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Regie: Gesang endet Autor: Nach dem Singen herrscht Stille. Alle zehn Teilnehmer gehen in Gedanken versunken nach Hause. Kaya Ananda und Margrit Schneider, die beiden Leiterinnen des Om-Chores, tauschen mit leuchtenden Augen ihre Erfahrungen aus. O-Ton 1: Kaya Ananda: Weisst du, je mehr wir bewusst sind, in unserem Körper und den verschiedenen Teilen, desto mehr ist Harmonie in uns. Aber wenn das alles unbewusst ist, dann kommt das manchmal ein bisschen roh an die Oberfläche. Genau da sieht man wieviel Arbeit eigentlich noch vor uns ist. O-Ton Margrit Schneider: Es ist ja nicht nur Arbeit, es ist ja auch ne Freude wie ein Kind. Hast neue Schritte gemacht, du hast Neues gelernt, ne? O-Ton Kaya Ananda: Practise and Joy, must go hand in Hand. Atmo2 / 2a Hahn kräht/subtropische Vögel Autor: Am nächsten Morgen, draußen auf einer der zahlreichen Farmen in Auroville. Halb verschlafen hocken Astrid aus der Schweiz, Jeremy aus New York, Sean aus Australien, Liz aus Neuseeland und Omer aus Israel unter dem Dach aus Palmblättern: Allessandro aus Italien nippt an einer Blechtasse voll dünnem Kaffee. Wie alle anderen ist auch er etwa Mitte 20 und freiwilliger Helfer auf der Farm "Buddha-Garden". Die jungen Leute werden gleich Salat und Gemüse ernten. Morgens um halb sieben, wenn es noch kühl genug ist für die Arbeit im Freien. Priya, die Leiterin der Farm, stapft von ihrem Wohnhaus herüber, die Hände in den Taschen ihres hellen Baumwollkleids. Die 66jährige Engländerin ist schon hellwach, im Gehen wirft sie einen schnellen Blick auf die Beete und gibt Anweisungen: OTon 2 Priya O.k. We got to do 3 Kilos of Rucola, we got to do the lettuce there, and also beans. Can I have two people to pick the Rucola? Overvoice: Also wir müssen 3 Kilo Rucola ernten, wir müssen dort Salat pflücken, und dann noch Bohnen. Kann ich zwei Leute haben für den Rucola... ? Atmo 3 Buddha garden Autor: Allessandro hebt die Hand. Der junge Grafikdesigner aus Italien reist ein halbes Jahr lang durch Indien. Im Buddha Garden bekommt er einen Schlafplatz in der Palmhütte und ein kostenloses Frühstück. Eine gute und günstige Gelegenheit für Rucksackreisende wie ihn, eine Weile in Auroville zu leben. Als Gegenleistung muss Allessandro morgens zwei Stunden arbeiten. Jedes Jahr kommen hunderte Freiwillige wie er nach Auroville, pflanzen Bäume, helfen in Schulen, bauen Häuser oder kochen vegetarische Gerichte. Und erleben dabei hautnah, wie Sinnsuchende aus aller Welt seit 40 Jahren unermüdlich an einer Utopie arbeiten. An einem Leben in einer Gemeinschaft ohne Armut, ohne Leistungsdruck, ohne Egoismus. O-Ton 3 Alessandro: I think, I will stay here for more. And I don´t know if in the same place, or other places. To improve knowlegdes could be interesting. Overvoice: Ich denke, ich bleibe noch eine Weile, Vielleicht hier auf der Farm, oder an anderen Plätzen. Könnte interessant sein, was anderes kennenzulernen. Atmo 4 Sortieren Autor: Es gibt Dutzende Projekte in Auroville. Kleinkläranlagen, Algenzucht, Frisbee und Lach-Yoga. Hier im Buddha Garden ist es der organische Landbau. Cashew-Nüsse, Mangos und Bananen wachsen bei 30 Grad Hitze sehr gut, ebenso Linsen, Reis und Bohnen. Alessandro hat seine Kiste voll und trägt sie zu einem breiten, groben Holztisch unter einem Blechdach. Dort steht Priya, die Leiterin der Farm, und sortiert Tomaten. Gewachsen ohne Gift und Gentechnik, und ohne chemischen Dünger. Jede Tomate ein Einzelstück - mit eigenwilligen