COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel 31.10.2010 Lernen - laufen - lehren Wie sich Sportstudenten auf ihren Beruf vorbereiten Teil 4/4 der Reihe "Sport und Bildung" Von Hanns Ostermann Red.: Jörg Degenhardt (über Straßen-Atmo/1) Paderborn liegt rund 60 Kilometer von Bielefeld entfernt und ist von dort aus über die A 33 zu erreichen. Die Stadt, so verrät es das Internet-Cityportal, bezeichnet sich selbst als jung - mit einer über 1.200 Jahre alten Geschichte. (über Atmo 2a/Straße und 2b/Glockenläuten) Allein in der Innenstadt sind mehr als 20 historische Bauwerke aller Stilepochen erhalten, der 92 Meter hohe Turm des Doms überragt dabei die vielen anderen Kirchen dieser überwiegend katholischen Stadt. Atmo kurz hoch Verlässt man das Zentrum in westlicher Richtung, findet man nach zwei Kilometern einen Sportpark, der sich sehen lassen kann. Der Computerpionier und Unternehmer Heinz Nixdorf finanzierte den Bau der Ahorn-Anlage: Auf dem Gelände befinden sich ein Leichtathletik-Stadion, Kleinspielfelder, ein Trimmpfad und eine 12.000 m² große Sporthalle. (Atmo 3, O:22) Auf einer großen Tafel werden die herausragenden Sportarten und Athleten der Stadt gewürdigt: Take 1/O:21 Das sind die Sportarten, die in Paderborn gut vertreten sind: Also Baseball-Bundesliga, Basketball 1. Bundesliga - allerdings gerade abgestiegen -, Schwimmen im Nachwuchsbereich, Lilli Schwarzkopf bis vor kurzem, zweite Fußball-Bundesliga, auch ganz erfolgreich gewesen und Squash, 1. Bundesliga und Europapokalsieger auch mehrfach schon. Paderborn ist also nicht zuletzt auch eine Sportstadt, erzählt Professor Hans- Peter Brandl-Bredenbeck. Rund 800 Studenten absolvieren hier die Ausbildung zum Sportlehrer. Ihr Zentrum liegt am Rande des Universitäts-Campus an der Warburger Straße: Take 2/0:39 Sie sehen hier einige Container, die wurden errichtet, weil einige Toiletten in unserem Trainingszentrum neu saniert werden. Wenn man weiter geht, sieht man die Halle, die sich hinter den Containern befindet, die aber auch nicht das ganze Jahr da sind. Und die Halle ist eine Dreifachhalle, wir hoffen, dass es eine größere bald mal wird oder eine neu erbaut wird. Wenn man weiter geht, kommt man auf den Leichtathletik-Platz zu, wo, wenn die Sonne da ist, großes Treiben ist, weil die Studenten üben müssen. Wenn man weiter hoch geht, kommt noch ein großer Fußball-Platz und auf der rechten Seite befindet sich der Golf-Platz, wo auch die Studenten Golf lernen können Stefanie Brier ist 23 Jahre alt, sie trägt einen blauen Anorak - die Haare sind hinten zusammengebunden. Take 3/O:13 Ich studiere jetzt schon einige Semester hier und es ist sehr schön, weil es klein und familiär ist, man trifft Leute, man kennt Leute, die Dozenten sind wirklich sehr nett, ja, ich mag sie einfach. Stefanie macht einen entspannten Eindruck. Dabei hat es ihr Alltag durchaus in sich: Take 4/O:19 Das Studium generell empfinde ich nicht als stressig, es ist halt so, dass man für die Studiengebühren noch nebenbei arbeiten muss, seinen eigenen Interessen nachgehen muss und dadurch könnte es stressig werden, aber ich denke, wenn man ein ausgeglichenes Verhältnis hat, eine gute Balance, dann erlebt man es, wie ich als positiven Stress. über Turn Atmo 4/O:30 Maximale Anlaufgeschwindigkeit - ... und hoch ... Positiver Stress ist auch bei der Turn-AG zu spüren. Mehr als 20 Studentinnen und Studenten üben Elemente, die später auch geprüft werden. Zwei Frauen und drei Männer versuchen dabei, nach einer Radwende ein Minitrampolin richtig zu treffen - eine der Vorübungen für