COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 22. März 2010, 19.30 Uhr Geist und Geld Die Eigentumsfrage in der digitalen Wissensgesellschaft Eine Sendung von Martin Hartwig Atmo: Fotokopierer und oder Druckerpresse unter ganze Passage legen, darüber Atmo: Edison spricht: "Mary had a little lamb" Atmo: Schallplattennadel setzt auf Atmo: Caruso singt Atmo: Tonband spult Sprecher vom Dienst: Geist und Geld Die Eigentumsfrage in der digitalen Wissensgesellschaft Eine Sendung von Martin Hartwig Atmo: Filmprojektor Atmo: "Download completed" Zitator: Ein offener Brief an die Bastler. Vor einem Jahr haben Paul Allen und ich in der Erwartung, dass der Markt für Amateure wachsen wird, Monte Davidoff eingestellt und entwickelten mit ihm zusammen das Programm Basic. Die Arbeit selbst brauchte nur zwei Monate, doch wir drei haben fast das ganze letzte Jahr damit verbracht, sie zu dokumentieren, zu verbessern und neue Features hinzuzufügen. Die Zeit, die wir vor dem Computer verbracht haben, entspricht dem Wert von 40.000 Dollar. Das Feedback, das wir von Hunderten von Nutzern bekommen haben, war durchgängig positiv. Zwei Dinge waren jedoch überraschend: Erstens: Die meisten haben Basic gar nicht gekauft, es waren weniger als 10Prozent. Zweitens: Der Erlös, den wir aus dem Verkauf von Basic an die Bastler erhalten haben, ergibt für uns einen Stundenlohn von weniger als zwei Dollar. Sprecher: Dies schrieb William Henry Gates III, besser bekannt als Bill Gates, im Februar 1976. Der junge Microsoft-Chef prophezeite, dass das Schreiben von Software zum Erliegen käme, wenn die Amateure weiterhin seine Programme kopierten, ohne zu bezahlen. Damit begann Microsofts Kampf gegen illegale Kopien. Er sollte in den nächsten Jahrzehnte ganze Heerscharen von Anwälten beschäftigen und parallel zur Softwareindustrie auch eine Urheberrechtsindustrie ins Leben rufen. Wolfgang Coy, Professor für Informatik an der Humboldt-Universität Berlin: 1.O-Ton: (Coy) Vor 30 Jahren war Urheberrecht eine exotische Variante des Vertragsrechts. Heute schiebt es sich in eine zentrale Position, überhaupt das Recht am geistigen Eigentum. Was eben daran liegt, dass die Produktion eine Produktion von geistigen Gütern wird. Wenn Sie Kreativindustrien angucken, dann haben die heute die Dimension von Pharmaindustrie oder von Autoindustrie, das sind riesige Mengen von Menschen, die in den Bereichen arbeiten. Diese Industrien wachsen, die anderen schrumpfen. Sprecher: Glaubt man den Branchenvertretern und Lobbyisten mancher Zweige dieser Industrien, stecken sie alle tief in der Krise. Hauptursache sei das illegale Kopieren ihrer Produkte. 2. O-Ton: (Leonardy) Das ist leider Allgemeingut geworden und die Haltung leider auch, dass Leute sagen, na gut, wenn es jeder macht, kann es ja nicht verboten sein oder es wird schon nix passieren. Das ist so ähnlich wie beim Schwarzfahren, wenn man da nichts gegen tut, dann hält sich da keiner dran. Sprecherin: Mathias Leonardy, Geschäftsführer der GVU, der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen - einer Agentur, die im Auftrag der Film- und Computerspielindustrie gegen die "Raubkopierer" vorgeht. 3. O-Ton: (Leonardy) Ich vergleich das immer gerne mit dem Drogenhandel. Das ist zwar ein etwas drastisches Beispiel, aber im Grunde das Gleiche. Sie werden das Drogenproblem in der Welt niemals beseitigen können. Die Frage ist nur: Wenn man nichts dagegen tut, wie weit verbreitet es sich dann noch mehr. Insofern ist unser Kampf ein stetiger Kampf und er wird auch morgen nicht aufhören, aber man muss ihn führen. Sprecherin: Folgt man der GVU, sind die Schäden, die der Branche jedes Jahr durch Raubkopien entstehen gewaltig. 