Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Freigeist und Menschenfreund Erinnerungen an Roger Willemsen Von Rosvita Krausz Produktion: DLF 2017 Redaktion: Tina Klopp/Ulrike Bajohr Erstsendung: Freitag, 12.05.2017 , 20:10-21:00 Uhr Regie: Claudia Kattanek Sprecher Sprecherin (für Zwischentexte): Claudia Matschulla Zitator (Zeitungsartikel): Andreas Lorenz Maier Zitator 2 (Zitate Willemsen): Stefan Preiss Zitatorin (Zeitungsartikel): Susanne Pätzold Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton Roger Willemsen: Und es stammt ausgerechnet von Bertolt Brecht ein Satz: die Tatsache der menschlichen Einsamkeit macht Feindschaft zum unerreichbaren Ziel. D.h. niemals können Menschen so miteinander befeindet sein, wie sie in einem kreatürlichen Sinne befreundet sein müssen. Aus dem einzigen Grunde, weil sie in ihrer Einsamkeit Monaden sind, die in jedem Akt des Liebens, Glaubens, Fürchtens, Begehrens, Brücken schlagen und dann damit versuchen diesen Kokon, diese Monade, in irgendeiner Weise zu sprengen und Kommunikation herzustellen. Aber nicht damit habe ich anfangen wollen, sondern das war eine art captatio benevolentiae. Ich wollte Ihr Wohlwollen dadurch erringen, indem ich sage, wie wichtig Sie sind. O-Ton Ezzelino von Wedel: Roger Willemsen hat mit bekommen, dass die Menschen ihn maßlos beneideten, dass er den meisten seiner Kollegen ziemlich überlegen war. Natürlich ist das ein unglaublicher Kitzel, eine Welle, die einen einfach hoch und höher trägt. Und das ist auch eine große Gefahr. Ich finde, er hat sie durch seine Liebenswürdigkeit gemildert und hat den Leuten ja nicht zu verstehen gegeben, ihr seid so unter mir, wer seid ihr denn überhaupt, ich bin doch hier der Roger Willemsen. Das hat er Gott sei Dank nicht gemacht. Dazu war er erstens zu intelligent und zweitens auch zu liebenswürdig. Akzent Ansage: Freigeist und Menschenfreund. Erinnerungen an Roger Willemsen von Rosvita Krausz Sprecherin: Roger Willemsen, Essayist, Moderator, Filmemacher, geboren 1955 in Bonn, begann in den späten 70er Jahren seine Karriere als Nachtwächter, Reiseleiter und Museumswärter. Dem promovierten Germanisten, Philosophen und Kunsthistoriker hätte auch eine akademische Laufbahn offen gestanden. Doch Willemsen suchte den Kontakt mit der Welt und den Menschen, die unmittelbare sinnliche Begegnung mit Kunst und Kultur. O-Ton Nils Minkmar: Roger Willemsen war das Gegenteil eines Spießers. Sprecher: Nils Minkmar, Publizist. Von 1997 bis 98 Redakteur in Willemsens Produktionsfirma Noa-Noa. O-Ton Nils Minkmar: Er war ein Libertär, der alle Grenzen austestete. Der gerne reiste, experimentierte, alle möglichen Drogen versucht hat, der Lebensformen interessant fand, die eben überhaupt nicht ins übliche Raster fallen. Der einen schönen Film gemacht hat für ARTE über die Bordelle der Welt, ein ganz unvoyeuristischer Film, ganz zurückhaltend mit viel Respekt für die dort arbeitenden Frauen, auch viel Humor. Und ihm war wirklich nichts Menschliches fremd. O-Ton Oliver Herrgesell: Er war ein Erforscher des Menschlichen und er wollte aufklären ohne Zeigefinger und das ist ihm, glaube ich, auch ganz gut gelungen. Er hatte einfach Möglichkeiten, Menschen kennen zu lernen und anderen Menschen diese Menschen zu vermitteln, das war das, was ihn meiner Ansicht nach bewegt hat. Damit kam dann natürlich auch eine gewisse Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit Aber er ist dem nie verfallen. Sprecherin: Oliver Herrgesell, Publizist. In den 90er Jahren Redakteur der Talksendung 0 1 3 7. Später Redakteur der WOCHE. O-Ton Oliver Herrgesell: Er war ein Glückskind und vieles, was er, wirklich sehr vieles, was er angefasst hat, aus dem wurde was ganz Tolles. Erstmal wurde er ein so ausgezeichneter Interviewer, der dann auch noch die Anerkennung der gesamten Branche bekommen hat und dann wurde er Bestseller-Autor. Das reicht schon für ein Leben erstmal. Sprecherin: Roger Willemsen, wurde in den 90iger Jahren mit der ZDF Talkshow "Willemsens Woche" bekannt. Seine eigentliche Berufung aber war das Schreiben. O-Ton Manfred Bissinger: Er hatte, das war Grundsatz unseres Vertrages, die absolute Freiheit und die Redaktion hatte kein Recht, in seine Texte hinein zu redigieren, oder sie nicht zu drucken. Sprecherin: Manfred Bissinger, Publizist. 1993 bis 2002 Geschäftsführer, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung DIE WOCHE, für die Willemsen eine regelmäßige Kolumne schrieb. O-Ton Manfred Bissinger: Das war auch gerne garantiert, und in der Regel haben wir sehr gut davon gelebt. Wir haben uns gebrüstet mit ihm, dass er solche Sachen machte und wenn man manchmal das Gefühl hatte, er ist zu weit gegangen und hinterher mit Lob vollgeschüttet wurde, dann hat man innerlich immer gedacht, da kannst du mal sehen, wie klein du bist. Und wie wenig du wie Willemsen bist. Der ist eben mutig und kompromisslos. O-Ton Jan Willemsen: Er hatte ein großes Selbstvertrauen in sich und da hat er keine Scheu gekannt und auch keine falsche Rücksicht genommen. Sprecherin: Jan Willemsen, Bruder von Roger Willemsen. O-Ton Jan Willemsen: Stichwort Freigeist. Es ist charakteristisch für ihn, dass er sich schon Dinge auch getraut hat eben.... O-Ton Manfred Bissinger: 2-3-mal war er so wüst in seiner Ausdrucksweise, dass ich das Gefühl hatte, ich muss ihn vor sich selber schützen und ihn dann angerufen hab und gefragt hab: haben Sie sich das wirklich überlegt, was Sie da geschrieben haben? Wenn ich ihm gesagt hätte, pass auf mein Lieber, wir drucken die Kolumne nicht, dann hätte er keine zweite mehr geschrieben. Er hätte sich nie einschränken lassen. O-Ton Nils Minkmar: Ich hab das mal erlebt, wo er eine Anfrage bekam für so einen Rüstungskonzern - irgendeine große Firma, die mit einem Rüstungskonzern zusammenhing - er sollte eine Gala moderieren und für den Abend sollte es ein Honorar geben: 100 000 DM. Also 50 000 Euro. Eine unvorstellbare Summe für einen Abend. Und das hatte er innerhalb von zwei Sekunden abgelehnt: hat er gemeint: ne, ne, das ist Rüstung, mach ich nicht. Wo wir alle sagten: Roger, ist doch ganz schön viel Geld. Ne, ne, kommt nicht in Frage. Zitatorin: Er hat in dieser viel zu kurzen Zeit, die sein Leben war, mindestens sieben Leben gelebt. Er war überall gleichzeitig. 