DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 06.05.2014 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Aus den Augen, aus dem Sinn Deutscher Atommüll in Russland Von Laura Döing und Olga Kapustina Co-Produktion SWR/WDR/DLF URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Sprecherin 2 (Olga): Deutsch-russische Atomgeschäfte sind undurchsichtig: O-Ton Wittlich (Deutsch, männlich): "Es haben Kontakte stattgefunden zwischen verschiedenen Parteien." O-Ton Gelbutowskij (Russisch, männlich) "Business, nichts Persönliches." Sprecherin 1 (Laura): Ein Thema mit hoher Brisanz. O-Ton Wlad (Russisch, männlich): "Die Deutschen wollen erreichen, dass sie bei uns ihre abgebrannten Brennelemente lagern können. Aber Russland ist keine Müllhalde für radioaktiven Müll." O-Ton Kotting-Uhl (Deutsch, weiblich): "Natürlich hätte es sich gelohnt. Es wäre deutlich günstiger gewesen - ökonomisch - als jetzt hier sich auf die teure Endlagersuche zu machen" Sprecherin 1 + 2: Die Recherche: schwierig. Die Informationen: widersprüchlich. O-Ton Medjanzev (Russisch, männlich): "Die Ein- und Ausfuhr von Atommüll nach Russland ist per Gesetz 190 verboten." O-Ton Tschuprow (Russisch, männlich): "Als Müll gilt das, was nicht mehr verwendet wird. Das ist der Punkt für Schlupflöcher." Sprecherin 1 + 2: Aus den Augen, aus dem Sinn? Deutscher Atommüll in Russland Ein Feature von Laura Döing und Olga Kapustina Atmo freistehend "Würth am Mikrofon" "Laut genug die Anlage - hört ihr mich?" Atmo "Vor den Toren vom AKW Neckarwestheim" Sprecherin 2: An einem milden Sonntag begleiten wir um die 30 Menschen, die sich vor den Toren des EnBW-Kernkraftwerks Neckarwestheim bei Stuttgart versammeln. Sie hängen selbstgemalte Plakate an die Gitterstäbe des Zauns. "Alle AKWs abschalten - sofort!", steht darauf. O-Ton Würth (Deutsch, männlich): "Alle verbreiten das politische Märchen, dass es möglich wäre, hier einen raschen Rückbau zu machen und in zehn bis fünfzehn Jahren eine grüne Wiese in Neckarwestheim hier wäre, obwohl sie genau wissen, dass es praktisch nicht möglich ist, versuchen sie der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. So nicht!" Atmo "Klatschen" Sprecherin 2: Fast jede Woche findet irgendwo in Deutschland eine Anti-Atom-Demo statt. Dass der Atomausstieg für 2022 beschlossen ist, reicht den deutschen Aktivisten nicht. Denn viele Fragen bleiben offen: Was passiert mit dem Atommüll? Wohin mit den abgebrannten Brennelementen? Wo landet das radioaktiv kontaminierte Material aus dem Abriss der abgeschalteten Kernkraftwerke? Sprecherin 1: Der drittgrößte deutsche Energieversorger EnBW wollte 2005 den Rückbau von AKWs über Russland regeln. Zumindest ließ er das prüfen: EnBW hat eine Studie in Auftrag gegeben, die herausfinden sollte, welche Möglichkeiten es für die Entsorgung von Reaktoren in Russland gibt - und was man damit sparen kann. Kosten der Studie: 4,5 Millionen Euro. So steht es in einem Gerichtsurteil im Prozess gegen einen Ex-EnBW-Manager. Dem hatte die EnBW vorgeworfen, die Studie im Alleingang eingekauft zu haben. Der Rückbau in Russland soll unkomplizierter sein als in Deutschland: keine Bürokratie. Das steht in internen Unterlagen der EnBW, sagt Markus Balser von der Süddeutschen Zeitung: O-Ton Balser (Deutsch, männlich): "Es ging zum einen tatsächlich um die Lagerung und Behandlung von Teilen von Atomkraftwerken. Das wurde überlegt, eben zum Teil in Russland abzuwickeln, konkret für das Atomkraftwerk Obrigheim von EnBW. Es ging aber eben auch um ausgediente Brennelemente und durchaus auch langfristig um eine Option für ein Endlager für atomare Materialien in Russland." Atmo "Auf dem Kraftwerksgelände" Sprecherin 2: Es riecht säuerlich in Obrigheim. Energie wird hier nicht mehr durch Kernspaltung, sondern durch Biomasse produziert. Auf der Fassade des EnBW-Info Zentrums ist ein Relief mit einer Blüte, einem Baum und einem stilisierten Atom zu sehen. Das Gelände wirkt verschlafen. Nur vereinzelt sind Menschen unterwegs. Zum Rundgang über das ehemalige Kraftwerks-Areal bekommen wir Helm und Sicherheitsschuhe. Atmo "Maschinenhaus des Kernkraftwerks Obrigheim" O-Ton Möller (Deutsch, männlich): "Das ist das Maschinenhaus, das ist die Ebene, auf der früher die Turbine stand. Unter uns ist jetzt der leere Raum, in dem früher Rohrleitungen, Wärmetauscher, Pumpen und Armaturen waren." Atmo "Maschinenhaus AKW Obrigheim" Sprecherin 1: Der technische Geschäftsführer, Manfred Möller, erklärt, dass hier seit 2008 abgebaut wird. Auf der untersten Ebene des kargen Betonbaus arbeiten zwei Männer in blauen Overalls und mit gelben Ohrschützern. An der Wand hängt ein Bild, auf dem man sehen kann, wie viele Geräte vorher in der Halle waren. An Rohren und Leitungen kleben gelbe Sticker: "Restbetrieb" ist darauf zu lesen oder auch "Stilllegungsbetrieb". Abseits des mit Klebeband auf dem Boden markierten Gehbereichs stehen Schilder: "Kontrollbereich