COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Friedrich Zwo privat - Heutzutage und auf der Straße in Potsdam - Autor Gerd Brendel Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 19.06.2012 - 13.07 Uhr Länge 16'44" Regie Klaus-Michael Klingsporn Moderation Wer ihn auf der Straße sieht, der erkennt ihn gleich. Und er weiß zugleich, der ist es nicht. Erkannt wird da Friedrich der II., aber der ist es natürlich nicht, sondern ein Doppelgänger. Davon gibt es derzeit nicht wenige. denn zum runden Geburtstag des Preußenkönigs haben die Doppelgänger Konjunktur. 1,2,3 sagte sich Gerd Brendel traf gleich drei Doppelgänger des Alten Fritz. Und er begleitete sie einen Tag lang, weil er so manche Frage loswerden wollte: Wie lebt es sich, wenn man hauptberuflich einen berühmten Mann spielt, der vor 300 Jahren geboren wurde? Bestimmt man noch die Rolle? Oder bestimmt die Rolle einen selbst? Genug, der Fragezeichen, hier die Antworten der Friedrich-II-Kopien. folgt Script Beitrag Script Beitrag Autor: Kurz nach zehn Uhr morgens vor Schloss Sans Souci in Potsdam. Friedrich der Zweite setzt sich seinen Dreispitz auf, holt seine Traversflöte aus dem Rücksack und stellt den Notenständer auf. Take 1: Atmo Autor: Die ersten Touristen bleiben neugierig stehen und zücken ihre Kameras. Das Instrument hat Friedrich, der im richtigen Leben Helmut Sabers heißt, am Konservatorium in Riga gelernt. Dort begegnete er auch zum ersten Mal der Musik seines späteren Zweit-Ich. Take 2 : (Sabers) Noten von Friedrich waren verboten, fast zu spielen, ich habe gefunden Noten von Friedrich im Konservatorium in einem verschlossenen Schrank. Autor: Die Noten mit den Flötenkonzerten des Preussenkönigs lagen weggeschlossen im Archiv und wenn er sie nicht gerrettet hätte, erzählt Helmut Sabers aus Riga , wären sie auf dem Müll gelandet. Take: 3 (Sabers) Viele Noten durften nicht gespielt werden in Lettland. Autor: Noch gehörte Lettland zur Sowjetunion und die Musik eines preussischen Königs passte nicht ins offizielle Kulturbild. Take 4: (Sabers) Von Friedrich dem Großen Sie brauchen zum Beispiel Hohenfriedberger Marsch. Das ist das berühmteste von ihm. Autor: Und zu den Takten des Hohenfriedberger Marschs fallen die ersten Münzen in das Pappkästchen vor dem Notenständer. Take 5: MUSIK (Hohenfriedberger Marsch) Take 6: (Kappelt) Wo haben wir jetzt die Nase.. . Autor: Zur gleichen Zeit sucht in Berlin Tegel der König seine Nase. Vor ein paar Jahren ist er mit seiner Frau und Tochter in die Avenue Charles des Gaule gezogen. Wo vor dem Mauerfall französische Streitkräfte und ihre Familien wohnten, herrscht heute beschauliche Vorstadt-Ruhe. Man kennt sich. Und wenn Olaf Kappelt als Friedrich der Große zur S-Bahn stapft, grüßen die Nachbarn freundlich, aber noch ist es nicht so weit: Take 7: (Kappelt) Die ganze Prozedur dauert 45 Minuten. Die Verwandlung zum König ist nicht hoppla hopp machbar. Autor: Allein für die Nase gehen mindestens 20 Minuten drauf. Take 8: (Kappelt) Friedrich hat ja ne besondere Nase, die sogenannte Hohenzollern-Nase. Die wurde von der Totenmaske abmodeliert, also vom Original . kann man nicht einfach so aufsetzen , mit Spezialkleber muss ich die aufsetzen. Maximal dreimal kann man die tragen Autor: Die Reste der königlichen Physiognomie verteilen sich auf Küche und Badezimmer Take 9: (Kappelt) Der Kleber ist im Kühlschrank, sonst trocknet das aus. Hier ist auch die Schminke für die Seite. Mit dem Pinsel werden da die Falten tiefer gezogen, nach 300 Jahren sind die ja größer. Autor: Kappelts kleine Tochter hat sich an die tägliche Verwandlung ihres Vaters gewöhnt. Take 10: (Kappelt) Meine Tochter, wenn sie sieht wie ich reinkomme im Kostüm ist sie immer sehr begeistert, obwohl