COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport / 14.12.2010 Hamburg seitenweise - Literarische Blicke auf die Hansestadt Autorin: Adama Ulrich Redaktion: Claudia Perez Anmoderation: Hamburg wird nicht nur gern besucht, sondern auch gern untersucht. Wir schließen uns heute dem Trend an. Einen Hamburgensien Lesesaal gibt es in der Hamburgischen Staats- und Universitätsbibliothek. Um schriftliche Stadtansichten kümmert sich der Verein für Hamburgische Geschichte. Die Gesellschaft für Bücherfreunde in Hamburg sammelt alles Hanseatische der Stadt. Doch wie blicken zwei Zugezogene auf die Stadt an der Alster und deren Bewohner? Die Schriftstellerin Katrin Seddig und ihr Kollege Rayk Wieland sind vor Jahren aus Ost-Berlin nach Hamburg gezogen. Es gibt Abdeckungen zwischen Klischees und Wirklichkeit. Der verfeinerte literarische Blick auf die Stadt allerdings kommt mitunter zu ganz anderen Resultaten. Hamburg seitenweise - ein Länderreport von Adama Ulrich. O-Ton Seddig, Der typische Hamburger ist eigentlich ein grundsolider Mensch, würde ich sagen. Anständig. Ist auch eher HSV Fan als St. Pauli Fan, vielleicht so ein bisschen konservativ aber durchaus weltoffen. (...) Das ist zumindest meine Erfahrung. Autorin Die Schriftstellerin Katrin Seddig ist vor 15 Jahren nach Hamburg gezogen. Aufgewachsen ist sie im brandenburgischen Strausberg, östlich von Berlin. Neben der konservativen Weltläufigkeit ist Katrin Seddig noch etwas an den Hamburgern aufgefallen. O-Ton Seddig, Die halten ihr Zeug zusammen, (...). Die sind nicht so fürs Extreme. Es ist hier nicht so bunt wie in Berlin oder Köln, würde ich sagen. Aber mir kommt das entgegen. ... 02.54 Der Hamburger an sich ist nicht so verrückt, eher gepflegt. Der Hamburger mag den Hafen und geht an die Elbe. Atmo Akkordeon, Wasser O-Ton Rayk Wieland, Es heißt ja immer so schön ,Hamburg an der Elbe'. Aber (...) treffender müsste es heißen, ,Hamburg an der Alster' oder noch treffender, ,Hamburg am Springbrunnen'. Weil, die Elbe fließt an der Stadt vorbei. Sie ist gar nicht richtig Teil der Stadt. Autorin Der Autor und Journalist Rayk Wieland ist ebenfalls vor vielen Jahren von Ostberlin nach Hamburg gezogen. Anfänglich arbeitete er dort für die Zeitschrift "Konkret". Heute lebt er als Schriftsteller und Fernsehjournalist in einem Dorf bei Hamburg. Den Hype, der um die Hansestadt gemacht wird, konnte er noch nie verstehen. O-Ton Rayk Wieland, Mein erster Eindruck war eigentlich auch eine gewisse Enttäuschung. Es sah alles ein bisschen niedriger und kleiner aus, als man sich das vorgestellt hatte bei Nennung des Namens Hamburg. Als ich durch die Reeperbahn lief, dachte ich, das soll die Reeperbahn sein, diese verwanzte, abgewrackte, schmutzige, langweilige Straße da? Das war auch ein bisschen trist und enttäuschend. Atmo Wasser, Möwen Autorin Katrin Seddigs erste Blicke auf Hamburg fielen gänzlich anders aus. O-Ton Seddig, Es ist der Hafen und das Wasser, die Kanäle und die Alster. Da abends rumzulaufen ist einfach toll Als Ostmensch sind die Sachen nicht so selbstverständlich, wie wenn man hier aufwächst. (...) Ich fand das erstmal toll. Autorin Ihr Debütroman "Runterkommen" spielt in Hamburg. Der Titel ist Programm: Es gibt die junge Dani, die putzt und keine Berührungen vertragen kann, den Künstler Tom, der ebenfalls putzt und unglücklich in Dani verliebt ist, die Kneipenbesitzerin Doreen, eine gute Seele, die von Sex besessen ist, Karin, die nicht vom Alkohol lassen kann, und ihren Mann Erik, der Anwalt ist, entlassen wird, dem sozialen Abstieg entgegen blickt und sich in die Putzfrau Dani verliebt, jedoch mit der Wirtin Doreen im Bett landet. Zitator) "Erik hört Dani reden, sieht dabei Doreen an und denkt, dass das mit Britta um diese Uhrzeit