Auf den Spuren der Schlacht Der Hürtgenwald in der Eifel Eine Deutschlandrundfahrt von Paul Stänner Regie: Karena Lütge Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014 Atmo Wasser der Kall Autor Um nach Simonskall zu kommen, muss ich drei Kilometer in eine enge Schlucht fahren. Rechts von mir plätschert die Kall, ein munteres Flüsschen, auf dem jenseitigen Ufer liegen in der Talsenke die Weiden und dann geht es nach wenigen Metern schon wieder steil bergan in den Wald hinein. Gemessen an den überschaubaren deutschen Verhältnissen liegt der kleine Ort in der Nordeifel tief versteckt und entlegen. Es herrscht eine wunderbare, vielfarbige Spätsommerstimmung in diesem Oktober. Die Laubbäume sind herbstlich verfärbt, der Bach rauscht auf das Idyllischste, Pferde und Kühe stehen dekorativ - wie in einem kitschigen Heimatfilm - auf den Weiden. Ein Traum. Zwei Reiter kommen mir entgegen in einer eigenwilligen Mischung aus Hip-Hop-Sportklamotten und breiten Original-Cowboy-Hüten. Diese Landschaft, die im Wechsel vom Spätsommer zum Frühherbst ein Touristenmagnet ist, war 1944 um diese Zeit Aufmarschgebiet großer Armeen. Kennmusik - darüber: Sprecher: Auf den Spuren der Schlacht Der Hürtgenwald in der Eifel Eine Deutschlandrundfahrt von Paul Stänner Atmo Wasser der Kall Autor Wenige Tage später, im Regen und in der nebligen Nässe des November, begann die Schlacht im Hürtgenwald. Monatelang versuchten amerikanische Truppen, den Hürtgenwald zu erobern, monatelang wurde er von der deutschen Wehrmacht verteidigt. Tausende starben hier einen sinnlosen Tod, die Niederlage von Nazi-Deutschland war schon längst unabwendbar. Musiktrenner Atmo Kettenfahrzeuge / Schlachtgeräusch Autor Ende 1944 waren die amerikanischen Invasionstruppen weitaus schneller in Richtung Deutschland vorgerückt, als es im ursprünglichen Kriegsplan vorgesehen war. Der Nachschub für die Truppen konnte das Tempo nicht mithalten. Die amerikanischen Truppen stoppten vor Aachen, womit sie ungewollt den fliehenden deutschen Einheiten Gelegenheit gaben, sich neu zu formieren. Die Amerikaner versuchen nun, südlich von Aachen durchzubrechen. Um ihre Flanke zu schützen, müssen sie den Höhenzug der Nordeifel besetzen. Nachdem ein erster Vorstoß steckengeblieben war, wird am 2.November 1944 ein zweiter Angriff durchgeführt, die sogenannte Allerseelenschlacht. Wegen des schlechten Wetters kann die Luftwaffe nicht eingreifen. Am 8. November wird der Angriff unter großen Verlusten abgebrochen. Beim 112. US-Infanterieregiment beispielsweise kehren von 2200 Mann nur 300 zurück. Wenige Tage später wird ein dritter Angriff gefahren, der - erneut sehr verlustreich - erfolgreich ist. Dann flauen wegen der Ardennenoffensive die Kämpfe im Hürtgenwald ab. Erst nach dem Scheitern der Ardennenoffensive nehmen die Amerikaner die Angriffe wieder auf; im Februar 1945 erreichen sie endlich ihr Ziel. Atmo Ende Kettenfahrzeuge Musiktrenner Atmo: Natur 1 1. O-Ton Buch Der Ochsenkopf ist eine Flurbezeichnung, die aber symbolisch steht für die Kämpfe, die hier stattgefunden haben 1944, im September, der Ochsenkopf wurde ab 1938 im Zuge der Westwall Bebauung mit Bunkern bebaut, man kann sich vorstellen, dass dafür tonnenweise Beton quer durch den Wald und diese Bunker wurden mit dem Eintreffen der alliierten Truppen hier im Hürtgenwald auch heftig umkämpft. Autor Hendrik Buch ist mein Führer durch den Hürtgenwald. Er trägt kurze, schwarze Haare und Bartstoppeln. Sein Körperbau zeugt von einer sitzenden Tätigkeit. Er ist Wirtschaftshistoriker und arbeitet gerade an seinem Magister in digitaler Medienkommunikation. 2. O-Ton Buch Das war eigentlich ein ganz besonderes Szenario für den Hürtgenwald, da hier sozusagen ein Stellungskrieg stattfand. Die Bunker wurden teilweise noch verteidigt, wenn die Frontlinie schon weitergerückt war. Und so erinnerte das Kampfgeschehen an den Bunkern teilweise an die Stellungskriege des 1. Weltkriegs. Autor Von der Straße nach Vossenack biegen wir auf einen Parkplatz ein und lassen den Wagen stehen. Auf der gegenüberliegenden Seite führt ein Forstweg in den Wald. Parallel zum Forstweg fallen halbmetertiefe Gräben auf. Wer es nicht weiß, denkt an Wasserabzugsgräben der Forstwirtschaft, aber Hendrik Buch erklärt, dies seien verfallene Schützengräben des letzten Weltkriegs. Schon nach wenigen Metern finden wir ein Grab. Es ist blumengeschmückt. Der Ort ist wie eines der üblichen Soldatengräber inszeniert, wie sie schnell geschaufelt und zugeschüttet wurden, um die Toten unter die Erde zu bekommen. Am Kopfende steht ein zusammengezimmert wirkendes Holzkreuz. Der amerikanische Stahlhelm auf dem Kreuz ist eine täuschend ähnliche Nachbildung - aus Beton, weil die originalen Stahlhelme von Militariajägern gestohlen werden. Ihnen gilt die Totenruhe nichts. Etwas weiter ein zweites Grab, wieder ein Stahlhelm aus Beton. Hier sind beliebige Steine vom Weg wie zu einem Ehrenmal aufgeschichtet. Vielleicht waren es Verwandte des amerikanischen Soldaten, der hier begraben lag, vielleicht auch nur Spaziergänger, die dem Gefallenen eine Ehre erweisen wollen. Wir stehen an der Grabstelle von Robert Cahow. 