COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 9. Juli 2009 Redaktion: Peter Kirsten Strahlende Finsternis Lichtverschmutzung in Deutschland Von Uwe Springfeld Sprecherin: Man zeigt, was man hat. Deshalb strahlt man es hell an. Monumente wie das Brandenburger Tor, der Eiffelturm, das weiße Haus in Washington, den Kreml auf dem Roten Platz in Moskau. Auch Dorfkirchen rückt man ins rechte Licht. In Syke beispielsweise, zwischen Bremen und Hannover gelegen, in Bonnieux im französischen Departement Vaucluse, 80 Kilometer nördlich von Marseille und im Dänischen Herning auf Jütland. Hinzu aufwändig renovierte Privathäuser. Eines, das sich "weißes Schloss" nennt und in der Arndtstraße, Berlin-Kreuzberg liegt. Andere, wiederum in der französischen Provence östlich von Avignon, dem Refugium von Bankern, Schauspielern und anderen Leuten mit sehr, sehr viel Geld. Sie alle sonnen sich im Schein eigens installierter Beleuchtungen. take 1. (Hänel-9; 0:20) Was ich festgestellt hab ist, dass man immer wieder einfach meint, man macht Licht. Dass man sich nicht genauer mit dem Medium auseinandersetzt. Dass man sich überlegt, wo brauche ich wirklich Licht, muss alles drei vier fünffach beleuchtet sein von verschiedenen Seiten, von verschiedenen Leuchten, brauche ich das Licht die ganze Nacht, wie viel Licht brauche ich die ganze Nacht. Sprecherin: Man irrt. Man muss nicht alles und jedes anstrahlen. Im Gegenteil. Mehr Lebensqualität braucht oft weniger. Weniger Blendung, weniger Störung, weniger - Lichtverschmutzung. Musik: Und der Haifisch, der hat Zähne, // und die trägt er im Gesicht. // Und Mackeath, der hat ein Messer, // doch das Messer sieht man nicht. Denn die einen stehn im Dunkeln // und die andern stehn im Licht. // Und man sieht nur die im Lichte, // die im Dunkeln sieht man nicht. Sprecher: Eins. Das Licht der Sterne. Ist der Leiter des Planetariums Osnabrück, der Astronom Andreas Hänel, ein unverbesserlicher Romantiker, wenn er inmitten einer Großstadt den Sternenhimmel sehen will? take 2. (Hähnel-1; 0:25) Wir haben nachts natürliches Licht, in ner hellen Vollmondnacht ist es der Vollmond oder wenn es ganz dunkel ist, sehen wir vielleicht die Polarlichter oder das Airglow, das Sternenlicht - das sind die natürlichen Lichtquellen, und künstliches Licht verschmutzt eben diese natürlichen Lichtquellen. Das ist genau so ne Definition, wie man es bei der Luftverschmutzung hat, bei der Wasserverschmutzung, Bodenverschmutzung, ist genau die gleiche Thematik. Sprecherin: Einst waren Sternwarten und astronomische Beobachtungsposten Leuchttürme der Aufklärung. Die Epoche wissenschaftlicher Erkenntnis, die man im Englischen Enlightment und im Französischen Siècle des Lumière nennt: Das Zeitalter des Lichtes. Dessen erste Forscher ließen sich von Sternen erleuchten. Mitte des 17. Jahrhunderts stieg beispielsweise Edward Halley Nacht für Nacht die steilen Stufen zum Dach seines Wohnhauses im Zentrum Oxfords hinauf um den Sternenlauf zu beobachten, bis er irgendwann in der Dunkelheit den nach ihm benannten Kometen entdeckte. Auch Wilhelm und Caroline Herschel beobachteten von daheim aus den Nachthimmel. In ihrer Heimatstadt Bath im Südwesten Englands war es Ende des 18. Jahrhunderts so dunkel, dass sie den Planeten Uranus erkennen konnten. Sprecher: Heute schickt man Astronomen mit ihren Beobachtungen in die Wüste. Buchstäblich. Mit dem von europäischen Forschungseinrichtungen betriebene Paranal-Observatorium in der Atacamawüste Chiles. Oder man jagt die Astronomen auf Berggipfel. Zum Beispiel auf dem Mauna Kea