Formen, Furchen und Färbungen. Von Grün über gelb bis rot. Liebevoll betrachtet Priya eine Tomate - wie eine Mutter, die ihre Tochter für das schönste Mädchen der Welt hält, aber weiß, dass sie beim Model-Casting durchfallen wird. O-Ton 4 Priya: I sometimes feel, that Aurovillians don´t really understand, what growing organic food means. You know, the food looks different. When you do tomatoes, they all look different. They are not like Tomatoes in the supermarket, that stand in a row and look all the same. It´s not like that, and they don´t understand that. Overvoice: Manchmal habe ich das Gefühl, die Auroviller verstehen nicht wirklich, was organischer Anbau bedeutet. Das sieht halt anders aus. Wenn du Tomaten anbaust, sehen die alle verschieden aus. Die sind nicht wie die Tomaten im Supermarkt, die in einer Reihe liegen und alle gleich aussehen. So ist das nicht, und das verstehen die nicht. Atmo 5 Priya sortieren Autor: Mit einem kleinen Seufzer verpackt Priya ihre eigenwilligen Tomaten - immer sechs Stück - in einen Klarsichtbeutel. Seit 12 Jahren bebaut sie hier ein ausgelaugtes Stück Land, kompostiert jeden Krümel, probiert Samen, jätet, wässert, erntet. Und seit 12 Jahren versucht sie den Auroviller ihr organisch angebautes Gemüse schmackhaft zu machen. Ihr blauer Stoffhut hat seine Farbe verloren und auch das Muster ihres Baumwollkleids ist von Sonne und von Monsun-Regen ausgebleicht - aber ihr Idealismus ist noch frisch und ungebrochen. O-Ton 5 Priya: So people need the same time, we need to change people´s food habits. So they understand why they need to, we need to eat more local food and what to do with it. Overvoice: Die Leute brauchen Zeit und wir brauchen Zeit um die Essgewohnheiten zu verändern. Damit sie verstehen, warum wir mehr Gemüse von hier essen müssen und was man damit machen kann. Atmo 7 Kisten Autor: Pierre, Priyas Partner, packt die drei Plastikkisten auf den Gepäckträger seines klapprigen Mopeds und zurrt den Stapel mit Gummibändern fest. Atmo 8 Mopedstart / Atmo 13 Natur Wenig später macht er sich auf den Weg zur zentralen Verteilerstelle für Obst und Gemüse, dem "Food-Link". Sein Hemd flattert im warmen Fahrtwind, Rucolablättchen wirbeln aus den Kisten hoch und landen auf den roten Sandwegen. Gelb blühende Bäume säumen den gewunden Weg durch den Wald. Immer wieder zweigen Wege ins Dickicht ab - Schilder mit Namen wie "Erd-Institut", "Verwirklichung", oder "Neue Kreativität" weisen zu weiteren Projekten oder zu den weitläufig verstreuten Häusern und Wohnsiedlungen irgendwo im Wald. Atmo außen hoch In der Mitte Aurovilles passiert Pierre lange Schlangen von Besuchern, die das Matrimandir besichtigen wollen. Das Meditationszentrum. Eine 25 Meter hohe goldene Kugel, darin ein riesiger Kristall in einem weißgekachelten Raum. Wie ein gigantischer Golfball liegt die Goldkugel auf dem gepflegten Rasen eines Parks, als wäre das herbeigesehnte Bewusstsein schon gelandet. Pierre aber hat keine Zeit für Meditation, er biegt ab zu "Food-Link", dem Verteilzentrum für Obst und Gemüse. Atmo 9 Rolltor / Atmo 10 Foodlink Ein indischer Arbeiter öffnet das Rolltor. Pierre parkt sein Moped und trägt seine drei Kisten in die kühle dunkle Lagerhalle. Hier stapeln sich bereits Kisten mit Auberginen, Gurken, Bananen, Rettichen und Okraschoten. Pierre stellt die Kisten auf eine Waage. Juan Filipe, ein junger Spanier, notiert das Gewicht. Währenddessen telefoniert er ununterbrochen mit den Farmern. O-Ton 7 Juan: Good morning, Juan, Foodlink. Tell me