DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Dossier Nicht weniger. Besser. Zur politischen Ökonomie des Schrumpfens Von Mathias Greffrath An- und Absage, Zwischentitel: Bettina Scholmann Sigrid Burkholder H. Michael Cirpici Zitator: Martin Schaller Ton und Technik: Hanns Martin Renz und Angelika Brochhaus Regie: Ulrike Bajohr Musik: CD Tomita, The Best Of, Track 1, Bolero, Arch.nr. 6001085, LC 0316 Blechschaden, Das Beste, Track 20 Smoke On The Water, Track 21 Bolero, Arch.nr. 6095523, LC 12677 Produktion: 1. und 2. März 2010/ M2, ab 8.40 Uhr URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung: 5. März 2010 /DLF Musik 01 O-Ton Sarkozy Cette crise n'est pas seulement un crise mondiale. Ce n'est pas une crise dans la mondialisation. Cette Crise est une crise de la mondialisation. ... Zitator Diese Krise ist nicht nur eine globale Krise. Dies ist nicht eine Krise innerhalb der Globalisierung. Diese Krise ist eine Krise der Globalisierung. Unsere Vision der Welt ist auf einen Schlag verblichen. Wir müssen sie verändern. Ansage Nicht weniger. Besser. Zur politischen Ökonomie des Schrumpfens Ein Feature von Mathias Greffrath Zitator (auf Musik) In den Statistiken sahen wir steigende Erträge ? im Leben tat sich ein Abgrund von Ungleichheit auf. In den Statistiken stieg der Lebensstandard, aber die Zahl derer, die mehr und mehr die Härte des Lebens zu spüren bekamen, wuchs unaufhaltsam an. (...) Die Globalisierung ist entgleist, als wir es zuließen, dass der Markt immer Recht hat und dass es keine andere Vernunft gibt, die ihm gegenübersteht. (...) Und deshalb müssen wir nun lernen nachzudenken, alle miteinander. Denn wir verändern unser Verhalten nicht, wenn wir nicht unsere Maßstäbe verändern, unsere Vorstellungen, und unsere Kriterien. O-Ton Sarkozy ..... et nous devons le faire, car si nous ne le faisons par, nous prenons des risques insoutenables avec l'avenir." S1 Da analysiert kein Aktivist von Attac die Lage. S2 Und auch kein Freund von Oskar Lafontaine. Sondern Präsident Nikolas Sarkozy, mit französischem Revolutionspathos, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, am 27. Januar 2010. S1 Nähern wir uns etwa einem Wendepunkt der Geschichte? S2 Ach, nur weil ein begnadeter Rhetoriker die Manager beim Gipfeltreffen des Kapitals verstörte? Die Hälfte immerhin verweigerte ihm den Applaus. Denn Sarkozy geißelte ja nicht nur den Irrsinn im Investmentbanking, sondern forderte dazu gleich eine Handvoll neuer oder besserer Regeln: Eine Gleichstellung von internationalem Umwelt- und Arbeitsrecht mit dem Freihandelsrecht, dem bis jetzt alles untergeordnet ist... S1 eine Steuer auf Finanztransaktionen, um die Armut zu bekämpfen. S2 Einen anderen Maßstab für Wohlstand als das Bruttosozialprodukt, das ja den Nutzen wie den Schaden, das Krankmachende wie die Medizin, den ungleichen Handel wie die Waffen, die ihn stabilisieren, mit demselben Maß misst: als qualitätslosen Umsatz. S1 Möglichst als Umsatzwachstum! S2 ...und schließlich forderte Sarkozy völkerrechtlich bindende Verträge über den Abbau der CO2-Emissionen und eine Weltbehörde, die ihn überwacht. S1 Das hört sich gut an, deshalb will ihm seine deutsche Kollegin nicht nachstehen, wenn auch mit weniger Pathos: 03 O-Ton Merkel: (auf Musik) Das 21. Jahrhundert wird von uns verlangen, dass wir in neuer Form über Wachstum nachdenken. Es geht nicht nur um die klassischen ökonomischen Wachstumsgrößen, sondern es geht um ein Wachstum, das nachhaltigen Wohlstand sichert. Dazu werden Größen wie die Sicherheit, die Lebensqualität, die Gesundheit und der nachhaltige Umgang mit Rohstoffen eine entscheidende Rolle spielen. Wir müssen lernen den Wachstumsbegriff für das 21. Jahrhundert neu zu definieren. S1 Kommt da nicht doch etwas in Gang? Musik Sprecherin: Die Meisterdenker sind ratlos S2 Ebenfalls in Davos, hinter verschlossenen Türen, bekundeten ein tatsächlicher, Edmund Phelps, und zwei potenzielle Nobelpreisträger der Ökonomie, Robert Shiller und Richard Thaler: Ihre Theorien von Markt und Wachstum könnten die neue Welt nicht mehr erklären. Sie seien überholt. S1 All diese Vorstellungen: Von unendlicher Güterproduktion und unendlicher Nachfrage und ewiger Zahlungsfähigkeit... S2 ...waren Rechnungen ohne Wasser, ohne Boden, ohne Klima. Und ohne die wachsende Ungleichheit. (auf Musik) Zitator Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen. Wahnsinnige in hoher Stellung zapfen ihren wilden Irrsinn aus dem, was irgendein akademischer Schreiber ein paar Jahre vorher verfasste. S1 George Maynard Keynes, Makroökonom. Seit 64 Jahren tot. S2 Vielleicht, so beichteten die Meisterdenker von heute dem zur Vertraulichkeit verpflichteten Publikum, seien ihre Theorien sogar mitverantwortlich für die große Krise. S1 Ein neues Modell haben sie auch nicht anzubieten? S2 Niemand hat es. Weder die Marktradikalen, noch deren orthodox-linken Kritiker, denn beide setzten auf Wachstum ? sie wollten nur jeweils anders verteilen. S1 Und nun? 04 O-Ton Altvater Der an Zukunft orientierte Theoretiker muss sagen: Eine Ökonomie muss ohne Wachstum auskommen. Das war in der Menschheitsgeschichte immer so. Nehmen wir an, es gibt eine Million Jahre lang Menschen. Von dieser einen Million gab es Wachstum grade mal 200 Jahre. Das ist vorbei, und man kehrt in gewisser Weise zur Normalität zurück. S2 In diesen 200 Jahren allerdings, so erklärt uns der politische Ökonom Elmar Altvater, ist das Wachstum explodiert. Der Haken ist nur: die Explosion wurde mit Kohlenstoff gezündet. S1 Und damit muss nun Schluss sein. S2 Und da kommt der zweite Haken, der größere. 