COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. NACHSPIEL 1.05.2012 Leberhaken statt Handkuss Warum Frauen boxen Autorin: Stefanie Müller-Frank Atmo 1 Seilspringen O-Ton 1 Azize Nimani Du weißt genau, es ist deine Arbeit. Es ist dein Verdienst. Und Du kannst nicht sagen: Hier nimm mal die Handschuhe, ich kann nicht mehr. (531, 5.50) dazu Musik 1 Lauryn Hill: Everything LC 0162 O-Ton 2 Julia Irmen Wir sind alle extrem selbstkritisch. Jetzt habe ich monatelang das und das trainiert, und jetzt konnte ich es im Ring nicht umsetzen. Das macht einen dann wirklich wahnsinnig. Und dann sind die Mädels so: Die würden sich am liebsten in die Ecke setzen und vor Wut auf sich selbst weinen. (546, 13.47) O-Ton 3 Azize Nimani Du boxt ja nicht nur gegen deine Gegnerin, du boxt auch gegen alle anderen, die sagen: Frauen können nicht boxen. (533, 0.10) Musik 1 aublenden Atmo 2 Gong und Atmo 3 Boxhalle mit Sandsack und Seilspringen Autorin Warum boxen Frauen? Was fasziniert sie daran, oben im Ring zu stehen - unter gleißenden Scheinwerfern, einen Plastikschutz im Mund, die Stirnknochen mit Vaseline eingerieben? Warum nehmen sie all das auf sich, was zum Boxen auch dazu gehört: Eine gebrochene Nase oder ausgekugelte Schulter, endloses Seilspringen - und jeden Morgen der obligatorische Gang zur Waage. Wofür? O-Ton 4 Azize Nimani Mein Charakter ist einfach so: Ich möchte nicht aufgeben. Ich möchte nicht da rein gehen und eine von vielen sein. Ich möchte die Beste sein, ich möchte die Nummer 1 sein. (533, 4.23) Autorin Warum boxen - diese Frage stellt sich den Frauen selbst so gar nicht. Die Boxerinnen, die ich getroffen habe, wollen schlicht und einfach: Kämpfen. Sie wollen ihren Job gut machen. Sie wollen sich messen und zeigen, wofür sie so hart trainiert haben. Noch kämpfen sie allerdings hauptsächlich darum, überhaupt zu Wettkämpfen fahren zu dürfen. Atmo 4 im Kampfpass blättern O-Ton 5 Azize Nimani Mann, bin ich diszipliniert. (Lies mal vor.) 51 Kilo, 50.9, 51. Besser geht's nicht. 51, 51. Perfekt. Wie es sein soll. (Und was passiert mit dem Kampfpass heute abend?) Vorher muss ich den abgeben und dann wird nach dem Kampf halt eingegeben: Sieg oder Niederlage. (550, 2.37) Autorin Der Tag ist da. Heute abend entscheidet sich, wer zu Olympia fahren wird. Genauer gesagt: Wer von den Frauen bei der WM in China für Deutschland antreten und dort um ein Ticket für die olympischen Sommerspiele in London kämpfen darf. Eine von ihnen ist Azize Nimani. Noch sitzt die 21-Jährige auf ihrem schmalen Bett in der Sportschule und blättert etwas verschlafen in ihrem Wettkampfpass. O-Ton 6 Azize Nimani Ich muss auch ehrlich sagen, ich habe meinen Eltern gar nicht gesagt, dass ich boxe. Weil die auch immer so aufgeregt sind und sich solche Sorgen machen. (552, 31.29) Ich bin auch irgendwo froh, dass der Tag jetzt gekommen ist. Dieses immer wieder warten und immer wieder den Kampf durchgehen - das ist auch stressig, aber es gehört alles dazu. (552, 32.37) Autorin So gelassen das klingt - bei dem Ausscheidungskampf heute abend steht für Azize Nimani alles auf dem Spiel: Nach der zehnten Klasse ist sie von der Schule abgegangen, um zu boxen. Seit fast zwei Jahren gehört sie der Sportfördergruppe der Bundeswehr an. Und dieses Jahr will die 21-Jährige bei Olympia für Deutschland im Fliegengewicht antreten. So wie ihre Konkurrentin aus dem Nationalteam. Letztes Jahr hat Azize Nimani den entscheidenden Kampf gegen sie verloren - wenn die Wertung