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Das Internet ruft uns quasi sekündlich dazu auf, zu teilen, zu kooperieren, uns auszutauschen. Wie passt das zur Entwicklung und kulturellen Prägung des Menschen? Sind wir nicht auf den eigenen Vorteil bedachte Wesen, die große Schwierigkeiten mit der neuen Offenheit haben sollten? Professor Peter Hammerstein vom Institut für theoretische Biologie: O-TON Prof. Peter Hammerstein (ab 15'31): Es hat uns wirklich sehr überrascht. (...) Vor allem wenn man bedenkt, dass dabei Produkte entstanden sind wie Linux zum Beispiel oder auch Statistikpakete, die wir heute in der Biologie verwenden, die ja vergleichbar sind mit Produkten, die in der Industrie, also mit großem finanziellen Aufwand nur zustande gebracht wurden und dann zum Teil schlechter waren.(...). Und man fragt sich natürlich dann sofort (..) nach den Motiven: Was treibt eigentlich diejenigen, die so etwas machen?" Regie: MUSIKAKZENT AUTORIN: Wer hat Recht: Thomas Hobbes oder Jean-Jaques Rousseau? Werden wir als pure Egoisten geboren, denen die Gesellschaft beibringt, sich solidarisch zu verhalten, wovon Hobbes ausging - oder sind wir doch eigentlich freundliche, kooperative Wesen, die erst später lernen müssen, sich abzugrenzen und auf den eigenen Vorteil zu schauen? Michael Tomasello, Co-Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig stimmt nach einer Reihe von Experimenten mit Kleinkindern in weiten Teilen Rousseau zu. ATMO (Geräusche aus den Videoclips der Experimente) SPRECHER: Ein Erwachsener und ein Kleinkind befinden sich in einem Raum. Der Erwachsene lässt eine Wäscheklammer fallen und gibt vor, an diese nicht mehr heranzukommen. Das Kind erkennt die Situation und hebt die Klammer auf, um sie dann dem Erwachsenen zurückzugeben. Ein Erwachsener, bepackt mit einem Bücherstapel, läuft mehrfach gegen eine geschlossene Schranktür. Das Kind schließlich öffnet die Tür. Ein Erwachsener versucht, Bücher zu stapeln, als es nicht gelingt, hilft das Kind. AUTORIN: Felix Warneken, derzeit Assistenzprofessor an der Harvard University, hat Teile der Studien mit Michael Tomasello durchgeführt. O-TON Felix Warneken (ab 2'44): Interessant dabei ist eben, dass sie das spontan machen. Also es ist nicht der Fall, dass diese Person (...) sie direkt um Hilfe bitten, geschweige denn dass die Eltern, die manchmal auch im Raum sitzen, sie zur Hilfe auffordern. (...) Und dann haben (...) gezeigt, dass es zum Beispiel nicht davon abhängt, dass sie eine Belohnung bekommen. (...) Das hat keinen positiven Effekt gehabt für die Kinder (...) Und interessanterweise haben wir sogar gefunden, dass es teilweise negative Konsequenzen haben kann für die Zukunft:" MUSIKAKZENT / ATMO O-TON Felix Warneken: In einer Studie haben wir einer Gruppe von Kindern immer eine Belohnung gegeben für Helfen, und einer anderen Gruppe von Kindern keine Belohnung gegeben für Helfen. (...) Und das Ergebnis war eben, dass Kinder aus der Gruppe, die eine Belohnung erhalten hatten, waren dann weniger hilfsbereit als diejenigen Kinder, die niemals eine Belohnung erhalten hatten. Und es mag etwas perplex erscheinen, aber wir wissen aus der Psychologie, dass wenn Personen, wie wir sagen, intrinsisch motiviert sind, also wenn sie von sich heraus ein Verhalten bereits zeigen und dann aber trotzdem eine externe Belohnung dafür erhalten, sich die motivationale Struktur ändert. Dann macht man es nicht mehr aus sich heraus, sondern nur für die Belohnung. (...) Und das zeigen wir eben auch mit Kleinkindern im zweiten Lebensjahr, und das deutet für uns darauf hin, dass Kinder diese spontane pro- soziale oder altruistische