today. Cabbage two kilo....sweet potatoe, o.k. anything else? Rucola, two kilo, Do you have more rucola? O.k. Then you will bring twelve kilo. O.k. thank you very much, bye. Overvoice: Guten morgen, hier ist Juan von Foodlink. Was gibt's heute? Kohl - zwei Kilo... Süßkartoffeln, gut. Noch was? Rucola - zwei Kilo. Habt ihr mehr Rucola? Sehr gut, dann bringt 12 Kilo. Vielen Dank, Tschüß. Autor: Juan Filipe tippt die Mengen in den Computer, ruft den nächsten Farmer an. 20 Obst- und Gemüsebauern pflanzen In fünf Jahren sollen die Obst-und Gemüsebauern die Hälfte des benötigten Essens von Auroville liefern. Eine ökologische Herausforderung. Denn die Böden sind karg. Und auch das Bewusstsein für die Ernährung ist unausgereift. Die Auroviller kommen aus 45 Nationen, erzählt Juan Felipe und die wenigsten haben eine Ahnung von den regionalen Produkten. O-Ton 9 Juan Felipe: We want to teach, or to show or to guide to the Aurovillians, to buy, to cook local vegetables. Overvoice: Wir wollen den Leuten beibringen, , oder sie dahin führen Gemüse von hier zu kochen. Autor: Juan Felipe beugt sich über den Computer und druckt zwei Din A 4 Blätter aus. Rezepte mit rotem Getreide und einer für die Region typischen Gurkenart. Die beiden Blätter hängt der Öko-Aktivist neben den Eingang des Supermarktes gleich nebenan. Der Laden heisst "Pour tous" - das ist französisch und bedeutet: "Für alle". Ein weiteres Experiment in Auroville: Einkaufen ohne Geld! Atmo 11 Pour tous Lisa, eine junge Deutsche schlendert mit einem Henkelkorb aus Plastik an den Regalen entlang. Was sie für ihre dreiköpfige Familie braucht, das nimmt sie. Gurken, Honig, Brot und Seife. O-Ton 10 Lisa: Es sind manchmal ein paar Sachen nicht da, die wir so im Haushalt essen. Aber die holen wir uns aus Pondi, die gibt es In _Auroville sowie so nichtansonsten deckt das ganz gut so, was wir so brauchen. Autor: Vor dem Ausgang legt Lisa alles auf den Ladentisch. Dort sitzt eine Kassiererin, die jeden Artikel in die Kasse tippt, am Ende aber keine Summe nennt. Und bezahlen muss Lisa auch nicht. Sie sagt der Kassiererin nur eine Nummer, damit ist der Einkauf erledigt. Dahinter steckt eine Kooperative. Ein Teil von Lisas Einkommen ist schon zu Beginn des Monats auf das Konto des Supermarkts geflossen, erst am Ende des Monats erfährt sie, wie viel sie davon verbraucht hat. O-Ton 11 Lisa: Es ist für Aurovillianer gedacht und einfach ein bisschen von dieser Idee wegzukommen, wie viel kostet irgendwas. Ich kann im Monat sehen, ob ich mehr benutzt habe oder nicht, ich kann nicht sehen, was ich mehr benutzt habe. Muss ich ein bisschen einschätzen. Atmo 12 Lisas Henkel reißt Autor: Lisa beginnt ihre Sachen in einen Rucksack umzupacken als plötzlich der Henkel ihres Einkaufskorbes abreißt, Gurken, Honig, Brot und Seife aufs Pflaster purzeln. Die andern Kunden bei "Pour tous" kommen sofort dazu, bücken sich und helfen Lisa, ihre Einkäufe aufzuheben. Diese Hilfsbereitschaft ist typisch für Auroville, sagt Natalie, die sofort ihre Tasche abgestellt hat und mithilft. Die 47 jährige Französin im luftigen weißen Kleid lebt seit 20 Jahren hier. Seit sechs Jahren ist sie Mitglied der Einkaufskooperative. Sie mag die günstigen Preise, und dass sie kein Bargeld braucht. Sie stört sich nur an dem begrenzten Angebot. Das erinnert sie an die Mangelwirtschaft in den ehemaligen Ostblockstaaten. O-Ton 12 Natalie: This is for me a little too communist type. O.k.? Maybe I would like to have organic Soja milk. But because the soja milk organic is