Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) DeutschlandRadio Deutschlandradio Zeitfragen Comeback der Saurier? Die Energiewende von unten ist in Gefahr Autor: Philip Banse Redaktion: Martin Hartwig MUSIK (darauf die Collage) 1. OTON Es ist ja heute nicht mehr die Frage, ob wir die Energiewende machen, sondern wer die Energiewende macht. 2. OTON Bürgerenergie ist der Anfang von einem Trend, der sich durch ganz Deutschland ziehen wird. 3. OTON Was wir an der Energiewende im Großen super spannend finden, ist, dass da neue Akteure auf den Markt kommen, kleinere Akteure, die aber Dinge in Gang setzen können, wo man früher ein Riesenunternehmen, eine Struktur drum herum brauchte. Durch den technologischen Wandel ist es immer mehr möglich Energieproduktion in Eigenregie umzusetzen. Und das ist für uns revolutionär. 4. OTON Für uns ergibt sich die Vision: Dieser grundlegende Wirtschaftszweig, die Energieversorgung, die gehört eben zu einem guten Teil, wenn nicht zum größten Teil in Bürgerhand. ATMO Straßenlärm 5. OTON Wir stehen jetzt hier vor einem der Gebäude der Stromnetz Berlin. Die Stromnetz Berlin ist eine Tochter von Vattenfall und wir stehen vor der größten Leitwarte in Berlin. BANSE: Was wird hier drin gemacht? Hier ist die Schaltzentrale des Berliner Stromverteilnetzes. Hier wird sozusagen überwacht und geschaltet und drauf geachtet, dass alle Berliner möglichst an ihren Strom kommen. BANSE: Und Sie wollen das kaufen? Genau. Ich will das kaufen. Nicht ganz allein allerdings (lacht). AUTOR Luise Neumann-Cosel ist Vorstand BürgerEnergie Berlin, einer Genossenschaft, die das Berliner Stromnetz kaufen will. 6. OTON BANSE: Erzählen Sie doch mal, warum wollen sie das kaufen? Vor allem, weil ich mir sicher bin, dass das Stromnetz von Berlin nicht im wesentlichen einem Unternehmen gehören sollte, das vor allem Profitabsichten hat, sondern dass es den Berlinern und Berlinerinnen gehören sollte und zwar ganz direkt. ATMO (Gang ins Haus, hinsetzen, ATMO) AUTOR Um das Berliner Stromnetz mit Krediten kaufen zu können, müsse ihre Genossenschaft rund 100 Millionen Euro einsammeln, schätzt Luise Neumann- Cosel. Bisher sind 10 Millionen in der Kasse. "Am Geld wird es nicht scheitern", sagt sie, schließlich werde das Stromnetz Geld erwirtschaften, Investoren dürften eine Rendite von 2-3 Prozent erwarten. Wichtiger sei: Die Politik müsse sie wollen die Bürgerenergie, dürfe sich nicht von Vattenfall und Co. einnehmen lassen. 7. OTON Ich finde, der entscheidende Punkt ist: Will man bürgerliche Akteure in diesem Bereich haben? Die sind Garant dafür, dass die Energiewende umgesetzt wird. Denn die wollen Energiewende. Die wollen nicht Geld verdienen damit, sondern die Wollen erneuerbare Energien der Sache wegen. Das ist der entscheidende Unterschied. Das kriegt man nur hin, wenn man für die einen gewissen Rahmen schafft und einen geschützten Raum schafft in gewissen Grenzen. Sonst werden haben die keine Chance auch gegen die größeren Akteure sich durchzusetzen. AUTOR Die Energiewende ist eines der ambitioniertesten Projekte des Industriezeitalters. Über ein Viertel des deutschen Stroms stammt bereits aus erneuerbaren Energien. In 35 Jahren soll fast der komplette Strom aus Sonne, Wind und Biomasse stammen. Das hat bisher kein Land der Erde geschafft. ATMO (bei Kemfert im Büro) AUTOR Die Energiewende bedeutet jedoch nicht bloß, dass ein Land seine Stromquellen austauscht: Wind und Sonne statt Atomkraft und Kohle. Durch die Energiewende werden Aufgaben neu verteilt, mit denen sich Milliarden verdienen lassen: Wer produziert den Strom? Wer verteilt ihn? Wer verkauft ihn? 8. OTON Früher war es so, dass man große Kraftwerke installiert hatte Atom oder Kohle, und dann wurde der Strom zu den Bürgern gebracht. AUTOR Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. 