05 O-Ton Altvater Dieser Kapitalismus ist auf Profit begründet und dieser abhängig von Privateigentum. Das heißt, wir haben ein institutionelles System, das dieses Wachstum erzwingt, obwohl es nicht mehr möglich ist. Und das bedeutet, in die Zukunft gedacht: wenn wir davon ausgehen, dass dieses Wachstum nicht mehr ökologisch, sozial zustande kommt oder wir es nur noch mit großem Geächze und mit Schädigungen an der Natur, auch an unserer eigenen, vollbringen, dann müssen wir die Institutionen verändern. Zitator (auf Musik) Wir haben kein Modell, wie sich Produktion, Konsum, Investitionen, Handel, Kapitalgüter, öffentliche Ausgaben, Arbeit, Geldmenge zu einander verhalten, wenn das Kapital nicht mehr wächst. S1 So steht es im Bericht einer englischen Regierungskommission für "nachhaltiges Wachstum". S2 Und wie das funktioniert, auch darüber gibt es keine Theorie. Aber spätestens seit sich im Winter die Spatzen mit den Amseln ums Futter streiten, wissen wir: Die Natur, ehedem unerschöpfliche Randbedingung unseres wirtschaftlichen Handelns, muss zur harten unabhängigen Variablen der ökonomischen Kalküle werden. S1 Zu allem Überfluss sind auch die Erwartungen, Begierden und Nöte von bald neun Milliarden Menschen kaum kalkulierbar Musik Sprecher: Ein Klimagipfel, der keiner war 06 O-Ton Edenhofer Kopenhagen war angekündigt als eine Weltklimakonferenz. In Kopenhagen wurde aber nicht über Weltklima geredet, sondern über Weltwirtschaft Es war aus meiner Sicht, die wichtigste Weltwirtschaftskonferenz nach dem zweiten Weltkrieg. S1 Diese Konferenz im Dezember 2009 ist gescheitert, urteilt der Klimaökonom Otmar Edenhofer im Januar vor Münchner Publikum. 07 O-Ton Edenhofer: Man kann es drehen und wenden, wie man will: wir dürfen noch ungefähr 750 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre ablagern, der Deponieraum der Atmosphäre ist begrenzt. S2 Wird diese Menge überschritten, erwärmt sich die Erdatmosphäre um mehr als 2 Grad, mit unkontrollierbaren Folgen, darüber besteht kein Zweifel mehr unter den Forschern. 08 O-Ton Edenhofer: Wir haben aber 11 000 Gigatonnen C als Kohle im Boden. Irgendwann wird der Tag der Wahrheit kommen, an dem wir darüber reden müssen, dass die Anbieter von Kohle, Öl und Gas einen großen Teil der fossilen Ressourcen im Boden lassen müssen, das heißt mit anderen Worten: Wir verhandeln darüber, dass die Einnahmen aus dem Verkauf von Ressourcen drastisch zurückgehen. Das ist das erste große Verteilungsproblem, und darüber wurde in Kopenhagen u.a. geredet, weil die Anbieter von Kohle, Öl und Gas sagen: Wir lassen uns nicht einfach diese Einnahmen wegnehmen. Und klar, diese enormen Verteilungs- und Interessenkonflikte waren angetan, den ganzen Prozess zum Scheitern zu bringen, und am Ende ist sowohl Obama als auch der chinesischen Regierung als auch den Europäern dieser gesamte Prozess entglitten. (auf Musik) S2 Wie sagte doch Sarkozy gleich? S1 Die Sache entgleist, wenn wir zulassen, dass die Märkte immer Recht haben und keine andere Vernunft ihnen opponiert. (Musik weg) S2 Der Ökonom Otmar Edenhofer und seine Kollegen vom Potsdamer Klimainstitut hatten vor der Kopenhagener Konferenz einen völkerrechtlich bindenden Vertrag über eine Obergrenze der CO2-Emissionen gefordert und dazu Hunderte von Milliarden pro Jahr für die Entwicklungsländer, damit die einen anderen Pfad gehen können als die reichen Länder in der Vergangenheit. Nichts davon ist beschlossen worden. S1 Und was passiert, wenn auch die nächste Konferenz, Ende 2010, in Cancun eine Wirtschaftskonferenz wird und keine Klimakonferenz? Wenn die Konferenzen danach scheitern? S2 Dann wird sich die Menschheit an eine wärmere Welt anpassen müssen. 09 O-Ton Edenhofer Wir können uns ganz gewiss nicht an eine Welt anpassen von 4, 5, oder 6 Grad. Es gibt in der ganzen Geschichte der Menschheit der letzten 15000 Jahren kein Vorbild dafür, keine Phase, in der wir mit der Geschwindigkeit und mit dem Ausmaß eines solchen Temperaturanstiegs zu kämpfen hatten. Also da zu sagen, es wird schon gut ausgehen, das ist schon sehr gefährlich. S2 Und nicht die geringste Folge wäre eine zweite Völkerwanderung. 