der Punktrichter auch umstritten war. Eine weitere Niederlage könnte das Aus für ihre Amateurkarriere bedeuten. Auch deshalb hat sie ihrer Mutter wohl lieber nichts von dem Ausscheidungskampf heute abend erzählt. Musik 2 einblenden Lauryn Hill Doo Woop (Instrumental)LC 0162 Autorin Ihre Mutter war es nämlich, die die beiden älteren Brüder überredet hat, die kleine Azize endlich mal mitzunehmen zum Training. Da war sie gerade mal elf. Und wollte sofort ausprobieren, was sie sich von ihren Brüdern abgeschaut hatte. O-Ton 7 Azize Nimani Dann haben sie mir die Schuhe von meinem Bruder gegeben, seinen Zahnschutz und haben mich in den Ring geschickt. Und ich habe dann auch gewonnen. War also auf jeden Fall ein Highlight. Ich wusste noch nicht mal, dass ich Boxen werde, stand plötzlich im Ring und als ich rausgegangen bin, haben alle geklatscht und waren fasziniert. Ein super Gefühl! (531, 5.20) Autorin Seit fünf Jahren versucht Azize Nimani jetzt, so viele Wettkämpfe wie möglich zu bestreiten. Sie lässt die Seiten ihres Wettkampfpasses nochmal im Schnelldurchlauf durch ihre Finger gleiten wie ein Daumenkino. O-Ton 8 Azize Nimani Ich hatte jetzt 31. Eigentlich ziemlich wenig. Dafür, dass ich jetzt fast vier Jahre boxe, ist das wenig. Ich würde sagen, weil wir nicht so viele Turniere haben und Kämpfe. National fast gar keine. Eigentlich nur die deutsche Meisterschaft. Und international werden wir nicht oft hingeschickt. (550, 0.31) Atmo 5 beim Wiegen Autorin Auch die anderen Frauen aus der Nationalmannschaft würden gerne mehr zu Wettkämpfen fahren als bisher. Nur so lässt sich die nötige Routine gewinnen, um im Ring einen kühlen Kopf zu bewahren. Noch ist von Nervosität allerdings nichts zu spüren. Kein Wunder: Es ist halb acht Uhr früh, die acht Mädels sind gerade aus ihre Betten in die Jogginghosen gestiegen - nur um sich schon wieder bis auf die Unterwäsche ausziehen zu müssen. Tattoos und Gänsehaut kommen zum Vorschein, nacheinander steigt jede von ihnen auf eine mechanische Medizinerwaage. Der Trainer Zoltan Lunka diktiert seinem Kollegen penibel das Gewicht. Am meisten Wettkampferfahung im Team hat Julia Irmen. Die Polizeibeamtin aus Bayern war sieben Jahre Kickboxerin, bevor sie zum Amateurboxen gewechselt ist. Aus gutem Grund: O-Ton 9 Julia Irmen Beim Boxen war es halt immer so: Es waren keine Mittel für die Frauen vorgesehen. Die Mädels haben sich alle Turniere, alle Lehrgänge selbst gezahlt. Und das war halt etwas, wo ich mir gesagt habe: Wenn ich schon für Deutschland starte und die deutsche Fahne hochhalte, dann möchte ich wenigstens meine Unkosten erstattet haben. (546, 23.05) Atmo 6 beim Wiegen weiterhin Autorin Denn der Deutsche Amateurboxverband - heute: Deutscher Boxverband - hat die Frauen lange nicht gefördert. Erst als das olympische Komitee kürzlich bekannt gab, den Boxring in Zukunft auch für Amateurinnen zu öffnen, zog man beim Boxverband nach. Vorher, heißt es dort, konnte man die Frauen schlicht nicht fördern. Die offizielle Begründung: Erst die Zulassung bei Olympia mache es möglich, öffentliche Gelder zu beantragen und Kaderstrukturen aufzubauen. Julia Irmen winkt ab. O-Ton 10 Julia Irmen Plausibel finde ich das leider nicht. Ich muss sagen, ich komme auch aus einem Verband, wo das ganz anders gelaufen ist. Zum Glück. Weil in Bayern waren die Strukturen anders. Die haben gesagt: Ich bin mir fast sicher, dass die Frauen irgendwann olympisch werden. Und die haben auch das Potential gesehen, das