9. OTON Heute wird der Strom vor Ort mehr oder weniger produziert durch Solaranlagen, durch Windanlagen, sehr nah an dem Verbraucher. Und in sofern wird das alles dezentraler. AUTOR Auf Dächern, Hügeln und Feldern - in den letzten 15 Jahren sind über die ganze Republik verteilt Zehntausende kleiner Sonnen- und Windkraftwerke entstanden, üppig gefördert mit Milliarden, die alle Stromkunden als Aufschlag auf ihre Stromrechnung bezahlen. Doch diese Chance haben vor allem Bürger ergriffen: Etwa die Hälfte des Ökostroms in Deutschland wird in Anlagen produziert, die Bauern, Lehrer und Mittelständler betreiben. Die vier großen Energiekonzerne haben die Energiewende bisher verschlafen, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. 10. OTON Der größte Teil der Investitionen kommt im Moment von Privatpersonen und Energiegenossenschaften und deswegen ist das eine Bürgerenergie, so wie wir sie im Moment sehen, weil nur ein kleiner Teil der Investitionen von Konzernen kommt. Im Moment ist die Energiewende eine Bürgerenergiewende. AUTOR Doch ob das so bleibt, ist nicht ausgemacht. 11. OTON Im Moment gibt es so eine Unsicherheitsphase, weil man nicht weiß, ob die Gesetze jetzt so ausgestaltet werden, dass es mehr Probleme gibt für die Bürgerenergie. AUTOR Für die vier großen Energiekonzerne geht es um Milliarden; neuste Gesetze schränken die Bürgerenergie ein. 12. OTON Die Akteure sind verunsichert und stellen Investitionen zurück. Der Rückhalt für die Energiewende insgesamt sinkt und damit gerät dieses Großprojekt eben in Gefahr. ATMO (Begrüßung am Eingang, Gang durchs Haus auf die Terrasse.) 13. OTON Hier ist meine Visitenkarte vom Sonnenflüsterer. AUTOR Sonnenflüsterer, so nennt sich Erhard Renz. So heißt sein Blog, so steht es auf seinem Auto. Pensionär Renz steht für die Frühphase der Bürgerenergie in Deutschland. ATMO (Gang runter in den Keller) AUTOR Vor 14 Jahren hat Renz sich erstmals Solarzellen aufs Dach gesetzt. Attraktiv war das wegen des Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG. Das legte fest: Wer Ökostrom produziert, darf ihn garantiert ins Stromnetz einspeisen und bekommt dafür einen garantierten Preis - 20 Jahre lang. Garantiert. Den lange sehr hohen Garantiepreis für Ökostromer haben alle Stromkunden bezahlt mit einem Aufschlag auf ihre monatliche Stromrechnung. Dieser Förder-Mechanismus hat zu einem Boom der erneuerbaren Energien in Deutschland geführt. 14. OTON Der aktuelle Verbrauch ist gerade 4,2 KW, also es läuft gerade der Trockner. Der wird natürlich immer dann eingeschaltet, wenn wir viel Strom haben. AUTOR Irgendwann wurde die Förderung mit dem garantierten Abnahmepreis aber sehr teuer. Die Politik senkte die Vergütung für Ökostromer immer weiter und machte die Vorgabe: Nicht mehr nur einspeisen und kassieren, sondern mehr selbst verbrauchen. Das läutete die nächste Phase der Bürgerenergie ein. 15. OTON Was ich einspeise ins Netz, ich kriege glaube ich noch 18 Cent pro Kilowattstunde. Aber kaufen würde ich ihn für 27. Deswegen ist es eigentlich sinnvoller, ihn im eigenen Haus zu verbrauchen und nicht zu verkaufen. AUTOR Und weil es mittlerweile so reizvoll ist, den selbst produzierten Strom selbst zu verbrauchen, hat Erhard Renz sich auch noch eine Batterie unter die Treppe gestellt. Ein grauer Kasten, hüfthoch. Ein Display zeigt an, was die Solarmodule auf dem Dach produzieren und wann die Batterie gebraucht wird. 16. OTON Man sieht, ich stehe sehr früh auf mit meiner Frau um 5 Uhr, haben wir einen Kaffee gekocht, das wird alles aus der Batterie bedient. In