Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Dossier Fahrradloft und Möckernkiez Alternative Bauprojekte in Berlin Autor: Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Produktion: DLF 2016 Erstsendung: Freitag, 01.07.2016 , 19.15 Uhr Besetzungsbüro Regie: Technik I Technik II Sprecherin: Marietta Bürger Sprecher: Gregor Höppner Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Musik / Atmo O-Ton Andrej Holm: Das mit dem Erkennen von Wohnungsnotlagen ist ja immer ´n stufenweiser Prozess. Vor allem die ärmeren Haushalte, die vielleicht doch mit weniger Geld Wohnungen suchen, die haben das viel eher gemerkt, als Mittelschichtshaushalte. Wenn man schaut, ab wann wurden große Artikel oder Reportagen über den schwierigen Wohnungsmarkt geschrieben, dann waren das häufig Geschichten, wo die eigene Wohnungssuche als Ausgangspunkt genommen wurde oder auch Radiojournalisten dann über drei Wochen oder drei Monate oder wie lange auch immer dann dokumentierten, wie schwierig es ist, ne Wohnung zu finden. Also das hat schon viel damit zu tun, dass diejenigen, die öffentliche Meinung produzieren, selber mit betroffen sind. Und das ging ja bis dahin, dass der letzte Bauminister seine Neubauoffensive damit begründet hat, dass seine Tochter in Berlin beim Studieren Schwierigkeiten hat, ne Wohnung zu finden. Ansage: Fahrradloft und Möckernkiez Alternative Bauprojekte in Berlin Eine Sendung von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz O-Ton Lars Göring: Ach das war im Jahr 2010. Im Herbst. Ich war ja damals in Österreich angestellt und dann war Heimweh ausgebrochen, zurück nach Berlin. Und die Überlegung: Was macht man denn? Könnte man sich denn auch ne Wohnung kaufen hier? Stattdessen? Als zu mieten? Früher waren die Mieten ja billig, das hat sich ja geändert. Und mein Freund und Kollege Paul Wichert hat gesagt: Dann überleg dir doch, ne Baugruppe zu machen. Das machen doch jetzt einige Architekten und dann machen wir gemeinsam ein Projekt. Trenner Sprecher: Anfang 2010 hatte in Berlin die Diskussion über Luxusimmobilien gerade einen neuen Höhepunkt erreicht. "Die Krieger von Kreuzberg" übertitelte DIE ZEIT am 25. Februar eine Reportage. Darin ging es um fliegende Farbbeutel und eingeworfene Fensterscheiben. Die Proteste richteten sich gegen das "Carloft" - eine Wohnanlage, in der jeder sein Auto per Fahrstuhl mit nach oben nehmen und sicher vor der Wohnungstür abstellen kann. Trenner Sprecherin Der Architekt Lars Göring setzte gegen das "Carloft" seine Idee vom Fahrradloft: Bei ihm sollten nicht Autos, sondern Räder sicher vor der Wohnungstür parken. O-Ton Lars Göring: Im Namen Fahrradloft ist ja eigentlich ´ne urbane Wohnform mit formuliert, das war auch unser ursprünglicher Ansatz, dass es eben ein sehr innerstädtisch oder zentral gelegenes Grundstück sein sollte, und dann ´ne kleine private Freifläche vor der Wohnung, auf der Etage, um eben das Fahrrad abstellen zu können, vielleicht ´nen Bistrotisch oder sowas. Und ansonsten ´ne Schnittstelle zur Stadt zu bilden. Und wir waren ungefähr ein halbes Jahr zu spät. Und so haben wir auch ein Grundstück, was uns ziemlich sicher schien, wurde uns kurz vorher wieder weggenommen bzw. wurde uns nicht verkauft. Weil wir eben nicht bar bezahlen konnten, was der andere Konkurrent offenbar konnte. O-Ton Judith Schneider: Wir haben ja zwei Jahre gesucht nach einem Grundstück in Friedrichshain erstmal. Und dann hat sich langsam der Radius erweitert, weil wir gesehen haben, das wird nichts für uns. Sprecherin: Die Landschaftsarchitektin Judith Schneider gehörte zu den ersten, die von der Idee begeistert waren. Mit ihrem Lebensgefährten und dem kleinen Sohn lebte sie im Samariterviertel in Berlin-Friedrichshain. Die junge Familie hatte sich lange im Kiez umgeschaut. Aber die Suche nach einer größeren Mietwohnung in dem boomenden Szenebezirk erwies sich als aussichtslos. O-Ton Lars Göring: Also es war ´ne Anzeige im Immobilienscout und ich glaube ich habe am gleichen Tag, als es inseriert wurde, die Nachricht an den Makler geschickt. - Ich war begeistert über die Größe es war ja Spätsommer, Frühherbst, es war alles im üppigen Grün, das war auch schwer zu überblicken, weil es so dicht bewachsen war, wie groß es wirklich ist. Und als Architekt macht man sich sofort Gedanken, wie man dort ´ne Bebauung organisiert. Sprecherin: Das Grundstück liegt im Stadtbezirk Lichtenberg - nur wenige Kilometer von Judith Schneiders Wohnung entfernt. Und doch - Friedrichshain und Lichtenberg scheinen Welten zu trennen. O-Ton Lars Göring: Der S-Bahn-Ring war ´ne Grenze, die man eigentlich nicht freiwillig überschritt ... O-Ton Judith Schneider: Ich fand die Umgebung auch - wenn man jetzt aus Friedrichshain kommt und so diesen Kiez kennt, mit den Straßencafés und den Kinderwägen auf der Straße, war es schon ein großer Kontrast dort am Nöldnerplatz. O-Ton