COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 10. Mai 2007 Redaktion: Peter Kirsten Für die wärmeren Tage Adaptionsstrategien zum Klimawandel Von Matthias Eckoldt Termin: 10.05.07 Sprecherin Sprecher Die vorgeschlagenen Geräusche können im Bedarfsfall auch durch sphärische Musik ersetzt werden. Im O-Ton: - Klaus Bucher vom Deutschen Wetterdienst - Jürgen Kropp vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung - Benno Hain vom Kompetenzzentrum für Klimafolgen und Anpassung des Umweltbundesamtes - Prof. Klaus Stark leitet das Fachgebiet für gastroenterologische und tropische Infektionen am Robert-Koch-Institut - Peter Lauwe vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (1) O-Ton(Bucher 0:40): Grundsätzlich kann man sagen, dass es allgemein zu einem Temperaturanstieg kommen wird aufgrund der Erwärmung der Troposphäre ? der menschengemachten Erwärmung ? das ist jetzt eindeutig erwiesen auch anlässlich des letzten Reports der IPCC, dass es sich um eine anthropogene Erwärmung handelt. Also der Mensch hat einen direkten Einfluss darauf. Und man kann davon ausgehen, dass diese Erwärmung dann auch zu ganz bestimmten Effekten führt, die sich auch im Bereich des Wetters niederschlagen werden. Regie: Platzregen schon unter letzte Worte des O-Tons. Dann Blitzeinschläge, Sturm... Sprecher: So Klaus Bucher vom Deutschen Wetterdienst. Regie: Noch einen Blitzschlag, dann Sprecherin. Sprecherin: Die Zeichen deuten daraufhin, dass es ungemütlicher werden wird auf Erden. Das legt der in diesem Jahr erschienene Bericht der IPCC nahe. Die Intergovernmental Panel on Climate Change ? Sprecher: - die Zwischenstaatliche Sachverständigengruppe über Klimaänderungen - Sprecherin: ist seit 1988 im Auftrag der UNO tätig. Sie betreibt selbst keine Forschung, sondern trägt die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Klimaveränderungen zusammen. Sprecher: Im ersten Teil seines diesjährigen Berichts versammelte der Weltklimarat Belege dafür, dass die globale Erwärmung vom Menschen selbst verschuldet ist und warnte eindringlich vor den Folgen einer weiteren Aufheizung der Atmosphäre. Der zweite Teil widmete sich den dramatischen Folgen des Klimawandels für die ärmsten Regionen der Welt ? vorwiegend Afrika, Asien und Lateinamerika. Im dritten und letzten Teil, der Anfang Mai in Bangkok vorgestellt wurde, entwirft die IPCC bedrückende Szenarien vom Klimawandel und machte Lösungsvorschläge: Sprecherin: Wenn die Emission von Treibhausgasen nicht drastisch sinkt, wird sich die Erde im Laufe des 21. Jahrhunderts um mehr als zwei Grad Celsius erwärmen. In diesem Fall droht durch die Übersäuerung der Ozeane und das Abschmelzen gigantischer Eisschilde in Grönland und der Westantarktis eine unumkehrbare Klimakatastrophe. Sprecher: Das tolerierbare Höchstniveau für Kohlendioxid liegt einem Szenario des Berichts zufolge bei nur 400 Parts per Million, also 400 Anteilen auf eine Million. In den meisten politischen Verlautbarungen heißt es hingegen noch immer, dass das Zwei-Grad-Ziel auch mit 450 ppm Kohlendioxid erreichbar sei. Sprecherin: Ein weiteres Szenario des IPCC-Berichts kommt zu dem Schluss, dass der globale Treibhausgasausstoß bis 2050 um 48 bis 86 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 gedrosselt werden muss, um die Zwei-Grad-Grenze und damit die Grenze der Beherrschbarkeit des Klimawandels nicht zu überschreiten. (2) O-Ton(Kropp 07:10): Die größte Unsicherheit, die wir haben, ist: Wie entwickelt sich die