3. O-Ton Buch Erst 2000 wurden seine Überreste hier gefunden. Der Steinhaufen, der geht aus einer irischen Tradition hervor, dass man an eben solchen Stellen am Gedenken an die Person einen Stein hinterlegt und seit 2000 hat sich - da dieser Platz mittlerweile auch relativ bekannt ist - dieser eineinhalb Meter hohe Steinhaufen gebildet, der an Robert Cahow und seinen Einsatz hier erinnern soll. Autor Die Gräber sind an den Stellen, an denen die Überreste der Soldaten gefunden wurden, nur Gedenkstätten. Nach amerikanischen Vorschriften darf ein US-Soldat nicht in Feindesland bestattet werden. Also werden die Leichen - oder nach Jahrzehnten im Boden die Gebeine die Toten - entweder in die Vereinigten Staaten zurückgeführt oder zumindest in ein befreundetes Land, in diesem Fall Belgien oder die Niederlande, gebracht. Hendrick Buch erzählt die Geschichte des jungen Robert Cahow: 4. O-Ton Buch Er selbst stammte aus Michigan, ist 1944 hier in den Hürtgenwald freiwillig gekommen, war vorher bei der Militärpolizei im Einsatz, war dann hier bei den Bunkerkämpfen eingesetzt, hat dann mit seiner Einheit versucht, hier einen Bunker einzunehmen. Dieser Vormarsch ist aber gescheitert, einige wurden verwundet. Robert Cahow hat sich dann freiwillig gemeldet, um die Verwundeten mit einigen anderen zu bergen und ist bei diesem Vorhaben auf eine Mine getreten. Und seine Kameraden sind dann - aufgeschreckt durch das dann auftretende Feuer der Deutschen - geflohen. Und als man dann später versuchte, ihn zu finden, ist es nicht mehr geglückt. Autor Vermutlich haben ihn deutsche Soldaten begraben. Die Leiche hat 55 Jahre im Waldboden des Ochsenkopf auf ihre Entdeckung gewartet. Inzwischen ist sie in die USA überführt worden. Noch im vergangenen Sommer war sein Bruder, Douglas Cahow, im Hürtgenwald, um die Stelle zu sehen, an der Robert ums Leben kam. 5. O-Ton Buch Die gesamte Familie Cahow ist sehr darum bemüht, das Andenken an Robert Cahow und an das Schicksal und insgesamt an die Geschichte des Krieges hochzuhalten, und unterstützt bis heute die Geschichtsarbeit im Hürtgenwald. Autor Auf dem Scheingrab des Robert Cahow liegen Kränze: Lest we forget - "damit wir nicht vergessen" steht in poetischem Englisch auf der Kranzschleife, die von den Screaming Ducks niedergelegt wurde. Screaming Ducks lautet der Kampfname der 101sten Luftlandedivision. Andere Kränze stammen von einem Aufklärungskorps und von den Piloten eines Lastenseglerregiments. Militärische Erinnerungszeichen, ohne Pomp, ohne Pathos. Wenige Schritte weiter, immer tiefer in den Wald hinein, finden wir die Reste eines gesprengten Bunkers. Vielleicht des Bunkers, den Robert Cahow und seine Einheit nicht einnehmen konnten. 6. O-Ton Buch Wir stehen hier vor einem Bunker der Westwall Anlage, der hier ab 1938 im Wald errichtet wurde. Das ist ein Mannschafts- bunker, in dem bis zu 15 Soldaten Betten fanden. Autor Das Dach des Bunkers ist weggesprengt worden, die Trümmer liegen wirr umher. Sie sind moosbedeckt, aus manchen Resten sprießen kümmerliche Nadelhölzer, die auf dem nährstoffarmen Beton nur schlecht wachsen. Die Bunker waren das Zentrum in einem Spinnengewebe aus Schützengräben, die im Zickzack durch den Forst verliefen. 7. O-Ton Buch Verteidigt wurde der Bunker von außen, also um den Bunker herum war ein relativ umfangreiches Laufgräbensystem mit Stellungslöchern. Es gab manchmal noch außerhalb des Bunkers Kampfräume, aus denen man schießen konnte, aber der Bunker diente tatsächlich eher als Schutzwerk. Auch gegen Gasangriffe und Ähnliches waren die Türen gerüstet und sollten davor schützen. Autor Fachleute könnten auch sagen, welcher Typ aus dem standardisierten Bunkerbauprogramm dieser Trümmerhaufen einmal war. Jetzt sind nur noch Mauerreste zu erkennen, einzelne Röhren, Metallteile und ein wirres durcheinander von Betonblöcken und überall Moose und Sträucher. Hendrik Buch empfindet es als tröstlich, dass - egal, was für einen Mist der Mensch baut - die Natur sich alles zurückholt. Als Wirtschaftshistoriker hat er seine eigene Theorie über die Bunker des Westwalls. 8. O-Ton Bach Aber letztlich kann man auch sagen, so ein Bunker wird nie wieder einen Euro verdienen, so wie er hier im Wald steht. Also das ist jetzt nicht unbedingt eine nachhaltige Wirtschaftsmaßnahme und das funktioniert nur mit Blick auf eine Expansionspolitik, also mit Blick auf einen irgendwie gearteten Endsieg und die Unterdrückung anderer Völker. Musiktrenner - darauf: Autor Mitten im Hürtgenwald liegt der Kletterwald Raffelsbrand. Als der Kletterwald vor wenigen Jahren eingerichtet wurde, fand man dort, dicht unter der Grasnarbe, die Überreste eines deutschen Soldaten. Auch seine Geschichte wurde ermittelt: Der junge Mann hatte Pilot werden wollen, wurde aber, weil es keine Flugzeuge mehr gab, in den Hürtgenwald verlegt. Mit 19 Jahren trat er auf eine Mine - die Beine und ein Arm wurden vom Körper gerissen. Er ist verblutet, wo man ihn gefunden hat. Vielleicht hundert, vielleicht 200 Meter von Robert Cahow entfernt. Musiktrenner Autor Im Amerikanischen nennt man den Hürtgenwald Huertgenforest und spricht ihn wie: to hurt, verletzen. Nach US-Sprachregelung bezeichnet der Wald das Gebiet zwischen Rurtal, Stolberg, Monschau und Düren; im deutschen Verständnis ist das Gebiet etwas kleiner. Die Tourismus-Zentrale Rureifel und der Ort Hürtgenwald haben mehrere Wanderkarten erstellt, auf denen die Besucher zu den Orten der Kämpfe geführt werden. Einer der Wege ist der Hemingway Trail, benannt nach dem amerikanischen Schriftsteller. Für ihn war die kalte, neblige Eifel voller Regen, Schnee und Graupelschauern eine Ansammlung von Wäldern, "in denen die Drachen hausen" - die Schauermärchen der Brüder Grimm schienen hier wahr geworden zu sein. Musik 9. O-Ton Bach Er hatte Plan, insgesamt einen großen Roman über die Geschichten des 2. Weltkrieg zu schreiben, hat diesen Roman aber nie geschrieben und hat auch sonst wenig konkrete Ereignisse verwendet. Grad hier aus dem Hürtgenwald hat er dann gar nicht geschrieben, es gibt dann gegen Ende seiner Schaffenszeit den Roman "Über den Fluss und in die Wälder" , in dem er auf ganz wenigen Seiten in ganz wenigen Worten einzelne Situationen hier beschreibt - was natürlich auch dafür spricht, dass die Ereignisse hier für ihn schwer zu fassen waren. Autor In Ernest Hemingways vermutlich schlechtestem Roman erinnert sich in Venedig ein alter Colonel an seine Kampfzeiten. Er schildert seiner jungen, italienischen, uninteressierten Geliebten die Gräuel des Hürtgenwaldes. Sprecher Wir hatten eine riesige Menge von weißem Phosphor auf die Stadt abgeworfen, bevor wir sie endgültig einnahmen. Das war das erste