Lars Göring: Eigentlich war der schlechte Ruf von Lichtenberg durch das hohe Aufkommen von Neonazis geprägt. - Das war nicht der Ort wo man leben wollte, wenn man sich´s aussuchen kann. Ich hatte ´ne Liste von Interessenten, die immer wieder nachgefragt haben: Ja habt ihr jetzt ein Grundstück dafür? Und dann habe ich irgendwann gesagt: Wir haben jetzt ein Grundstück und das ist in Lichtenberg. Und das hat dann durchaus zu Emails geführt wie: "Lichtenberg nein danke." Oder: "Ach, das hab ich mir etwas anders vorgestellt. Schade, viel Glück weiterhin." Trenner Sprecher: Aus einer Analyse des Stadtplanungs- und Stadtforschungsbüros TOPOS über Baugruppen im Jahr 2009: Im Gegensatz zu vielen selbstnutzenden Eigentümern streben Interessenten für Baugruppen ... überwiegend zu einer innerstädtischen Wohnlage. Dabei ist ... die urbane, vielfältige Atmosphäre und Angebotsstruktur des direkten Wohnumfeldes wichtig. Sprecherin Ein Anspruch, der sich auf dem Berliner Wohnungsmarkt immer schwerer realisieren lässt, erklärt der Stadtsoziologe Andrej Holm. O-Ton Andrej Holm: Gerade in den ersten Jahren nach der Vereinigung gab´s sowas wie ´ne Metropoleneuphorie, Olympiabewerbung, Hauptstadt, Prognosen über ein gigantisches Bevölkerungswachstum. Dann ist der Bevölkerungsboom aber ausgeblieben; Berlin ist weiterhin ´ne relativ arme Stadt geblieben und das hat dazu geführt, dass Ende der 90er-Jahre ganz viel über Leerstand gesprochen wurde. Gab´s Studien, die von bis zu 150.000 leer stehenden Wohnungen ausgegangen sind. Und das hatte für die MieterInnen in der Stadt den Vorteil, dass es ein Überangebot von Wohnungen gab und deshalb die Preise relativ gering waren. Und dieses Mieterparadies Berlin ist dann aber durch politische Entscheidungen und durch wirtschaftliche Effekte quasi aufgelöst worden. Also die Berliner Landesregierung - Berlin war hoch verschuldet - hatte sich entschieden, die Hälfte der öffentlichen Wohnungsbestände zu verkaufen. Sprecher: 1990 gehörten den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften 482.000 Wohnungen im Westen und Osten Berlins. Um die Jahrtausendwende verkaufte der Senat 200.000 Wohnungen - und mit ihnen sogar eine komplette Wohnungsbaugesellschaft, die GSW. O-Ton Andrej Holm: Gleichzeitig ist ab der Jahrtausendwende etwa internationales Kapital auf Berlin aufmerksam geworden. Wir haben seitdem zunehmendes Investment in Grund und Boden, in Häuser, und auch ´ne sehr rückläufige Neubauproduktion gehabt. Also die ist bis auf 3-4000 Wohnungen pro Jahr zurückgegangen, was für so ´ne riesen Stadt wie Berlin viel zu wenig ist. Und dadurch haben wir heute - seit 2014/15/16 - tatsächlich ´ne Wohnungsmangelsituation. Also innerhalb weniger Jahre hat sich der Markt komplett verändert. O-Ton Mann: (Gespräche, Stimmen) Also liebe Freunde, liebe Bauherren, liebe Fahrradlöfte, liebe zukünftige Nachbarn - ich hab die Übersicht etwas verloren - herzlich willkommen. Darauf Sprecherin: 13. Juni 2013: Die Mitglieder der Baugruppe "Fahrradloft" treffen auf ihrem Bauplatz. O-Ton Mann: Im Oktober 2012 fand das erste GbR-Treffen zu diesem Grundstück statt. Zu diesem Zeitpunkt waren wir ungefähr fünf Mitglieder und ... Ich zitiere mal aus dem Beschlussprotokoll vom 7.10.2012: Die GbR beschließt nach Erörterung der Risiken einstimmig, dass die Grundstücke Leopoldstraße 7-8 und Lückstraße 69 bis 71 zum Preis von 748.000 Euro als Bauplatz für das Fahrradloft erworben werden sollen. O-Ton Judith Schneider: Also heute haben wir eine Zusammenkunft auf dem Grundstück, das uns jetzt seit einer Woche fast gehört, wir haben den Kaufvertrag unterschrieben und das feiern wir heute. Und jetzt - zum Grundstückskauf haben wir eine Belegung von 62 Prozent, das sind 26 Parteien. Atmo Sprecherin Ausladende Bäume, verwilderte Büsche, hohes Unkraut - um hier Tische, Stühle und Bänke aufzustellen, hatten sie erst einmal eine Bresche ins Dickicht schlagen müssen. Aber nun ist es fast wie Picknick im Grünen - wäre da nicht der Straßenlärm, der von der Lückstraße herüberdringt. O-Ton Judith Schneider: Wir brauchen 80 Prozent Belegung, damit wir den Kredit von der Bank bekommen. Und im Moment sind wir noch immer so am Rechnen, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, wo wir definitiv das Geld von der Bank brauchen, weil es sonst nicht weitergeht. Und das verändert sich natürlich mit jeder Partei, die eintritt. Im Moment hoffen wir, dass wir bis Oktober mit Eigenmitteln kommen, damit wäre auch die Planung weitestgehend abgedeckt. Und spätestens zum Frühjahr 2014, wenn es mit dem Bau losgeht, brauchen wir von der Bank den Kredit. Sprecherin: In diesem Sommer 2013 verkündet eine große bedruckte Plane am Zaun: "Wir bauen hier gemeinsam. Für alle Generationen. Mit großem Garten. Fahrradfreundlich. Baugemeinschaft sucht noch Mitglieder." O-Ton Andrej Holm: Baugruppen hätte es in den 90er-Jahren