Menschheit bis 2100? Gelingt es uns beispielsweise die Weltbevölkerung auf einem Niveau von sieben Milliarden zu stabilisieren oder haben wir 2100 vielleicht eine Weltbevölkerung von 14 oder 15 Milliarden? Sprecher: Jürgen Kropp vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. (3) O-Ton(dito): Es ist vollkommen klar, dass sieben Milliarden weniger CO2 emittieren als 15 Milliarden. Das ist einer der Hauptfaktoren der Unsicherheit, und deswegen werden alle Modellläufe, die in diesem Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change für unterschiedliche Szenarien durchgerechnet. Und diese Szenarien beinhalten nichts anderes als plausible Überlegungen hinsichtlich der zukünftigen Menschheitsentwicklung. ... (9:20): Das ist ja alles nicht sicher und das lässt sich ja heute auch nur schlecht abschätzen. Insofern muss man diesen Korridor berechnen, damit man weiß, in welchem Bereich man sich bewegt. Fakt ist aber: Wir leben bereits in einem Klimawandel. Wir haben in Deutschland in den letzten hundert Jahren ungefähr ein Grad Celsius Temperaturanstieg gehabt. Und selbst wenn es uns heute gelänge, den CO2-Ausstoß sofort zu stabilisieren, werden wir immer noch einen weiteren Klimawandel erleben, weil das, was in der Zukunft passiert, haben wir in der Vergangenheit bereits angeschoben. Sprecher: Die Bemühungen um die Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen ist nur die eine Seite der Klimamedaille. Auf der anderen Seite steht die Adaptation, die Anpassung an die sich ändernden klimatischen Bedingungen. Während die Reduzierung von CO2 und den CO2-äquivalenten Gasen Methan, Lachgas, Flurkohlenwasserstoff und Schwefelhexafluorid eine eher globale Aufgabe ist, hat die Anpassungsproblematik vorwiegend lokalen Charakter. Sprecherin: Die Folgen der Erderwärmung für das Klima in Mitteleuropa sind jetzt bereits spürbar. (4) O-Ton(Kropp 18:02): Schauen wir zum Beispiel in die Alpen, dann ist der Temperaturanstieg in den letzten hundert Jahren an der Nordseite der Alpen sogar noch höher gewesen: 1,4 bis 1,8 Grad. Und was besonders auffällig ist in den Alpen, dass die Januar- und Februartemperaturen stark ansteigen. Das hat massive Auswirkungen zum Beispiel dort auch auf den Skitourismus, also auf einen ökonomischen Sektor. ... Sprecher: Benno Hain vom Kompetenzzentrum für Klimafolgen und Anpassung des Umweltbundesamtes sieht die Situation für die Skigebiete ähnlich dramatisch: (5) O-Ton(Hain 26:54): Der Schnee schmilzt und wird vermutlich auch in Zukunft nicht mehr in dem Maße verfügbar sein, wie der Skitourismus es gerne hätte. ... In vielen Wintersportzentren, die hauptsächlich vom Skitourismus leben, gibt es keine Alternative. Und wenn Sie dort dann mal im Sommer versuchen zu wandern, werden Sie sehen: Die Landschaft ist auch schlicht nicht attraktiv. Pistenbegradigungen und Geröllhalden: Wer möchte schon gern seinen Urlaub dort verbringen? Das ist keine Idylle. Es braucht Tourismuskonzepte, es braucht Konzepte für neue Entwicklungen. (6) O-Ton(Kropp dito): Es gibt aber auch Regionen, die versuchen, sich diesem bereits anzupassen. Teilweise ist das sehr erfolgreich: Es gibt eine Gemeinde Ovronnaz in der Schweiz, die merken schon seit Mitte der achtziger, dass der Schneefall dort abnimmt. Dann haben sie sich überlegt, was machen wir, was können wir tun und haben ein Thermalbad gebaut und sind sogar in der Lage durch dieses Thermalbad ihre Übernachtungszahlen noch zu steigern. Also das ist so ein kleines