2.000 Interviews, 36 Bücher, Hunderte von Fernsehsendungen, Rundfunkarbeiten, unzählige Hörbücher, Zeitungsartikel, Drehbücher, Regiearbeiten, Lehraufträge, Reden, Reisen. Alles im Übermaß. Woher er den unerschöpflichen Brennstoff für all das bezog, werden wir jetzt nie mehr erfahren. Schon als Kind wünschte er sich "raus in die Welt und raus aus der Welt". Sprecherin: Schreibt Iris Radisch in ihrem Nachruf über Roger Willemsen: O-Ton Roger Willemsen: Ich danke für den sehr freundlichen Empfang. Für die außerordentliche Auftrittsmusik, die das schönste ist, was ich seit langem gehört habe. Sprecherin: Willemsen 2014 auf einem Kongress, veranstaltet vom Bundesverband deutscher Pressesprecher. O-Ton Roger Willemsen: Ich habe höchsten Respekt vor Ihnen allen, vor Ihrer dienenden, weniger dienenden, vor Ihrer latenten und subversiven und immer akut sich manifestierenden..., das sage ich vorab, weil Sie diesen Kongress auch ausgerechnet mit dem Begriff des Streitens beginnen wollen. Und dann noch sagen: die Kunst des Streitens. Die einzige Zusammenführung von Kunst und Streit, die mir einfällt, ist die Aussage von Jean Cocteau: Picassos Malerei sei gemalter Ehekrach. Und sonst fürchte ich, gibt es so furchtbar viel Kunst im Streit nicht. Aber wenn sie mich schon fragen... Da fällt mir als erstes in der Kunst der Musiker Arnold Schönberg ein, ein garstiger Mann, der eines Tages mit einem jungen Mann über Kunst stritt und im Verlaufe des Gespräches sagte der junge Mann unvorsichtigerweise: das kann ich beweisen! Und daraufhin sagte Schönberg: in der Kunst kann man gar nichts beweisen und dann machte er eine Pause. Und wenn, dann nicht Sie. (Gelächter) O-Ton Werner Köhler: Am Anfang immer macht er seine Witzchen mit dem Publikum. Dann nimmt er es ein für sich. Ist wahnsinnig charmant. Also charmant bleibt er den ganzen Abend. Dann geht er so langsam, langsam, in die ernsten Dinge über. Er weiß genau, wie man das Publikum bekommt, wie man es catched. Und dann konnte er eben die schwierigsten Themen servieren. O-Ton Nils Minkmar: Wenn Roger auf der Bühne war, dann vollzog sich immer ein Phänomen, das hab ich oft beobachtet: Alle Leute im Saal wünschten sich, so zu sein wie er. .... Er war weltgewandt, er war wahnsinnig schlagfertig. Zugleich war er irgendwie links auf eine unbedrohliche Art und Weise, aber eben auch nett und auch ein Gastgeber. Er wollte, dass sich die Leute wohlfühlen. Dass sie was mitnehmen nach Hause und ich glaube, dieses Phänomen hat er dann auch gesucht. Und dann die Möglichkeit, das eben auch wieder zu beenden. Dass er jetzt nicht mit den Leuten irgendwie - der Bürgerinitiative, die agitiert für irgendwas, dann ewig mit denen zu tun hat. Sondern dass der Abend dann auch endet. O-Ton Insa Wilke: Ich saß manchmal im Publikum. Sprecherin: Insa Wilke, Herausgeberin von "Der leidenschaftliche Zeitgenosse - Roger Willemsen" O-Ton Insa Wilke: Und dann hört man ja ein bisschen neben sich, was die Leute reden und ganz oft habe ich gehört: wie der das macht, dass der die Sätze so zu Ende bringt! Weil man ja immer dachte, jetzt fängt er mit dem Satz an und dann geht der weiter und weiter und man rechnet dann damit: jetzt schafft er den aber nicht weiter zum Punkt zu bringen und er schaffte es eben immer. O-Ton Roger Willemsen: Jetzt ist es Zeit zu sagen, wie wichtig die Kulturgeschichte ist und ich möchte gern tatsächlich ein wenig rhapsodisch und nur mit einzelnen Bemerkungen, denn ich weiß, Sie sind formal nicht so festgelegt , ja hat man mir gesagt, Sie seien so ein bisschen pfadfinderisch und ich dürfte viel. Man hat mir sogar die Krawatte ausreden wollen und wie sagt ein Gangster in einem französischen Film? Eine Krawatte ist ein Reisepass für Arschlöcher. Das war mein Beitrag zur Vulgärkommunikation.505 (Kongress für Pressesprecher) (endet mit Gelächter) Akzent: O-Ton Dietrich Leder: Wir hatten in dieser Zeit ein gemeinsames Filmprojekt und erste Schritte waren getan und eines Tages klingelt das Telefon und Roger ist am Apparat und sagt, Dietrich, ich muss aussteigen aus dem Projekt. Sprecherin: Dietrich Leder, damals, 1991, Kollege von Willemsen, heute Professor für Fernsehen/Film an der Kunsthochschule für Medien Köln. O-Ton Dietrich Leder: Ich sage: hast du einen Job, hast du was Vernünftiges gefunden? Ja, sagt er: ich mach Fernsehen Da hab ich angefangen zu kichern. Ich sagte zu Roger: das Fernsehen ist ein Querformat. Du bist als Typus ein Hochformat, das passt schon nicht. D.h. also um dich herum wird dann immer viel leer sein auf einem Fernsehbild. Und das zweite ist, du hast eine Pieps Stimme. //Du machst Fernsehen? Ja! Und zwar hab ich ein Casting gemacht, ein umfangreiches Casting bei einer neuen Sendung des gerade beginnenden Pay-TV-Senders Premiere. Die Sendung heißt 0 1 3 7. O-Ton Roger: Guten Abend bei 0 1 3 7 Spezial. Wir zeigen Ihnen in der nächsten Dreiviertelstunde das erste und vermutlich auch letzte deutsche Fernsehinterview mit den drei RAF-Häftlingen aus der Strafjustizvollzugsanstalt in Celle. Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Knut Folkerts . O-Ton Werner Köhler: Ich bin ja darauf gestoßen das erste Mal, als er 0 1 3 7 machte. Damals für Premiere Sprecherin: Werner Köhler, Leiter des Literaturfestivals LitCologne. O-Ton Werner Köhler: Und das war einfach eine Form des Interviews, die ich bis dato noch nicht gesehen hatte. Und danach Willemsens Woche, das gehörte für mich zum absoluten Pflichtprogramm. Ich hätte alles andere stehen und liegen lassen, um diese Sendungen zu sehen. Das war einfach ganz großes, wie er immer sagte, Herrentennis. Man sah doch zum ersten Mal im Fernsehen, dass man sich auf einem guten Niveau unterhalten lassen kann. Und dafür stand er eben auch immer. Und das war ein ganz großes Verdienst. Sprecherin: 27. Januar 1995, Willemsens Woche. Interview mit dem Focus-Herausgeber Helmut Markwort. O-Ton Roger Willemsen/Markwort: R.W.: Wir gehen noch ein paar Stationen durch. Als es bei Höchst Chemie-Unfälle gegeben hat, da haben Sie erst ab dem 9. Unfall darüber berichtet. Es hat aber schon sehr früh eine ganzseitige Anzeige von Höchst bei FOCUS gegeben. Warum wurden da 8 Unfälle, darunter der schlimmste am 22.2. nicht erwähnt? H.M.: Wir haben ausführlich über Höchst berichtet R.W.: Sehr spät...Richtig ist, dass sie einen Monat zu spät... H.M.: und es gehört zum Schicksal eines Nachrichtenmagazins, dass man Anzeigen gewinnt oder verliert. Wir haben jetzt die Telekom-Affäre aufgedeckt. R.W.: Also in dem Fall war die Mark wichtiger als das Wort? H.M.: Nein, das ist witzig, aber falsch R.W.: Ich sag ja bei uns immer: recherchieren, recherchieren, recherchieren Fakten, Fakten, Fakten. Einen Monat zu spät kam das! H.M.: Nein das stimmt nicht. R.W.: Das stimmt. Ich schwörs Ihnen (Klatschen) O-Ton Nils Minkmar: Willemsen verstand seine Talkshowarbeit immer als Mischung aus Varieté und Subversion. Es lag ihm immer daran, Menschen vor die Kamera zu bringen, die erheitern, amüsieren, aber auch verstören. Aber auch den Kreis des Möglichen erweitern. Er hatte ja Michel Petrucciani in der Sendung, Der war ja kaum 90 cm groß und war eine besondere Erscheinung. Und solche Figuren hatte er immer wieder zu Gast. Die eine ganz besondere Geschichte haben und die ein bisschen sprengen die Grenzen des Üblichen, was man im Fernsehen sagen darf und was nicht O-Ton Birte Edye: Das Verstörende, diese menschlichen Grenzen, die ihn interessierten, die Abgründe von Menschen, vielleicht auch die Konfrontation mit verstörenden Anblicken. Deshalb vielleicht die Passion für Michel Petrucciani. Sprecherin: Birthe Edye, Redakteurin in Willemsens Produktionsfirma Noa-Noa. O-Ton Birte Edye: Und die hatten auch ein sehr männliches Verhältnis, die haben dann schmutzige Witze gerissen, die haben rumgealbert. Das war sehr ausgelassen immer dieses Verhältnis. Und das war für Roger auch wichtig in der Sendung, dass auch der da war, wieder einer aus der Familie sozusagen, der ihm Sicherheit gab und mit dem er spielen konnte, mit dem er Blicke tauschen konnte, mit dem er albern konnte, mit dem er lustig sein konnte. Das war wie so ein ruhender Pol in dieser Sendung. O-Ton Nils Minkmar: Willemsen hat ja auch einmal die Mutter der Terroristin Birgid Hogefeld in der Sendung und hat die interviewt zu den Haftbedingungen ihrer Tochter. Er hat sich da immer was überlegt und immer versucht, so ein bisschen das Fernsehen ernst zu nehmen in dem Sinne auch, dass die wirklich was lernen sollten und wirklich was haben sollten von ihrem Fernsehabend. O-Ton Manfred Bissinger: Willemsen hatte, und das hab ich nie vorher und nie nachher bei jemandem erlebt, er hatte eine unglaubliche Gabe, auf Menschen einzugehen. Und mit Menschen eine Einheit herzustellen. O-Ton Werner Köhler: Man hatte immer das Gefühl, im Moment bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der für ihn zählt. Und das waren nicht nur die da oben. Im Gegenteil. Der hat scharenweise Hotelbesatzungen um den Finger gewickelt. Die haben ihm aus der Hand gefressen. Weil der halt zu jedem charmant ist. Vom Zimmermädchen bis zum Direktor. Aber lieber beim Zimmermädchen. Und er hat mir damals kurz bevor er starb noch gesagt: "Mir ist wichtig, dass in der ersten Reihe bei der Beerdigung mein Postbote sitzt. Dem würde ich einen Platz freihalten. Den anderen nicht." So. Der war den Menschen sehr, sehr, zugetan. ..und das haben halt unsere Praktikantinnen manchmal auf falsch verstanden. Da waren viele in ihn verliebt. Akzent Zitatorin: Natürlich war er ein Fernseh-Wunder - der einzige Feuilletonist in der Primetime. Am Ende, nachdem er vor der Kamera eigentlich alles erreicht hatte, was ein öffentlicher Intellektueller erreichen kann, war ihm der Preis dafür zu hoch. Sprecherin: Iris Radisch, Leiterin des ZEIT-Feuilletons in ihrem Nachruf. Zitatorin: Er beendete, was er später seine "Medienpubertät" nannte, und begann ein Wandertheaterleben. Für jedes seiner Bücher entwickelte er ein eigenes Bühnenprogramm, war Autor, Regisseur, Produktionsfirma und Schauspieler seines Lebenswerks und blieb für den Rest seiner Tage der brillante Einzelgänger, der er am liebsten und von Anfang an war: ein Autonomer und Selbstversorger auf der Sonnenseite der Kreativindustrie. O-Ton Werner