radioaktiv". Atmo "Freimesshalle" Sprecherin 2: Wir verlassen das Maschinenhaus und gehen an einen Ort, der so groß wie eine Sporthalle ist. Hier, in der Freimesshalle, wird die Strahlenbelastung der AKW-Reste überprüft. Ein Gabelstapler hievt eine Betonplatte auf ein Laufband, das durch die dicken geöffneten Flügeltüren in eine knapp zwei Meter hohe blaue Mess-Box fährt. Nach ein paar Minuten öffnen sich die dicken Türen, die Betonplatte fährt wieder heraus: O-Ton Möller (Deutsch, männlich): "Das Ergebnis ist uneingeschränkte Freigabe, also das ist unbelastetes Material und kann wieder in den Wertstoffkreislauf zurück." Sprecherin 2: Auch jeder, der das Kraftwerksgelände betritt, wird beim Verlassen auf radioaktive Strahlung überprüft. Atmo freistehend "Frauenstimme der Messanlage" "Zwei, eins, danke!" Sprecherin 1: Nach der Führung zeigen uns der technische Geschäftsführer und der Konzernsprecher eine Präsentation. Dazu gibt es Laugenstangen, Butterbrezeln, Kaffee, Saft und Wasser. "Wir können Rückbau" steht auf den Folien. Aber was ist mit der Studie zur Entsorgung in Russland? O-Ton Dialog zwischen Möller. Schröder und Reporterin O-Ton Möller (Deutsch, männlich): "Das ist tatsächlich nicht das Rückbau-Thema hier. Spielt für den Rückbau ..." O-Ton Schröder (Deutsch, männlich): "Darf ich mal kurz unterbrechen, bitte?" O-Ton Reporterin (Deutsch, weiblich): "Ja." Sprecherin 1: Konzernsprecher Ulrich Schröder schaltet sich ein. O-Ton Reporterin (Deutsch, weiblich): "Ja, achso, Sie möchten, dass ich das Aufnahmegerät ausschalte?" Atmo "Technische Stille" Sprecherin 1: Im Interview möchte sich die EnBW zu den Russland-Plänen nicht äußern. In einer Pressemitteilung von 2012 gibt sie allerdings zu: Es gab 2006 tatsächlich einen Vertrag über die Behandlung von radioaktiven Rückbau-Stoffen aus Obrigheim in Russland. Der sei aber nie in die Tat umgesetzt worden. Laut Süddeutscher Zeitung soll es ein russisches Angebot gegeben haben. Die Abfälle sollten in einem Schmelzofen eines Entsorgungszentrums bei Sankt Petersburg verarbeitet werden. Sprecherin 2: Bei Sankt Petersburg - genauer im Städtchen Sosnowy Bor - gibt es ein Unternehmen, das auf die Verarbeitung von festem Atommüll - vor allem Metall - spezialisiert ist: Ecomet-S. Wir wollen mehr über diese Firma erfahren und fliegen nach Sankt Petersburg. Atmo "Flughafen" Atmo "Vor Gericht mit Ecomet-S" Sprecherin 2: Unsere erste Begegnung mit Ecomet-S ist vor Gericht: Die Firma verklagt den Umweltschützer Oleg Bodrov wegen Verleumdung und Rufschädigung. Er hat behauptet, dass Ecomet-S Unterlagen gefälscht habe. Die Richterin weist die Klage ab. Bodrov freut sich: O-Ton Bodrov (Russisch, männlich): "Anscheinend waren unsere Beweise, dass Ecomet-S nicht nach Gesetzen handelt, ziemlich stichhaltig. Auch unsere Argumente, dass die Firma Unterlagen gefälscht hat, waren überzeugend. Ecomet-S ist schon 17 Jahre tätig - und endlich haben wir es geschafft, ihre Selbstsicherheit ein bisschen ins Wanken zu bringen. Denn bis jetzt hat sich die Firma erlaubt, viele russische Gesetze zu missachten." Sprecherin 1: Zum Beispiel hatte Ecomet-S bei seiner Gründung kein Umweltzertifikat. Die Firma startete die Verarbeitung trotzdem. Außerdem bemängelt der Umweltaktivist die Vetternwirtschaft bei Ecomet-S: Einer der Unternehmensgründer sei mit dem damaligen Ministerpräsidenten verwandt. Bodrov beobachtet die Firma von Anfang an. Er lebt in Sosnowy Bor, wo die Atommüll-Verarbeitungs-Anlage steht. Atmo "Eingang Ecomet-S" Sprecherin 2: Die Verwaltung von Ecomet-S befindet sich in einem Wohnhaus mitten in Sankt Petersburg. An der Wand des Büros von Geschäftsführer Alexander Gelbutowskij hängt das Porträt von Wladimir Putin. Auf der anderen Seite eine Karte der Russischen Föderation. Darauf sind alle nuklearen Anlagen eingezeichnet. Auf einem Sideboard neben der Tür kauern drei kleine Affenfiguren. Eine hält die Hände vor den Mund, eine andere verdeckt die Augen, die letzte verschließt die Ohren. Sprecherin 1: Geschäftsführer Alexander Gelbutowskij ist Mitte 50. Er hat eine stattliche Figur, trägt ein gestreiftes Hemd und eine Brille mit vergoldeter Umrandung. Gelbutowskij hat nicht nur geschäftliche, sondern auch persönliche Kontakte nach Deutschland. Für ein Erinnerungsfoto mit uns zieht er extra seine bayrische Trachtenjacke an. Wir fragen ihn, ob er Kontakt zum Kernkraftwerk Obrigheim hatte: O-Ton Gelbutowskij (Russisch, männlich): "Wir wurden eingeladen, dieses Atomkraftwerk zu besichtigen. Ich kenne dieses AKW. Der Direktor heißt Holger Schmidt." Sprecherin 1: Ecomet-S möchte auf dem internationalen Markt expandieren. Deutschland ist deshalb für ihn interessant: O-Ton Gelbutowskij (Russisch, männlich): "Wir würden sehr gerne zusammen mit einer deutschen Firma oder alleine einen Betrieb für den AKW-Rückbau gründen. Aber soweit ich weiß, sind die deutschen Gesetze ziemlich streng. Man muss alles