10 O-Ton Edenhofer Wir haben mal Sicherheitsexperten eine Karte vorgelegt mit den Migrantenströmen, die ausgelöst werden könnten bei 3 Grad: Was sagen Sie denn dazu? Da haben die gesagt: Packen Sie ihre Zeug ein, da müssen Sie jemand anders fragen, aber nicht Militärs. Wir haben nicht die Wahl, wir warten jetzt, und dann werden wir schon damit fertig werden. Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Industriestaaten um 80, 90 Prozent reduzieren müssen gegenüber einem Basisjahr von l990 und die Schwellenländer ein bisschen weniger. Musik Sprecher: Wächst, wo Gefahr ist, auch das Rettende? S1 80 bis 90 Prozent weniger CO2-Ausstoss bis 2050 wären nötig, damit die Erwärmung unter 2 Grad bleibt. Auf diese Zahl haben sich Forscher und Politiker geeinigt. S2 Die technischen Optimisten haben auch schon eine Lösung. "Entkoppelung" heißt das Zauberwort: die Herstellung derselben Gütermenge mit weniger CO2-Abfall durch effizientere Technik. S1 Die große Frage ist: 11 O-Ton Jackson The Question is: can you get fast enough. That's the critical question. Just let's do some calculations. Carbon efficiency has fallen by 33 Prozent over the last decades yet overall emissions not.... Zitator Rechnen wir `s mal durch. Die Kohlenstoffeffizienz, also die Menge von Kohlenstoff, die in jedem Dollar Produktionswert steckt, ist in den letzten Jahrzehnten um 33 Prozent gesunken, aber die Gesamtemissionen von Kohlendioxid nicht. Die sind seit 1990 um 40 Prozent gestiegen. Es hat also eine relative Effizienzsteigerung gegeben, aber keine absolute, und der Grund ist das Wachstum. S2 Tim Jackson ist der Wirtschaftsexperte der britischen Regierungskommission für nachhaltige Entwicklung. In seinem Buch "Wohlstand ohne Wachstum" hat er vorgerechnet, warum technische Lösungen den Klimawandel nicht stoppen können. 12 O-Ton Jackson: How far would we have to go... Zitator Wenn die Weltwirtschaft bis 2050 die Vorgaben der Klimaschützer erreichen will, müsste bei einem globalen Wachstum von 1,4 Prozent die Energieeffizienz 21 mal so hoch sein wie heute. Und für ein Wachstum von 3,6 Prozent, das die Entwicklungsländer allmählich an unser Konsumniveau heranführen würde, müsste die technische Effizienz 55 mal so hoch sein wie heute. Damit aber sind wir im technischen Hochutopiebereich, im Raum der kühnen, von nichts gedeckten Hoffnungen. (unter O-Ton 12) S2 Für Jackson und seine Kommission steht fest: Wachstum hat uns ein angenehmeres Leben verschafft. Aber dieses Wachstum, nach dem nun alle ärmeren Nationen streben, und das sie brauchten, um Hunger und Not zu lindern, wirkt sich, auf das Klima bezogen, verheerend aus. 13 O-Ton Jackson: What I´m saying is: this idea of a continiouly growing economy within an ecological limit does not compute." S1 Dieses Wachstum rechnet sich nicht. Und das heißt: Die Länder des Nordens, ihre Politiker, ihre Wirtschaft, ihre Ingenieure, ihre Steuerzahler stehen vor einer dreifachen Herausforderung: Effizientere Technik entwickeln S2 UND deren Anwendung in den armen Ländern subventionieren U N D S1 ... das eigene Wachstum drosseln. S2 Jedenfalls das Wachstum der Produktmenge pro Kopf, und das heißt: das Wachstum der materiellen Bedürfnisse. Und das heißt: die materielle Produktion muss schrumpfen. S1 Schrumpfen, ein unanständiges Wort für Ökonomen. S2 Und für Politiker ein Horrorwort. 14 O-Ton Jackson There is a profound dilemma: Growth is in the long run ... unsustainable. (....) And that is hard enough were it not for the fact that it is..... Zitator Es gibt da ein schwer wiegendes Dilemma . Wachstum destabilisiert das Klima. Das ist nicht mehr zu bestreiten. Und das ist schon schlimm genug, aber noch bedenklicher ist es, dass Menschen, Politiker vor allem diese Tatsache nicht begreifen können. Warum nicht? Wegen der zweiten Seite des Dilemmas: Schrumpfen, etwas schöner gesagt: Kontraktion destabilisiert die Gesellschaft. Und das ist für Politiker etwas extrem Unangenehmes, jedenfalls unter den jetzigen Bedingungen. 14 O-Ton Jackson ...under current conditions. S2 Eine schrumpfende Wirtschaft führt unter den jetzigen Bedingungen zu Verteilungskämpfen um Einkommen, Vermögen und Lasten. Und diese Verteilungskämpfe würden umso heftiger, je rabiater sich die Regierungen dem Klimaproblem stellten. S1 Also: woher die Mittel für den Umbau des Energiesystems nehmen, wenn die Schulden den Staat jetzt schon erdrücken? Nicht nur die Theorien der neoklassischen Ökonomen sind überholt. S2 Auch die Glaubenssätze der Politik. (auf Musik) 15 O-Ton Merkel Regierungserklärung 10. November "Ohne Wachstum keine Investitionen, ohne Wachstum keine Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Gelder für die Bildung, ohne Wachstum keine Hilfe für die Schwachen. Und umgekehrt: Mit Wachstum Investitionen, Arbeitsplätze, Gelder für die Bildung, Hilfe für die Schwachen und am wichtigsten Vertrauen bei den Menschen." 