expensive, they take the other one. And I don´t want this kind of product. Overvoice: Das ist für mich etwas zu kommunistisch. Ja? Vielleicht möchte ich organische Soja-Milch, aber weil sie zu teuer ist, bieten sie eine andere an. Und diese Sorte mag ich nicht. Atmo 14 Büro Anandi Autor: Ein paar Schritte weiter in einem provisorisch eingerichteten Büro direkt neben der Lagerhalle sitzt Anandi. Ihre klein geringelten blondierten Dauerwellen schaukeln im Luftstrom eines Ventilators. Früher saß die Spanierin im klimatisierten Büro eines spanischen Autobauers, war zuständig für den Einkauf. Bis sie hinschmiss, nach Auroville ging und blieb. Wie so viele hier. Heute verdient Anandi wie alle Auroviller 6500 Rupien im Monat, das sind rund 100 Euro. Man kommt damit über die Runden, sagt sie. Hier bei der Einkaufskooperative sorgt sie dafür. dass man damit gut über die Runden kommt. O-Ton 14 Anandi: The idea behind is, that we put together the Community resources to purchase as much as possible in bulk and good price, and good quality items and get this together, without charging anything for it. And also in a way, that we share whatever each one can contribute. And each one takes also, whatever they need. So - in a way - half of the participants support the other half, which may be more... more tight. Overvoice: Die Idee ist, dass wir die Ressourcen der Gemeinschaft zusammenlegen, um dann möglichst günstig möglichst große Mengen einzukaufen. Qualitätsprodukte. Die bieten wir an, zum Einkaufspreis. Und was jeder so beisteuern kann, das teilen wir. Und jeder kann nehmen, was er braucht. Auf die Art ist es so, dass die eine Hälfte der Mitglieder die andere Hälfte unterstützt, die vielleicht knapper bei Kasse ist. Autor: Anandi tippt die Namen der neuen Mitglieder in den Computer. Es werden immer mehr, sagt sie. 140 waren es bei der Gründung vor sechs Jahren, heute sind es 850. Die Befürchtung, das Projekt könnte kippen, weil es jeder ausnutzen wird, hat sich nicht bestätigt. O-Ton 15 Anandi: There are cases, when it´s a constant overuse - we have to tell them. It´s not that one can take advantage, and the others support it. In all this six years, we endet up in positive, with our collective. Overvoice: Es kommt vor, dass jemand ständig mehr verbraucht. Wir müssen ihm das dann sagen. Es ist also nicht so, dass einer ständig profitiert und die anderen müssen das mittragen. In all den sechs Jahren gab es immer ein positives Ergebnis in unserem Kollektiv. Autor: Ein kleiner, greifbarer Erfolg auf dem Weg zum großen Ideal, einem Leben ohne Geld. Ein Ziel, das sich die Gründerin der Kommune, die französische Philosophin Mirra Alfassa, ausgegeben hat. Ihr Portrait hängt an der Wand hinter Anandis Schreibtisch. Ein Frauengesicht mit streng zurückgekämmten Haaren und auffallend gütigen Augen. Jeder hier nennt sie nur "Mutter". Alfassa stirbt 1973, ihr Portrait aber und ihr Auftrag sind allgegenwärtig. Nämlich eine Gesellschaft zu gründen ohne Konkurrenzkampf, ohne Geld und Streben nach Profit. Was klingt wie ein Märchen, knirscht bei der Umsetzung im Alltag manchmal ganz schön. O-Ton 16 Anandi: It´s very complicated, because we are a very diverse community. To make something, that satisfies the needs of everybody, is quite a complex situation. Overvoice: Das ist sehr kompliziert. Weil wir so eine vielfältige Gemeinschaft sind. Etwas zu machen, das die Bedürfnisse von allen zufriedenstellt, ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Atmo 15 Baustelle Autor: 50.000 