sie noch nicht mal zwei Jahre ist, und alle Friedrichsdarstellungen sind für meine Tochter "Papa" Autor: Im Arbeitszimmer lächelt der als alter Fritz mit Bundeskanzler Schröder von der Wand, daneben Zeitungsartikel und ein Schreiben, auf dem sich Prinz Georg Friedrich von Preußen und Prinzessin Sophia von Isenburg für die Hochzeitswünsche beim "König" bedanken. Take 11: (Kappelt) Inzwischen bin ich König im Hauptberuf .kann ja nicht jeder sagen, dass er aus der Leidenschaft einen Beruf gewählt hat Autor: Die Leidenschaft für Friedrich und Preusen liegt Olaf Kappelt quasi im Blut Take 12: (Kappelt) Mein Vater hat mir die Anekdoten vom alten Fritz erzählt als Jungendlicher, dann haben meine Klassenkameraden Karl May Romane gelesen , ich hab Geschichtsbücher gelesen über Friedrich und Preußen gelesen. Das hängt vielleicht en bischen mit meiner Geburt zusammen, bin ja noch in Brandenburg an der Grenze zu Sachsen geboren. Autor: Kurz vor dem Mauerbau floh die Familie nach Westdeutschland, aber die alte Heimat ließ Kappelt nicht los: Er studierte Sozialpädagogik in Bielefeld und arbeitete in der Erwachsenenbildung. Ende der 70ger Jahre gründete Kappelt das "Brüsewitz-Zentrum", einen umstrittenen Verein, der sich die Unterstützung von Bürgerrechtlern in der DDR auf die Fahnen geschrieben hatte. Später promovierte Kappelt über "Die Entnazifizierung in der SBZ sowie die Rolle und der Einfluß ehemaliger Nationalsozialisten in der DDR". Den Untergang der DDR erlebte Kappelt in Süddeutschland als glückloser Hotelwirt in Rothenburg ob der Tauber. Der geplante Aufbruch in die alte Heimat Brandenburg musste warten. Take 13: (Kappelt) Nach der Wende konnte ich da nicht hin, hat meine Frau gesagt sie läßt sich scheiden, wenn ich in den Osten ziehe . Paar Jahre später war die Ehe dann trotzdem kaputt, obwohl ich in den Süden gezogen bin, und ja dann hab ich gesagt , jetzt oder nie, jetzt gönn ich mir Berlin Autor: Aber egal, wo Kappelt in der Hauptstadt anklopfte: Er fand keine Stelle. Take 14:(Kappelt) Und da hab ich aus ner Laune heraus der Leiterin der Berlin-Touristik vorgeschlagen, warum sie nicht Führungen als Rollenspiel im historischen Gewand macht und da fragte sie: An wen denken Sie denn da? Hab ich gesagt: An den Alten Fritz. Also da hat die gesagt: Machen Sie doch mal ne Probeführung für meine Mitarbeiter. Autor: Am Ende seines ersten Auftritts als alter Fritz applaudierten die Mitarbeiter und die Leiterin fragte, wann Kappelt anfangen könnte. Mittlerweile lebt er von seiner Königsrolle. Zwei Stunden vor seinem nächsten Auftritt sitzt die Hohenzollern-Nase. Der Soldatenrock hängt bereit. Die hohen Stiefel stehen im Flur. Take 15: MUSIK "Hohenfriedberger Marsch" Take: 16 (Hille) Bonjours Messieurs. Lassen mer sitzen .. Freddersdorf.. es gibt's nichts zu feiern..sie wissen ich bin im Dienst .. Freddersdorf bitte geleiten sie die Herren und Damen heraus Autor: Es ist Mittag. Drei S-Bahnstationen weiter sitzt der alte Fritz in Jeans und Hemd an seinem Küchentisch im Prenzlauer Berg und ist schlecht gelaunt. Das erwarten die Leute von seiner Rolle, sagt der Schauspieler Matthias Hille: Take 17: (Hille) Bei diesen großen Sachen muss man die Klischees bedienen. Autor: Als gelernter Pantomime fällt ihm das nicht schwer. Von allen drei Friedrich-Doppelgängern entspricht Hille auch äußerlich dem Bild des grimmigen Monarchen. Hervorstechende Augen, große Nase. Kein Wunder, dass die Rolle ihn fand und nicht umgekehrt: Take 18: (Hille) Eigentlich ist die Rolle zu mir gekommen. Ich kannte einen Kollegen, der hat Friedrich gespielt, und der konnte nicht, und da hat er gefragt ob ich ihn vertrete. "Geh doch mal da hin..da is irgendso ne Veranstaltung..Du mußt nichts machen, nur grimmig