COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. König Ohneland Zehn Kapitel über den letzten Dandy der deutschen Literatur von Dagmar Just Sprecherin Sprecher 1: Erzähler Sprecher 2: Skeptiker Hacks Zitator Musik Beethoven: VI. Symphonie/ Pastorale (Arturo Toscanini/ BBC Symphony Orchestra). EMI. Joseph Haydn: Hornkonzert Nr. 1 in D (D. Roy Goodman). NIMBUS-Records. Decca. Nr. 4759983 Henry Purcell: King Arthur (Dir. William Christie und Les Arts Florissants). ERATO. Nr. 4509-98535-2 Shostakovich: Jazz Suite Nr.1 (Dir. Riccardo Chailly). Manfred Krug: Greensleeves ("Greens"/ Günther Fischer) Elsa Grube-Deister: Shimmy in Grün/ Lieb o Liebe (Hacks: "Lieder zu Stücken") ARIE DES COLD GENIUS AUS HENRY PURCELLS 'KING ARTHUR' (III,2) Zitator: EINS. PROLOG Hacks: "Die erste Hälfte des 20 Jahrhunderts gehört Thomas Mann und Brecht. Thomas Mann gehört die Prosa und Brecht das Drama und die Lyrik. Als Vermutung biete ich Ihnen an, dass die zweite Hälfte Arno Schmidt und mir gehört. Arno Schmidt für Prosa, mir für Dramatik und die Lyrik." Sprecher 2: Wer sagt das? Sprecher 1: Ein Toter. Sprecherin: Peter Hacks. 21. März 1928 bis 28. August 2003. Sprecher 2: Ah, der! "Besonders verstockter Dogmatiker": Stephan Hermlin. Sprecher 1: Ja, der! "Dünkelhaftester unter Preußens Kommunisten": Robert Gernhardt. Sprecher 2: "Erfinder des klassizistischen Kabaretts": Heiner Müller. Sprecher 1: Weltdramatiker: Theaterleute - von Senftenberg bis Saragossa. Sprecher 2: Biermannanpinkler! Sprecher 1: Klassiker! Sprecher 2: Romantikfresser! Sprecher 1: Radikalpoet! Sprecher 2: Ewiggestriger! Zitator: "Hacks fragte nach dem Anschlag auf jene beiden Hochhäuser auf der Insel Manhattan, welche als die 'Welthandelsmitte' bekannt waren, bei dem in Lebensdingen beholfeneren K.S. an, ob der sich in der Lage sehe, ihm zu der Postanschrift des Diplomingenieurs Osama Bin Laden zu verhelfen. Er habe, schrieb er zur Erklärung, einiges Dringende zur Neugestaltung des Potsdamer Platzes mit demselben zu besprechen." Sprecherin: Ein großer Satiriker. Sprecher 2: Wohlfeile Satire, der Flirt mit dem Terrorismus! Sprecherin: Polemik hatte einmal Tradition in Deutschland, - vor dem Siegeszug der Political Correctness. Hacks: "Wer kann die Pyramiden überstrahlen? Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower? Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen Der Erdenwunder schönstes war die Mauer Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren." Sprecher 2: Der Todesstreifen als Folklore - willkommen in Hollywood! Zitator: "Entrüstet schrie Hermlin, er ertrage den Zynismus von Hacks nicht länger. Darauf schrie Hacks seinerseits: Und ich nicht Ihre Sentimen- talität." Hacks : "Die Menschheit lieb ich mit bescheidnem Glück./ Zehn Menschen höchstens lieben mich zurück." Zitator: "Dass die Welt ohne Hacks sich weiterdrehen muss, ist keine gute Nachricht für die Hinterbliebenen" . Wiglaf Droste. Sprecher 2: Glückliche Jugend, die den Osten nur vom Hörensagen kennt. Sprecher 1: Das ist die Stimme der Nachwelt. Sprecher 2: Das ist der späte Sieg der Funktionäre. PURCELL-ARIE (2), darüber: Sprecher 1: 4. September 2003. Berlin. Liesenstraße, Friedhof II der Französisch- Reformierten Gemeinde. Ein kalter Tag in diesem heißen Jahr. Der Ort ist still, der Himmel offen. Der größte deutsche Dichter der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird begraben - Sprecher 2: Der Friedhof der deutschen Kultur liegt in der Chausseestraße! - Sprecher 1: - Sein Grabnachbar ist der alte Fontane. Nachmittags im Französischen Dom - die offizielle Trauerfeier. Das Haus am Gendarmenmarkt ist gut gefüllt. Rund 250 Namen im Kondolenzbuch, obwohl es nirgends eine formale Traueranzeige gab. PURCELL-ARIE (3), Ende Zitator: ZWEI. ANFÄNGE COLEMAN HAWKINS: I WISHED ON THE MOON, darüber Hacks: "Ich bin in sehr günstigen Zeiten und unter sehr günstigen Umständen entstanden. Ich habe als Kind, in einer antifaschistischen Familie, den Imperialismus in seinem ausgedrücktesten Zustand, dem Nazismus, kennengelernt. Ich habe als Halbwüchsiger, also in dem Alter, wo man am meisten denkt, die Befreiung in Westdeutschland, also als ein er- freulich unbestimmtes Angebot von allerlei Vorschlägen und Hoffnun- gen erfahren; und ich habe in den Jahren, worin man anfangen darf, sich einen Mann zu nennen, genug Gründe gefunden, mich für den Kommunismus zu entscheiden. Ich glaube, die Altersgruppen vor und nach mir hatten weniger Spielraum zum Kennenlernen menschlicher Chancen und weniger Anlass zum Glauben an eine Chance des Menschen überhaupt." Sprecher 1: Geboren 1928 - Sprecherin: - das Jahr von Brechts größtem Theatererfolg: der "Dreigroschenoper". Sprecher 1: Behütete Kindheit als Anwaltssohn in Breslau. Gymnasium. Kein Kriegs- kein Arbeitsdienst. Abitur in Wuppertal. Hacks: "Ein Tropf, der besser nie geboren wär// Erzählt uns treulich seine Jugend her." Sprecher 1: Ab 1946 München. Studium der neueren deutschen Literatur, Theater- wissenschaft, Philosophie, Soziologie. Sprecherin: Außerdem spielt Hacks Saxophon. Sprecher 2: In Deutschland herrschen Hunger und Kälte. Die Städte liegen in Schutt und Asche. Schwarzmarkt und Prostitution blühen. Die Kriegsverbre- cherprozesse beginnen. Sprecherin: Er schreibt fürs Kabarett. Tritt in Schwabinger Lokalen auf. HAWKINS - MOON (2), darüber: Sprecher 2: Smarter Typ. Damals schon. Kurze blonde Haare, scharf gescheitelt. Dunkler Anzug, Einstecktuch zu blütenweißem Hemd mit dunkler Krawatte. Sprecherin: Begabt zur Freundschaft. Erotiker des Wissen, - das er wie andere Geld hortet. Erste Versuche, sich zu profilieren. Hacks: "Sehr verehrter Herr Mann, die beiliegende Arbeit schrieb ich an der münchener Universität bei Professor Kutscher" - Sprecher 1: erklärt der Zwanzigjährige im Dezember 1948 dem Nobelpreisträger Thomas Mann. Hacks: - "Sie wurde von ihm formal außergewöhnlich gepriesen und