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Antje Krogs südafrikanische Erfahrungen Von Friederike Wyrwich Musik Wile, wile, Skhandamayeza Sprecher 1: Was die Sterne sagen die Sterne ergreifen dein Herz denn die Sterne hungern nicht wenig nach dir! die Sterne tauschen dein Herz mit einem Sternenherz die Sterne ergreifen dein Herz, - und geben dir ein Sternenherz dann wirst du nie wieder hungern denn die Sterne sagen: ?tsau! tsau!? und die Buschmänner sagen die Sterne [verhexen] die Augen des Springbocks die Sterne sagen: ?tsau!? sie sagen: ?tsau! tsau!? sie [verhexen] die Augen des Springbocks ich bin den Sternen lauschend aufgewachsen: die Sterne sagen: ?tsau! tsau!? es ist immer Sommer wenn du die Sterne ?tsau!? sagen hörst (A. Krog, The stars say ?tsau?, Cape Town 2004, Übersetzung: Robert Schall) Sprecherin 1: Die südafrikanische Schriftstellerin Antjie Krog hat diese Erzählung eines Buschmannes in Gedichtform gebracht. O-Ton Antjie Krog: If you go to the records of some of the Bushmen groups (?) but that you are completely interconnected to nature. Übersetzung Sprecherin 2: Wenn Sie sich die Zeugnisse einiger Buschmann-Gruppen ansehen: Da finden Sie eine komplexe Kosmologie, eine Ganzheitlichkeit, die Ihnen den Atem nimmt! Nicht nur dass die Menschen zutiefst miteinander verbunden sind, sie sind auch mit der Natur völlig eins. Sprecherin 1: Als Buschmänner werden die südafrikanischen Ureinwohner bezeichnet, deren Sprache und Kultur heute ausgestorben ist. Lediglich einige ihrer Legenden und Mythen hat der deutsche Sprachwissenschaftler Wilhelm Bleek im 19. Jahrhundert schriftlich festgehalten. Antjie Krog sieht in der Hinterlassenschaft der Buschmänner entscheidende Voraussetzungen für den Versöhnungsprozess in Südafrika. Im September 2004 hält sie die Eröffnungsrede des Internationalen Literaturfestivals Berlin. Darin bestreitet sie, dass die Versöhnung zwischen Schwarzen und Weißen in Südafrika ein Wunder sei. Auch wenn sie, besonders von Weißen im Westen, immer wieder so bezeichnet wird. Atmo Literaturfestival: Applaus O-Ton Antjie Krog: Important academics, philosophers bring the notion of forgiveness into the realm of evil (?) Why would people praise and support something they themselves would never dream of doing? Übersetzung Sprecherin 2: Bedeutende Köpfe rücken also den Begriff des Verzeihens in den Horizont des Bösens, des Wunders, oder des Vergessens. Folglich sehen sich die Schwarzen Südafrikas mit einem Widerspruch konfrontiert: Auf der einen Seite hält man ihre Vergebungsbereitschaft für primitiv, inkonsequent, verrückt. Auf der anderen Seite wird ihnen Lob und Bewunderung zuteil, gerade seitens jener Völker, die selbst ein ähnliches Verhalten niemals ins Auge fassen würden. Frankreich beispielsweise spendete Millionen an die südafrikanische Wahrheitskommission, während es zur gleichen Zeit den Kriegsverbrecher Maurice Papon vor Gericht stellte. Dasselbe Amerika, das unmittelbar nach dem 11. September 2001 Vergeltung übte, ließ der Wahrheitskommission ebenfalls Gelder in Millionenhöhe zukommen. Wie ist es zu erklären, dass der Versöhnungsprozess in Südafrika soviel Beifall und Unterstützung gerade bei Leuten findet, die selbst nicht im Traum an Versöhnung denken? Sprecherin 1: In der Tat scheint das Versöhnungsmodell Südafrikas kaum denkbar für ? etwa - die letzten Kriegsverbrecher-Prozesse des Zweiten Weltkriegs. Oder aber anwendbar auf den vor kurzem festgenommenen Radovan Karadzic, politischer Drahtzieher des Massakers an Tausenden muslimischen Männern in Srebrenica. Und dennoch: Antjie Krog glaubt aufgrund ihrer Erfahrungen an die Umsetzbarkeit dieses Modells - auch jenseits der