4. O-Ton: (Leonardy) Das versuchen wir immer wieder etwas genauer zu erfassen, aber sie können es nicht genauer sagen, als dass es in Deutschland für den Filmbereich im dreistelligen Millionenbereich pro Jahr liegt. Sprecherin: Viele Verbände geben solche Schätzungen heraus. So bemisst der deutsche Bundesverband der Musikindustrie den Wert der 2008 illegal kopierten Musik allein für Deutschland auf 500 Millionen Euro. Ingesamt, so der Verband, schlummert auf deutschen Speichermedien illegales Liedgut im Wert von 5 Milliarden Euro. Eindrucksvolle Zahlen, die die Dramatik eines der größten Probleme der digitalen Welt aufzeigen sollen. Wolfgang Coy von der Humboldt-Universität misst ihnen jedoch wenig Bedeutung bei. 5. O-Ton: (Coy) Das glaubt keiner. Und Software wird gekauft und sie wird in enormer Menge gekauft, wenn sie preislich angemessen ist. Schauen sie das iPhone an, da kosten viele Anwendungen zwischen einem Dollar und zehn Dollar, die werden auch gekauft. So einfach ist das. Sprecher: Es ist fraglich, ob jemand, der sich ein Lied, ein Film oder ein Programm illegal beschafft hat, das Produkt je gekauft hätte, wenn es nicht gratis auf einem Server herumläge. Und auch wenn die betroffenen Industrien meist von Raubkopien reden - die Besondertheit dieses Raubes besteht eben darin, dass den Beraubten hinterher nichts fehlt. Doch auch wenn man die entstehenden Schäden so relativieren kann und einige auf hohem Niveau klagen: Die Frage, ob und wie man geistiges Eigentum im dritten Jahrzehnt der digitalen Revolution schützen kann, ist nach wie vor ungelöst. Zitator: Wissen kann man nicht besitzen, nur teilen. Sprecher: Hinter solchen Slogans sammeln sich diejenigen, die grundsätzlich bezweifeln, dass es so etwas wie geistiges Eigentum überhaupt gibt. Und das sind nicht wenige. Mit der Piratenpartei verfügen sie inzwischen sogar über eine internationale Organisation, die es bei der letzten Bundestagswahl auf zwei Prozent der Stimmen brachte. Die "Piraten" und ihre Sympathisanten berufen sich auf das große Versprechen des Internets, den freien Zugang zum Wissen der Welt. Thierry Chervel, Mitbegründer von "Perlentaucher", einem Onlinemagazin und Portal für Literatur und Kultur, hat viel Verständnis für diese Position: 6. O-Ton: (Chervel) Eigentlich kann es ein geistiges Eigentum gar nicht geben. Das Geistige ist eigentlich immer Eigentum der ganzen Menschheit - pathetisch gesprochen. Zumindest ab dem Moment, wo der Autor das Werk veröffentlicht hat. Das Urheberrecht ist eigentlich nicht in dem Sinne ein Besitzrecht, weil ich glaube, dass man auf immaterielle Güter nicht einen Besitz beanspruchen kann, wie auf den Tisch, der vor uns steht, der ein wirkliches Ding ist. Wenn man den Tisch wegnimmt, ist er weg. Sondern das ist ein übertragener Begriff und dieser Begriff zielt vor allem darauf ab, dass der Urheber die Möglichkeit haben soll, von seinem Werk zu leben und auch die Möglichkeit haben soll darüber zu verfügen, wie sein Werk genutzt wird zum Beispiel. In gewissem Grad, weil hundertprozentig wird er da nie verfügen können. Ab einem bestimmten Punkt hat er diese Verfügung einfach nicht mehr. Sprecher: Das Urheberrecht beziehungsweise das Copyright wurde in den letzten 10 Jahren in fast allen Ländern novelliert - immer mit dem Ziel, die unberechtigte Nutzung von Produkten, an denen