schon alles klar gewesen wäre. (...) Ach, Schit drauf! Möglicherweise ist er genau danach auf der Suche: nach Unruhe und Unzufriedenheit. Probier's mal mit - Ungemütlichkeit. Er trinkt sein Bier aus und knallt es auf den Tisch. (...) Er merkt direkt, dass er sehr blau ist, und die Dinge, die er sagt, kommen ihm wichtig und traurig vor. (...) Er sagt: ,Ich wäre normalerweise ein sehr guter Anwalt geworden, wenn ich nicht zu schlecht gewesen wäre. Es ist besser, wenn man gut ist, das kommt besser an in der Arbeitswelt.' Das ist auch nicht komisch. Aber sie lachen. Er lacht mit, doch er denkt: Können die das nicht verstehen, dass das nicht komisch ist? Dann denkt er, dass er dann jedenfalls aber auch nicht lachen sollte, und da er das ja tut, ist es vielleicht doch komisch? Er muss das dann neu definieren. Auch nicht komisch ist komisch, in gewisser Weise." O-Ton Seddig, Ich hatte ja eine Idee für die Geschichte und das war die, zu zeigen, wie es sich anfühlt, wenn man in seinen Ansprüchen zurückgeht. Wie angenehm das sein kann. Oder, wie dieser Abstieg auch eine Art Frieden in sich birgt. Das war ja die Idee von der Geschichte. Dass die in Hamburg spielt hängt damit zusammen, dass ich hier lebe und die Gegebenheiten kenne und weiß, wie die Leute hier sind. Autorin Dass Katrin Seddig einen hanseatischen Rechtsanwalt zum Protagonisten ihres Romans gemacht hat, ist kein Zufall. Als gelernte Steuerfachgehilfin und mit ihrem, wenn auch abgebrochenen Jurastudium, jobbt sie bis heute in Kanzleien und weiß, wie sich die Leute fühlen, die dort arbeiten und wohnen. O-Ton Seddig, Das ist manchmal auch niedlich, wenn man die Leute schon länger kennt und dann muss man auch fragen, wie geht es ihnen denn Frau soundso und dann erzählen die das auch, wie es ihnen geht und was sie so hatten. ... O-Ton Anwältin, Das ist ja nie langweilig bei uns hier. Ich glaube, das kann Frau Seddig auch sagen, das es hier immer um so Lebensgeschichten geht. Autorin Christiane-Beatrix Pausch ist Anwältin. Die Kanzlei, die sie zusammen mit ihrem Mann, Michael Evert, führt, befindet sich im Stadtteil Eilbek im Nordosten von Hamburg. O-Ton Anwältin, Zu uns kommt eben nicht die Hamburger Schickeria oder Leute, die viel Geld haben, sondern meistens Leute, die in etwas schwierigeren Lebenssituationen sind und deshalb um anwaltliche Hilfe nachsuchen. Autorin Im Zweiten Weltkrieg wurde Eilbek durch schwere Luftangriffe fast vollständig zerstört. Heute leben hier auf einer Fläche von 1.7 Quadratkilometern etwa 20.100 Menschen. Auch Katrin Seddig wohnt hier. O-Ton Seddig, Eilbek ist eher so ein Arbeiterbezirk. Es ist kein Ghetto, da stehen keine Hochhäuser. Es ist alles so dreistöckige Rotklinkerbebauung. Das ist kein angesagtes Viertel, da leben nicht die Coolen aber da leben auch nicht die ganz Armen. Es ist ziemlich ok da zu wohnen. Was vielleicht ein bisschen fehlt, ist die Infrastruktur, Kneipen, Bars. Das gibt's da halt nicht. ... Da wohnt die Verkäuferin, die Zahnarzthelferin und ich. (lacht) Autorin Katrin Seddig ist eine zierliche, schnörkellose Frau - klar und unprätentiös. Das mag an ihrer Herkunft liegen: Ihr Vater ist Maurer, ihre Mutter Gärtnerin. Sie ist die Älteste von drei Geschwistern. Die Familie lebt in einem Haus im Wald bei Strausberg. Doch schon als Kind will Katrin nicht draußen, in der Natur, mit ihren Schwestern spielen. Lieber führt sie ihre Phantasie spazieren. O-Ton Seddig, (...) Ich habe wie besessen als Kind gelesen. Das ging schon soweit, dass meine Mutter die Bücher weg geschlossen hat. Wir sind in den Ferien nicht weg gefahren und ich habe halt gelesen von morgens bis nachts. Ich war schon völlig durchgedreht von dem lesen. Meine Schwester wollte mit mir spielen und da hat meine Mutter mich wirklich ausgeschlossen aus der Wohnung. Und gesagt, du gehst jetzt mindestens so und so viele Stunden raus. Ich stand dann manchmal wütend vor der Tür und habe gesagt, ich bleiche so lange stehen, bis ich wieder rein darf. Autorin Bis Katrin Seddig Schriftstellerin wurde, ist sie noch viele Umwege gegangen. Nach dem Abitur wollte sie Malerei studieren, wurde jedoch von der Kunsthochschule in Berlin Weißensee abgelehnt. Enttäuscht und auf Anraten ihres Lehrers, bewarb sie sich zum Studium der Landwirtschaft. 