COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft – 20.6.2013 Kunst auf Knopfdruck Die Kreativ-Maschinen kommen Von Lydia Heller Computer helfen uns beim Rechnen und Suchen, beim Einparken und Einkaufen und schlagen uns im Schach. Roboter saugen Staub und erkunden den Mars: Es gibt fast keine Sphäre des Lebens, in denen Maschinen den Menschen nicht unterstützen. Nur: kreativ sein, Dinge erfinden, wirklich Neues kreieren, das können Maschinen nicht. NOCH nicht. Denn mittlerweile arbeiten Forscher an komponierenden Computern, schreibenden Algorithmen und malenden Robotern. Damit rütteln sie an einem der letzten Unterschiede zwischen Mensch und Maschine: der Fähigkeit zur Kreativität. Aber was ist überhaupt ein kreativer Prozess? Ist er programmierbar? Und wenn ja – was bedeutet das? Für Künstler, Wissenschaftler – für die Gesellschaft? Musik: Cope / Emmy – Bach (kurz frei, dann unter Sprecher) VO-Sprecher: Das wohlprogrammierte Klavier, Komposition im Stil von Johann Sebastian Bach. Komponist: Experiments in Musical Intelligence, kurz Emmy. Progammierer: David Cope, Ende der 1980er Jahre. 1. Musik: s.o. nochmal kurz frei, dann unter Vox 2. Voxpops1: „…dass Maschinen Musik komponieren, wusste ich nicht. / kann ich mir nicht vorstellen../ ..klingt aber schon nach Maschine, oder? / …wenn ich es nicht wüsste, könnte ich nicht sagen, ob das ein Computer oder ein Mensch spielt. …“ 3. Musik: Iamus / Tránsitos (kurz frei, dann unter Sprecher) http://www.youtube.com/watch?v=fKRdRzhMgbU&feature=youtu.be/ VO-Sprecher: Transitos. Komposition für Orchester von Iamus – Kompositionscomputer an der Universität Málaga. Eingespielt vom London Symphonic Orchestra, April 2012. 4. Musik: Iamus/Transitos (nochmal kurz hoch, dann unter Vox) 5. Voxpops2: „…schön, finde ich das… / ein bisschen unheimlich ist das schon, wenn man sich das vorstellt, dass Maschinen sowas können.“ 6. Musik: s.o. – Schluss (etwas länger frei, ausklingen lassen, dann Sprecher) Sprecher1: Iamus ist knapp drei Jahre alt und hat bereits rund eine Milliarde Songs jedes erdenklichen Genres geschrieben. Er hat ein Album herausgebracht und Symphonien komponiert, die das renommierte London Symphony Orchestra so überzeugten, dass es sich zu Aufnahmen bereit erklärte. Dabei strebt Iamus nicht nach Ruhm. Er kennt keine Star-Allüren – aber auch keine Liebe und keinen Schmerz. Statt ein Instrument zu spielen, rechnet er. Iamus ist ein Super-Computer – entwickelt an der Universität von Málaga und benannt nach dem Sohn des Gottes Apoll, der die Sprache der Vögel verstehen konnte. Er hat die Rechenleistung einiger hundert moderner PCs und verarbeitet den Algorithmus „Melomic“. Sprecher2: Bekommt Iamus Vorgaben, etwa eine bestimmte Stimmung oder bestimmte Instrumente, braucht er rund acht Minuten, um danach ein Musikstück zu komponieren. Die Ergebnisse halten einem Vergleich mit von Menschen erdachten Kompositionen durchaus stand: 7. Musik: Iamus/“Hello World“ (kurz hoch, dann unter Sprecher) http://www.youtube.com/watch?v=JOkslCT8DZU http://www.youtube.com/watch?v=ygMRtXxqEBw&feature=plcp Sprecher2, weiter: Die britische Zeitung The Guardian stellte Ende des vergangenen Jahres fünf Musikstücke auf Ihre Webseite und fragte ihre Leser, welches davon von einem Computer komponiert worden sei. Ein Viertel der Leute tippte richtig und identifizierte die Iamus-Komposition „Hello World“ als Werk eines Algorithmus. Ein Drittel aber hielt ein Stück von Gustav Mahler für eine Maschinen-Komposition. 