ein Verwerter Rechte hat, zu unterbinden. Eine unnötige Fesselung der Kultur, findet Wolfgang Coy: 7. O-Ton: (Coy) Wir haben zwei große Züge, das eine ist das Urheberrecht, das andere ist das Patentrecht und das dritte wäre das Markenrecht und da gibt es dann noch ein paar kleinere nachgeordnete Rechte. Über das Patentrecht sagen sogar Wirtschaftsliberale in Gutachten, wenn es das nicht gäbe, müssten wir es abschaffen, aber da es existiert, können wir das nicht mehr beseitigen. Es werden Monopole aufgebaut, aber wenigstens in überschaubarer Weise. Das heißt, Patentrecht gilt 20 Jahre, wenn es brav verlängert wird, was seht teuer ist. Beim Urheberrecht haben wir eine absurde Konstruktion. Nach dem Tod des Autors werden sieben Jahrzehnte noch weiter Rechte verfolgt. Damit wird ne Kultur getötet eigentlich, wenn man das so ernsthaft sehen würde. Anfangscollage Sprecherin: Die Musikindustrie ist wohl die Branche, die bisher am stärksten unter der illegalen Verbreitung ihrer Produkte gelitten hat. Es traf sie auf dem Höhepunkt ihres wirtschaftlichen Erfolges Ende der 90er Jahre, kurz nachdem die Label gerade ihren gesamten Katalog durch die Umstellung von Vinyl-Schallplatten auf CD ein zweites Mal versilbert hatten. 30 D-Mark mussten die Käufer für Scheiben hinlegen, die sie Jahre zuvor schon mal für 18 Mark auf Vinyl gekauft hatten. Als dann um die Jahrtausendwende die ersten Klagen der Branche laut wurden, hielt sich das Mitleid bei vielen Kunden dementsprechend in Grenzen. Aus der Goldgrube wurde eine Falle. Von der Industrie schon im digitalen Format angeboten, kann Musik nun mühelos kopiert und verbreitet werden. Ein Problem, dass die Branche mit Hilfe von Anwälten lösen wollte. Trotz teilweise Aufsehen erregender Gerichtsurteile - wie dem Verbot der Tauschbörse Napster oder von Pirate Bay - zirkuliert immer noch jedes Musikstück und jeder neue Film kurz nach Erscheinen- und teilweise sogar davor - frei im Netz. Das sehen auch die Rechteinhaber, dennoch appellieren sie nach wie vor regelmäßig an die Politik, das geltende Recht durchzusetzen. Für den Musikmanager Tim Renner ein falscher und zudem nicht gangbarer Weg. 8. O-Ton: (Renner) Im Endeffekt ist es doch nie ne sinnvolle Idee, sich total darauf zu konzentrieren, dass der Missbrauch kontrolliert wird, sondern es ist immer die bessere Idee, das eigentliche Geschäft zu forcieren und das ist dann eigentlich das Verschulden der Musikwirtschaft. Ich kann meine Konkurrenz immer nur dann schlagen, wenn mein Angebot besser ist als das der Konkurrenz oder zumindest genauso gut. Bislang ist das Angebot, das ich durch illegale Portale habe, einfach besser als das legale Angebot. Sprecherin: Renner ist es gelungen mitten in die Krise hinein ein Plattenlabel, eine erfolgreiche Musikeragentur und eine Radiostation zu gründen. Das ursprüngliche Geschäftsmodell hat allerdings nicht funktioniert. Geplant war, dass die Radiostation Motor FM, Herzstück und Aushängeschild des Unternehmens, Musik spielt und die Hörer sich die Titel dann im angeschlossenen Onlineshop kaufen. 9. O-Ton: (Renner) Das hat nicht geklappt. MotorFM unsere eigene Station, die wir in Berlin und Stuttgart betreiben, lebt mittlerweile auch längst von Werbung. Das Modell des breiten Verkaufs im Internet von einzelnen Tracks funktioniert bislang nicht. Sprecherin: Tatsächlich gibt es nur sehr wenige Beispiele dafür, wie man mit dem Onlinevertrieb von Musik Geld verdienen kann. Eines, das der ganzen Branche Hoffung gibt, ist der 2004 gegründete iTunes-Store von Apple. Dort kann man für etwa einen Euro pro Song auf ein breites Musikrepertoire zugreifen. Aus dem Stand ist Apple damit zu einem der wichtigsten Musikanbieter der Welt geworden. 