1989, nach einem quälenden Praxisjahr auf Brandenburger Feldern, brach nicht nur die DDR zusammen - auch Katrin Seddig brach ihr Landwirtschaftsstudium ab. Es folgte eine Ausbildung zur Steuerfachgehilfin. O-Ton Seddig, Dann wollte ich Jura studieren, und dann habe ich meinen ersten Ehemann kennen gelernt. Der war mein Umsatzsteuerlehrer. Mit dem bin ich auch nach Hamburg gekommen. Aber das Jurastudium war auch nicht so meins. Autorin In Hamburg begann Katrin Seddig dann Philosophie zu studieren. O-Ton Seddig, Das war das erste Studium, das ich toll fand und wo ich mich auch wirklich wohl gefühlt habe und wo ich gemerkt habe, dass mich das auch interessiert und dass ich die Texte auch wirklich lesen will. Autorin Sie wurde schwanger und musste das Studium abbrechen. Kurz darauf bekam sie ihr zweites Kind und ihre zweite Ehe ging in die Brüche. O-Ton Seddig, Als jegliche Karrieren gescheitert sind, und ich mit den Kindern zuhause saß, da habe ich gedacht, ich muss noch mal irgendwas machen. Ich bin jetzt schon alt und muss noch mal irgendwas machen, was kein Geld kostet. Geld hatte ich ja auch nicht. Und dann habe ich eben einfach damit angefangen. Autorin Mit dem Schreiben. Abends, in ihrer kleinen Wohnung in Eilbek, wenn sie ihre Arbeit in der Kanzlei erledigt hat und die Kinder schlafen. Atmo Wasser, Möwen O-Ton Rayk Wieland, Außerhalb von Hamburg gibt es unheimlich viele Stadtteile: Barmbeck, Wandsbeck, ich weiß nicht, wie die alle heißen. Ich war in vielen noch gar nicht. Das sind alles Ausfallstraßen mit angegliederten Häusergruppen und Einkaufszentren und da ist es nicht wirklich schön und angenehm zu leben. Autorin Bereits Ende der 1990er Jahre hat Rayk Wieland zusammen mit Jürgen Roth das Buch "Öde Orte" herausgegeben, in dem Autoren wie Wiglaf Droste, Fanny Müller und Harry Rowohlt Landstriche und Stadtviertel von Aachen bis Zwickau kritisch unter die Lupe nehmen. Für den Hamburger Harry Rowohlt genügt ein kurzer Dialog, um seine Heimatstadt zu charakterisieren. Zitator "Mein Hamburg Tresennachbar: ,Du laberst ´n büschen viel. Du bist wohl nicht von hier?' Ich: ,Äh ... Doch ...'" Autorin Der Hamburger Autor Kay Sokolowsky beschreibt in "Öde Orte" seine "... Große Övelgönner Hassnacht". Zitator "Es muss sowieso mächtig was faul sein an einer Gemeinde, die sich selbst so gern auf die Schulter klopft wie diese. Die schönste, grünste, coolste will sie sein; und dann verschlägt es dich nach Wandsbek, Eppendorf, nach Hamm womöglich, und du fragst dich, warum die Stadt mit nur einer Irrenanstalt auskommt." (...) "Einige Minuten Kollektivgestöhn übers Plattdeutsche, das seinen Namen aber so was von verdient habe (Matthias); das nicht mehr zu beherrschen der größte, der alleinige Vorzug der zeitgenössischen Hamburger sei (Gert); das Gott, genau wie diese unsägliche, klägliche Stadt, in seinem Zorn erschaffen haben dürfte (ich)." Autorin Für Rayk Wieland scheint Hamburg vor allem durch die unzureichende Elbanbindung ein ziemlich öder Ort zu sein. O-Ton Rayk Wieland, Es gibt ein paar Fähren, die von Touristen oder Pendlern benutzt werden. Die Stadt wird nicht durch den Fluss geteilt. 03.15 Er spielt, außer für Spaziergänger am Wochenende, die immer den gleichen Weg in Övelgönne hoch und runter laufen mit ihren Hunden, keine Rolle. 