dem Moment, wo die Sonne anfängt zu scheinen und die Stromproduktion beginnt geht dieser grüne Pfeil nach oben und die Batterie wurde wieder geladen und war dann um 10 Uhr wieder voll. AUTOR Schnell war findigen Energiebürgern klar: Strom nur auf dem eigenen Dach produzieren selbst verbrauchen, damit lässt sich das viertgrößte Industrieland nicht betreiben. Menschen wie Erhard Renz zündeten die nächste Stufe der Bürgerenergie und gründeten Energiegenossenschaften: Privatmenschen legen Geld zusammen, um große Anlagen auf fremden Dächern zu installieren. ATMO (Frau Knoll steigt mit der Leiter aufs Dach) 17. OTON Na, gut. Lange nicht mehr oben. BANSE: Wie ist das für sie wenn sie hier hoch kommen Schön, sehr schön. Bisschen aufregend immer noch, aber steckt viel Arbeit dadrin, wirklich viel Arbeit AUTOR Frau Doktor Rosalie Knoll steigt auf das Flachdach von "Betten Knoll", ihrem Laden in einem Gewerbegebiet von Heidelberg. Auf dem Dach blinken Solarmodule in der Sonne und produzieren Strom. Das Besondere ist: Frau Knoll stellt nur die Dachfläche. Planung, Installation, Wartung und Finanzierung - hat die Heidelberger Energiegenossenschaft übernommen. Frau Knoll war sofort begeistert. 18. OTON Weil ich diese Jungens von der Energiegenossenschaft so frisch und innovativ und pioniermäßig fand und ich bin ein Pioniermann, äh -frau (lacht). Die Leute und die Idee hat mir gefallen und wir haben hier wirklich Pionierarbeit geleistet. ATMO (Ins Auto einsteigen) 19. OTON (Im Auto) Das Besondere beim Projekt Betten-Knoll ist, dass wir das Dach pachten von Frau Knoll, ihr mit unseren Mitgliedern gemeinsam eine Anlange finanziert aufs Dach bauen und ihr den Strom daraus liefern, sie aber damit sonst nichts zu tun hat, wenn die Anlage mal nicht läuft oder gewartet werden muss, hat sie alles nichts mit zu tun. Sie bezahlt einfach ihre Rechnung und kann sich freuen, dass sie Strom vom Dach beziehen kann. AUTOR Andreas Gißler hat die Heidelberger Energiegenossenschaft vor xx Jahren mitgegründet. Bis heute haben die Heidelberger Energiegenossen xx Windräder errichtet xx Solaranlagen gebaut - wie die auf dem Dach von Betten-Knoll. ATMO (Frau Knoll steigt mit der Leiter vom Dach) AUTOR Einen Teil des Stroms speist die Genossenschaft zum Garantiepreis ins Netz, einen Teil verkauft sie an jene Menschen, die ihr Dach zur Verfügung gestellt haben, wie die Firma Betten-Knoll: 20. OTON BANSE: Und zahlen sie denn weniger für ihren Strom? Gleich wie früher. Rechnen tut sich´s nicht, aber die Idee ist gut. Die Idee ist gut und jeder kann ja seinen Beitrag leisten zur Energiewende. ATMO (Aussteigen aus Auto) AUTOR Andreas Gißler muss zu einem weiteren kleinen Kraftwerk seiner Heidelberger Energiegenossenschaft, die Fernwartung ist defekt. 21. OTON Jetzt sind wir in hier bei den Gebäuden der Neuen Heimat in Nußloch, das liegt ungefähr 10 km neben Heidelberg. Und hier stehen eben die Häuser mit den Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach. AUTOR Eine einfache Wohngegend, 14 schmucklose Mehrfamilienhäuser, 3 Stockwerke, direkt neben der ratternden Transportseilbahn von Heidelberg Zement. Dieses Projekt steht für die nächste Etappe der Bürgerenergie. Stufe 1 war der Sonnenflüsterer: Eigene Solaranlage auf eigenem Dach, Strom selbst verbrauchen. Betten-Knoll war schon komplexer: Eine Energie-Genossenschaft installiert auf fremden Fabrik-Dächern Sonnenkraftwerke. Doch es gab nur einen Kunden: Betten- Knoll. ATMO AUTOR In Nußloch haben die Heidelberger Energiegenossen ihr Sonnen-Kraftwerk erstmals auf 14 Mietshäusern installiert: Jetzt können xx Menschen Strom vom Dach beziehen. ATMO kurz stehen lassen 22. OTON Die Anlagen haben ungefähr