faktisch nicht geben können, weil es kein ökonomischer Anreiz war. Wenn ich für 5 Euro oder für 6 Euro den Quadratmeter zur Miete wohnen kann, dann gehe ich nicht das Risiko ein, mit `ner Baugruppe 15 Euro pro Quadratmeter Wohnkosten zu haben über die Finanzierungskosten, die da zusammenkommen. Und in dem Moment, wo die Mieten in den gewünschten Lagen sehr hoch steigen und die Differenz zwischen der voraussichtlichen Miete und dem, was ich für mein Eigentum abzahlen muss, geringer wird, dann entscheiden sich die, dies können, dann eben auch fürs Eigentum. Atmo O-Ton Claudia Stehr: Ausschlaggebend war eben auch, dass wir jetzt ´ne größere Wohnung brauchen mit unserer Familienplanung und die Mieten gerade so extrem gestiegen sind, dass wir uns überlegt haben: Ja, Baugruppe, das können wir uns gut vorstellen und das ist auf jeden Fall günstiger selbst mit Kredit. (lachen) O-Ton Stefan Schnabel: Wir haben uns schon seit zirka zwei Jahren auf die Suche gemacht in Berlin nach Wohnraum. Haben uns verschiedene Sachen angeschaut. Haben ehrlich gesagt auch erstmal mit einem Haus geliebäugelt, haben das dann aber doch wieder abgewählt. - Wir sind seit zwei Wochen zu dritt, bisher zu zweit - gewesen. O-Ton Birgit Mücke: Unsere Wohnung, in der wir jetzt wohnen - das Haus wurde verkauft. Es sollen Eigentumswohnungen draus gemacht werden. Und da haben wir einfach geguckt, was sich uns bietet. Und haben uns dann auch gesagt, dass das für ein Leben im Alter dann einfach gemeinsam mit anderen auch ´ne schöne Perspektive ist. Sprecherin: Das Grundstück, auf dem sich auch Claudia Stehr, Stefan Schnabel und Birgit Mücke ein Stückchen Zukunft bauen wollen, umfasst 3.100 Quadratmeter. Hier sollen zwei mehrstöckige Häuser entstehen; zwischen ihnen ist noch Platz für einen großen Gemeinschaftsgarten. O-Ton Lars Göring: Also es ist ja sicher doppelt so groß, wie wir es ursprünglich im Kopf hatten. Und das hat dem Projekt nochmal einen ganz anderen Charakter gegeben. Es hätten auch nicht 17 Wohnungen in einem Haus sein müssen, sondern zehn hätten auch gereicht. - Jetzt sind´s halt 17 im kleineren und 25 im größeren. Das ist schon ein großer Aufwand geworden dadurch und auch durch die zwei unterschiedlichen Häuser mit den unterschiedlichen Qualitäten - erst mal den vielen unterschiedlichen Charakteren, die auch in der Gruppe sind - ist natürlich mehr Kommunikationsbedarf und die Konfliktpotentiale, die multiplizieren sich dann auch. Trenner Sprecher: Baugruppen sind Zusammenschlüsse von Bauherren - und -frauen - die gemeinsam ein Wohngebäude errichten oder grundsanieren. Es gibt keinen Bauträger - die Gruppe realisiert ihr Vorhaben selbst. O-Ton Clemens Senftleben: Eine Besonderheit von Baugruppenprojekten gegenüber eines Bauinvestorenmodells ist es ja, dass der Bauherr selbst in das Gebäude später einziehen wird. Sprecher: Clemens Senftleben ist freischaffender Architekt; er hat schon einige Baugruppe als Baustellenleiter begleitet. O-Ton Clemens Senftleben: Es sind intelligente Leute in einer Baugruppe. Durchweg. Die viel lesen, die viel wissen und sich auch ihre Sorgen machen und sich auch gerne einbringen möchten. Das macht´s eigentlich eher schwieriger. Ein Baugruppenprojekt ist ein schwieriger umzusetzendes Projekt. Atmo Aus der Debatte: Hab raus gehört, dass viele aber auch nicht ihre Sommerferien danach planen wollen, dass der Garten zum richtigen Zeitpunkt bewässert wird oder dass man sich in der Zeit jemand Professionellen sich dazu holt. Also es soll schon etwas da sein, aber die meisten wollen nicht jeden Tag die Blumen gießen im Garten - eher nicht... Sprecherin: Kuchen und Salate, Gummibärchen, liebevoll geschnittenes Obst und Gemüse, dazu Sekt, Wasser, Bionade - jeder hat etwas auf die Tische gestellt. Und alle haben auch ihre Träume zu diesem Treffen mitgebracht. Von einem Obstgarten mit Beerensträuchern, einem kleinen Teich, einem Brotbackofen, dem Grillplatz, einer Kletterwand, einem Baumhaus, sogar von Bienenstöcken ist die Rede. Und selbstverständlich soll es eine Fahrradwerkstatt geben. O-Ton Henning Lieske: Da gab es Leute, die wollten dann doch ne Sauna und andere waren vehement dagegen. Und da muss man natürlich einfach schauen, was machen wir, wenn die meisten etwas wollen und einige aber dann aus sehr triftigen Gründen eventuell dagegen stimmen. Übergeht man die mit Mehrheitsbeschluss? - Da ist sicherlich noch viel, viel Zündstoff, denke ich. O-Ton Marianne Friese: Ich sehe vielleicht viele Dinge ein bisschen zackiger und vielleicht auch nicht ganz so basisdemokratisch, sondern ich wär so eher diejenige, die sagt: Okay wir benennen jetzt hier einen Beauftragten, der ist autorisiert, der hat das Mandat und der macht das jetzt... Sprecher: Juristisch sind sie eine GbR, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie haben sich eine Geschäftsführung gewählt und werden von