Erfolgsrezept. ... Man merkt daran auch, dass der Tourist nicht unbedingt Skifahren muss. Also wenn das mal schlecht ist und er hat passende Alternative, kommt er trotzdem. (20:35): Also man kann sich anpassen. Aber die Anpassungsmaßnahmen, denen man sich dann stellen muss, sind stark von der Region abhängig und stark von den Klima-Impacts, wie wir sagen, oder den Klimaeinflüssen abhängig. Regie: Regen und Sturm. Sprecherin: Eines des gravierendsten Probleme beim Klimawandel ist, dass das Klimasystem auf die vom Menschen produzierte Erwärmung nicht einfach durch die entsprechende Erhöhung der Tagestemperaturen reagiert, sondern durch eine Zunahme extremer Wetterereignisse. Künftig müssen wir uns auf Trockenzeiten, Starkregenfälle, Orkane und längere Hitzewellen einstellen. Sprecher: Besonders ältere und kranke Menschen sind durch anhaltend hohe Temperaturen gefährdet, da jede Überforderung des Thermoregulationssystems sofort auch eine Überforderung des Herz-Kreislauf-Systems nach sich zieht. Sprecherin: Der Deutsche Wetterdienst hat bereits reagiert und mit dem ersten deutschen Hitzewarnsystem ein entsprechendes Anpassungskonzept an die sich wandelnden klimatischen Bedingungen entwickelt. Sprecher: Noch einmal der Medizinmeterologe Klaus Bucher aus Freiburg: (7) O-Ton(Bucher 8:20): Auslöser waren eigentlich mehrere Dinge. Zum einen muss ich sagen, dass wir auch schon vorher ... ein Hitzeinformationssystem hatten. Allerdings war das nur beschränkt auf Kurorte hier in Baden-Württemberg, weil eben hier eine Zielgruppe lebt, die ganz besonders betroffen ist von Hitzesituationen. ... Die Ursache dafür ist also einmal das, was unsere Klimamodelle ergeben ? nämlich die Zunahme der Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen. Und außerdem der Sommer 2003, der ja ein wirklich einschneidendes Ergebnis brachte: Nämlich dass Hitze eine Risikofaktor ist. ... Und die Todesfälle, die mit Hitze assoziiert waren, zeigen auch, dass hier ein echter Handlungsbedarf vorgelegen hat. Sprecherin: Das föderale System der Bundesrepublik machte einen Abstimmungsprozess des Deutschen Wetterdienstes mit jedem einzelnen Bundesland notwendig, damit das Hitzewarnsystem tatsächlich bundesweit Wirkung zeitigen kann. Mittlerweile sind entsprechende Handlungsvorgaben durch die obersten Gesundheitsbehörden der Länder festgeschrieben. Sprecher: Besonders in Altenheimen und Krankenhäusern wird so seit dem Sommer 2006 für situativ angepasstes Verhalten gesorgt. Nach einem detaillierten Verteilerschlüssel werden insgesamt 4000 Warnadressen benachrichtigt, die ihrerseits dann entsprechende Unterverteiler haben. (8) O-Ton(Bucher 11:50): Die Warnung basiert auf einem zweistufigen System. Die Grundbasis der Warnung ist die so genannte gefühlte Temperatur. Das ist also eine physiologisch relevante Temperatur, die in bestimmten Situationen auch stark abweichen kann von der physikalischen. ... Diese gefühlte Temperatur ist also direkt auf die Wärmeabgabe des Menschen bezogen und ... es geht noch mehr mit ein als nur die Temperatur ? nämlich die Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Sonneneinstrahlung im kurz- oder langwelligen Bereich ? eine sehr wichtige Größe. Und auf der Basis der gefühlten Temperatur wird nun für Landkreise berechnet, in wieweit aufgrund der allgemeinen Wettervorhersage eine Überschreitung von bestimmten Schwellenwerten, die für den Menschen eine Relevanz besitzen, eine Hitzewarnsituation bestehen kann. ... (22:55): Das