ein Jahr Planung, bis wir Verträge unter Dach und Fach hatten, Installateure ausgewählt und die Finanzierung stand. Und wenn es dann wirklich losgeht mit dem Bau, geht das Ratzfatz, im 2,5 Tage Takt wurden die Anlagen in Betrieb genommen. Das ist natürlich schon eine feine Sache, wenn man sieht, dass Energiewende eigentlich auch ganz einfach ist und man dann innerhalb von einem Monat hier die ganze Siedlung rechnerisch mit Solarstrom versorgt. Das ist halt ne coole Sache (lacht). ATMO (Reparatur des Fernwartungsgeräts) AUTOR Doch so einfach ist es dann doch nicht. Bisher beziehen nur 10 Prozent der Mieter sauberen Strom vom eigenen Dach. Das sähe ganz anders aus, wenn die Politik den Strom vom Dach nicht sinnlos verteuern würde, sagt Andreas Gißler. Das liege an der EEG-Umlage. Diese Umlage muss jeder Stromkunde mit seiner monatlichen Rechnung zahlen, derzeit sind das gut 6 Cent, damit werden vor allem die Garantiepreise für Ökostromer bezahlt, wenn sie ihren Strom ins allgemeine Netz einspeisen. Der Sonnen-Strom für die Mieter geht aber vom Dach direkt in deren Wohnung. Warum die Mieter trotzdem die Umlage zahlen müssen, versteht Andreas Gißler nicht. 23. OTON Nö, kann ich nicht nachvollziehen. (...) Momentan sieht es nicht so aus, als wenn es die Politik wirklich möchte, dass es lokal erzeugt und vertrieben wird. ATMO (Gang aus Keller auf Straße) AUTOR Die gebremste Euphorie der Mieter hat viel damit zu tun, dass das alte Energie- System sie nicht so einfach gehen lassen will: 24. OTON Ne, ne, ne. Das war schon auch problembehaftet für die Leute. Wir haben uns auch gekümmert und haben versucht, unser bestes zu geben. AUTOR Im alten System haben die Mieter ihren Strom von EnBW bekommen. Der Versorger hat irgendwann mal einen Stromzähler in den Keller gesetzt und rechnet damit den Strom ab. Wenn Mieter zu den Energiegenossen wechseln, um Sonnenstrom vom Dach zu beziehen, tauscht Andreas Gißler den Zähler aus. Einen Zähler ausbauen, abschalten, löschen? Das war im alten Energiesystem nicht vorgesehen. Nicht in der Software, nicht in der Verwaltung, nicht in den Köpfen der Mitarbeiter. Und so erhielten die neuen Kunden von Andreas Gißler weiter Rechnungen vom alten Stromversorger. 25. OTON Das war schon viel Gemache, wo wir dann auch bei den Mietern waren, um ihn mit den Briefen zu helfen, drum zu kümmern, waren beim Karlsruhe beim Energieversorger, hatten dann Mahnsperren eingerichtet, damit die Mahnung nicht raus gehen bis das mit dem Netzbetreiber geklärt. Irgendwann haben die dann verstanden, dass das stillgelegte Zähler sind, aber das hat sich schon gezogen. AUTOR BANSE: Das ist wirklich dieser banale Fakt, wir schrauben einen schwarzen Plastikkasten von der Wand und schrauben den baugleichen Plastikkasten, der aber nicht der alte Firma gehört, wieder ran, das hat im Kern dieses ganze Durcheinander verursacht? Das ist korrekt. Ja. Schon verrückt, wenn man sich das vorstellt. ATMO (Atmo Straße) AUTOR So oder so ähnlich produzieren Zehntausende Bürger in Deutschland Strom und liefern fast die Hälfte des deutschen Ökostroms. Einige Bürger-Unternehmungen wie Greenpeace Energy oder die Schönauer Elektrizitätswerke setzen eher auf größere Anlagen. Die Heidelberger Energiegenossenschaft sieht viel Potential vor allem in eher kleineren Anlagen wie der von Erhard Renz, dem Sonnenflüsterer. ATMO (Gang zur Terrasse, hinsetzen) 26. OTON Die Zeit spielt für uns. Wenn die ersten Photovoltaik-Anlagen aus der EEG- Vergütung rauslaufen, ist das Spiel für uns sowieso gewonnen. AUTOR Was Renz sagt, klingt erstmal paradox: Wenn ihm die Subvention für seine Solaranlage gestrichen wird, soll das gut, das Spiel gewonnen sein? Der Gedanke