auf Hawaii. Oder man verbannt deren Beobachtungsinstrumente gleich ganz von der Erde. Wie das Weltraumteleskop Hubble. Heute sind die Observatorien von Paris, Greenwich und Potsdam nur noch Geschichte. Museen der Wissenschaft. Staubfänger der Erkenntnis. Von dort aus kann man kaum noch Sterne am Himmel erkennen. Der Lebensstil der Großstädte hat ein neues Zeitalter der Erleuchtung aufziehen lassen. Eine Erleuchtung, die die astronomische Erkenntnis ausblendet. take 3. (Hänel-4; 0:21) Ich bin also letztlich zum Beispiel in Berlin gewesen, hab vorher im Naturpark Havelland ne Nacht vorher beobachtet - Das war ne phantastisch dunkle Nacht - Aber selbst in dieser Entfernung, 70 Kilometer, war im Osten ne riesengroße Lichtglocke von Berlin zu sehen - Daran sieht man also, 70/100 Kilometer wirkt so ne Großstadt hinaus in die Umwelt. Sprecherin: Kleine Physik des Lichtes. Man erfährt viel über die Natur des Lichtes, wenn man abends am Trocadero in Paris deutsche Touristen beim Fotografieren des Eiffelturms beobachtet. Die Illumination ist noch nicht eingeschaltet, fürs Fotografieren ist es aber schon zu dunkel. Doch der Eiffelturm selbst steht nur einen knappen Kilometer vom Trocadero entfernt und die Sicht ist gut. Man möchte diesen Augenblick gerne für die Erinnerung festhalten. Also versucht man es mit Blitzlicht. Und stellt fest: Zwar reiben sich die Menschen in der Nachbarschaft des Fotografen plötzlich ihre schmerzenden Augen, aber auf dem Display der Digitalkamera sieht man nur Schwarz. Sprecher: Man meint, der Lichtblitz vertreibe die Dunkelheit vor der Kameralinse. Man glaubt, das Blitzlicht mache so den Weg des Bildes in den Fotoapparat frei. Diese Vorstellung ist grundfalsch. Die Dunkelheit ist kein schwarzes Tuch, das vom Blitz beiseite gerissen wird wie der Bühnenvorhang vor den Brettern, die die Welt bedeuten. Das Blitzlicht reicht nicht so weit, als dass es das Objekt hell genug anstrahlen könnte. Das Licht, so lernt man es in der Schule, besteht aus elektromagnetischen Wellen. Diese Wellen werden wie Strahlen von der Abendsonne ausgesandt. Sie stoßen einige Lichtminuten später auf den Eiffelturm und prallen dort wieder ab. Einige dieser Strahlen landen direkt im Auge des Betrachters. Andere werden von der Kamera aufgefangen. Die meisten von ihnen fliegen jedoch irgendwo in der Weltgeschichte herum. Nur die wenigen Lichtstrahlen, die vom Eiffelturm reflektiert wurden und anschließend in der Kamera landen, erzeugen das Bild. Nur die Strahlen, die im Auge des Betrachters enden, lassen ihn das stählerne Wahrzeichen von Paris erkennen. In der Abenddämmerung sind das entsprechend weniger als am lichten Tag. Fällt kein vom Eiffelturm reflektiertes Licht ins Auge des Betrachters, sieht er das Wahrzeichen von Paris nicht. Fällt das Licht nicht in die Kamera, gibt es dort kein Bild. Sprecherin: Luft ist kein durchsichtiges Nichts, das von Industrie- und Autoabgasen angereichert unsere Lungen füllt. Die Luft besteht aus ungezählten Molekülen. Diese Moleküle wirken genau so im Kleinen wie der Eiffelturm im Großen. Das Licht prallt dagegen, saust kreuz und quer, hin und her, bis es wieder im Auge des Betrachters landet. Doch jetzt nicht mehr mit dem Bild des Eiffelturms, sondern diffus. Zerstreut. Durcheinander. Ohne irgendwelche Informationen. Aber als Störfaktor, sagt Andreas Hänel. take 4. (Hähnel-2; 0:19) Das ist das Hauptproblem: Das Licht, was direkt nach oben geht, von den Molekülen der Luft gestreut wird, und vor allem das Licht, das zur Seite hin gelenkt wird, in den Luftschichten gestreut