COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport / 12.04.2010 Baugruppe statt Häuslebauer Autorin: Anja Schrum Red.: C. Perez O-Ton 1 Tür auf... Jetzt hab ich den Plan gar nicht dabei Martin, scheiße... M: Brauchst du auch nicht... Also, das ist die Wohnung von Martin und Miego... Bauleiter Andreas Büsching führt durch einen Rohbau: Unverputzte Rigips-Wände, statt Stufen führt ein schmales Brett nach unten, in das künftige Wohnzimmer. O-Ton 2 Die Trockenbauwände sind gestellt. Das ist letzte Woche passiert. Und jetzt wollt ihr noch sagen, wo ihr noch Fenster reinhaben wollt... Martin Domschat, der künftige Eigentümer, nickt. O-Ton 3 Meine Frau, die ja vor allen Dingen für die Ästhetik zuständig ist, im Wesentlichen, die hat halt gesagt, diese große Wand da unten, die muss halt unterbrochen werden. Durch drei Fenster, die Tageslicht ins künftige Bad lassen sollen. Andreas Büsching zückt den Zollstock: O-Ton 4 Domschat: Mach doch 30 mal 60. Büsching: 30 mal 60, reicht dir aus? Domschat: Ja... Martin Domschat ist einer von 19 Bauherren, die sich in der Baugruppe "Hoffmannstraße 2 bis 5" zusammengeschlossen haben. Um im Berlin Bezirk Treptow vier sogenannte Stadtvillen zu errichten. Viergeschossige Mehrfamilienhäuser auf 6.000 Quadratmeter Grund. In Berlin schließen sich immer häufiger Menschen zu solchen Baugemeinschaften zusammen. Betreut werden sie meist von Architekten oder Projektleitern wie Andreas Büsching. O-Ton 5 Bei einem normalen Bauträger geht's um Rendite dabei, bei Baugruppen geht's nicht um Rendite. Wir haben nicht ein Grundstück erworben und versuchen es zu verkaufen, sondern wir organisieren für die Leute, d.h. wir sind Dienstleister für diejenigen, die hier einziehen wollen... Rund 2.100 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche haben Büsching und sein Partner kalkuliert. Bei Wohnungsgrößen von 71 bis 145 Quadratmetern macht das zwischen 150.00 und 300.000 Euro: O-Ton 6 Wir haben ganz klare Vorgabe: Die Finanzierung muss reichen, es gibt keine Nachfinanzierung. Kauf ich mir eine Wohnung, hab ich einen Bauträger, weiß ich, wo ich lande von den Kosten her. Das weiß ich aber nicht, wenn ich in der Gruppe baue und das kann keiner einem abnehmen. Die meisten, die hier bauen, wollen selbst einziehen. O-Ton 7 Wir haben auch ein paar Singles dabei, wir haben auch ein paar kleinere Wohnungen dabei, aber überwiegend sind es Familien, also Umkreis 2,3 Kilometer leben 90 Prozent der Leute, die hier einsteigen, also Leute aus dem Kiez. Die in ihrem Kiez bleiben möchten, aber in den eigenen vier Wänden. Für Steffen Keinert, den Architekten der Baugruppe, ist das ein klarer Trend: O-Ton 8 Noch vor zehn Jahren vielleicht sind die Leute, die in das Alter kamen, das sie gerne Eigentum erwerben wollten, sind eigentlich aus der Stadt geflohen, um sich das schöne Häuschen im Grünen zu bauen. Inzwischen ist es aber so, ich denke, dass viele Leute die Annehmlichkeiten der Stadt entdeckt haben. Also, man viele Freunde dort hat, man hat ein kulturelles Umfeld, man bekommt alles und man ist eben auch nicht so isoliert wie in seinem Einfamilienhäuschen auf dem Land. Sprecherin: Baugruppe statt Häuslebauer. Geschosswohnungsbau statt Reihenhaus. Innenstadt statt Speckgürtel. Atmo Schritte... Das ist das Kinderzimmer, das ist eins... Den kleinen Franz auf dem Arm führt Heike Saalbach durch ihre Mietwohnung in Berlin- Treptow. Drei Zimmer, 90 Quadratmeter, für drei Kinder und zwei Erwachsene. Atmo In wenigen Monaten wird die Patchwork-Familie umziehen. Von der Miet- in die Eigentumswohnung, in dem Baugruppen-Haus in der Hoffmannstr. 