gucken und irgendwie rumschreien". Autor: Seit dem Zufalls-Engagement im Schloss Charlottenburg, wird Hille immer wieder angefragt, als Überraschungsgast in Schlössernächten, als königliche Begleitung einer Potsdammer Rokoko-Tanzgruppe. Gerade lernt Hille lernt Texte für ein neues Programm: "Der König und sein Secretarius Freddersdorf." Take 19: (Hille) Da gibt's ne Gesellschaft- Die buchen uns und Friedrich kommt zufällig vorbei, Die Kutsche steht draußen - und die Herausforderung ist die, Die Leute in die Zeit reinzubringen und ein Bild von Friedrich zu schaffen. Autor: Vor seinem ersten Friedrich-Engagement hat Hille alles mögliche gemacht: Nach seiner Pantomimen-Ausbildung besuchte der Berliner noch zu DDR-Zeiten die staatliche Artistenschule, im Wohnwagen tingelte er durch die Republik, spielte im Kinder und Jugendtheater und trat als Clown auf. Aber mit keiner Rolle hat er sich bisher so intensiv auseinander gesetzt, wie mit Friedrich. Erkennt er sich manchmal in dessen Biographie wieder? Take 20: (Hille) Es gibt so Einsamkeitspunkte die Friedrich hatte, wo der sich sehr allein fühlte, das kenn ich, also so irgendwie von Gott und der Welt verlassen zu sein und irgendwie so ´ne Veranstaltung machen zu müssen, wenn was schief geht, manchmal nicht so wissen, wo es so langgeht, miemand haben, fast schon so ne depressiven Punkte. Da gibt's Berührungspunkte. Autor: Eine Geschichte aus dem neuen Programm hat Hille besonders berührt. Take 21: (Hille) Muss man sich vorstellen: Friedrich der Große in Militärkluft erinnert sich an seine Kindheit zurück , wie er von seinem Vater mißhandelt wurde: Er spielt Flöte, der Vater kommt rein, verdrischt den Flötenlehrer, er flüchtet unter den Tisch , der Vater zieht ihn an den Haaren heraus und verdrischt ihn total und er freut sich, dass der Vater ihm Backpfeifen gibt, weil er weiß, das ist immer das Ende,. Take 22: Atmo Musik Autor: Im Park von Sans Souci hat Friedrich mittlerweile ein halbes Dutzend Mal den Hohenfriedberger Marsch und ein paar seiner eigenen Sonaten gespielt. Take 23: (Sabers) Friedrich der Große ist noch immer geheimvoll, wie er kann so gut geschrieben gute Musik ... gut komponiert. Lange Strecke gut, dann irgendwie konstruiert. Ich denke er hat viel zu tun, zwei stunden geschrieben, und dann was anderes gemacht, das spürt man bei den Sonaten. Zum Beispiel Carl Philip Emanuel Bach ..die Hamburger Sonate , schreibt wie eine große Welle, aber Friedrich nur in Teilen. Autor: Helmut Sabers Publikum allerdings macht sich zuweilen ganz eigene Vorstellungen von den musikalischen Fähigkeiten eines Rokoko-Monarchen. Take 24: (Passant) Kennen Sie die Einleitungsmusik von den "Simpsons? " (Sabers) "Ahh-- Simpsons auch Friedrich geschrieben. Irgendwas.. das ist gut! Autor: Der musizierende Königsdarsteller trägt es mit Fassung. Noch vier Stunden muss er durchhalten, dann schließt das Schloss und er hat Feierabend Take 25: (Sabers) O jetzt kommt gute Gruppe - Symphonie in D-Dur, wo bist Du? Take 26: Hohenfriedberger Marsch Take 27: (Kappelt) Und wundern Sie sich nicht, ich werden zügigen Schritts vorneweg davon schreiten. Das habe ich im richtigen Leben auch gemacht. Ich habe mich selten in der Etappe aufgehalten. Alle anderen Herrscher Europas haben sich wenn es brenzlig wurde, in ihren Schlössern verkrochen. Take 28: Atmo Autor: Am Nachmittag eilt Friedrich der Zweite in Berlin seiner Entourage voraus. Zwei Stunden dauert Olaf Kappelts Stadtführung zwischen Brandenburger Tor und Lustgarten auf den Spuren des alten Fritz. In der ersten Person reklamiert er vieles als Friedrichs Verdienst: Die Staatsoper, Berlins einheitliche Traufhöhe und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den jungen USA. Nur mit einem