südafrikanischen Grenzen. Atmo Abendkolloquium: Applaus The presentation will take exactly one hour and ten minutes if nothing goes wrong. O-Ton Antjie Krog: The first quote I want to share with you is by Cynthia Ngewu. (?) then I support it all. Übersetzung Sprecherin 2: Das erste Zitat, dass ich Ihnen vorlesen will, ist von Cynthia Ngewu. Der Sohn von Cynthia Ngewu ? Christopher Piet ? war einer von sieben jungen Männern, die von den Sicherheitskräften in einen Hinterhalt gelockt wurden. Einer der Mörder beantragte bei der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission Amnestie und äußerte den Wunsch, mit den Müttern der sieben getöteten jungen Männer zu sprechen, um sie um Vergebung zu bitten. In einer besonderen geschlossenen Sitzung, die sich länger als einen Tag hinzog, wurde ihm schließlich vergeben. In einem Interview beschrieb Cynthia Ngewu danach ihre Meinung zum Thema Versöhnung wie folgt: Diese Sache, die man Versöhnung nennt... wenn ich sie richtig verstehe ... wenn sie bedeutet, dass der Täter, dieser Mann, der Christopher Piet getötet hat ... wenn es bedeutet, dass er wieder menschlich wird ... dieser Mann ... so dass ich... und dass alle von uns ... unsere Menschlichkeit wieder zurückbekommen ... dann stimme ich dem zu ... dann unterstütze ich sie voll und ganz. Sprecherin 1: Antjie Krog im Frühling 2008 als Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin ? in der Geburtsstadt Wilhelm Bleeks, dem sie die Hinterlassenschaften der Buschmänner verdankt. Von 1996 bis 1997 arbeitete sie als Leiterin des südafrikanischen Rundfunk-Reporter-Teams bei der Wahrheits- und Versöhnungskommission ihres Landes. Sie hat ein preisgekröntes Buch über die Wahrheitskommission veröffentlicht ? ?Country of My Skull? (etwa Land meines Schädels) ? das mit Juliette Binoche in der Hauptrolle verfilmt wurde. In Südafrika gilt sie mit diesem Prosawerk einigen als Ikone der Aufarbeitung der Apartheidverbrechen. Andere ? vor allem weiße Afrikaaner ? halten sie für eine Verräterin. O-Ton Antjie Krog: I was born on a farm near Kroonstad. (?) and have good contact and my brothers are still there, my mother is still alive, to old to the rural areas of South Africa. Übersetzung Sprecherin 2: Ich wurde auf einer Farm in der Nähe von Kroonstad geboren. Kroonstad ist ein kleines Städtchen mitten im Freistaat Oranje. Und der Freistaat ist sozusagen die Mitte Südafrikas. Ich war das älteste von fünf Kindern, und ich bin in Kroonstad zur Schule gegangen, ich bin nicht weit weg zur Universität gegangen und nachdem ich geheiratet hatte, sind wir wieder zurück nach Kroonstad gezogen und ich habe dort meine Kinder bekommen. Ich bin dort geblieben, bis sie im Grundschulalter waren, und dann sind wir nach Kapstadt gezogen. Ich hänge sehr an den alten, an den ländlichen Gebieten Südafrikas und habe guten Kontakt. Meine Brüder sind noch dort und meine Mutter lebt noch. Sprecherin 1: Die Veränderungen in ihrer burischen Heimatstadt zehn Jahre nach der Apartheid beschreibt Antjie Krog in ihrem 2003 in Johannesburg erschienenen Buch ?A Change of Tongue? (etwa: Eine Transformation.) Ein Mosaik von persönlichen Erinnerungen und fast schon journalistischen Texten. Musik Trommeln Sprecherin 2: ?Der Schuss ertönt. Sie lehnen sich in die Kurve. Aus der Gruppe der weißen Jungen löst sich die Figur eines schwarzen Kindes, aufrecht, seine Fingerspitzen mühelos nach oben gerichtet bei jedem Schritt. Auf der Geraden hat er schon einen riesigen Vorsprung und läuft mit der unwiderstehlichen Grazie eines Spitzensportlers. Die Menge im Pavillion ist auf den Beinen. Das schwarze Publikum schreit, drückt sich an die Brüstung. Die weißen Eltern