COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Museum ohne Ort - Wie digitales Kuratieren die Kunst verändert Ein Feature von Miriam Sandabad O-Ton (Reinaldo Almeida 1, 0:33) Also, wir müssen jetzt erstmal zum Leipziger Platz gehen - ich kann ja erstmal hier drauf drücken und gucken, was passiert. Ok, an der Stelle, auf den dieser Marker zeigt, befand sich der S-Bahnhof Potsdamer Platz. Und wir müssen, glaube ich, erstmal dahin gehen, um die App auszuprobieren, weil das, glaube ich, mit so’ nem Video funktioniert. SPR 2 (Audioguide) (zerstreut) Oh, das war das falsche Kapitel… Wo ist denn der Anfang? Regie: Spulgeräusch SPR2 (Audioguide) Herzlich willkommen zur Audiotour durch die Möglichkeiten der digitalen Kulturvermittlung. In den folgenden 28 Minuten begleite ich Sie bei einem Rundgang im virtuellen Museum der Zukunft. Schon heute ergänzen viele mediale Begleitungen die traditionelle Kunst-, Kultur- und Geschichtsvermittlung. Wie digital wird also das Museum von morgen? Ersetzen Smartphone und Computer bald den klassischen Museumsbesuch? In vier Kapiteln wollen wir gemeinsam diesen Fragen auf den Grund gehen. Tippen Sie “Start”, um die Audiotour zu beginnen. Regie: Klack Regie: Musik SPR2 (Audioguide) Kapitel eins: Von der Kunst, kulturelle Bildung und digitale Medien zu verbinden. SPR 1 Wer Kunst erleben oder Kultur erfahren will, der geht ins Museum - immer noch. Rund 110 Millionen Eintrittskarten werden jedes Jahr in deutschen Museen gelöst, hinzu kommen etwa 5 Millionen Besucher in weiteren, nicht-kommerziellen Ausstellungshäusern. Zwar schließen diese Zahlen auch Touristen aus dem Ausland und Mehrfachbesucher ein, aber sie machen deutlich: Die Museumskultur lebt. Doch die digitale Konkurrenz schläft nicht. 1. ZUSP (Mix aus Audioschnipseln von Beispielen mit Musik unterlegt) Betrachten Sie das Bild doch einmal genauer. // Herzlich Willkommen zum Rundgang mit der App zum Gedenkort Rummelsburg. // Ein tiefes, sattes Blau. Dieses Kunstwerk ist ganz anders als die anderen Bilder im Museum. // Ich kam hier an dem Haus an und erreichte dort oben im ersten Stock die Wohnung unserer Freunde. SPR1 (Sprecher) Der herkömmliche Audioguide hat verspielte Geschwister bekommen: Neben dem bekannten Service, sich beim Museumsrundgang per Knopfdruck Informationen ins Ohr flüstern zu lassen, setzen viele Häuser auf ein breites Medienangebot. Die Bandbreite reicht von mobilen Apps fürs Smartphone über interaktive Audiowalks zur Geschichtsaufbereitung bis zu ganzen Online-Ausstellungen. 2. ZUSP (Mix aus Audioschnipseln von Beispielen mit Musik unterlegt) Dies ist nun der siebente und letzte Teil des Rundgangs. // Auf diesem kleinen Ölgemälde wandert ein Lamm mit kugelrunden, geschlossenen Augen durch die Wellen eines bunt gestreiften Kosmos. // sie ließen nur diejenigen durch, die einen Westberliner Ausweis hatten oder eben in diesen Häusern dort vorne wohnten. SPR 1 (Sprecher) Digitale Begleitungen und Ergänzungen zu Ausstellungen oder Sammlungen wollen nicht nur Menschen ins Museum locken, sondern für sich stehen. Kunst und Geschichte soll von überall aus zugänglich sein, egal, wo die potentiellen Interessierten sich befinden. Weltweit gibt es zahlreiche erfolgreiche Beispiele: Die App “Magic Tate Ball” der Londoner Tate Gallery of Modern Art wählt etwa ein aktuelles Werk der Sammlung aus, passend zum jeweiligen Standpunkt, der Wetterlage und der Umgebung des Nutzers - ein Schütteln des Smartphones genügt. Und nicht zuletzt hat das Google Art Project mit seinem Start 2011 eine breite Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Bildbetrachtung entfacht. 