Köhler: Ich glaube glücklich, richtig glücklich, wurde er erst, als er keinen Sendechef mehr hatte, als er sozusagen sein eigener Unternehmer war. Also die letzten 25 Jahre, das waren seine glücklichen Jahre. Das andere hat er sicher gerne gemacht, aber das war mehr so ein Aufgalopp glaube ich für ihn, obwohl wir das sehr schätzten. Aber da wollte er nicht hin. Das was er zum Schluss gemacht hat, da wollte er hin. O-Ton Dietrich Leder: Er hat allerdings dann in dem Moment, als er immer bekannter wurde, ja das auch genutzt, sehr viel zu publizieren. Diese Glossen, die er geschrieben hat. Ab dem Punkt wird man gefragt. O-Ton Insa Wilke: Wenn ich ihn gefragt habe, als was er selbst sich sieht, dann hat er immer Schriftsteller gesagt... Also das Schreiben war immer da und das Schreiben ist auch die Form, Gedanken zu formulieren und die Form die Welt wahrzunehmen. Das wirkt ja wie ein Filter, durch die dann die Welt geht und das war enorm wichtig für ihn. O-Ton Dietrich Leder: Diese Sprünge wie das Pferd im Schach, nicht nur zwei Schritte vorwärts, sondern auch um die Ecke springen, das ist sehr besonders bei ihm. Wie er z.B. das Buch über den Bundestag geschrieben hat. / Da war wieder die Neugier auf das Fremde. Der saß als Ethnograph da drin, so wie er, was weiß ich, in fremden Kontinenten merkwürdige Essgewohnheiten bestaunt hatte, oder mit der Affenforscherin geredet hat. Und jetzt saß der da im Bundestag und bestaunte die Riten und Gebräuche dieser Eingeborenen, dieser Berliner Republik. Und das ist auch so wieder ein Pferdsprung. Zitator 2: Montag, 31. Dezember, Neujahrsansprache. Sprecherin: Roger Willemsen in seinem Buch "Das hohe Haus" über Angela Merkel. Zitator 2: Da sitzen wir, einander gegenüber, nur wir beide, sie und ich, getrennt durch eine Glasscheibe. ...Ich suche in ihrem Gesicht, in ihren Gesten, die sie so gern im Scharnier der Raute einrasten lässt. Wer wollte sie sein, als sie sich zum heutigen Anlass für diese futuristische Silberweste entschied? Steif und fern, wie sie da sitzt, wirkt sie nicht, als müsse sie mir dringend etwas sagen. Eine Mediengesellschaft sollen wir sein, wählen Menschen mit dem Privileg, zum Volk zu reden - und dann reden sie so? Vielleicht ist es umgekehrt: Wer an der Macht nicht auffällt und sich mit dem Volk auf Gemeinplätzen verabredet, kann immer weiter herrschen. (Aus: Das Hohe Haus) O-Ton Jürgen Hosemann: Seine Bücher haben ihm alles bedeutet. Er war diese Bücher. Er hat die nicht nur geschrieben. Er hat sie verkörpert. Er hat sie gelebt. Was sich besonders zeigte, wenn er aufgetreten ist. Die Bühne war die Verlängerung seines Schreibtisches. Sprecherin: Jürgen Hosemann, Lektor. S.Fischer Verlag. O-Ton Jürgen Hosemann: Er war ein essayistischer Mensch. Er war ein Mensch der Episoden. Er hatte keinen großen Lebensbogen. Er hatte das Facettierte, das Vielfältige, das Gebrochene, Gesplitterte. Er war überall. Das war sein Leben. Das war seine Persönlichkeit. Er hatte eine essayistische Persönlichkeit. Und so schrieb er auch. Er hatte keine Romanpersönlichkeit. Er war kein Balzac. Er hat unsere Zeit anders einfangen wollen und können. In 1000 Facetten. Nicht im großen Erzählbogen. Akzent Zitatorin: Er war getrieben von einem Hunger nach Leben und einer Lust, aus dem Leben zu verschwinden. Er wollte im Mittelpunkt stehen und ans Ende der Welt abhauen. Das unergründlich Gehetzte seiner Auftritte mag damit zusammenhängen, dass er alles gleichzeitig sein wollte. (Iris Radisch, ZEIT) O-Ton Werner Köhler: Ich würde denken, dass er in jedem Fall applausabhängig war. Das war mehr als des Künstlers Brot. Denn er ist ja auf den kleinsten Dörfern aufgetreten. Einfach, weil er so nette Einladungen bekam. Manchmal rief er dann an und sagte, weißt du, wo ich bin? Ich bin da und da. Was machst du denn da? Ja, ich hab da irgendwann mal eine Einladung angenommen. Es war so kompliziert jetzt, hier hin zu kommen. Warum machst du das denn? Ja... Am nächsten Tag sagt er dann: Die waren so nett. Die waren alle so wunderbar hier. So war er halt. O-Ton Oliver Vogel: Es gibt ja diese Behauptung, dass man acht Stunden schlafen müsste am Tag, um halbwegs fit zu sein. Sprecherin: Oliver Vogel, Fischer-Verlag. Programmleiter für deutschsprachige Literatur. O-Ton Oliver Vogel: Roger, glaube ich, hat vier Stunden geschlafen. Der war morgens, ich glaube um fünf oder um sechs am Schreibtisch. Man war abends mit ihm weg, abends um eins zu Hause, um fünf hat er einem schon eine Mail geschrieben. Das hat ihm auch gereicht. Das hat ihm gereicht an Schlaf. O-Ton Jörg Bong: Der war manisch, einfach monomanisch, multipel manisch. Alles, besessen. Sprecherin: Jörg Bong, Leiter der Fischer-Verlage. O-Ton Jörg Bong: Der hat sich verausgabt in der Auseinandersetzung mit der Welt, den Menschen, den Dingen hat er sich verausgabt vollkommen. Der konnte nicht anders, das war konstitutionell und Überzeugung. Das war das Phänomen. mit der schier endlosen Energie. Auch da berserkerhaft. Energie, der gewann in der Veräußerung, in der Entäußerung gewann der Energie. Unfasslich. O-Ton Oliver Herrgesell: Er hat gerne gearbeitet. Die Arbeit hat ihm Spaß gemacht. Wir hatten auch mal eine Unterhaltung darüber; und er tourte gerade mit einem Buch und sagte: die Freiheit könnte nicht größer sein, ich bin beschenkt. Er hat das genossen, was er gemacht hat. Er mochte das. Sprecherin: Lesung zur Weltgeschichte der Lüge" bei der Literaturveranstaltung "Lesen ohne Atomstrom" . O-Ton Roger Willemsen und Dieter Hildebrandt bei