130 Quadratmeter verteilt auf zwei Etagen. Fünf kleine Zimmer plus ein großer Familien-Raum inklusive Küche. Ein ganz individueller Zuschnitt, sagt Heike Saalbach: O-Ton 9 Das ist halt der Vorteil noch einer Baugruppe, dass man eben den Grundriss noch weitestgehend selbst bestimmen konnte. Es hat jeder weitestgehend seine Vorstellung halbwegs verwirklichen können. Was man bei einem Bauträger halt auch nicht hat. Da darf man sich halt die Amarturen aussuchen oder die Türklinken und das wars mit der Selbstbestimmung, schätz ich mal. Wenn es gut läuft, baut es sich in der Gruppe um etwa ein Viertel günstiger. Weil kein Bauträger, kein Generalunternehmer, kein Immobilienmakler mitverdient. Eine Kita- Mutter hatte Heike Saalbach von der Baugruppe Hoffmann Straße erzählt. Zuvor hatte sie mit ihrem Freund bereits ähnliche Projekte besichtigt. O-Ton 10 Was uns auch wichtig war: Ein gemeinsames Grundstück zu haben, andere Familien, die auch Kinder haben, die in einer ähnlichen Situation sind wie wir. Also, es gibt in den Häusern einfach ein großes Grundstück, es gibt keine Zäune zwischen den Häusern und die Kinder haben viel Platz zum Spielen. Allerdings: Bauen in der Gemeinschaft ist anstrengend und zeitraubend. Die Mitglieder der Baugruppe sind selbst Bauherren. Das heißt, sie tragen das volle finanzielle Risiko. Gleichzeitig sind ständig zahlreiche Entscheidungen zu treffen, regelmäßige Treffen Pflicht: O-Ton 11 Es gibt ja so einen Bereich, der ist Gemeinschaftseigentum, da bestimmen alle mit. Was weiß ich, die Beplankung der obersten Etage, dieser Holzständer-Bau, welches Holz wird da verwendet? Diagonal, quer, längst? Dann gibt's wieder häuserweise Entscheidungen: Welche Farbe hat das Treppenhaus? Welche Farbe haben die Türen? Und insofern hat man manche Diskussionen nur zu zweit am Küchentisch und die größeren in der Gruppe. Kein Auftrag geht raus, ohne die Zustimmung der Gruppe. Und die sollte - nach Möglichkeit - im Konsens gefällt werden. Doch Eigenheimbau ist mit großen Gefühlen verbunden. Da wird die Frage nach der Höhe der Balkon-Brüstung scheinbar existentiell. O-Ton 12 Und was ganz wichtig, ist, dass man zwischendurch auch immer mal ein Fest miteinander feiert, um wieder runterzukommen von diesen harten Streitpunkten, die man so hat, Mittwochabend um acht, wo alle auch schon k.o. sind, wo es aber auch immer um viel geht. Für Diskussionsstoff sorgen auch die Baugruppen selbst. Vornehmlich im linken Milieu. Schließlich entstehen keine Sozialwohnungen sondern Wohneigentum. "Gentrifiziung", "Aufwertung", "Luxusbauten" sind die Schlagworte der Debatte. Es geht darum, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen aus den Innenstädten "vertrieben" werden. Weil sie sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können. Linke Gentrifizierungsgegner streiten mit Baugruppen, die sich zum Teil selbst als links verstehen. Farbbeutel ersetzen schon mal Argumente. O-Ton 13 Ich seh das ziemlich pragmatisch. Wenn uns die Farbbeutel ereilen, haben wir eine Versicherung, die werden das richten. Ich möchte mich von denen auch