16 O-Ton Jackson "When you come up against such a series of impossibities you are tempted.... Zitator Wenn man von all diesen Unmöglichkeiten umstellt ist, dann ist man stark versucht, entweder so lange und so schnell im System mitzuspielen, wie es gut geht ? oder sich ein kleines Stück Land zu kaufen, auf einem Hügel über dem steigenden Meeresspiegel, wo man ein paar Ziegen, einige Hühner halten und Gemüse anbauen kann, und so lange, wie es geht, in diesem Schutzraum leben. Aber ich denke, das ist der Lage nicht angemessen, denn diese Unmöglichkeitsbehauptungen müssen als Herausforderung angenommen werden. Wir wissen, dass die Welt in ein paar Jahrzehnten eine andere sein wird, und es ist geradezu unser Privileg, bei diesem Prozess dabei zu sein, an ihm mitzuwirken, in welcher Rolle auch immer. Musik Sprecher: Eine kleine Zukunftswerkstatt S2 Wie könnten wir, die Bürger, uns in einer Wirtschaft mit weniger Wachstum einrichten? S1 Ein Leben mit weniger Wachstum, Erwerbsarbeit, Geld Konsum? Wollen wir das? S2 Lassen wir uns von vier Experten anregen, die konkrete Vorschläge haben. Es sitzen zusammen: S1 Die Publizistin Silke Helfrich, sie denkt im Auftrage der grünennahen Böllstiftung über Gemeingüter nach. S2 Der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel, dessen "denkwerk zukunft" jüngst eine Tagung zum Thema "Besser statt mehr" veranstaltet hat. S1 Der Soziologe Hartmut Rosa, der ein schönes und bestürzendes Buch über Beschleunigung geschrieben hat. S2 Und Wolfgang Sachs vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie, Mitverfasser der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland", der gerade aus Italien berichtet: 17 O-Ton Sachs Die Region Südtirol hat es in den letzten 10 Jahren geschafft, den Import an Heizöl um 60 Prozent zu reduzieren, einerseits durch Gebäudesanierung, andererseits aber auch, weil sich dort eine Bewegung entwickelt hat, wie man viel cleverer die eigenen Ressourcen vernünftig nutzen kann, sodass man nicht mehr draußen einkaufen muss. Die Gemeinde Toblach hat sich ein Biomassekraftwerk gebaut, wo aus dem Wald der Umgebung das Abfallholz geholt wird. Mit dem Holz produzieren sie Wärme und Elektrizität. Das haben weitere 60 gemeinden in Südtirol nachgemacht. S1 Das wird dem sozialem Klima in diesen Gemeinden auch gut getan haben. 17 O-Ton Sachs Und die Botschaft heißt: Man muss sich auf vielen Ebenen unabhängiger und unverwundbarer machen. 18 O-Ton Miegel Was wir gegenwärtig haben, reicht ganz offensichtlich nicht. S2 Eben. O-Ton Miegel Wir haben keine beliebig lange Zeitachse, um diese Veränderungen vorzunehmen. S2 Zwar produzieren die erneuerbaren Energien bei uns fast genau so viel Strom wie die Kernkraftwerke ? aber: der Wandel ist nicht schnell genug.. Die Atomlobby hat noch nicht aufgegeben. Und was... S1 ...wenn dem Staat das Geld ausgeht, diesen Wandel weiter zu subventionieren. 19 O-Ton Miegel Wenn die Mittel zum Anreiz nicht vorhanden sind, muss der Staat das oktroyieren, sofern er die Gesellschaft damit belasten kann. Es gibt natürlich auch die Situation, dass die Bevölkerung sich ausklinkt und wir bekommen wir eine sehr ungute Situation ,das könnte dann massiv werden. 20 O-Ton Rosa Leistung und Wettbewerb sind tief in die Gesellschaft eingelassene Gedanken. Warum nutzen wir die nicht in Bezug auf das Ressourcensparen? S1 Sparwettbewerb... charmante Idee. Gefahrlos für die Demokratie. Und kostet nicht viel. 20f O-Ton Rosa Wir sehen das manchmal bei Autos, die eine Anzeige haben, da sieht man, du verbrauchst so und soviel pro 100 km. Die Zahl reizt schon, wir sind Zahlenjunkies in der modernen Gesellschaft, der eine verfolgt die Börsennotizen, der andre den Blutdruck , und wenn wir sehen, ich kann...von 7,5 auf 6,9, dann habe ich psychologischen Anreiz, Ressourcen zu sparen. Ich glaube wir müssen cleverer werden im Setzen und Ausnützen von psychologischen Mechanismen, dann wird man sehen, dass es Spaß macht, Energie zu sparen und nicht ein Verzichten. (auf Musik) S2 Lustvolles CO2 Sparen! Und zwar möglichst an der nationalen Fernsehfront. S1 Her mit neuen Formaten für Gottschalk und Jauch! Nicht Wetten-dass, sondern "Megawatt" ! S2 Deutschland sucht den Supersparer! Warum eigentlich nicht, wir sind ja schon Weltmeister im Mülltrennen. S1 Göttingen und Chemnitz, Frankfurt und Hamburg, Goslar und Dinkelsbühl treten öffentlich gegeneinander an - wer senkt den Stromverbrauch schneller, macht seine Stadt origineller "CO2freier"! Jeden Monat gibt es eine Zwischenbilanz, mit Blicken in Solarwohnungen ? Big Brother mal anders ? in Stadtverwaltungen und Planungsbüros und Schulen. S2 Und Udo Jürgens und Bushido singen dazu. S1 Und Nena. Und auch die Kanzlerin wettet mit. S2 So könnte doch unsere solare Revolution vielleicht um einiges schneller gehen, als wenn wir sie den Großen Lieferanten überlassen und warten, bis die eine Technologie entwickelt haben, mit der man CO2 aus der Kohle entfernen kann- S1 - wohin übrigens damit? - S2 oder Solarstrom aus Afrika beziehen. Beides soll ja zwanzig Jahre dauern. 