8. Trenner (was kurzes, trockenes – Hintergrund) Sprecher1: Der Wunsch, mit Computern auch das Feld der Kunst, der Sinne, Gefühle und Fantasie zu ergründen, ist nicht neu: Bereits Anfang der 1970er Jahre entwickelte der britische Künstler und Informatiker Harald Cohen seinen Mal-Algorithmus Aaron – dessen Bilder schon bald in Museen für zeitgenössische Kunst ausgestellt wurden. Als eigentliches Kunstwerk allerdings – als sogenannte „generative Kunst“ – galt vielen Kritikern die Software Aaron selbst. Deren Bilder, gleichsam „Nebenprodukte“ des eigentlichen Kunstwerks, fanden nur wenig Anklang. Sprecher2: Heute komponieren Computerprogramme nicht nur Musik, die von renommierten Musikern ernstgenommen wird – sie verfassen auch Berichte über Baseball- und Fußballspiele, schreiben Gedichte, designen Computerspiele. Sie beginnen, selbstständig zu arbeiten, Ideen zu entwickeln – kreativ zu sein. 9. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: 05:22) “Jetzt geht es um mehr, als eine Software zu bauen, die zum Beispiel ein Bild malen kann. Es geht um die Intelligenz dahinter – die Intelligenz, die nötig ist, um sich etwas auszudenken, zu entwerfen und dann umzusetzen.“ Sprecher2: Simon Colton, Informatiker in der Arbeitsgruppe für Künstliche Kreativität am Imperial College in London, arbeitet seit etwa fünf Jahren an seinem „Painting Fool“, dem malenden Narren. Ein Programm, mit dem er die Potenziale maschineller Kreativität auslotet. 10. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: FILTERN!!! (5:22, 2/3:41) “Man kann Software programmieren, die einen Malprozess simuliert ..und die dann ein Bild produziert, das aussieht, als wäre es von Hand gemalt. Aber das ist viel einfacher als eine Software zu schreiben, die ihre Arbeitsschritte nachvollziehen kann, ihre eigenen Bild-Ideen findet und die dann auch malt. Das ist der Hintergrund vom Painting Fool: ..das Ziel ist, dass die Software eines Tages ernst genommen wird – als eigenständiger kreativer Künstler.“ Sprecher2: Aber können Algorithmen wirklich kreativ sein? Sind sie – und das, was sie hervorbringen – nicht immer ein Abbild der Kreativität ihrer Programmierer? Um dies beantworten zu können, muss man zunächst fragen, was das eigentlich ist: menschliche Kreativität. 11. Trenner (Übergang neues Thema) Sprecher1: Bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts etwa galt die Vorstellung des „Originalgenies“: Nur wenige begabte Menschen sind demnach zum Schöpfertum in der Lage. Der kreative Akt resultiert aus göttlicher Eingebung – aus dem berühmten „Geistesblitz“, der diese Menschen trifft und nicht weiter hinterfragt werden muss. Erst der „Sputnik-Schock“ befeuerte die wissenschaftliche Kreativitätsforschung: Aus Sorge, nicht genug originelle Forscher hervorzubringen und den Status als Technologie-Weltmacht zu verlieren, startete die USA in den 1960er Jahren große Programme, um begabte Menschen zu identifizieren und zu fördern. Es entstanden Verfahren zur Kreativitätsmessung, die noch heute angewendet werden. Professor Joachim Funke vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg: 12. O-Ton, Funke, dt.: (8:08) „…wie der unusual uses-Test. Die Frage, was kann man mit einem Ziegelstein anfangen: Natürlich kann man einen Ziegelstein zum Bauen verwenden. Aber damit hört es nicht auf. Ich kann den Ziegelstein als Wurfgeschoss verwenden, ich kann ihn kleinhacken und die Krümel als Farbstoff verwenden – Sie haben viele Möglichkeiten, was mit einem Ziegelstein möglich ist. Dieses Testverfahren, unusual uses, fragt danach, was fällt mir ein, was man mit einem ganz gewöhnlichen Gegenstand für ungewöhnliche Verwendungen verbinden kann.