geschieht auf einer Gitterpunktsbasis, wobei die einzelnen Gitterpunkte einen Abstand von sieben Kilometern haben. Das ist also ein sehr flächendeckendes Netz. Wenn nun eine gewisse Prozentzahl der Gitterpunkte mit Überschreitung unserer Schwellenwerte erreicht wird, dann wird uns von dem Modell ein Hinweis gegeben. Wir überprüfen dann anhand unserer Wetterkarten und anhand der Vorgaben, die unsere Kollegen aus der Allgemeinen Wettervorhersage machen, ob diese Warnsituation sinnvoll ist. Und wenn dann im Kollegenkreis einstimmig festgestellt wird, dass eine Warnsituation besteht, wird die Warnung herausgegeben. Sprecher: Die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes kommen dann morgens um zehn Uhr für den aktuellen und den darauf folgenden Tag per E-Mail und Fax. Privatpersonen können sich über die Hitzewarnungen auch auf den Internet-Seiten des Deutschen Wetterdienstes informieren. Sprecherin: Grundsätzlich gibt es zwei Warnstufen: Stark und Extrem. Sprecher: Stark... Sprecherin: ... nennen die Meteorologen eine Hitzesituation mit 32 Grad gefühlter Temperatur, relativ hoher Luftfeuchtigkeit und geringer Windaktivität. Sprecher: Extrem... Sprecherin: ... ist die Hitze für den DWD, wenn dazu noch eine relativ hohe Abstrahlwärme der Erdoberfläche infolge einer bereits mehrere Tage anhaltenden Sonneneinstrahlung kommt, die gefühlte Temperatur tags auf über 38 Grad ansteigt und nachts nicht unter zwanzig Grad absinkt. (9) O-Ton(Bucher 14:25): Bei diesen Warnstufen werden unterschiedliche Maßnahmen erforderlich und diese Maßnahmen sind so festgelegt, dass sie auch überprüft werden können. Und das ist auch gerade bei der letzten Hitzwelle im Jahr 2006 erfolgt, wo also dann wirklich von Heimkreisleitstellen Überprüfungen vorgenommen worden sind bezüglich der Durchführung der Maßnahmen. Es sind dann wirklich Altenheime aufgesucht worden, und es ist dort überprüft worden, wie hoch die Raumtemperatur ist, wie das Flüssigkeitsangebot ist für die alten Menschen und wie die Ernährung an die heiße Situation angepasst ist, denn man soll ja möglichst wenig belastende Kost zu sich nehmen, also alles Dinge, die zu einer Risikoverminderung für den Patienten oder alten Menschen führen, wurden überprüft. Und das ist eigentlich das Endergebnis des Hitzewarnsystems im positiven Sinne. Regie: Blitzschlag und Starkregen. Sprecherin: Auch auf die Landwirtschaft kommt im Zeichen des Klimawandels ein enormer Anpassungsdruck zu. Die Modelle sagen voraus, dass besonders der Osten Deutschlands in den nächsten Jahren mit Hitze und Trockenheit zu kämpfen haben wird. Landwirtschaft im herkömmlichen Sinne wird hier auf überschaubare Distanz nicht mehr praktiziert werden können. Sprecher: Die Landwirte müssen sich künftig mit ihrem Anbau auf die drohende Wasserknappheit einrichten und nach Kulturpflanzen Ausschau halten, die auch längere Trockenzeiten überstehen können. Auch hier ist der Sommer 2003 das warnende Beispiel. Auf den ostdeutschen Äckern gab es infolge der hohen Temperaturen und des geringen Niederschlags einen Ertragseinbruch um bis zu fünfzig Prozent. Sprecherin: Gemessen an den Anpassungsproblemen der Forstwirtschaft sind die der Landwirtschaft jedoch verschwindend gering. Der Landwirt kann im Prinzip in einer Ein- bis Zweijahresfrist seine Bepflanzung ändern. Im Wald dagegen gelten ganz andere Zeiträume. (10) O-Ton(Hain 13:20): Unsere Wälder sind im Moment nicht in der Lage, den doch relativ schnell stattfindenden Klimawandel ? wir rechnen bis ins Jahr 2100 mit etwa zweieinhalb Grad ? auch entsprechend zu vertragen. Unsere Wälder sind sehr sensibel, und gerade die Fichte, die in Deutschland sehr stark angebaut wurde, ist nicht der Baum, der solche Temperatursteigerungen ohne weiteres verkraftet. (11) O-Ton(Kropp 35:14): Wir haben bereits Ende der neunziger Jahre eine Analyse gemacht zum Beispiel von Nordrhein-Westfalen, wo wir auf Gemeindeebene versucht haben festzustellen, wie verwundbar sind eigentlich die NRW-Wälder gegenüber Extremereignissen ? und hier ganz konkret gegenüber Stürmen. Und was wir da herausgefunden haben ist, dass das natürlich vor allem Gegenden sind, die windexponiert sind. Was wir auch herausgefunden haben, dass Regionen besonders verwundbar sind, wo wir Monokulturen haben. Und da haben wir eine Karte angefertigt, und diese Karte deckt sich ziemlich schön mit den Sturmschäden in der Wald- und Forstwirtschaft in NRW verursacht durch diesen Orkan Kyrill. Man hat, glaube ich, einen Verlust von über 19 Millionen Festmetern Holz gehabt. ... Und da denkt man in der Tat darüber nach, ob man nicht möglicherweise die Zusammensetzung dieser Forsten anders versucht darzustellen. Dass man also nicht immer nur auf Monokulturen schaut, sondern auch auf Mischwälder. (12) O-Ton(Hain dito): Das heißt: Hier braucht es ein sehr wirkungsvolles neues Konzept für einen integrierten Waldumbau. Im Forstbereich wird bereits ernsthaft drüber nachgedacht, und uns liegen bereits Informationen vor, dass bereits in einzelnen Regionen solche Konzepte umgesetzt werden. Chancen ergeben sich bei solchen Ereignissen wie Stürmen. Kyrill ist ein Beispiel dafür, dass großflächige Wälder, die durch den Sturm zu Fall kamen, jetzt unter neuen Gesichtspunkten aufgeforstet werden. Aber man muss immer sehen, bevor ein solcher neuer Wald dann Ertrag bringt, vergehen Jahrzehnte, und wir investieren in die Zukunft. Und diese Investition in die Zukunft ist bisher in unserem wirtschaftlichen Denken in Deutschland noch nicht so verankert, dass wir davon ausgehen können, dass die Investitionen, die notwendig sind, um sich an längerfristige Klimaänderungen anzupassen, auch kurzfristig getätigt werden. Regie: Sturm heult auf. Sprecher: Auch im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist der Klimawandel ein Thema. Diese selbständige Bundesoberbehörde innerhalb des Ministeriums des Inneren ist für die zivile Sicherheitsvorsorge zuständig. Sprecherin: Katastrophenschutz, könnte man meinen. Dem ist jedoch nicht so, da laut des föderalen Strukturprinzips in Deutschland der Katastrophenschutz Ländersache ist. Dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe kommt daher lediglich die Aufgabe der Beratung der Länder in Katastrophensituationen zu. Materielle Hilfe kann das Bundesamt in Form des Technischen Hilfswerkes zur Verfügung stellen. Sprecher: Peter Lauwe vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. (14) O-Ton(Lauwe 7:08): Klimawandel wird sich deutlich auch auf Versorgungseinrichtungen auswirken ? und dort zum Beispiel auf die Energieversorgung, aber auch auf Wasserversorgung und auf den Transport. Wenn man zum Beispiel an Flussregime denkt, an Flussläufe im Sommer und an den Abfluss im Sommer. Der wird sich verringern. Das hat wiederum Auswirkungen auf Kühlwasser für Kraftwerke, das hat Auswirkungen auf den Transport in den Binnengewässern. Da wird es definitiv zu Änderungen kommen und da wird es notwendig werden, sich daran anzupassen. Und