jubeln, einer wirft seinen Hut in die Luft, und auf der Ziellinie schreit sich eine weiße Linienrichterin die Kehle aus dem Hals. ?Warum sind alle glücklich?? Ich frage einen Mann im Trainingsanzug neben mir. Er trägt einen schlabbrigen Armeehut und Turnschuhe. Der Sonnenbrand auf seiner Stirn lässt mich vermuten, dass er Farmer ist. ?Die Schwarzen sind glücklich, weil es ein schwarzes Kind ist, das die Weißen schlägt. Die Weißen sind glücklich, weil das schwarze Kind, das gewonnen hat, auf eine weiße Schule geht und dort trainiert wurde.? Es ist das Leichtathletiktreffen des Distrikts Kroonstad. Die Veranstaltung läuft genau nach Plan. Ansagen gibt es auf Afrikaans und Sesotho. Die meisten Linienrichter sind schwarz, und jeder scheint sehr vertraut mit den Ritualen des Entfernung-Messens und Zeit-Notierens, mit den Fahnen, Startpistolen und Funkgeräten. ?Das war nicht immer so?, sagt der Mann im Trainingsanzug, ?aber wir haben es weit gebracht.? (A.Krog, A Change of Tongue, Johannesburg 2003, Übersetzung: Friederike Wyrwich) O-Ton Antjie Krog: One?s childhood in the rural areas would always be cut in two. (?) Or that they had an effect on you. Übersetzung Sprecherin 2: Eine Kindheit auf dem Lande spielte sich immer in zwei getrennten Welten ab. Du hattest deine Familie, die Freunde, die Freunde deiner Eltern, die Kinder. Ich komme aus einer sehr großen Familie, die sich oft getroffen hat und wo es jede Menge Diskussionen und Geschichten gab. Ich bin also mit einer sehr starken mündlichen Tradition aufgewachsen. Die andere Hälfte: das war die schwarze Hälfte, die du getroffen hast, aber es zählte nicht, dass du da anderen Leuten begegnet bist. Es waren Menschen, die auf der Farm gearbeitet haben. Es gab zum Beispiel einen schwarzen Mann, der mit meinem Vater zusammen aufgewachsen war, viele Jahre lang der beste Freund meines Vaters. Dann hat er für meinen Vater gearbeitet. Er hatte eine Frau, und seine Kinder waren dann unsere Spielgefährten. Aber wenn man aufschreiben würde, was sich ereignet hat, wären sie nicht erwähnt worden. Sie wurden nicht bemerkt. Wir hatten überhaupt kein Bewusstsein für sie als Menschen, oder dass sie irgendeinen Einfluss auf uns hatten. Musik Wile, wile Skhandamayeza Sprecher 1: /Xam-Vorgefühle das Alphabet des Buschmanns ist in seinen Leib geschrieben die Buchstaben sprechen und sie bewegen sich die Buchstaben bewegen den Körper des Buschmanns er befiehlt allen anderen still zu sein er selbst ist absolut, vollkommen still dann spürt er wie sein Körper sachte im Inneren pocht ein Traum trügt ein Traum kann dich täuschen aber das Vorgefühl spricht die Wahrheit die pulsierende Ahnung die sagt: jemand kommt vor allem das [Pulsieren] in einer Wunde wenn du läufst und die Wunde zu [pulsieren] beginnt kannst du die Kinder zum Ausschauen schicken du weißt dein Großvater ist zu dir unterwegs das spürst du in der Wunde die Wunde sagt es dir oder wenn deine Rippen zu pochen beginnen dann greifst du zu deinen Pfeilen denn du fühlst die schwarzen Härchen auf den Rippen des Springbocks wenn du die Hänge des Brinkkopfs erkletterst schau genau hin zwischen die grünen Triebe der Bäume den Springbock hast du schon längst mit deinem Körper erspäht denn du fühlst wie Blut dir die Schenkel und Waden hinabläuft als trügest du schon den Springbock auf deinem Rücken als ob das Blut des Springbocks schon deine Schenkel beschmierte deshalb warte ich immer ganz still auf die Worte in meinem Körper (...) wenn ich es kribbeln fühle wie Flöhe weiß ich mein Leib hat Strauße gesehen wir liegen vor der Hütte wir liegen gegen die breiten Hänge des Brinkkopfs wir scheinen zu schlafen wir scheinen zu träumen aber in Wahrheit