3. O-Ton (Angela Merkel) Das Internet ist für uns alle Neuland. SPR 2 (Audioguide) Doch wie steht es in Deutschlands Kulturlandschaft um die digitale Aufgeschlossenheit? Im folgenden Abschnitt lernen Sie Beispiele aus der Praxis kennen - und wir werfen einen Blick auf ein Erfolgsmodell aus den Niederlanden. (Klickgeräusch) Kapitel zwei: Kunst ist für alle da - wie die Kultur auf den Bildschirm kommt. Musik Rijksstudio drunter SPR1 (Sprecher) Die Aura eines Kunstwerks gehe im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit verloren, schrieb Walter Benjamin. Und damit auch seine geschichtliche Zeugenschaft. Digitale Zugänge ermöglichen dennoch persönliche Auseinandersetzungen mit einem Objekt. Ein Beispiel ist das interaktive Rijksstudio, ein Onlineangebot des Amsterdamers Rijksmuseums. Musik Rijksstudio SPR1 (Sprecher) Das größte niederländische Kunstmuseum hat sich komplett der interaktiven Kommunikation mit seinen Besuchern verschrieben. Die Menschen sollen Kunst digital verändern können – der Eingriff in klassische Werke ist hier programmatisch und kein Widerspruch zur Wertschätzung des Originals. Für den Onlinemanager des Rijksmuseums, Peter Gorgels, ist die Einbindung des Publikums elementar. 4. O-Ton (Peter Gorgels 1, 1:05) Well, we present the art in a very high resolution online, full screen, so you can really enjoy it. So a lot of museums put just little images online and we put it full screen so you can enjoy it really as if you were in the museum. So, that’s one, that’s really nice. Second, you can make your own collection, your personal collection. So if you like dogs, then you make your dog collection - everything you want. That’s very important. And we look very much at what are people using now? Images are very important on the internet now, like Instagram, Pinterest - we look a lot at that and we didn’t invent our own thing, we just copied what is already good on the internet. So that’s very important: It can be very simple to do something good. And the third thing is: We make all these high resolution pictures available and everybody can make their own masterpiece. So if you are creative - and not everyone is creative, it’s only a small amount of people - they can make their own things but they also they can sell it, they can post it and they all become ambassadors of the Rijksmuseum. So that’s great also for us. 5. ZUSP (Overvoice, bereits eingesprochen) Wir stellen die Kunstwerke in einer sehr hohen Auflösung ins Netz, und zwar im Vollbild. Viele Museen veröffentlichen nur kleine Abbildungen, aber wir wollen, dass die Nutzer die Bilder genauso gut wie im Museum betrachten können. Außerdem kann jeder Nutzer seine eigene persönliche Sammlung anlegen. Wenn Sie zum Beispiel Hunde mögen, dann erstellen Sie sich eine Hundegalerie. Jeder sollte genau das machen können, worauf er Lust hat. Mit all diesen hochaufgelösten Bildern kann jeder sein eigenes Meisterwerk kreieren. Nicht jeder ist kreativ, klar, aber wer will, der kann sein Werk veröffentlichen und verkaufen - unsere Nutzer sind also Botschafter des Rijksmuseums. Und das ist großartig für uns. Musik Digitale Sammlung drunter SPR1 (Sprecher) Ein Sprung nach Frankfurt: Das dort ansässige Städel Museum zählt zu den bedeutendsten deutschen Kunstmuseen. Zum 200jährigen Jubiläum in diesem Jahr bemüht sich das Haus um eine digitale Offensive: Ein sogenanntes Digitorial begleitet eine Ausstellung zu Claude Monet, ein Computerspiel bringt Kindern Kunstgeschichte näher und eine mobile App begleitet Besucher bei ihrem Museumsrundgang. Musik Digitale Sammlung hochziehen SPR1 (Sprecher) Herzstück der “digitalen Erweiterung”, wie das Städel seine multimediale Strategie nennt, ist jedoch die digitale Sammlung. 