inhaltlich für außergewöhnlich unmöglich erklärt, Klammer auf, er erinnerte sich eines einzigen analogen Falles in seiner Praxis, nämlich des Referats von Bert Brecht über Hanns Johst, Klammer zu. Sie ist, glaube ich, von erträglicher Bedeutung und sehr symptomatisch für die Auffassung, welche die heutige akademischen Jugend von Ihrem Werk nicht hat... Hochachtungsvoll". Sprecher 1: Im Oktober 1951 schreibt er dem anderen deutschen Literaturgott: Hacks: "Sehr verehrter Herr Brecht, die beiliegende Besprechung des 13. Ban- des Ihrer Versuche schrieb ich ... für die 'Neue Zeitung'. Ich bin gewiss kein Mitarbeiter in diesem notorischen Hetzblatt, sondern erhielt den Auftrag durch Vermittlung meiner lieben Freundin"- Sprecher 1: Anna Wiede - Hacks: "welche, in Nichtachtung der schönen Freiheit zu verhungern, da die Frauenseite redigiert. Sie ist 22, ich bin 23. Ich habe im Frühjahr pro- moviert - Zitator: "Über das Theater des Biedermeier" - Hacks: "und lebe seither vom Verfassen von Singspielchen und Liederge- schichten für den bayrischen Kinderfunk. HAWKINS - MOON (3), darüber: Das alles ist, milde gesagt, unbefriedigend, ich hätte weit mehr Lust, mich mit einem ästhetischen Thema, das sicherlich Ihre Zustimmung fände, zu habilitieren. So laborieren wir, wie alle marxistischen Intel- lektuellen an dem Problem, in die Ostzone zu gehen, und natürlich können wir uns, ohne Möglichkeiten, die Sache selbst zu übersehen, nicht recht entschließen. Mögen Sie uns nicht raten?" Sprecher 2: Nicht gerade instinktsicher, Brecht ausgerechnet in d e m Herbst d a s zu fragen! In Ostdeutschland tobt der Formalismuskrieg. Poesie, Jazz, abstrakte Malerei - die Funktionäre verdammen alles, was ihnen nicht passt, als imperialistische Kulturbarbabarei und Brecht steht vier Jahre nach der Befragung durch McCarthys antiamerikanischen Ausschuss erneut am Pranger. Sprecherin: Hacks' Ton täuscht. Das ist nicht die Laune eines verwöhnten Bürger- sohns. Er hat einen Traum - Sprecher 2: Jedenfalls antwortet Brecht ihm damals ausweichend: Zitator: "gute Leute sind überall gut". Sprecher 1: Hacks pariert: Hacks 1: "Meine mitgesandten Manuskripte haben Sie nicht eigens erwähnt. Wenn das auch ein Rat war, werde ich ihn auch nicht befolgen." HAWKINS: MOON (4), darüber: Sprecher 1: Doch zunächst bleibt er und schreibt nur weiter. Keine Habilitation,- Chansons. Hörspiele. Gedichte. Komisch-satirische Spielszenen, eine Märchenkomödie, ein historisches Lustspiel. Sprecherin: Auf einem Dachboden in der Sommerfrische fällt ihm "Das Volksbuch vom Herzog Ernst" in die Hand. Daraus wird Zitator: "Herzog Ernst - Der Held und sein Gefolge". Hacks: "Ich muss dulden, dass man ihn mir zurechnet; er ist mein erstes Stück." Sprecher 1: 1954 dann - Zitator: "Columbus, oder: "Die Eröffnung des Indischen Zeitalters" Sprecher 1: später umbenannt in Zitator: "Die Weltidee zu Schiffe". Hacks: "Schiff. Columbus als Admiral. / Die Spur meines Schiffes im westli- chen Ozean. Wie das Brandzeichen auf der Stirn des Rindes, wie die Blutstropfen auf dem Schenkel der Jungfrau/ die Spur meines Schiffes im westlichen Ozean... Wir können uns rühmen, diesen Ozean mensch- lich gemacht zu haben." Sprecher 2: Das ist 15. Jahrhundert - während draußen die Welt explodiert! ELVIS PRESLEY: TUTTI FRUTTI, Anfang Sprecher 2: Elvis' Hüftschwung. Die Frauen kreischen. Die Männer - wieder mal im Krieg; erst Korea, dann Vietnam. Stalin stirbt. Fidels gescheiterter Sturm auf die Moncada. Arbeiteraufstand in Ostdeutschland. Das Theater feiert die Absurden: Beckett, Ionesco. Adamov. Max Frischs "Stiller" erscheint. Der erste Bond-Roman. Und er schreibt über - Columbus. Zitator: "Der Geburtshelfer der vernünftigen Zukunft" - Sprecher 2: Unter dem macht er's nicht. Sprecherin: Warum soll klein anfangen, wer Großes will? Am Start erkennt man den Sieger. O-TON PETER HACKS IN: DIE JUNGE DRAMATIK UND DAS THEATER - Sprecherin: Der Erfolg gibt ihm recht. Sprecher 1: Am 17. März 55 hat der "Columbus" an den Münchner Kammerspielen Premiere. Im Herbst bekommt er dort den Dramatikerpreis. Sprecherin: Da ist er schon ein Berliner. Ein Ostberliner. Vier Jahre nach Brechts sibyllinischer Absage hat er seine Ankündigung wahr gemacht und die in München begonnene Karriere Karriere sein lassen, seine 902 Bücher dort ein-, im Norden von Ostberlin ausgepackt und für immer das Land gewechselt, die Nachbarn - Zitator: - "Die Sorgen und die Macht". BEETHOVEN: PASTORALE (1) - 1. SATZ, erste Takte, sehr leise Sprecher 1: Im März 61 findet in Hamburg ein prominent besetztes deutsch-deut- sches Schriftstellertreffen statt. Dort erklärt er diesen Schritt so: Hacks: "Jemand hat gesagt, in der deutschen Bundesrepublik gibt es nur Nein- Sager unter den Schriftstellern. Meine Meinung ist, dass es in der Bun- desrepublik wie in der Deutschen Demokratischen Republik nur Ja- Sager gibt. Jasager nenne ich einen Mann, der in einer Gesellschaft lebt und die fundamentale gesellschaftliche Grundlage dieser Gesellschaft akzeptiert. Mit anderen Worten: Ein Schriftsteller in der DDR wird aller Voraussicht nach ein Anhänger der Vergesellschaftung der Produk- tionsmittel sein. Ebenso kenne ich in der Bundesrepublik nicht einen Schriftsteller, der sich jemals eine große Mühe gemacht hätte, das Privateigentum an Produktionsmitteln zu bekämpfen. Aber worauf kommt's denn sonst an? ... Die wirklich oppositionellen Schriftsteller, die sind nämlich aus diesen Ländern weggegangen, so wie Herr Reich- Ranicki aus Polen oder ich aus der Bundesrepublik." BEETHOVEN: PASTORALE (2) - 1. SATZ, darüber: Zitator: SATZBEZEICHNUNG: "ERWACHEN HEITERER EMPFINDUNGEN BEI DER ANKUNFT AUF DEM LANDE - ALLEGRO MA NON TROPPO? DREI. DER JASAGER Sprecher 1: Im Sommer 1955 übersiedeln Hacks und Anna Elisabeth Wiede, die inzwischen verheiratet sind, von München nach Ostberlin. Statistisch sind sie zwei von 73 000 Rückkehrern oder Einwanderern aus der