Mal, dass ich einen deutschen Hund einen gerösteten deutschen Kraut fressen sah. Du würdest es wohl nicht für möglich halten, dass ein guter deutscher Hund den von weißem Phosphor gerösteten Hintern eines guten deutschen Soldaten fressen würde? Wie viele solcher Geschichten könnte man wohl erzählen? Autor Hemingway hatte die Toten gesehen und mit denen gesprochen, die noch lebend aus den Drachenwäldern herausgekommen waren. Aber aus den Geschichten wurde nie ein Roman, nur einige Bemerkungen tauchen hier und da auf. Man kann mit einem Faltblatt in der Hand einem Weg folgen, der einige der Hemingway-Punkte aufweist. Selbst der Gefechtsstand, in dem Colonel Lanham, Hemingways Freund, seinen Befehlsstand hatte, ist verzeichnet. Musiktrenner Atmo: Gang Autor Ich betreibe ein Rollenspiel. Wie wäre ich als amerikanischer Soldat in diesem Wald zurecht gekommen. Es ist ein Gedankenspiel auf einem Wanderweg, der Westwall-Trail heißt. Vom kleinen, idyllischen Simonskall aus führt die Route nach Süden den Berghang hinauf. Nach der Beschreibung des Faltblatts und der Markierung auf der beigefügten Karte müsste gleich hier der gesprengte "Gruppenunterstand 59" zu finden sein, den ich aber nicht finde, weil er entweder zu gut versteckt ist oder zu gut gesprengt wurde. Es geht weiter bergan. Im unteren Teil des Tales stehen Laubbäume, die jetzt im letzten Sonnenlicht des Restsommers in knalligen Farben leuchten. Die Hügelkämme dagegen sind mit dunklen Fichtenbeständen bedeckt. In meinem Spiel sind im Wald die Feinde. An manchen Stellen stehen vier bis fünf Meter hohe Felsen - eine ideale Position für jemanden, der Handgranaten wirft. An vielen Stellen ist das Gehölz aus Bäumen und Sträuchern so dicht, dass man keine fünf Meter hineinschauen kann. Wer immer sich dort verbirgt, in einem Graben oder Bunker, ist so lange unsichtbar, bis er das Feuer eröffnet. Der Weg ist schlammig. Immer wieder rutsche ich aus, meine Wanderstiefel gleiten zur Seite. Völlig aussichtslos, hier einen Sprint hinzulegen oder gar eine längere Strecke zu laufen. Um mich sicher zu bewegen, müsste ich die vier Kilometer, die sich der Wanderweg den Hügel hinaufwindet, auf dem Bauch kriechen. Bis zu dem Bunker Nr.139, der oben auf dem Hügel eine Weggabelung überwacht. Den Bunker sehe ich, weil ein großes Schild auf ihn weist. Wer immer im Bunker wäre, er hätte mich schon längst im Visier. Musiktrenner Atmo Kreuzblende mit: Atmo Raum leer 10. O-Ton Hellwig Als der Krieg zu Ende ging, als die amerikanischen Truppen näherkamen, war ich vier Jahre, nicht ganz fünf, und kann mich sehr gut daran erinnern, wie das war. Autor In das Museum mit dem sperrigen Titel "Hürtgenwald 1944 und im Frieden" geht es von der Straße aus einige Stufen hoch. Die Bepflanzung vor dem Haus in Vossenack soll die Situation im Hürtgenwald nachempfinden: In einem Beet, das mit dunkelbraunem Mulch bedeckt ist, stecken verrostete Geschosshülsen unterschiedlicher Kaliber. Erst bin ich irritiert, dann erwische ich mich, wie ich unwillkürlich ganz vorsichtig mein Fuß aufsetze, obwohl auf der Treppe selbst keine Gefahren drohen. Aber man weiß ja nie. 11. O-Ton Hellwig Als es hieß, die Amerikaner (kommen) sagte er, ich fahr mal gucken. Dann fuhr der von Kleinhau in Richtung Düren, von hier aus drei Kilometern Richtung Monschau, kam zurück und sagte meiner Mutter: Setz den Kaffee auf, die Amerikaner kommen, ich hab sie gesehen. (lacht). Autor Robert Hellwig, dessen Vater die Amerikaner schon kommen sah, ist untersetzt, trägt einen beeindruckenden Schnauzbart und tut sich - er ist nicht mehr der Jüngste - schwer mit dem Gehen. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Museums. Während der Kämpfe war er evakuiert worden, kehrte aber bald wieder zurück. 12. O-Ton Hellwig Als wir zurückkamen, lagen im Ort noch und außerhalb lagen Stapel Munition, die einfach zurückgelassen worden waren. Das war natürlich meistens amerikanische Munition, aber auch deutsche. Die hatten zwar nicht so viel, aber wenn die laufen gehen mussten, dann haben die auch liegen lassen, was sie nicht transportieren wollten. Also es lag überall Munition in Stapeln, aber auch auf den Grundstücken. Die Leute, die zurückkamen, die Bauern oder auch die Hauseigentümer haben die Munition, die da auf ihrem Grundstück lag, in die Trichter geworfen, und einen Haufen anderen Schutt auch noch drüber und die liegen heute noch da. Autor Was dazu führte, dass auch Robert Hellwig, als er vor wenigen Jahren eine Garage anbauen wollte, erst einmal die Kampfmittelräumer rufen musste. Sie mussten den Trichter ausheben, über den er das Fundament gießen wollte. 1947 arbeitete sein Vater mit einem Bauern zusammen, weil der einen Traktor hatte. Musik 13. O-Ton Hellwig Und mit diesem Traktor haben die im Wald Bäume geschleppt, in dem munitionsverseuchten, minenverseuchten Wald. Er ist auf eine Mine, eine Panzermine gefahren, der Bauer war gleich tot und er ist schwer verletzt in ein Krankenhaus geschafft worden. Auf einem Lastwagen. Autor Auf einer historischen Tafel im Museum sind die verschiedenen Minentypen dargestellt, vor denen die Bevölkerung gewarnt wurde. Das war nicht von ungefähr: Für die Kinder war der Wald ein perfekter Abenteuerspielplatz, wo sie mit liegen gebliebenen Gewehren schossen und Lagerfeuer entzündeten, um Patronen zum Knallen zu bringen. Die Erwachsenen waren in der Not der Nachkriegsjahre oft genug versucht, nach amerikanischen Konserven und Werkzeug zu suchen. Eine Inszenierung im Museum ist dem Einsatz der Feuerwehrleute bei den Waldbränden 1947/48 gewidmet. In zwei Jahren nacheinander war der Hürtgenwald in Brand geraten, vermutlich durch Phosphormunition, die sich in der Sommerhitze entzündet hatte. Weil der Wald flächendeckend mit Restmunition bedeckt war, gab es für die Feuerwehr kaum eine Chance, den Brand zu bekämpfen. 