21 O-Ton Helfrich Ich denke immer der entscheidende Hebel, der umgelenkt werden muss, ist der Hebel im Kopf. Wir sind nicht homo oeconomicus, wir sind auf Kooperation programmiert. S1 Vielleicht könnte der Veränderungswille einer ganzen Nation die Politik ein wenig unter Druck setzen und auch dort die Fantasiebremsen lockern, die Raumordnungsbürokratien aufmischen und Projekte in Gang setzen, die ja alle schon in den alternativen Denkfabriken entwickelt wurden. Zum Beispiel: Windräder an Autobahnen und Bahnstrecken ? S2 wo sie keinen Landschaftsschützer zum Stöhnen bringen. 21f O-Ton Helfrich Wenn wir den Fokus darauf setzen, dass ganz viel Wissen vor Ort ist, da kann Politik unterstützend tätig werden, und vor allem sollte sie es nicht verhindern 22 O-Ton Helfrich Ich will mal ein Beispiel nennen dafür, dass die Bürger aktiv sind und dass sie das, was sie sich manchmal vornehmen, manchmal utopisch erscheinen mag. Wenn sie vor 20 Jahren jemanden gehabt hätten, der sich bei einer Stiftung oder beim Staat vorgestellt und hätte gesagt: Ich will mal eine große Enzyklopädie schreiben, ich mach das so, dass ich zwei oder drei Regeln festlege, dass ich alle bitte mitzumachen. Es gibt kein Geld dafür, die Leute kontrollieren ihre Inhalte selbst, aber ich brauche 20 000 Euro, um die Server zu bezahlen; da hätte man vor 20 Jahren gesagt, ja, das klingt utopisch. Warum sollten die das tun, die kriegen das ja nicht bezahlt? Wenige Jahre später haben wir...die größte Enzyklopädie der Welt S1 Wikipedia! S2 in 260 Sprachen! 23 O-Ton Helfrich Da ist soviel Potential da, Lust am kreativen Tätigsein, das nur durch die richtigen Rahmenbedingungen aktiviert werden muss und dasselbe sehe ich in der Landwirtschaft, in der dezentralen Energieversorgung, bei der Reaktivierung öffentlicher sozialer Räume in den Städten, in der Gründung freier Schulen. 24 O-Ton Sachs Ja, auf einer bestimmten Ebene glaube ich, die Tatsache, dass wir unseren Reichtum sehr weitgehend als privaten Besitz organisieren, dadurch entsteht ein Hindernis. Ein ganz einfaches Beispiel: Was kann der Staat tun, um Gemeingüter voranzubringen? Ich denk mal an letztes Jahr, an die unselige Abwrackprämie. Man hätte ja genauso sagen können: Ja wir brauchen 200 000 Wagen, aber alle für Carsharing Systeme, also öffentliche Autos sozusagen, Autos, die dann die Zugänglichkeit von automobiler Mobilität gewährleisten, aber das muss nicht heißen, dass man das Auto im privaten Besitz haben muss, das sind ja Stehzeuge, die stehen rum für 23 Stunden und werden nur eine Stunde gefahren. Aber das ist nur ein Beispiel, um zu sagen: Wenn man die Wirtschaft dadurch ankurbelt, S1 Wirtschaft ankurbeln? Unser Thema ist kreatives Schrumpfen, oder? 24f O-Ton Sachs dass man es gleichzeitig möglich macht, ein bisschen kostengünstiger zu leben.. Wenn die Investitionen darauf hintreibt, es leichter zu machen, sich Dinge zu teilen, ohne dabei unbedingt an Wohlstand einzubüßen, dann ist das ist eine Investition für Gemeingüter, aber dann muss man die so tief sitzende Selbstgewissheit, dass besser zu leben immer nur heißt, mehr für sich zu haben, die muss man über Bord werfen O-Ton Miegel Sie haben recht. der Staat ist nicht der kreativste. Aber was Herr Sachs ausgeführt hat, ist ein gutes Beispiel für unser Dilemma. Der Staat wollte ganz schnell Wachstum haben. Er hätte das machen können, was Herr Sachs sagte, aber dann hätte er nicht in der gebotenen Geschwindigkeit die Egozentrik der Bürger nutzen können, denn die mussten ja zu dem Auto noch was drauflegen, ziemlich viel sogar, und das hätten sie nicht gemacht, wenn der Staat gesagt hätte: Ich gebe jetzt Geld, um eine veränderte Transportsituation dazustellen, und ihr müsst den Rest zahlen. S2 Sicher, Selbstbegrenzung, mit oder ohne Wettbewerb wäre die beste Antwort auf eine Welt, aus der das Wachstum, das wir kennen, schwinden muss - aber können wir uns das auch nur vorstellen: eine so massive Veränderung des individuellen Konsumstrebens? (Musik) S1 Eine Entmaterialisierung des Konsums? (Musik) Musse statt Material, Kultur statt Kaufrausch? 25 O-Ton Miegel Der Schlüssel zu dem Ganzen ist die Bildung, denn um Dematerialisiertes genießen zu können, um ein Wohlstandsempfinden aus Dematerialisiertem zu haben, brauche ich bestimmte mentale Voraussetzungen. Wenn ich nun in der Bildzeitung schreibe, erfreut Euch jetzt an diesem oder jenem, an Kunst, Natur, dann wird der Bildzeitungsleser sagen: Das kann ich gar nicht, das heißt, das wird er gar nicht mal sagen, dass er es nicht kann. Er wird diesen Aufruf ignorieren 25 f O-Ton Rosa Ich bin gar nicht für eine Entmaterialisierung des Konsums, sondern für eine Materialisierung, sogar für eine Intensivierung des Konsums. Denn nach meiner Diagnose haben wir es mit einem seltsamen Phänomen zu tun, das wir noch gar nicht durchdacht, vielleicht noch nicht mal richtig entdeckt haben. Die Wirtschaft setzt gar nicht Konsumanreize, sondern Kaufanreize. Die interessante Frage ist: Wann haben wir eigentlich irgend etwas, das wir kaufen konsumiert? Die These ist: Wir konsumieren nicht wenn wir kaufen, erst wenn wir