Bundesrepulik. Sprecher 2: Der Trend geht in die Gegenrichtung. Die Zahl der Flüchtlinge in den Westen steigt im gleichen Jahr 55 dramatisch von 173000 auf über 270 000; jeder Zweite jünger als 25. Hacks: "Aber ich bin nun einmal dahin veranlagt, dass ich meiner besten Kräfte erst dann mächtig bin, wenn ich mir Ziele setze, die kein wohl- beratener Mensch sich setzen würde." Sprecherin: Er ist jetzt 27. Alles scheint ihm zuzufallen. Sprecher 1: Nur wenige Monate nach seiner Ankunft hat er drei Premieren. Im Berliner Ensemble kommt John Synges "The Playboy of the Western World" heraus, den er gemeinsam mit Anna Wiede für Brecht bearbeitet hat. Im Deutschen Theater werden der "Columbus" und sein neues Stück, "Die Schlacht bei Lobositz" inszeniert. Wieder ein Mammuten- semble, 32 Schauspieler und wieder in der Geschichte, im Herbst 1756, angesiedelt. Sprecher 2: Aber der Jasager will mehr. Hacks: "Ich bin für engagierte Literaten, die nichtengagierte Literatur machen". Sprecher 2: Der Parteisekretär im Elfenbeinturm! Hacks: "Literatur ist Fortsetzung der Politik mit schönen Mitteln" Sprecher 2: Kommunismus im Salon ist eine feine Sache. Hacks: "Ich fühle mich sehr verpflichtet für das Entstehen einer Kultur, einer Kulturgesellschaft, und ich fühle mich auch sehr verantwortlich für die Richtung, die die Kultur in diesem Lande nimmt." Sprecher 1: Anfang 56 nimmt er bereits am Schriftstellerkongress teil. Er wird Se- kretär des PEN. Er tritt ins Redaktionskollegium von Theater der Zeit ein. Er geht ein Jahr vor dem Bitterfelder Weg nach Bitterfeld". Er leitet einen Zirkel schreibender Arbeiter in Berlin. Er gründet die "Arbeits- gruppe Dramatik" in der Akademie der Künste. Hacks: "Ich hatte erwartet, dass ich hier in einen Zustand des 'Hochstalinis- mus' komme. Kam aber, da es nach 1953, nach dem 17. Juni und diesem sonderbaren neuen Kurs war, in einen Zustand des nahezu ungehemmten Liberalismus." Sprecher 2: Er muss einen Panzer wie eine Schildkröte haben. Nach Chrusch- tschows Geheimrede auf dem XX. KPdSU-Parteitag werden damals die ersten Reformbewegungen in Polen und Ungarn blutig niedergeschla- gen. Georg Lukácz wird verhaftet. Der 17. Juni der ostdeutschen Intel- lektuellen - abgewürgt. Ulbricht macht mit Walter Janka, Wolfgang Harich, Erich Loest, Manfred Bieler kurzen Prozess; zwingt Kurt Hager zur Selbstkritik, schickt Ernst Wollweber in Rente und Karl Schirdewan in die Wüste. Das Volk läuft weiter weg. Und da erklärt er: PETER HACKS - O-TON-2: "KUNDGEBUNG" Sprecher 2: Er hat auch ein neues Stück geschrieben. Sein erstes Gegenwartsstück. Zitator: "Die Sorgen und die Macht" - Hacks: "Fidorra Max, ein junger Brikettierer,/ Gewinnt, mit Geld und guten Worten, Herz/ Und Bett von Hede Stoll, Sortiererin/ In einer Glasfabrik. Fidorra ist reich, Stoll arm, warum? In der Brikettfabrik /Machen sie elende Briketts/ Und liefern diese der Glasfabrik,/ deren Maschinen sich den Magen dran/ Verrenken und stillstehn. Also ist Stoll arm/ Durch Schuld Fidorras./ Doch 1956, im Oktober,/ Setzt Eifer mächtig ein der Kommunisten/ die Güte der Briketts/ zu bessern, was bedeutet, erst die Güte/ Zu bessern der Partei." Sprecher 2: "Schlechte Briketts von einer schönen Partei" - die gerade mal wieder ihre Gegner verhaftet, was für eine Pointe. Sprecherin: Zwei Fragen: Schmälert es die Schönheit von Shakespeares Werk, wenn man weiß, dass der Dichter der Königin Elisabeth gehuldigt hat? Sprecher 2: Rhetorik fürs Seminar. Die zweite ? Sprecherin: Was ist die Stimme des Dichters? Hacks: "Was ist die Stimme des Dichters? Die Speise der Engel und das Arsen der Ratten; das Nelkenfeld am östlichen Rand des Himmels; der Hut, worunter Adler, Geier und Nachtigallen sitzen; aller Berge Echo; der Ruf, der dem Ohr der Fledermaus unvernehmlich ist, so wie das Geschrei der Fledermäuse unserem menschlichen Ohr." Sprecherin: Die Stimme dieses Dichters Peter Hacks ist neu. Heiter. Voller Wider- sprüche, Schönheit. Poesie. Sprecher 1: Am 15. Mai 1960 ist in einem der größten Braunkohlenreviere der DDR, in der Niederlausitz, in Senftenberg Premiere. Doch da Hacks seinen Text auf die - Hacks: "vollkommen naiven Offenheit in der Darstellung von Widersprüchen" - Sprecher 1: gebaut hat, ist der Eklat programmiert. Sprecher 2: Die Attacken der Funktionäre treffen ihn schwer. Hacks: "Mir ist das Blut aus dem Gehirn herausgefallen, ich arbeite seit zwei Wochen nichts und fresse Pentedrin und bürste meine Glieder" - Sprecher 1: an Heinar Kipphardt Ende Mai 1961. Hacks: "Dieses Land genügt mir als Grund, nicht zu schreiben; da brauche ich nicht noch eine Krankheit. Wo ich schreiben kann, singt der Weise, da ist mein Vaterland; leider verabsäumt er es, die Himmelsrichtung da- zuzusingen. Wo kann ich? Ich finde es spannend darüber nachzugrü- beln, ob man ein Genie ist oder ein Esel." PURCELL- ARIE (4), Anfang - leise Sprecherin: Doch wie vor ihm schon Brecht, reagiert auch er auf Kritik nicht mit "Publikumsbeschimpfung", sondern mit Änderungen: Hacks: "Am ersten August muss ich die Neufassung von 'Sorgen' erledigt haben, das ist schon ein Vergnügen, über dem Stück bin ich umge- fallen. Ich fass dieses Manuskript ebensogern an wie den gelbsten Blutegel aus dem tiefsten Sumpf der Hölle." Sprecher 1: Doch rückt er dabei von seiner Poetologie der schönen Widersprüche kein Yota ab und verkündet im Mai 62: Hacks 1: "Es ist mit Anspannung meiner heroischen Energie, dass ich fast jeden Tag meine zwanzig oder dreißig Versel niederschreibe und, den Fall eines Zusammenbruchs ausgenommen, imstande sein werde, Dir ge- gen Ende nächsten Monats jene Göttliche Komödie, Moritz Tassow, dieses erste unsterbliche Werk der neueren Deutschen, diesen Faust des Sozialismus, zu schicken." Sprecher1: Hacks' zweites Produktionsstück spielt in einem Dorf auf dem Land zu Beginn der Bodenreform 1945. BEETHOVEN: PASTORALE (3) Sprecher 2: Anfang 1960 war die SED zur konzertierten Aktion gegen diejenigen Bauern, die sich dem Kollektivierungsdruck bislang entzogen hatten, übergegangen, hatte Agitationsbrigaden ausgeschickt, Dörfer mit Lautsprechern beschallt, Renitenzler verhaftet. Am 4. März meldete der Bezirk Rostock die Vollkollektivierung, am 12. - Neubrandenburg, am 18. Potsdam, am 19. Frankfurt/ Oder undsofort. Sprecher 1: Analog dazu sind die Protagonisten in Hacks' Komödie - Tagelöhner, Landstreicher, Kleinbauern. Und in der Hauptrolle der Ärmste von allen, Moritz Tassow, ein Sauhirt. Sprecherin: Einer der schönsten Männer des deutschen Theaters: ein Marlon Bran- do des Ostens, unwiderstehlicher Anarchist, prophetischer Cäsar der Sprache: Hacks: "Wie denn, ihr ließet zwingen euch zur Arbeit?