10. O-Ton: (Renner) Das ist zwar immer noch ein riesiger Erfolg für iTunes weil iTunes aus dem Nichts kam und sich fünf Prozent des Marktes erobert hat. Respekt, aber das ist noch kein Erfolg für die gesamte Musikbranche. Sprecher: Die Musikindustrie hat früher als andere Branchen zu spüren bekommen, dass ein fundamentaler Umbruch stattfindet. Inzwischen hat der Wandel die gesamte Medienwelt erreicht. Wolfgang Coy: 11. O-Ton: (Coy) Wir haben 2009 zumindest in den USA und hier sieht es nicht viel anders aus, ein Jahr des Zeitungssterbens. Seit 20, 25, 30 Jahren wird das vorhergesagt, aber jetzt gibt es mehr und mehr Orte in den USA, die nur noch eine Zeitung haben, und es gibt die ersten Orte, die keine eigene Zeitung mehr haben. Das ist eine klare Entwicklung. Die Werbeeinnahmen nach amerikanischen Unterlagen sind zwischen 20 und 30 Prozent im Printbereich eingebrochen. Sprecher: Von einem Zeitungssterben kann man in Deutschland derzeit noch nicht reden, eher von einem Zeitungsschrumpfen. Die Verlage haben in den letzten Jahren versucht, ihre sinkenden Einnahmen im Printbereich mit eigenen Onlineauftritten zu kompensieren. Dort lässt sich allerdings nur sehr schwer Geld verdienen. Thierry Chervel: 12. O-Ton: (Chervel) Auf einer Zeitungsseite kostet eine Anzeige, ich will es nicht beschwören, sagen wir mal, 30-40.000 Euro, ne ganze Seite in der FAZ oder in der Süddeutschen. Und für eine ähnliche Zahl von Kontakten wird man auf einer Internetseite nicht den gleichen Preis bekommen. Sprecher: Abgesehen von relativ schlecht bezahlter Werbung hat sich noch kein funktionierendes Online -Geschäftsmodell für journalistische Inhalte gefunden und derzeit sind nur eine Handvoll Internetableger großer Zeitungen profitabel. Dort funktioniert das Geschäft, weil die Zahl der Besucher sehr groß ist. Für kleinere Blätter ist es schwierig, denn eine Erfahrung wurde bei allen Experimenten gemacht: Sobald die Reisenden auf der Datenautobahn an eine Mautstation kamen, bogen sie ab. Ob das nun an den umständlichen Bezahlmodalitäten lag oder an einem generellen Unwillen der User, für Inhalte etwas zu bezahlen, ist umstritten. Der Notwendigkeit, etwas zu kaufen ist, allerdings nicht besonders groß, denn drei Klicks weiter bekommt man die gleichen oder zumindest vergleichbare Informationen gratis. Dafür sorgen auch Angebote wie der Perlentaucher: 13. O-Ton: (Chervel) Der Perlentaucher bündelt. Das Internet ist ja immer ein Wechselspiel von Informationsüberfülle und der Notwendigkeit zu bündeln und zu finden. Der Perlentaucher ist eine Findemaschine, deswegen heißt er auch so. Wir basieren nun mal stark darauf, dass wir andere Medien lesen und bündeln und auf diese anderen Medien verlinken, ganz im Interesse dieser Medien und dieser neuen Informationswelt, die das Internet nun mal darstellt. Sprecherin: Jeden Tag werten die Perlentaucher die Feuilletons der großen Zeitungen aus, fassen die Artikel und die Buchrezensionen zusammen und stellen ihre Funde ins Netz. Nicht allen Zeitungen ist das recht. So klagten Süddeutsche Zeitung und FAZ dagegen, dass der Perlentaucher mit Zusammenfassungen ihrer Buchrezensionen Geld verdient - bisher erfolglos, wobei die letzte Instanz noch aussteht. Die FAZ zog regelrecht in die Schlacht gegen das Onlinemagazin und warf ihm in einem großen Artikel vor, dass es mit den Gedanken anderer Leute Geld verdiene. 