Sinnsuchende aus der ganzen Welt wurden in der Planstadt Auroville einmal erwartet. Nach 40 Jahren Aufbauarbeit sind es gerade mal 2200 feste Gemeindemitglieder. Immerhin: 300 neue würden gern herziehen, aber es fehlen Wohnungen. Atmo 16 einblenden In der Siedlung "Realisation" - also "Verwirklichung" wird deshalb gebaut. Indische Arbeiter in löchrigen T-Shirts und Wickelröcken balancieren über Gerüste aus armdicken Bambusstangen, tragen Ziegelsteine nach oben, mischen Mörtel an. Ein drahtiger Mann mit gebügeltem braunem Hemd und brauner Shorts überwacht die Arbeiten. Satprem Maimi, 53 Jahre alt, der Architekt. Maima bleibt an der Ziegelpresse stehen. Eine Erfindung aus Auroville. Das Baumaterial hier ist einfache, rote Erde. O-Ton 17 Satprem Maimi: This is the use of a local resource, a local material. Which is much more appropriate, than building with concrete and fired bricks. Overvoice: Das ist ein Baustoff von hier. Das ist viel naheliegender als mit Beton und gebrannten Ziegeln zu bauen. Atmo 17: Brick-Maschine Drei Arbeiter bedienen die Presse. Einer mischt die rote Erde mit Zement, kippt eine Schaufel voll auf eine Stahlplatte mit einer viereckigen Vertiefung. Ein zweiter Arbeiter zieht einen schweren Hebel nach unten, presst die Erde fest in die Form. Der dritte nimmt den fertigen Ziegel heraus und legt ihn auf einen Stapel. Das machen sie wieder und wieder. Schaufel Erde auf die Platte - Hebel ziehen - stapeln. Ganz allmählich wird der Erdhaufen kleiner, der Stapel Bausteine wächst. Öko-Baumaterial made in Auroville. Satprem Maimi hat diese Methode mitentwickelt, mittlerweile ist sie ein Exportschlager. O-Ton 18 Maimi: I have developed this in all over the world; I have worked in 32 countries. For training or so, demonstration project, conference sometimes only, but this means, there is really a demand worldwide for this technique. Overvoice: Ich habe das schon in der ganzen Welt gezeigt. Ich habe in 32 Ländern gearbeitet. Schulungen, Muster-Projekte, manchmal nur eine Konferenz. Aber das zeigt doch, dass es für diese Technik weltweiten Bedarf gibt. Atmo 19 Mörteln Autor: Maimi geht über eine wacklige Planke in einen Rohbau, Arbeiter mischen Mörtel an, mauern kunstvolle Bögen. 50 Appartements entstehen hier. Eng nebeneinander. Mit Dachgärten und integrierten Pflanzkübeln. Für Wohnraum soll möglichst wenig Natur geopfert werden, sagt Maimi. Denn jede Pflanze hier wurde mühsam hochgepäppelt. O-Ton 19 Satprem Maimi: Auroville was like a dessert in 68. And we have planted a few millions of trees. So now we have Forest and now we can see, what we can keep or what we have to cut for buildings to come. And still have a good harmony between buildings and people and nature. Overvoice: Auroville war 1968 wie eine Wüste, und wir haben ein paar Millionen Bäume gepflanzt. Jetzt haben wir überall Wald und wir müssen sehen, was wir erhalten und was wir für künftige Gebäude roden. Und trotzdem noch eine gute Harmonie behalten zwischen Häusern und Menschen und Natur. Atmo 20 identisch mit 22 Autor: Und genau diese Harmonie ist derzeit gefährdet. Denn die Appartements, die hier gerade gebaut werden, stehen ziemlich dicht an einem älteren Wohnkomplex. Und auf Satprem Maimis Klemmbrett liegen schon die Pläne für den nächsten Wohnblock, direkt davor. Auroville wächst. Maimi schaut auf seine Uhr. Gleich ist ein Treffen mit den Vertretern der Nachbarschaft. O-Ton 20 Satprem Naimi: We cannot live like it was before, with a house that was spread three of five hundred Meter, in