/ Sie ist ja euer nötigstes Vergnügen./ Und ansehn wollt ihr euch doch, die ihr selbst/ So fremd euch seid und seid euch selbst ein Rätsel,/ Im reinen Spiegel eurer Zeugungen./ Ich red da nicht von Kindern. Kinder macht/ Matz Dummfuß auch. Sie sind euch bissel ähnlich/ Oder nicht ähnlich, lieb oder nicht lieb./ Im Bett zeugt stets der Zufall mit/ Doch eure Arbeiten Sind eure überaus genauen Bilder./ Den Stoff macht ihr euch ähnlich und erweitert/ Euch in die Welt /Dass ihr das dürft, es ist von euren Lüsten/ Die süßeste und eure höchste Freiheit." Sprecherin: Ein sozialistischer Shakespeare. Sprecher 2: Pech für ihn, dass die Funktionäre zu borniert sind, das zu begreifen. Sprecher 1: Im Herbst 62 schließt er den "Faust der neuen Deutschen" ab. Doch er wird auf Eis gelegt. Zehn Jahre darf ihn kein Ostverlag drucken, und als Benno Besson das Stück 1965 an der Volksbühne inszeniert, wird es nach neun Vorstellungen vom Spielplan genommen. Sprecher 2: Die auf der 11. Tagung des Zentralkomitees der SED im Dezember 65 gegen Müllers "Bau" und Hacks' "Tassow" erhobenen Anklagen lauten: Zitator: "Missachtung der sozialistischen Moral", "Herabwürdigung der Partei", "Verunglimpfung der Arbeiterklasse". Sprecher 1: Das gleiche Schicksal trifft die Neufassung der"Sorgen und die Macht". Auch hier ist das Stück kaum auf der Bühne des Deutschen Theaters, da wird es wieder abgesetzt. Hacks: "Die Klasse eines Dichters und Denkers erweist sich in seiner Bereit- schaft, sich den Widersprüchen auszusetzen. Ich hoffe, dass Sie fröh- lich sind. Uns geht es ganz gut; wir leben in Kummer und Komfort dahin." BEETHOVEN-PASTORALE (4): 1. SATZ - geht über in: SHOSTAKOVICH: WALZER aus der JAZZ-SUITE No. 1 Zitator: VIER. DER DANDY Sprecher 2: Er wird verboten, aber er bleibt. Anna Wiedes Stück "Der Rattenfänger von Hameln" wird verboten. Das Paar bleibt. Viele, die wie sie aus dem Westen in den Osten gekommen sind, gehen zurück: Literaturwissen- schaftler wie Alfred Kantorowicz und Hans Mayer, Schriftsteller wie Hartmut Lange und Heinar Kipphardt, Denker wie Ernst Bloch, Politiker wie Rudolf Leonhard. Doch sie bleiben. Mehr noch: Sie bekennen sich öffentlich - zum Jasagen, zum Bau der Mauer, zu Stalin, zu Ulbricht deren Politik. Sprecherin: Genau wie sein Moritz Tassow bleibt auch Hacks selbst einer dieser unerschütterlichen Einzelgänger. Unerbittlichen Träumer. Anarchisten. Bestes Beispiel: als alle Welt alles überall mit den Zwängen der Revolu- tion begründet, wagt er, "Ansätze zu einer postrevolutionären Drama- turgie" zu verkünden. SHOSTAKOVICH: WALZER (2) darüber: Sprecher 1: Oder seine Idee von einem Theater, das an die Glanzzeiten der europä- ischen Kultur anschließt, an Aristophanes, Molière, Shakespeare, Goe- the - in einem Land, dessen Name man damals nur in Anführungs- rungszeichen nennt. Sprecher 2: Eine Kunst der Superlative - für ein Publikum, das die Butter noch auf Lebensmittelkarten und die Kohlen auf Gutschein bezieht: Hacks: "Wir haben die Aufgabe, erschöpfte Menschen auf nichtekelhafte Weise zu zerstreuen." Sprecher 1: Das nennt er Klassik - Hacks: "Klassik bedeutet Kunst der reichen Leute" Sprecher 1: Und das heißt für ihn: Hacks: "Glanz, Artistik, Phantasie! Der dramatische Vers. Hochfahrende Gedanken auf breiten Flügeln. Ungestüme Gefühle in verwegenen Bildern." Sprecher 2: Und Pomp! Hacks: "das ist Großes groß auszudrücken! Die Feier der menschlichen Möglichkeiten" - SHOSTAKOVICH: WALZER (3) - darüber: Sprecher 2: Dabei herrscht Kalter Krieg. Der Zeitgeist trägt schwarz. Pessimismus ist angesagt. Tragödien haben Konjunktur. Orgien aus Blut und Gewalt. Apokalypsen. Sprachkrisen, Endspiele. Die Dichter postulieren das "Zeitalter der Angst". Die Helden üben sich in Neurosen. Hoffnung gilt als reaktionär. Die Zukunft als Denkfehler. Er aber, unbeeindruckt vom Zeitgeist, erklärt: Hacks: "Die Lieblingsfigur des sozialistischen Dramatikers ist der Riese. Der Riese, das ist der nicht durch Fehler der Welt eingeschränkte Mensch". PURCELL-ARIE (5) Sprecherin: Der glänzendste, eigensinnigste, rätselhafteste Jasager der Deutschen. Sprecher 1: Ein Desperado, der ausschließlich nach seinen eignen Regeln lebt. Sprecher 2: Ein Snob. Seine Wohnung soll feudal, sein Habitus aristokratisch sein. Nie verlässt er anders als von Kopf bis Fuß perfekt gestylt das Haus, dezenter Duft, einziges Fortbewegungsmittel: Taxi. Im Umgang gilt er als schwierig, arrogant. blasiert. Verliebt in die eigene hochgezüchtete Ironie. Sein Sarkasmus ist gefürchtet, seine Urteile treffen - auch unter die Gürtellinie. Sprecherin: Den Mächtigen ist er unheimlich: zu unabhängig. Zu gebildet. Zu pro- vokant. Zitator: "Er gehört zu den erhabenen Charakteren, die sich nie gehen lassen; er zeigt nichts als was er zu zeigen beabsichtigt. Was aber ist innen? Ich weiß es nicht. Eins können wir: über sein Werk nachdenken, dessen Früchte er uns zum guten oder schlechten Gebrauch überlassen hat, und dessen Wurzeln ja aber direkt in jenes innere Gewölbe hineinhän- gen." Sprecher 1: Kurzum: ein Dandy. Der letzte Große Dandy in der deutschen Literatur. Sprecherin: Seit Baudelaire sind dies die