abstimmen. Natürlich gibt es dort mehr Bürokratie. Aber es ist doch Business. Man kann sich an alles anpassen." Atmo "Treffen der Umweltschützer" Sprecherin 2: Später besuchen wir noch einmal Oleg Bodrov. Mit drei anderen Umweltschützern trifft er sich gerade in einem Petersburger Hinterzimmer, um neue Aktionen zu planen. Sie wollen nicht, dass ihre Stadt wegen Ecomet-S zu einer Art Müllhalde von radioaktivem Abfall aus der ganzen Welt wird. Sprecherin 1: Vor ein paar Jahren hatte sich ein Vertreter einer deutschen Firma an den Umweltschützer gewandt. Er wollte über Geschäfte zwischen Deutschland und Ecomet-S reden. O-Ton Bodrov (Russisch, männlich): "Er hat mich gefragt, warum wir dagegen seien. Es wäre doch ein gutes Geschäft. Er sagte: Wir wollen, dass Metall aus Deutschland bei euch verarbeitet wird. Ich fragte ihn: Warum macht ihr es nicht selbst? Er meinte: Bei euch laufen alle Absprachen viel schneller. In Deutschland ist es unmöglich. Da werden sich die Genehmigungen zehn Jahre ziehen." Sprecherin 1: Oleg Bodrov hat noch die Visitenkarte des Herrn, mit dem er damals gesprochen hat: Eilhard Wittlich. Wenn wir wieder in Deutschland sind, werden wir versuchen, ihn zu treffen. Aber unsere Russlandrecherche führt uns zunächst weiter ins sibirische Angarsk. Dorthin wurden radioaktive Stoffe aus Deutschland zur Urananreicherung beschafft. Um mehr über die Geschäfte zu erfahren, machen wir einen Zwischenstopp in Moskau. Atmo "Belorusskij-Bahnhof Moskau" Sprecherin 2 + 1 (Wechsel): (2) In der Nähe des Belorusskij-Bahnhofs in Moskau, an einer viel befahrenen Straße, befindet sich das Büro von Greenpeace. Dort treffen wir den Atom-Experten Wladimir Tschuprow. Er erzählt uns, dass westeuropäische Firmen seit 1995 abgereichertes Uran nach Russland exportierten. Insgesamt haben sie 125 Tausend Tonnen ausgeführt. Darunter auch die deutsche Firma Urenco. Der Deal lief nach Angaben von Tschuprow so: (1) Russland kaufte Urenco abgereichertes Uran für den Preis eines Brötchens pro Kilo ab. Danach wurde es in Russland wieder angereichert. Urenco kaufte das angereicherte Uran zurück und zahlte deutlich größere Summen dafür. (2) Das meiste aber blieb in Russland: das abgereicherte Uran, das bei der erneuten Anreicherung als Abfallprodukt übrig blieb. Nach Schätzungen von Tschuprow machte Russland damit einen Gewinn in Höhe von mehr als 3 Milliarden Dollar. Etwa ein Drittel davon soll die Firma TechSnabExport (auch als Tenex bekannt) für die Vermittlung bekommen haben. Sie gehört zum staatlichen russischen Atom-Riesen Rosatom, sagt Tschuprow. (1) Rosatom ist die zentrale Atomenergiebehörde Russlands und gleichzeitig ein Unternehmen, das Gewinne erwirtschaften soll. Rosatom verantwortet sowohl die zivile als auch die militärische Nutzung von Kernenergie. Tenex ist nur eine von mehreren Rosatom-Tochterfirmen. O-Ton Tschuprow (Russisch, männlich): "Aus diesem Deal hat die Firma TechSnabExport kurzfristig Gewinn gezogen. Die zukünftigen Generationen bekommen die Abfälle. Das ist typisch für Rosatom. Wenn wirtschaftliches Interesse besteht, machen sie es. Aber die Atomenergie bringt immer Atommüll mit sich. Und wenn man fragt, ob sie die Ausgaben für den Müll mit eingerechnet haben, dann sagen sie: sind nicht im Preis drin." Sprecherin 1: Ob das abgereicherte Uranhexafluorid Atommüll ist, darüber streiten Nuklear-Industrie, Politik und Umweltorganisationen seit Jahren. Offiziell ist es ein Wertstoff. Weil man es wieder anreichern und so in der Kernindustrie nutzen könne. Gegner bezweifeln, dass eine Verwendung technisch sinnvoll ist. Weil es so stark abgereichert sei, dass eine erneute Anreicherung wirtschaftlich unattraktiv wäre. Atmo "Park in Angarsk" Sprecherin 2: Nach fünfeinhalb Stunden Flug sind wir 5000 Kilometer weit entfernt von Moskau, im ostsibirischen Angarsk. In die Anreicherungsanlage hier und in drei weitere transportierten westliche Länder abgereichertes UF6. Der wichtigste Arbeitgeber der Stadt ist das Uran-Anreicherungs-Kombinat. Das Leben in der Stadt hängt weitgehend von diesem Betrieb ab. Atmo "Straße Angarsk" Sprecherin 1: Wie die Lage im Kombinat wirklich ist, erfahren die Stadtbewohner nicht. Das wird geheim gehalten. Um das Kombinat herum ist eine Sicherheitszone errichtet: Zutritt nur für Mitarbeiter. O-Ton Slobina (Russisch, weiblich): "Ein Mitarbeiter des Kombinats sagte bei einem öffentlichen Treffen im Jahr 2009 oder 2010, dass diese Fässer ständig aufreißen und repariert werden müssen. Als die Medien darüber geschrieben hatten, hat die Leitung des Kombinats sofort gesagt, dass sie alle Fässer ausgetauscht haben. Ich weiß nicht, ob das wahr ist. Denn wir können diese Informationen nicht überprüfen." Sprecherin 2 + 1 (Wechsel): (2) sagt Journalistin Slobina. Wir wollen wissen, unter welchen Bedingungen das UF6 in Angarsk gelagert wird. Ein Rosatom-Mitarbeiter antwortet auf unsere Anfrage schriftlich: (1) Die skandalösen