lesen wir unsere Körper wir spüren alles was sich da unten im Flachland bewegt alles was bei den Hütten vorbeizieht in den Kehlen unserer Knie entsteht ein Gefühl und dann warten wir und dann kommt dies alles zu uns ( A. Krog, The stars say ?tsau?, Cape Town 2004, Übersetzung: Robert Schall) Sprecherin 1: Erzählt von //Kabbo. Mitglied der /Xam oder: Buschmänner. Niedergeschrieben zwischen 1870 und 1875 von Wilhelm Bleek und in Gedichtform gebracht von Antjie Krog. Am Wissenschaftskolleg Berlin sucht die Schriftstellerin nach Spuren der ganzheitlichen Denkweise der Buschmänner auch in anderen afrikanischen Gedichten ? etwa der Zulu und der Xhosa. Denn dass ihre Philosophie überlebt hat - davon ist sie überzeugt. O-Ton Kolloquium: Now, what Mrs. Ngewu says is astonishing. (?) makes it possible for her to regain her full humanity. Übersetzung Sprecherin 2: Was Frau Ngewu sagt, ist erstaunlich. Erstens versteht sie, dass der Mörder ihr Kind töten konnte, weil er seine Menschlichkeit verloren hat. Zweitens geht sie davon aus, dass er mit einer Vergebung seine Menschlichkeit wiedergewinnen könnte. Drittens glaubt sie, dass der Verlust ihres Sohnes ihre eigene Menschlichkeit beeinträchtigt hat und dass mit seiner Menschlichkeit auch sie ihre volle Menschlichkeit zurückerhalten kann. Musik Aandgesang O-Ton Antjie Krog: If I think about the South African truth and reconciliation commission (?) We should look after ourselfs. Übersetzung Sprecherin 2: Wenn ich an die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission denke und an die Art, wie sie die Vergangenheit ans Licht geholt hat, dann denke ich auch an den Burenkrieg gegen die Briten, in dem die Briten Frauen und Kinder in Konzentrationslager gesteckt haben. 26.000 von ihnen ? ein Drittel der gesamten burischen Bevölkerung ? starb in den Lagern. Das ist nie öffentlich diskutiert worden. Keine Debatte darüber, was dort eigentlich genau passiert ist. Und so wurde daraus eine tief im Inneren eingeschlossene, eine internalisierte Mythologie. Afrikaaner fühlten und fühlen sich immer noch zutiefst bedroht. Wir wurden schon einmal fast ausgelöscht, mächtige Gruppen waren gegen uns, das könnte wieder passieren, aber niemand kümmert sich um uns. Also müssen wir uns um uns selbst kümmern! Musik Trommeln Sprecherin 2: In dem Moment, in dem die Demonstration weiter ging, bekam es einer der jungen Ochsen mit der Angst und rannte in die Polizeikette. Ein Hund brach los. Andere bellten wütend. Dann Schüsse, gebrüllte Befehle. Wir jagten auseinander quer durch die Nachbarschaft. In absoluter Panik rannten Hunderte von uns zu den nächsten Häusern. Vor mir fiel einer hin. Ich sah Blut. Einige sprangen katzfüßig über eine Asbestplatten-Mauer, andere tauchten zwischen und hinter Stacheldrahtzäune oder rissen Gartenzäune auf. Ich ging hinter jemands Holzstoß in Deckung. A whitey in a woodpile ? schoss mir durch den Kopf. Wie lange es dauerte, bevor mir klar wurde, dass alles ruhig geworden war, weiß ich nicht. Ich fand meinen Weg zurück zur Schule. Da warteten die anderen auf Schultischen, die sie nach draußen in die Sonne getragen hatten. Und sie lachten. Und zitterten. Und kicherten vor Schreck. Die Demo entdeckte, dass sie tausend Augen hatte. Jeder erzählte seine eigene Version. Drei waren verletzt, keiner war tot ? außer eine von Oom Piets Kühen. Wir schrien vor Lachen. Immer wieder erzählten wir uns die Ereignisse des Tages. Wir mussten uns berühren ? in Verwunderung, in Begeisterung. Wir streckten unsere Arme ins Sonnenlicht, wir schnüffelten die Winterluft. Jemand ging los, um Fettkuchen und Snoek zu kaufen. Sheridan lachte nervös: ?Miss Antjie - als ich auf den Boden geguckt