Motivation haben, sich für andere einzusetzen." AUTORIN: Schimpansen zeigten in verschiedenen Versuchen ähnliche Verhaltensweisen wie die kleinen Kinder, was für die Forschgruppe die These der per Geburt kooperativen Menschen unterstützt. Carol S. Dweck ist Professorin der Psychologie an der Stanford University. Sie verweist auf die kulturspezifischen Normen, durch die wir lernen, wie wir uns am besten verhalten. Wesentliches Ziel ist es, Teil einer Gruppe zu sein. Carol S. Dweck schreibt: ZITATORIN (Haussprecherin) Möglicherweise lernen Kinder im Verlauf des ersten Lebensjahres zu erwarten, dass andere ihnen hilfreich sind oder auch nicht. Unterschiedliche Erfahrungen können dabei tatsächlich das altruistische Verhalten des Kindes gegenüber anderen beeinflussen. Ich möchte andeuten, dass Altruismus kein System ist, das unabhängig von Lernerfahrungen existiert und von Beginn an äußere Einflüsse abprallen lässt. MUSIKAKZENT AUTORIN: Warum setzen sich nun heute, in der vernetzten Welt, Kooperationsmechanismen durch, die auf den ersten Blick völlig selbstlos erscheinen? Die Evolution zeigt - Menschen kooperieren schon lange. Dennoch gibt es nicht nur pragmatische Gründe dafür. Professor Peter Hammerstein, Leiter des Fachbereichs "Theoretische Biologie" an der Humboldt Universität Berlin: O-TON Prof. Peter Hammerstein (ab 1'00) Welche Hilfe gibt uns eigentlich die Evolutionstheorie, um besser zu verstehen, warum Kooperation zustande kommt oder nicht zustande kommt? Und dann ist es leider eher zu verstehen, warum sie oft nicht zustande kommt, weil natürlich in dem Moment, wo ein einzelner einen Vorteil davon hat, etwas für sich zu machen, er davon unter Umständen belohnt wird von der Evolution. Und von daher ist es auch so, dass die Kooperation für uns eigentlich das große Problem war, mit dem wir uns in den letzten Jahrzehnten in der Evolutionsbiologie befasst haben. Ein besonderes Beispiel ist der Mensch, weil wir eigentlich in der gesamten Tierwelt ein besonders kooperatives Wesen darstellen. Das glaubt man nicht immer, wenn man Menschen sieht, die nicht kooperieren, aber im Vergleich zu anderen Tieren sind wir zumindest in der Lage, Kooperationsleistungen zu vollbringen, die es sonst eigentlich nicht gibt, wenn man bedenkt, dass wir das auch schaffen bei nicht verwandten Individuen. Also diejenigen, die eine Rakete zum Mond schicken, das ist nicht eine Familien-, nicht eine Sippe von Verwandten, sondern das sind ja lauter unverwandte Personen, und so etwas gibt es in der Natur nicht. MUSIKAKZENT O-TON Professor Peter Hammerstein (ab 3'28) Unsere Vorfahren haben in relativ kleinen Gruppen gelebt und waren vielen Problemen ausgesetzt, die die ganze Gruppe bedroht haben, zum Beispiel kämpferische Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen. Und in dem Moment, wo man eine Bedrohung von außen hat, wird es natürlich sehr wichtig, dass man kooperiert, da geht es ums Ganze. Insofern gab es sicherlich Zwänge bei unseren Vorfahren, die in gewisser Weise zusammengeschweißt haben. Regie: Sound ZITATOR: Kooperation im Büro: Üben Sie mit Ihren Kollegen Gruppendruck aus, wenn sich jemand auf Kosten des Teams profiliert. Sorgen Sie dafür, dass ein Profilneurotiker vielstimmig und vorzugsweise öffentlich korrigiert wird, wenn er eine Gemeinschaftsleistung als seine eigene verkaufen will. Falls er sein Verhalten nicht ändert, muss die Gruppe entscheiden, ob sie ihn weiter mit wichtigen Informationen und Erkenntnissen versorgt. Martin Wehrle, Coach, aus einer Kolumne für die ZEIT. Regie Sound Ende AUTORIN: Ein US-amerikanisches Wissenschaftlerteam erforschte 2010 die