Berichte über den Export von Uranhexafluorid seien "lächerlich", weil abgereichertes UF6 keinerlei Risiko für die Umwelt darstelle. (2) Swetlana Slobina macht sich trotzdem Sorgen. O-Ton Slobina (Russisch, weiblich): "Es gibt technische Möglichkeiten, Uranhexafluorid in eine chemisch stabilere Form zu bringen. In Angarsk werden sie aber nicht genutzt. Ich verstehe, dass es viel Geld kostet. Wenn die deutsche Seite Verantwortung übernehmen und finanziell helfen würde, solche Anlagen anzuschaffen, wäre es toll." Sprecherin 1: Ob die Firma Urenco dazu bereit wäre, werden wir das Unternehmen fragen, wenn wir wieder zurück in Deutschland sind. Atmo "Transsibirische Eisenbahn" Sprecherin 2: Aber nun führt uns unsere Recherche weiter nach Krasnojarsk. In der transsibirischen Eisenbahn fahren wir in die Stadt, in deren Nähe der Energieversorger EnBW angeblich plante, seinen Atommüll zu entsorgen. Das behauptet die Süddeutsche Zeitung. Nach ihren Informationen sei es um ausgediente Brennelemente und eine Endlager-Option gegangen. Abgebrannte Brennelemente aus Bulgarien und der Ukraine lagern schon in der Nähe von Krasnojarsk. Diese sind hochradioaktiv und bleiben dort, bis sie aufgearbeitet werden können. Denn die Fabrik RT-2, in der man das machen könnte, ist seit Ende der 70er-Jahre in Planung, aber noch nicht gebaut. In Russland gelten abgebrannte Brennelemente im Gegensatz zu Deutschland nicht als Atommüll. Atmo "Bus nach Schelesnogorsk" Sprecherin 2: Vom Krasnojarsker Bahnhof fahren wir mit dem Bus nach Schelesnogorsk. Es wird auch Krasnojarsk-26 oder Atomgrad genannt. Zu Sowjet-Zeiten konnte man die geheime Stadt auf keiner Karte finden. Fünfzig Jahre lang wurde hier Plutonium für Atombomben hergestellt. Atmo "Am Eingang der geschlossenen Stadt" Sprecherin 1: Nach anderthalb Stunden Fahrt hält der Bus vor dem Kontrollpunkt der Atomstadt. Eine Schlange von Autos rollt auf das geschlossene Metall-Gitter zu. Eine Frau in blauer Uniform kontrolliert die Papiere. Die Wachfrau geht um jedes Auto, öffnet den Kofferraum, schließt ihn und lässt die Fahrzeuge passieren. Dann schiebt sich das Tor zur Seite. Auf dem Schild davor steht: (1) "Achtung. Die Einfahrt in die geschlossene Stadt Schelesnogorsk wird kontrolliert. Durchgang und Durchfahrt sind verboten." (2) Fahrgäste, die keinen Passierschein haben, müssen aussteigen. So wie wir. Sprecherin 2: Vor der Zufahrt treffen wir Fjodor Marjasow. Er ist 45, hat braune Augen und kurze Haare. Bei Temperaturen unter Null trägt Fjodor eine Fleecejacke mit Tarnmuster. Er hat keine Mütze und keine Handschuhe, aber er scheint nicht zu frieren. Atmo "Am Zaun der geschlossenen Stadt" Sprecherin 2: Er führt uns durch die kniehohen Büsche zu den Grenzen der Stadt Schelesnogorsk. Zwei Reihen Stacheldrahtzaun trennen uns von der anderen Seite, auf der Holzhäuser zu sehen sind. Mitten in den Zäunen klafft ein Loch. Ein Mann geht an uns vorbei. Er sagt, dass vorgestern die Sicherheitsleute nebenan kontrolliert haben, weswegen der alte Zugang zugemacht wurde. Doch es sei einfach ein neues Loch gerissen worden. Er bückt sich und verschwindet hinter dem Zaun. Das Betreten der geschlossenen Stadt ohne Erlaubnis ist eine Straftat. O-Ton Marjasow (Russisch, männlich): "Was ihr hier seht, das Loch im Zaun, das ist ein Symbol für die russische Schlamperei. Die Anlagen, die sich auf dem Territorium hinter dem Zaun befinden, stellen nicht nur für uns, sondern auch für die ganze Menschheit eine Gefahr dar. Hier befinden sich Dutzende Tonnen Waffenplutonium im Lager für Spaltmaterialien." Sprecherin 1: Marjasow lebt seit Ende der 90er-Jahre in Schelesnogorsk. Seine Frau arbeitet bei der Verwaltung des Atom-Kombinats, das sich im Berg auf dem Stadtterritorium befindet. Das Kombinat beschäftigt ein Drittel der Stadtbevölkerung. In Schelesnogorsk gibt es zwei Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente. Außerdem will die Staatsholding Rossatom hier das erste russische Endlager für hochradioaktiven Atommüll bauen. O-Ton Marjasow (Russisch, männlich): "Viele denken, wenn man die abgebrannten Brennstoffe aus dem Baltikum, aus den europäischen Staaten, der Ukraine und Belarus nach Sibirien verfrachtet, wird das Problem gelöst. Aber so ist es nicht. Das Zwischenlager für Brennstoffe liegt nur wenige Kilometer vom Fluss Jenissej entfernt. Und das größte Endlager der Welt wird vier Kilometer entfernt vom Jenissej gebaut. Wenn da etwas passiert, wird der Fluss diese Radioaktivität bis nach Skandinavien bringen." Atmo "Autofahrt mit Fjodor Marjasow" Sprecherin 2: Marjasow fährt uns mit seinem alten, fast kaputten Wagen am Stacheldraht-Zaun der Stadt entlang. An einer Stelle fehlt ein ganzer Abschnitt, so dass ein Auto illegal in die Stadt fahren könnte. Die Spuren auf dem Boden zeigen, dass diese Möglichkeit genutzt wird. Marjasow fährt nicht hinein. Er hat Angst, dass wir abgehört, bespitzelt werden. Plötzlich klingelt