Architekten und Projektsteuerern während aller Bauphasen begleitet. Sprecherin Ein solch gemeinschaftliches Wohnprojekt formt sich erst in unzähligen Sitzungen, Diskussionen, Abstimmungen, in zeitaufwändigen Arbeitsgruppen. O-Ton Judith Schneider: Im Moment steht ganz groß an das Energiekonzept einzutüten. Also von sieben Varianten, die der Haustechniker vorgeschlagen hat, sind jetzt noch drei im Rennen und das eine wäre einfach mit Fernwärme zu heizen von Vattenfall. Ist sicherlich die unkomplizierteste Variante, aber nicht die wirtschaftlichste tatsächlich. Sondern ein Blockheizkraftwerk mit Gasbrennkessel gekoppelt wäre auf lange Frist ist das die günstigste Variante. Und was auch noch diskutiert wird, ob wir mit einer Wärmepumpe unsere Energie erzeugen wollen, das heißt eigentlich mit Erdwärme. Der Vorteil davon ist, dass man nicht auf fossile Brennstoffe zugreifen muss. Der Nachteil ist, dass man sehr viel Stromverbrauch hat, der dann auch wieder fossil erzeugt wird. Und die Investitionskosten sind sehr, sehr hoch. Trenner - Übergang zum Möckernkiez (S-Bahn) Sprecher: Knapp 10 km Luftlinie von Lichtenberg entfernt liegt ein weiteres Bauprojekt. - Hier entsteht jedoch kein privates Wohneigentum, hier hat sich eine Genossenschaft zusammengefunden: Zwischen Möckern- und Yorkstraße, mitten in Kreuzberg, nahe dem Potsdamer Platz. Sprecherin: Von dieser Lage hätten die Fahrradloftler nicht einmal zu träumen gewagt. Sprecher: Aber das Areal, auf dem gebaut werden soll, ist auch zehnmal so groß wie das in Lichtenberg. Hier sollen 14 Häuser entstehen, mit über 460 Wohnungen, einer Kita, einem behindertengerechten Hotel und Geschäften. Ein ganz neues Wohnquartier für über 1.000 Menschen. Claudia Boerger war bis 2015 Vorstandsmitglied der Möckernkiez eG. O-Ton Claudia Boerger: Dieses Grundstück ist ja Teil des früheren Gleisgeländes des Anhalter Bahnhofs. Und nachdem hier in den 90er-Jahren ein neuer Flächennutzungsplan entwickelt wurde, stellte sich relativ schnell heraus, dass zwar ein großer Park entstehen soll, aber auch Flächen für die Bebauung freigegeben werden sollen. Und hier auf der Kreuzberger Seite ist das Baufeld Möckernkiez damals gleich mit ausgeschrieben worden. Und da haben sich Menschen gefunden, die gesagt haben: Wir als Kreuzberger Bürger möchten dieses Gelände erwerben, bebauen und später auch verwalten. Sprecherin: In Deutschland gibt es rund 2.000 Baugenossenschaften mit über zwei Millionen Wohnungen und mehr als drei Millionen Mitglieder. Allein in Berlin werden von cirka 80 Wohnungsbaugenossenschaften mehr als 180.000 Wohnungen bewirtschaftet. Mitglieder einer Genossenschaft zahlen eine Eintrittsgebühr und zeichnen Genossenschaftsanteile entsprechend der Wohnungsgröße. Sie sind Mieter mit Stimm- und lebenslangem Wohnrecht. Atmo Sprecher: Aus der Chronik der Möckernkiez eG: 19. März 2008: Das Bezirksamt wird beauftragt, sich dafür einzusetzen, dass auf dem Baufeld "Möckernkiez" ein Modellprojekt für "Gemeinschaftliches, Generationen verbindendes, ökologisches und barrierefreies Bauen und Wohnen für breite Bevölkerungsschichten" realisiert wird... Sprecherin: Und der Bau dieser Wohnungen wäre auch dringend notwendig. Verzeichnete der Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin für das Jahr 2008 doch lediglich 3833 "Baufertigstellungen". Der größte Teil davon waren private Eigenheime. 2009 sollte es kaum besser aussehen. Der Bericht warf die Frage auf, "ob damit mittel- bis langfristig eine adäquate Wohnraumversorgung sichergestellt werden kann." O-Ton Claudia Boerger: Die Genossenschaft wurde 2009 von 74 Gründungsmitgliedern gegründet und 2010 haben schon ca. schon 260/270 Menschen ihr Geld zusammengelegt und dieses Grundstück erworben für 8 Millionen Euro, was damals auch kein Schnäppchen, sondern tatsächlich der reale Wert dieses Grundstücks war. O-Ton Rudolf Netzelmann: Was mich am Konzept gereizt hat - Mehrgenerationen miteinander leben - ökologische nachhaltige Wohnungen und ein ökologisches oder nachhaltiges Stadtentwicklungskonzept. Man schafft so etwas wie einen Kiez, eine Siedlung, wo es keine Autos geben würde, wo man auch ein Mobilitätskonzept hat, Fahrräder und dergleichen, Carsharing beispielsweise, Passivhäuser oder Rückgewinnung von Erdwärme und verschiedene nachhaltige Energiegewinnungsformen. Atmo Sprecherin: "Barrierefrei - ökologisch - sozial", "Gegenmodell zu teuren Wohnvierteln" "Ideales Projekt für Menschen mit Idealen" Sprecher: Das Medieninteresse am Projekt Möckernkiez ist gewaltig. Soll doch hier, mitten in Kreuzberg, den großen Immobilien-Investoren, den Preistreibern am Wohnungsmarkt, den "Miethaien", endlich etwas Handfestes entgegengesetzt werden! Die Genossenschaft hat keine Mühe, Mitglieder zu finden; viele wollen das Projekt unterstützen. Für Rudolf Netzelmann und seine Frau Swetlana gibt es aber auch einen ganz konkreten