“ Sprecher2: Ein anderes Verfahren, der „Remote Associates Test“, untersucht die Fähigkeit von Menschen, flexible Assoziationen zu bilden. Die Testpersonen bekommen drei nur wenig miteinander in Verbindung stehende Begriffe und müssen die Gemeinsamkeit benennen – bei den Wörtern „Hase“, „Wolke“ und „Farbe“ beispielsweise wäre es: „weiß“. -- Im „Torrance Test of Creative Thinking“ wiederum müssen bestimmte, vorgegebene geometrische Figuren zu neuen Bildern vervollständigt oder neu kombiniert werden. Sprecher1: Was solche Tests aber über die Fähigkeit zu kreativem Denken wirklich aussagen, ist unter Psychologen umstritten. Denkt jemand schon kreativ, wenn er über einen Pool an Wörtern und Formen und deren Bedeutungen verfügt und diese kombinieren kann? Oder ist das nur ein Teil eines kreativen Prozesses? Und folgen daraus am Ende verlässlich kreative Handlungen? 13. O-Ton, Funke, dt.: (9:03, 7:02) „Mit dem Messkonzept erwarten wir ja, dass wir etwas Stabiles messen, was immer wieder zum Vorschein kommt. ..Als wäre das eine Fähigkeit, die man haben kann oder nicht. ..Die Erwartung ist ja: Jemand, der kreativ ist, produziert eine Idee nach der anderen, das passiert aber in Wirklichkeit gar nicht. ..Die Evolution hat uns alle mit einer kreativen Komponente ausgerüstet, weil mit den Routine-Programmen würden wir im Alltag an vielen Stellen scheitern. Deswegen ist in jedem von uns ein kreativer Impuls angelegt. Aber wir verfügen vielleicht in unterschiedlichem Maße über das Vermögen, unsere kreativen Impulse zu nutzen. ..Deswegen tut sich die Psychologie so schwer mit der Messung von Kreativität.“ Sprecher1: Hirnforscher haben in den vergangenen Jahren begonnen, nach den biologischen Ursachen dieses „kreativen Impulses“ zu suchen. Denn – wenn zwar alle Menschen kreativ sind, das jedoch auf verschiedene Weise und in unterschiedlichem Ausmaß – liegt es dann nicht nahe anzunehmen, dass dahinter unterschiedlich funktionierende Gehirne stecken? Sprecher2: Andreas Fink und Mathias Benedek von der Universität Graz haben die Ergebnisse mehrerer internationaler Untersuchungen über kreatives Denken verglichen. In den Studien wurden Hirnströme von Testpersonen über Elektroden auf der Kopfoberfläche abgeleitet. Während die Testpersonen Aufgaben, etwa aus dem unusual uses-Test, lösen mussten, wurde die Aktivität bestimmter Hirnareale gemessen. Dabei zeigte sich beim kreativen Denken eine generelle Zunahme der sogenannten „Alpha-Aktivität“ – bei Personen, die durch besonders originelle Ideen auffielen, war diese nochmals erhöht. 14. O-Ton, Benedek, dt.: (8:48) „Zuerst einmal waren wir überrascht, dass Alpha-Aktivität zusammenhängt mit kreativer Leistung.“ Sprecher2: Mathias Benedek vom Arbeitsbereich Differentielle Psychologie der Universität Graz. 15. O-Ton, Benedek, dt.: (10:23, 11:06, 8:48) „Alpha-Wellen bedeuten eine spezielle Frequenz der Gehirn-Wellen. .. Sehr verlässlich findet man sie, wenn man in einem sehr ruhigen, entspannten Zustand ist. Auch wenn man die Augen schließt, dann findet man sie stark am Hinterkopf, wo auch visuelle Zentren sind. Deswegen ist man ursprünglich davon ausgegangen, dass es bedeutet, dass das Gehirn in diesen Bereichen gerade nichts tut. Dass es sozusagen eine Art default-mode ist, ein Standardschwingen, wenn sonst gerade nichts ansteht. ..Jetzt geht man eher davon aus, dass eine sehr stark nach innen gerichtete Aufmerksamkeit vorherrscht, dass man sich gegen alle Reize von außen abschirmt, in seinem Kopf quasi nach innen fokussiert ist.“ Sprecher2: Zwar sei verstärkte Alpha-Aktivität kein Faktor für Kreativität oder kreatives Denken an sich, so Mathias Benedek. Allein schon, weil sie auch auftrete, wenn jemand beispielweise versucht, sich über mehrere Sekunden eine lange Buchstabenkette zu merken. Was eher keine kreative Denkleistung ist, aber auch nach innen gerichtete Aufmerksamkeit erfordert. Dennoch: die Forschungen lenken den Blick auf die Mechanismen einzelner Prozesse der Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung, die eine Rolle spielen, wenn Menschen kreative Leistungen erbringen. Prozesse, die etwa mit der Rekombination von Gedächtnisinhalten zu tun haben. Sie lenken den Blick auf die biologischen Komponenten dieser Prozesse – und auf die Frage, ob es möglich ist, sie gezielt zu manipulieren oder nachzubauen. 