wird, das sind die Hauptbeiträge, die zum sogenannten Lichtsmog, zur Aufhellung des Himmelshintergrundes beitragen. Sprecher: Lichtverschmutzung. In seinem 1973 erschienenen Artikel "The disapperance of darkness" - Das verschwinden der Dunkelheit - wies der US- amerikanische Astronom Kurt Riegel erstmals auf dieses Phänomen hin. Seitdem sind in einigen Regionen mit Sternwarten Schutzmaßnahmen getroffen worden. In manchen Gegenden der USA dürfen nur noch gelb scheinende Natrium- Niederdruckdampflampen die Straßen erhellen. Woanders schaltet man die öffentliche Beleuchtung nach Mitternacht einfach ab. Sprecherin: Ist das die Lösung des Problems? Soll man die gesamte öffentliche Beleuchtung abschalten, nur weil Astronomen Sterne beobachten wollen? Will man wieder finstere Durchgänge, nachtschwarze Nebenstraßen und gefährliche Parkanlagen schaffen, weil romantische Hans-Guck-in-die-Lüfte kein Polarlicht versäumen mögen? Hat man nur die Wahl zwischen Dunkelheit und Lichtverschmutzung? Musik: Gehe aus mein Licht. Sprecher: Zwei. Die Ökologie des Lichtes. Sprecherin: Welche Folgen hat die zunehmende Helligkeit der Städte? Sind Astronomen die einzigen Leidtragenden der Lichtverschmutzung? Oder gibt es weitere. Verschwindet im Kunstlicht nicht nur die Sternenwelt, sondern reagieren beispielsweise auch Tiere auf das Kunstlicht? Offensichtlich, meint jedenfalls der Zoologe Gerhard Eisenbeis von der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. take 5. (Eisenbeis-2; 0:24) In Hessen hat man beobachtet, dass Kranichschwärme auch notlanden mussten, durch eine Lichtglocke, und es wird berichtet, dass Vogelschwärme über beleuchteten Stadtgebieten vom Licht regelrecht eingefangen wurden. Und wie Insekten das an Leuchten tun, stark vom Licht beeinflusst werden und dann in ihrer Wanderung gestört werden. Sprecherin: Es gibt kaum wissenschaftliche Untersuchungen, wie genau Tiere auf die zunehmende Menge von Kunstlicht reagieren. Noch weniger wurden die Reaktionen höherer Tiere erforscht. Geschweige denn, dass man bislang genau wissen wollte, ob alle Tiere auf jede Art des Kunstlichts gleichermaßen reagieren. Unabhängig davon, ob es aus Glühlampen, Leuchtstoffröhren, LED's oder Metalldampflampen stammt. Sprecher: Wie in jedem Haushalt sich die Farbe des Lichtes je nach dem unterschiedet, ob sie aus einer Glühbirne, einer Energiesparlampe, einer LED- Taschenlampe oder aus einer Leuchtstoffröhre kommt, gibt es auch im öffentlichen Bereich vollkommen unterschiedliches Licht. Quecksilberdampflampen beispielsweise geben ein helles, als relativ warm empfundenes Licht, das dem der Sonne ähnelt. Natriumniederdruckdampflampen, die man von den Autobahnen Belgiens kennt, geben ein grellgelbes Licht, das jede andere Farbe schluckt. LEDs hingegen strahlen ein solch kühles Blauweiß ab, dass man damit Gefrierlager einer Großschlachterei ausleuchten möchte. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Lampen eine unterschiedliche Lichtausbeute haben. Was beispielsweise Quecksilberdampflampen mit 250 Watt elektrischer Leistung schaffen, das erreichen die unangenehm blauweiß leuchtenden LEDs mit 20 Watt. Auch die gelb leuchtenden Natriumniederdruckdampflampen sind äußerst energieeffizient. Doch auch deren Licht will niemand sehen. Und kaum einer will wissen, wie dieses Licht auf die Umwelt wirkt. Sprecherin: Wenn überhaupt fundierte Untersuchungen zur Lichtempfindlichkeit von Tieren angestellt werden, dann zumeist an Insekten, sagt Gerhard Eisenbeis, der zu seinen ersten Untersuchungen vom Verhalten simpler Eintagsfliegen angeregt