14. O-Ton: (Chervel) Das ist ein sehr seltsamer Vorwurf, weil Journalismus ja immer sekundär ist. Die FAZ verdient auch mit den Gedanken anderer Geld. Eine Literaturbeilage der FAZ basiert ausschließlich auf Werken Anderer und der Perlentaucher tut im Grunde mit der Presse nicht viel anderes als das, was die FAZ oder andere Zeitungen mit den Werken von Künstlern oder Wissenschaftlern tun. Wir machen Berichtserstattung über Berichterstattung. Sprecher: Für die ohnehin krisengeschüttelten Zeitungen ist es natürlich bitter, wenn sie Autoren bezahlen und die Ergebnisse dieser Tätigkeit auch von anderen vermarktet werden. Es sieht jedoch so aus, als seien die Zeitungsverlage nicht in der Lage, die Zirkulation der Produkte, auf die sie Eigentumsrechte erheben, einzuschränken oder gar steuern zu können. Immerhin schreibt der Perlentaucher seine Texte selbst. Google, der neue Lieblingsfeind des deutschen Feuilletons, melkt die Presselandschaft automatisiert ab und präsentiert in seiner "News-Sektion" Überschriften und Auszüge aus den zugehörigen Artikeln - flankiert von der Werbung, mit der der Internetsuchdienst sein Geld verdient. Atmo: Scanner, Drucker usw. Zitator: Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbst bestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht. International wird durch die nach deutschem Recht illegale Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke geistiges Eigentum auf Plattformen wie Google books und YouTube seinen Produzenten in ungeahntem Umfang und ohne strafrechtliche Konsequenzen entwendet. Sprecher: Heißt es im Heidelberger Appell, der im März 2009 veröffentlicht wurde und den bis heute gut zweieinhalbtausend Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler unterzeichnet haben - darunter viele bekannte Namen wie Günther Grass, Siegfried Lenz oder Michael Naumann. Initiator des Appells ist Roland Reuß, Professor für Literatur an der Universität Heidelberg. 17. O-Ton: (Reuß) Ich möchte möglichst leicht an Information rankommen, das ist wie ne anthropologische Konstante, aber dem entgegen haben wir eben auch noch dieses andere Problem, dass diese Vorstellung immer auf der Ausbeutung der vergangenen oder der gegenwärtigen Produktion liegt. Wir brauchen aber auch ne zukünftige Produktion. Denn das, was ich zur Verfügung stellen kann im Internet, ist immer schon produziert worden. Wenn ich aber Neues produzieren will, dann muss derjenige, der es produziert, auf irgendeine Art und Weise einen Rechtsschutz haben, damit ihm die Sachen nicht gleich unter dem Hintern weggezogen werden können und bei bestimmten Autoren eben auch sichergestellt wird, dass sie Geld damit verdienen können, weil das die Basis ist, dass sie neue Sachen produzieren können. Sprecherin: Die Digitalisierung hat den Buchmarkt erreicht. Die Buchverlage und Autoren wähnten sich lange Zeit sicher. Zu unkomfortabel schien das Lesen an den Monitoren zu sein, zu groß die Kluft zwischen den klassischen Lesern und den Computerfreaks, die ganze Tage am Rechner verbringen. Dies ändert sich gerade. Letztes Jahr kamen mehrere so genannte eBook Reader, Lesegeräte für elektronische Bücher, auf den Markt, die ein relativ komfortables Lesen von langen Texten ermöglichen. Wolfgang Coy: 16. O-Ton: (Coy) Vom Umsatz der eBooks haben wir 2009 den Durchbruch gehabt. Das kann man an der Kurve sehen. Weltweit sind im letzten Jahr eBooks verkauft worden -verkauft und nicht illegal verteilt - etwa eine