Grund: Mit ihren beiden Kindern brauchen sie eigentlich ein Zimmer mehr. O-Ton Rudolf Netzelmann: Wir hatten damals schon darüber gesprochen, dass es schön wäre mehr Grün zu haben. Und `ne Eigentumswohnung oder an den Stadtrand gehen, das kam nicht infrage, weil es uns beiden gefällt in der Stadt zu leben. Dann Wohnung kaufen, also Bank und Kredit usw., das ist etwas, was uns beiden immer irgendwie nicht besonders nahe war oder nicht besonders interessiert hat. Sprecher: Am 9. Februar 2011 verzeichnet die Chronik der Möckernkiez e.G. das Ergebnis des Architekturwettbewerbs: Von neun eingereichten Entwürfen sind fünf ausgewählt worden. Sie versprechen allesamt: Passivbauweise nach den neusten ökologischen Standards. Nutzung erneuerbarer Energien. Barrierefreies Wohnen, damit auch Menschen mit Handicap im Kiez gut leben könnten. O-Ton Rudolf Netzelmann: Ob die Barrierefreiheit für jede Wohnung geschehen soll oder das so gebaut wird, das wurde auch diskutiert. Ich bin auch dafür gewesen. Es kostet mehr. O-Ton Swetlana Netzelmann: Sonst hätte man eine Insel für die Menschen, die das brauchen würden innerhalb der Genossenschaft. Und das wäre nicht richtig offen mit allen Möglichkeiten, dass sie dran beteiligt sind. Das würde dem Konzept widersprechen. O-Ton Claudia Boerger: Unser Ziel war, eine gewisse Querfinanzierung hinzubekommen. Das erfolgt zum Beispiel, indem wir sehr unterschiedliche Wohnungsgrundrisse anbieten, von sehr, sehr kleinen Wohnungen bis große Wohnungen. Dass wir die Mieten auch unterschiedlich angesetzt haben. So dass man als jemand, der über weniger Kapital verfügt, kleine Wohnungen sich aussuchen kann, die nicht am Park liegen. Also wohlhabendere Mitglieder finanzieren dadurch auch die Mieten von Menschen, die weniger Geld haben. Aber letztendlich meint ja sozial auch noch mehr. Es geht ja auch um das miteinanderleben und wie möchte man wohnen und wieviel Unterstützung möchte man sich gegenseitig gewähren - gerade auch im Hinblick auf Schwächere. Sprecher: Und es ging den Genossen auch um eine Abgrenzung zu Projekten, die eine Schaffung von Wohneigentum zum Ziel haben, Trenner .... Übergang nach Lichtenberg (S-Bahn) Sprecherin: Um eine Alternative zu Baugruppen wie dem "Fahrradloft" in Lichtenberg. Atmo / Musik Sprecherin: März 2014 - der erste Spatenstich fürs Fahrradloft: O-Ton Lars Göring: Am Montag wird erstmal ein bisschen was abgebrochen - - wir brechen diese Umformerstation da drüben ab und die letzten Reste der abgeholzten Bäume kommen weg hoffentlich. Der Zaun wird abgebrochen, diese Treppenanlage in der Mitte des Grundstücks. Und dann fangen wir an mit der Pfahlgründung im Bereich Lückstraße. Und dann geht's hoffentlich schnell nach oben. Sechs Wochen werden wir für das Fundament brauchen und dann zwei Wochen pro Geschoss. Das heißt im September wollen wir dann oben sein und dann Fenster einbauen. Sprecherin: Längst sind alle Wohnungen vergeben - und nicht nur die im Haus zur ruhigeren Leopoldstraße mit den Südbalkons. Auch das viel größere Haus zur lauteren Seite hat rasch Käufer gefunden. Trenner Sprecher: Aus einer Analyse des Stadtplanungs- und Stadtforschungsbüros TOPOS über Mitglieder von Baugruppen: Weit überdurchschnittliches Bildungsniveau. Überwiegend Erwachsene zwischen 35 und 45 Jahren. Hoher Anteil an Paaren mit Kindern. Keine Alleinerziehenden in den untersuchten Gruppen. O-Ton Andrej Holm: Die Baugruppen - obwohl die ja zahlenmäßig ein völlig Irrelevantes - wir haben mal versucht, zu zählen, es sind vielleicht 3-4000 Wohnungen in Berlin, in ´ner Stadt, die 2 Millionen Wohnungen hat, das ist ein relativ geringer Anteil an dem, was die Wohnungsversorgung in Berlin ausmacht. Wir müssen auch sehen, dass Berlin traditionell ne sehr starke Mieterstadt ist, mit über 85 Prozent Mietwohnungsangeboten. Und in dieser Mieterstadt war es ´ne Ausnahme, dass es plötzlich Eigentumsinitiativen gibt, die nicht am Stadtrand in Einfamilienhaussiedlungen sind. Atmo Sprecherin: 5. Dezember 2014: Die Baugruppe Fahrradloft feiert Richtfest Ein Hoch auf Lars, den Architekten, der zum Bau den Grundriss hat erbracht. Dem Maurermeister - bin icke - der sodann das Werk mit sicherer Hand begann. Sei heut ein volles Glas geweiht. Nicht minder sollen alle Gesellen - Hier mit den Äxten und den Hämmern - Gemauert und geschalt haben, ein Segenswort erlauben mir. Prost alle zusammen - Prost! (Glas wird zerschlagen) O-Ton Lars Göring: Also die Baugruppenmitglieder sind eigentlich zu über 90 Prozent keine wohlhabenden Leute, sondern Menschen, die sich das Geld meistens von den Eltern geliehen haben oder Ersparnisse durch bescheidenes Leben hatten und sich jetzt in dieser Situation, da die Mieten geradezu explodieren, gesagt haben, dass sie sich bei den niedrigen Zinsen genauso gut sich verschulden können und in ´ne Wohnung ziehen, die sie selber mitgestalten können. Sprecherin: Die Wohnungen im Fahrradloft sind zwischen 65 und 150 Quadratmeter groß, ihr genauer Preis richtet sich nach der Lage im Objekt und der individuell gewählten Ausstattung. Im Durchschnitt sind das pro Familie an die 300 000 Euro. Nicht wenige haben sich dafür bis aufs Äußerste verschuldet. So wird in jeder GbR-Sitzung darum gerungen, den Kostenrahmen einzuhalten. Atmo Aus der Diskussion: Also es geht um die Investitionskosten für die Gemeinschaftsräume und Garten ob es für diese Investitionen einen anderen Standardfall geben soll als für alle anderen Investitionen, nämlich pro Wohneinheit und nicht Quadratmeter. - Wir sind ja auch irgendwie ´ne Solidargemeinschaft und ich gehe jetzt mal davon aus, wer weniger Quadratmeter hat, hat auch weniger Geld. Son kleines bisschen haben wir auch so ´nen Sozialgedanken ... O-Ton Lars Göring: Wir haben einen durchschnittlichen Projektansatz von 2.150 Euro pro Quadratmeter. Das sind fast alle Kosten vom Grundstück über die Planer, Notarkosten, Grunderwerbssteuer aufs Grundstück und sämtliche Nebenkosten außer eben die Finanzierungskosten, die jeder selbst aufbringen müsste. Das ist uns schon als mittlerweile recht sportlicher Ansatz bescheinigt worden aber nicht als unmöglich. Und wir tun auch viel dafür, diesen Preis zu halten. Also einerseits, weil ich selbst einziehe und mein Budget begrenzt ist, aber natürlich auch weil man Wort halten möchte. Trenner - zu Möckernkiez (S-Bahn) Sprecher Aus der Chronik der Möckernkiez e.G. 31. August 2013: Mitgliederversammlung der Genossenschaft mit Beschluss zum Baubeginn O-Ton Rudolf Netzelmann: Dann gab es die Diskussion: Können wir denn schon mit Bauen beginnen? Weil die gesamten Planungsarbeiten waren soweit abgeschlossen. Es war alles so weit, dass man auch im Zeitplan gelegen hätte mit Ziel 2014/15 alles fertig gestellt zu haben. Und unter diesen Gesichtspunkten hat man dann diskutiert, kritisch auch in der Mitgliedschaft - ob man mit dem Bau beginnen sollte und zwar aus den Eigenmitteln der Genossen. Sprecher: Eine feste Zusage von Banken für den Millionen-Kredit, den das ehrgeizige Projekt braucht, gibt es bis zu diesem Zeitpunkt nicht. O-Ton Rudolf Netzelmann: Einige haben gesagt, nee das Risiko ist zu groß aber die Mehrheit der Mitglieder hat entschieden doch mit dem Bau zu beginnen und das Ergebnis sehen wir jetzt. O-Ton Claudia Boerger: Wir waren mit drei Banken in sehr intensiven Gesprächen. Wir hatten von diesen Banken auch ganz klare Zusagen, die Finanzierung mit uns gemeinsam zu stemmen. Also das sind Finanzierungszusagen, die unter einem Gremienvorbehalt standen. Und auf Grundlage dieser Unterlagen - haben wir uns entschlossen, mit dem Bau nicht weiter zu warten. Atmo Sprecher: Aus der Chronik der Möckernkiez e.G.: September 2013: 1. Phase der Wohnungsvergabe Dezember 2013: Bildung der Hausgruppen Ab 25. September 2014: Vergabe der noch freien Wohnungen. O-Ton Claudia Boerger: Wir haben ursprünglich mit Baukosten von 2.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche geplant. Davon sollte jeder spätere Nutzer von Wohnungen zirka 30 Prozent der Baukosten selber tragen. Als sein Eigenkapital. Was er letztendlich in die Genossenschaft einlegt in Form von gezahlten und gezeichneten Geschäftsanteilen. Sprecher: 80 Millionen Euro Kosten sind für das "Möckernkiez" ursprünglich veranschlagt. Jeder, der sich dort eine Wohnung sichern will, soll nach dieser Planung 600 Euro Geschäftsanteil pro Quadratmeter einzahlen: Das wären 48.000 Euro für eine Wohnung von 80 Quadratmetern. Dazu käme die Miete von durchschnittlich 8,30 Euro plus Betriebskosten und Entgelte für warmes Wasser und Heizung. O-Ton Rudolf Netzelmann: Also das ist ja ein Nichtspekulations-Projekt. Das bedeutet auch, dass man mit den Einlagen, die relativ hoch sind, keine Zinsen erhält. Das war schon wichtig, dass man sagt, es entsteht Wohnraum, der einen hohen Standard aufweist und der ist bezahlbar, weil man weiß wie hoch die Vergleichspreise sind. Die Vergleichspreise, die würden wir uns unter normalen Bedingungen nicht leisten können. Also Preise deutlich über 3.000 € für einen vergleichbaren Standard in dem Stadtgebiet. Und wenn man diesen Preis nicht bezahlen kann, dann kann man viel über interessante soziale Projekte ... sprechen, dann ist es uninteressant. Trenner ... Übergang nach Fahrradloft (S-Bahn) Atmo Einzug Judith Schneider: Wir haben´s geschafft .... Also hier ist direkt das Kinderzimmer ....Louis willste mal dein Kinderzimmer zeigen? Sprecherin: November 2015. Die ersten Eigentümer beziehen ihre neue Wohnung im Lichtenberger "Fahrradloft". Atmo Sprecherin: Vor dem Haus in der Leopoldstraße sieht es noch aus wie auf einer Baustelle: Material, Absperrungen, ein Steg ins Treppenhaus, auch der Fahrstuhl funktioniert noch nicht. Aber hinter der Tür von Judith Schneider ist es so behaglich, wie es an einem Umzugstag