14. O-Ton Hellwig Mein Vater war schwer verletzt, ging am Stock, hatte einen Arm verloren, innere Verletzungen, alles mögliche, mit seinen zwei Jungs ist er dann in den Wald gezogen, um irgendwelche Dinge zu suchen, die von den Amerikanern - die hatten ja alles im Überfluss - eventuell noch zu finden waren. Und da zog der mit uns, er ging noch an dem Stock, mit uns in den Wald, nicht weit weg, und dann sagte er auf einmal, wir müssen zurückgehen, das ist zu gefährlich. Und wir gehen dann einen Weg zurück, war nicht weit im Wald, hundert Meter, da lag auf dem Weg ein Stapel Granaten, die in Pappkartuschen verpackt waren und die Kartuschen brannten, mein Vater, der schwer gehbehindert war, der schmiss meinen Bruder und mich in ein Loch, sich obendrauf, dann knallte es ein paarmal, und dann war das Ding noch mal in die Luft gegangen. Und dann sind wir dann nach Hause gegangen. Autor In einer Vitrine im Nebenraum sehe ich Gegenstände aus unterschiedlichen Zeiten und Welten: oben eine von Kugeln oder Schrapnells durchsiebte amerikanische Aluminiumwasserflasche. Der Besitzer hat kunstlos seinen Namen eingeritzt: Gisbert Lang. Und dazu die Länder, in denen er eingesetzt war: Africa, Italy, France. Er ist wohl nicht mehr dazu gekommen, Germany nachzutragen. Weiter unten liegt in dem Sammelsurium der Vitrine eine Kostbarkeit: eine vergoldete Leica mit kunstvoll eingravierten Nazi-Emblemen. Solche Kameras wurden an prominente Besucher der Olympischen Spiele von 1936 verschenkt. Was will das Museum, frage ich Robert Hellwig. 15. O-Ton Hellwig Was ich ganz persönlich damit will - das ist mehr als ehrlich, wenn ich das jetzt sage, - ich möchte, dass Menschen, vor allen Dingen junge Leute, sich vielleicht anhand dieser Dinge erinnern oder begreifen, wenn es ihnen erklärt wird, was hat das für Folgen gehabt, wenn man sich irgendwo einem Rattenfänger in die Hände begibt. Dass man nicht selbst nachdenkt, sondern in irgendeiner Form sich das wieder so entwickelt, wie das im Dritten Reich eben war. Die Leute konnten ja nachher nicht mehr alle so dafür, die hätten besser aufpassen können, müssen, sie sind aber - ja sind sie übertölpelt worden? Autor In den Ausstellungsräumen sind mehrere Szenarien aufgebaut. In einer Maschinengewehrstellung steht der MG-Schütze in Tarnuniform scheinbar einsatzbereit. An seinem Gerätetisch im Bunker sitzt ein Wehrmachtsfunker. Ein amerikanischer Jeep wartet vollgepackt auf seine Abfahrt. Die Waffen jener Zeit hängen an der Wand. Können solche Militaria-Darstellungen tatsächlich kritisches Gedenken auslösen oder sind sie nicht doch nur Lustobjekte für Waffenfreaks? 16. O-Ton Hellwig Da fiel das Wort von einem braunen Sumpf in Vossenack oder im Hürtgenwald. Es wurde dann begründet, dass bei den Volkstrauertagen auf den Ehrenfriedhöfen, dass da NSDAP-, NPD-Anhänger aufgetaucht wären mit Fahnen und demonstriert hätten. Ich hab gedacht, dass kann doch nicht sein, in Hürtgenwald kann es keinen braunen Sumpf geben. Die Leute, die hier leben, die hier persönlich am eigenen Leib gelitten haben... Wie viele Kinder sind hier umgekommen und verletzt worden und wie viele Väter sind umgekommen, und wie viel materialen Schaden... da kann kein brauner Sumpf übrig bleiben, das geht einfach nicht, meiner Ansicht nach. Autor Andere Leute, fürchte ich, haben vielleicht andere Ansichten. Zum Schluss zeigt mir Robert Hellwig noch das Luftbild seines Elternhauses nach dem Krieg. Da ist nur ein Loch in der Landschaft. Beim Abschied vor dem Museum sprechen wir über die Kanone vor der Tür. Auf einem fast mannshohen Stativ steht eines der gefürchteten 8,8 Zentimeter-Geschütze, die zur Luftabwehr und im Erdkampf eingesetzt wurden. Robert Hellwig hätte gern, dass das Geschützrohr zu einem Knoten verbogen würde wie bei dem überdimensionalen Kunst-Revolver vor den Vereinten Nationen. Da das aber nicht möglich ist, wird das Geschütz wohl zurückgehen an den Militaria-Sammler, der sie zur Verfügung gestellt hat. Der braune Sumpf, er bleibt weiterhin Thema. 17.O-Ton Bgm Buch Der Zweite Weltkrieg, das Schlachtfeld, hat irgendwo eine Nazivergangenheit, die zwar mit Nazis direkt nicht so viel zu tun hat, aber viele Neu-Nazis, so nenn ich das mal, meinen ja, das miteinander vermengen zu müssen, und suchen dann auch solche Stätten auf. Aber zum Problem ist es für uns spürbar vor Ort bisher nicht geworden. Autor Axel Buch ist der Vater des jungen Mannes, der mich über den Ochsenkopf-Trail geführt hat. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald, eigentlich Jurist. 18.O-Ton Bgm Buch Das war bislang an den Volkstrauertagen so, wenn an den Kriegsgräberstätten die offiziellen Gedenkfeiern stattfanden, mehr oder weniger oft auch gar nicht gewisse Strömungen aufeinander trafen sicherlich ist das eine oder andere hier kontrovers, klar. Autor Die Gemeinde Hürtgenwald hat als Schauplatz einer der grausamsten Schlachten des Zweites Weltkriegs eine Reputation, der sie nicht entgehen kann. So wie Leipzig die Völkerschlacht nicht los wird und Dachau nicht das Konzentrationslager. Wie gehen die Menschen damit um, die hier leben? 19.O-Ton Bgm Buch Da geht die Bevölkerung total verschieden mit um. Viele Menschen haben eigene furchtbare Erlebnisse aus der frühen Kindheit oder aus den Berichten der Eltern, der Großeltern, die sie mit dieser Heimat verbinden und die sie auch davor abschrecken lassen, diesen Teil der Geschichte auch heute noch in irgendeiner Form nachzuvollziehen oder insbesondere zu thematisieren. Andere setzen sich damit aktiv auseinander und versuchen auch, damit umzugehen und das auch für Gäste aufzubereiten und das ihnen näher zu bringen. Das ist total verschieden, wie das sich entwickelt hat. Musiktrenner Autor Die Eifel lebt vom Tourismus. Köln, Düsseldorf, Aachen sind Städte, die mehr oder weniger nur eine Autostunde von Hürtgenwald entfernt liegen. Manche Städte haben faszinierende Museen, andere haben Dome, all dies sind touristische Attraktionen. Ein geschichtsträchtiger Ort ist