nicht einschüchtern lassen. Und ich glaube, dass es wichtig ist, das positive Konzept Baugruppe, was es nun einmal ist, wir bauen relativ günstig, schaffen ökologischen Wohnraum, dass man sich das von solchen Leuten nicht madig machen lassen sollte. Und die Leute, die da einziehen, sind alle nicht Rockefeller und es ist niemand, der reich wird mit dieser Wohnung im Vergleich zu irgendwelchen Miethaien. Sprecherin: Auch Gregor Jekel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin, glaubt nicht, dass Baugruppen die Sozialstruktur eines Kiezes verändern. O-Ton 14 Ich glaube eher, dass diejenigen, die sich in Baugruppen zusammentun ja selbst gegen Verdrängung vorgehen oder versuchen sich dagegen zu wehren, indem sie ein - im Vergleich zum Umfeld - kostengünstigeres Wohnen anstreben. In Berlin gibt es mittlerweile rund 100 Baugruppen-Häuser. Manche sind schon bezogen, andere erst im Bau oder noch in der Planung. Einige Baugemeinschaften umfassen nur wenige Köpfe, andere haben mehr als hundert Mitglieder. Die allermeisten bauen in Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg. O-Ton 15 Also, in Berlin würde ich sagen boomen sie. Aber es gibt andere Städte, vor allem in Südwestdeutschland, wo das schon länger ein Thema ist, die Erfinder der Baugemeinschaften sind Tübingen und Freiburg, die haben ganze Stadtviertel oder Konversionsprojekte mit entwickelt aber hier in Berlin ist vielleicht das neue dadran, dass es weniger das flächendeckende ist, sondern dass es einzelne Häuser sind, Baulücken, die damit bebaut werden, mit einer anderen Zielrichtung, nämlich relativ preisgünstiges Wohnen in der Innenstadt zu ermöglichen. Und das ist sozusagen das Neue an dem Thema, was auch andere Großstädte inzwischen aufgegriffen haben. Ob Baugruppe als erweiterterer Freundeskreis oder ein von Architekten zusammengestellter Interessentenverbund - generell halten solche Gruppen junge Familien mit Kindern in der Stadt. O-Ton 16 Der Hauptvorteil ist, der demographische Effekt, dass Familienin der Stadt bleiben. Das ist natürlich wichtig für die Sozialstruktur der Städte, gerade wenn man an das Thema Alterung denkt, da ist eigentlich jede Stadt daran interessiert Familien und junge Menschen in der Stadt zu halten. Sprecherin: Städtebaulich sind die Baugemeinschaften quasi Nischen-Wesen. Die ihre Gebäude häufig auf Grundstücken errichten, die für kommerzielle Bauträger nicht so interessant sind: O-Ton 17 Weil Baugruppen auch gewissen Marktzugangs-Nachteil haben - die brauchen eine ganz lange Zeit, um sich abzustimmen und ein gemeinsames Kaufangebot abzugeben. Und da sind vielleicht andere schneller, die professionell auf dem Markt tätig sind. Deswegen sind es ganz häufig schwierige Nischen oder Ecken in der Stadt, die von Baugruppen dann auch bebaut werden, häufig auch mit recht ansprechenden, innovativen oder originellen städtebaulichen Lösungen. Um bauwillige Gruppen zu unterstützen, verkauft der Berliner Senat zum Beispiel seit 2009 jährlich fünf landeseigene Grundstücke zum Festpreis an Baugemeinschaften. Den Zuschlag erhält die Gruppe mit dem besten Konzept. Allerdings: Die bislang zur Verfügung gestellten Grundstücke sind aufgrund ihrer Lage und Größe auch bei Baugruppen nicht sehr begehrt. Gregor Jekel: O-Ton 18 Was könnte man noch besser machen? Ja, mehr Grundstücke zur Verfügung stellen und