nur sein kann. Louis Kinderzimmer ist sogar schon fix und fertig eingerichtet. Atmo Louis: Da kommt man schnell hoch die Leiter ... und hier ist noch so´n Fach, da kann ich Sachen reintun ... O-Ton Lars Göring: Also ich bin überrascht, ich würde sagen so 98 Prozent der Sachen sind gut bis sehr gut und ansonsten sind es ausschließlich die üblichen Mängel. Es ist keine Fußbodenheizung kaputtgegangen, und es sind keine Fenster komplett zerstört oder es ist kein Produkt, was unbenutzbar ist. Mal n Kratzer oder ´ne Tür, die schwer geht. Also für uns ist das alles sehr moderat gelaufen und offenbar sind die Firmen sind an sich gute Firmen. Klar, in der Eile passiert dies und das. Atmo Einzug weiter in Judith Schneiders Küche: Frau: ... also jetzt ordnet sich das Chaos und es wird langsam ein Zuhause ... ja, wir haben Euch bohren hören ... Sprecherin: Sie haben es geschafft! Gewiss, so manche Idee ist im Laufe der Zeit gestrichen worden: Das ökologischere Blockheizkraftwerk beispielsweise. Stattdessen sind nun beide Häuser ans Fernwärmenetz angeschlossen. Langfristig wird das zwar teurer - aber erst einmal haben sie damit hohe Investitionskosten gespart. Atmo: Sektkorken knallt O-Ton Lars Göring: Also zur Zeit sind wir mit ´ner guten schwarzen Null unterwegs. Ein Prozent Ersparnis oder eineinhalb, wo ich davon ausgehe, dass ein halbes Prozent nochmal in Zusatzkosten fließt. Aber dann sind wir gut im Budget geblieben und sind quasi jetzt zu dem Stand - auf dem Stand der Kostenschätzung. Also von der allerersten Zahl, die wir mal kolportiert haben. Das wundert mich selbst, ich hab ja immerhin diese Zahl ausgerechnet, aber dass es so genau passt, das ist auch ein Glücksfall. Hat auch mit Nachverhandlungen und noch mal Planung anpassen zu tun, aber hat auch mit ein bisschen Glück zu tun. Trenner - Übergang zum Möckernkiez Sprecher: 13. August 2015: Pressemitteilung des Vorstandes der Möckernkiez e.G. : Getreu dem Prinzip "die Starken helfen den Schwachen" werden die bankenseitigen Vorgaben stufenweise umgesetzt. So hat die Genossenschaft beschlossen, die durchschnittliche Miete pro Quadratmeter auf 10,35€ anzuheben. Atmo Sprecherin: "Möckernkiez vor dem Aus?" "Ein Traum zerplatzt" "Sind Gutmenschen schlechte Rechner?" Sprecher: Auf dem Baufeld des Möckernkiezes steht von Januar 2015 bis Ende Juni 2016 alles still. Ein Zaun ist um die vier eingerüsteten Rohbauten gezogen, die Fensterhöhlen sind gegen die Witterung verkleidet, ein paar Leitern, Notstromaggregate, einige Lampen - sonst nichts. O-Ton Rudolf Netzelmann: Naja die Vorstellung damals war, 2010, dass in drei bis maximal vier Jahren die Häuser stehen, die Wohnungen fertig sind und wir 2014 spätestens Beginn 2015 einziehen könnten. Und das ist so nicht aufgegangen dieses Konzept. Sprecher: Dabei haben die Genossen vieles versucht, um ihr Projekt zu retten: Sie wollten mit einer großen alteingesessenen Berliner Wohnungsbaugenossenschaft zusammenarbeiten, warben um mehr Bürgerbeteiligung, entschlossen sich, den Teil des Grundstücks zu verkaufen, auf dem ein behindertengerechtes Hotel und Ladenflächen gebaut werden sollen. Sie entließen den alten Gründungsvorstand und holten Sachverständigere in die Führungsgremien. O-Ton Rudolf Netzelmann: Es gab immer großes Wohlwollen gegenüber dem Vorstand, weil der von Menschen gemacht wird, die großes Vertrauen genießen, die sich auch sehr engagiert gezeigt haben. Andererseits, mit der Entscheidung, den Bau zu beginnen, ohne dass die Gesamtfinanzierung steht, hat schon jeder gedacht: Was passiert denn da und es müsste jetzt was passieren. Sprecher Der Baubeginn ohne eine sichere Finanzierung, das heißt ohne feste Kreditzusage durch Banken, hat sich als folgenschwerer Irrtum erwiesen. Potentiellen Geldgebern reichten die Sicherheiten nicht aus, die die Genossenschaft bot. Zweifel gab es schon bei den prognostizierten Baukosten. Zu Recht: Aus ursprünglich veranschlagten 80 Millionen Euro sind bei genauerer Planung 128 Millionen geworden. Für etwa 100 Wohnungen fehlten noch immer die einzuzahlenden Geschäftsanteile. O-Ton Frank Nitzsche: Mit diesen Schwierigkeiten und der Dauer haben wir nicht im Entferntesten gerechnet. Aber das hat diverse Ursachen gehabt. Erstmal war der Möckernkiez bei vielen Banken verbrannt, schon aufgrund der Vorgeschichte. Sprecher: Seit Januar 2015 ist Frank Nitzsche im Vorstand - Diplomkaufmann und erfahrener Wohnungswirtschaftler. O-Ton Frank Nitzsche: Dann muss man natürlich auch berücksichtigen, der Möckernkiez ist ein Startup-Unternehmen, das ist das erste Bauvorhaben, und dann gleich aus dem Stand 471 Wohnungen plus Gewerbe plus Tiefgarage, das ist ein Investitionsvolumen deutlich über 100 Millionen! Da kann ich verstehen, dass die Banken dort mit einer gewissen Reserviertheit uns entgegentreten und das natürlich doppelt und dreifach prüfen. Sprecher: Die für eine Wohnung