nutzen, gebrauchen. Ein Buch habe ich nicht konsumiert, wenn ich gekauft habe, sondern gelesen und eine CD erst, wenn ich sie angehört habe. Auch ein Computerspiel habe ich erst dann konsumiert, wenn ich es durch alle Levels durchgespielt habe S1 Und ein Kleid erst , wenn ich es abgetragen habe. S2 Und einen Flügel, wenn ich darauf spielen kann 25 ff O-Ton Rosa Und das gleiche gilt für Teleskope. Der Teleskopabsatz ist gut, Menschen konsumieren angeblich Teleskope, aber sie kucken damit gar nicht. Meine These heißt: Wir sollten konsumieren, auch den Sonntag dem Konsum widmen. In diesem Sinne sollten wir nicht Konsumverzicht und Dematerialisierung predigen, sondern die Konsumintensivierung und Materialisierung. S2 Weniger Konsumismus durch intensiveren Konsum ? S1 - das gefällt mir. Aber was wird dann aus der Wirtschaft? Die schrumpft ja immer mehr. Denn die Käufe von heute morgen sind doch die Umsätze von heute Abend, und die Gewinne vom Quartalsende und die Steuern vom Jahresende. S2 Und was wird dann aus dem Sozialstaat? 26 O-Ton Miegel Wir werden über die sozialen Sicherungssysteme in allen Bereichen ? Pflege, Gesundheit, Altenpflege - nicht mehr in der Lage sein, das Versprechen der Lebensstandardsicherung einzuhalten. Das heißt, wir werden in eine Situation hineinwachsen, die mit steuerfinanzierter Sicherung bezeichnet werden kann, im Krankheitsfall, im Pflegefall. im Alter. Und das heißt, dass wir in großer Zahl Menschen brauchen, die bereit sind, Pflegeleistungen zu erbringen, ohne dass wir in der Lage sind, das zu bezahlen, denn in Zukunft wird das nicht mehr möglich sein. Wie organisieren wir eine Gesellschaft, in der viele bereit sind, sich dem kranken Nachbarn zuzuwenden. 26f O-Ton Rosa: Ich hätte einen konkreten Vorschlag. Ich glaube ja, dass sich viele Menschen wie im Hamsterrad fühlen. Frühe Einschulung, Turboabitur, sechs Semester bis zum Abschluss - das bringt Menschen in schnell ablaufende Hamsterräder. Ich glaube, wir hätten großen individuellen oder kollektiven Nutzen, wenn wir einführen würden - gekoppelt an die Bildungssysteme ? ein kollektives soziales Dienstjahr für junge Menschen, die das nicht nur benutzen als Pflicht oder karrierefördernde Maßnahme, sondern als ein Jahr, in dem sie von den Hamsterrädern freigestellt werden, und einen sinnvollen sozialen Dienst erbringen. S1 Ein soziales Pflichtjahr - das ist weder links noch rechts populär. 27 O-Ton Miegel Ich kann mir so etwas vorstellen, aber es wird nicht reichen. Die Anforderungen, die da gestellt werden sind ja sehr viel höher, als dass das mit einem Dienstjahr abgedeckt werden könnte. Ich sehe durchaus Möglichkeiten, aber wiederum brauchen wir dafür andere gesellschaftliche Systeme. In Schweden sind große Untersuchungen geführt worden: sollten nicht pflegebedürftige alte Menschen wieder in den Familieverband ihrer Kinder aufgenommen werden, und die Bevölkerung hat sich sehr positiv geäußert, aber das Problem sind die Wohnungen, die nicht vorhanden sind, um so etwas zu realisieren zu können. Also legt man jetzt ein Wohnungsbauprogramm auf. Das sind Hemmnisse, die sich in unserer Gesellschaft aufgebaut haben: dass wir sozial inkompetent geworden sind, und zwar gar nicht mental, sondern auf Grund der Entfernungen, der Mobilität etc. O-Ton Helfrich Ich finde das Beispiel aus Schweden sehr anregend, weil es anknüpft an die Grundmotivation der Menschen, dass es auch ein Leiden ist, für die anderen nicht da sein zu können. Wenn ich jetzt auf die Unterstützung meiner Mutter bei der Kinderbetreuung verzichten müsste, wäre das ein großes Problem für mich, und ich weiß, dass es in kurzer Zeit vielleicht andersrum ist, ich weiß nicht, wie ich das bewerkstelligen soll, weil die Entfernungen so groß sind und weil ich auf Erwerbsarbeit angewiesen bin... Da fällt mir ein: S1 Was spricht denn gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ich teile die Sorge nicht, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen quasi in der Unproduktivität für die Gesellschaft enden würde Selbst wenn das bei 25 Prozent läge: die Kräfte, die wir freisetzen würden, wenn die anderen 75 Prozent etwas Nützliches tun könnten, wären enorm. Wenn wir das tun könnten, statt uns am Arbeitsmarkt zu verschleißen und dann in die Depressionstherapie zu gehen... Ja, ich gebe die Frage in die Runde, was spricht denn eigentlich dagegen? (auf Musik) S1 Also, was spricht dagegen? S2 Die Runde unserer vier Experten fand auf die Frage keine klare Antwort. Denn es spricht viel dafür und viel dagegen. Dafür spricht, dass mit einem gesicherten Grundeinkommen viele Menschen nützliche, auch unbezahlte Arbeit verrichten könnten und nicht mehr "Kunden" von Arbeitsagenturen wären. Dagegen spricht, unter anderem, dass Erwerbsarbeit ein hoher Wert ist, und im Wert noch steigen wird, wenn anspruchsvolle Arbeit zum Privileg wird. S1 Was wir ja gerade beobachten. S2 Und ein Grundeinkommen würde die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. In