die haben. Und haben gefördert. Ihnen war es egal, wenn die Männer da jetzt was weniger kriegen oder nicht. Die haben das Geld besser verteilt und haben die Frauen einfach mitgenommen auf die Männerlehrgänge. (546, 25.05) Autorin Mittlerweile stellt der Deutsche Boxverband drei erfahrene Trainer für die Frauennationalmannschaft zur Verfügung, veranstaltet regelmäßig Trainingslehrgänge mit Sparringspartnerinnen aus den Nachbarländern und hat für vier der Frauen Plätze bei der Sportförderung der Bundeswehr organisiert. Die versäumten Jahre lassen sich aber nicht so schnell wettmachen, meint Julia Irmen. Was umso ärgerlicher ist, als bei Olympia 2012 erstmal nur drei Gewichtsklassen zugelassen sind - also ganz Europa überhaupt nur 12 Boxerinnen in den Ring schicken darf. Atmo 7 Vögel Autorin Acht Uhr, Zeit fürs Frühstück. Keine der acht Frauen aus dem Nationalkader hat ihre Gewichtsklasse überschritten. Damit wäre der Kampf heute abend auch gelaufen gewesen. Obwohl: Notfalls lässt sich auch in dem Fall noch was reißen, erzählt Maike, die Zimmergenossin von Azize. Dann heißt es: Ins Bad statt zum Frühstück - und die paar Hundert Gramm zuviel: abschwitzen. O-Ton 11 Maike Klüners Also wir haben da so unsere Tricks. Ich habe einen Schwitzanzug, quasi aus Gummimaterial. Der ist luftdicht und dann gehe ich ins Badezimmer, schließe mich ein und dann werden alle Hähne heiß aufgedreht - Saunaeffekt - und dann habe ich in einer halben Stunde ein Kilo runter. Das geht schon. Also im Notfall könnte ich anderthalb Liter kurzfristig abschwitzen, aber dann kann ich auch nicht mehr wirklich boxen. (lacht) (LS 548, 4.45) Musik 3 Nas feat. Lauryn Hill: If I ruled the world Autorin Noch Anfang der Neunziger war es Frauen in Deutschland nicht erlaubt, Boxkämpfe zu bestreiten. Der Amateurboxverband stellte Frauen keinen Wettkampfpass aus und sah es gar nicht ein, offizielle Turniere für sie auszurichten. Bis 1994 eine Theologiestudentin aus Tübingen den Kampf mit den Verbandsfunktionären aufnahm. Ulrike Heitmüller wollte nicht nur brav mittrainieren, sondern auch in den Ring. Erstmal nur, um richtig gefördert zu werden. O-Ton 12 Ulrike Heitmüller Weil ich halt gemerkt habe, die Trainer kümmern sich um die Jungs, die Kämpfe machen, die Turniere bestreiten. Und ich will auch dieses Training, ich will Fortschritte machen, ich will was lernen. Und ich will nicht nur vor mich hintrainieren und der guckt dann mal und sagt nichts. Sondern ich möchte mich verbessern. (LS 517, 11. 10) Autorin Was sie dann zu hören bekam, stammt aus dem bekannten Arsenal an Argumenten, die bereits gegen Frauenfußball oder Frauen bei der Bundeswehr ins Feld geführt - und widerlegt wurden: Schläge auf die Brust könnten Krebs verursachen. Frauen im Ring zögen Voyeure an, Frauen seien von Natur aus nicht aggressiv genug, um zuzuschlagen. Der damalige Präsident des Bayerischen Boxverbands verkündete: Sprecher "Gerade Sie als Theologin sollten eigentlich wissen, dass sich unser Herrgott etwas dabei gedacht hat, als er zwei verschiedene Menschengeschlechter geschaffen hat." Musik 3 Luniz: I got five on it (Instrumental) Autorin Also stellte Ulrike Heitmüller ihren ersten Kampf selbst auf die Beine: Im Rahmen der Hamburger Frauensporttage, organisiert vom Verein für feministische Bewegungskultur, fand am 19. November 1994 der erste deutsche Amateurkampf zwischen zwei Frauen statt - ohne Zustimmung des Boxverbands. Die Theologiestudentin zog in Shorts und Body in