wurde. take 6. (Eisenbeis-6; 0:23) Man kann beobachten: Die Tiere fliegen viele male um die Lampen herum, stürzen dann vor Entkräftung ab und die Weibchen legen dann ihre Eipakete auf die Straße und in der Literatur ist so ein Phänomen beschrieben worden als sommerliches Schneetreiben, weil die Straße weiß ist, dicht bedeckt ist mit toten Tieren. Sprecherin: Jährlich kommen etwa 150 Milliarden Insekten durch Deutschlands Straßenbeleuchtung um. Ein Drittel aller Tiere, die dem Licht auf den Leim gegangen sind, kann sich nicht mehr befreien. Eine einzige Straßenlaterne kann in einer Nacht aus 200 Meter Umkreis alle lichtempfindlichen Insekten töten. Bei Neumond reicht ihre Wirkung sogar 400 bis 700 Meter weit. Bei Vollmond sind es immerhin noch 50 Meter. take 7. (Eisenbeis-8; 0:26) Bei den normalen Straßenlampen verbrennen die Tiere nicht. Sie werden nur durch das Licht gebunden, fliegen lange, das kann ne Stunde sein, um die Lampe herum und dann sind sie irgendwann entkräftet, weil sie einen sehr starken Stoffwechsel haben. Verbrennungen kommen vor, bei extremen Strahlern, die für die Denkmalbeleuchtung eingesetzt werden. Sprecherin: Für seine Untersuchungen wählte Gerhard Eisenbeis den Fleher Deichweg in Düsseldorf. Ein asphaltierter, von Linden gesäumter Weg am Rheinufer, der bevorzugt von Freizeitsportlern wie Skatern und Joggern genutzt wird. Dort testeten die Stadtwerke Düsseldorf sechs verschiedene Lampentypen mit ebenso vielen verschiedenen Lichtsorten. Deren Auswirkungen auf nachtaktive Insekten wollte Eisenbeis erforschen. take 8. (Eisenbeis-7; 0:26) Ziel war, Fallen, die für Lichtfang geeignet sind, im Lichtkegel der Lampen so aufzuhängen, dass ein Teil der Insekten, die in einer Nacht die Lampe anfliegen, in der Falle landet. Die Tiere werden im Fangbehälter gesammelt, wir brauchten die Tiere, um sie auszuzählen, und es ging darum, eine ganz normale Lichttechnik zu adaptieren für einen praxisnahen Versuch. Sprecherin: Die Daten wertete der Wissenschaftler mit statistischen Methoden aus. Das erste Ergebnis: Hauptsächlich Zweiflügler und Nachtfalter tappen in die Lichtfalle. Zweiflügler kennt man als Mücke und Fliege. Weniger bekannt ist, dass beileibe nicht jede Fliege nervt und nicht jede Mücke sticht. Allein in Deutschland gibt es 3.670 verschiedene Mückenarten und 5.513 verschiedene Fliegenarten. take 9. (Eisenbeis-11; 0:25) Quecksilberdampflampen hatten den stärksten Anflug. Es folgte Metallhalogen mit 80 Prozent Anflug, dann Leuchtstoffröhren mit ca. 50 Prozent, dann kam Natriumdampf-Hochdrucklicht mit 52 Prozent weniger Anflug, dann die LEDs und die LEDs hatten einen Minderanflug von 80 Prozent. Sprecherin: Dieses Ergebnis fördert ein Problem zu Tage. Schonend für die Insektenwelt ist ausgerechnet das Licht, das Menschen als unangenehm empfinden. Das kalte blauweiß der LEDs und das grelle Gelb der Natriumdampflampen. Angenehm hingegen wirkt das weiße Licht der Metallhalogen- und der Quecksilberdampflampen, das die Insekten jedoch wie ein Staubsauger ansaugt. Sprecher: Soll man tatsächlich auf angenehmes Licht verzichten, weil es schädlich ist für ein paar Eintagsfliegen und Stechmücken? Früher hat man sie auch nicht gepflegt. Im Gegenteil. Man griff zu Fliegenklatsche und Leimrute, wenn einen das feindliche Gesumme nachts wach gehalten hat. Jetzt summt schon lange nichts mehr. Kann man deswegen heute besser schlafen? Musik: Männer umschwirrn mich // wie Motten das Licht // und wenn sie verbrennen // dafür kann ich nichts...Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt // ja, das ist meine Welt // und sonst gar nichts Sprecher: Drei. Die Erleuchtung. Licht für den Menschen. Sprecherin: Wer etwas auf sich hält, macht Licht. Wer gesehen werden will, macht Licht. Wer Aufmerksamkeit haben will - Lichtdesigner gehen zu Werk. In ihrem Publikationsorgan "Professional Lightning Design" sprechen sie von visueller Poesie und loben das Beleuchtungskonzept des High Line Parks in lower Manhatten, New York City. Wo einst eine Hochbahn entlangfuhr, wird jetzt der Schienenstrang durch LED-Leuchten nachempfunden. Ebenso loben sie die Octávio Frias de Oliveira Hängebrücke in Sao Paolo. Blaugrüne Scheinwerfer färben hauchdünne Stahlseile - und den Nachthimmel. Sie machen aber, so das Zentralorgan der Lichtgestalter, jede Überquerung zu einem Erlebnis. Und Lichtdesigner preisen, mit welch einfachen Mitteln blaue Lichtwellen auf einem Parkhaus im walisischen Cardfiff gezaubert wurden. Sprecher: Lichtdesign ist Ökologie für den Menschen. So argumentiert der Mitbegründer der Professional Lightning Association, Joachim Ritter. Denn Menschen orientieren sich an vertikalen Linien und Kanten. Nachts würden aber nur Flächen angeleuchtet, Straßen, Gehwege und Plätze. Gegen dieses Gefühl des großstädtischen Verlorenseins üben sich Lichtdesigner in luzider Raumgestaltung. take 10. (Ritter-2; 0:23) Deshalb versuchen Lichtdesigner, Umfeld so zu gestalten, dass wir über Kontraste, Licht-Schatten-Effekte, Tiefen von Fassaden herauszuarbeiten. Oder Räume zu definieren. Dass alles nicht nur einfach platt ist, sondern dass man wirklich weiß, wo gibt es eine Dreidimensionalität, wo ist das Ende der Architektur, wo ist nicht ein Loch, sondern wo sind Raumdefinitionen. Sprecherin: Unterstützt Lichtdesign lediglich den angeborenen Orientierungssinn des Menschen mit ästhetischen Mitteln? Ist Lichtdesign ein zutiefst ökologisches, auf die Spezies Mensche bezogenes Vorhaben? Muss man daher die toten Insekten als Kollateralschaden betrachten? Und ist der kleine Beitrag zur Lichtverschmutzung, von der ohnehin zwei Drittel von der Straßenbeleuchtung verursacht werden soll, eine hinnehmbare Nebenwirkung solcher ästhetisch-ökologischer Orientierungshilfen? Wie ist die öffentliche Beleuchtung in Städten geregelt? Sprecher: Für die etwa acht Millionen Straßenlampen in Deutschland beschreibt die DIN 1301, wie hell sie Gehwege, Neben- und Hauptstraßen, Kreuzungen und Verkehrstunnel beleuchten müssen. Fünf Lux für Gehwege, zwanzig Lux für Nebenstraßen, 300 Lux für Tunnel. Für private Lichtinstallationen gibt es keine solche Norm. Deshalb entwickelten einige Städte wie beispielsweise Hamburg und Düsseldorf nach Vorbildern von Lyon und Paris einen Lichtmasterplan. Auf dessen Grundlage entscheidet in Düsseldorf beispielsweise das Amt 61 über Zulassung und Nicht-Zulassung der Installation. Die Rheinmetropole habe sich für ein leicht restriktives Vorgehen entschieden, die Landeshauptstadt von Nordrhein Westfalen solle kein zweites Las Vegas werden, heißt es. Andere Städte sind freizügiger. In Berlin beispielsweise feiert man einmal im Jahr ein von der privaten City Stiftung gefördertes und hauptsächlich von einem Immobilienfonds gesponsertes Festival of Lights. Dabei würden, so die Veranstalter mehr als 50 Berliner Gebäude und Wahrzeichen mit einem Feuerwerk aus Illuminationen und Projektionen in Szene gesetzt. Kein Wunder also, dass Großstädte heute knapp einhundert Kilometer in die Umgebung leuchten und selbst in Buckow im Märkisch-Oderland der Sternenhimmel nicht mehr so hell scheint wie einst. Sprecherin: Dient Lichtdesign nur