einer Lesung (Musik) F.W.: Meine sehr verehrten Damen und Herren D.H.: Lüge! R.W.: Ich freue mich sehr... D.H.: Lüge! R.W.: Also gut, es ist mir ein Vergnügen. D.H.: Eine Heidenarbeit ist es, eine Maloche ist es. R.W.: Jetzt hören Sie mal auf. Was ist denn los mit ihnen. Ist ja furchtbar. O-Ton Nils Minkmar: Die letzten Jahre hatte er immer 250 Auftritte im Jahr z.T., d.h. da packen Sie den Koffer gar nicht mehr aus. Da ist jeden Tag irgendwas. Und ich hätte mir auch vorstellen können, dass er irgendwie an einem Ort mal etwas sesshafter oder glücklicher ist oder ausgeglichener als immer on the road, aber vielleicht war's auch das Richtige für ihn. Akzent: O-Ton Werner Köhler: Das Bad in der Menge nach den Auftritten, bei den Signierstunden, das hat er genossen. Das war angenehm für ihn. Weil er gerne Kontakt zu seinen Lesern hatte, überhaupt gern Kontakt zu seinen Menschen hatte hat. O-Ton Oliver Vogel: Er hat Messen geliebt. Er war bei jeder Buchmesse und er war bei jeder Buchmesse eine Woche und zwar den ganzen Tag. Er hat immer mit allen geredet, die ihn angesprochen haben, er hat sich immer Zeit genommen für die Leute, weil es ihn wirklich interessiert hat. O-Ton Jürgen Hosemann: Er wollte mit seinen Büchern Menschen verändern. Da bin ich sehr sicher. Er hat gesagt, wichtig ist nicht das Hervorgebrachte, nicht das Werk. Wichtig ist das Hervorbringende. ...Wirkung war so gesehen alles für ihn. Akzent: O-Ton Oliver Vogel: Roger hat sich immer verbunden gefühlt mit der Welt. Und er hat nicht weggeguckt. Er hat das nicht abgespalten. Er hat es wahrgenommen, was da passiert ist. D.h. was er gemacht hat an Hilfen, in erster Linie ja dem afghanischen Frauenverein, lange auch für Amnesty, aber der Afghanische Frauenverein das dürfte für ihn das Wichtigste gewesen sein in seiner Arbeit, da hat er einfach gewusst, wovon der redet. Worum es da geht in Afghanistan. O-Ton Jan Willemsen: Ich weiß noch aus meiner Kindheit, da gab es so eine Organisation in Afrika, die so eine Art Patenschaft für afrikanische Kinder vermittelte und da hat er von seinem Taschengeld eine Summe mobilisiert, Sprecherin: Jan Willemsen, Bruder von Roger Willemsen. O-Ton Jan Willemsen: und bekam dann so eine Art Foto mit dem Patenkind, das er adoptiert hatte, ich weiß nicht mehr aus welchem Land, ich meine mich zu erinnern, dass das Patenkind auf Englisch dann einmal geschrieben hätte. Das war von Anfang an so. Ansonsten weiß man ja, dass er für viele Nicht-Regierungs-Organisationen sowohl gespendet als auch sich aktiv eingesetzt hat. Vor allen Dingen Afghanistan. O-Ton Oliver Vogel: Er hat einen ganz großen Teil seiner Einnahmen dem afghanischen Frauenverein gegeben, die in Afghanistan Schulen gründen, Mädchenschulen und die Brunnen bohren, was unendlich wichtig ist grade in der Situation, in der dieses Land seit 30 Jahren ist. Er ist nach Afghanistan gereist auch in Zeiten, in denen es gefährlich war, inkognito, anonym mehr oder weniger. Nicht mit der Bundeswehr, nicht in ein Bundeswehrlager und nicht geschützt in einem Panzerwagen, sondern mit seiner Freundin Nadia Nashir, die den afghanischen Frauenverein macht und als Privatmann. O-Ton Nadia Nashir: Er war furchtlos.Er nahm alles mit Freude, Begeisterung, Enthusiasmus Nichts hat ihn gestört, weder Staub noch Schmutz, noch Dreck, noch kritische Situationen. Im Gegenteil. Sprecherin: Nadia Nashir, exil-afghanische Entwicklungshelferin. O-Ton Nadia Nashir: Roger war ein ganz besonderer Mensch als Reisegefährte, er konnte unheimlich viel vertragen auch was Strapazen anging. Weil grade in Afghanistan zu reisen, es ist ja nicht einfach, es ist ein sehr strapaziöses, schwieriges Land. Man weiß ja nicht, was am nächsten Tag auch passiert, oder wo man hingeht, das hat er so hingenommen. Seine große Leidenschaft waren die Menschen, in seiner Gegenwart sind Menschen aufgeblüht. Er hat ihnen sehr viel gegeben. Er hatte immer was er getan hat, versprochen hat, hat er immer in die Tat umgesetzt. Er war in dem Turkmenendorf in Tschalisch gewesen, im Norden in Kunduz vor vielen Jahren, wo er den Dorfältesten und den Dorfbewohnern versprochen hat für sie Brunnen zu bohren und daraufhin startete er auch dieses Projekt neben vielen anderen Projekten. 2.21 Er alleine hat über 100 Brunnen dem afghanischen Frauenverein gespendet, darüber hinaus überzeugte er auch seine Freunde, seine Bekannten. Die haben seine Projekte auch unterstützt und gespendet. O-Ton Jörg Bong: Auch da hat er sich vollkommen verausgabt für. Und er hat ja auch bei uns bei manchen Büchern Teile und bei einem Buch oder zweien sein gesamtes Honorar abgetreten an den afghanischen Frauenverein. Das muss man mit ins Zentrum stellen, wenn man Roger betrachtet. Dieses Engagement. Akzent O-Ton Werner Köhler: Was er nie gemacht hat war das, was wir unter Urlaub verstehen. Er war wirklich ein Reisender, kein urlaubender Mensch. Er hat aber sein ganzes Leben als Geschenk betrachtet. Insofern war das nicht notwendig, Pausen von einem Geschenk zu machen. Er wollte einfach immer noch mehr Geschenke. Das war's eher. Dieses Permanente, diesen Kick eben zu haben. Routine, das passte nicht zu ihm. O-Ton Ezzelino von Wedel: Wenn ein Mensch wie er sich auf schwierige Reisen begibt, lebensgefährliche Situationen in Kauf nimmt, das ist wahnsinnig belebend. Sprecherin: Ezzelino von Wedel. In den 80iger Jahren Willemsens Redakteur bei Radio Bremen. O-Ton Ezzelino von Wedel: Er war in der Hinsicht ein absoluter Abenteurer, ein intellektueller Abenteurer, aber