halbe Milliarde - eBooks hätte ich nicht vorher gesagt, dass das so ein kommerzieller Hit ist. Ich finde es ungeheuerlich, dass eBooks so teuer sind wie die gedruckten. Das ist eine der typischen branchenspezifischen Dummheiten. Das wird sich aber vielleicht auch noch anders regeln. Sprecherin: Ähnlich wie in anderen Bereichen hat sich parallel zum legalen Angebot bereits ein illegales etabliert. So wie Musik und Filme kann man inzwischen auch viele Bücher gratis bekommen - Tendenz steigend. Dem Heidelberger Appell geht es jedoch nicht nur um die Bekämpfung widerrechtlicher Praktiken. In einigen Bereichen der staatlich geförderten Forschung sind die Autoren zunehmend verpflichtet, ihre Texte "open access", also für jeden zugänglich online zu stellen. Unter Umgehung der traditionellen Wissenschaftsverlage. Das, so Roland Reuß, sei eine Enteeignung der Autoren und bedrohe den Kern unserer Kultur. 17. O-Ton: (Reuß) Die Produktion von Büchern als Produkt von geistigen Produkten ist politisch immer viel brisanter als die Produktion von Musik, die zum Großteil der Unterhaltung dient, aber nicht etwa der Frage der Intelligenzbildung und insofern ist eine Attacke auf die Buchproduktion oder überhaupt auf die Produktionsmöglichkeit von Texten in einem gesellschaftlichen Zusammenhang ganz anders zu gewichten. Sprecher: Dass der ganze Prozess der Buchproduktion durch die Digitalisierung des Wissens gleich von mehreren Seiten unter Druck gerät, ist offensichtlich - und auch schon lange vorhergesagt. Im Prinzip kann im Internet jeder leicht und kostengünstig seine Texte veröffentlichen, einen Verlag oder einen Vertrieb braucht man dazu nicht mehr. Natürlich benötigen Autoren, die Beachtung und wirtschaftlichen Erfolg finden wollen, auch im Internet eine Art Agentur, die sie bekannt macht und eine Vertriebsplattform, die ihr Werk gezielt verbreitet und das Geld für sie einnimmt. Doch diese Institutionen würden anders aussehen als die bisherigen. Die Arbeit des Autors selbst ist dabei noch diejenige, die sich am wenigsten ändern muss. Trotzdem berufen sich alle Verwerter, also Verlage, Label und Produktionsfirmen, die sich zu Wort melden, darauf, im Sinne der Kunst und des Künstlers zu reden. Wolfgang Coy bezweifelt dass. 18. O-Ton: (Coy) Nehmen wir den Literaturmarkt. Da dürfte es in Deutschland nicht mehr als 20-30 Leute geben, die davon wirklich leben können. Wir haben in den Creative Industries, in den Kreativindustrien, viele verschiedene Leute. Aber das Urheberrecht ist für die dort Arbeitenden eins der nachgeordneten. Die meisten verdienen ihr Geld unmittelbar, wenn sie was produzieren. Dafür, dass sie das produziert haben und nicht in der Perspektive, dass sie nach ihrem Tod ihren Erben noch 70 Jahre irgendein Zubrot vererben. Das ist ein ganz schräger Gedanke, das ist ein Verlegerrecht gewesen, schon immer. Sprecher: Für Roland Reuß ist die Allianz von Autor und Verleger dennoch eine Voraussetzung für einen funktionierenden Literatur- und Wissenschaftsbetrieb. 