einen Flick-Flack: Turn-Atmo/5 freistehend Man kann vorher methodisch daran arbeiten, dass man keine Angst hat, ins Trampolin zu springen// einfach springen, Matten hoch, Matten tief, möglichst weit, möglichst genau springen...ungenauer. Matthias Lell, 25, mittelgroß, blaues T-Shirt, ist an diesem Nachmittag ein gefragter Mann. Immer wieder wird er um Tipps gebeten. Der frühere Landesliga-Turner weiß, worauf es bei dieser Form des Nachhilfe-Unterrichts für seine Kommilitonen ankommt: Take 5/O:16 Ich turne, seit ich laufen kann und wahrscheinlich auch schon davor. Und ich lebe diesen Sport einfach, mir macht es einfach Spaß, Perspektiven zu vermitteln, dass Turnen wirklich nicht nur Aufschwung, Umschwung, Unterschwung ist, sondern wirklich viel mehr kann. Für ihn ist das Turnen also alles andere als verstaubt und altmodisch. Mit Turnvater Jahn hat das Ganze nur noch wenig zu tun: Take 6/O:21 Turnen ist ja nicht nur das an Geräten, Turnen ist ja viel mehr, es kann auf viele verschiedne Ebenen übertragen werden, zum Beispiel in der Akrobatik, wo man mit seinem Gegenüber arbeiten muss. Man hat gruppendynamische Aspekte, in denen man sich immer wieder neu organisieren muss, es ist Teamwork, also die Möglichkeiten des Turnens sind immens. Sportstudenten müssen zunächst einmal selbst nachweisen, was sie praktisch können. Beim Turnen zum Beispiel wird in der Prüfung verlangt: Take 7/O:19 Man müsste über einen Mattenberg einen Handstand-Überschlag springen, man macht eine Bodenkür, die man sich selbst zusammen stellt, wo aber auch Pflichtelemente enthalten sind - zum Beispiel die Rolle oder die Rückwärtsrolle oder Handstand, dann gibt es eine Felgbewegung und einen Salto oder eine Flugrolle. Hinzu kommen theoretische Übungen: Take 8/O:13 In der Theorie gibt es eine schriftliche Arbeit, man lernt halt in den Unterrichtsstunden, in den Seminaren auch Theoretisches und die werden dann in der Klausur abgefragt. Theorie und Praxis der verschiedensten Sportarten sind also die eine Säule des Studiums. Hinzu kommen Seminare und Vorlesungen in Sportmedizin, - Soziologie, - Psychologie, Trainings- und Bewegungslehre oder Sportpädagogik. über Atmo 6/Vorlesung/O:28 Fast 100 Studentinnen und Studenten sind bei der Einführung in die Sportpädagogik dabei. Der Hörsaal ist mehr als gut gefüllt, viele haben ihren Laptop auf dem Klapptisch vor sich, nur wenige schreiben mit der Hand. Unten steht Professor Hans-Peter Brandl-Bredenbeck an seinem Pult: Take 9/O:27 Die Schule hat neben Selektionsfunktionen vor allem einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Und der Sport wird gemeinhin in diesem Rahmen diskutiert, dass er Bildungs- und Erziehungsprozesse initiieren, anleiten und begleiten kann. Hinzu kommt, erklärt der Sportwissenschaftler, dass der Schulsport alle Kinder erreicht. Er hat also mehr Möglichkeiten als der Sport im Verein, weil Take 10/O:41 Wir wissen, dass der nicht-schulische Sport, nämlich der organisierte Sport, auch eine Selektion vornimmt. Keine aktive Selektion, sondern den Zugang zum organisierten Sport finden eben nicht alle Heranwachsenden in gleicher Art und Weise. Auch wenn bis zu 60 Prozent der Kinder in den Sportvereinen aktiv sind, sind dies in der Regel nicht Kinder aus sozial schwachen Schichten, sind das nicht Kinder mit Migrationshintergrund und es sind deutlich weniger Mädchen als ihre männlichen Altersgenossen. (über Vorlesung/Atmo) Trotz dieser Chancen muss sich der Schulsport ähnlich wie der Musik- und Kunstunterricht stärker als früher rechtfertigen, erfahren die Studenten. Die