sozialen Netzwerke und sowie die Kooperationsmechanismen der ,Hadza' - einer der letzten Volksgruppen in Tansania, die noch zu den "Jägern und Sammlern" zählen. Bis heute sind die Hadza weitestgehend abschlossen vom Leben in industrialisierten Nationen und von den kulturellen Einflüssen derselben. SPRECHER: Die Wissenschaftler spielten mit 205 Hadza-Angehörigen aus 17 verschiedenen Camps das "Public Goods Game". Ein experimenteller Bestandteil der Spieltheorie - verschiedenen Disziplinen dient sie dazu, das Verhalten von Menschen in Entscheidungssituationen zu bewerten. Bei den Studien in Tansania bekamen die Teilnehmer jeweils vier Einheiten einer Honigsüßigkeit. Sie hatten nun die Wahl, eine bestimmte Anzahl davon für sich selbst zu behalten, ebenso eine bestimmte Anzahl als "öffentliches Gut" freizugeben. Die Entscheidung blieb anonym. Zudem wurde den Mitspielern erklärt, dass der Anteil im öffentlichen Topf am Ende verdoppelt werde und jeder den selbst behaltenen Honig sowie seinen Teil des öffentlichen Guts bekomme. AUTORIN: Das Ergebnis: Sowohl Männer als auch Frauen gaben im Schnitt etwas mehr als die Hälfte ihres Besitzes für die Gemeinschaft. Für die Forscher ein Hinweis darauf, dass auch das Verhalten der Hadza nicht durch puren Eigennutz gesteuert ist. SPRECHER: In einem anderen Versuch, bezeichnet als das "Gift Network", das Geschenke- Netzwerk, konnten die Teilnehmer drei der Honigsüßigkeiten entweder an drei verschiedene Personen verschenken oder nur einer Person übergeben. AUTORIN: Die Hadza vergrößerten das Netzwerk: Im Schnitt gab jeder an 2.2 Mitspieler eine Süßigkeit weiter. In der Zusammenfassung ergab diese und noch weitere Untersuchungen: Die Hadza-Netzwerke sind auf eine Art und Weise strukturiert, die übereinstimmt mit der Entwicklung des menschlichen Kooperationsverhaltens, unabhängig von ihrer unterschiedlichen Lebensweise. MUSIKAKZENT AUTORIN: Die Sicht auf die evolutionstheoretischen Forschungen besagen bisher: Wir haben die Fähigkeit zur Kooperation, gar zum Altruismus, leben diese aber in Maßen. Der eigene Vorteil schwingt mit, und sei es auch nur, um die Gruppe zu erhalten. Oder ein Teil von ihr zu sein. Das sehr freigiebige Teilen von Informationen im Internet lässt deshalb nochmals gesondert die Fragen nach den Gründen für unsere Offenheit stellen. Die Antworten unterscheiden sich nur in ihrer vermeintlichen Diversität. Denn eigentlich - geht es auch hier immer wieder um uns selbst und um die Gruppe. SPRECHER: Ergebnisse einer Studie der "Consumer Insight Group" der New York Times aus dem Jahr 2011. Warum teilen wir Informationen in sozialen Netzwerken? Die "Psychology of Sharing" besagt: 85 Prozent teilen Informationen, weil die Reaktionen darauf ihnen dabei helfen, diese besser zu verstehen. 73 Prozent teilen Informationen, weil es ihnen dabei hilft, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten. 68 Prozent teilen Informationen, weil sie anderen Menschen damit zeigen wollen, wer sie sind, beziehungsweise, was sie mögen. AUTORIN: Diese Kultur des Teilens trägt im Internet noch andere Perspektiven in sich, als nur das Austauschen von privaten Informationen und Interessen. Was passiert, wenn sich Menschen zusammenschließen, um gemeinsam, weltweit vernetzt und dadurch anonym an Projekten arbeiten und das auch noch ohne direkten finanziellen Nutzen? Fragen, die gesellschaftspolitisch betrachtet, auch das Konstrukt des Homo Oeconomicus ein weiteres Mal - herausfordern. SPRECHER: Der Nutzenmaximierer, oder auch der Homo Oeconomicus ist das Modell eines ausschließlich wirtschaftlich denkenden Menschen. AUTORIN: Doch seine Karriere ist