6. O-Ton (Chantal Eschenfelder 1, 0:09) Die digitale Sammlung ist ein Instrument, wir haben dafür das Motto geprägt “mehr finden als man gesucht hat”. SPR1 (Sprecher) Chantal Eschenfelder leitet die Kulturvermittlung des Städel und sieht die Verlagerung der Kunst ins Netz als Chance: 7. O-Ton (Chantal Eschenfelder 2, 0:17) Die digitale Sammlung ermöglicht ein Schlendern durch die Bestände des Städelmuseums, aber nicht durch virtuelle Räume, sondern durch die Inhalte unserer Werke, und zugleich aber auch die Vertiefung einer Information zu einem Einzelwerk. SPR1 (Sprecher) Und das hat einen sehr greifbaren Grund: Rund 110.000 Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Fotografien umfasst die Haussammlung - doch lediglich ein Prozent der Werke findet in den Ausstellungsräumen Platz. 8. O-Ton (Chantal Eschenfelder 3, 0:34) Da war es uns ganz wichtig, dass die digitale Sammlung eben genau den digitalen Mehrwert bietet, den Sie im physischen Haus nicht haben. Weil das möchten wir wiederum nicht, dass sozusagen eine Beschallung der Besucher direkt am Werk stattfindet oder dass da irgendwelche Bildschirme flimmern. Da haben wir uns dagegen entschieden. Sondern unsere Strategie ist eher, sozusagen Vorher/Nachher zuhause sich in der digitalen Sammlung zu vertiefen, dort aber multimediale Inhalte wie Filme, wie Audiotracks auch unterschiedlicher Art auch abrufen zu können. SPR1 (Sprecher) Das Städel wolle mit seinen digitalen Angeboten Teilhabe ermöglichen, so Chantal Eschenfelder. Auch vom heimischen Sofa aus sollen virtuelle Besucher die Sammlung erleben können. Dennoch unterscheidet sich der virtuelle Besuch von dem vor Ort. Der Blick auf den Bildschirm lässt sich nur schwer mit der Atmosphäre messen, die das Umgeben sein von anderen Besuchern oder die räumliche Einordnung der Gemälde schaffen. Für Eschenfelder aber kein Widerspruch. 9. O-Ton (Chantal Eschenfelder 4, 0:44) Für uns ist es ganz klar ein komplementäres Angebot, was den physischen Besuch weder ersetzen wird - da haben wir gar keine Angst, dass das dazu kommt, sondern im Gegenteil, es ist ja erwiesen: Nicht nur “man sieht nur, was man weiß”, sondern “je mehr man über etwas weiß, umso größer ist in der Regel auch das Interesse an einer Sache”. Aber wir machen das nicht, um mehr physische Besucher zu bekommen. Uns geht’s vielmehr darum, die Grenzen zu überschreiten, und auch in einer zunehmend digitalisierten Welt auch präsent zu sein. 10. ZUSP (Audiokommentar Lochner-Gemälde) (Gesänge) Ich fühle nichts mehr. - gekreuzigt, geköpft, gesteinigt, in Öl gesotten, erschlagen, erstochen - Zwölf Bilder, zwölf Hinrichtungen, auf den Flügeln eines Altars... SPR1 (Sprecher) Sich zu Hause mit Hintergrundinformationen und Videos auf einen Museumsbesuch vorzubereiten ist das eine - doch es geht auch eine Stufe weiter: Das Städel etwa bietet in seiner Smartphone-App den Betrachtern seiner historischen Gemälde subjektive Interpretationsmöglichkeiten aus heutiger Sicht an - wie etwa für Stefan Lochners Apostelmartyrien von 1435. 11. ZUSP hochziehen (Audiokommentar Lochner-Gemälde) geschunden… Warum kann ich mir das alles ohne Regung ansehen? Warum fühle ich nichts? SPR1 (Sprecher) Schonungslos geht es auch in anderen Ausstellungen zu: Ines Dorian Gütt ist Kunsthistorikerin und beschäftigt sich seit fünf Jahren mit mobilen Anwendungen in der Museumswelt. Ein Beispiel aus dem Krakauer Nationalmuseum ist ihr dabei besonders im Gedächtnis geblieben: 12. O-Ton (Ines Dorian Gütt 1, 0:47) ...die haben ihre Gemälde animiert. Also auch auf eine relativ brutale Art und Weise, so als Kunsthistoriker schluckt man da schon erstmal. Aber es ist trotzdem sehr sehr effektiv, weil sie halt so kleine Versatzstücke, die sie über die Dargestellten oder den jeweiligen Maler wussten, dort mit reingebracht haben. Und dann unterhält sich zum Beispiel die dargestellte Frau mit dem Maler. Fragt ihn: Warum hab ich eigentlich nix an? Das funktioniert natürlich extrem gut, da kannst du sehr schön mit spielen – und du brauchst halt deinen Werken gegenüber eine gewisse Brutalität und sehr viel Mut (…) deswegen haben solche Ideen es schon oft so ein bisschen schwierig – ich würd mir aber auch wünschen, dass da noch mehr bei raus kommt, also dass noch mehr irgendwie so mutig sind, so brutal zu ihren Werken zu sein. Also, jetzt nicht im wörtlichen Sinn natürlich, sondern im übertragenen Sinne (lacht). SPR1 (Sprecher) Mut für neue Präsentationsarten braucht es nicht nur in der Kunst. Auch die Geschichtsvermittlung springt über alte Erklärtafel-Schatten und versucht, kollektive Erinnerungen mit multimedialen Anwendungen lebendig werden zu lassen - und das nicht geschützt in vier Wänden, sondern draußen im öffentlichen Raum. Dabei wird zusätzlich zur Faktenvermittlung auf viel Gefühl gesetzt: Die Nutzer sollen durch persönliche Zeitzeugenberichte berührt werden. Geschichte wird weniger als Tatsache, denn als emotionales Event vermittelt. Atmo Mauerschau-App, Stimmengewirr SPR1 (Sprecher) Zum 25jährigen Jubiläum des Mauerfalls startete im vergangenen Herbst die mobile App “Mauerschau”. Angelehnt an den Begriff aus der Theaterwelt erwartet den Nutzer hier eine Zeitzeugen-Reise durch das Berlin vor, während und nach der deutschen Teilung. 13. O-Ton (Maximilian von Grafenstein, 0:45) Die Mauerschau ist unser erster Anwendungsfall für unser mobiles Museum in Berlin, und dort legen wir thematisch den Fokus auf Zeitzeugengeschichten zum Bau und Fall der Berliner Mauer. Das heißt, der Nutzer, der sich die App runter lädt, kann dann vor Ort diese Zeitzeugengeschichten erleben. Das funktioniert folgendermaßen, dass wir Touren gebaut haben mit dreierlei Inhalten, einmal Originalfotos, dann Archivvideos und neu gedrehte Zeitzeugeninterviews. Er kann diese Inhalte öffnen, und bei Fotos kann man sich die über Augmented Reality ansehen, das heißt, man kann die dann mit seiner Fingerspitze ein- und ausfaden und so an der Stelle, wo ursprünglich das Foto aufgenommen wurde, eben genau vergleichen: Okay, wie sah die Stelle damals aus und wie sieht sie heute aus? 14. O-Ton (Reinaldo Almeida 3, 0:35) Und jetzt können wir sogar so die Treppen runtergehen, die zum Gleis führen… Ach: Da sind Soldaten, die sind an einer Ecke und warten auf dem Gleis. Stromkästen. Und jetzt sehen wir hier - eigentlich, wenn ich mich so hinstelle - ja, wie das damals aussah. Es fahren grade keine Züge und ich sehe die zwei Soldaten oder Sicherheitsbeauftragte in Uniform… SPR1 (Sprecher) Reinaldo Almeida ist Filmemacher. Die Mauerschau-App hat ihn an den Bahnhof Potsdamer Platz geführt. Mit Smartphone und Kopfhörern taucht er per Video in der App ein ins Ostberlin der Achtziger Jahre, während um ihn herum alltäglicher Touristen- und Geschäftstrubel herrscht. SPR1 (Sprecher) Per Augmented Reality, also einer virtuellen Realität, historische Geschehnisse emotional nachvollziehbar zu machen - diese Idee gefällt Reinaldo Almeida: 15. O-Ton (Reinaldo Almeida 4, 0:32) Verglichen jetzt mit dem Stadtführer, man hat erstmal den Originalton von der Zeit und man hat einfach auch ein Gefühl für wie verlassen es war oder wie oft Züge vorbeifuhren - ja, man hat einfach ein Gefühl dafür, dass die Menschen auch tatsächlich da waren. Es wird einfach sehr schnell greifbar. Manchmal fragt man sich dann auch, ist das jetzt was aus der Vergangenheit, ist das jetzt etwas aus der Jetztzeit, und es ist auch ganz lustig, wenn man das sich nicht immer - wenn das einem nicht immer ganz bewusst wird, und auf einmal hört man Schritte und sieht dazu, achso, das ist jetzt aus der Vergangenheit, sozusagen. SPR1 (Sprecher) In die Vergangenheit werden die Besucher auch an einem anderen Gedenkort in Berlin geschickt: Die ehemalige Haftanstalt Rummelsburg blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Im Kaiserreich gebaut, wurde sie von den Nationalsozialisten erst als Arbeits- und Verwahrort, in der DDR schließlich als Männergefängnis genutzt. Atmo Kindergarten drunter SPR1 (Sprecher) Heute nennt sich das