PISA-Resultate vor rund zehn Jahren haben dafür gesorgt, dass vor allem kognitive Entwicklungen gefördert wurden. Deutsch, Mathematik oder Englisch rücken verstärkt in den Mittelpunkt. Da auch neue Fächer wie Ethik oder Medien- und Computerkunde in die Schule Einzug gehalten haben, kann man schon von einer Art Verdrängungswettbewerb sprechen. Für das Fach Sport erweist es sich dabei als problematisch, dass sich seine Bildungsstandards kaum abprüfen lassen. D.h. festzulegen, in welchem Alter die Kinder über bestimmte Kompetenzen verfügen sollen, ist schwierig: Take 11/O:35 Das ist in Mathematik und Englisch und Deutsch relativ einfach vielleicht festzulegen. Im Sport wird es zumindest in einem Bereich schwierig: Der Sport hat ja die Aufgabe, Erziehung zum Sport, also motorische Fertigkeiten und Fähigkeiten zu vermitteln. Auf der anderen Seite ist er aber auch angehalten, eine Erziehung durch Sport zu leisten, wo es um soziale Erziehungskomponenten geht. Wie man die standardisieren möchte und dann überprüfen, also operationalisieren möchte, das ist ein relativ schwieriges Unterfangen. Trotz dieser Probleme sind viele angehende Lehrer von ihrem Fach überzeugt: Stephanie Brier, die später Hauswirtschaft und Sport unterrichten möchte: Take 12/O:17 Er stärkt das Selbstvertrauen der Kinder, er motiviert sie, ich kenne das vor mir, man geht mit einem ganz anderen Gefühl durch die Welt, der Zusammenhalt wird gefördert. Also der Sportunterricht, wie ich ihn mir vorstelle, vermittelt auch ein positives Gefühl für das Alltagshandeln auch. Und Marie Biermann, eine 25-jährige künftige Sport und Englisch-Lehrerin ergänzt, sie hätte selbst sehr viel Spaß beim Sport erlebt, den möchte sie weiter geben: Take 13/O:29 ... so dass die dann auch im besten Fall auch außerhalb der Schule Sport treiben. Es geht heute nicht mehr darum, dass die unter 10 Sekunden sprinten sollen, sondern es gibt Bewegungsfelder, da heißt es dann, etwas wagen und verantworten zum Beispiel, dass man ihnen Dinge vermittelt, die sie auch außerhalb der Schule übertragen können, also soziale Kompetenzen, und ich glaube einfach, dass der Sport sich dafür sehr gut eignet. Was bedeutet das für die Ausbildung an der Hochschule? Wie werden die Sportlehrer von morgen an der Schule darauf vorbereitet, mit Misserfolgen ihrer Schützlinge umzugehen? Darüber zu reden, was man besser machen kann? Professor Brandl-Bredenbeck: TAKE 14/O:36 In den Praxisveranstaltungen halten wir unsere Studierenden auch an, selbst in die Rolle eines Lehrenden zu schlüpfen, bestimmte Sequenzen dort zu moderieren und in diesem Kontext geben wir ihnen auch Hilfestellung, wie sie dann die Schüler stärker in die Unterrichtsgestaltung mit einbeziehen. Weil über diese aktive Selbstgestaltung erreicht man, dass sich die Schüler über das, was sie tun, Gedanken machen. Wenn sie nur vorgemacht bekommen und etwas nachmachen, dann wird dieser Prozess nicht in Gang gesetzt. Geübt werden kann dieses Verhalten natürlich auch, wenn Schüler beispielsweise die Rolle eines Schiedsrichters übernehmen müssen: Take 15/O:37 Der Lehrer sagt zwar, du pfeifst, aber es wird dann nicht bis zu Ende auch betreut vom Lehrer. Wenn die anderen Schüler die Entscheidungen nicht akzeptieren, dann wird das nicht thematisiert, dann läuft das einfach weiter. Also, der Sport ist ein unheimlich gutes Instrument, Lernprozesse in Gang zu setzen, weil er viele Kinder erreicht, einen hohen Aufforderungscharakter hat, aber man muss diese Erziehungs- und Bildungsprozesse auch aktiv thematisieren.