da werden wir auch unsere bestehenden Konzepte anpassen und verändern müssen. ... (8:09): Wir können uns vorstellen, dass wir unsere Ausstattungskonzepte auf Gefahren beziehen müssen und auch auf regionale Besonderheiten. Man kann sich vorstellen, dass verstärkt mobile Aufbereitungsanlagen ... gebraucht werden oder auch mobile Notstromversorgungsanlagen. Aber das ist auch nur ein Aspekt. Ein weiterer Aspekt ist der, dass wir verstärkt Gespräche führen werden mit Infrastrukturbetreibern, mit dem Ziel, die Versorgungsleistungen sicher zu machen auch vor dem Hintergrund sich ändernder extremer Wetterereignisse. Sprecherin: Greifbare Ergebnisse kann das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nicht vorweisen, da es seiner politischen Aufgabe gemäß eher im Konzept-Bereich tätig ist. Allerdings schwirrt ein Zauberwort durch die Etagen der Bonner Behörde: Redundanz. Sprecher: Redundanz meint im Zusammenhang mit Katastrophenhilfe die Verdopplung wichtiger Infrastrukturbereiche, damit im Havariefall auf Ausweichkapazitäten zugegriffen werden kann. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe kartografiert derzeit wichtige Wasser-, Energie- und Verkehrsinfrastrukturen und regt dazu an, Redundanzen zu schaffen. (15) O-Ton(Lauwe 18:26): Es gibt Einrichtungen, die Bereiche oder Komponenten haben, die sehr wichtig für diese Einrichtungen sind, und solche Einrichtungen müssen sich dann überlegen ? beispielsweise: Brauchen wir ein zweites Rechenzentrum? Brauchen wir eine zweite IT-Anlage, die in einem Gebiet steht, das eben nicht bedroht ist oder nicht von dieser Gefahr bedroht ist. Das ist die Stoßrichtung, in die wir gehen, es geht nicht darum, ganze Anlagen zu ersetzen, ganze Kraftwerke, weil da hat man die Verteilung in Deutschland, da hat man in Deutschland schon Redundanzen, auf die man zurückgreifen kann. Regie: Mücken, Fliegen, Wespen. Sprecherin: Konkretere Angriffspunkte hinsichtlich der Anpassung an den Klimawandel hat das Robert-Koch-Institut für Infektions- und Tropenkrankheiten. Denn die Vermutung liegt nahe, dass steigende Temperaturen und sich ändernde Wetterkonstellationen auch eine Erhöhung der Infektionsgefahr mit sich bringen. Sprecher: Die Mediziner vom Robert-Koch-Institut haben grundsätzlich zwei Arten von Krankheitserregern im Visier: Einerseits solche, die es schon immer in unseren Breiten gab und die sich durch den Klimawandel besser vermehren. Auf der anderen Seite suchen die Forscher aber auch nach Anzeichen dafür, ob sich Infektionskrankheiten hier ausbreiten können, die bislang nicht in Mitteleuropa Fuß fassen konnten. (16) O-Ton(Stark 0:25): Zur ersten Gruppe, also den bereits etablierten Infektionserregern, sind sicher eine ganze Reihe von zeckenübertragenden Erregern zu rechnen. Sprecherin: Professor Klaus Stark leitet das Fachgebiet für gastroenterologische und tropische Infektionen am Robert-Koch-Institut. (17) O-Ton(dito): Das ist zum einen die Lyme-Borreliose, wo wir in Deutschland jetzt schon viele tausend Erkrankungsfälle jedes Jahr zu verzeichnen haben. Zum anderen die sogenannte Frühsommer-Meningoenzephalitis. Das ist also eine Entzündung des Gehirns und der Hirnhaut durch Viren, die ebenfalls durch Zecken übertragen werden. Für diese Erreger haben wir ein bereits funktionierendes Überwachungssystem. Wir können bisher noch keine wirklichen Trends einer Zunahme verzeichnen, aber sie sind doch von einer starken Aktivität gekennzeichnet. ... Es wird in den nächsten Jahren