sein Handy. Atmo "Fjodor Marjasow telefoniert" Sprecherin 2: Es ist die Chefredakteurin der Zeitung, für die Marjasow ab und zu arbeitet. Sie sagt ihm, dass das Kombinat ihn verklagt hat. Marjasow hat ein Interview mit einem Wissenschaftler geführt, der behauptet, dass die im Jenissej gefundenen hoch strahlenden Partikel ein Zeichen für Unfälle im Kombinat sind. Das Unternehmen fordert, diese Informationen zu dementieren. Nach dem Anruf wirkt Fjodor besorgt, zeigt sich aber kämpferisch. Er sagt, dass es nicht der erste Einschüchterungs-Versuch gewesen sei. Sein Email-Postfach sei gehackt, das Telefonkabel von seinem Büro herausgerissen worden, im Internet habe es eine Schmutzkampagne gegen ihn gegeben. Den Kampf gegen das geplante Endlager hat sich Marjasow zur Lebensaufgabe gemacht. Sprecherin 2: Bereits vor 15 Jahren plante die russische Regierung, abgebrannte Brennelemente aus dem Ausland zu importieren. Das Geld war knapp, Russland versprach sich ein Millionengeschäft. Laut Papieren des russischen Atomministeriums, die uns vorliegen, warb Russland bereits 1999 intensiv um zahlungskräftige Kunden aus Westeuropa. Die Unterlagen zeigen, wie groß Russland die Nachfrage nach solchen Diensten wie der Verarbeitung und der dauerhaften Lagerung von abgebrannten Elementen einschätzte. Sprecherin 1: Als der größte mögliche europäische Partner taucht Deutschland auf. Nach internen Kalkulationen wollte Moskau bis 2040 etwa 21 Milliarden US-Dollar mit dem Import von abgebrannten Brennelementen verdienen. 2001 wurden die Gesetze entsprechend angepasst: Die Einfuhr von abgebrannten Brennelementen aus dem Ausland wurde erlaubt - aber nur für die Aufarbeitung und Zwischenlagerung. Sprecherin 2: Um zu erfahren, wie die russische Strategie im Umgang mit abgebrannten Brennelementen heute aussieht, vereinbaren wir einen Interviewtermin mit Michail Baryschnikow, dem Leiter der zuständigen Abteilung bei Rosatom. Am Abend vor dem Gespräch, bekommen wir einen Anruf von einer unbekannten Handynummer. Der Mann am Telefon stellt sich als "Wlad" vor. Er sei Mitarbeiter der Abteilung für Kommunikation von Rosatom. Sein Tonfall ist rau und salopp. Sinngemäß verlief das Gespräch so: O-Ton "Wlad" (Russisch, männlich): "Verstehe ich es also richtig, dass Sie außer den fünf Fragen, die Sie uns vorab geschickt haben, keine weiteren Fragen stellen werden?" Sprecherin 2: "Vielleicht ergeben sich aus seinen Antworten Nachfragen." O-Ton "Wlad" (Russisch, männlich): "Nein, Olja. Das passt nicht. Sie werden ihm außer den fünf Fragen keine weiteren Fragen stellen, ja?" Sprecherin 2: "Wenn Sie darauf bestehen, werde ich keine weiteren Fragen stellen. Aber es ist natürlich merkwürdig." O-Ton "Wlad" (Russisch, männlich): "Olja, Sie sind wahrscheinlich Anfängerin, ja? Wir arbeiten mit den deutschen Journalisten sehr aktiv zusammen. Wissen Sie, wie sie alles verdrehen und auf den Kopf stellen? Das passiert ständig." Sprecherin 2: "Haben die Journalisten von der Süddeutschen Zeitung sich an Sie gewandt? Sie haben berichtet, dass es Pläne gab, Atommüll in Russland zu lagern. Haben Sie ihnen ein Interview gegeben?" O-Ton "Wlad"(Russisch, männlich): "Wir haben ihnen ein Interview gegeben, aber nur schriftlich. Wenn man mit Ihnen schriftlich kommuniziert, dann verstehen sie, dass sie wegen falscher Behauptungen vor Gericht landen können. Ich wiederhole: Es betrifft nur deutsche Journalisten. Wir haben wunderbare Beziehungen zu den Journalisten aus der ganzen Welt. Auch mit den deutschen, aber mit denen versuchen wir nur schriftlich zu kommunizieren." Sprecherin 1: Von den russischen Kollegen erfahren wir, dass solche Drohanrufe von Rosatom gängige Praxis sind. Außerdem bezahle Rosatom Zeitungsartikel zum Thema Atomenergie und beeinflusse somit die Berichterstattung. Umgerechnet vier Tausend Euro zahlten sie für eine Seite - viel Geld für eine russische Zeitung. Atmo "Im Café" Sprecherin 2: Am nächsten Vormittag treffen wir Michail Baryschnikow in einem noblen Café in der Nähe der Rosatom-Zentrale, mitten in Moskau. Er trägt Anzug und Krawatte, bestellt einen Cappuccino. Baryschnikow glaubt fest an die Idee des geschlossenen Brennstoffkreislaufs - eine Art Perpetuum mobile, in dem sich Brennstoffe für die Energieerzeugung immer wieder aufs Neue aus den ausgedienten Brennelementen gewinnen lassen. Aber was passiert mit dem Abfall, der bei der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstäbe entsteht? O-Ton Baryschnikow (Russisch, männlich): "Es nervt mich sehr, wenn die Wörter "abgebrannte Brennelemente" im Zusammenhang mit "Müll" oder "Abfall" gebracht werden. Es stimmt überhaupt nicht. Aus den hoch entwickelten Betrieben kommen ordentlich verpackte, glänzende Blechkannen, also komprimierte Abfälle dieses Betriebs. Der Umgang mit den verpackten Materialien ist komplett durchdacht." Sprecherin 1: Im Kombinat "Majak" bei der Stadt Tscheljabinsk am Ural befindet sich bis jetzt die einzige russische Anlage, die abgebrannte Brennelemente verarbeitet. Laut Regierungsabkommen werden ausländische abgebrannte Brennelemente, die in Russland hergestellt wurden, wieder dorthin zurückgebracht. O-Ton Baryschnikow (Russisch, männlich): "Wir haben solche Verträge zum Beispiel mit der Ukraine und Bulgarien. Außerdem gibt es ein internationales Programm über die Rückkehr der abgebrannten Brennstoffe aus den Forschungsreaktoren. 