// und das geht ganz gut, wenn man alle Schüler mal den Schiedsrichter machen lässt und dann spüren lässt, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind. eventuell Musik "Birdland" (über Atmo 7a und 7b) In Rostock wird seit knapp 800 Jahren Stadtgeschichte geschrieben. Als wichtiges Mitglied der Hanse hat die Stadt so manches von ihrem einstigen Charme erhalten: Backstein-Fassaden fallen ins Auge. Giebelhäuser unterschiedlicher Epochen deuten ebenso wie die machtvollen Kirchen vom Reichtum der Kaufleute im Mittelalter. Das Institut für Sportwissenschaften feierte 2007 sein 80jähriges Bestehen. Damit zählt es neben den Einrichtungen in Gießen, Leipzig und Berlin zu den ältesten seiner Art in Deutschland. Wer hier Sport studiert, muss zunächst relativ weite Wege in Kauf nehmen: Take 16/O:24 Es ist halt alles verteilt. Wir haben zum Beispiel am Ostseestadion// die Schwimmhalle, rund 3-4 km nördlich befindet sich die Turnhalle//hinten in der Südstadt ist die Justus von Liebig Turnhalle, wo die Spielsportausbildung stattfindet, Handball, Volleyball, Basketball und hier gleich am Campus, wo das Institut ist, wird die Judo- und Gymnastikausbildung vollzogen. David Magister studiert im achten Semester Sport und Sozialwissenschaft. Er gehört zu denen, die sich in der Fachschaft seines Instituts engagieren. Die organisiert zwar auch Feten, um sich schneller kennenzulernen. Mindestens ebenso wichtig aber sei auch die Beratung der Studienanfänger: Take 17/O:16 Ich bin hierhergekommen und mir wurde gesagt, ich muss meinen Stundenplan selbst zusammenbasteln und mich allein durchs Studium wursteln. Im Gegensatz zur Schule wird hier viel Wert auf Selbständigkeit Wert gelegt und das finde ich auch gut so. Weil man lernt, selbständig zu denken und einem nicht alles vorgekaut wird. Immerhin hilft die Fachschaft bei den ersten Gehversuchen in Rostock, beispielsweise durch einen Orientierungslauf: Take 18/O:23 .. wo alle Studenten verschiedene Stationen durchlaufen mussten, um auch die Sportstätten schon einmal kennenzulernen, um einmal nicht alleine dazustehen, zum anderen auch schon mal zu sehen, wie läuft das hier, was kann man einfacher machen, um ihnen einfach eine Starthilfe zu geben. Florian Grosche, bald Sport- und Geschichtslehrer. Natürlich spielen auch in Rostock zunächst Praxis und Theorie der Sportarten eine große Rolle. Zugleich müssen Vorlesungen und Seminare der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen belegt werden. Professor Volker Zschorlich, der Direktor des Instituts: TAKE 19/O:45 Im Prinzip ist es so, dass wir einen geisteswissenschaftlich und einen naturwissenschaftlich orientierten Teil haben. Der naturwissenschaftliche Teil fängt mit Anatomie und Physiologie an, dann haben wir die Trainingswissenschaft, die Bewegungswissenschaften, wir haben die Biomechanik und die Sportpsychologie, die Sportsoziologie, die Sportpädagogik natürlich dürfen wir gar nicht vergessen. Ich betone das noch mal, dass das unser Hauptstamm ist, denn wir machen ja Sportlehrerausbildung. Und dann haben wir die Theorie-Praxis Bereiche, die versuchen, methodische und didaktische Umsetzungen in der Sportpraxis zu realisieren. Allerdings: Gerade dieser Teil kommt für viele Studenten zu kurz. Der wissenschaftliche Teil nimmt ihnen zu breiten Raum ein: TAKE 20/O:21 Das geht einfach zu tief in die Materie, die jeweiligen Studienfächer, die wir belegen müssen. Ja, und wir wollen Lehrer werden und keine Forscher. Und viele Professoren verwechseln das einfach. Sicher braucht man einen gewissen Überblick. Aber ich denke, wir gehen zu tief in die