hingebungsvollsten, leidenschaftlichsten, mutigsten Naturen, halb stoisch, halb spirituell, Heroen eines revolu- tionären Geists; letzte Repräsentanten dessen, Zitator: "was das Beste am menschlichen Stolz und Hochmut ist: dieses heute so seltene Bedürfnis, die Trivialität zu bekämpfen und zu zerstören." SHOSTAKOVICH: WALZER (4), geht über in: ELSA GRUBE-DEISTER: SHIMMY IN GRÜN 1. Strophe [HACKS/ASRIEL] Zitator: Ein Song aus Hacks' Dramenfragment "Plusmacher Ernst", Musik André Asriel, Gesang: Elsa Grube-Deister. ELSA GRUBE-DEISTER: SHIMMY IN GRÜN - 2. Strophe Zitator: FÜNF. ERFOLG. Sprecherin: Kürzeste Definition des Genies: Es hat Erfolg trotz seines Eigensinns. Hacks ist der einzige Fall eines Dichters, der Erfolg hat, obwohl er für die Funktionäre u n d für deren Kritiker ein rotes Tuch ist. Obwohl er als Jasager u n d als Dissident am Pranger steht. Obwohl er sich f ü r den Sozialismus engagiert u n d ihn kritisiert, wird er im Osten u n d im Westen gedruckt und gespielt. Sprecher 1: Er schreibt zwei Gegenwartsstücke und löst damit die zwei spektaku- lärsten Skandale in der Geschichte des DDR-Theaters aus. Hacks: "Alle großen Erfolge beruhen auf Missverständnissen. "Sorgen" war ein großer Erfolg, weil das Publikum annahm, es sei gegen Ulbricht." Sprecher 1: Seine Bearbeitung von Aristophanes' Komödie "Der Frieden" ,1962 wieder von Benno Besson inszeniert, wird einer der größten Theater- erfolge der Berliner Bühnengeschichte. Zitator: "Fast eine Dreiviertelstunde lang dröhnte der Applaus. 16 Mal musste der Eiserne Vorhang wiedergeöffnet werden. Das Publikum quittierte damit seine Überraschung und sein Vergnügen, bei der Geburt einer neuen Art des Theaterspielens dabei gewesen zu sein." DER FRIEDEN: Sprecher 1: Es folgen rasch nacheinander gesamtdeutsche Bühnenerfolge wie "Die Schöne Helena" nach Offenbach, "Amphitryon" nach Plautus, "Adam und Eva" nach der Bibel,"Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" nach Goethe. Sprecher 1: Vier Meisterwerke in zehn Jahren. Darunter die Boykottjahre nach dem Tassow-Verdikt, als seine Stücke heiße Kartoffeln fürs DDR-Theater sind, und er selbst ist persona non grata. Sprecherin: Möglich, dass er zu den Menschen gehört, die Hindernisse brauchen, um Kräfte zu aktivieren. Zumindest beantwortet er jeden politischen Angriff mit - neuen Stücken und Texten. Hacks: "Keine Kunst machen ist keine Kunst." Sprecher 1: Ab Anfang der siebziger Jahre werden dann allein auf ostdeutschen Bühnen pro Jahr drei bis fünf seiner Stücke gespielt. Sprecherin: Und so folgt, was immer folgt: Ehrungen und Preise - Sprecher 1: Kritikerpreis der Bundesrepublik, Nationalpreise der DDR I. und II. Klasse. Wahl in die Ostberliner Akademie der Künste. Manche Einladung nimmt er an, viele schlägt er aus: Hacks 1: "Das Genie ist sesshaft, der Walfisch reist nicht." SHIMMY IN GRÜN (3), 3. Strophe, Sprecherin: 1976 scheint sein Erfolg unaufhaltsam: Hacks: "Die Geschäfte gehen ihren Gang. Meinen Gedichtband, welcher von Liebe und von Ulbricht handelt, versucht man zu verbieten. Die Stein - dehnt sich zu einem Supererfolg. Man kann also leben." - Zitator: "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe". Sprecherin: Genialer Monolog für eine Schauspielerin - in über 20 Ländern ge- spielt, allein im deutschen Sprachraum auf über 170 Bühnen. Hacks: "Die 'Stein' war so unmißverständlich ein Weltbestseller, dass es wirk- lich unmöglich gewesen wäre, die abzustellen." Sprecher 1: Da kommt der Absturz. Von ihm selbst inszeniert. Sprecher 2: Sein Pamphlet gegen Wolf Biermann, sein Ja zur Ausbürgerung des Liedermachers durch die Honecker-Regierung. Sprecherin: Eine Performance? Ein Testballon? Eine Augenblickslaune? Hacks: "Ein berufsmäßiger Schriftsteller hat keine Launen. Ihm stößt nichts zu. Er weiß, was er tut, und nicht minder genau, was er lässt." Sprecher 2: Umso schlimmer für ihn. Hacks: "Die Literatur ist kein minder schmutziges Geschäft als die Politik." Sprecher 2: Es bleibt der falsche Ton am falschen Ort zur falschen Zeit. Sprecher 1: Der dritte Skandal. Diesmal mit dramatischen Folgen. Sprecherin: Als "Sorgen und die Macht" verboten wird, triumphiert er zur gleichen Zeit mit dem "Frieden". Jetzt sieht es einen Moment lang so aus, als würde ihm ein noch größerer Triumph gelingen. Doch Hacks: "Nach dem Biermann-Spektakel hat Theater heute, was es niemals getan hatte, über die 'Stein' dreimal mitgeteilt, dass das Stück schlecht und unspielbar ist. Dann verschwand ich. Ich war weg im Theater." Sprecherin: Mit anderen Worten: er produziert weiter - fast jeden Sommer ein neues Stück, fast jeden Winter Hörspiele, Kinderbücher, Gedichte, Essays, aber das große Publikum wendet sich ab und lässt den König ohne Land zurück. SHIMMY IN GRÜN (4), 4. Strophe Zitator: SECHS. DIE FEINDE. "DIE KARTOFFEL AUCH IST EINE BLUME": KARIN GREGOREK in: HACKS' "JAHR- MARKTSFEST ZU PLUNDERSWEILERN" Sprecherin: Freunde, gewinnt man, das ist bekannt, - Feinde muss man sich verdienen. Sprecher 2: Hacks verdient sie sich reihenweise, mit seiner in der deutschen Gegenwartsliteratur beispiellosen polemischen Energie. Hacks: "Mit meiner Freunde frohem Schwarm vereint/ Besuch ich gern das Grab von einem Feind." Sprecher 1: Zu stolz, um zu taktieren, kämpft er an allen Fronten und verteilt ohne Rücksicht auf Verdienste und Verluste seine giftigen Sottisen. Hacks: "Wieso gilt ein mediokres Talent wie Günter Grass bei Ihnen als Papst der Epik, während Arno Schmidt seit gut zwanzig Jahren in der Ecke stehen muss, zur Strafe dafür, dass er deutsch kann?" Sprecher 2: Wenn er hasst, ist er selten fair und nie zimperlich in der Wahl seiner Mittel: Zitator: "In dem James-Bond-Film 'Der Spion, der mich liebte' hatte Hacks vor allem die Figur des Beißer gefallen. Er verfügt, sagte er, über vollkom- men das nämliche Lächeln wie der Lyriker Reiner Kunze." Sprecher 2: Seine Lieblingsfeinde sind jedoch a) Germanisten, b) die