ebenfalls das, was die Tourismusbranche eine "Destination" nennt - hier fährt man hin. Atmo außen 20.O-Ton Bgm Buch Wir haben ja statistisch erfasst jedes Jahr 55 000 Übernachtungen in der Gemeinde Hürtgenwald, die nicht erfassten dazugerechnet liegen wir bei 70-80.000. Das ist ein Teil der Übernachtungsgäste. Viel mehr Tagesgäste sind noch hier. Der geringere Teil kommt wegen der Vergangenheit hierher, der weitaus größere wegen unseren auch heute wieder sehr schönen und wunderbaren Natur und Landschaft. Aber letztendlich, wenn ich das schätzen würde oder schätzen müsste, käme ich auf einen Anteil von maximal einem Fünftel, eher tendenziell weniger, Gäste, die insbesondere dann auch wegen der Vergangenheit sich diesen Ort dann als Wochenendurlaubsort oder Ferienurlaubsort aussuchen. Autor Was wird dem geschichtsinteressierten Fünftel, das ja je nach Gedenksaison - gerade eben sind wir wieder in einer - durchaus auch größer werden kann, vor Ort geboten? 21.O-Ton Bgm Buch Das fängt an, dass immer mehr Erinnerungsstätten in der Landschaft geschaffen worden sind, Kreuze an Fundorten von Soldaten, die heute noch gefunden werden zum Teil sowohl von Einheimischen als auch von Amerikanern. Wir haben ein Kreuz am Ochsenkopf, das von einem Bruder eines gefallenen amerikanischen Soldaten errichtet worden ist, nachdem der 2002 dort gefunden wurde. Wir haben die Soldatenfriedhöfe hier, die Kriegsgräberstätten, die zwei Stück im Hürtgenwald. Für eine kleine Gemeinde mit Sicherheit sehr viel an der Zahl, auch mit sehr vielen Grabstätten. Wir haben hier ein "Museum", was altes Kriegsmaterial, gewisse Dinge aus der Vergangenheit darstellt, was von Laien, von einem Verein betrieben wird, aber mit Sicherheit sehr viel Arbeit in sich birgt. Was oft kritisiert wird, aber auf der anderen Seite von vielen bewusst und gezielt aufgesucht wird. Ja, und in der jüngsten Vergangenheit sind wir dazu übergegangen und haben über unseren gemeinsamen Tourismusverband history guides ausgebildet, als Führer, die Menschen, Gäste, Gruppen durch die Lande führen, die ihnen die Vergangenheit näher bringen können, auch die Geschehnisse, die konkret hier stattgefunden haben. Autor Der Bürgermeister verabschiedet sich. Die Ereignisse, die hier stattgefunden haben, darauf hatte Axel Buch noch hingewiesen, haben den Krieg um mehrere Monate verlängert. Nutzlos verlängert. Und sie haben große Schäden verursacht. Sagt Achim Konejung. 22. O-Ton Konejung Damit einhergehend die Intensivierung des Luftkrieges auf die rheinischen Städte, vor allen Dingen, wenn man sich hier anschaut in der Region, Düren und Jülich, die sind de facto fast zu 100% zerstört worden. Und auch Köln - die schwersten Bombenangriffe auf Köln sind eigentlich erst geflogen worden ab Oktober '44, als der Vormarsch der Amerikaner hier im Hürtgenwald von der deutschen Wehrmacht gestoppt wurde. Autor Achim Konejung ist groß gewachsen, hat einen voluminösen Oberkörper, der ein guter Resonanzkörper ist, und schafft es erstaunlich mühelos, eine schmale Lesebrille gefahrlos auf der Nase zu halten. Konejung ist Kabarettist und Historiker und Vorstandsvorsitzender der Konejung Stiftung:kultur, die sein Vater gegründet hat. Die Stiftung veranstaltet historische Bustouren. Kaffeefahrten zu Gedenkorten - so könnte man spotten. Der Kabarettist in Konejung würde es verschmerzen. 23. O-Ton Konejung Diese Tour heißt "Der Weg der Toten". Warum? Der Krieg hat in allererster Linie immer erst mal mit Tod zu tun. Und deswegen geht diese Fahrt nur über die Friedhöfe. Und sie geht darüber, wie geht man heute mit den Toten um, wie ist man damals mit den Toten umgegangen und wie werden Tote überhaupt geborgen? Also was passiert mit der Leiche auf dem Schlachtfeld, das ist eine ganz praktische Frage. Autor Fotos davon habe ich reichlich gesehen, die kennt jeder: Der Soldat wird, abhängig vom Fortgang des Gefechts, mehr oder weniger tief vergraben, und bekommt ein Kreuz aus Birkenhölzern. Obendrauf der Helm und vielleicht noch ein hingekritzeltes Namenschild. 24. O-Ton Konejung Das ist ein ganz neuer, also perspektivischer Ansatz, weil der Soldat, wenn er im Kampfeinsatz fällt, wie es euphemistisch heißt, also wenn er im Kampfeinsatz getötet wird, der bleibt weiter im Dienst. Sie glauben ja wohl nicht, dass der irgendwie seine Armeekarriere damit beendet hat. Weil, der wird erst mal provisorisch beigesetzt. Dann ist der Krieg vorbei, dann stört er ja schon wieder vielleicht, weil er - im Kreis Düren - im Braunkohleerwartungsland liegt, also kommt jemand auf die Idee und sagt: Ach diese kleinen Friedhöfe, die lösen wir mal auf. Weil, Soldaten haben ewiges Ruherecht, im Gegensatz zu einem Ziviltoten. Bei einem Ziviltoten wird das Grab ja nach einigen Jahrzehnten eingeebnet, ein Soldatengrab bleibt immer bestehen. Autor Allmählich kommt das Gespräch in der Teeküche der Stiftung auf den Soldatenfriedhof Vossenack mit mehr als 2200 Toten; über 900 von ihnen konnten nicht identifiziert werden. Und auf Walter Model. Der liegt im Zentrum des Gräberfeldes auf dem Friedhof Vossenack. General Model, von dem im Folgenden die Rede sein wird, hatte in der Eifelschlacht einige Tage die 116. Panzer-Division kommandiert, dann wurde die Einheit aus dem Gefecht herausgezogen. Model war bekannt als Hitler-Verehrer, erfolgreicher Befehlshaber und Mann von übergroßem Ego. Ihm war im April 1945 klar geworden, dass der Vormarsch der Alliierten nicht aufzuhalten war. Andererseits war eine Kapitulation in seinem Denken nicht vorgesehen. Aus diesem Dilemma schlich er sich davon, indem er sich das Leben nahm. Er hätte natürlich auch seine Einheit den Amerikanern übergeben und damit viele Leben retten können - aber dazu war er nicht fähig. In einem Wald in der Nähe von Duisburg erschoss er sich im Beisein einiger Untergebener und wurde an Ort und Stelle begraben. Wenn Achim Konejung die Geschichte erzählt, kann ich ihn mir gut in