Materie und ich glaube, es ist einfach nicht notwendig als Lehrer. Boris studiert im zehnten Semester Sport und Geschichte. Und Johannes Zabel, der sich für die Fächer Sport und Englisch entschieden hat, ergänzt: TAKE 21/O:27 Es gibt natürlich Fächer wie Sportpsychologie oder -soziologie, die ich schon interessant finde, da hat wahrscheinlich jeder so sein Steckenpferd, in welchem Bereich er gern zu Hause ist. Das macht natürlich Spaß, dann in den Seminaren zu forschen oder sich Vorträge anzuhören. Aber klar ist, dass viel mehr Didaktik oder Praxis eigentlich hätte stattfinden müssen oder stattfinden muss. direkt dran: TAKE 22/O:23 Ich finde das für einen Studenten auch eine Zumutung, wenn ich jetzt von meinem Beispiel ausgehe, das ist bei mir Gott sei Dank nicht der Fall, wenn man das erste Mal im 10. Semester damit konfrontiert wird mit einer Klasse und man merkt, es ist nichts für einen. Man kommt damit überhaupt nicht klar und die Schüler tanzen einem auf der Nase rum... Nach fünf Jahren dann zu sehen, das ist nichts für mich, das ist schrecklich. direkt dran: TAKE 23/O:O7 Das ist sicherlich richtig. Also ich denke auch, dass viel mehr Praxis in die Lehramtsausbildung noch müsste. Rita Pahnke hat Verständnis für die Kritik der Studenten. Als "Lehrkraft für besondere Aufgaben", so ihr offizieller Titel, sieht sie aber auch die Kehrseite der Medaille: TAKE 24/O:27 Aber es ist auch so, dass wir die Studenten erst dann auf die Schüler loslassen können, wenn sie schon im Studium fortgeschritten sind. Das heißt, sie müssen schon mal in der Praxis der Sportarten ausgebildet sein: Ich kann nicht in die Schule mit ihnen gehen, wenn sie noch nicht Volleyball spielen können. Sie müssen auch in der Didaktik bei mir zumindest die Vorlesung gehört haben, so dass ich sehe, sie haben einen gewissen theoretischen Hintergrund, mit dem sie arbeiten können. In Rostock erfolgt dieser - an der Praxis orientierte Teil - in den Schulpraktischen Übungen. Atmo 8 kurz freistehend Heute steht Bernd Wilde vor einer Klasse des Innerstädtischen Gymnasiums. Die Halle ist geteilt, 14 Schülerinnen und Schüler sollen das obere Zuspiel im Volleyball, also das Pritschen verbessern. An der Seite beobachten vier Studenten, die Dozentin und die eigentliche Sportlehrerin der Gruppe, Beate Büßer, den Unterricht. Nach der allgemeinen erfolgt die spezielle Erwärmung, eine Form des Brennballs: TAKE 25/O:31 Es sind zwei Mannschaften, Reifen begrenzen das Spielfeld. Die eine Mannschaft pritscht den Ball aufs Feld. Die gegnerische Mannschaft muss den Ball zurück pritschen auf den Brennpunkt und die andere Mannschaft läuft herum, um in die Brennzone zu kommen und damit Punkte zu machen. Im Mittelpunkt steht anschließend das Pritschen, das in den letzten Stunden bereits geübt wurde und heute benotet werden soll. Die Schüler stehen sich dabei gegenüber, immer wieder erklären Bernd Wilde und die zuständige Sportlehrerin, worauf es ankommt: TAKE 26/O:28 Denkt noch mal dran - Arme über den Kopf, Handgelenke bleiben fest, nicht umknicken, wir spielen mit den Fingerspitzen, dann Grätsch-Schrittstellung, und jetzt kommt die Kraft aus den Beinen... Da muss keine Power dahinter sein, es muss ein bisschen eine Streckung sein...Die wird sofort auf den Ball übertragen. ATMO Die Schülerinnen und Schüler bekommen ihre Noten, anschließend - im zweiten Teil der Doppelstunde - steht das untere Zuspiel, das Baggern auf dem Programm. Bernd Wilde ruft alle zusammen und erinnert noch einmal daran, worauf vor allem zu achten ist: TAKE 27/O:29 Okay, ganz wichtig dabei, das