natürlich auch die Lage der Grundstücke noch mal genauer überprüfen. Ich glaube, da steckt noch ganz viel Potential drinn. Sprecherin: Mittlerweile werden in Berlin nicht mehr nur Wohnhäuser in Gemeinschaft errichtet. Neuerdings versuchen sich Baugruppen auch in der Entwicklung kleinerer Stadtquartiere. Atmo Entfernt LKW, Baulärm O-Ton 18 Wir befinden uns gerade zwischen Haus 16, das ist das Heizhaus, und Haus 12, das war das ehemalige Betriebsgebäude mit Küche und Waschküche. In signal-gelber Bauarbeiter-Jacke steht Marie- France Jallard Graetz zwischen zwei- und dreigeschossigen Backsteingebäude aus dem späten 19. Jahrhundert. O-Ton 19 Aus dem Heizhaus drei Wohnlofts und ein Wohnatelier. Aus dem Betriebsgebäude, Haus 12, da werden klassische Altbau-Wohnungen, weil nämlich die Struktur des Gebäudes sehr ähnlich ist wie ein klassischer Altbau. Das parkähnliche Grundstück des ehemaligen Urban-Krankenhaus liegt mitten im beliebten Kreuzberger Graefe-Kiez. 19 Gebäude, 26.000 Quadratmeter Fläche, ein Investitionsvolumen von mindestens 36 Millionen Euro - eine Größenordnung bei der auch kommerzielle Projektentwickler ins Schwitzen geraten. Doch das Gelände hat Ende 2008 eine Baugruppe erworben. Sie nennt sich "Am Urban" und besteht aus 140 Parteien, das sind 300 Erwachsene und 80 Kinder. Marie-France Jallard-Graetz und ihr Mann Georg waren die Initiatoren: O-Ton 20 Wir sind auf dieses Gelände gekommen, weil wir nämlich auch schon selber seit '94, '96 hier im Graefekiez wohnen, haben auch zwei kleine Kinder. Suchen schon seit gut zehn Jahren eine Wohnung, eine größere Wohnung, ein bisschen grün und auch eine Fläche für unser Büro. Und es hat sich einfach zufälligerweise herausgestellt, dass dieses Gelände zu verkaufen ist und das war einfach die Gelegenheit in Kreuzberg einfach einen schönen Altbau zu erwerben. Ursprünglich wollte das Architekten-Ehepaar nur eines der alten Gebäude kaufen. Doch der Klinikkonzern Vivantes wollte das Ensemble als Ganzes veräußern. Also suchte das Paar kurzerhand Mitstreiter aus dem Kiez. Gleichzeitig stieg man in die Planung ein. Ein langer, anstrengender Weg, erinnert sich Jallard-Graetz. Inzwischen ist das Grundstück in 17 sogenannte Planungsgemeinschaften unterteilt. Unter-Baugruppen gewissermaßen, die über das Gebäude, in das sie später einziehen, entscheiden. Atmo Hallige Schritte Jallard-Graetz führt in einen riesigen Saal, in dem Bauarbeiter gerade die Stahlträger unter der Decke verstärken. O-Ton 21 Hier befinden wir uns in eine ehemaligen Bettentrakt, da lagen die Kranken, deswegen sind die Brüstungen auch so hoch und wie man sehen kann - ein Raum, der hat 10 Meter Spannweite und 25 Meter in diese Richtung. Der riesige, ehemalige Krankensaal wird quer geteilt. So entstehen zweigeschossige Reihenhäuser mit einer Wohnfläche von 140 Quadratmetern und einer Deckenhöhe von 5,20. Hoch sind mittlerweile auch die Baukosten:. O-Ton 22 Am Anfang sind wir zwischen 2.000 und 2.300 für die Bestandsgebäude ausgegangen und für die Neubauten 2.600. Inzwischen sieht nicht mehr so gut aus. Wir haben einfach das Problem, dass die Gebäude in deutlich schlechterem Zustand sind als was wir angenommen haben. Wir haben Probleme mit der Statik, die Gebäude müssen ertüchtigt werden. Und dazu ist noch gekommen, dass die Bauherren sich eine erhöhte energetische Sanierung gewünscht