seit langem auf dem absteigenden Ast. Professor Dorothea Kübler, Verhaltensökonomin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: O-TON Professor Dorothea Kübler (ab 20'49) Eigentlich hat das sehr stark erst so in den 80er Jahren begonnen, als sozusagen die ersten so ganz klaren Experimente auf dem Tisch lagen, wo rauskam: Das stimmt einfach nicht. Also dieses berühmte Ultimatum-Spiel-Experiment war so ein Schock. Da ist es so, man lässt immer Leute, zwei Leute im Experiment zusammen spielen. Das ist anonym, die wissen nicht, mit wem sie interagieren. Und man gibt einem der beiden, sagen wir, zehn Euro. Und die kann derjenige aufteilen zwischen sich und dem anderen. Und der andere kann das akzeptieren oder nicht, und dann, wenn der andere das akzeptiert hat, die Aufteilung, dann wird die Aufteilung realisiert. ATMO (Geldklimpern) O-TON Professor Dorothea Kübler: Also sagen wir mal, Sie durften aufteilen, Sie haben gesagt: Sechs Euro, ich bekomme vier. Ich sage: Okay, Dann gehe ich mit vier nach Hause und Sie mit sechs, und das Spiel ist zu Ende. Und (...) die Homo-Oeconomicus-Prognose ist: Sie sagen, Sie wollen neun behalten und (...) geben mir eins, wenn ich ablehne, kriege ich nichts. Aber was die Leute eben machen ist, die lehnen reihenweise die Eins ab. Das wird nicht akzeptiert, also die verzichten lieber auf die Eins und nehmen Ihnen damit die Neun auch weg. Und weil das viele antizipieren von denen, die die zehn Euro aufteilen, ist so das Häufigste, dass die Leute sechs für sich behalten und vier dem anderen abgeben. Ja? Und ich meine, das war sozusagen shocking. Ganz einfach, und es ist klar: Es gibt da noch andere Motive außer Geldmaximierung. AUTORIN: Klar: Manche von uns werden in den gesellschaftlich vereinbarten Kooperationssystemen dennoch zu den "free riders", zu Schwarzfahrern, die immer versuchen, das Beste für sich zu ergattern, ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl - und die die Kooperation unauffällig umgehen, egal in welchen Konstellationen. Für die meisten aber gilt: Wir wollen nicht über den Tisch gezogen werden - ist das abgesichert, dann kooperieren wir. Wir teilen gerne auf Augenhöhe, am liebsten mit anderen Kooperateuren. Regie: Sound ZITATOR: Kooperation im Tierreich: Arbeiterinnen-Bienen fliegen dutzende Mal am Tag zum Bienestock, besuchen bis zu 120 Blüten. Den Ertrag ihrer Sammel-Reise teilen sie mit bis zu 70.000 weiteren Mitgliedern des Bienenstocks. Regie: Sound Ende AUTORIN: Soziale Anerkennung kann auch eine Art der Gegenleistung sein, die wir annehmen und als Motivator für weitere Zusammenarbeit empfinden. Weitere Motive hat die Digitalisierung unseres Lebens sichtbar gemacht. Der Medienwissenschaftler Volker Grassmuck blickt zurück: O-TON Medienwissenschaftler Volker Grassmuck (ab 20'15): Der Punkt, an dem ich und viele andere Menschen etwas gespürt haben zum ersten Mal, war die freie Software. In den 90er Jahren ist das auf den Radar der Öffentlichkeit getreten und es war für viele verblüffend, für einige sogar ein Skandal, wie hochqualifizierte Menschen in einem Bereich, der zu einem äußerst lukrativen Markt geworden ist, sagen: Nein, wir verkaufen unsere Arbeitskraft nicht, sondern in der Freizeit arbeiten wir mit an freien Softwareprojekten. Wir tun das aus verschiedenen Gründen (...). Aber dieses Tun fällt aus der normalen wirtschaftlichen Logik heraus, die besagt: Das ist eine Dienstleistung, die der Markt mit Höchsthonoraren entlohnt, und Menschen sollten das nicht tun. Nun hat sich aber aus dieser Entwicklung ergeben, dass auch für wirtschaftliches Handeln das sehr viel mehr Sinn macht als die