Gelände an der Spree “Berlin Campus” und in den hochwertig sanierten Gebäuden wohnen junge Familien. Moderne Designbüros haben sich dort ebenso niedergelassen wie ein Hotel. Und in einer ehemaligen Wäscherei ist nun die Kita “Waschbären”. Atmo Kindergarten hochziehen 16. ZUSP (Töne App, 0:10 drunter) Nein, der Turm war kein Wachturm. Er war ein Wasserturm und Schornstein für ein Maschinenhaus, das zur Beheizung der Anstaltsgebäude diente. SPR1 (Sprecher) Was vor dem fröhlichen Kinderspiel an der Rummelsburger Bucht passierte, soll jedoch nicht vergessen werden, geht es nach den Initiatoren des Gedenkorts. Deshalb veröffentlichten sie im Frühjahr 2015 eine mobile App, die die Nutzer durch die Geschichte des Geländes führt. 17. ZUSP (Töne App hochziehen, 0:05) Gehen Sie nun bitte den Weg zwischen der Kita und dem Haus fünf zur Georg-Löwenstein-Straße. SPR1 (Sprecher) Doch hier wird deutlich: Eine App alleine lockt noch niemanden an. Denn trotz großer Ambitionen - es gibt zusätzliche Angebote für Kinder und eine Führung in leichter Sprache - scheint der Funke bisher nur schwerfällig überzuspringen: Der große Besucherstrom bleibt bisher aus, Anwohner stolpern eher zufällig über das neue Angebot. 18. O-Ton (Anwohnerin Rummelsburg, 0:20) Meine Freundin wusste, dass hier auch der Knast aus Hitlers Zeiten auch zu DDR-Zeiten noch genutzt wurde. Und da sag ich, Mensch, lass uns doch mal hinfahren, da ist viel Neues passiert. Ja, und dann haben wir plötzlich die ganzen Gedenktafeln entdeckt. Ja, bloß wie die Leute ranführen? Weiß ich nicht, wie man das machen könnte. Naja, Internet macht viel… (schmunzelt) SPR2 (Audioguide) Zum Beispiel neue Räume schaffen, an denen Kunst überall auf der ganzen Welt gleichzeitig stattfinden kann. Lernen sie im folgenden Teil einige Beispiele für virtuelle Kultur kennen, die auf Kommunikation setzt. (Klickgeräusch) Kapitel drei: Das Netz als Ausstellungsort - neue Formen der Kunst. Musik von Orte der Utopie drunter SPR1 (Sprecher) Vor 100 Jahren durchzog eine Utopie-Bewegung die Kunstszene Europas. Ihre Anhänger bewegte vor allem eine Frage: Wie wollen die Menschen in der Zukunft leben? Die Auseinandersetzungen der Jahrhundertwende lassen sich heute im Netz wiederentdecken: Die virtuelle Ausstellung “Orte der Utopie” verbindet die digitale Schau mit ihren Originalschauplätzen im Rheinland. Christiane Heiser ist freie Kuratorin und stellte das multimediale Projekt auf der MAI-Tagung vor. 19. O-Ton (Christiane Heiser 1, 0:08) Einerseits ging es darum, dass wir uns natürlich über Konzepte des Utopischen Gedanken gemacht haben und der utopische Raum der Gegenwart ist eigentlich das Internet. SPR1 (Sprecher) Das Spiel mit dem digitalen Raum begleitete die Ausstellung von Anfang an. 20. O-Ton (Christiane Heiser 2, 0:23) Und da dachten wir, dass unser Thema, das ja eigentlich ein historisches Thema ist, also es geht zeitlich um die Zeit, sagen wir mal, zwischen 1900 und 1920, da war das Theater die Bühne, auf der diese Experimente, neue Lebensentwürfe, neue Vorstellungen, wie wollen wir leben, ausprobiert worden sind, und heute ist das eben das Internet - und deshalb dachten wir, wir müssen das eigentlich im Netz machen. SPR1 (Sprecher) Die Möglichkeiten der Visualisierung sind im Netz beinahe grenzenlos. Doch oft fehlen gerade kleineren Museen die Mittel, ihre Bestände zu digitalisieren. Plattformen wie etwa museum-digital ermöglichen auch kleinen Sammlungen, die eigenen Ausstellungsobjekte online bekannt und recherchierbar zu machen. Das mutet im Vergleich zu aufregenden Netzprojekten mit Interaktivitätsanspruch zuweilen altbacken an - doch es spiegelt die Realität vieler öffentlicher Kultureinrichtungen wider, die im schwierigen Spagat stecken zwischen traditioneller Herangehensweise und ambitioniertem Zukunftswerk. 