haben, als was wir ursprünglich hatten. Sprecherin: Den erheblichen Aufwand haben die Architekten so nicht vorhergesehen. Die Folge: Die Kosten liegen erheblich über den ursprünglich kalkulierten. O-Ton 23 Wir bemühen uns gerade zur Zeit mit jedem Bauherren nochmal die Kosten durchzugehen und zu schauen, ob ein Sparpotential möglich ist, damit eben kein Bauherr dazu gezwungen wird, seinen Anteil zu verkaufen, das wollen wir alle ungern. Die 300-köpfige Baugruppe will weiterhin an ihrem Konzept festhalten. Sie will keinen abgeschlossenen Wohnpark errichten, sondern ein offenes Quartier mitten im Kiez: O-Ton 24 Wir haben die psychiatrische Tagesklinik im Haus 2, wir haben diese freie Träger, soziale Täger, in Haus 13, wir haben noch einen eingetragenen Verein, wir haben eventuell eine Praxis... Die Entwicklung kleinerer Stadtquartiere durch Baugruppen beobachtet auch Gregor Jekel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Urbanistik mit Spannung: O-Ton 25 Weil sich dann ja letztendlich die Bewohner eines Quartiers auch baulich für ihr Quartier engagieren und das ist doch relativ neu, würde ich sagen. Und Genossenschaften sind früher immer daraus entstanden, dass irgendwas neu gebaut werden sollte. Jetzt geht's darum irgendetwas, was im Quartier schon vorhanden ist weiterzuentwickeln un das finde ich einen ganz spannenden Ansatz und da denke ich, dass es gerade, weil es aus dem Quartier heraus kommt, dann ganz gut funktionieren könnte. Länderreport kurz / 12.4.2010 Märkisches Viertel im Umbau Autorin: Katja Bigalke Red.: C. Perez Atmo draußen Autorin Anneliese Beyer wohnt in einem dieser Türme, die da blau, weiß, gelb und rot gen Himmel ragen. Uniforme Kästen, mit monotonen Fenster- und Balkonbändern, hufeisenförmig ineinander geschachtelt. Ihr Hochhaus hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Zerkratzte Glaseingangstür, schäbiges Entree, klappriger Aufzug, Zigarettenlöcher überall, wo etwas mit Plastik verkleidet ist. Atmo Aufzug Autorin Frau Beyer wohnt ganz oben im 14. Stock des Turms, in einer zweigeschossigen Atelierwohnung mit einem großen Fenster gen Norden. Fünf mal fünf Meter. Aus dieser Perspektive sieht das Märkische Viertel ganz anders aus: O-Ton 1:32 da hab ich so viel Himmel vor dem Fenster wie ich es schwer woanders finde. Ich sehe ins weite Land hinaus. 16:40 90 So ein Licht, das sucht man erstmal.10_40 Ich wollte ja unbedingt am Stadtrand wohnen. Ich kann zu Fuß in die Felder gehen man kann Brombeeren pflücken ich hol mir die Holunderbeeren aus den Büschen, das ist so eine bezaubernde Landschaft, da kann man wirklich beneidet werden drum Autorin Seit 40 Jahren wohnt die 88-jährige schon im Märkischen Viertel. Damals war die Großsiedlung im Norden Berlins noch neu: eine moderne Antwort auf die Wohnungsnot in der Innenstadt. Heute ist vom Glanz der ersten Tage nicht mehr viel übrig. Nicht nur die Häuser bedürfen dringend einer Generalüberholung. Auch hat sich das Klima im Viertel seit dem Fall der Mauer deutlich verschlechtert: O-Ton 9 Die Sozialstruktur ist schlechter geworden. In der Stadtmitte werden die Mieten unbezahlbar und wenn man billig anbietet, dann entwickelt sich leicht so etwas wie die Pariser Vorstädte. Autorin Anneliese Beyer sagt das ganz ohne Wertung. Die Malerin, die in ihrem Hochhaus eh eine Exotin ist, hält eigentlich gerade die