auch ein realer Abenteurer. Ich glaube er brauchte das so, wie viele Leute abends ab 18 Uhr einen Gin oder Whisky brauchen, nur dass er nicht zur Flasche gegriffen hat, sondern zu real gefährlichen Situationen. O-Ton Roger Willemsen: Dem Nordpol entgegen. Auf die eisfreien Wasserflächen zeichnet der Wind immer neue Strukturen, in denen Kristallbrocken sitzen. Erstarrtes Magma aus Frost. An diesem Morgen öffne ich das Fenster und eine Eisscholle treibt vorbei auf der ganz deutlich der Fußabdruck eines Menschen zu erkennen ist. Das Fragment einer Schrittfolge, die irgendwann in der Zeit verschwand. Wir befahren das Land, in dem sich die Spur so vieler verliert. Wie viele Forscher und Extremisten, wie viele unbekannte Fischer und Tran Kocher, die auf Schollen davondrifteten in ihrem Verschwinden allenfalls von einem Handelsregister erfasst. Diese geisterhafte Fußspur ist ihre Signatur. (CD In aller Stille,Take 18) Sprecherin: Roger Willemsen in seinem Hörbuch Die Enden der Welt. Zitatorin: Im Nachhinein könnte man sagen: Er hat es immer so eilig gehabt. Sprecherin: Noch einmal Iris Radisch in ihrem Nachruf: Zitatorin: Er ist durch sein Leben gerannt, atemlos, begeistert, süchtig nach Erfahrung.... Immer habe ich in ihm vor allem einen gesehen, der ein Buch schreiben wollte. Und dem kein Weg dahin zu beschwerlich war, führte er auch quer durch Afghanistan oder Tonga, zu indischen Eunuchen und indonesischen Blutegelforschern. Sein ganzes Leben und beinahe jeder Tag dieses Lebens, jeder Augenblick war ein riesiges Delta, das einmündete in einen Text. Neunzehn Länder in vier Wochen, das war in etwa sein Maßstab - für einen einzigen Artikel. Das Tempo war unfassbar. Akzent O-Ton Nils Minkmar: Eine seiner Lieblingsgeschichten ist, wie er mal, um eine Auszeit zu nehmen in London, in einem der sehr teuren Hotels dort war, um mal ein paar Tage zu entspannen und sich dann im Bett einen Joint gebaut hat und den schön genossen und gedreht hat und dann hat er den Feuermelder ausgelöst und plötzlich ging diese Berieselungsanlage los. Und dann kamen dann zwei Servicekräfte und haben dann eine Bank übers Bett geschoben und haben oben drüber diesen Rauch weggewedelt und er hat im Bett weitergeraucht. Hat er sich totgelacht, fand er eine super Anekdote. O-Ton Ezzelino von Wedel: Dass Roger Willemsen gekifft hat, daraus ja auch keinen Hehl gemacht hat, das hätte man eigentlich immer schon vermuten können. Er war auch, wenn er nicht gekifft hat, er trat auf wie ein Bekiffter. Also ich glaube, das war das Rauschmittel, das am besten zu seiner Persönlichkeit passte. O-Ton Nils Minkmar: Roger hat ja kein Geheimnis draus gemacht, dass er da für die Legalisierung weicher Drogen eintritt immer und hat das auch heftig praktiziert. Es kam dann immer auch ein Kollege in die Redaktion, der ihm diese Sachen gebracht hat, und da war er auch ein bisschen stolz, dass er den kleinen Gesetzesübertritt da immer pflegt und praktiziert. O-Ton Ezzelino von Wedel: Wenn man bekifft ist, hat man einen anderen Blick auf die Welt, und das hatte er ja auch. Er hatte ja nicht diesen von Nützlichkeit, von Zweckdienlichkeit, von Absichten verwirklichen, diesen Blick hatte er ja nicht auf die Welt, sondern hat die Welt angesehen wie jemand, der über sie staunt, der sie verstehen möchte und der immer wieder fasziniert ist von ihrer Unbegreiflichkeit von ihren vielen verlockenden Möglichkeiten. Und aber so trat er ja auch auf, wie jemand, der wie ein Kind staunte und fasziniert war von der Welt. O-Ton Nils Minkmar: Er war jetzt nicht so ein Genie zum Hinhängen im Ölgemälde. Sondern er hatte auch immer was Verstörendes. Er hatte dann immer seine Neigung zur Pornographie und dann ging er dann über den Kiez und sagte: Mensch, gestern war ich auf dem Kiez und da hab ich so einen abgerockten Sexshop im Untergeschoss gesehen. Da bin ich natürlich sofort rein. Das war die letzte Schmuddel-Bude. Und was sagt der Typ hinterm Tresen? Dich kenn ich doch vom Fernsehen! Über sowas hat er sich totgelacht, über solche Anekdoten... Akzent: O-Ton Dietrich Leder: Für mich war er immer auch ein Erotomane, der den Aufstieg im Fernsehen auch nutzte, um beispielsweise mit all den schönsten Frauen dieser Welt zusammen zu sein. Und da erinnere ich manche Situation, wo ich dann dachte: bisschen ist das renommistisch. Da lebt einer einen Pubertätstraum. O-Ton Birte Edye: Es gibt einen dicken Bildband und da sind die ganzen Prominenten, die in der Sendung zu Gast waren, abgebildet und da sind eben wunderschöne Frauen dabei wie Nadja Auermann, Eva Herzegova. Barbara Auer. Iris Berben. Auf der Titelseite des Bildbandes, da ist er abgebildet zusammen mit dem Model Eva Herzegova und er flirtet sie an, er schmunzelt ihr zu, er blickt sie an, er hat seine Hand ... er ist auch immer ein sehr körperlicher Mensch gewesen, er hat einen immer angefasst, umarmt, sehr fest umarmt, weil er ja auch sehr groß war, ist das immer sehr intensiv gewesen als Berührung. Ja, er ist ein sehr naher Mensch einfach, er ist den Menschen sowohl körperlich als auch im Geist sehr nah gekommen, weil er so reingekrochen ist mit den Fragen in die Menschen. O-Ton Oliver Herrgesell: Ich hab seine Wirkung auf Frauen immer mit Faszination beobachtet. Ich glaube, das stärkste Beispiel war Silvia Christel, die Emanuelle-Darstellerin, die saß im Studio und was sich da zwischen den beiden abgespielt hat, das war unglaublich und Silvia Christel ist eine erotische Phantasie für eine ganze Generation gewesen und nun hing