Kapitel deutscher Geschichte will Kappelts König nichts zu tun haben: Take 29: (Kappelt) Goebbels, der hatte dahinten sein Propagandaministerium. Der missachtete meinen Satz : "Viele Wege führen zum Himmelreich" oder "Ein jeder soll nach seiner Facon selig werden". Diese Toleranz hatten diese Herren nicht. Autor: Vor seiner alter Bibliothek auf dem Bebelplatz erinnert der falsche Friedrich mit der Original-Königsnase an die Bücherverbrennungen der Nazis und erzählt von seiner Bewunderung für die berühmte Tänzerin Barbarina, da kommt es vor der Humboldt-Universität zu einer eklatanten Verletzung des höfischen Protokolls. Take 30: (Kappelt) wißt ihr zwei denn, was das für Häuser sind.. (koreanische Touristen) Thankyou bye bye .. Autor: Majestät wird von einer koreanischen Touristengruppe quasi zur Foto-Geißel genommen. Das Knipsen nimmt kein Ende. Ob die eifrig knipsenden Damen und Herren wüßten, mit wem sie es zu tun haben? Lachend zeigt einer auf das Denkmal Friedrichs II. Ein paar Schritte entfernt. Take hoch Autor: Zu Schadows berühmter Reiterplastik fällt dem König in dem alten Soldatenrock übrigens wenig ein. Die Generäle im Sockel interessieren diesen Friedrich nicht sonderlich. Take 31: (Kappelt) Kanonendonner brauch ich nicht und Schlachtengetümmel. Er wäre auch gerne Philosoph geworden, das interessiert mich, aber nicht der Kriegsheld Friedrich. Autor: Dafür interessiert Kappelt der königliche Alltag im Frieden, die Essgewohnheiten bei Hofe zum Beispiel. Take 32: (Kappelt) Einige Küchenzettel sind ja noch vorhanden, da steht ja exakt drauf, was hat der König gegessen . Und die hab ich einem Archiv entdeckt und daraus auch ein Kochbuch gemacht. Autor: "Friedrich der Große: Meine Koch- und Küchengeheimnisse" Take 33: MUSIK Hohenfriedberger Marsch Autor: Im Schlosspark von Sans Souci knurrt Friedrich der Magen. In der Regel verzichtet sein musikalischer Doppelgänger auf eine Mittagspause. Essen macht müde und als Parkmusiker ist Helmut darauf angewiesen, jede neue Touristengruppe blitzschnell auf sich aufmerksam zu machen. Take 34: Atmo Autor: Bis er in ein paar Wochen, von seinem Landsmann abgelöst wird, und wieder nach Riga zurückkehrt wird Zaber täglich hier spielen. Wenigstens muss er nicht mehr fürchten, von der Schlösserverwaltung vertrieben zu werden. Take 35: (Sabers) "Gewohnheitsrecht" , schöne Tradition Autor: "Gewohnheitsrecht" wie eine Zauberformel klingt das deutsche Wort bei dem Musiker. Take 36: Hohenfriedberger Marsch Autor: In Berlin hat Friedrich mit seiner Gruppe das leere Feld erreicht auf dem früher einmal sein Geburtsschloss stand. Take 37: (Kappelt) Ein Sachse hats zerstört, Walter Ulbricht Autor: Klar, dass der König für den Wiederaufbau ist. Take 38: (Kappelt) ATMO .. Ich hoffe wir werden es noch erleben, möchte mit ihnen noch eine Tasse Schokolade hier trinken . Autor: Dann geht die Freiluft-Audienz bei seiner Majestät zuende. Take 39: (Kappelt) ATMO Ja, Mesdammes et Monssieures, unsere kleine Zeitreise ist jetzt beendet ich danke Ihnen ausdrücklich ,dass sie gekommen, ich rufe ihnen jetzt am Schluss zu: Sans souci zu, das heißt leben Sie sorgenfrei, Aufwiedersehen Autor: Wenn später Olaf Kappelt als Alter Fritz in der S-Bahn nach Hause fährt, zählt sein königlicher Kollege im Schloßpark von Sans Souci die Münzen. Take 40: (Sabers) Ist schön, mit Friedrich jeden Tag zu sein. Autor: Und im Prenzlauer Berg packt Friedrich seinen Text zur Seite. Lernen vom großen König? Der Schauspieler Mathias Hille muss lachen: Take 41: (Hille) Manchmal hab ich das Gefühl, das wir son Freigeist mal wieder brauchen, so Typen, die sagen, wir brauchen was neues, irgendwie Verrückte aber ganz oben, Obama wär vielleicht son Typ. Gelächter -ENDE Beitrag- 9