21. ZUSP Selfie Song, 0:05, evt drunter But first - let me take a selfie. SPR1 (Sprecher) Und ein weiteres Phänomen der Liaison von Internet und Kunst hat eine neue Form der Auseinandersetzung mit der Kunst hervorgebracht: Das Art-Selfie. In sozialen Netzwerken bekannt gemacht durch das Musikerpaar Beyoncé und Jay-Z, hat sich das Selbstbild vor Kunstwerken mittlerweile fest auf Instagram, Facebook, Twitter und Co etabliert. Das New Yorker Künstlerkollektiv DIS sammelt die Fotos in seinem Blog artselfie.com, das mittlerweile rund 20.000 Selbstporträts in Ausstellungen aus aller Welt zählt. Während viele Museen hierzulande noch das Fotografieren in den Sammlungsräumen verbieten, entsteht mit dem Art-Selfie eine kurzweilige Interaktion zwischen Kunstwerkt und Besucher - auch, wenn diese in der schnelllebigen Social Media-Welt wohl getrost als eine oberflächliche betrachtet werden kann. Regie: Spulgeräusch SPR2 (Audioguide) Nicht nur das Selfie, auch das Kuratieren ist ziemlich im Trend. Haben Sie heute schon Ihr Frühstück kuratiert? Oder wenigstens Ihre Facebookseite? Was soll das eigentlich heißen: Kuratieren? Dieser Begriff war schon immer schwer zu definieren, und in Zeiten multimedialer Flut scheint er schwammiger zu sein denn je. Folgen sie mir zu Kapitel vier: Digitales Kuratieren - vom Wandel in der Kulturvermittlung. 22. ZUSP (Max Raabe-Werbung, 0:10) Das ist gerade so, als ob Sie mit dem Einkaufswagen durch den Louvre schöben - und kurz darauf befinden sich bei Ihnen die herrlichsten Kunstwerke (Musik schwillt an). SPR1 (Sprecher) Im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte der Schweizer Kurator Hans-Ulrich Obrist ein Buch mit dem schlichten wie programmatischen Titel “Kuratieren!”. Entlang seiner eigenen Biografie berichtet er in Anekdoten über das Leben und Wirken als Kurator. Nur eine Frage beantwortet er leider nicht: Was ist ein Kurator überhaupt? Ursprünglich war er ein außerordentlicher Beamter des Römischen Reichs. Heute werden Webseiten, politische Vorhaben und Modelinien kuratiert. Das Modewort “kuratieren” - ursprünglich vom Lateinischen: pflegen, sorgen, heilen - es scheint wie ein Schwamm alles aufzusaugen, was einen Hauch von Kreativität verspricht. Der Publizist Michael Glasmeier sieht das Problem in der Tatsache, dass der Kurator kein eingetragener Beruf ist. 23. O-Ton (Michael Glasmeier) Im Gegensatz zum Fensterputzer. Jeder kann also Kurator sein, jeder kann sich zum Kurator irgendwie berufen fühlen und so weiter, das ist heute ein relativ breites Feld. Und früher hießen die ja auch noch nicht Kuratoren, sondern das waren „Ausstellungsmacher“. Und das ist schon wieder ein ganz anderer Umgang eigentlich mit der Kunst: Also „Machen“, „Handeln“ und so weiter. – „Kurator“ ist ja eigentlich ein Begriff, der aus dem Musealen kommt und eigentlich ja nichts anderes bedeutet als etwas zu bewahren. SPR1 (Sprecher) Doch fernab aller Definitionen: Für die praktische Anwendung in der Kulturvermittlung stellt sich für eben jene Ausstellungsmacher unweigerlich eine Frage: Wenn Objekte nicht mehr im Museum angefasst und plastisch erlebt werden können, sondern stattdessen in Pixelform ins Netz wandern - gibt es dann Unterschiede zwischen Kuratieren für die physische und für die virtuelle Welt? Chantal Eschenfelder: 24. O-Ton (Chantal Eschenfelder 5, 1:24) Also, es gibt einen ganz großen Unterschied - also, wenn Sie eine große Sonderausstellung vorbereiten, dann sind da in der Regel mindestens 40 Werke, aber manchmal sogar 60, 70, 80 Werke, die Sie zusammenstellen müssen nach wissenschaftlichen Kriterien, auch nach einer spezifischen Fragestellung, mit der Sie eine Sonderausstellung machen müssen. Da haben Sie mit ganz anderen Mengen zu tun. Im Digitalen würde das die Nutzer überfordern. Da weiß man einfach, dass digital die Aufmerksamkeitsspanne nicht so hoch ist. Da ist ein ganz großer