zu zahlenden Geschäftsanteile im Möckernkiez müssen von 600 Euro pro Quadratmeter auf 920 Euro erhöht werden. Für die 100 Quadratmeter große Wohnung, die sich Familie Netzelmann ausgesucht hat, sind nun nicht mehr 60.000 Euro fällig - sondern 92.000. Sprecherin: "Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung. ...." Sprecher: So steht es in der Satzung der Möckernkiez e.G. Nur - was ist sozial verantwortbar? Sprecherin So wie das Fahrradloft ist auch der Möckernkiez ein Mittelklasseprojekt. O-Ton Andrej Holm: Insofern war es zwar ein Versuch, eine andere Organisationsform zu finden, aber es war gar keine Antwort auf die Kritik, dass die Baugruppen sozialexklusiv sind. Das ist der Möckernkiezinitiative so auch nicht gelungen. Und darauf wartet man ja bis heute in Berlin und auch in anderen Städten, wo man sagt: gibt's nicht ´n Modell, wo man Ressourcen von Selbsthilfe und Selbstbestimmung auch tatsächlich nutzen kann, um preiswertes Wohnen für möglichst alle zu organisieren, ja? Trenner O-Ton Rudolf Netzelmann: Wenn der Preis hoch geht, werden eine ganze Reihe von Mitgliedern nicht mehr weitermachen können. Swetlana Netzelmann: Wir wären unter denjenigen, die aussteigen müssten. Wenn wir unsere Grenze erreichten wären, wo wir nicht mit einem vereinbarten, gedeckelten Mietpreis rechnen mehr können, dann können wir das nicht mehr tragen. O-Ton Frank Nitzsche: Eine Genossenschaft ist dazu da, Wohnraum für die breiten Schichten der Bevölkerung bereitzustellen und auch die 920 Euro pro Quadratmeter ist, leider muss man sagen, für manch ein Mitglied oberhalb seiner finanziellen Möglichkeiten. Wir wollten das nicht unnötig noch nach oben spielen, Wir haben auf der anderen Seite an der Mietpreisschraube gedreht im vorigen Jahr. Wir haben uns durch die Mitgliederversammlung beschließen lassen, dass die Erstbezugsmiete inzwischen auf durchschnittlich 11,80 Euro erhöht. Unsere billigste Miete liegt bei 8,62 Euro nettokalt pro Quadratmeter und die höchste liegt bei 13,04 Euro - das sind dann die Dachgeschosswohnungen direkt am Park mit Blick auf den Potsdamer Platz ... Sprecher: Am 31. Mai 2016 verkündet der Vorstand der Möckernkiez eG: Die Finanzierung steht! Zwar musste sich die Genossenschaft von einem Teil des Geländes trennen - Hotel und Supermarkt bauen nun andere - aber auf der Baustelle kehrt wieder Leben ein, schon bald sollen sich die Kräne wieder drehen. O-Ton Frank Nitzsche: Wenn sie die 11,08 Euro mit den Bestandsmieten in Berlin vergleichen - und da kann man den Berliner Mietspiegel gut zugrunde legen - da liegen wir sicherlich am oberen Ende. Wenn sie aber bei Immobilienscout oder den entsprechenden Internetportalen reingucken, ist eine einigermaßen durchschnittlich ausgestattete Wohnung in Berlin nicht unter 10 Euro netto kalt zu kriegen. Und bei Neubauten - wir haben das schöne Beispiel, auf der anderen Seite des Gleisdreiecksparks entlang der Flottwellstraße, dort werden die Wohnungen ab 13,50 Euro netto kalt angeboten und sie gehen weg wie warme Semmeln. Der Mietpreisvergleich - muss man natürlich korrigieren: weil in der Flottwellstraße keine Genossenschaft tätig ist, wo man Geschäftsguthaben zeichnen muss, sondern da ist man nur bei einem Bauträger, da muss man nur Miete zahlen, während man für die 11,08 im Möckernkiez natürlich das Geschäftsguthaben noch zusätzlich zeichnen muss. Trenner O-Ton Andrej Holm: Das Gefährliche an solchen Entwicklungen ist aus meiner Sicht, dass es ´ne Entwicklung ist, die notwendigerweise so ´ne Art Zweiklassenwohnen in Berlin etabliert. Wo man sagt: Die, die über Einkommen oder Erbe oder wie auch immer schaffen, sich ans rettende Ufer zu bringen, die leben dann gesichert im Eigentum. Und ausgerechnet diejenigen, die sowieso ´ne schwierige ökonomische Lage haben, sind den Unsicherheiten eines von Spekulationen gezeichneten Mietwohnungsmarktes ausgeliefert. Und das ist ´ne sehr bedrückende Perspektive. Sprecher: Das Ehepaar Netzelmann ist den Weg der Genossenschaft Möckernkiez lange und voller Hoffnung mitgegangen. Als die prognostizierten Kosten stiegen, haben sie erst einmal ihre Ansprüche herunter geschraubt und sich für eine kleinere Wohnung entschieden. Dann aber lief die Zeit und die Kosten stiegen weiter. Schließlich steckten sie ihre wenigen noch vorhandenen Ersparnisse in den Umbau der alten Mietwohnung. O-Ton Swetlana Netzelmann: Wir sind sehr, sehr oft im Gleisdreieckpark und schauen auf unser Haus und die Wohnung und sagen: Okay, sie wartet auf uns. Und vielleicht sagen wir dann irgendwann: Leb wohl. Atmo/Musik Abspann: Fahrradloft und Möckernkiez Alternative Bauprojekte in Berlin Sie hörten eine Sendung von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Es sprachen: Marietta Bürger und Gregor Höppner Ton und Technik: Daniel Dietmann und Katrin Fidorra Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016. Atmo