habe - ich hab gesehen, wie Sie Gas gegeben haben mit Ihren Adidas ? der Schotter ist geflogen!? (A. Krog, A Change of Tongue, Johannesburg 2003, Übersetzung: Friederike Wyrwich) Sprecherin 1: Die afrikanische Bevölkerung ? wie etwa der Zulu und Xhosa ? entdeckte schon früh, dass die europäischen Eroberer über sie hinweg blickten und die eigenen moralischen Maßstäbe ihnen gegenüber schlichtweg vergaßen. Anfänglich gaben sie den hellhäutigen Neuankömmlingen noch freundliche Namen wie ?die, durch deren Augen der Wind bläst?. Später jedoch klangen die Synonyme für Weiße weniger schmeichelhaft. Etwa, wenn die Volksgruppe der Xhosa sie als ?die, die nicht teilen können? bezeichnete. Ein prominentes Beispiel für die Sichtweise der Schwarzen auf die europäischen Herrscher, die ihr Land besetzten, ist ein Loblied des Xhosa-Lyrikers Samuel Edward Krune Mqhayi auf den Prince of Wales. Es entstand 1925 anlässlich des Besuchs des Prinzen in King Williams Town und wird hier von Antjie Krog und der südafrikanischen Austauschstudentin Mbali Ndandani vorgetragen. O-Ton Mbali Ndandani/Antjie Krog: (Xhosa) Hail Great Britain! Here you come with a bottle in the one hand (?) and guns, which bend like knees. Übersetzung Sprecher 2: Heil dir, Großbritannien! Hier kommst du mit der Flasche in der einen und der Bibel in der anderen Hand; Hier kommst du mit einem Prediger, dem ein Soldat zur Seite steht; Hier kommst du mit Schießpulver und Patronen; Hier kommst du mit Kanonen und Gewehren, die sich beugen wie Knie. (S.E.K. Mqhayi, Übersetzung aus dem Xhosa: A. Krog K. Oosthuyzen, N. Saliwa, Übersetzung aus dem Englischen: Sophia Pick) Atmo Colloquium: Applaus O-Ton Antjie Krog: The people who fought for Apartheid (?) possibility to become fully human again. Übersetzung Sprecherin 2: Die Menschen, die für Apartheid gekämpft haben und die Menschen, die gegen sie kämpften, sagten im gleichen Forum aus. Sie saßen weinend neben einander. Das hat es noch nie gegeben! Die Menschen, die Opfer waren, vergaben den Tätern schon ehe sie um Vergebung baten. Die Menschen sagten: Ich möchte vergeben, aber ich weiß nicht wem. Ich vergebe, aber ich weiß nicht wem! Ich sage dir: Ich vergebe dir. Das alles wurde dem Christentum zugeschrieben. Die Leute sagten: Naja, 98 Prozent der Südafrikaner sind christlich, deshalb funktioniert es so gut. ... Ich glaube, sie irren sich... Ich glaube, die Grundlage, die Basis all dessen ist die afrikanische Weltsicht von der Ganzheitlichkeit, der gegenseitigen Verbundenheit der Menschen. Dass du dein Menschsein durch dein Leben erst aufbaust. Du kannst nicht durch dich selbst ein Mensch sein, du brauchst mich. Aber du brauchst mich als ganzen und vollständigen Menschen, damit du ein ganzer und vollständiger Mensch sein kannst. Wenn du dich also an mir rächst oder mich tötest, nimmst du dir damit deine eigenen Möglichkeiten, ein vollständiger Mensch zu werden. Also arbeitest du bei mir und an mir und mit mir, um mich wieder menschlich zu machen, und dann hast du die Möglichkeit, auch wieder ein vollständiges menschliches Wesen zu werden. Sprecher 1: Die gebrochene Saite Sprecherin 1: Erzählt von Diä!kwan, Mitglied der /Xam oder: Buschmänner. In Gedichtform gebracht von Antjie Krog. Sprecher 1: menschen waren es die mir die Saite zerbrachen deshalb ist dieser Platz so anders geworden für mich aus diesem Grund weil sie die Saite zerbrachen und ich den schwingenden Laut durch die Luft nicht mehr höre deshalb fühlt sich dieser Platz nicht mehr an wie er sich für mich einst angefühlt hat aus diesem Grund denn dieser Platz scheint einfach so vor mir offen zu stehen weil man mir die Saite zerbrach deshalb ist dieser Platz mir