03.28 Der Hafen ist nicht mehr in die Stadt integriert richtig. Die versuchen jetzt den Fluss etwas zurück zu gewinnen, durch den Ausbau der Speicherstadt, die jahrzehntelang unbeachtet vor sich hin rottete. Wahrscheinlich haben die Hamburger jetzt selber neu entdeckt, dass sie eigentlich an der Elbe liegen und versuchen, das zu realisieren. Atmo Schiff legt an O-Ton Seddig, Jetzt kommt das Schiff hier. Da können wir gleich rauf und dann können wir ein Stück die Elbe hochfahren. - Oder runter? Ich weiß es nicht. Autorin Die Fähre der Linie 62 fährt alle 15 Minuten vom Sandtorhöft über Landungsbrücken, Fischmarkt, Museumshafen bis nach Hamburg Finkenwerder. 30 Minuten dauert die Fahrt. Mit einem Ticket des Hamburger Verkehrsverbunds für 2 Euro 75, ist sie nicht nur preiswert. Es gibt auch viel zu sehen. O-Ton Seddig, Das ist ja da das meist umstrittene Gebäude in Hamburg: Die Elbphilharmonie. Ein Großteil der Hamburger regt sich da total drüber auf, weil die so teuer ist. Und immer teurer wird. 08.07 Da drüben ist die Hafenstraße, die bunten Häuser da drüben. Mit exklusivem Ausblick auf die Elbe und den Hafen. Ist toll ne! Atmo Schiffsansage: Nächste Station Dockland-Fischereihafen O-Ton Seddig, Wir sind hier in Neumühlen-Övelgönne in der Strandperle - die Kneipen heißen in Hamburg alle Perle, glaube ich - an der Elbe. Gegenüber liegt ein großes Containerschiff. Hier ist Strand und hier hocken im Sommer tausende junge Hamburger und grillen und trinken Bier. Ich habe hier auch schon Nächte, bis es hell wurde, am Feuer gesessen, Bier getrunken und in die Büsche gepinkelt. Autorin Neben der Strandperle in Övelgönne, gehört eine weitere Perle zu Katrin Seddigs Hamburger Lieblingsorten. O-Ton Seddig, Wir sitzen jetzt hier in der Alsterperle an der Alster. Für mich ist es nicht weit weg. Ich kann hier am Kanal gut hergehen. Die Leute, die hier sind, dass sind schon so Leute, die hier in der Nähe wohnen. Also dass ist schon so ein bisschen die Schickeria, die hier sitzt, obwohl das eher ein Imbiss ist und kein Restaurant. Aber meine Freundinnen und ich, wir kommen hier auch öfter her, weil uns das hier auch gehört. 01.09 Es ist ganz toll hier. Man kann hier auf die Altstadt gucken, man sieht die kleinen Enten und die Segelboote und die Sonne, die hier untergeht und man kann hier sitzen und Bier trinken. Und das Personal hier ist top! Autorin Die Alster wurde um 1190 aufgestaut, um eine Mühle zu betreiben. 1235 wurde ein zweiter Damm für eine weitere Mühle gebaut, der die Alsterwiesen aufgrund eines Berechnungsfehlers zum Alstersee überschwemmte. Rund um die Binnenalster liegen verschiedene Geschäftsgebäude, das Hotel "Vier Jahreszeiten, das traditionsreiche Kaufhaus Alsterhaus und der nicht minder berühmte Alsterpavillon. O-Ton Seddig, An der Alster stehen auch ganz schöne alte Häuser, die teilweise geerbt sind, in Familienbesitz sind, die wirklich schön sind. Allein das sich anzusehen macht Freude. ... Das sind fast alles weiße Villen mit ganz tollen Vorgärten, riesigen Fenstern. (...) 06.05 Ich kann es nicht von mir weisen, dass ich manchmal auch ein bisschen neidisch bin und denke, ich würde da auch gerne drin wohnen in so einer Wohnung in so einem schönen alten Haus. Man ist dann wahrscheinlich nicht glücklicher. Es ist halt nobel, es ist schön. Autorin Katrin Seddig lebt mit ihren beiden Kindern eher bescheiden in einer kleinen 3- Zimmer-Wohnung in einem der vielen Rotklinkerhäuser in Eilbek. Sie fühlt sich auch mehr zu den Charakteren ihres Romans "Runterkommen" hingezogen als zur Hamburger Schickeria. Zum Beispiel zu Dani. Zitatorin "Das Putzen ist gut. Es ist still und vernünftig. Sie saugt den Boden, leert die Papierkörbe und die Aschenbecher, wischt