16. O-Ton, Benedek, dt.: (14:58, 17:37) „Zum einen haben wir einige Studien gehabt, wo wir ein Kreativtraining eingesetzt haben – und gesehen, dass nach dem Training tatsächlich die Ideen flüssiger kamen und auch zum Teil originellere Ideen. Und das auch einherging mit einer erhöhten Alpha-Aktivität. Es gibt Zusammenhänge von Kreativität und einer positiven Stimmungslage. .. Zum anderen, .. die Forschungsmethoden erlauben auch, über Stimulation auf das Gehirn einzuwirken. Und es gibt Arbeitsgruppen, die versuchen – wir versuchen das auch zum Teil – Gehirnaktivierung laufend zu verändern und zu schauen, können dadurch auch kreative Zustände hergestellt werden. Aber ..ich bin da eher vorsichtig, wie man das dann wirklich umsetzen könnte. Das ist natürlich kein Zugang, der als Standardprozedur vorstellbar ist.“ 17. Musik: melomics-Track, kurz frei, dann unter Text („Überschrift“ neues Kapitel) Sprecher1: Eine umfassende, präzise Antwort auf die Frage, was Kreativität ist, worin sie wurzelt – und wie kreatives Denken funktioniert, kann die Wissenschaft heute noch nicht liefern. Einzelne Komponenten des komplexen Vorgangs, an dessen Ende ein origineller Gedanke entsteht, verlieren jedoch mehr und mehr ihre Geheimnisse: die Rolle der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses oder der Einfluss von Fachwissen und Übung, Stress und Stimmung. Nur – reicht das bereits aus, um Kreativität oder kreatives Denken in Maschinen nachzubauen? 18. Musik: s. Musik 18, kurz hoch, dann unter Vox 19. Voxpops3: „… es sind ja doch immer die Menschen, die kreativ sind, oder? …die haben ja die Computer programmiert! / Ich sehe nicht ein Fünkchen Kreativität in dem, was eine Maschine herstellt. (Fu 16:05) / Wir wissen, dass der Prozess, der dahinter steckt, natürlich ein lächerlicher Rechenprozess ist. (Fu 17:50)“ 20. Musik: s. Musik 19, Schluss (Beginn neues Thema) Sprecher2: Seit Simon Colton seinen Painting Fool das erste Mal der Öffentlichkeit präsentierte, wird er immer wieder gefragt, was genau die Kreativität des Programms ausmache. Anhand welcher Kriterien er festmache, warum der Painting Fool kreativ sei. Seine Antwort verblüfft: Darüber nachzudenken – interessiere ihn nicht. 21. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: (11:02) “Hunderte Leute fragen jedes Jahr: Was ist Kunst? Dafür gibt es keine Definition und es kann vielleicht auch keine geben. Das gleiche gilt für Kreativität. Ich gehe deshalb einen indirekten Weg: Ich möchte, dass die Leute kein Argument mehr finden um zu behaupten, der Painting Fool sei nicht kreativ. Das Programm muss dazu nicht auf irgendeine Weise wirklich kreativ sein. Wir konzentrieren uns vor allem auf drei Aspekte: Können, eine Art Verständnis vom eigenen Tun und von der Arbeit anderer – und Vorstellungskraft. Solange die nicht vorliegen, ist es unwahrscheinlich, dass der Painting Fool für kreativ gehalten wird.“ Sprecher2: Die Philosophin und Informatikerin Margaret Boden vertrat in ihrem Buch „The Creative Mind“ bereits 1990 die Ansicht, es sei weniger relevant, dass Computer wirklich kreativ sind. Die Frage sei eher, ob sie Dinge kreieren können, die Menschen als kreativ anerkennen. Häufig, so Simon Colton, höre er beispielsweise, seine Mal-Software sei nicht kreativ, weil ihr die Fähigkeit fehle, Fantasie zu entwickeln und in ihren Bildern Gefühle auszudrücken. Also programmierte er den Painting Fool so um, dass die Software in der Lage ist, Emotionen zu erkennen und wiederzugeben. Ergebnis war unter anderem das inzwischen recht bekannte Bild namens „sad“ – „traurig“: Es zeigt ein Männergesicht, mit grau-verwischten Konturen, die Augen dunkel und ins Leere blickend. Um Mund und Nase zerfließen grau-grüne Linien, wie Tränenbahnen, von einer erschöpften, zitternden Hand gezogen. 22. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: (23:15) “Wir haben Painting Fool beigebracht, Gefühle zu erkennen, indem wir Menschen per Video beobachtet haben – wie sich ihre Gesichter verändern, wenn sie lachen, erschrecken oder sich fürchten. Die Software sollte die Gesichter nachzeichnen – und wir sagten ihr, welche Emotionen sie gerade darstellte. Danach sind es dann recht einfache Modelle, die der Painting Fool nutzt, um selbst Bilder zu malen, die diese Gefühle widergeben: Er malt mit leuchtenden Farben und leichten Strichen, wenn er Freude ausdrücken will. Schaut jemand schwermütig, wählt er dagegen Kohle, Pastell- und Grautöne. Gut möglich, dass er sein Spektrum an Emotionen noch erweitern kann.“ Sprecher1: Kritikern geht das nicht weit genug. Kreativ sein – darauf verweist Psychologe Joachim Funke – heiße: eine Absicht zu verfolgen. Die Absicht, eine neue Lösung zu einem gegebenen Problem finden zu wollen. 23. O-Ton, Funke, dt.: (16:05, 14:39) „Ein fundamentaler Unterschied zwischen Menschen und Maschinen ist die Intentionalität. Dass wir Absichten verfolgen, Wünsche haben, Visionen verfolgen! ..Der Philosoph Daniel Dennett spricht von intentional stands, von der intentionalen Grundhaltung, die Menschen von Maschinen unterscheidet. Eine Maschine folgt Regelkreisen, ohne jede Intention. Die Maschine hat nicht die Absicht, besser als van Gogh zu sein, die Maschine macht das, was wir ihr programmiert vorgeben. Absicht ist etwas fundamental Menschliches.“ 24. O-Ton, Reckwitz, dt.: (23:10) „Und das zweite ist, Kreativität bedeutet immer, dass auch bestehende kulturelle Elemente neu kombiniert werden. Der Computer kann zufällig Dinge kombinieren und dann kommt etwas Neues dabei heraus. Aber das Individuum hat Gründe, sie zu kombinieren. Also, der bildende Künstler oder der Literat antwortet auf eine bestimmte kulturelle Konstellation, zum Beispiel ein politisches Problem. Und das jetzt auch zu simulieren, bei einem Computer, wäre vielleicht nicht ganz einfach. Oder unmöglich. Diese, ich sage mal, “Zeitgeistsensibiliät“. Sprecher2: Aus kulturwissenschaftlicher Sicht, so Professor Andreas Reckwitz, Soziologe an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, entsteht der Wunsch, sich schöpferisch zu betätigen, weil sich die kreative Person mit ihrer Umwelt auseinandersetzt. Weil sie über sich selbst in ihrer Lebenswelt reflektiert, als Individuum und Teil einer Gesellschaft. Weil sie Umstände und Probleme, Gefahren und Chancen wahrnimmt, aufgrund bestimmter Wertvorstellungen beurteilt und diese weiterdenkt. Weil sie schließlich – auf der Grundlage ihrer Urteile – in die Umwelt zurückwirken will: Indem sie Probleme auf eine bestimmte Weise darstellt und kommuniziert. Und indem sie Lösungen dafür anbietet, die sie für geeignet hält. Sprecher1: Wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und was uns überhaupt auffällt – sogar: wie wir Situationen, in denen wir uns befinden, moralisch bewerten und welche Handlungen wir daraus ableiten – das wird offenbar stärker als lange angenommen davon beeinflusst, dass wir Sinne und Gefühle, dass wir einen Körper haben. 25. O-Ton, Wilutzky, dt.: (24:16) „Zum Beispiel hat man Probanden eine warme Kaffeetasse hingestellt, die sie in der Hand halten konnten, einfach ein Temperaturunterschied. Und dann waren sie viel geneigter, Risiken einzugehen, in Szenarien, wo sie sich für etwas entscheiden sollten.“ Sprecher2: Das heißt, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, beeinflusst demnach mit, wie wir die Welt bewerten und in ihr handeln. Wendy Wilutzky erforscht am Institut für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück, wie Körper und Wahrnehmung aufeinander einwirken. 