sie an den Lippen von Roger und ich glaube, es kam dann auch noch zu einer "Nachbesprechung" und das war typisch für ihn. Viele bewunderten ihn. Auch Frauen. Zitator: Seit Jahren gilt der Talkmaster Roger Willemsen als Vorzeige-Intellektueller des deutschen Fernsehens. Doch aus dem unkonventionellen Interviewer ist ein beflissener Snob geworden: Der TV-Primus pflegt die geschwätzige Selbstbespiegelung. Sprecherin: Reinhard Mohr am 13.1.1997 im Spiegel. Und Hubert Winkels in der ZEIT am 19. Mai 2005 über Willemsens Roman "Kleine Lichter". Zitator: Roger Willemsen liefert ein literarisches Geschwurbel ...immer berichtet im hochtourigen Diskurs der Liebe (Danke, Roland Barthes!), nie auch nur auf zwei Seiten zusammenhängend sinnlich erzählt. Kurz: Kleine Lichter ist eine Ekstase der erotischen Selbstbegegnung eines zwanghaften Kopfarbeiters (in der Fiktion weiblich), der klug genug ist, all die Textsperenzchen und -manöver selbst zu kennen, weshalb er/sie das Gesagte auch unentwegt selbst erklärt, kommentiert und auf diese Weise aufschaukelt zu neuen Unendlichkeiten, die, bitte schön, auch alle mit der Liebe verknüpft seien. Geschwurbel der intellektuellen Premiumklasse eben. O-Ton Oliver Vogel: Ich hab oft das Gefühl, es gab so eine Art seltsame Eifersucht, dass da jemand war, der nicht nur schreiben, sondern auch noch reden konnte. Der dazu auch noch denken konnte. Sprecherin: Oliver Vogel, Fischer-Verlag O-Ton Oliver Vogel: Es war ja eher so, dass man ihn unter Wert wahrgenommen hat, dass man ihn spät, oft kritischer als nötig wahrgenommen hat und das ist schade. Man hat da was verpasst glaube ich. O-Ton Nils Minkmar: Er war immer bisschen betrübt, weil seine vielen Bücher in der FAZ und FAS es schwer hatten. Sprecherin: Nils Minkmar, Publizist und Freund. O-Ton Nils Minkmar: Frank Schirrmacher war kein Freund von Willemsen, viele andere Kollegen im klassischen Feuilleton hatten mit ihm auch Probleme, weil er einfach so Erfolg hat, sehr unabhängig war, auch sich über das Feuilleton immer wieder lustig machte, das waren immer wahnsinnig schwierige Themen und komplizierte Sachen. Seine Bücher wurden zwar gut besprochen, aber nicht so, wie sie es verdient hätten. O-Ton Werner Köhler: Ich glaube es gibt viele Männer, die sich an ihm abgearbeitet haben, weil sie nicht glaubten, dass es jemanden gibt, der so gescheit ist, so warmherzig, so nett, ich weiss nicht, ob sie sich dadurch klein gefühlt haben. ..Ich weiß, dass viele, das las man manchmal auch in Kritiken, die waren nicht mehr am Text die Kritiken, die waren irgendwo in der Metaebene dazwischen. Zwischen ich kann den Typ nicht haben, also da hat er polarisiert. Aber es waren immer Männer. Es sind immer Männer, die ein Problem mit ihm hatten und es sind nicht wenige, glaube ich. O-Ton Nils Minkmar: Es war, glaube ich, sehr stark Eifersucht. Das war sehr stark. Weil er den Anschein gab nach außen, es wahnsinnig alles leicht zu nehmen. Dass ihm alles zufliegt. Er dadurch reich wurde. Er hatte ja auch den Ruf, ein Frauenheld zu sein. Er war so eine unspießige Figur. Und viele seiner Generation, viele Männer hatten auch da sehr stark zu kämpfen. Kämpfe, die er scheinbar schon überwunden und gewonnen hatte. Und viele hielten sich so auf Distanz. Auch weil sie dachten, glaube ich, dass er sich so überlegen fühlte den anderen. Grade gegenüber Männern. Ach, der hält doch eh nichts von mir und der, und so, ich finde den ganz furchtbar. Sprecherin: Thomas Steinfeld am 13.10.2008 in der Süddeutschen Zeitung über Willemsens Buch "Der Knacks". Zitator: Resigniert bis in die Tiefe seines Herzens, vom Anblick des eigenen Scheiterns unendlich gerührt, steht er vor der Katastrophe, als die ihm sein Leben nun erscheint, und wirbt, ein letztes Mal, um was? Man wüsste es nicht zu sagen, denn dieses Scheitern ist im Innersten privat - vielleicht um Bewunderung dafür, seine Niederlage, die Niederlagen offenbar aller Menschen um ihn herum, in so selbstgefällig süße Worte gekleidet zu haben. O-Ton Insa Wilke: Ich glaube, dass Rogers Werke von den Jüngeren noch entdeckt werden müssen. Sprecherin: Insa Wilke, Nachlassverwalterin. O-Ton Insa Wilke: Ich glaube, dass es eine gewisse Konkurrenz gibt in der gleichen Generation, das es bestimmt auch Neid gab auf seine Begabung und dass es ja in Deutschland auch eine Abneigung gibt, wenn jemand nicht "bescheiden" genug ist. Die Bescheidenen werden ja immer in den Himmel gelobt. Diejenigen, die sagen, was sie können und dafür einstehen und dafür ja auch Verantwortung übernehmen, das ist ja die Kehrseite, die übernehmen Verantwortung und das hat Roger immer getan, die werden kritisch gesehen, die werden schlecht angesehen und die werden auch mit Vorurteilen überzogen. Und dann passiert es manchmal, dass gar nicht mehr geschaut wird, was hat denn da jemand überhaupt gemacht in einem Buch. Was sind denn Die Enden der Welt. Das ist ja nicht nur ein Reisebuch, sondern das ist ein Buch, das vom Sterben erzählt z.B. Das von Einsamkeit erzählt. Akzent: O-Ton Ezzelino von Wedel: Und dann kam dieser Tag, wo ich vor dem Fernseher saß, die Tagesschau fängt an und da sind ja im Hintergrund immer die Fotos zu den wichtigsten Themen und ich sehe ein Foto von Roger Willemsen und da schwante mir, etwas muss sein. Und dann kam die Nachricht, er ist gestorben. Sprecherin: Roger Willemsen starb am 7. Februar 2016. Gerade mal 60 Jahre alt. Ein halbes Jahr vorher hatte er seinen Verlag mitteilen lassen, dass er sich wegen einer Krebserkrankung aus der