19. O-Ton: (Reuß) Man braucht so etwas wie einen Vermittlungsmechanismus, damit neue Ideen nicht nur irgendwie in der Welt sind, sondern auch wahrgenommen werden. Allein in einer Suchmaschine aufzutauchen heißt nicht, dass mein Gedanke weiter verbreitet wird. Insofern war der Autor von Anfang an darauf angewiesen, dass jemand sich mit seinen Ideen, mit seiner Idiotie jetzt im Wortsinn, mit seiner Eigentümlichkeit identifiziert. Diese Identifizierung haben in der Regel die Verlage geleistet und das war nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern indem ich Geld in die Hand nehme, ein Werk finanziere, es drucke, es bewerbe, es distribuiere, kümmere ich mich um das, was jemand anderes produziert hat und ich koppele auch mein eigenes Schicksal an das des Autors, dessen Werk ich verlege. Sprecher: Reuß und die Unterzeichner des Heidelberger Appells fordern den Staat auf, das geltende Recht durchzusetzen - wissend, dass dies in anderen Bereichen bereits gescheitert ist. Befeuert wurde die Debatte um das Urheberrecht dadurch, dass es seit sechs Jahren einen neuen und mächtigen Akteur auf dem Buchmarkt gibt: Google! Zitator: Das Ziel von Google besteht darin, die auf der Welt vorhandenen Informationen zu organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen. Sprecher: So beschreibt der Internetsuchdienst das ehrgeizige Ziel, das er sich gesetzt hat. Er ist ihm in den letzten Jahren deutlich näher gekommen, denn Google ist dabei, fast alle Bücher der Welt auf seinen Servern zu speichern und über Google durchsuchbar zu machen. Sprecherin: Im Verbund mit 40 großen akademischen Bibliotheken in der ganzen Welt, darunter auch der Bayerischen Staatsbibliothek, scannt der Internetkonzern seit 2004 Bücher ein - 15 Millionen sollen es bis zum Jahr 2015 sein. Das Repertoire umfasst sowohl alte Titel, die gemeinfrei sind und keinem Copyright mehr unterliegen, als auch neue. Bereits jetzt sind etliche Millionen Titel online einsehbar. Die gemeinfreien Bücher, also die, deren Autoren seit 70 Jahren tot sind, sind im Regelfall als Volltext verfügbar, von den aktuellen werden lediglich so genannte Snippets, Schnipsel gezeigt - ein kurzer Textausschnitt rund um den eingegeben Suchbegriff. Ob und inwieweit Google damit gegen Urheberrechte verstößt, wird gerade gerichtlich geklärt. Zumindest wurden kein Verlag und kein Autor gefragt, ob es ihm recht sei, dass seine Bücher eingescannt und über Google such- und findbar gemacht werden. Sprecher: Die Suchmasken von Google werden immer mehr zu einem Nadelöhr des Weltwissens. Der Konzern verdient sein Geld damit, dass er an diesem Nadelöhr seine Werbeplakate aufstellt. Produziert hat Google von diesem Wissen jedoch nichts und es trägt auch zur Entlohnung seiner Hersteller fast nichts bei. Roland Reuß plädiert dafür, sich Tempo und Art der Digitalisierung des Wissens nicht von einem einzelnen Unternehmen vorschreiben zu lassen und darauf zu achten, dass bewährte Strukturen erhalten bleiben. 20. O-Ton: (Reuß) Wir müssen drauf achten, dass die Individualrechte erhalten und gestärkt werden und gleichzeitig müssen wir experimentieren. Was können wir mit dem Medium überhaupt anfangen, welche Folgen hat es das Medium einzusetzen und dann kann man anfangen in fünf, in zehn Jahren eine begründete Entscheidung zu treffen, auf eine bestimmte Fertigungslinie einzuschwenken oder sie auch jetzt wieder ad acta zu legen als man das jetzt in dieser Hysterie machen kann. Sprecher: Thierry Cervel, der Betreiber von Perlentaucher, einem entfernten Verwandten von Google, hält solche Überlegungen allerdings für realitätsfern. Schließlich befinden wir uns mitten in einer Revolution. 