nun fremd aus diesem Grund (A. Krog, ?The stars say ?tsau?, Cape Town 2004, Übersetzung: Robert Schall) O-Ton Antjie Krog: If you go to the records of some of the Bushmen groups (?) It?s also that you can transform yourself into the other. Übersetzung Sprecherin 2: Wenn Sie sich die Zeugnisse einiger Buschmann-Gruppen ansehen: Da finden Sie eine komplexe Kosmologie, eine Ganzheitlichkeit, die Ihnen den Atem nimmt! Nicht nur dass die Menschen zutiefst miteinander verbunden sind, sie sind auch mit der Natur völlig eins. Die Sterne, die Sonne, der Wind ? alles hat einen Einfluss auf dich und du auf sie. Mein Bruder war der Wind, jetzt ist er hier und wenn er stirbt, wird er ein Vogel. Dazu gehört auch, dass Sie sich selbst in den anderen verwandeln können. O-Ton Antjie Krog: And if you look at the languages, especially Xhosa or Zulu (?) so that it is all interconnected and reflective and vibrating and receiving one another. Übersetzung Sprecherin 2: Und wenn Sie sich die Sprachen anhören, besonders Xhosa oder Zulu: Viele der Klick-Laute der Buschmänner wurden von den Xhosa und Zulu übernommen. Die Möglichkeit, dass sie mehr übernommen haben als nur die Klick-Laute, ist also durchaus gegeben. Dass sie die Vorstellung übernommen haben, dass es ein Höheres Wesen gibt, das für alles verantwortlich ist und dass es speziell so eingerichtet hat, dass alles miteinander verbunden ist und sich gegenseitig reflektiert und in Schwingungen versetzt und empfängt. Musik: Aandgesang Atmo Colloquium: Country of grief and grace Between you and me how desperately how it aches how desperately it aches between you and me Übersetzung Sprecherin 2: Land des Leids und der Gnade zwischen dir und mir wie verzweifelt wie es wehtut wie verzweifelt es wehtut zwischen dir und mir so viel Schmerz für die Wahrheit so viel Zerstörung so wenig blieb zum Überleben wohin gehen wir von hier? deine Stimme geschleudert im Zorn über die feste kalte Strecke unsrer Vergangenheit wie lange dauert es bis eine Stimme eine andere erreicht in diesem Land das immer noch zwischen uns blutet am Anfang ist Sehen eine Ewigkeit Sehen den Kopf mit Asche füllen keine Luft keine Ranke jetzt kommt zum Sehen das Sprechen hinzu und das Auge taucht ein in die Wunden des Zorns erfasst die Woge der Sprache bei ihrem weichen kahlen Schädel höre oh höre die Stimmen alle Stimmen des Landes alle getauft in Silben des Bluts und der Zugehörigkeit dieses Land gehört den Stimmen all derer die hier leben diese Landschaft liegt endlich zu Füßen der Geschichten von Safran und Bernstein Engelhaar und Stacheldraht Tau und Heu und Schmerz (...) durch dich liegt dieses Land nicht länger zwischen sondern in uns es atmet wieder ruhig nachdem es verwundet wurde an seiner wundersamen Kehle in der Wiege meines Schädels singt es entflammt es meine Zunge mein inneres Ohr die Herzenshöhle bebt auf den neuen Umriss zu in weichen vertrauten Schnalz- und Kehllauten ich bin verwandelt für immer ich will sagen vergib mir vergib mir vergib mir du dem ich Unrecht getan habe, bitte nimm mich mit dir (A. Krog, Down to my last skin, Johannesburg 2000, Übersetzung: Barbara Jung) Musik: Because of you/Zenzenina O-Ton Antjie Krog: One realized very early that if people cut themselves off (?) Haven?t they heard what happened before the truth commission? Übersetzung Sprecherin 2: Man hat sehr früh gemerkt, wenn Leute sich zurückzogen und beschlossen, sich das alles nicht mehr anhören zu wollen, dass sie dann das Land nicht mehr verstanden. Ich glaube, das ist ein Teil der ganzen Probleme, dass so viele Leute - sowohl Weiße als auch Schwarze ? nicht richtig hingehört haben. Und jetzt sind sie überrascht über bestimmte