Konkurrenzsituation, die wir vorher gesehen haben. (...) Und das hat zu einem sehr langsamen Umdenken geführt, in Unternehmenskreisen zunächst mal, aber auch in der Öffentlichkeit. Und die Frage tauchte natürlich auch: Wenn das für die Software funktioniert, kann das nicht ebenso gut für andere Werk- Arten funktionieren? ATMO (Internetsounds, 8-Bit-Klänge, digital) AUTORIN: Die Geschichte der freien Software hat ihre bedeutendste und beispielhafte Entwicklung in Form der Linux-Betriebssysteme hervorgebracht. Der US- amerikanische Netzaktivist und Software-Entwickler Richard Stallman gilt als eine der wichtigsten Figuren ihrer Entwicklung. Er zitiert gerne einen Satz, der die freie Software von der späteren Open-Source-Bewegung abgrenzt: ZITATOR: Open Source ist eine Entwicklungsmethodik - freie Software ist eine politische Philosophie. AUTORIN: Das Kennzeichen der freien ebenso wie der Open-Source-Software: Sie sind quelloffen. Software zum Mitmachen für alle im übertragen Sinne - das Gegenteil zu den geschlossen Systemen, die grundsätzlich nur von den Unternehmen wie Apple oder Microsoft veränderbar sind. Der Netzpublizist Christian Heller über die Entwicklung der Kooperation in der Hacker-Bewegung, die bis in die 60er Jahre in den USA zurückreicht. O-TON Christian Heller (ab 13'35): Und schon damals sind da auch schon früh Konflikte entstanden zwischen Leuten, die das als Ideal gesehen haben und Leuten, die auf ihren Eigentumsansprüchen gepocht haben. (...) Und wenn dann halt einer irgendein Werkzeug in seinem Werkzeugschrank hatte und gesagt hat: Das ist meins", dann wurde das meistens von seinen Mit-Hackern nicht respektiert, die haben das einfach genommen und verwendet und gesagt; "weil wir wollen doch ein Problem lösen und das ist das beste Werkzeug. (...) Und auf diese Weise hat sich halt eine sehr ideenreiche, sehr kreative, sehr technisch vielseitige und spielerisch veranlagte und begabte Kultur entwickelt, die sehr viele tolle Sachen sich ausgedacht hat und die das mehr oder weniger als; also die das Sharing als Grundlage auch ihres persönlichen Erfolgs auch mit angesehen hat, und die das auch so als dann auch zu einem moralischen Wert gemacht hat (...) und vielleicht auch tolle neue Dinge dabei zu entdecken, neue Arten, die Welt aufzuschließen. MUSIKAKZENT AUTORIN: Längst ist Open Source, die Quelloffenheit, zu einer Art Netzpräfix geworden für diverse Bereiche, auch abseits von Software-Entwicklungen. Oft zeigt Open Source: Es kann Monopole aus den Angeln heben und in manchen Punkten mehr erreichen, als die in sich geschlossene Kooperation. Dr. Jay Bradner, Wissenschaftler am Dana Farber Krebs Institut in Boston hat mit Hilfe des Open-Source-Prinzips ein Experiment gestartet, dessen Ergebnisse er im letzten Jahr vorstellen konnte. O-TON Bradner If anything is unique about this research it's less the science than its strategy. This for us was an social experience in what will happen if we were as open and as honest in the earliest phase of discovery chemistry researches as we could be. OverVoice-Sprecher Wenn irgendetwas an dieser Forschung einzigartig ist, dann ist es weniger die Wissenschaft als die Strategie. Für uns war das ein soziales Experiment: Wir wollten sehen, was passiert, wenn wir in der frühestmöglichen Phase unserer chemischen Forschung so offen und ehrlich sind wie möglich. AUTORIN: Bradners Team entdeckte ein Molekül, das bei der Beantwortung der Frage, wie eine bestimmte Krebsart entsteht, auf die richtige Spur zu führen schien. Statt diese Entdeckung für sich zu behalten und gegebenenfalls zu patentieren, verschickten Bradner und sein Team die