14 Länder sind daran beteiligt, auch Deutschland." Sprecherin 1: Aus dem Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden sollten 2011 abgebrannte Brennstäbe in die Aufbereitungsanlage "Majak" geschickt werden. O-Ton Baryschnikow (Russisch, männlich): "Alles war bereit auf beiden Seiten. Die Stoffe wurden sogar bereits verpackt und ein Waggon war bestellt. Aber Deutschland hat den Transport aus politischen Gründen im letzten Moment abgesagt." Sprecherin 2: Es gab zu großen Protest. Bei Rosatom wartet man immer noch auf ein Zeichen aus der Bundesrepublik, sagt Baryschnikow. Sprecherin 1: Die russischen Pläne, abgebrannte Brennelemente aus dem Ausland im großen Stil nach Russland zu importieren, gehören allerdings der Vergangenheit an. Das wird aus unseren Gesprächen mit mehreren Rosatom-Mitarbeitern deutlich. Russland hätte zu viele Probleme mit seinen eigenen abgebrannten Brennstäben: Die Aufbereitungsanlage in "Majak" verseucht die Umgebung mit radioaktiver Strahlung, der Bau der Aufbereitungsanlage RT-2 in Schelesnagorsk verzögert sich. Mittlerweile wird die Atombranche vom russischen Staat massiv unterstützt. Es wurde ein Staatsprogramm verabschiedet mit dem Ziel: den Ausbau der Kernkraft zu beschleunigen, um geopolitisch Einfluss zu gewinnen und die eigene Energieversorgung zu sichern. Kostenpunkt: 30 Milliarden Euro - knapp die Hälfte davon aus der Staatskasse. Rosatom expandiert weltweit: will unter anderem in Bangladesch, Jordanien, Ägypten, China, Belarus, Südafrika und der Türkei Kernkraftwerke bauen. Nach der Havarie im japanischen AKW Fukushima habe Russland die Anzahl der AKW-Bauaufträge verdoppelt, betonte Rosatom-Chef Kirijenko in einem Interview. Rosatom wolle seine Macht auch im Bereich der Abfallbehandlung ausbauen. Deshalb kauft Rosatom Atommüll-Betriebe auf. Zum Beispiel die deutsche Firma Nukem Technologies oder die russische Firma Radon. Sprecherin 2: 2011 wurde in Russland das Gesetzt verabschiedet, das den Umgang mit radioaktivem Müll regelt. Die neu gegründete Rosatom-Tochter NO RAO soll sich um den Bau von bis zu 30 Endlagern kümmern. Sprecherin 1: Die Büros von NO RAO befinden sich in einem frisch renovierten, grün gestrichenen Gebäude in Moskau. Im Raum sitzen uns zwei Abteilungsleiter in Anzügen und Krawatten gegenüber. Seitlich von uns nimmt der Chef für Kommunikation Platz: Ein bärtiger Mann in Jeans und Jacket. Die Pressesprecherin setzt sich auf den Stuhl hinter uns an der Wand. Die Atmosphäre ist angespannt. Die Fragen fürs Interview haben wir unseren Gesprächspartnern vorher zugeschickt. Die haben sich vorbereitet, lesen die Antworten vom Papier ab. Die Situation erinnert an eine mündliche Prüfung, bei der fleißige Studenten ihre Hausaufgaben herunterbrettern: Ziele, Kosten, Etappen des Programms. Sprecherin 2: Dann stellen wir eine Frage, die es nicht im vereinbarten Fragenkatalog gab: Gibt es Möglichkeiten, radioaktive Abfälle aus dem Ausland endzulagern? Die beiden Chefs wirken für einen Moment irritiert. Der Leiter für Kommunikation greift ein. O-Ton Medjanzev (Russisch, männlich): "Die Ein- und Ausfuhr von Atommüll nach Russland ist per Gesetz 190 verboten. Mehr noch: Im Strafgesetz gibt es einen Paragraphen, der für solche Straftaten 7 bis 13 Jahre Haft vorsieht. Die einzige Ausnahme ist die Rückkehr abgebrannter Brennelemente in die Russische Föderation, die in Russland hergestellt und irgendwohin per Vertrag geliefert wurden." O-Ton Reporterin (Russisch, weiblich): Sprecherin 2: "Wundern Sie sich nicht über die Frage. Es gab darüber in der renommierten deutschen Zeitung SZ sogar einen Artikel "Krasnojarsk statt Gorleben"..." O-Ton Medjanzev (Russisch, männlich): "Solche Publikationen gibt es auch bei uns. Ich weiß nicht, welche Ziele sie verfolgen, warum diese Menschen lügen. Es ist verboten, radioaktive Abfälle nach Russland einzuführen." Sprecherin 1: NO RAO versteht sich als Umweltschützer. Schließlich würden sie dafür sorgen, dass das Atommüllproblem gelöst werde. Denn die Endlagerung unter der Erde sei viel sicherer als oberirdische Zwischenlager. Nur die Menschen würden das einfach nicht verstehen, sagt der stellvertretende Leiter von NO RAO. Atmo "Flugzeug" Sprecherin 2: Wir fliegen zurück nach Deutschland und beginnen die Hinweise, die wir in Russland bekommen haben, zu überprüfen. Als erstes rufen wir den Projektmanager an, dessen Visitenkarte wir von dem Umweltschützer Bodrov in Sankt Petersburg am Anfang unserer Recherchereise