the green belt or anywhere else. Just individual houses, but now we have to build apartments few floors high, with a certain proximity of buildings, that means reducing privacy and intimacy of people Overvoice: Wir können so nicht weitermachen, alle drei oder fünfhundert Meter ein Haus, mitten im Grüngürtel oder sonstwo. Lauter Einzelhäuser. Wir müssen jetzt Appartements bauen, ein paar Stockwerke hoch und dichter zusammen. Also weniger Privatsphäre und Intimität. Atmo 21 Disskussion Autor: Wenig später stehen die Nachbarschafts-Vertreter um den Architekten herum und schauen skeptisch auf seine Baupläne. Eine hitzige Diskussion beginnt. Die Bewohner eines älteren Hauses haben ihre Wohnungen zum Teil selbst bezahlt. Wenn sie wegziehen oder sterben, fällt zwar alles an Auroville - noch aber fühlen sie sich als Eigentümer und kämpfen um ihre unverbaute Aussicht. Vom höheren Bewusstsein ist gerade gar nichts zu spüren. O-Ton 21 Satprem Maimi: Unfortunately nobody has this approach, at least not in this decisions. Maybe afterwards, they will record, what they said, they will come back on what they thought - in this kind of meetings it´s always: `I want, I don´t want`. Not from the divine. Overvoice: Unglücklicherweise hat keiner diese Einstellung. Zumindest nicht bei solchen Entscheidungen. Vielleicht später, wenn sie merken, was sie gesagt haben, oder wie sie gedacht haben. Bei solchen Treffen geht es nur um `Ich will, ich will nicht´. Nicht was das Göttliche will. Wieder Atmo 22 Autor: Nach 30 Minuten ist die Besprechung ist zu Ende. Satprem Maimi ist erschöpft, wirkt niedergeschlagen. Mit hängenden Schultern trottet er an den Rohbauten vorbei. Die Diskussion hat ihm sichtlich zugesetzt. Ein paar tiefe Atemzüge, ein Blick nach oben, dann findet er seine Mitte wieder. 23 Jahre in Auroville haben ihn gelehrt: eine stressige Baustelle ist nicht mehr und nicht weniger als eine mentale Übung. O-Ton 22 Satprem Naimi: I believe, that whatever we do in Auroville, consciessly or unconsciously is made for progress and to learn. I have no reason to be upset. Just let the divine works, just surrender to his will. And to except the noise, and accept to discuss with the neighbour. Instead of fighting. And this is part of the social evolution behaviors, we have to deal with in Auroville. Overvoice Ich glaube, was immer wir in Auroville tun, bewusst oder unbewusst, ist gut für den Fortschritt und lässt uns lernen. Es gibt keinen Grund wütend zu sein. Lass das Göttliche durch dich wirken und gib dich einfach hin. Nimm den Lärm hin, nimm es hin, dass du mit deinem Nachbarn diskutierst. Warum also kämpfen. Das ist Teil der Evolution unseres sozialen Verhaltens. Damit beschäftigen wir uns hier in Auroville. Autor: Satprem Maimi schaut auf die Appartements, die langsam entstehen: Ziegelstein für Ziegelstein. Alle in derselben Farbe, wie die südindische Erde, auf der Auroville gegründet ist. Atmo 23 Stühlerücken Autor: Auf der weitläufigen Dachterasse der Solarküche nahe am Zentrum der Siedlung stellen indische Frauen in bunten Saris einen Tisch und Plastik-Stühle in Reihen auf. Ein Techniker testet die Lautsprecheranlage. O-Ton 23: Hello Mic-Test, Hello Hello, Mictest In einer kleinen Feierstunde wird gleich der neue Sekretär im Amt begrüßt, der offizielle Vertreter der indischen Regierung in Auroville. Die ersten Gäste helfen mit, die Stühle aufzureihen. O-Ton 24 Dialog: Frederick: Make a half Circle ... Should be intimate. Overvoice: Macht einen Halbkreis - es soll ganz