geht so: Jede Ökostrom-Anlage kann ihren Strom zum Garantiepreis verkaufen - aber eben nur für 20 Jahre. Danach gibt es keinen Cent mehr. Das ist für die Besitzer wie Renz natürlich erstmal schlecht. Der Effekt ist aber, dass seine Anlage jetzt abbezahlt ist und fast umsonst Strom produziert, den er frei auf dem Markt anbieten muss. Wenn das bei Hunderttausenden Wind- und Solaranlagen passiert, dürfte das für eine Menge günstigem Ökostrom sorgen, glaubt Renz. 27. OTON Wenn wir mal genügend Dächer haben, wo man gar nicht mehr anders kann, als die Module liegen zu lassen, weil es einfach vom Aufwand blöd wäre, sie runter zu holen und woanders zu montieren, dann wird der Sonnenstrom sehr, sehr günstig werden. AUTOR Die Frage für die Millionen Betreiber dieser Klein-Kraftwerke ist dann: Wohin mit diesem billigen Ökostrom? Dazu kommen politische Vorgaben: Auch wer neue Sonnen- oder Windanlagen baut, muss seinen Strom immer mehr auf eigene Faust verkaufen. Es wird also immer mehr Stromkraftwerke geben, die ihren Strom nicht einfach zum Garantiepreis einspeisen können, sondern selbst sehen müssen, wie sie die Energie verkaufen. Und das führt zur die nächste Stufe der Bürgerenergie. ATMO (Messe, Stimmen) 28. OTON Wir glauben, dass es in der Zukunft zu hochgradig verteilten, kleinteiligen System kommen wird, wo auf jedem Haus eine Photovoltaik-Anlage Strom produziert oder ein Kombi-Kraftwerk Strom und Wärme im Keller, und dass ein großer Teil des Energiebedarfs der Menschen vor Ort auch vor Ort produziert wird. AUTOR Und für diese Zukunft will das Berliner StartUp SunRride die richtige Software entwickeln. 29. OTON Wir machen es den wirklich lokalen Organisationen vor Ort möglich, zu Mini- Stromversorgern zu werden. 30. OTON Du siehst hier den Prototypen von SunRide, den wir in sechs Monaten zusammen gebaut haben.... AUTOR Auf der Computermesse CeBIT in Hannover zeigt Stefan Thon, Mitgründer von SunRide seine Software für die Energieversorger von morgen. Er kennt Energiegenossenschaften wie die in Heidelberger, er kennt deren Sonnenkraftwerke auf den Dächern von Betten-Knoll und den Mietshäusern in Nussloch. Doch das ist nicht mehr als eine Art Subsistenzwirtschaft: das sei erst der Anfang. Direkt mit Strom beliefert werden immer nur die Häuser mit der Anlage auf dem Dach. Der restliche Strom geht zum Garantiepreis ins allgemeine Netz. Doch der Garantiepreis sinkt, wird irgendwann ganz wegfallen. Die Politik zwingt Ökostromer mehr und mehr, ihren kompletten Strom selbst zu verkaufen. Wie soll das gehen? 31. OTON Die Innovation ist jetzt quasi noch darin nötig: Wie kann ich es schaffen, eine große Anzahl kleinerer Photovoltaik-Anlagen zu betreiben? Wenn das geknackt ist, wird sich das auch professionalisieren. AUTOR Kai Hock meint, diesen Baustein für ein Energiesystem der Zukunft gefunden zu haben. ATMO (Begrüßung in den Bürgerwerken) AUTOR Kai Hock ist 32 Jahre und hat molekulare Biotechnologie studiert. Vor anderthalb Jahren hat er mit anderen die Heidelberger Bürgerwerke gegründet. 32. OTON Ein ganz normales Energieversorgungsunternehmen, genau. AUTOR Die Bürgerwerke sind ein Zusammenschluss von 28 Energiegenossenschaften, die alle ihren Strom bundesweit anbieten wollen und müssen. Sie könnten ihren Strom an industrielle Stromvermarkter übergeben. Das aber widerspricht der Vision, Strom von Bürgern für Bürger zu liefern. Selbst zum bundesweiten Stromanbieter aufzusteigen, das ist komplex und für eine Energiegenossenschaft allein nicht wirtschaftlich zu machen, sagt Kai Hock. Aus dieser Not entstanden die Bürgerwerke. 