machen die meisten falsch, ich habe das gerade von der Bank beobachtet, ihr müsst dabei in die Knie gehen. Wenn ihr dabei wie ein Gartenstuhl die Beine ganz gerade habt, dann kann das nur wie bei einem Holzfäller aus den Armen heraus passieren... Das nennt sich auch Bereitschaftsstellung. Auf den Ball warten, ein, zwei, drei Tippelschritte machen. Die Schultern müssen vorm Körper sein...REISST AB!! Auch das Baggern wird danach noch einmal geübt und benotet. Mit einem Spiel drei gegen drei endet dann der Sportunterricht. Für Bernd Wilde war es die erste Stunde, die er einer Klasse geben musste. Die Auswertung erfolgt mit der Dozentin und drei Kommilitonen. Welchen Eindruck hatte er selbst? TAKE 28/O:O8 Ich habe mich selber nicht so gut gefühlt, ich habe es versucht, nicht so zu zeigen. Aber ich glaube, es war eine gute Stunde. Allerdings, und das ist gerade der Sinn dieser schulpraktischen Übungen, nichts ist so gut, als dass es nicht noch besser gemacht werden könnte. TAKE 29/O:42 Was aber deutlich geworden ist, Sie müssen etwas darauf achten, Sie sind etwas ungeduldig gewesen und deshalb kam es manchmal etwas unfreundlich den Schülern gegenüber rüber. Sie haben sehr streng angefangen und das aber nicht so richtig auflösen können. Und wenn es mal gut läuft, dann muss man die Schüler auch mal loben und es zeigen. In der Erwärmung generell haben Sie die Schüler etwas allein gelassen. Wenn ein Mädchen sagt, mir fällt nichts ein beim Abrollen, ja dann mach das doch. Ich weiß nicht, wie es geht. Ja, dann mach es doch. Helfen Sie den Schülern, dann zeigen Sie es noch mal kurz. Auch mal an die Hand nehmen und etwas zeigen. Bernd erhält an diesem Tag eine Fülle von Tipps. Der Unterricht wurde ebenso wie sein Verhalten unter die Lupe genommen - eine heikle Situation sollte man meinen. Doch den künftigen Sport- und Biologielehrer stört die Kritik keineswegs: TAKE 30/O:41 Ne, gar nicht. Gerade das hilft mir besonders gut, // Also ich bin jemand, wenn ich einen Fehler vorgesetzt krieg', dann kann ich den das nächste Mal nicht mehr machen. Solange der Hinweis berechtigt ist, nehme ich ihn auch gerne an und bin kritikwürdig und fordere auch Kritiken, es sei denn, sie sind ungerechtfertigt. Wenn denen meine Hose nicht passt und sie sagen, das lenkt die Schüler ab, dann würde ich dagegen was sagen. Aber ansonsten nehme ich Kritik auch gerne an. Und so eine Diskussion ist wichtig, damit man nicht auf dem Stand bleibt, auf dem man ist. In jedem Fall weiß er, dass er auf dem richtigen Weg ist: TAKE 31/O:29 Ja, es war zu Beginn etwas aufregend, aber wenn man so ein bisschen ins Unterrichtsge- schehen reinkommt, ist das ganz in Ordnung. Ein schönes Gefühl eigentlich. Also für die Zukunft bin ich mir sicher, ich mache das Richtige. Ein schönes Gefühl, weil es eigentlich etwas Tolles ist, jungen Menschen etwas beizubringen, die man dann auch ein Stück weit aufs Leben vorbereiten kann. Also es ist eigentlich ein gutes Gefühl, wenn man in der Schule Sport macht und dann sieht, dass die auch außerhalb des Unterrichts Sport machen. Was natürlich auch den Direktor des sportwissenschaftlichen Instituts, Professor Volker Zschorlich freuen würde. Er ist Bewegungswissenschaftler: TAKE 32/O:27 Ich habe die Kippe in der Schule auch nicht turnen können und war in der ersten Vorlesung zur Bewegungswissenschaft und da ist mir einiges klar geworden. Und das fand ich so spannend, dass man alle Erkenntnisse im Unterricht direkt umsetzen kann und sehen kann, was wirkt. Wie bewertet er die Probleme, die der Sportunterricht an den Schulen