Dinge, die passieren. Und du denkst: Warum sind sie überrascht? Haben sie nicht gehört, was die Wahrheitskommission ans Licht gebracht hat? O-Ton Antjie Krog: People are deeply shocked about the high crime rate. (?) There are hundreds of examples like that. Übersetzung Sprecherin 2: Die Leute sind zutiefst schockiert über die hohe Kriminalitätsrate. Da willst du am liebsten sagen: Aber warum denn bloß? Habt ihr denn nicht gehört, dass es mindestens dreißig Jahre überhaupt keine Moral gab? Es war in Ordnung, Schwarze zu töten, aber keine Weißen? Es war in Ordnung, von Schwarzen zu stehlen, aber nicht von Weißen? Das ganze Land war amoralisch! Eine der erstaunlichsten Tatsachen für mich ist: Weiße haben nie gesagt, dass es falsch war, was sie getan haben. Dass es falsch war, aufgrund der Hautfarbe zu diskriminieren, das tut uns leid, bitte vergebt uns! Keiner von den Weißen hat sich bislang entschuldigt ... kein wichtiger, mächtiger weißer Mann. Es wurde einfach nicht gesagt. Jetzt sagen die Schwarzen: Warum sollen wir nicht aufgrund der Hautfarbe diskriminieren? Ihr habt?s doch auch getan! ? Ja, sagen die Weißen, aber wir wollen?s jetzt besser machen, ein besseres Leben! ? Da sagen die Schwarzen: Ja, das wollen wir auch - ein besseres Leben. Aber ihr habt niemals gesagt, es war falsch! Ich tue nur, was ihr tut ... Es gibt hunderte Beispiele davon. O-Ton Antjie Krog: I think one of the reasons why so many people accepted and agreed to reconcilations (?) Ok, now, let?s live together, let?s be interconnected as you said we were. Übersetzung Sprecherin 2: Ich glaube, ein Grund, warum so viele Menschen der Versöhnung zugestimmt haben, ist, dass sie dachten, es würde ihr Leben verändern. Lasst uns ihnen vergeben, lasst uns sie nicht töten, lasst uns nicht mit ihnen tun, was Mugabe mit den Weißen getan hat. Die schwarzen Menschen haben in Güte die Arme ausgestreckt und vergeben. Und statt zu sagen: Ihre Aufmerksamkeit beschämt mich, sagen die Weißen: Shhh, sind die krank? Ich hab? gar nicht um Vergebung gebeten ? jetzt verzeihen sie mir? Ach, na gut! Dann machen wir mal weiter! Alles wieder gut! - Und ich lebe einfach weiter wie zuvor. Und das produziert eine riesige Wut! Dass die weißen Menschen sich nicht den schwarzen Menschen zuwenden und sagen: Ok, lasst uns zusammen leben. Lasst uns miteinander verbunden sein, wie ihr?s erklärt habt. Musik My other name Sprecherin 2: Leuchtbild der Seezunge Sprecherin 1: Von Antjie Krog. Sprecherin 2: Das Licht über meinem Tisch strömt in die Dunkelheit ich erwarte meine Besucher auf Papier meine vier Kinder in feinem Gleichgewicht zwischen After und Rücken winzige Flossen am Hals ständig fächelnd die Augen ungemein sanft im flachen Brackwasser rutscht eure Mutter auf Metaphern aus kommt her hinweg über Wörterbücher und leere Seiten wie ich diese[n] zarte[n] kleine[n] [Schwarm] liebe diese meine Fische in ihrer Flottille von Vieren locken so nah was soll ich euch zu essen geben? liebes Kind der hageren Flanke gibt dem Meeresgrund nach ja dich zu strecken tut weh aber Mutter drückt dich an ihre Mutter ist da das untere Auge wie Vaters wundersam blaues wandert behutsam mit einer Bündlung vielschichtig von Nerven und Muskeln bis es oben ist beim andern kecker kleiner Mund fast aus der Form verzogen mit der Zeit gewöhnt sich die Zunge an ihre Furche Pigmente der oberen Flanke beginnen zu dunkeln Unauffällig zwischen Sand und Steinen liegst du mit Grundgeröll im Netz gefangen niemals mehr jagen oder fliehen ich drücke meinen Mund gegen jedes aufgetriebene Gesicht Mutter weiß die Gezeiten wirst du überleben (A. Krog, Down to my last skin, Johannesburg 2000, Übersetzung: Sophia Pick) 1