Molekül-Struktur zur weiteren Erforschung an 40 andere Labore. Die gesammelten Erkenntnisse würden inzwischen für die Herstellung eines Medikaments ausreichen. Bradner fragt: Warum sollten wir nicht auch in der Wissenschaft Dinge vorantreiben, wie wir es aus dem Internet kennen - und in diesem Fall die wissenschaftlichen Erkenntnisse einfach freigeben? Eine entdeckte Molekül-Struktur könne man gar twittern, scherzt Bradner. ATMO Wissenschaftler-Applaus AUTORIN: Die Beantwortung der Frage nach den Gründen für unsere neue Offenheit in vielen Bereichen, vor allem was auch unsere eigens erworbenen Erkenntnisse betrifft, fällt der Biologie schwer. Nicht, weil man sich verschlösse, sondern weil wir am Anfang einer Entwicklung stehen, die noch lange nicht so einfach zu untersuchen ist. Der Verhaltensforscher Felix Warneken: O-TON Felix Warneken (ab 17'12) Also das ist natürlich eine unglaublich wichtige Fragestellung, und es ist auch interessant, weil das eben ein Phänomen ist, das ist neu. Das ist neu nicht nur in der Hinsicht, dass es vielleicht erst in den letzten zehn Jahren entstanden ist, sondern dass es auch neu ist evolutionär betrachtet. Unsere Biologie (..) kann noch nicht reagiert haben (...) auf die Erfindung von Computern und auch die Interaktion mit anonymen Kooperationspartnern auf der ganzen Welt. Also wir sind ja entstanden in Kleingruppen, (..) unsere Psychologie ist eben gebaut worden für diese Inter(aktion) in kleineren Gruppen insbesondere. Das ist also die eine Frage, dass wir uns eben beschäftigen müssen mit empirischen Studien, um das herauszufinden. Generell ist eben der Punkt, wenn es um eine Verhaltensweise geht, die in größeren Gruppen stattfindet, dass Reputation auch immer eine wichtige Rolle spielt - (...) und das mag sich nun widerspiegeln auf einer anderen Ebene, wenn Leute miteinander interagieren über Computer Interfaces. Regie: Sound ZITATOR: Kooperation im Weltall: Am Ende des längsten Isolationsexperiments, ,Mars 500', das sechs Männer 520 Tage in einem Raum zusammenhielt, sagte ein Teilnehmer in einem Interview, man habe sehr gut zusammengearbeitet und immer eine gemeinsame Sprache gefunden - Roman aus Frankreich kann inzwischen ganz gut russisch, Iwan wollte bis zuletzt lieber Englisch sprechen. Regie: Sound Ende AUTORIN: In einem eindrücklichen Vortrag sprach der Professor für Unternehmensrecht an der Harvard Law School und Co-Direktor des Berkman Centers für Internet und Gesellschaft Yochai Benkler Ende des letzten Jahres darüber, wie sich seiner Meinung nach mit dem Beginn des digitalen Zeitalters zeige, wie kooperationsfähig wir eigentlich sind. O-TON YOCHAI BENKLER And what we've seen (..) is how much online we' ve seen easily how we can cooperate, things that shouldn't have worked. And of course now we've come to a point where it's become a solution space, whether you talk about purely distributed systems like certain kinds of free software, whether you talk about NGOs, smaller organizations, bigger ogranizations (...) the hole notion that you can as a practical matter bring large collections of people effectivly to cooperate in ways that have outcomes we care about, moved from being bizarre, anarchistic, nonsense - 12 years ago, trust me, I know - to: let's just do it! Over-Voice-Sprecher Wir haben online gesehen, wie wir ganz einfach miteinander kooperieren können - was eigentlich ja gar nicht funktionieren dürfte. Und jetzt sind wir an einem Punkt, an dem diese Form der Zusammenarbeit eine Lösung darstellt, für besondere Arten der freien Software, wie Wikipedia zum Beispiel, für traditionelle NGOs, für kleine und große Unternehmen. Die