einem Bus vorstellen, neben dem Fahrer, das Mikrophon in der Hand. Atmo Bus innen 25.O-Ton Konejung Dann gibt es zum Beispiel einen berühmten Nazi-General, das ist Generalfeldmarschall Walter Model, der sich im Ruhrkessel umbringt, der dann "wild" bestattet wird, und dann kommen die Behörden dahinter, dass es da ein illegales Grab gibt, das zu einem Wallfahrtsort wird, in der Nähe von Duisburg, in einem Wald. Dann wird der exhumiert. Dann wird gesagt, ja das geht nicht, es gibt in Deutschland eine Vorschrift, die besagt, ein Mensch muss auf einem Friedhof beerdigt sein, oder eben, wenn er Soldat ist, auf einem Soldatenfriedhof. Dann kommt der nach Vossenack, weil man sagt, ach das ist ein großer Friedhof, da können wir den dahin legen. Der ist jetzt aber prominent, da kann der nicht am Rande liegen, also muss er in die Mitte. Da ist aber kein Platz. Jetzt geht man hin und sagt, wen können wir denn da wegpacken. Jetzt können wir einen nehmen, der einen Namen hat, dann kann ja die Familie sagen: "Das ist unverschämt, warum muss unser Toter da weg, damit der Walter Model dahin kommt." Also nimmt man einen unbekannten Soldaten, der sich nicht wehren kann. Dieser unbekannte Soldat, darüber gibt es Unterlagen, der ist bei der Ardennen-Offensive in der Nähe bei Monschau-Höfen, erst mal getötet worden, provisorisch beigesetzt worden. Dann hat man den nachher exhumiert und auf den Kirchfriedhof von Monschau gebracht, hat ihn da wieder beerdigt. Und dann hat man gesagt, jetzt müssen die toten Soldaten hier weg, von den Privaten, also von den Kirchfriedhöfen. Dann ist der noch mal exhumiert worden und kam dann zufälligerweise in die Mitte, in diese schöne Lage, von dem Friedhof Vossenack. Und jetzt hat man gesagt, jetzt kommt der Model, also kommt der wieder weg. Atmo Bus Ende Autor 1955 war das. Das Gedenken war seinerzeit noch sehr vom Führer-, vom Anführer-Kult und vom Heldenmythos geprägt. Auf allen Seiten. Das Stichwort "Held" führt uns wieder zu Hemingway zurück. Hemingway hatte behauptet, er habe im Hürtgenwald aktiv mit der Waffe in der Hand gegen die Deutschen gekämpft. 26.O-Ton Konejung Ja, der Hemingway schreibt dann in späteren Briefen, er hätte - das fängt an mit - er hätte vier deutsche Kriegsgefangene erschossen, dann sagt er irgendwann 20, dann ist er bei 120, er hätte 122 Deutsche erschossen. Autor Was bei den Anhängern der unterlegenen Deutschen immer wieder zu Ressentiments geführt hat. Hemingway, der Reporter, der Krieg geführt hat? Und dann auch noch ein feiger Mörder? 27.O-Ton Konejung Ich hab mich intensiv mit der Geschichte von Hemingway im Hürtgenwald, aber auch auf dem Weg hierhin beschäftigt, und ich habe nie einen einzigen Beweis gefunden. Außer dem Beweis dafür, das Hemingway besser ziemlich einen an der Klatsche gehabt hat, und eigentlich nur Geschichten erfunden hat, die allesamt nicht ihm passiert sind. Er hat eine ganz große Gabe gehabt, Sachen aufzunehmen. Er war ja unter den Soldaten, das ist ja unbestritten, er war ja im Hürtgenwald, ich kenn auch die Stelle, wo er war. Ich kann Ihnen sagen, hier war der Wohnwagen von dem Colonel Lanham, wo er war und so weiter. D.h. er war relativ dicht an der Front und er wird viel gehört haben, und er hatte eine gute Gabe, das dann so hinzuschreiben in der Story, dass man dachte, ihm wäre das passiert. Autor Ich habe nachgelesen: Hemingways Krieg um diese Zeit wurde in Paris ausgetragen. Der Autor stand im Kampf mit seiner Noch-Ehefrau und der zukünftigen, die schon in Frankreich an seiner Seite lag. Dazu kam, dass Hemingway den Alkohol nicht mehr vertrug und an Saufabenden so ausfällig wurde, dass selbst harte Kumpane ihn gern mal allein ließen. Da konnten ein paar wilde Geschichten die Stimmung heben. 28.O-Ton Konejung Interessant ist aber dieses Dreieck der Weltliteratur: der Hemingway ist tatsächlich in Großhau, und wenige, ja vielleicht 2000 Meter weiter, ist der Jerome D. Salinger als Gefangenenverhörer. Die haben sich ja vorher in Paris getroffen und tatsächlich mit dem Werner Kleemann, der lebt noch, der Solinger und Hemingway treffen sich in Großhau. Und nach dem Krieg, unweit dieser Stelle, von diesem Haus, kauft der Böll dort ein Haus, um in Ruhe schreiben zu können, wenn er mit der Familie in Langenbroich ist. Zusätzlich zu Langenbroich haben die noch in Großbau ein Haus. Das ist ja witzig, Böll war ja nie als Soldat im Hürtgenwald, aber Böll ist ja der erste Übersetzer von Salinger. Autor Werner Kleemann war ein Jude aus Unterfranken, der im KZ Dachau inhaftiert worden war. Amerikanischen Verwandten gelang es, ihn für 5000 Dollar freizukaufen. Kleemann wanderte in die USA aus und kehrte als GI nach Deutschland zurück, in der Einheit, in der auch Jerome D. Salinger diente und in jeder freien Minute, sogar noch im Schützenloch, an einem Buch schrieb, das in den 50er Jahren als "Der Fänger im Roggen" ein Welterfolg wurde, in der Übersetzung von Heinrich Böll. Werner Kleemann im übrigen hatte später das Vergnügen, mit vorgehaltener Waffe den Mann zu verhaften, der ihn wenige Jahr zuvor mit vorgehaltener Flinte der SS ausgeliefert hatte. Eine Geschichte, die Hemingway, nüchtern wie betrunken, gefallen hätte. Musik Achim Konejung hat sich von der Literatur gelöst und beantwortet die Frage nach den Menschen, die auf seinen Bustouren über die Gräberfelder de Zweiten Weltkriegs mitreisen. 29.O-Ton Konejung Ja, es ist ein ganz gemischtes Publikum. Das sind Menschen, die mir vertrauen, dass ich ihnen keine Puffpängknall- Geschichten erzähle. Bildungspublikum, Bildungsbürger mit ihren Jugendlichen, mit ihren Kindern teilweise auch, und es verirren sich manchmal auch richtige, sag ich mal, Schlachtfeldtouristen. In der Regel schaff ich es auch, die mitzunehmen, auch mal anders drüber nachzudenken. Autor Das Ganze muss ja auch einem Zweck dienen. Konejung ist in die Bewahrung der Geschichte des Hürtgenwaldes stark involviert. Er hat an den Faltblättern mitgearbeitet, die die Themen-Trails durch die Eifel beschreiben, er hat an der Ausbildung der history guides mitgewirkt. 