bekommen haben. Bodrov hatte behauptet, der Manager habe ihn von den Vorteilen überzeugen wollen, radioaktiv kontaminiertes Material aus Deutschland bei Ecomet-S in Russland behandeln zu lassen. Sein Name ist Eilhard Wittlich. Wir treffen ihn in Bochum. Er ist Manager für internationale Großprojekte. O-Ton Wittlich (Deutsch, männlich): "Man hatte an mich herangetragen, man könnte mal überlegen, ob diese Möglichkeit gangbar wäre, weil eben Firmen wie Siempelkamp oder Studsvik nur begrenzte Möglichkeiten haben, keiner baut seine Möglichkeiten ins Unendliche auf in Deutschland. So viele Atomkraftwerke haben wir nicht, die dann auch noch abgebaut werden." Sprecherin 1: Für wen er das ausloten sollte, möchte er nicht sagen. Seiner Erinnerung nach war das 2003, 2004 oder 2005 - das weiß er nicht mehr genau. Er hielt sich gerade geschäftlich in Sankt Petersburg auf. Die Initiative für das Geschäft sei von Ecomet-S gekommen, erinnert er sich. Es habe Besuche in Deutschland, Sankt Petersburg und auch in Sosnowy Bor gegeben, wo die Anlage von Ecomet-S steht. Diese sollte auch besichtigt werden. O-Ton Wittlich (Deutsch, männlich): "Von deutscher Seite das wäre ein Vertreter der GNS gewesen. Gesellschaft für Nuklear Service in Essen. Mit denen stand man also in Kontakt, wobei ich gerade in den Gesprächen, die ich dort geführt habe, heraushören konnte, wie sehr man auf ordnungsgemäße Abwicklung bedacht ist." Sprecherin 1: Vermutlich im Januar 2004 traf Projektmanager Wittlich dann den Umweltschützer Oleg Bodrov und seinen Kollegen. Es sei ein sehr angenehmes Gespräch gewesen, sagt Wittlich. Davon überzeugen, dass das Geschäft mit Deutschland ein gutes sei, wollte er die Umweltschützer nach eigener Aussage aber nicht. Sprecherin 2: Nach der Unterredung mit den Umweltschützern, sagt Projektmanager Wittlich, habe er Zweifel an der Professionalität von Ecomet-S bekommen. Dann erfuhr er von einer Explosion in der Firma, bei der im Dezember 2005 laut Medienberichten drei Mitarbeiter gestorben sind. O-Ton Wittlich (Deutsch, männlich): "Aber was ist denn jetzt explodiert? Und warum ist es explodiert? Das trat also meines Wissens nach nicht richtig zutage und dadurch haben sich natürlich verständlicherweise sofort wieder die ganzen Sicherheitsstufen nach oben gedreht und dadurch hat sich meiner Ansicht nach die ganze Sache wieder verlangsamt." Sprecherin 2: Die Deutschen hätten das Interesse an Ecomet-S verloren, sagt Wittlich. Er habe sich dann ausgeklinkt. Sprecherin 1: Was aus den Plänen wurde, müsste Andrey Bykov wissen. Er spielte eine Schlüsselrolle: Seine Firma sollte für die EnBW bewerten, wie die Entsorgungsmöglichkeiten für Abriss-Material aus dem Kernkraftwerk Obrigheim aussehen. 20 Jahre hat er für den Energieversorger aus Baden-Württemberg gearbeitet. Seit mehreren Jahren liegt er im Rechtsstreit mit seinem ehemaligen Geschäftspartner. Die EnBW sagt, Bykov hätte Verträge nicht erfüllt. Bykov sagt, die EnBW möchte ihn als dubiosen Russen darstellen, um von eigenen Problemen abzulenken. Sprecherin 2: Bykov selbst bezeichnet sich als "bestbezahlten Lobbyisten Europas" - mit exzellenten Kontakten in Deutschland und Russland. Allein 220 Millionen Euro hat er von der EnBW erhalten. Bykov ist gebürtiger Russe, aber in Westberlin aufgewachsen. Es braucht sieben Monate Vorbereitung, bis wir ihn treffen. Er möchte persönlich, nicht über das Telefon mit uns sprechen. Also fliegen wir wieder nach Moskau. Atmo "Vor dem Hotel" Sprecherin 2: Wir treffen uns in einem Spa-Hotel, etwa eine Stunde von Moskau entfernt. Es liegt in einem abgeriegelten Villen-Viertel, das man nur nach einer Eingangskontrolle betreten kann. Die Luft sei hier besser, meint Bykov. Das Interview soll am nächsten Tag in seinem Büro stattfinden. Im Hotel treffen wir ihn für ein Vorgespräch - ohne Mikrofon. Atmo "Im Hotel" Sprecherin 2: Als wir ihn danach fragen, was die EnBW in Sachen Rückbau in Russland plante, holt er einen der beiden Laptops heraus, die in seiner Aktentasche stecken. Er klickt sich durch seine Ordner. Er habe eine preußische Ordnung, sagt er. Die habe ihm damals sein Lehrer in Deutschland beigebracht. Dann öffnet er ein Dokument: Sprecherin 1: Die EnBW Kernkraft GmBH wollte sich zu 25 Prozent an der russischen Firma Ecomet-S beteiligen. Das Schreiben stammt vom 28. Juni 2006. Unterschrieben unter anderem von Ecomet-S Geschäftsführer Alexander Gelbutowskij und einem Herrn Schmidt als Vertreter der EnBW. In der Auflistung der Vertragssummen stehen noch Fragezeichen. Die hätten noch verhandelt werden müssen, meint Bykov. Er kenne Alexander Gelbutowskij sehr gut. Er klickt weiter: In einem weiteren Dokument steht: Am 4. Juli 2006 wollten EnBW-Manager Ecomet-S besuchen. Außerdem sagt er, dass eine eigene Tochterfirma von EnBW gegründet worden sei, um die Kooperation mit Russland zu regeln. Sprecherin 2: Auf die Frage, was aus dem Vertrag geworden sei, antwortet