der Orientierung des Menschen? Fällt dabei die Tatsache überhaupt nicht ins Gewicht, dass hinter angestrahlten Stahltrossen und bodenbeleuchteten Parks die Umgebung unkenntlich in tiefschwarze Nacht versinkt? Ist die Blendung der Stadtmenschen das größte Übel, das vom Kunstlicht ausgeht? Oder gibt es schlimmeres. Geht das Kunstlicht auch an die menschliche Gesundheit? Sprecher: Die Auswirkung des Kunstlichtes auf den Menschen hat der Leiter der Arbeitsgruppe "Schlafforschung & Klinische Chronobiologie" am Institut für Physiologie des Universitätsklinikums Charité in Berlin, der Mediziner Dieter Kunz, untersucht. take 11. (Kunz-16; 0:26) Vor zirka 30 Jahren hat eine amerikanische Studie erstmalig zeigen können, dass Licht einen Einfluss hat auf den Menschen - indem sie hat zeigen können, dass wenn man nachts sehr helles Licht einem Menschen, einem Probanden, dass dann die nächtliche Hormonproduktion von Melatonin runtergeht und zwar bis auf Null innerhalb von 30 Minuten. Sprecherin: Melatonin. Das Schlafhormon. Ist der Mensch wach, liegt sein Melatoninspiegel bei Null. Schläft ein Baby tatsächlich so sanft, wie es das Sprichwort vermuten lässt, ist sein Melatoninspiegel auf das hundertfache angestiegen. Bei einem normalen Menschen mit all seinen kindlichen Ängsten und alltäglichen Sorgen vor einer dunklen Zukunft liegt der Melatoninspiegel im Schlaf immer noch beim zehn- bis zwanzigfachen. Ist man alt und schläft sowie so nicht mehr so gut, weil sich vielleicht ein großer Teil der dunklen Zukunft in ein unerfülltes Leben gewandelt hat, zeigt sich das auch hier im Melatoninspiegel: nur noch das fünffache der Wachdosis zeigen die Messinstrumente an. Sprecher: Wie sich Kunstlicht auf den Schlaf des Menschen auswirkt? Für seine Untersuchungen bat Dieter Kunz ganz gewöhnliche Menschen um Unterstützung. Eine Woche lang sollten sie mit der Genauigkeit eines Schweizer Uhrwerks zur selben Zeit ins Bett zu gehen. Auf diese Weise synchronisierten die Versuchspersonen ihre innere Uhr. Ansonsten sollten sie ihre Tage so verbringen wie bisher. Beispielsweise als Studenten Vorlesungen besuchen und ihren Nebenjobs nachgehen, aber nicht zu lange Party machen. Andere gingen ihren gewöhnlichen Tätigkeiten nach. Büro, Einkaufen, Putzen, am frühen Abend mal ins Kino oder kurz in die Kneipe. Nach dieser Woche bat Dieter Kunz die Versuchspersonen abends in sein Schlaflabor. Das Labor selbst ist eingerichtet wie ein gewöhnliches Krankenzimmer. Ein Bett, ein Nachtschrank, ein paar Bilder an den weißen Wänden, ein Decken- und ein Leselicht. Sonst nichts. Dort konnten die Versuchspersonen bei abgedimmtem Licht lesen, ein Feature auf ihrem MP3-Player hören oder einfach nur aus dem Fenster schauen und den Tag Revue passieren lassen. Dann, vor dem Schlafengehen, passierte es. Beim Zähneputzen wurde das Licht noch einmal voll aufgedreht. Vor dem Badezimmerspiegel fanden sich die Versuchspersonen im grellen Neonlicht wieder. take 12. (Kunz-23; 0:24) Die Untersuchungen, die wir durchgeführt haben, scheinen zu zeigen, dass die neue Melatoninproduktion um 50 bis 70 Prozent gesenkt wird. Das bedeutet, dass, das ist aber noch Hypothese, das haben wir noch nicht untersucht, nach ca. einer Stunde oder nach eineinhalb Stunden Melatonin auf Null wäre, wenn man die Beleuchtung weiterführen würde. Sprecher: Licht regt an, Licht regt auf. Licht macht wach, Licht macht hektisch. Wer es noch nicht wusste, erfährt es durch die Studie von Dieter Kunz. Allerdings hat zugegebenermaßen das Untersuchungsdesign einen kleinen Haken. Der Wissenschaftler