33. OTON Die Bürgerwerke sind was komplett Neues. AUTOR In Berlin, München, Flensburg oder Gelsenkirchen - durch die Bürgerwerke kann jeder rechnerisch jetzt Strom vom Betten-Knoll kaufen. Wie das? Den deutschen Strommarkt kann man sich wie einen See vorstellen: Kraftwerke schütten was rein, Verbraucher nehmen was raus. Aber: Der Wasserstand des Sees muss immer exakt gleich bleiben, sonst bricht das das Stromnetz zusammen. Es fließen also nicht die physikalischen Elektronen vom Heidelberger Betten-Knoll nach Hamburg oder Berlin. Wenn aber Berliner über die Bürgerwerke Strom vom Betten-Knoll kaufen, finanzieren sie einen zusätzlichen Zufluss zum Stromsee und sorgen so dafür, dass weniger Strom aus Kohle oder Atomkraft in den See passt. 34. OTON Das Neue daran ist, dass wir Strom verwenden aus Anlagen, die von Bürgern gebaut, finanziert und betrieben werden. Das gibt es so nicht bisher. AUTOR Die Bürgerwerke sind die aktuelle professionellste Stufe der Bürgerenergie. Sie bieten die Struktur, dass Bürger ihren Strom selber produzieren, verkaufen und verbrauchen - zu tendenziell sinkenden Preisen. So könnten die Ökostromer nicht nur 27 Prozent des gesamten Strombedarfs in Deutschland decken, sondern fast 100, glaubt Hock. 35. OTON Wenn wir ankommen wollen in dieser neuen Energiezukunft, dann werden wir schauen müssen, wo ist eigentlich der Platz von den bisherigen Akteure? Ich glaube, der ist deutlich kleiner, als sie sich das bisher so vorstellen und ich kann auch verstehen, wenn die Großen um ihre Marktanteile kämpfen. Aber sie stehen ihnen in einer modernen Gesellschaft nicht mehr in der Form zu. AUTOR Die alten Energieriesen spielen in der Vision von Kai Hock nur noch eine Nebenrolle: Vattenfall und Co. betreiben vielleicht teure Windparks auf dem Meer und ein paar Reservekraftwerke. Stromproduktion, Verkauf und Vertrieb - alles dezentral in Bürgerhand. AUTOR Die Kräfte des Systemwandels sind bereits so mächtig, dass der erste der Vier großen Energiekonzerne bereits nachgeben musste. ATMO (Claudia Büro von Claudia Kemfert) AUTOR Der Energieriese EON beschloss nach Milliardenverlusten nur noch auf erneuerbare Energien zu setzen. Das alte Geschäft mit Kohle, Gas und Atomkraft wurde abgespalten. 36. OTON Es hat das Signal, dass auch ein Konzern wie EON verstanden hat, dass die Energiewende andere Geschäftslösungen hervorbringt, dezentrale Lösungen, mehr Speicher, mehr Intelligenz, mehr vor Ort. Und das ist ein neues Geschäftsmodell und das konfligiert mit dem alten Geschäftsmodell. AUTOR Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. EON könne jetzt vor auf dezentrale Erneuerbare setzen und müsse keine Rücksicht mehr nehmen auf das alte, zentrale System aus Kohle und Atomkraft. 37. OTON Das ist ja auch der Grund, warum die großen Konzerne so wenig getan haben für neue Energie, sondern eher in der alten verharren. EON zeigt jetzt, es ist ein mutiger Konzern, geht nach vorne und zeigt wie es gehen kann und wie auch Konzerne sich in so einer Energiewende-Welt bewegen. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und ich kann mir vorstellen, dass viele andere folgen werden. AUTOR Doch die etablierten Energieriesen wollen den Milliardenmarkt "Strom" den Energiegenossen nicht kampflos überlassen. 38. OTON Die Lobby der Großkonzerne und auch des Kapitals ist extrem stark. Und die Lobby der Bürgerenergie ist extrem schwach. AUTOR sagt Energieforscherin Claudia Kemfert. 