Unterschied, den wir sehen, zwischen dem Erzählen sozusagen im physischen Betrieb und den narrativen Prinzipien im Digitalen. SPR1 (Sprecher) Das Rad der Kulturvermittlung wird in der Tat auch mit multimedialem Werkzeug nicht neu erfunden. Wohl aber die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben: Nutzer können individueller aus einer Sammlung auswählen und aus einem fremd zusammengestellten Erzählrahmen ausbrechen. Das kann zum Beispiel die Hürde vieler Menschen nehmen, sich überhaupt mit Kunst auseinanderzusetzen und eigene Interpretationen zu finden. Denn auch digitales Kuratieren ist etwas sehr Ursprüngliches. Das findet auch Jasmin Grande, die die Netz-Ausstellung “Orte der Utopie” mitentwickelt hat. 25. O-Ton (Jasmin Grande 1, 0:35) Kuratieren ist ja eine Form von Erzählen, eine Erzählung schaffen. Und wir kennen das aus dem Internet, das hat vielleicht auch mit den Textmassen zu tun, die da produziert werden, dass die Erzähllust unserer Zeit immens ist. Und das ist nichts, was völlig neu ist, sondern das ist ganz tief in unserer Kultur verankert: sich die Wirklichkeit zu erzählen, sich Geschichten aus der Wirklichkeit zu erzählen. Und das hat auch wahnsinnig viel mit dieser scheinbaren Ortlosigkeit zu tun, denn ich glaube, dass der Blick verkehrt herum ist: Nicht das Internet ersetzt den Ort, sondern das Internet erzählt den Ort. Also die Identitäten der Orte werden im Internet in Zukunft viel stärker generiert. Insofern brauchen wir die Orte mehr denn je, weil wir sie sonst ja nicht generieren können. SPR1 (Sprecher) Erzählen und Sammeln waren schon immer typisch menschliche Eigenschaften. War es jedoch noch vor 25 Jahren deutlich schwerer, eigene Gedanken zu veröffentlichen oder selbst produzierte Kunst zu publizieren und damit zu einem lebendigen Kulturmarkt beizutragen, so ist es in Zeiten des virtuellen Postens und Teilens eine alltägliche Selbstverständlichkeit geworden. Die Rollen und Aufgaben der Kuratoren verschwimmen zunehmend und verschmelzen mit denen der bisherigen Konsumenten. Heute gibt es keine unmündigen Besucher mehr, die sich im Museum eine fremd zusammengestellte Ausstellung anschauen. Die Besucher von heute wollen selbst mitgestalten. 26. O-Ton (Chantal Eschenfelder 6, 1:31) Das hat’s ja schon immer gegeben. Wie sind denn Sammlungen entstanden? Nicht immer nur von Experten für etwas, sondern auch von sogenannten Liebhabern von Stilrichtungen, von bestimmten Gattungen. Und aus diesen Privatsammlungen haben sich dann im 19. Jahrhundert die Museen entwickelt und die Sparten. Und auch die Gesellschaft an sich betreibt das Sammeln und Ausstellen immer wieder anders. Auch da gibt es Moden, gibt es Einflüsse, Geschmacksrichtungen, aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse, die wieder neu einfließen - also, letztlich machen wir da nichts anderes, als dass das Prinzip des Sammelns und des sich Interessierens für etwas auf den Nutzer in dem Moment zwar nicht übertragen wird - weil wir haben immer noch Kuratoren und wir haben ja auch in der digitalen Sammlung kuratierte Alben, die mal so als Beispiel oder für bestimmte Interessen da sind - aber wir möchten natürlich gleichzeitig die Interessen der Nutzer auch weiter stimulieren und inspirieren, dass sie sich ihre eigenen Sammlungen anlegen, dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. SPR1 (Sprecher) Die neuen Freiheiten, die mit interaktiven Plattformen oder Apps einhergehen, bergen aber auch die Gefahr der Beliebigkeit. 