hat, seinen relativ geringen Stellenwert? Und damit möglicherweise auch die Rolle der Sportwissenschaften? TAKE 33/O:35 Wir sind nicht die Turnhosen der Nation, muss ich einfach mal so sagen. Sondern wir versuchen wirklich, mit ganz etablierten wissenschaftlichen Methoden Erkenntnisse über Bewegung und Bewegungslernen bzw. Interaktionsprozesse, emotionale Prozesse usw. zu gewinnen. Die Unkenntnis hat natürlich einen bestimmten Vorbehalt gegen die sportwissenschaftliche Ausbildung. Ich betone die Wissenschaft jetzt immer mal, damit das klar ist, dass es eben keine reine Sportpraxis ist, sondern eben auch eine sport- wissenschaftliche Ausbildung. Mit Sorge sieht deshalb Professor Zschorlich, wie sich der Schulalltag entwickelt. Vor allem bei den Jüngsten: TAKE 34/1:06 In der Tat ist es so, dass vor allem in den Grundschulen nicht ausgebildete Sportlehrer unterrichten. Das Fach Sport sollte von ausgebildeten Lehrkräften betrieben werden, weil genau diese Probleme - motorische Defizite, Bewegungsmangel - da ihren Ursprung haben. Es ist sträflich, dass da nicht genug Fachpersonal eingesetzt wird. (Frage: Warum sehen das die Bildungspolitiker nicht?) Wir haben da mit Sicherheit ein großes finanzielles Hintergrundgeschehen. Jede Sportstunde kostet jedes Bundesland x Euro und dann können sie sich ausrechnen, ob die dritte Sportstunde durchgesetzt wird oder nicht. Und ich kann eigentlich nur sagen, auch drei Sportstunden sind relativ wenig. (über Atmo) Wissenschaftlich reizt Professor Zschorlich u.a., was gegen die Alterung des Muskels getan werden kann. Sein Forschungslabor befindet sich in der oberen Etage der Justus Liebig Sporthalle: Take 35/1:06 Das ist eine Stimulationsreihe, die wir dann nutzen, um zum Beispiel Muskelstrukturen zur Kontraktion anzuregen. Nein, das tut nicht weh. Sie sehen das hier gleich. Das ist kein elektrischer Schlag, sondern es stimuliert die Nervenstrukturen, die den Muskel dann zur Innovation, zur Kontraktion anregen. Das einzig Ungewöhnliche ist, dass man eine Kontraktion ausübt, die man willkürlich gar nicht machen will. Im Gegensatz zur Elektrostimulation, wenn wir Nerven elektrisch reizen, das ist in hohen Intensitäten sehr schmerzhaft. Mit dieser Magnetstimulation können wir ohne Schmerzempfinden Muskeln trainieren im Prinzip. So wichtig diese und andere Forschungsansätze auch sein mögen: Die meisten Studenten interessieren sich mehr für die konkrete Praxis - insbesondere für die sozialen Aspekte des Sports. Take 36/1:00 Ich finde, dass man das direkt auch bei uns Sportstudenten merkt, dass wir innerhalb des Sports viel mehr Gemeinschaft haben als ich persönlich mit den Anglisten. Weil man durch die ganzen Praxiskurse viel mehr miteinander zu tun hat, sich unterstützt, sich Hilfe gibt und dadurch ein Gemeinschaftsgefühl wächst. Das ist dann auch wahrscheinlich in der Schule der Fall, das sieht man auch in dieser Klasse, dass die sehr gut miteinander zusammen arbeiten und denke schon, dass da der Sozialisationsprozess besser voran schreitet. (Boris) Die Schüler lernen, auch einmal Rücksicht auf den Schwächeren zu nehmen, dass der Stärkere dem Schwächeren hilft, dass er ihm Anleitungen gibt usw. usf. und ich denke, dass ist ein wichtiger Prozess in der Entwicklung der Jugendlichen und ich denke, gerade im Sport wird der gefördert, weil man ja ständig in der Gemeinschaft ist und nicht als Einzelkämpfer in der normalen Deutsch- oder Englisch-Stunde auftritt. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die angehenden Sportlehrer ihren Elan erhalten. Musik "Birdland" (Archiv) 1