26. O-Ton, Wilutzky, dt.: (25:58) „Es gibt auch Studien – je nachdem, in was für eine Umwelt man die Probanden versetzt, wenn sie zum Beispiel moralische Urteile fällen: Entweder war der Raum blitzeblank – die Leute waren dann eher geneigt, Dinge als nicht ganz so moralisch verwerflich zu beurteilen. Wohingegen, wenn man sie hingesetzt hat, mit einem stinkenden Mülleimer daneben, alles eklig – dann waren sie geneigt, Szenarien, die ihnen vorgespielt wurden, als moralisch verwerflich zu beurteilen. Und das ist natürlich immer fragwürdig, inwiefern Computer jetzt auch auf dieser Ebene Informationen verarbeiten können.“ Sprecher1: Um ein Gedicht zu schreiben, ein Bild zu malen oder Musik zu komponieren, bedarf es also nicht nur einer Person, die besonders gut dichten oder zeichnen kann oder die über das perfekte Gehör verfügt. Kreative Leistungen entstehen, wenn jemand seine Umwelt gestaltet, sie in eine bestimmte Richtung verändert. Auch Software ist inzwischen teilweise in der Lage, Modelle der Umwelt zu entwerfen – und sogar: sich von der menschlichen Umwelt „inspirieren“ zu lassen: 27. Musik: Melodie MusicSpeech - MLK, kurz frei, dann unter Text VO-Sprecher: Komposition des Programms Speech Music, automatisch komponiert auf Basis nicht-musikalischer Quellen. Vorlage: Martin Luther Kings Rede „Ich habe einen Traum“. 28. Musik: Melodie MusikSpeech - CarRoad, kurz frei, dann unter Text VO-Sprecher: Speech Music, Komposition2, inspiriert von Straßenlärm. Programmierer: Dan Ventura, Forschungsgruppe für Künstliche Kreativität, Brigham Young University Utah 29. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: „Jeden Morgen sage ich mir: ‚Software ist nicht menschlich!‘ Software und Menschen sind verschiedene Kategorien. Trotzdem können beide kreativ sein – nur eben auf verschiedene Weise! Mit Software Empfindungen zu simulieren, wie Menschen sie haben – das wird in absehbarer Zeit nicht gelingen, da bin ich ziemlich sicher. Aber: Software kann trotzdem ein Modell davon haben, was Menschen bewegt. Sie kann Kunstwerke schaffen, die Leute berühren. Sie kann anregen, über Aspekte des Lebens nachzudenken, die mit Eindrücken und Gefühlen zusammenhängen. Sie muss diese Gefühle dafür nicht selbst gehabt haben.“ 30. Musik: s. Musik 28, Schluss Sprecher1: So kommen Programmierer inzwischen auch dem Ziel immer näher, kreative Software mit einer Art eigener Intentionalität auszustatten: Seit Mitte vergangenen Jahres kann der Painting Fool seinen Arbeitsprozess zum Teil selbst kontrollieren. Als Reaktion auf den Vorwurf, Maschinen fehle jede Handlungsabsicht, erweiterte Coltons Team den Painting Fool um ein Modul, das Artikel von Online-Zeitungen durchforstet. Es zieht Schlüsselwörter aus den Texten und nutzt diese, um passende Bilder aus Google-Images oder Flickr dazu zu finden. Das Material schließlich bildet die Basis für eine gemalte Collage. 31. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: (35:51) „Eines Morgens gab es einen Artikel über den Krieg in Afghanistan, die Software fand ihn offenbar passend als Grundlage für ein Bild. Wir staunten, als wir es sahen: Es zeigte eine Mutter mit ihrem Baby, inmitten von Explosionen, Kampfflugzeugen und Gräbern. Dabei hatten wir keinerlei Vorgaben gemacht, keine Ahnung, welches Thema sie auswählen würde, welche Bilder dazu finden und wie sie die anordnen würde. Wir haben nicht mal auf ‚Start‘ gedrückt, die Software hat sich morgens selbst gestartet. Man könnte wirklich meinen, da steckt eine gewisse Absicht dahinter: Den Krieg als schlimme Sache darzustellen.