untersuchte, wie sich die Beleuchtung in geschlossenen Räumen auswirkt und nicht auf der Straße. Hier liegt es in den Händen jedes Einzelnen, ob man sich vor dem Schlafengehen noch einmal grell bescheinen lässt oder sich lieber im Dämmerschein fürs Bett bereit macht. Schlüsse auf die Beleuchtung im öffentlichen Raum sind nur bedingt möglich. Weitergehende Untersuchungen sind dringend erforderlich. Denn große Änderungen stehen bevor. Wie für den privaten Bereich herkömmliche Glühbirnen sollen im öffentlichen Raum die Quecksilberdampflampen verschwinden. Als Ersatz favorisiert man die in grellem Blauweiß leuchtenden LED's. Heutige Forschungen, diesem kalten Licht einen wärmeren Farbton beizumischen, sollten intensiv vorangetrieben werden. take 13. (Kunz-24; 0:23) Die Konsequenz aus unserer Studie wäre, dass in Zukunft man im Hausbereich auf jeden Fall eine Beleuchtung hätte, die wenig Blauanteile hat, das heißt, die wenig kaltweiß ist, sondern eine warmweiße Beleuchtung. Denn die Beeinflussung der Physiologie passiert hauptsächlich über Photorezeptoren, die auf blaues Licht reagieren. Sprecher: Die Studie von Dieter Kunz gibt erste Hinweise auf die gesundheitlichen Auswirkungen, wenn man sich ins falsche Licht gesetzt hat. take 14. (Kunz-25; 0:25) Wir gehen heute davon aus, dass Schlafstörungen zu Störungen in jedem bereich der Medizin führen. Am deutlichsten nachgewiesen worden ist das gerade für das metabolische Syndrom, und das metabolische Syndrom beinhaltet Störungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Fettleibigkeit. Musik: Geh'n sie aus, vorm Stadtpark die Laternen // bliebt uns zwei der Sternenschein // und ich seh' auch ohne die Laternen // dir ganz tief ins Herz hinein. Sprecherin: Schluss. Licht macht wach. Licht macht hektisch. Das ist sicher. Aus dieser Hektik resultiert ein großer Unterschied in der Wahrnehmung von Helligkeit und Dunkelheit. Knipst man im Dunkeln eine Lampe an, zieht sich augenblicklich die Pupille zusammen und schon Bruchteile von Sekunden später kann man seine Umgebung erkennen. Willentlich kann diese "Pupillenreflex" genannte Reaktion nicht gesteuert werden. Sie ist derart tief im vegetativen Nervensystem verankert, dass Notärzte beispielsweise anhand dieser Reaktion direkt an einem Unfallort entscheiden, ob eines der Opfer gestorben ist oder noch lebt. Sie leuchten dem Patienten mit einer Taschenlampe direkt ins Auge, die Pupille zieht sich zusammen, dann ist es nicht so schlimm wie es aussieht. Für die Abstimmung mit dem Dunklen braucht der Mensch Zeit. Viel Zeit. Und Geduld. Tritt man aus einem hellen Zimmer ins Dunkle, passt sich das Auge erst nach zwanzig bis dreißig Minuten an. So viel Geduld bringt heute kaum noch jemand auf. Deshalb greift man auch in einer hellen Vollmondnacht beim Spaziergang zur Taschenlampe. Man wirft ein Schlaglicht auf den Weg und meint, die Welt zu erkennen. Aber man irrt. Man irrt vollkommen. Man blendet die Welt außerhalb des kleinen Lichtkegels vollkommen aus. take 15. (Hähnel-10; 0:21) Licht soll etwas beleuchten, was beleuchtet werden soll. Die Lichtquelle soll möglichst nicht zu sehen sein. Wenn man diese Grundprinzipien beherzigt, dann kann man viel erreichen, dass die Lichtverschmutzung reduziert wird, dass das Licht ungenutzt nach oben geht. Ganz nebenher hat man noch den Effekt, dass man damit viel Energie und damit natürlich auch viel Geld einsparen kann. Sprecher: Man muss nicht alles und jedes anstrahlen. Im Gegenteil. Mehr ist manchmal weniger. Weniger Blendung, weniger Störung, weniger - Lichtverschmutzung. 1