21. O-Ton: (Chervel) Gutenberg hat auch nicht 30 Jahre lang Konferenzen abgehalten mit Schreibateliers, um einen sanften Übergang zu erzielen. Und dieser Prozess ist natürlich auch über die Menschheit gekommen, so ist das eben nun mal und man kann versuchen, so etwas abzumildern durch Politik, aber passieren wird es so oder so. Sprecher: Ein neues Geschäftsmodell muss her, dieser Ruf ist in allen Branchen zu hören, die mit "Content", also mit Inhalten, die das Produkt geistiger Anstrengungen sind, ihr Geld verdienen. Als eine mögliche Lösung des Problems werden seit einigen Jahren so genannte "Flatrates" diskutiert. Die Idee ist im Prinzip einfach. Man bezahlt pauschal eine monatliche Gebühr und erhält so legalen Zugriff auf Datenbanken, die ein vollständiges und komfortabel aufbereitetes Angebot zur Verfügung stellen. Am weitesten sind solche Überlegungen in der Musikindustrie gediehen. Tim Renner: 22. O-Ton: Streng genommen fehlt hier eine klare Ansage des Staates, die notwendig ist bei einem Marktversagen, die dahin führt, dass jeder Internetanbieter auch eine Flatrate für Musik anbieten muss, später auch für Filme und Bücher und für alle anderen Contents, die aber der Konsument dann freiwillig abschließt. Wenn wir eine solche Flatrate haben für die einzelnen Kulturbereiche, dann haben wir auch Server bei diesen Anbietern, wo ich ganz genau ablesen kann, was wurde runtergeladen. Dann haben sie eine echte Abrechnung, weil einfach und klar nachweisbar ist, wessen Gut genutzt wurde. Sprecher: Kritiker solcher Regelungen wittern Enteignung und befürchten die Entstehung riesiger Entlohungsbürokratien und "sozialistischer Einheitspreise". Tatsächlich wäre die Frage, nach welchen Kriterien die Einnahmen der Internetanbieter hinterher verteilt würden, ein großes Problem, denn ein solches Modell legt pauschalisierte Vergütung nahe, also eine einheitlich Bezahlung pro Klick. Der Wettbewerb fände rein über die Masse statt. Grundsätzlich neu wären staatliche Eingriffe in die Unterhaltungsindustrie allerdings nicht. In der Frühzeit des Rundfunks kam es zu Konflikten zwischen der Musikindustrie und den Betreibern der Radiostationen, die die Musik der Label spielten, ohne überhaupt irgendetwas zu zahlen. In fast allen Ländern der Welt griff der Staat ein, indem er das so genannte Senderecht einführte. 23. O-Ton: (Renner) Die Plattenfirmen wurden eigentlich enteignet indem sie ihr Repertoire zur Verfügung stellen müssen den Rundfunkanstalten. Die Rundfunkstationen wurden umgekehrt verpflichtet zu vergüten und kein anderes Modell wäre das, was ich propagiere. Sprecher: Verlierer eines solchen Modells wären vor allem die Onlinestores wie iTunes oder musicload, also gerade die Geschäftsmodelle, die derzeit als erfolgreiche Beispiele für die Etablierung von Bezahlangeboten im Internet gelten. Dennoch experimentiert die Musikbranche inzwischen bereits mit verschiedenen Varianten der Flatrate. Die anderen Anbieter von "Content" beobachten die Entwicklungen interessiert, denn so oder so können sie von der Musikindustrie lernen. Wer an diesen Überlegungen erstaunlich wenig teil nimmt, ist die Politik. Der deutsche Bundestag hat sich erst in diesem Monat dazu durchgerungen, eine Enquete Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" zu berufen, in der er die "Rolle des Staates in der digitalen Gesellschaft" diskutieren will. Damit ist man zwar mindestens zehn Jahre zu spät dran, doch das Thema dürfte ja noch eine Weile erhalten bleiben. Immerhin geht es um die Frage der Verteilung des wichtigsten Rohstoffes der Wissensgesellschaft: Information. Spr. vom Dienst Geist und Geld Die Eigentumsfrage in der digitalen Wissensgesellschaft Eine Sendung von Martin Hartwig Es sprachen: Wolfgang Condrus, Uwe Müller und Barbara Schnitzler Ton: Martin Eichberg Regie: Beate Ziegs Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1