Hyperproduktive und Staatsrentner. Das ist nicht gut für den inneren Frieden. S1 Was wir auch gerade beobachten. S2 Vor allem aber würde ein allgemeines Grundeinkommen den Wachstumsdruck nicht mildern. Denn es müsste ja aus der Wirtschaftkraft des Landes insgesamt aufgebracht werden, und wenn die stagniert..... Ein anderer Gedanke führt da weiter. Er stammt aus den siebziger Jahren: S1 Verkürzung der Lebensarbeitszeit! (Musik) S2 Dadurch hätten alle Bürger Arbeit und mehr Zeit, für sich selbst und andere. S1 Mit der Idee sind die Gewerkschaften schon einmal gescheitert. S2 Aber vielleicht hilft ja unser chronisch gewordenes Krisenbewusstsein jetzt weiter. Verträge mit tariflich gesicherter Arbeitszeitverkürzung und Beschäftigungsgarantie statt Lohnsteigerung, wie die IG Metall sie gerade abschließt ? das könnte doch ein Wiedereinstieg in eine kürzere Lebensarbeitszeit sein. Mit weniger Geld, aber mit wachsendem Zeitwohlstand. 28 O-Ton Rosa Ich glaube, dass man die beiden Fragen verknüpfen kann: Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen, denn jetzt haben wir eine Polarisierung zwischen einem Teil von Beschäftigten dicht an der Burnoutgrenze ? und auf der anderen Seite ein Heer von Stillgestellten, die aus den Verteilungssystemen ausgeschlossen sind. Und da glaube ich, das Problem liegt darin, dass die Stillgestellten, radikal Arbeitszeitverkürzten, von dieser Zeit nichts haben, weil die Gesellschaft alles, was sie verteilt, nach der Wettbewerbslogik verteilt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde heißen, dass wir die existentielle Dimension unseres Daseins nicht mehr in diesem System erleben müssten, das angstgetrieben ist. Die meisten sind angstgetrieben, aber wenn man wüsste, dass man nicht verhungern muss, sondern dass die Basisbedingungen gesichert sind, dann könnte man sich Gedanken machen über die wichtigen Dinge des Lebens. Und zur Arbeitszeitverkürzung: Es würde nicht viel helfen zu sagen: wir arbeiten weniger Stunden. S1 Weil das meistens heißt: Dann arbeiten wir intensiver, mit noch mehr Stress Oder es treibt die Zeitfragmentierung voran. Ich glaube, wir brauchen Sabbaticals nach sechs oder sieben Jahren, das würde uns aus den Rädern rausnehmen und die Besinnung fördern S1 Zeitreichtum, das wäre wohl der schönste Wohlstandsgewinn, der bei einem schrumpfenden Sozialprodukts herauskäme. S2 Vorausgesetzt, man kann mit der freien Zeit mehr anfangen als: shoppen. 29 O-Ton Sachs Man kann in diesen Tagen sehen, wie deutsche Minister nach Frankreich kucken und feststellen, dass Sarkozy diese Kommission berufen hat, die sagt, dass das Bruttosozialprodukt nicht der Weisheit letzter Schluss und schon gar nicht der des Glücks sei. Das gehört ja inzwischen zum Standard-Repertoire zu sagen, Wachstum ist nicht alles. Aber was ist es dann? Die Aussage ist ja: es gibt Dinge, die wichtiger sind. Und darin steckt: Wir müssen rechtliche Regelungen schaffen; dass es möglich ist, das Wachstum an Geld und Kapital auf den Hintersitz zu stellen und nicht auf den Vordersitz; und dann ist da ein Beispiel, das mich immer besonders aufregt, das Aktienrecht, die Unternehmensverfassung. Also schlicht zugespitzt gesagt: Wenn Sie Manager sind in einer AG, ist es Ihre rechtliche Pflicht, die Einlagen der Aktienhalter zu vermehren, und Sie können nicht rummachen mit zu vielen sozialen Rechten und Umwelt, denn was Sie für das Gemeinwohl machen wollen, ist beschränkt durch die Pflicht, das Kapital zu vermehren. Also sage ich mir, widerspricht doch eigentlich das deutsche Aktienrecht dem Artikel 14 GG: Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Da steckt ja eine Gemeinwohlverpflichtung des privaten Eigentums drin. Wenn man die nicht nur sozial liest, also anständige Arbeitsverhältnisse sondern auch ökologisch, ein Unternehmen führen will, das einen geringeren Fußabdruck hinterlässt, dann folgt daraus, dass die Verpflichtung auf Kapitalvermehrung S1 ....dem Grundgesetz widerspricht! Eine Veränderung des Aktienrechts zum Wohle der Allgemeinheit ? das wäre ja fast schon eine Revolution, aber im Brainstorming ist ja alles Denkbare erlaubt. Musik Sprecher: Und nun? (auf Musik) Zitator Die Krise gibt uns nicht nur die Freiheit, uns andere Modelle, eine andere Zukunft, eine andere Welt vorzustellen. Mehr noch: Sie verpflichtet uns dazu.. S1 Sarkozy, Davos, Januar 2010 . Und wie kommt das nun alles zusammen? Die Stagnation im Großen auf den Konferenzen, die Blockaden in den Parlamenten einerseits. Und auf der anderen Seite diese vielen kleinen und mittelgroßen Aufbrüche in der sogenannten Bürgergesellschaft... Als gäbe es zwei Gesellschaften: eine von Bürgern und eine von Politikern! S2 In der Klimafrage und in der Neuerfindung des Sozialen, im Beseitigen von Wachstumsschäden, in der Wiederaneignung der Gemeingüter, so scheint es, ist die Bürgergesellschaft an vielen Orten weiter als die politische. S1 Eben, an vielen Orten. Weil vieles, über das unsere Experten