30.O-Ton Konejung Ich will keine Lehre vermitteln, dass muss jeder selber für sich entscheiden. Das ist mir zu einfach, weil das kann man nicht erfüllen, das kann Kunst nicht erfüllen, das kann eine Führung nicht erfüllen, das kann ein Roman nicht erfüllen. Wir brauchen natürlich immer auch Sachen, an denen man sich festhalten kann. Autor Das sagen auch die, die Vossenack das Museum mit Waffen und Kriegsgerät vollgestellt haben. Und das sagen auch die, die in Vossenack die Gedenkstätte für die 116. Panzer-Division, die so genannten Windhunde, betreiben. Bei beiden taucht immer wieder der Verdacht auf, braune Gespenster aus der Vergangenheit würden im Nebel der Nordeifel wabern. 31.O-Ton Konejung Ich kann auch mit einer Kritik antworten: So, wie die Geschichte in Teilen da oben dargestellt wird im Hürtgenwald, zum Beispiel auch in dem Museum oder auch an dem Mahnmal der Windhunde - so kann man die Geschichte nicht interpretieren, so einfach geht es nicht. Weil, ich kann nicht eine Faszination oder einen Mythos bedienen, einen Mythos kann ich nur hinterfragen, eine Faszination muss ich ganz stark hinterfragen und ich muss den Zuschauer zum Nachdenken bringen. Musiktrenner Autor Was immer hilft, wenn Deutschland sich in den Verstrickungen seiner Vergangenheit verheddert, ist die Zusammenarbeit mit dem umliegenden Ausland. Im Büro des Rureifel-Tourismus' finde ich René Wißgott. Er ist eine leicht kugelige Erscheinung mit modischer Brille, deren dunkle Balken die Augenbrauen betonen. René Wißgott ist stellvertretender Geschäftsführer der Tourismus-Zentrale und mit dem Projekt liberation route befasst. 32. O-Ton Wißgott Das ist ein Projekt was sich über ganz Europa erstreckt und sich mit dem Weg der Befreiung im 2. Weltkrieg beschäftigt. Da ist Südengland dabei, das zieht sich dann über die Normandie, Paris, über Arnheim und Nimwegen in die Rureifel bis Berlin und auch die Kollegen in Danzig spielen da eine Rolle. Autor Man könnte die Strecke, die sich von den Bereitstellungsräumen der Alliierten in England über die Landungspunkte des D-Day bis in die Hauptstadt Nazi-Deutschlands erstreckt, auch als eine Route der europäischen Einigung sehen, die aus der Niederlage Deutschlands entstand. 33. O-Ton Wißgott Die Initiative kam von den Kollegen aus Arnheim/Nimwegen, die sich mit diesem Thema Gedenktourismus und Befreiungs- tourismus sehr intensiv auseinander gesetzt haben und sind bei Recherchen ganz zufällig auf die kleine Rureifel und den Hürtgenwald gestoßen Autor Der für mich noch gewöhnungsbedürfte Begriff "Befreiungstourismus" signalisiert schon so etwas wie Normalität, die in den Jahrzehnten nach dem Krieg gewachsen ist. Man könnte meinen, die Touristen besuchen die Laufgräben und Bunker des Westwalls, die Orte, wo mehr als 10 000 Menschen elendig starben, mit ähnlichen Interessen und Gefühlen wie die Ritterburgen des Hochmittelalters. Ohne Ressentiments und ohne stinkende Gase aus dem braunen Sumpf. 34. O-Ton Wißgott Das ist so, dass wir sowohl mit einer eigenen Internetpräsenz, aber auch in Print und anderen Produkten auftauchen und jedes Mal aufeinander verweisen, sozusagen, dass man merkt, dass das nicht eine kleine regionale Geschichte ist, sondern dass diese regionalen Geschichten zu einer großen Geschichte gehören. Und da ist immer wieder der Verweis auf diese liberation route und auch auf den einzelnen Partner in den anderen Regionen. Autor Ideal ist das Projekt noch nicht. Aus der Sicht der Tourismus- Wirtschaft und des Gedenkens an das große Grauen könnte man sich mehr wünschen, meint auch René Wißgott. 35. O-Ton Wißgott Es ist momentan noch so, dass es ein aktuell noch digitales Projekt ist, sie haben mit der Internetseite liberation route die Möglichkeit, sich ihre einzelnen Themenschwerpunkte auszusuchen. Anhand dieser Karte, die es da gibt, können sie natürlich auch die komplette Route verfolgen, die gibt es teilweise auch schon von Reiseveranstaltern, die die komplett anbieten, aber sie können sie auch, je nach dem, welche eigenen Themenschwerpunkte sie haben, können sie sich ihre eigene Route mit den einzelnen Bausteinen zusammenbauen. Musiktrenner 36.O-Ton Konejung So, wie die Geschichte in Teilen da oben dargestellt wird im Hürtgenwald, zum Beispiel auch in dem Museum oder auch an dem Mahnmal der Windhunde - so kann man die Geschichte nicht interpretieren, so einfach geht es nicht. Autor ...hatte Achim Konejung gesagt. Atmo Friedhof Autor Clemens Amendt und ich stehen auf dem Kriegsgräberfriedhof Vossenack. Einige Kreuze, einige künstlerische Skulpturen, vor allem aber mehr als eintausend rechteckige Steinplatten, unter denen jeweils zwei Tote begraben liegen, in der Mitte der umstrittene General Model. Amendt ist schlank, agil, schwarz gekleidet mit weißem Hemd. Die graumelierten Haare sind straff zurückgekämmt - so könnte er auch als Priester durchgehen. Er ist aber Lehrer für Politik, Sozialwissenschaft und Geschichte am Franziskus-Gymnasium von Vossenack und Vater von sechs Kindern. 37. O-Ton Amendt Die Franziskaner suchten 1966 in Deutschland eine neue Stelle, wo sie ein Gymnasium errichten konnten. Sie waren vorher in Holland, wollten nach Deutschland wechseln und dann haben sie diese Stelle bewusst gewählt - an der Stelle, wo 1000 Menschen das Leben lassen mussten - und wollten letztlich mit ihrem Menschenbild eine Antwort geben auf das, was hier passiert ist. Autor Der Friedhof, darauf bezieht sich Amendt, liegt auf einer Anhöhe, die seinerzeit hart und verlustreich umkämpft wurde. Nicht der Friedhof, sondern daneben der Erinnerungshain der 116. Panzer-Division ist seit Jahren der Stein des Anstoßes. 