Idee, dass viele verschiedene Menschen effektiv zusammenarbeiten und zwar so, dass die Ergebnisse am Ende von Bedeutung sind - das wurde vor 12 Jahren noch als ,bizarr', ,anarchistisch' und ,totaler Nonsense' abgestempelt. Jetzt sagt man: Okay, lasst uns das machen! AUTORIN: Benklers Vision: Die Forschungsgeschichte aller Disziplinen wird um die neuen Erkenntnisse fortgeschrieben, die sich mit der Kooperationsfähigkeit des Menschen auseinandersetzen. In allen Disziplinen könnte so die langsame Loslösung vom Nutzenmaximierer das Thema sein. O-TON Medienwissenschaftler Volker Grassmuck (ab 28'10): Und auch dann entsteht natürlich ein Wettbewerb, AUTORIN: ..sagt Medienwissenschaftler Volker Grassmuck zur Vision der maximal kooperativen Gesellschaft. O-TON Medienwissenschaftler Volker Grassmuck (ab 28'10): Wer hat die meisten Edits in Wikipedia? Das verleiht wieder Prestige in der Gemeinschaft, hier allerdings völlig losgelöst von irgendeiner geldwerten Leistung, die damit verbunden wäre. Insofern, was meins ist und was deins - diese Unterscheidung hat weiterhin eine natürliche, würde ich fast sagen, Plausibilität. Und ich sehe nicht die Tendenz dahin, dass das verschwindet. Was verschwindet, ist der Anspruch, der sich im 20. Jahrhundert damit verbunden hat, dass ich Ausschließungsrechte über das habe, was ich als meins beanspruche. Hier entsteht eine neue Offenheit ein neuer Austausch, eine neue Forderung, dass das, was geschaffen ist, auch für weitere Kreativität zur Verfügung stehen muss. Regie Sound ZITATOR Kooperation im Internet: "Ich bin ein Freiwilliger. Weder ich noch tausende andere freiwillige Autoren werden für die Arbeit an Wikipedia bezahlt. Als ich die Wikipedia gründete, hätte ich sie zu einem gewinnorientierten Unternehmen mit Werbung machen können, aber ich habe mich anders entschieden." Jimmy Wales, Wikipedia-Gründer Regie Sound Ende AUTORIN: Ein selbstloser, gemeinnütziger Gedanke, der uns zur Zusammenarbeit, zum Austausch und zum Teilen anregen soll und in seiner Realisierung, der Online- Enzyklopädie Wikipedia, als das Aushängeschild für die neuen freiwilligen und engagierten Kooperateure des Web 2.0. gilt. Dahinter steht die Allemende-Theorie, die als Reaktion auf das offensichtliche Scheitern der Lehren vom eigennützigen Menschen entstand. Das überzeugt auch Dr. Daniel Loik, Dozent an der Goethe- Universität, Fachbereich Philosophie. O-TON Dr. Daniel Loik (ab 8'50): Ich bin überhaupt nicht überrascht. Ich meine, es ist ja so, dass diese soziale Wertschätzung, die wir benötigen, um eine gesunde Identität auszubilden, meistens in unserer Gesellschaft nur über Geld stattfindet, und das erstens zu unerwünschten Effekten führt, nämlich dass bestimmte Tätigkeiten ganz hoch wertgeschätzt werden, die aber eigentlich gar nicht so hoch wertgeschätzt werden sollten, und andere, die eben nicht entlohnt werden. Das ist vor allem Fürsorgearbeiten, Arbeiten im Haushalten; Haushalt; sehr wenig wertgeschätzt werden. Und dass diese Commons Initiativen, Open Source und Wikipedia und so was eben Möglichkeit schaffen, andere als Geld-Anerkennung zu bekommen. Also nicht nur durch Geld (...) anerkannt zu werden, sondern eben auch dafür, dass man zum Beispiel einen guten Beitrag schreibt, dass man eine gute Idee hatte, dass man etwas verbessert. (...) es gibt ja eine ganze Bandbreite von Anerkennungsformen, die für uns wichtig sind. Und deshalb sehe ich das eher so, dass es jetzt eigentlich an der Zeit war, dass diese ganzen Möglichkeiten befreit werden und nicht nur in dieses Korsett des Geldes mehr eingezwängt sind. AUTORIN: Und auch an der Patina, die der Gedanke