“ Sprecher2: Kreativitätsforscher erkennen ein kreatives Produkt in der Regel dann als kreativ an, wenn es neu und überraschend ist – und zudem nützlich und wertvoll in Bezug auf die Lösung eines Problems. Kriterien, die – großzügig ausgelegt – auf das Painting-Fool-Bild durchaus zutreffen. Schaut man kritischer, kann man jedoch noch immer einwenden, dass der Painting Fool keine eigene kreative Leistung erbracht, sondern eher eine Art Zusammenfassung über die Absichten anderer gegeben hat: die der Autoren der Zeitungsartikel; der Programmierer, die einen komplexen, intelligenten Prozess wie diesen aufgrund bestimmter Annahmen erstellt haben; der vielen Leute, deren Bilder das Programm im Netz gefunden hat. Und nicht zuletzt: der Betrachter, die das fertige Bild in einer bestimmten Weise interpretieren. Zwar arbeitet eine Vielzahl als kreativ anerkannter Menschen nicht viel anders – Journalisten, Designer oder Werbeleute etwa. Dennoch: der Painting Fool hat kein eigenes, neues Thema bearbeitet, eigenes Werturteil gefällt. Sprecher 1: Noch nicht. In Zukunft wird Software auch das können, sagt Simon Colton. Gerade hat die Europäische Union ihm knapp zwei Millionen Euro bewilligt, um ein Programm zu entwickeln, das eigene Ideen generiert, die zudem von gesellschaftlich-kultureller Bedeutung sind. Ihre Themen soll die sogenannte „What-if-machine“ – die „Was-wäre-wenn“-Maschine – finden, indem sie kurze Texte produziert und dann gezielt deren Realität und Rahmenbedingungen ändert. Aus der Information, dass Vögel singen können, könnte dann etwa die Frage resultieren: „Was wäre, wenn Vögel nicht singen, sondern schreien, weil sie Höhenangst haben?“ Im nächsten Schritt soll sie evaluieren, ob das eine Idee ist, aus der man eine interessante Geschichte entwickeln könnte. Und auch an Möglichkeiten, Software mit der Fähigkeit zur Meinungsbildung auszustatten, wird in London bereits geforscht. 32. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: (29:48, 35:51) „So gut wie keine derzeit bekannte Software ist in der Lage, Fantasie zu entwickeln und in einem Kontext zu beurteilen, aber Software in der Zukunft wird das können. … Daran arbeiten wir. Und wenn Software selbst ein Thema findet, sich darüber eine Meinung bildet, diese mit einem ästhetischen Merkmal verbinden und alles in ein Produkt umsetzen kann – und wenn sie diesen Arbeitsprozess darüber hinaus auch noch nachvollziehen und darüber berichten kann – dann kommen wir dem Punkt sehr nahe, an dem wir sagen müssen: sie hat Absichten. Oder – wie ich es formulieren würde – sie ist jedenfalls nicht ohne jede Intention.“ 33. Musik: Melomics-Track, kurz hoch, dann unter Vox 34. Voxpops4: „…also – so ganz glaub ich das ja nicht… / ein bisschen unheimlich ist das schon, , dass Maschinen sowas können. / ..was bleibt dann eigentlich noch für den Menschen zu tun? “ 35. Musik: Melomics-Track, kurz hoch, dann unter Vox (VO-Sprecher: (ZITAT!) „Ich kann zwar die Bahn der Gestirne berechnen. Aber nicht, wohin eine Menge verrückter Menschen einen Börsenkurs treiben kann. Isaac Newton.“) 36. Musik: Melomics-Track, Schluss (Beginn Schlussteil) Sprecher2: Auch immer mehr Menschen beginnen, sich für maschinelle Kreativität zu interessieren, sie als kreativ anzuerkennen: Kunstsammler interessieren sich für die Bilder des Painting Fool, sechs sind bereits verkauft, für mehrere Hundert Euro das Stück. Sportfans in den USA werden schon seit längerem von Firmen wie Automated Insights mit automatisch verfassten Sportberichten beliefert – Medienunternehmen wie der Wirtschaftsdienst forbes kaufen bei Narrative Science computergenerierte Finanznachrichten. Die New York Times hat seit April eine Webseite, für die ein „Haiku-Generator“ Zeitungsartikel in Kurzgedichte verwandelt. Und Melomic, der Algorithmus, mit dem Iamus seine Kompositionen erstellt, soll demnächst maßgeschneiderte Musik anbieten, zum Joggen, Wachwerden – oder als Musikuntermalung fürs Fotoalbum oder die