braucht. Wir bewundern das. E N D E 1