von Gemeinwohl und gesellschaftlicher Produktion mit sich bringt, kratzt Loik. Eben die Tradition von Ansätzen, die sich schon vor langem mit der Kooperation beschäftigt haben, sei nun nochmals und zwar unter dem Blickwinkel der neuen technischen Standards anzuschauen. Die gesellschaftlich gemeinschaftliche Produktion, das öffentliche Eigentum, das keinen Mehrwert haben darf für ein dazwischen geschaltetes Unternehmen (oder eine anderen kapitalistische Erfindung): Marx'sche Denkansätze. Frisch renoviert nun als Teil eines neuen Gesellschaftsbildes? Vom Ich zum Wir? O-TON Dr. Daniel Loik (ab 8'50): Man muss vielleicht dazu sagen, dass ja diese ganzen Open Source-Bewegungen in einer Zeit attraktiv geworden sind oder sich entwickelt haben, stark geworden sind, in denen die anderen Anerkennungsformen, die anderen Kooperationsformen in einer großen Krise sind. Also wenn man sich zum Beispiel die Finanzkrise anschaut, das führt dazu, dass Tausende von Menschen ihr Haus verlieren, und die Häuser sind noch da, und die Leute wohnen jetzt aber neben den Häusern in Zelten, wo man dann sagen kann: Das ist eine irrationale Form der Kooperation. Diese Form, Geld zu verteilen, Eigentum zu verteilen, macht keinen Sinn mehr. Und da gegenüber zeigen sich eigentlich offene Modelle wie Open Source auch in der Hinsicht als haushoch überlegen, glaube ich. / (ab 16'27): Ich glaube, dass das tatsächlich der Vorschein eines neuen Paradigmas ist, gesellschaftlich und gemeinschaftlich zu produzieren und sich das anzueignen, was ja, die gesamte Gesellschaft letztlich erfassen kann oder vielleicht sogar kann man das schon voraussagen, dass es irgendwann so sein wird. AUTORIN: Teilen, austauschen, kooperieren - unser solidarisches Verhalten wird auf eine paradoxe Weise derzeit herausgefordert und zugleich in seiner ursprünglichsten Form wahrgenommen. Während die Wissenschaftler auf uns menschliche Wesen und unsere Reaktion auf das Leben mit den Computern schauen, antwortet große Teile der Gesellschaft schon mit Wohlwollen auf die Aufforderung zu teilen. Vor allem, weil sie als sinnvolles Gegenkonstrukt zur Konkurrenz-Gesellschaft gilt, ohne politischen Überbau. Allerdings - wir dürfen nicht vergessen - das Teilen, das Sharing, diese neue Art der Kooperation, hat einen Bedeutungswechsel erfahren, der ebenfalls prägend für unsere Gesellschaft sein wird. O-TON Prof. Peter Hammerstein (Teil II): Man kann zum Beispiel einen Kuchen teilen mit einem Messer, und dann ein Teil abgeben. Dann hat man wirklich etwas abgegeben, was man dann selber nicht mehr hat. Man hat eben nur noch den halben Kuchen zum Beispiel. Wenn man aber Informationen teilt, wie das also jetzt in diesen Netzwerken passiert, dann ist es so, dass man die Information ja nach wie vor hat. Es ist eben nicht so, dass man seine Festplatte nimmt und die mit einer Säge halbiert und die Hälfte der Festplatte jemand anderem gibt. Sondern man hat die volle Information nach wie vor. Von daher ist das schon etwas (grundsätzliches anders). Und dann gibt natürlich noch extreme Dinge, wo der Begriff "teilen" immer mehr zu einer leeren Worthülse wird. Also es gibt einen Witz über die Kalifornier - ich will jetzt nicht die Kalifornier schlecht machen, aber es ist nun mal einer über die Kalifornier - wo gefragt wird: Wie viele Kalifornier braucht man eigentlich, um eine Glühbirne zu wechseln? Der Witz ist schon alt, also da kommt noch die Glühbirne vor. Und die Antwort ist auf diese Frage: man braucht 90 Kalifornier. Und zwar einen, der tatsächlich eine Birne raus- und die andere reindreht, und 89, um das Erlebnis zu teilen. "To share the experience". 1