Firmenwebseite. Zu kaufen per Smartphone. Ist es also wirklich – wie Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz in ihrem Buch „Die stille Revolution“ schreibt – nur eine Frage der Zeit, bis Computer auch in Kunst, Musik und Literatur, in Journalismus und Wissenschaft dem Menschen die Vormachtstellung endgültig streitig machen? Sprecher1: Nimmt man an, dass kreativ ist, was Menschen als kreativ bewerten – dann müssen wir wahrscheinlich in nicht so ferner Zukunft auch Maschinen Kreativität zugestehen. Aber: wie verändert sich dann menschliche kreative Arbeit? Fallen uns einfach andere, neue kreative Aufgaben zu? Und welche Fähigkeiten müssen wir entwickeln, um sie zu erfüllen? 37. O-Ton, Ventura, engl., dt. VO: (02/00:47) „Ich denke, Maschinen sind schon sehr gut darin, alle Arten verrückter Ideen hervor zu bringen, sogar schlussfolgern und argumentieren – das alles können sie ganz gut leisten.“ Sprecher2: Dan Ventura erforscht künstliche kreative Systeme an der Brigham Young University in Utah. 38. O-Ton, Ventura, engl., dt. VO: (02/00:47) „Woran es aber noch mangelt, ist zu erkennen, wann eine wirklich gute, interessante, neue Idee entstanden ist. Ich kann inzwischen recht einfach Software programmieren, die Musik komponiert, ..oder die Bilder malt. ..Aber es ist schwer, Software zu schreiben, die sagen kann: Das ist ein gutes Bild und ich sage euch auch, warum. ..Das ist ja für Menschen auch schwer zu sagen, woran sie das erkennen. Und ich denke, die Leute, die wir für die kreativsten halten, ..die, die die Welt verändern – das sind die, die in der Lage sind, im Müll nach den Diamanten zu suchen. Und die dann, wenn sie etwas gefunden haben, smart genug sind, auch zu erkennen, dass es wirklich ein Diamant ist. Das können Maschinen zurzeit noch nicht, denn das ist wirklich schwer.“ Sprecher1: Simon Colton sieht sich bereits eher als Kurator der Arbeiten seines Painting Fool, der Arbeiten für Ausstellungen aussucht, Preise festlegt und den Webauftritt pflegt. Dan Venturas Software DARCI wiederum wird derzeit bereits darauf trainiert, selbst Kunst zu beschreiben, zu bewerten und einem Publikum vorzustellen. Menschliche Kreativität überflüssig machen – der Ansicht sind beide – werde das alles aber nicht. 39. O-Ton, Colton, engl., dt. VO: (02/12:59, 6:43) „Es gibt gar nicht genug Kreativität in der Welt! …Es könnte sich eine ganze Wirtschaft entwickeln um die Dinge, die Kreativmaschinen herstellen. Wer kann sich schon ein Musikstück leisten – nur für einen selbst, das Persönlichkeit oder Stimmung berücksichtigt? Oder ein Bild, ein Computerspiel? Die meisten Leute kommen niemals in den Genuss, ein Einzelstück Kunst zu besitzen. Und Software kann Kunst in großer Menge hervor bringen, ..ästhetisch und berührend, ..aber für viel weniger Geld, als Menschen es könnten. ..Ich denke, dass wird eher dazu führen, dass die Allgemeinheit Kunst und Kreativität bewusster und aufmerksamer wahrnimmt – als etwas, das wertvoll ist für die Gesellschaft.“ 40. Musik: kurz frei (Schluss) Sprecher 1: Dennoch werden zunächst vor allem diejenigen profitieren, die die Kreativmaschinen für sich arbeiten lassen. Dabei besteht die Gefahr, dass der kreative Prozess immer stärker quantifizierbar, berechenbar wird – und sich auch die Leistungen kreativ arbeitender Menschen in Bezug auf Stückzahl, Kosten und Herstellungszeit an den Leistungen von Maschinen messen lassen müssen. Vielleicht lenkt genau diese Gefahr den Blick aber auch in eine andere Richtung: dass es nicht nur diese Kosten sein müssen, die ein Produkt – ob kreativ oder nicht – wertvoll machen. Dass es nicht darauf ankommt, ob es von einer Maschine oder einem Menschen hergestellt wurde. Sondern darauf, ob etwas Nützliches oder Originelles entsteht. 41. Musik: kurz frei (Schluss) 1