Bykov nicht. Die Dokumente will Bykov uns nicht geben. Morgen, verspricht er, beim Interview. Doch am nächsten Tag sagt er das geplante Interview unerwartet ab. Er sei krank. Außerdem würden unsere Fragen laufende Verfahren betreffen. Sie gehörten nicht in ein Presseinterview. Sprecherin 1: In einer schriftlichen Stellungnahme streitet die EnBW ab, dass sie sich an Ecomet-S beteiligen wollte. Man habe im Rahmen der Rückbaustrategie ein breites Feld von Optionen untersucht, heißt es - unter anderem die Möglichkeit, Rückbaumaterial bei Ecomet-S zu behandeln. Ein Geschäft sei jedoch nicht zustande gekommen. Die Gesellschaft für Nuklear-Service - kurz GNS aus Essen, deren Gesellschafter unter anderem die EnBW ist, bestätigt: Vor mehr als zehn Jahren habe Ecomet-S Kontakt mit der GNS aufgenommen. Es sei um die Bearbeitung radioaktiver Metalle aus deutschen AKWs gegangen. Beauftragt habe die GNS das Petersburger Unternehmen damit jedoch nicht. Atmo "Zugansage 'Nächste Station: Gronau in Westfalen'" Sprecherin 2: Dann ist da noch die Spur zur Urenco. Der Greenpeace-Experte Wladimir Tschuprow hatte von den Exporten von abgereichertem Uranhexafluorid ins sibirische Angarsk erzählt. In Gronau treffen wir den Geschäftsführer von Urenco Deutschland. Joachim Ohnemus sieht kein Problem bei den Lagerungsbedingungen in Russland. O-Ton Ohnemus (Deutsch, männlich): "Ich war drei Mal in der russischen Anreicherungsanlage, habe auch selbst unsere Behälter inspiziert, wie die Lagerungsmöglichkeiten, wie die Sicherheitsvorkehrungen sind, das bewegt sich absolut auf unserem, auf europäischem Niveau." Sprecherin 1: In den letzten Jahresberichten der russischen Atomaufsichtsbehörde steht jedoch: Bei der Lagerung unter freiem Himmel bestehe ein erhebliches Risiko, dass die UF6-Fässer undicht werden. Im Jahr 2012 ereignete sich ein Unfall in einem der russischen Unternehmen, das abgereichertes Uran lagert. Uranhexafluorid trat aus und kontaminierte das Territorium des Betriebs. Für Mitarbeiter und Umwelt soll aber kein Schaden entstanden sein. Wir konfrontieren Ohnemus damit: O-Ton Ohnemus (Deutsch, männlich): "Das überrascht mich, ich kenne diesen Bericht nicht. Wenn das so wäre, dann müsste die russische Behörde, wie es auch unsere Behörde macht, sofort Abhilfe schaffen, ist ja klar. Also, wenn man so einen Zustand feststellt, dann muss man etwas tun." Atmo "Lied: Wir wolln' Strom aus Wind und Sonne" Sprecherin 1: Ohnemus und viele andere Atommanager, mit denen wir gesprochen haben, glauben nicht an den deutschen Atomausstieg. Denn während sich Deutschland von der Kernkraft abwendet, bauen viele Länder neue AKWs. Oder, um es mit den Worten des Lobbyisten Andrey Bykov zu sagen: "Die Welt geht unter, aber Deutschland ist nicht Schuld". Sprecherin 2: Zwar ist die Lagerung von Atommüll in Russland für die Bundesregierung offiziell keine Option, in Hintergrundgesprächen wird sie aber nach wie vor diskutiert, sagen Insider. Obwohl der Deal zwischen EnBW und Ecomet-S gescheitert ist, plant Alexander Gelbutowskij aus Sankt Petersburg weiterhin Geschäfte mit Deutschland. Es gehe um die Stilllegung von AKWs. Über die Einzelheiten könne er erst Ende des Jahres reden. "Sie werden noch von mir hören!", sagt er in einem Telefonat im März 2014. Sprecherin 1: Nachtrag: Oleg Bodrov kämpft weiterhin gegen den Bau eines Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Sosnowy Bor bei Sankt Petersburg. Das Endlager würde dem Metall-Verarbeiter Ecomet-S zu mehr Kunden verhelfen, fürchtet er, weil sie ihren Müll dann direkt vor Ort entsorgen könnten. Sprecherin 2: Swetlana Slobina hat sich entschieden, im sibirischen Angarsk eine Familie zu gründen. Trotz des ungelösten Problems mit der Lagerung des abgereicherten Urans. Rosatom wird kein Uran mehr in Angarsk anreichern. Medienberichten zufolge soll das Material in Zukunft in eine andere Stadt gebracht werden, wo es in eine ungefährlichere Form umgewandelt werden soll. Sprecherin 1: Der Aktivist Fjodor Marjasow aus der geschlossenen Stadt Schelesnagorsk hat zwei Verfahren gegen das Atom-Kombinat verloren. Er will in Berufung gehen. Ihm fehle aber das Geld, um die Farbe für den Drucker zu kaufen und Unterlagen zum Gericht zu schicken. Der Kampf gegen die Atomindustrie hat ihn in den finanziellen Ruin getrieben und zum Außenseiter gemacht, sagt er. Aufgeben will er nicht. Absage: Aus den Augen, aus dem Sinn? Deutscher Atommüll in Russland Ein Feature von Laura Döing und Olga Kapustina Es sprachen: Sophia Löffler Philipp Heitmann Sebastian Mirow Doris Wolters und die Autorinnen Ton und Technik: Johanna Fegert und Andreas Völzing Regie: Karin Hutzler Redaktion: Wolfram Wessels Eine Produktion des Südwestrundfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk und dem Deutschlandfunk 2014. Die Recherche wurde von der Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Förderprogramms "Journalisten vor Ort" gefördert.