geredet haben, mit einer neuen Art, den Alltag zu organisieren, zu tun hat. Und der Alltag geschieht in den Kommunen. Und in ihnen, so sagt Wolfgang Sachs, findet die Neuerfindung des sozialen Lebens statt, das Einüben einer Gemeinschaftlichkeit, die klimakompatibel ist und wachstumsunabhängig. S2 Aber wie soll man einen "nationalen Ratschlag" organisieren? Hat da jemand eine Idee? Reinhard Loske, grüner Bremer Umweltsenator, hat vorgeschlagen, der Bundestag möge eine Enquetekommission zum Thema "Klima und Wachstum" einsetzen. Es gab schon mal eine Enquetekommission, die sich mit Energie und Lebensweise beschäftigt hat, Anfang der Achtziger Jahre, mitten im Streit um die Atomenergie. Die machte 62 gute Vorschläge. Wenn wir die verwirklicht hätten ? S1 ...wären wir heute sehr viel weiter. Reinhard Loske will es besser machen als damals 30 O-Ton Loske So eine Enquetekommission müsste wegführen von der alten Diskussion, die so ein bisschen individualistisch verzichtsgeprägt war, hin zu einem politischen Prozess, wie man Wachstumsdruck von der Gesellschaft nehmen kann. Das wäre die Aufgabe. 31 O-Ton Eppler Was wir viel mehr brauchen, ist die Übersetzung von bürgerschaftlichem Engagement in Politik, und das wäre am ehesten möglich, wenn die aktiven Bürger sich mit einer Partei oder mit mehreren in Verbindung setzen würden oder sogar in eine Partei einträten. S2 ...sagt Erhard Eppler, der in den siebziger Jahren als SPD-Entwicklungshilfeminister die ersten Vorstöße in Richtung nachhaltige Wirtschaft unternommen hat. 32 O-Ton Eppler Wenn man die letzten 35 Jahre auf diesem Gebiet miterlebt und miterlitten hat, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Chancen heute eben besser stehen als in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre. Nehmen sie ein Beispiel. Ich habe damals zur Zeit der ersten Ölpreiskrise gesagt: wir brauchen eine Energiewende, da hat mich der damalige Kanzler für verrückt erklärt. Dies ist heute nicht mehr so. Ein Mann wie Röttgen wäre vor zehn Jahren in der Union unmöglich gewesen. S2 Auch Umweltminister Norbert Röttgen verspricht sich in einem Gespräch mit uns einiges von einer Enquetekommission über "Klima und Wachstum". Ihre Arbeit könnte die Aktivitäten der Bürgergesellschaft und die staatliche Umweltpolitik einander verstärken lassen; sie könnte eine breite gesellschaftliche Diskussion ermöglichen, die weit über das Reizthema Atom versus Erneuerbare hinaus geht. (auf Musik) S1 Eine Kommission, in der über Lebensformen, Konsum, Regionalisierung der Landwirtschaft, staatliche Investitionen geredet wird; darüber, was wir unter Wohlstand verstehen wollen, S2 wie die Balance zwischen Öffentlich und Privat, Zentral und Dezentral aussehen soll; und auch: was unsere Gesellschaft für den notwendigen Ausgleich zwischen den entwickelten und den jungen Industrieländern zu tun bereit ist, ob wir neue Formen staatlicher Planung brauchen und eine aktivere Industriepolitik, kurz und gut: eine Debatte über die Zukunft unserer Zivilisation und darüber wie wir sie gestalten wollen. S1 Und was das denn noch heißen könnte: Wachstum. 33 O-Ton Loske: Ich glaube nicht, das man trennen kann den technischen und den kulturellen Weg und dass man dann wählen muss, den technischen verlassen und den kulturellen einschlagen. Wir brauchen eine Technik, die eingebettet ist in kulturelle Vorstellungen, so würde ich es sagen. Es kann ja kein Zufall sein, dass sich in allen Religion und Weltphilosophien dieser Gedanke der Balance, des rechten Maßes findet, ob es in der Bibel heißt, eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel kommt, oder im Talmud heißt es, Herr gib mir weder Armut noch Reichtum oder im Orakel zu Delphi: nichts im Übermaß. Das ist ja kein Aufruf zur Askese, sondern die triviale Einsicht, dass die Balance stimmen muss zwischen materiellen und immateriellen Dingen. Absage Nicht weniger. Besser. Zur politischen Ökonomie des Schrumpfens Sie hörten ein Feature von Mathias Greffrath Zitator: Es mag ja angenehmer sein, den Untergang zu beschwören ? und manchmal liebäugele ich damit ? aber für mich ist diese Epoche absolut faszinierend. S1 Tim Jackson. Unser besonderer Dank gilt: Silke Helfrich, Professor Meinhard Miegel, Professor Hartmut Rosa, Dr. Wolfgang Sachs. Sprecher: Es sprachen außerdem: Sigrid Burkholder, Hüssein Michael Cirpici, Bettina Scholmann und Martin Schaller. Ton und Technik: Hanns Martin Renz und Angelika Brochhaus Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2010 W. Sachs u.a., Hg.: Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie, Zukunftsfähiges Deutschland, Fischer TB 2009 Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderungen der Zeitstrukturen in der Moderne, suhrkamp tb wissenschaft, 2005 Silke Helfrich u.a., Gemeingüter - Wohlstand durch Teilen, Heinrich-Böll-Stiftung 2010 Meinhard Miegel, Exit.Wohlstand ohne Wachstum, Propyläen Verlag, Berlin 2010, 304 S., ISBN 978-3-549-07365-0, 22,95 Euro 1