38. O-Ton Amendt Die sogenannte Windhund-Division war eine Panzerdivision, die 116., die an vielen Stellen des Krieges eingesetzt waren. Im Osten sehr, sehr massiv, dann kamen sie nach Aachen, bzw. Hürtgenwald, haben sie dann auch für eine kurze Zeit gekämpft. Und nach dem Krieg, wie das Schicksal es will, trafen sich dann Ehemalige der sog. Windhund-Division. Und aus diesem Treffen wurde dann ein Familientreffen und aus dem Familientreffen wurde dann wirklich schon eine "Institution Vossenack" und man suchte dann hier in Vossenack eine spezielle Gedenkstätte.... Autor ...die der damalige Bürgermeister, auch er Mitglied der Windhunde, tatsächlich ermöglichte. Eine große Statue beherrscht den Platz. Das Wappentier der Windhunde ist in die Eingangstür der Gedenkstätte eingelassen. Besagtes Wappentier wurde noch bis 2004 auch im Wappen eines Bundeswehr-Bataillons gezeigt, da ging Erinnerung in naive Traditionspflege über. Natürlich wurden in dieser Gedenkstätte ausschließlich die "Verteidiger Deutschlands" geehrt, zu der diese Division allerdings erst in den wenigen Wochen geworden war, in denen sie auf deutschem Boden kämpfte. Zuvor hatten sich ihre Taten und Untaten mehr in Osteuropa abgespielt. 39. O-Ton Amendt Es war eine bestimmte Erinnerungskultur der Windhunde. Ich empfinde das weniger als Gedenkstätte für die Allgemeinheit, sondern eher eine Erinnerungskultur, die natürlich je mehr der Krieg vorbei war, immer schwerer war zu erfassen, was es zu bedeuten hat. Autor Während auf dem Grab des amerikanischen Soldaten Robert Cahow ein schlichtes Lest we forget - "damit wir nicht vergessen" steht, steht auf dem Gedenkstein der Windhunde ein pathetisches : Sprecher Tote Soldaten sind niemals allein, denn immer werden treue Kameraden bei ihnen sein Autor Die Gedenkstätte war lange Zeit umstritten. Ungern sah man die alten Kameraden aufmarschieren, die sich ihrer großen Taten versicherten, und noch weniger gern sah man ihre jungen Bewunderer. Daraus erwuchs dem Lehrer für Geschichte und Politik eine Aufgabe. 40. O-Ton Amendt Also der Landrat, zusammen mit dem Bürgermeister, kam auf mich zu und sagte: Es gibt ein Problem! Es gab zwei Bundestagsabgeordnete, die haben sich eingeschaltet mit dem Verband der Kriegsgräberstätten, weil diese Bilder - und das Spannende war ja, die sind erst 6, 7 Jahre da - d.h. die Windhunde, die wirklich Lebenden, die haben die nie aufgestellt, und dann hat man dann also als Erbe diese Fotos aus dem Krieg gefunden und gesagt, ja die gehören ja dahin. Und dann hat man ein Sammelsurium der Fotos genommen und hat die einfach da ausgestellt - ohne zu bedenken, wie es wirkt, dass da deutsche Soldaten mit irgendwelchen Tieren da posieren ... wie das wirken kann. Autor Am Rande des Gedenkparks ist auf mehreren Tafeln mit Fotos und Bildunterschriften die Geschichte der 116. Panzer-Division dargestellt. Da ist ein Trampeltier, das Essenskanister transportiert, da sind Frauen in langen Gewändern, die an Tragebalken auf den Schultern jeweils zwei Wasserbehälter tragen und in der Bildunterschrift als "russische Wasserleitung" bezeichnet werden. Über die 116. im Osten könnte man auch andere, weit weniger launige Texte verfassen. 41. O-Ton Amendt Also, es könnte ein sehr falsches Bild entstehen. Und dann kam man auf mich zu und dann habe ich versucht, mit Schülern ein Projekt zu machen, wo wir versucht haben, eine Dokumentation vorzulegen, die den Menschen und der Sache gerecht wird. Autor In einer Unterrichtsreihe wurden neue Tafeln erstellt, die allerdings bisher noch nicht aufgestellt wurden. Sie beginnen mit der Machtübernahme durch die Nazis und zeigen, wie konsequent der von den Deutschen losgetretene Krieg erst das Ausland und dann auch Deutschland verheerte. Nicht exotische Trampeltiere, sondern das Leiden der Zivilbevölkerung wird thematisiert. Und dann noch die Frage: Wie soll die Zukunft aussehen. 42. O-Ton Amendt Die Tafeln haben ein Echo hervorgerufen, weil, Opfer-und- Täter-Frage, da irgendwie einen Zeigefinger zu heben, einen moralischen, das haben wir nicht gemacht. Und da gab's ein interessantes, positives Echo fast von allen Seiten. Und wir sind gespannt, wo sie aufgestellt werden. Am Schönsten wäre es - glaube ich - hier auf der Kriegsgräberstätte. Am besten wäre es, wenn die ganze Geschichte hier mal einen Raum finden würde, wo exemplarisch mal gezeigt wird, was Krieg wirklich bedeutet. Autor Gesprächsweise entwickeln Amendt und ich den Gedanken eines Geschichtspavillons als Kontrapunkt zur Divisionsehrenstätte - aber wer soll das bezahlen? Auf dem Friedhof, auf dem wir stehen, hat Clemens Amendt schon einmal mit Schülern und Lehrern eine Aktion gemacht. An deren Ende hatte jeder von ihnen vor einem der Namenssteine gestanden, unter denen jeweils zwei Tote liegen. Die Daten auf den Steinen geben an, dass viele mit 18 oder 19 Jahren im Krieg ums Leben kamen. Noch vor 15-20 Jahren hätte angesichts der Toten die Parole gelautet "Nie wieder Krieg!". Aber die Zeiten haben sich geändert. Einige der Jugendlichen, die in diesem Jahr am Franziskus-Gymnasium das Abitur ablegen werden, werden in zwei oder drei Jahren vielleicht selbst irgendwo im Einsatz stehen. Wie sprechen Lehrer und Schüler heute miteinander? Es scheint Fragen zu geben - und offene Antworten. 43. O-Ton Amendt Wir als Lehrer müssen Fragen stellen, die die Schüler erreichen. Ich glaube, die persönliche Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen, mit Erfahrungen, diesem Diskurs sich zu stellen, der ist, glaube ich, sehr fruchtbar. Das sind Fragen, die so aktuell sind, das haben die Schüler auch gespürt. Wenn wir in drei Jahren vor der Verantwortung stehen: was mache ich ... bin ich Bundeswehrsoldat? In welcher Linie stehe ich? Schlussmusik - darüber: Sprecher: Auf den Spuren der Schlacht Der Hürtgenwald in der Eifel Das war eine Deutschlandrundfahrt von Paul Stänner Regie: Karena Lütge Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014 Manuskript und das Audio zur Sendung finden Sie im Internet unter deutschlandradiokultur.de 1