27. O-Ton (Christiane Heiser 3, 0:50) Also, ich glaube, dass das zum Teil auch mit einem gewissen Risiko, sozusagen die Onlinewelt mit einem gewissen Risiko einhergeht. Weil, einerseits ist es zwar sehr demokratisch, jeder kann sich sozusagen in ein Thema einarbeiten, kann seine Meinung oder seine Erkenntnisse online stellen, und oft stehen dann die Erkenntnisse von Fachleuten neben den Erkenntnissen von Laien. Und zwar unsortiert. Und ich denke, als Wissenschaftler hat man schon die Aufgabe, seine Autorität, die man durch seine Kenntnisse hat, auch zu erklären und auch zu zeigen, warum das, was man selbst sagt, doch vielleicht einen höheren Stellenwert hat, als ein Laie, der sich vielleicht ähnliche Gedanken zum Thema macht. Das heißt nicht, dass man die nicht hören sollte und dass man das auch immer mitreflektieren sollte, aber ich denke, dass man schon eine Art Autorität hat in Bezug auf die Inhalte. Musik Orte der Utopie SPR 2 (Audioguide) Egal, ob digital oder analog kuratiert - die Kulturvermittlung braucht einen Ort, an dem sie stattfinden kann. Spielt es eine Rolle, ob dieser Raum in der physischen Welt oder im Internet erschaffen wird? Und was bedeutet diese Verortung für die Zukunft des Museums? Folgen Sie mir zum letzten Teil, dem Kapitel fünf: Der offene Raum - wo verortet sich das Museum der Zukunft? (Klickgeräusch) 28. O-Ton (Jasmin Grande 2, 0:11) Das Virtuelle ist zwar jenseits des Ortes, aber es ist nicht ortlos. Jeder Nutzer geht von einem bestimmten Ort ins Netz, und wir sehen das auf Facebook, wir sehen das auf Twitter: Die Leute verorten sich auch im Netz. SPR1 (Sprecher) Viele Menschen haben zwar die Sehnsucht nach einem Ort zum Anfassen - aber brauchen wir überhaupt noch physische Museen? 29. O-Ton (Chantal Eschenfelder 7, 0:36) Vor allem in den Neunziger Jahren hat man ja ganz stark auf den virtuellen Ort gesetzt und hat viel Mühe aufgewendet, um virtuelle Museumsrundgänge zu schaffen. Es hat sich aber doch gezeigt, dass im Gegensatz zu dem echten Ort im Museum, wo die Originale hängen, wo es auch eine Geschichte der Sammlung gibt, und eine Geschichte auch der Präsentation, die sich auch immer wieder ändert, da ist eine ganz andere Aura, eine ganz andere Wahrnehmung auch, die der Besucher haben kann. Das lässt sich digital nicht umsetzen, beziehungsweise, selbst wenn es noch so gut umgesetzt ist, fehlt da der Reiz. 30. O-Ton (Ines Dorian Gütt 2, 0:49) Dass das Museum ein Ort ist, das ist ja eigentlich auch das Tolle daran. Also ich finde es großartig, dass wir diese Orte haben, wo wir hingehen können, von denen wir auch ganz ganz viele verschiedene haben: In Deutschland gibt’s so 7000 und paar Zerquetschte, ganz viele davon halt irgendwelche Ortsteil-Museen, wo dann halt nur relativ wenige Leute hingehen, aber für diese wenigen Leute ist das halt irgendwie ein wichtiger Fixpunkt in ihrem Leben. Und dann hat man halt ganz andere Teile der Gesellschaft, die sich halt irgendwie gerne in Kunstmuseen aufhalten und sich dort treffen und es ist – ja, eine Möglichkeit, rauszugehen, mit Leuten wegzugehen, spazieren zu gehen an einem Ort; manchmal ist es eventmäßig, manchmal ist es das auch eben nicht. Also man kann halt sehr unterschiedliche Sachen in Museen finden und das funktioniert halt vor allem, das hat die meiste Kraft, wenn man da vor Ort ist. SPR1 (Sprecher) Die Möglichkeiten, die digitale Kulturangebote bieten, können ins Unendliche gedacht werden. Von nüchterner Informationsbeschaffung bis hin zum beliebigen Zeitvertreib ist alles dabei - deutlich werden vor allem zwei Erkenntnisse: Museumsmacher, die sich für den digitalen Weg entscheiden, sollten die Schnelllebigkeit multimedialer Angebote nicht unterschätzen. Nutzer wollen immer unterhalten und herausgefordert werden: Auf einen verkleideten Marketingköder fallen sie langfristig nicht herein. Spannend durchdachte Applikationen können dagegen einen echten Anreiz schaffen, sich ohne Hemmungen mit Kunst und Kultur auseinanderzusetzen - und genau deshalb sollten Kulturinstitutionen auch direkt vor Ort mehr Mut zum Spiel wagen, statt nur auf eine vermeintlich moderne Webseite zu verweisen. Denn die Zeit der eindimensionalen Werkschau ist vorbei. 1