Galionsfiguren der Moderne und c) die Romantik. Den Germanisten wirft er als défor- mation professionelle Mangel an Geist und Charakter vor. Hacks: "Sie möchten, dass Goethe sei wie sie, herzensgut und verlogen. Ein schulterklopfender Zwerg. Ein bißchen herablassend, ein bißchen neidisch, im Ganzen jedoch wohlwollend, wie ein Kleingeist aus Vorsicht immer." Sprecher 2: Die Modernen bringt er auf die Formel: Hacks: "Der Zahnlose bevorzugt Brei als Mahlzeit. In Klammern: Beuys, Wahrhol, Beckett." Sprecher 1: Beziehungsweise - Hacks: "Ein Irrer wickelt Lappen um ein Haus", - Sprecher 1: wenig später revidiert zu - Hacks: "Des Reichstags Kuppel uns mit Grausen füllt/ Ich wollt, er wäre wieder eingehüllt." Sprecher 2: Die Romantik ist sein Kampfbegriff schlechthin. Sein Synonym für ein Reich des Bösen und Mittelmäßigen, in dem sich ästhetische Negation und politische Reaktion miteinander verbinden. Sprecher 1: Auslöser war Franz Fühmanns Plädoyer für ein neues Verhältnis zur Romantik, speziell zu E.T.A. Hoffmann, vom März 1976. Hacks hält dagegen mit einer Art Paralleltheorie, nach der Kleist, die Brüder Schle- gel, Hoffmann und die anderen Romantiker des 19. Jahrhunderts vom englischen Geheimdienst dafür bezahlt seien, das Publikum gegen Napoleon aufzuwiegeln, so, wie Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Heiner Müller, Christa Wolf und andere oppositionelle DDR- Autoren von CIA bzw. KGB gegen den SED-Staat instrumentalisiert würden. Hacks: "Ein romantischer Autor ist ein Autor, dessen mißratenste Werke in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im Zuge einer un- freundlichen Übernahme durch revisionistische Literaten dem DDR- Publikum ans Herz gelegt wurden." Sprecher 2: Das ist paranoid, das meint er nicht ernst. Sprecherin: So ernst, wie ein satirisches Genie, das seine Erfolge normalerweise in wenigen Wochen aufs Papier bringt und hier mehr als zwanzig Jahre und hunderte von Seiten braucht, sowas nur meinen kann. Hacks: "Ob heute nacht dein Feind stirbt oder du/ In beiden Fällen, Bruder hast du Ruh." Zitator: MANFRED KRUG : 'GREENSLEEVES' , übersetzt von Peter Hacks. SIEBEN. DIE FREUNDE Sprecherin: Anders als Dandys früher, traktiert Hacks die Welt nicht mit seinem Privatleben. Doch was man weiß, ist: Er hält keinen Hof. Er posiert nicht. Auf den Fotos der Sektempfänge mit den Nobelpreisträgern, Staatsfunktionären, Stars und Schranzen der Kulturschickeria ist er nicht anwesend. Und die Liste seiner Freunde ist kein Who-is-who der großen Namen. Hacks: "Meine Freunde sind danach ausgesucht, ob sie gute Freunde sind, das heißt, sie sind ausgesucht nach ihrer Fähigkeit zu leben und nach ihrer Nichtkaputtheit. Ich will, dass das Leute sind, auf die man bauen kann und mit denen man leben kann, und dann ist mir das egal, ob das der Direktor vom Fleischkombinat ist oder ein nicht besonders berühmter Drehbuchschreiber." Sprecherin: Unter diesen Freunden finden sich Religions-, Theater- und sogar Lite- raturwissenschaftler, auch Schriftsteller, - berühmte wie Heinar Kipp- hardt oder James Krüss, den er schon seit Studienzeiten kennt, oder vierzig Jahre jüngere Geheimtipps wie Ronald M. Schernikau: Hacks: "Verehrte Kollegen, ein sehr schöner, sehr junger, sehr kluger Freund fordert Ihre Solidarität. Der Beitritt zur Subskription, den ich von Ihnen erwarte, ist ein kleiner Dank für eine große Wohltat, die er Ihnen würde erwiesen haben, wenn Sie in der Stimmung gewesen wären, sie entge- genzunehmen." Sprecherin: Manche Freunde adelt er durch wunderbare kleine Porträts: Hacks: "Ich, der Portätist, bin, mein Pass bezeugt es, von großer Statur. Wenn ich gemeinsam mit Gotthold Gloger über Land gehe, erzählen die Leute nachher: da waren zwei Männer hier, ein großer und ein kleiner. Der kleine bin dann ich. So groß ist Gloger." Sprecherin: Um manche, oft noch unbekannt, wirbt er mit der gleichen hartnäk- kigen Entschlossenheit, mit der er seine Feinde so brüskiert: Hacks 1: "Lieber Hans Magnus Enzensberger, Sie brauchen also für mich speziell jetzt keine Atombombe einzukaufen. Geben Sie bitte die dafür vorge- sehene Summe für eine Fahrkarte nach Berlin aus und bringen Sie mir eine Flasche Whisky mit; Sie behalten dann sogar noch Geld übrig." MANFRED KRUG: 'GREENSLEEVES' (2)- Anfang, leise Sprecherin: Mit den Schauspielern Karin Gregorek, Cox Habema und Eberhard Esche ist er so eng befreundet, dass sie gemeinsam 1982 ein fran- zösisches Theater im Französischen Dom planen, um gemeinsam die Stücke von Racine, Corneille, Moliére, Goethe auf die Bühne zu bringen Sprecher 2: Manche Freunde taugen nur noch für Anekdoten: Zitator: "Der Bildhauer Manfred Salow war ein fröhlicher Mensch und bei jeder- mann wohl gelitten. Besonders eng befreundet war er mit Peter Hacks und Manfred Krug; von beiden hat er schöne Bronzen ausgeführt. Außer als Künstler arbeitete Salow als Offizier der Staatssicherheit, er berichtete dort über den einen Freund wie über den anderen." Sprecher 2: Bleiben Hartmut Lange und Heiner Müller. Hacks: "2.5.57. Ich gebe mit außerordentlichem Vergnügen ein Urteil über die künstlerischen Fähigkeiten von Herrn Heiner Müller ab. Das von ihm fertig vorliegende Stück 'Der Lohndrücker', ist das beste Theaterstück, das in der DDR geschrieben wurde. Wenn ich in einen Stückeschreiber bedeutende Hoffnung setzen wollte, ich wüßte nicht, in wen eher." Sprecherin: Knapp zehn Jahre später präsentiert Hacks der staunenden Öffentlich- keit den gleichfalls noch unbekannten Dramatiker Hartmut Lange als ersten Dichter der Nation - genauso selbstlos, genauso begeistert. Doch: Zitator: "Hacks gehört nicht zu den Schriftstellern, die Gruppen bilden. Er steht zu seinen Freunden und Ansichten. Wenn beide sich sehr voneinander entfernen, bleibt er bei den Ansichten." Sprecherin: "Er wollte nie ein guter Mensch sein, der noch Verrat verzeiht." Sprecher 2: Als Hartmut Lange sich während eines gemeinsamen Jugoslawien- urlaubs 1965 in den Westen absetzt, streicht Hacks ihn aus seinem inneren Adreßbuch. Nur ein Mal noch, in seinem "Die Elbe" betitelten Langgedicht, kommt er auf den Verlust zurück: Hacks: "Ihr aber, die ihr froh seid, ihn zu missen,/ Wollet nicht irren. Dieser Wichtigmacher// War wichtiger als seine Widersacher.