Öffentlichkeit zurückziehen wird. Roger Willemsen in seinem Hörbuch Momentum: O-Ton Roger Willemsen: Der Anfang. Ein Mensch wird geboren und schreit und weint. Und drum herum stehen alle und lächeln. Das Ende. Ein Mensch stirbt. Drum herum stehen alle und weinen und nur er selbst muss zuletzt noch lächeln. Welches von all den Bildern seines Lebens setzt sich durch als das letzte Bild. (Aus Hörbuch "In aller Stille" Take 34) O-Ton Oliver Vogel: Es war schon ein ziemlicher Weg dahin, zu sagen - es war gut so. Ich hatte alles. Ich hab gut gelebt, und jetzt kann ich auch gehen. Ich glaube, den Tod tatsächlich zu akzeptieren, ist eine unglaubliche Kraftanstrengung und das ist ihm gelungen, aber es war keineswegs so, glaube ich, dass es ihm von Anfang an leicht gefallen wäre. Als er uns damals erzählt hat, dass er krank ist, hatte ich vor allen Dingen ein Gefühl, ich hab nicht gedacht, dass er Angst hat. Ich hab gedacht, er ist traurig. Dass es vorbei ist. Und er hat Abschied genommen. Er war traurig. O-Ton Werner Köhler: Er sprach immer davon, dass er einfach ein großartiges Leben gehabt hat und dass er mit der Sache fein wäre und hat das dann auch sehr preußisch alles angenommen; er sprach dann fortan nur noch davon, dass er seinen Nachlass regelt, dass er überlegt, wem er das Bild vererbt, diese Geschichte und sagte nur: du wirst dich wundern, wem ich das und das gebe und ich hab immer nur gesagt: ich will alles, aber nichts erben. Niemand soll was erben. Du sollst weiter machen. Akzent: O-Ton Roger Willemsen: In jedem Leben kommt der Augenblick, in dem die Zeit einen anderen Weg geht als man selbst. Es ist der Moment, in dem man aufhört, Zeitgenosse zu sein. Man lässt die Mitwelt ziehen. Als Langstreckenläufer würde man sagen: man lässt abreißen. Denn man kann die Lücke nicht schließen... der Tag, an dem man ein Medikament verschrieben bekommt, das man bis ans Ende seiner Tage nehmen muss. Der Tag, an dem man das Geländer braucht, um eine Treppe abwärts zu steigen. Der Tag, an dem man nur noch abgestützt aus der Hocke kommt... Der Tag an dem man zum ersten Mal in die Tiefe einer Depression blickt. Der, dem der Atem ausgeht.(Take 32 In aller Stille) O-Ton Oliver Vogel: Er hat gewusst dass er stirbt, schon lange. Und hatte das auf eine bestimmte Art akzeptiert. Also er hat irgendwann, er saß so gegen die Wand gelehnt in seinem Bett und sagte in so einem Moment der Stille, wir waren viel zusammen, wir meint wir Freunde, die am Schluss noch bei ihm waren, waren viel zusammen und dann wurde nicht geredet. Da wurde geschwiegen. Man saß zusammen, und es war in keiner Weise belastend oder unangenehm. Das war sehr schön, mit ihm da zu sitzen. Und er saß dann da irgendwann an die Wand gelehnt und sagte: ich bin im Reinen. Das hat er zweimal gesagt, ich bin im Reinen. Ich bin im Reinen. Und man wusste, dass es gestimmt hat. O-Ton Nils Minkmar: Das ist ganz Roger. Dass ist von Anfang an sein Anspruch gewesen, sich mit den großen klassischen Autoren zu messen, mit Montaigne und Marc Aurel und was die sagen: ich bin der Herr meines Geschicks. Ich schreibe meine Bücher selber. Ich bin der Autor meines Lebens und wenn die Biologie das vorzeitig beendet, dann macht mir das nichts, das schüchtert mich nicht ein, dann war's das eben. O-Ton Oliver Vogel: In der letzten Nacht, also die Nacht bevor er gestorben ist dann saßen wir nebeneinander im Bett und er hat überlegt, ob er nicht aufstehen soll irgendwann saß er still da und sagte: Das ist so komisch Oliver. Das ist so komisch. Und er meinte das Sterben damit. Und ich hab in dem Moment begriffen, wie er funktioniert hat. Der hat sich einfach immer für die Dinge interessiert. Da gab's keine Grenzen. Da gab's keine moralischen Grenzen. Keine Grenzen, die man sich irgendwie vorstellen kann. Er hat sich einfach dafür interessiert. Bis hin zu seinem eigenen Tod. Wo er gesagt hat: das ist komisch Oliver. Weil er noch geguckt hat, wie das ist. Sprecherin: In seinem letzten Brief an Jörg Bong schreibt er: Zitator 2: Du würdest keinen anderen in mir finden als jenen, den Du kennst. Die Krankheit macht mich nicht hysterisch, nicht irrational, sie vernebelt nicht. In schöner Klarheit tritt heraus, wie lange ich um sie kreise, wie die letzten Themen der Vergegenwärtigung, der Moment-Verdichtung, der Feier des Lebens in der Epiphanie, die Rettung der Erinnerung alle Teil einer Verarbeitung waren, die ich gewissermaßen prophylaktisch leistete. Ich taumele also nicht aus der Fremde auf dieses Feld, sondern komme schon über Hochebenen. Absage Freigeist und Menschenfreund Erinnerungen an Roger Willemsen Sie hörten ein Feature von Rosvita Krausz Es sprachen: Claudia Matschulla, Andreas Lorenz Maier, Stefan Preiss, Susanne Pätzold Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Angelika Brochhaus Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Tina Klopp und Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2017 Im O-Ton: Bissinger, Manfred Publizist, Herausgeber der WOCHE, Freund Bong, Jörg Leiter Fischer-Verlage, Freund Edye, Birthe Redakteurin Willemsens Woche Herrgesell, Oliver Redakteur Premiere und WOCHE Hosemann, Jürgen Lektor S. Fischerverlag Köhler, Werner Leiter der LitCologne, Freund Leder, Dietrich Medienwissenschaftler Minkmar, Niels Publizist, Freund Nashir, Nadia exil-afghanische Entwicklungshelferin, Freundin Vogel, Oliver Programmleiter S. Fischerverlag, Freund Wedel, Ezzelino von Redakteur Radio Bremen Wilke, Insa Publizistin, Freundin Willemsen, Jan Lehrer, Bruder 1