Fensterbretter und Schreibtische ab, und zuletzt wischt sie den Parkettboden. Auf den Schreibtischen Fotos von Familie, Freundin, Kind, Hund, Aschereste, Lochkonfetti, Ringe von einer Kaffeetasse. Sie wischt ihre Hände am Overall ab und nimmt die Sachen in die Hand. Es ist praktisch eine Sucht von ihr, immer alles ansehen und rumschnüffeln und alles in sich einsaugen." O-Ton Seddig, Dani putzt. Dani ist eine schwierige Figur. Ich kenne sie nicht persönlich, also so eine wie Dani. Aber sie kommt ja zurecht in ihrem Leben. Ich kenne persönlich Leute die putzen, also ich finde, dass das eine anständige Arbeit ist. O-Ton Michael Priebe, Fensterputzen, das ist eigentlich so eine ehrliche Arbeit, finde ich. Da kann jeder was mit anfangen: Aha, Scheibenputzen, klasse. Autorin Michael Priebe arbeitet seit 1985 als Fensterputzer. Er ist sein eigener Chef. Das ist ihm wichtig. Wie Katrin Seddig, wohnt er in Eilbek. Doch Fenster putzt er in den Villen rund um die Alster. Da kommt es vor allem auf eines an. O-Ton Michael Priebe, Diskretion. Das ist es, was wir Hamburger sehr schätzen. 07.16 Ich komme ja in alle Räumlichkeiten rein, ich kriege partiell alle möglichen Gespräche mit - ohne, dass die mich als Dienstleister wahrnehmen, weil, ich bin relativ geräuschlos. Das die sich in ihrer Privatsphäre sicher fühlen, das ist das oberste Gebot. Und das bediene ich natürlich auch sofort. O-Ton Seddig, Aber das ist doch sehr Hamburgisch, was du erzählst, mit diesem Verhältnis zu den Leuten. ER: Ich denke mal diese Verlässlichkeit. Das ist ein Wort. Man bucht, man bleibt dran, man versucht immer das Beste zu geben und dieses Understatement - man macht halt seine Arbeit... SIE: Das eine Verlässliche zieht das andere auch an und das ist schon was Hanseatisches. Autorin So wie sich in ihrem Roman sehr unterschiedliche Menschen auf ihrer Suche nach Nähe mischen, hält Katrin Seddig auch im wirklichen Leben mehr vom Miteinander als von Abgrenzung. O-Ton Seddig, Das ist so eng abgezirkelt hier in Hamburg - die, die ganz bestimmte Musik hören, die in ganz bestimmte Kneipen gehen, die sich kaum mit anderen mischen. Das ist ungesund und führt nicht dazu, dass die Leute mehr Verständnis füreinander haben. Ich glaube, den Leuten würde es besser gehen, wenn sie da ein bisschen offener wären. Atmo Akkordeon, Wasser Zitator "Dies ganze verschissene Blankeneser Elbhangpatriziat! Diese blau-blonden Weiber, die sich immer genau zwei Jahre hinter der Mode her anziehen. Moment, by the way, get ready to kotz: Jil Sander, Joop!" Autorin So Kay Sokolowsky in seinem Text "Die Große Övelgönner Hassnacht", der in dem Buch "Öde Orte" nachzulesen ist. Mitherausgeber Rayk Wieland hat Hamburg vor ein paar Jahren den Rücken gekehrt und ist aufs Land gezogen. Doch der Hamburger Schickeria kann er auch dort nicht entkommen. O-Ton Rayk Wieland, Das Problem von Hamburg ist ja, dass sehr viele von Hamburg weg wollen und sich außerhalb was suchen, um sich vor Hamburg auch vielleicht zu schützen oder zu retten. Deshalb wird das Umland immer mehr von Hamburgern besiedelt, seit Jahrzehnten geht das so. Ich bin Richtung Osten gezogen, weil die ehemalige Zonengrenze da ein Hindernis bot, das unüberwindlich schien. Seit dem aber dieses Hindernis weg ist, machen sich die Hamburger auch hinter dieser Grenze vermehrt breit und in dem sehr kleinen Dorf, in dem ich Zuflucht gefunden habe, tauchen immer mehr Hamburger auf, die da Wohnungen, Häuser mieten oder sogar bauen. Jetzt sind voriges Jahr ein paar Spinner auf eine Wiese gezogen, die dort ein riesiges Null-Energie-Haus in den Boden gerammt haben. Das ist ein Haus ohne Fenster mit Solarzellen umpanzert. Seit dem habe ich doch die große Befürchtung, dass die Null-Energie dieser Leute auf mich abstrahlt. 1