// Was dieser Schwätzer wußte, lohnt zu wissen." Sprecherin: Verglichen damit hat seine kurze Freundschaft und lange Feindschaft mit Heiner Müller eher etwas von einem Western. Zwei Männer, zwei prächtige Platzhirsche, zwei konträre Lebensstile, Typen, Ideen. Ein Vorschuss an Geld, an Mut und Zuneigung, der geborgt, aber nie zu- rückgegeben wird. Sprecher 1: 1961 hatte Hacks als einziger gegen Heiner Müllers Ausschluss aus dem Schriftstellerverband gestimmt und, wie angekündigt, den Ort nie mehr betreten. Sprecherin: Frauen kommen ins Spiel. Widrige äußere Umstände. Lügen, Schmeich- ler, Schaukämpfe. Politische und ästhetische Kurswechsel. Am Ende sind beide Helden tot und statt der Dichter steht nun die Hacks-Frak- tion der Müller-Fraktion unversöhnlich gegenüber. SZENE AUS: DER FRIEDEN "ABER GENUG DAVON UND ZU WICHTIGEREN DINGEN. BADE DIESES FRÄULEIN..." ACHT. DIE FRAUEN Sprecherin: Von allem Schönen, das Hacks schrieb, sind die Liebesgedichte, Lieder und Geständnisse seiner Heldinnen vielleicht das Schönste. Keinem deutschen Dramatiker sind Frauen, so klug und zugleich so bettwarm, geglückt. Gegen seine Omphale, Polly und Stein seine Eva, Genovefa und Helena sind Schillers Elisabeth und Brechts heilige Johanna verklemmt und frigide. Sprecher 2: Oder nehmen wir seine "Margarete in Aix": Sprecher1: "Colin: Ich bin nicht dumm, aber nicht klüger als Sie, ich würde Sie auf diesem Feld nicht besiegen, was doch aber von einem Mann verlangt wird." Sprecherin: "Margarete: Ich verstehe, Sie scheuen den Kampf". Sprecher 1: "Colin: Ich führe ihn auf meine Weise. Die Welt spricht von Ihrem Geist, Madame, und Ihrer Vollkommenheit. Was nützen Ihnen diese Errun- genschaften? Wenn Sie die eine Hälfte der Männer durch Anmut ge- blendet und die andere um den Verstand disputiert haben, wandeln Sie über einen Acker von Hingeworfenen und reden sich ein, dies sei es, was Sie erstrebt haben. Ich allein erbarme mich Ihrer Stärke, anerken- ne, dass Sie hübsch gewachsen sind und sagen Ihnen, dass Sie den Mund halten sollen." Sprecherin: "Margarete darauf: Herr, Sie beleidigen mich mit Komplimenten." Sprecher 1: "Darauf Colin: Ich schmeichle mich ein, mit Unverschämtheiten. Küsst sie", und dann sagt sie es ihm, endlich: "Geliebter!". Sprecherin: Hacks liebt die Frauen, und die Frauen lieben ihn, - anders wüsste er nicht so viel von ihnen und erfände Pappkameradinnen. Sprecher 1: Auch der in der deutschen Literatur so beliebte Topos der Sehnsucht nach der dummen Frau, die dem Dichter hilft, sich von der eignen In- telligenz zu erholen - von Goethe bis Heinrich Mann und Heiner Müller reihenbildend - lässt Hacks kalt. Auch hier geht er nicht mit der Herde. Sprecherin: "Dumme Menschen langweilen ihn"; auch für Frauen - keine mildern- den Umstände. Sprecher 1: Entsprechend ist auch seine eigne Frau, Anna Wiede, nicht nur hübsch, sondern auch klug, charmant, begabt, fröhlich. Übrigens sind beide bis zu seinem Tod verheiratet, und diese Ehe, - vermutlich war sie freier, als der offizielle Osten je zu träumen wagte: Hacks 1: Du sollst mir nichts verweigern./ Ich will den letzten Rest./ Geht eine Lust zu steigern,/ Ein Schurke, wer es lässt./ Gehabtes Glück hilft sterben. / Der Tod, er soll nichts erben/ Als blankgeleckte Scherben/ Und Schläuche ausgepresst." Sprecherin: Er verliebt sich gern und oft, sagt das Ondit. Doch auch hier - nicht die üblichen Männerphantasien: Hacks 1: "Das Kind, das meinem Bett entsteigt/ Mit rabenschwarzem Haar,/ Wie unbefangen sie mir zeigt,/ woran doch nichts zu loben war.// Jetzt hat sie einen rosa Slip,/ Sie ist fett für ihr Alter,/ Und jetzt, dass ihre Brust nicht wipp,/ Einen schwarzen Büstenhalter.// Dann hat sie noch ein kurzes Hemd,/ Sie sagt, es ist ein Kleid./ Die Jugend ist mir ziemlich fremd,/ So ungeniert und so verklemmt,/ Ich seh ihr zu, wie sie sich kämmt,/ Und tu mir leid." Sprecherin: Von keiner geht er, ohne etwas für sie zu tun - auch das sagt das Gerücht. Für die Sängerin übersetzt er irische Balladen, für die Schau- spielerin schreibt er den Monolog der Frau von Stein, und will eine ihn inszenieren, setzt er sie durch beim Intendanten. Wenn es etwas gibt, auf das er mehr als auf Stalin baut, dann ist es - die Liebe: Hacks 1: "Wenn Liebe mir am Leben zehrt,/ Lieb ich doch immer fleißig./ Un- deutlich ist des Lebens Wert./ Den der Liebe weiß ich." LIEB O LIEBE UNBEDACHT - GESANG: ELSA GRUBE-DEISTER, TEXT: PETER HACKS, MUSIK: ANDRÉ ASRIEL Zitator: NEUN. DER STOLZ UND SEIN PREIS Sprecher 1: Er ist 61, als die Wende, oder wie er dazu sagt: die Konterrevolution, stattfindet. Von einigen wenigen Theatern wird er noch gespielt - Hacks: "Es ist sehr schwer, soviel geschrieben zu haben wie ich und nicht bemerkt zu werden." - Sprecher 1: aber er ist kein Autor mehr, mit dem das breite Publikum rechnet. Sprecher 2: Die Zeichen der Zeit stehen auf Abrüstung: Konsum und Rückzug ins Private. Schnellen Gebrauch und Verzehr. Postmoderne und Regie- theater - Hacks: "Das Zeitalter der Gesittung ist vorüber, was beginnt, ist das Zeitalter des Geldsacks und der Schwärmerei." Sprecher 2: Da kann man mit Emanzipationsstücken eines anarchischen Kommu- nisten nichts mehr anfangen. Hacks: "Totgeschwiegensein ist die hohe Schule des Klassikers." Sprecher 2: Er selbst sieht sich als Opfer des westdeutschen Geheimdiensts - Hacks: "der Mitte der 70er Jahre herauskriegte, dass seine ungeheuren Investi- tionen, mich zu korrumpieren, wirkungslos geblieben waren." Sprecher 2: Klassische Verschwörungstheorie. Sprecher 1: Tatsache ist, dass er 1989 unfreiwillig in das