wichtig sein, genau zu gucken, ob die Erkrankungsfälle beim Menschen weiter zunehmen. ... (2:07): Wenn eben zusammenkommt: stetige Temperaturerwärmung plus ausreichende Feutigkeit, ist auf jeden Fall von einer Zunahme der Zeckenpopulation auszugehen. Und das wird dann auch die Frühsommer-Meningoenzephalitis betreffen, die bisher eigentlich auf den Süden von Deutschland im Wesentlichen beschränkt ist. ... Aber da ist zu befürchten, wenn die Temperatur steigt, dass sich der Erreger weiter nach Norden ausbreitet. Sprecherin: Gegen die Infektionsübertragung durch diese heimtückischen kleinen Wesen, die keinen anderen Lebensinhalt zu haben scheinen als an das Blut von Säugetieren zu kommen, gibt es zwei Schutzmaßnahmen: Sprecher: Man kann sich gegen die FSME, die Frühsommer-Meningoenzephalitis, impfen lassen, wenn man in den betroffenen Gebieten lebt oder längere Zeit dort zu tun hat. Gegen die Lyme-Borreliose allerdings gibt es keine vergleichbare Schutzimpfung. Da hilft nur Wachsamkeit. Sprecherin: Die Infektionsgefahr steigt mit der Kontaktzeit der Zecke gleichsam exponential an. Sie braucht einige Stunden, um ihr Gift zu verspritzen. Je rascher man einen Zeckenbiss identifiziert und das Tier fachgerecht vom Blutkreislauf des Menschen trennt, desto geringer ist die Gefahr einer Übertragung. Sprecher: Ein Waldspaziergang ohne Impfung, Zeckenzange und ? selbstverständlich FCKW-freiem ? Schutzspray gilt vielleicht in wenigen Jahren schon als verantwortungslos. Keine schöne Vorstellung, aber der Mensch hat sich schon an ganz andere Bedingungen anzupassen verstanden. Sprecherin: Nun zur zweiten Gruppe der Erreger, die derzeit noch nicht in Mitteleuropa Fuß gefasst haben. (18) O-Ton(Stark 7:29): Da fallen einem natürlich sofort die wichtigen tropischen Erreger ein: von Malaria über Dengue-Fieber über Gelbfieber bis hin zum Chikungunya-Virus, das zu einer großen Fieberepidemie auf den Inseln des Indischen Ozeans geführt hat. Zum Glück kann man im Augenblick sagen, dass diese Erreger keine konkrete Gefahr für die deutsche Bevölkerung darstellt. Allerdings sind für einige dieser Erreger, die ja zumeist von Stechmücken übertragen werden, Mückenarten in Deutschland vorhanden, die das Potenzial haben, diese Erreger zu beherbergen, allerdings sind zur Zeit die Temperaturen noch nicht so, dass die Erreger ? zum Beispiel bei Malaria ? den gesamten Zyklus durchlaufen können. ... (10:20): Anders sieht es aus bei den Erregern ? Dengue und Chikungunya-Virus ? da sind bisher die Vektoren, wie wir das nennen, also die Insekten, die die Übertragung machen, nicht vorhanden, aber es besteht durchaus ein konkreter Anlass zur Befürchtung, wenn Temperaturen steigen, dass diese Vektoren sich auch in Deutschland verbreiten. Da reicht es für die Erreger, da es nur Viren sind, die keinen komplizierten Entwicklungszyklus durchlaufen, reicht es, wenn bestimmte Minimaltemperaturen vorhanden sind, dann kann eine Übertragung auf den Menschen stattfinden. Sprecherin: Im neunzehnten Jahrhundert grassierten bereits an der deutschen Küste kleinere Malaria-Epidemien. Sogar noch nach dem Zweiten Weltkrieg infizierten sich Soldaten, die auf den Rheinwiesen kampierten, mit Malaria. Doch selbst wenn die Temperaturen aufgrund des Klimawandels dramatisch steigen sollten, wird das deutsche Gesundheitswesen kaum durch Malaria-Erreger noch einmal ernsthaft in Bedrängnis geraten. Sprecher: Malaria-Patienten werden in Deutschland ? und man hat ja hierzulande durchaus