Mischung des Märkischen Viertels für einen seiner großen Vorteile. Aber sie stimmt nicht mehr richtig, die Mischung: In mehr als der Hälfte der Wohnungen leben heute Menschen über 60, bürgerliche Familien verabschieden sich zunehmend, Haushalte mit niedrigen Einkommen und Migranten nehmen zu. Und trotzdem hält die Gesobau, das kommunale Wohnungsunternehmen, das im Märkischen Viertel 15.000 Wohnungen verwaltet, die ursprüngliche Wohn-Utopie der Satellitenstadt durchaus für zeitgemäß. Auch für die als Mieterschaft sehr begehrte Mittelklassefamilie: O-Ton 8:30 Weil hier wirklich alles beisammen ist, wir haben zwar eine gute Infrastruktur, aber in den Höfen selbst ist es geschützt da können die Kinder spielen. Zum anderen sind in solchen Siedlungen andere Möglichkeiten in der Versorgung mit Schulen, mit Kindergärten mit anderen Dienstleistungsangeboten wir haben hier eine große Konzentration und von daher viel kürzere Wege Autorin sagt David Eberhart, Sprecher der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen Atmo Schritte Autorin Der Weg durch die Kranzförmig angelegte Siedlung führt an einem Ententeich vorbei, kleine Kanäle durchschneiden den inneren Kern des Viertels. Es ist ruhig im Schutz der Hochhausmauern, fast ländlich. Autos werden bewusst um das Viertel geleitet. All das sind Pluspunkte dieser Siedlung meint Eberhart. Und auch was die Wohnungen angeht, biete das Märkische Viertel eigentlich für jedes Bedürfnis etwas Passendes: O-Ton 13.00 Damals war die Zeit, wo man großen Wert darauf gelegt hat, das vielseitig zu machen, abwechselnd zu machen. Von daher ist das Bild des Märkischen Viertels auch sehr unterschiedlich: wir haben niedrigere Wohnhäuser wir haben teilweise 12-Geschosser, wir haben in den Wohnungen größere Wohnungen mit über 100 Quadratmetern, kleinere, Maisonettewohnungen, Studiowohnungen das ist eine sehr große Bandbreite und von daher auch sehr attraktiv. Autorin Deswegen investieren Bund und Land derzeit auch 440 Millionen Euro ins Märkische Viertel. Bis 2015 soll durch eine umfassende Wärmedämmung aus dem Komplex die größte Niedrigenergiehaussiedlung Deutschlands werden. Schon seit zwei Jahren werden in etlichen Häusern neue Leitungen verlegt, Badezimmer und Küchen saniert. Ein logistischer Kraftakt meint Eberhart, zumal die meisten Wohnungen bewohnt sind. Aber es lohnt sich. Stolz zeigt Eberhart auf den ersten fertig gestellten Wohnblock: Die alten schmucklosen Eingänge wurden durch holzumrahmte Glasentrees ersetzt, wenig einladende Durchgänge mit hellem grün gekennzeichnet. Durchaus elegant heben sich auch die dunklen Balkone von den weißen Hauswänden ab. Hier sieht es freundlicher aus als im Rest des Märkischen Viertels. Und trotzdem bleibt die Frage, warum eine Innenstadtfixierte Mittelschicht in ein Viertel ziehen soll, das nicht gerade den besten Ruf hat und am Rande der Stadt liegt? Erstens bessert sich der Ruf mit der Sanierung meint Eberhart, zweitens kann man sich im Märkischen Viertel - dank der flexiblen Grundrisse in Hochhäusern- problemlos seine Traumwohnung zusammenzimmern. Und drittens O-Ton 15:30 ist eine Wohnung in der Siedlung vom Preis her was anderes als ein Townhaus. Autorin Etwas mehr als sieben Euro Warmmiete soll der Quadratmeter nach der Sanierung kosten. Und das bleibt wohl das unschlagbarste Argument für das neue Märkische Viertel 1