gleiche System zurück- kehren muss, aus dem er vierunddreißig Jahre vorher freiwillig wegge- gangen ist. Seine Antwort ist genauso radikal wie damals - nun, da ihm alle Fluchtwege abgeschnitten sind, wird er zum Neinsager. PURCELL-ARIE (6) - darüber: Sprecher 1: In einem Alter, in dem der normale Mensch seinen Frieden macht mit der Welt, über den Ruhestand nachdenkt und sich, resigniert oder wie- se, mit den Umständen arrangiert, baut Hacks sich und seine Poetik noch einmal um. Hacks: "Wonach ich suche, sind Themen, die zu erwähnen, also zu vernichten, dem Imperialismus und seinem Mediengesindel noch nicht eingefallen ist: unerwartete Themen, die durch Naivität das allgemeine Nullbe- wußtsein unterlaufen oder durch Weisheit übersteigen. Wir müßten unbedingt von was reden, wovon nicht alle reden." Sprecher 1: Das ist für ihn - Hacks: "Die menschliche Fähigkeit, den Umständen angemessen und als ein Würdiger zu begegnen" - Sprecher 1: Dafür sucht er Verbündete. Sondiert die linke Szene. Mischt sich ein. Probiert operative Genres wie das Epigramm, das Kurzgedicht, das fiktive politische Tagebuch. Schreibt Essays über die Welt, den Geist, den Verrat und die Medien, darunter den Mammutessay zur "Romantik" und ab 1991 auch wieder Stücke, kurze Stücke, die er als Dramolette bezeichnet. Noch mit siebzig ist er ein Mann von atemberaubender Produktivität: Hacks: "Was ich nicht dichte, dichtet keiner mehr./ Was du nicht denkst, denkt morgen irgendwer." Sprecher 2: Und fröhlicher Stalinist - Hacks: "Venus und Stalin. Ein milder Glanz geht, eine stille Pracht/ Unwider- stehlich aus von diesem Paar./ Die Liebe und die Sowjetmacht/ Sind nur mitsammen darstellbar." Sprecher 1: Kunst ist Widerspruch. Nein zum Status Quo. Daran kann eine bloße politische Wende für ihn nichts ändern. Sprecher 2: Man kann das auch als Altersstarrsinn bezeichen. Sprecher 1: Er zahlt einen hohen Preis dafür, dass er an seinem Stolz, seinem Cha- rakter, seinen Überzeugungen festhält in einer Zeit, die Dynamik be- lohnt, Flexibilität, Anpassungswillen, Opportunismus. Sprecher 2: Hans Mayers Diktum, "Seit langem sind Texte von Hacks am Marken- zeichen eines spielerisch-eleganten Bildungsklassizismus' erkennbar" - ist programmatisch. Nur fünf Jahre nach seinem Tod ist dieser Welt- dramatiker zum Geheimtipp mutiert. Es gibt keine Konferenzen, keine Seminare, keine Dissertationen über ihn. Sein letzter Gedichtband, "Tamerlan in Berlin", steht in der Berliner Stadtbibliothek in einem separaten Kabinett: Zutritt nur für Mitarbeiter. Hacks: Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?" - Sprecher 1: fragt er zwei Jahre vor seinem Tod in einer Wortmeldung für die Zeitschrift 'Rotfuchs'. Wessen sollte dieses Land sich rühmen, wenn nicht dieses Peter Hacks? Zitator: ZEHN. EPILOG HAYDN - HORNKONZERT - darüber: Sprecherin: Rückblende. 1959 erobert eins der witzigsten und geheimnisvollsten Stücke des 20. Jahrhunderts - "Die Nashörner" des rumänisch-franzö- sischen Dramatikers Eugène Ionesco die Bühnen. Der 'König des absurden Theaters' lässt darin die Menschen einer ganzen Stadt zu dumpfen, dickhäutigen Ungetümen mutieren. Schnitt: Ende der sieb- ziger Jahre. Ostberlin, kurz nach Fühmanns Artikel und Biermanns Ausweisung: Peter Hacks reimt. Das Ergebnis: sein Anti-Ionesco, der zugleich eins der schönsten deutschen Kinderbücher ist. Handlungs- ort: Afrika. Der Protagonist: ein kleiner Nashornbulle, der entdeckt, dass das Horn auf seiner Nase außer zum Kampf auch zum Kunstma- chen tauglich ist. Hacks: An einem heißen Ort der Erde, Da lebte eine Nashornherde. Sie gingen schläfrig auf der Weide. Sie waren stark, doch ohne Zorn. Sie taten keinem was zuleide, Und nur dem Räuber droht ihr Horn. Nun aber wuchs in ihrer Schar Ein Jüngling auf, der anders war. Er schwärmte früh für alles Schöne, Insonderheit die Kunst der Töne, Und stellte eines Tages fest, Dass auf dem Horn sich blasen lässt. Sprecherin: Als eines Tages ein Löwenrudel die Dickhäuter überfällt, versteckt sich der kleine Künstler, was ihm als Feigheit ausgelegt wird: Hacks: "Der Oberbulle sprach mit Schnauben: 'Wenn ichs nicht säh, ich könnts nicht glauben. Ein strammer Kerl von festen Knochen Hat sich beim Kälbervolk verkrochen. 'Wer Angst hat', sprach er, womit er schloss, 'Wird nie ein rechtes Rhinozeros.'" Ich hatte doch nicht Angst um mich", Verteidigt unser Nashorn sich. "Nur um mein Horn. Der Kunst bestimmt, Im Kriege leicht es Schaden nimmt. Ihr hört doch alle, will ich schwören, Gern meine Nachtmusik." - "Wir hören", Versetzt der Oberbulle ohne Spaß. "Nur schlecht, wenn uns der Löwe fraß." Dann ward von den Rhinozerossen Ein harter Urteilsspruch beschlossen: Allein greifst du die Löwen an. Allein jetzt stehst du deinen Mann. Wenn sie dich fressen, sei dein Trost: Es ist die Strafe, dass du flohst. HAYDN - HORNKONZERT (2)- darüber: "Ich kämpfe", sprach der Musikus, Nicht weil ich möchte, weil ich muss. Doch bis zum nächsten Vollmond haltet still Da ist ein Hornkonzert von Haydn Das ich noch fertig üben will. Dann tue ich, wie ihr begehrt." Der Bulle sprach: "Es ist gewährt". Was aber war in Wahrheit dann, Was unser schlauer Freund begann?" Sprecherin: Er kämpft wie Hacks an seiner Stelle gekämpft hätte. Mit Kämmen, Sei- denpapier und dem inbrünstigen Glauben an die alles besiegende Kraft der Kunst verführt er die Löwen, mit ihren gefährlichen Schneide- zähnen zu musizieren, so dass er in die Höhle des Löwen kommt und nicht nur nicht gefressen wird, sondern das Hornsolo spielt im Löwen- orchester: Hacks: "Der Künstler hob das Horn zum Munde, Sein Glück sich aus dem Hals zu blasen. Die Löwen schnurrten auf dem Kamm. Das Publikum saß rings im Schlamm. Und Tränen höchster Lust entflossen Den staunenden Rhinozerossen. So und nicht anders kam zustande, Dass dort, in jenem heißen Lande Kein Löwe je noch Festres fraß Als Erbsmus oder Ananas." HAYDN - HORNKONZERT (3). 1