vertraut wirken.. Atmo 24 Warten Autor: Frederick übernimmt das Kommando. Der hochgewachsene 73jährige wirkt viel jünger, seine kantigen, aristokratischen Gesichtszüge verströmen Führungsqualität. Die Gäste, die nach und nach die Dachterrasse füllen und in Grüppchen plaudern, kennen ihn alle, nicken ihm zu. Ton 25 Frederick: Jaaaa, no it´s o.k. Autor: Frederick ist einer der Pioniere in Auroville. Er hat das erste feste Haus hier gebaut, sein Sohn war das erste Kind, das hier geboren wurde. Als überzeugter Anhänger von Mutter, der Gründerin von Auroville, hat er konsequent versucht, ihre Vision zu verwirklichen. Besitzlosigkeit, kein Geld, ständiges Lernen und Selbstverwaltung mithilfe des kollektiven Bewusstseins. Nach über 40 Jahren in der Stadt der Zukunftsmenschen zieht er offen und ehrlich Bilanz. O-Ton 26 Frederick: Diese Diskrepanz zwischen der Sehnsucht oder der Vision oder des Traumes und der Realität ist natürlich immer da. Und ist wahrscheinlich auch wichtig. Ich meine man kann es bejammern und sagen, wir erreichen es ja nie, aber nun, das ist der Teil des Abenteuers. Autor: Wenig später trifft Bala Baskar, der neue Sekretär, ein und setzt sich an den vorbereiteten Tisch. Im Halbkreis vor ihm etwa 100 Auroviller auf Stühlen und auf Kissen. Bala Baskar hatte vor Jahren schon einmal den Posten als Sekretär, der fröhliche Inder mit dem grauen schmalen Schnurbart ist vielen in guter Erinnerung. Frederick greift zum Mikrofon und bringt Baskar auf den neuesten Stand. O-Ton 27 Frederick (Mikro) It looked to me for many other indication, with the increase of potential, more energy in terms of man power, in terms of more participation from people coming from outside , a larger funding through governmental funding and non governmental sources indicate an excelerated growthrate of Auroville. And this growthrate is - I think - directed of citybuilding. Overvoice: Für mich gibt es viele Anzeichen, wie das wachsende Potential, mehr Energie der Menschen, mehr Beteiligung der Leute von außen, größere Zuschüsse der Regierungen und mehr Spenden von Organisationen, das führt zu einem schnelleren Wachstum Aurovilles. Und diese Wachstumsrate kommt vom Umbau zur Stadt. Autor: Bala Baskar lächelt und wackelt mit dem Kopf. Eine typisch indische Geste, die alles bedeuten kann. Drei Jahre lang wird er als Vertreter der Regierung die weitere Entwicklung Aurovilles begleiten. Die Gemeinde steht unter der Schirmherrschaft der Unesco und bekommt regelmäßig Zuschüsse von der indischen Regierung. Als deren Vertreter spielt Baskar eine schwer definierbare Rolle in der Aurovilles Selbstverwaltung, die auf Einmischung sehr empfindlich reagiert. Der Sekretät ist eher Ratgeber und Brückenbauer, als Entscheider oder Kontrolleur. Baskar, eher ein Mann von kleiner Statur, nimmt es mit Humor und Gottvertrauen. O-Ton 28: Bala Baskar: So I hope, that I´m tall enough, for what you expect. And anywhere I pray every morning, that I have strong shoulders that I fulfill the expectations, that you have on me. Thank you very much for this...(Applaus) Overvoice: Also ich hoffe, dass ich groß genug bin, für das was ihr erwartet. Und jeden Morgen bete ich, dass ich starke Schultern habe, um euren Ansprüchen zu genügen. Atmo 25 Menschen in Auroville Autor: Die kleine Feier ist zu Ende. Menschen aus 46 Ländern stehen noch auf der Dachterrasse zusammen und plaudern miteinander in allen möglichen Sprachen. Kaum einer beachtet den prächtigen Sternenhimmel über dieser Baustelle des Bewusstseins bewegt. ENDE