39. OTON Die Lobby von Bürgern an sich ist extrem schwach, weil man eben sehr stark Argumente hat, die stark von Seiten der Unternehmen und des Kapitals kommen für mehr Markt - und das hilft dann eher dem Großkapital und nicht der Bürgerenergie. Und insofern ist die Sorge schon berechtigt, dass dann zu Ungunsten der Bürgerenergie entscheiden wird. AUTOR Diese Sorge beherrschte den Jahreskongress der Bürgerenergiegenossenschaften in Berlin. ATMO Jahreskongress Bürgerenergie AUTOR Alle Redner kritisierten, die Bundesregierung habe zuletzt eine ganze Reihe von Gesetzen erlassen, die den Energiebürgern das dezentrale, lokale Stromen schwer mache. Kleinanlegerschutzgesetz etwa soll Kleinanleger schützen, mache es Energiegenossenschaften aber schwer, Geld einzusammeln, sagt Jakob Müller, Doktorand an der Uni Erfurt und Berater der Lobbyorganisation Bündnis Bürgerenergie. Müller hat die Auswirkung der neuen Gesetze auf die Bürgerenergie untersucht. 40. OTON Das Kernergebnis ist, dass die Energiegenossenschaften einen Boom erlebt haben seit dem Jahr 2006, sie sind sehr stark expandiert. Und seit dem Jahr 2013 kann man einen drastischen Rückgang bei den Neugründungen beobachten. Und wir führen darauf zurück: Die Energiegenossenschaften sind sehr sensible Organisationen, die sehr sensibel auf Umgebung reagieren. Diese Auswirkungen haben zu einer großen Verunsicherung geführt. AUTOR Die größte Verunsicherung jedoch hat die Reform des Erneuerbare-Energien- Gesetzes im vergangenen Jahr ausgelöst. Lange konnten Ökostromer ein Windrad oder Solarmodule aufstellen und wussten: Wir werden unseren Strom garantiert los, zum Garantiepreis. Jetzt sieht das Gesetz vor, dass Ökostrom-Kraftwerke ab einer bestimmten Größe ausgeschrieben werden. Wer also Solar-Parks errichten will, muss sich bewerben, muss vorher berechnen, was der Strom wohl kosten wird. Der billigste Bewerber darf dann bauen. So sollen die Kosten für Ökostrom gesenkt werden, hoffen EU und Bundesregierung. Für Ökostrom-Produzenten bedeuten Ausschreibungen aber erstmal: Gutachten, Juristen, hohe Kosten. 41. OTON Und all diese Schritte führen dazu, dass ich als kleiner Energiewende-Akteur eine deutlich größere Hürde habe ein solches Projekt anzufangen. AUTOR Felix Schäfer von den Heidelberger Bürgerwerken: 42. OTON Weil ich - so ein Projekt zieht sich über Monate und Jahre - am Anfang gar nicht weiß, die ganze Arbeit, die ich da rein stecke, lohnt die sich überhaupt? Weil ich ja gar nicht weiß, ob ich den Zuschlag bekomme. AUTOR Derzeit experimentiert die Bundesregierung noch mit den Ausschreibungen, will Erfahrungen sammeln. Aber Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält Ausschreibungen für das falsche Rezept, um die Energiewende voran zu bringen: 43. OTON Es gibt eben Erfahrungen mit Ausschreibungen aus anderen Ländern, die sind nicht sehr positiv. Sie sind eher teuer, sie bringen erhebliche finanzielle Risiken mit sich und die Ausbauziele werden gar nicht erfüllt und für eine Bürgerenergie würde das erhebliche Probleme mit sich bringen. Ich denke die Bundesregierung hat verstanden, dass das ein Problem sein kann. Die Sorge, die ich auch habe, ist, dass man die Bedingungen für Ausschreibungen so schafft, dass Bürgerenergien benachteiligt werden. ATMO (Straße) AUTOR Auch Luise Neumann-Cosel, die Frau, die mit ihren Genossen das Berliner Stromnetz kaufen will, vermisst die politische Unterstützung für die Bürgerenergie. 44. OTON Was aber spannend ist und was man gleichzeitig beobachten kann, dadurch, dass diese Projekte nicht mehr so trivial sind, konnte diese Bewegung auch wachsen, an Knowhow gewinnen und an Selbstvertrauen und sagen: Na gut, wenn das über den leichten Weg nicht mehr geht, dass wir einfach die Anlage aufs Dach setzen und ins Netz einspeisen, dann müssen wir eben Projekte machen, wo wir den Strom selbst verbrauchen, wo wir an Mieter den Strom liefern, den wir erzeugen. Da gibt es einen Fortschritt, dass viele sagen: Gut, den ersten Schritt haben wir gemeistert, dann werden wir den zweiten auch hinkriegen. 1