Erfahrungen mit eingeschleppten Fällen ? so frühzeitig diagnostiziert und behandelt, dass eine epidemische Ausbreitung nahezu ausgeschlossen ist. Denn die übertragenden Mücken brauchen eine kritische Masse infizierter Menschen, um an das Virenmaterial heranzukommen. Sprecherin: Auch bei den Dengue und Chikungunya-Viren, die Krankheitsverläufe ähnlich einer sehr schweren Grippe erzeugen, wurden in Deutschland bislang nur eingeschleppte Erkrankungen registriert. Sprecher: Im überarbeiteten Infektionsschutzgesetz von 2001 wurde eine Verschärfung der Meldepflicht von Infektionskrankheiten gesetzlich festgeschrieben. Zugleich wurden die labordiagnostischen Nachweise reglementiert. Auf dieser Grundlage bekommt das Robert-Koch-Institut einen profunden Überblick über die Entwicklung von Krankheitserregern und Infektionswegen. Sprecherin: Die Infektionsmediziner haben auch im Zeitalter des Klimawandels jede nur erdenkliche Gefahr im Blick. Auch das so genannte West-Nil-Virus: (19) O-Ton(Stark 14:15): Das ist vor allem eine Erkrankung des Gehirns, das in manchen Fällen sehr schwer und auch tödlich verlaufen kann mit einer fieberhaften Erkrankung. Und dieses Virus ist 1999 erstmals in die USA importiert worden und hat es dort geschafft, sich sehr schnell und sehr weitflächig zu etablieren. Da gibt es ein Tierreservat bei vielen Vögeln ? Zugvögeln vor allem, und die Übertragung erfolgt auch da über bestimmte Stechmückenarten. Da hat man natürlich die Sorge gehabt und hat weiterhin die Sorge, wenn es sich in den USA ausbreiten kann, warum nicht auch in Mitteleuropa? Das ist zum Glück bisher nicht der Fall. Aber beim Westnilvirus ist es so, dass in jedem Fall entsprechende Vogelarten vorhanden sind, die als Reservoir infrage kommen, aber auch die Insekten sind schon vorhanden, so dass man da in den nächsten Jahren sicher auch sehr sorgfältig die Situation beobachten muss. Regie: Zugvögelschwarm Sprecherin: Die Folgen der Klimaänderung zeigen sich bereits. Vielerorts wird es auch zu Überlagerungseffekten kommen, wenn Flüsse, die ehedem aus Gletschern gespeist wurden, nicht mehr genügend Wasser führen, um Schifffahrt zu ermöglichen und die Kraftwerke zu kühlen - zugleich aber durch den flächendeckenden Einsatz von Klimaanlagen nicht weniger, sondern mehr Energie erforderlich ist. Oder wenn Küsten und küstennahe Orte durch Meeresspiegelanstieg und Sturmfluten in einem geschädigt werden. Sprecher: Anpassung an den Klimawandel ist das Thema der nächsten Jahre. Allerdings besteht kein Anlass zu Pessimismus. Oder, wie es Hölderlin viel schöner sagte: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. (20) O-Ton(Hain 38:55): Es gibt die Chance, dass wir einfach über ein Thema reden, das bisher Experten vorbehalten war. Dass wir breit in der Gesellschaft darüber nachdenken, wie wir auch von der Natur abhängen. Ich halte das für sehr positiv und produktiv, dass wir merken, es ist nicht alles technisch lösbar. Wir stellen jetzt fest, dass wir mit unserem Lebensstil Natur beeinflussen in einem Maß, indem wir es bisher nicht geglaubt haben. ... Dieses Wahrnehmen bedeutet auch einen Aufruf zur inneren Einkehr und zum Nachdenken, wie wir denn künftig generell mit Energie umgehen. Wir müssen Technologie auf keinen Fall negieren, verteufeln ? im Gegenteil: Wir müssen sie so entwickeln, dass sie nicht nur unsere Lebensqualität, sondern auch die Lebensqualität der künftigen Generationen erhält und verbessert und nicht mit noch mehr Risiken belastet. 1