den Ring, den langen Bauernzopf unter einen der Träger geklemmt. Ohne Trainer an ihrer Seite, aber mit selbst gewählter Einlaufmusik - wie bei den Profikämpfen. O-Ton 13 Ulrike Heitmüller Ich habe die meiste Zeit ja bei kleineren Veranstaltungen geboxt, aber bei meinem ersten großen Kampf hatten wir die Möglichkeit. Und da hatte ich von Konstantin Wecker: "Lang mi nit o". (lacht) Auch, um das Ganze ein wenig ironisch zu brechen. Weil das war für meine Gegnerin und für mich der erste Kampf. Wir haben gerade mal ein, zwei Jahre geboxt. Und es waren vielleicht fünfzig Zuschauer und fünfzig Journalisten da. (LS 516, 8.49) Autorin Schon damals war Ulrike Heitmüller klar, dass sie keine Profiboxerin werden würde. Was sie wollte, war: Unter dem Dach des Amateurverbands Wettkämpfe bestreiten. Mit Kampfpass, Ringarzt und offiziellem Kampfgericht. O-Ton 14 Ulrike Heitmüller Man hätte natürlich auch wilde Boxkämpfe bestreiten können einfach so auf der Kirmes oder so, aber ich wollte was Seriöses machen - ganz normale sportliche Wettkämpfe. (LS 520, 2.27) Autorin Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Zumal der Amateursport in Deutschland mit öffentlichen Geldern bezuschusst wird. Aber der Deutsche Amateurboxverband erklärte sich für nicht zuständig und schlug Ulrike Heitmüller vor, doch einen eigenen Verband zu gründen. Ihr Antrag wurde erstmal um ein Jahr vertagt. O-Ton 15 Ulrike Heitmüller Die haben erstmal versucht, das abzuwiegeln. Dann haben sie versucht, das Ganze sich totlaufen zu lassen. Aber es lief sich nicht tot. (LS 520, 7.00) Autorin In der Zwischenzeit beschloss der Internationale Amateurboxverband AIBA schon mal die Legalisierung von Frauenboxen. Unter öffentlichem Druck ging der Antrag ein Jahr später dann auch in Deutschland knapp durch. Die Kämpfe traute man den Frauen allerdings noch immer nicht so recht zu. O-Ton 16 Ulrike Heitmüller Und der Boxverband hat uns dann noch weiter Steine in den Weg gelegt. Die haben gesagt: Wir können die Kämpfe noch nicht mit Wertung machen, weil es noch kein Regelwerk gibt für Frauen. Und da habe ich dann so einen Fragebogen gemacht, was wir für Regeln haben wollen. Also die haben gesagt: Nur eine Minute kämpfen oder so. Also die waren vollkommen ängstlich und haben wahrscheinlich gedacht, wir sterben jetzt alle, wenn wir in den Boxring gehen. (lacht) Es war nur peinlich, aber man konnte einiges ausbügeln. (LS 520, 11.50) Musik 4 Fugees: Ready or Not (Instrumental)Columbia LC 0162 Autorin Keine Frage: Die Verletzungsgefahr beim Boxen ist nicht zu verachten - unabhängig davon, ob Männer oder Frauen gegeneinander kämpfen. Bei den Amateuren ist deshalb ein Kopfschutz vorgeschrieben, bei den Männern ein Tiefschutz, Frauen können zusätzlich einen Brustschutz tragen. Aber auch die Profis tragen einen Zahnschutz - und die gepolsterten Boxhandschuhe schützen in erster Linie die eigenen Fäuste. Vor dem Kampf schmieren sich Boxer die Knochen rund um die Augen mit Vaseline ein, damit die Haut dort nicht aufplatzt. Profiboxer haben oft sogar ihren eigenen "Cutman" dabei - einen Spezialisten, der in wenigen Sekunden eine klaffende Wunde zusammenflicken und das Blut stoppen kann. Gelingt es nicht, den Blutfluss zu stillen, muss der Kampf nämlich abgebrochen werden. Musik 4 nochmal aufziehen und ausblenden Autorin An dieser Stelle wenden sich viele Zuschauer ab. Marianne Müller aber muss mit ihrer Kamera draufhalten. Seit über zwanzig Jahren steht die Sportfotografin direkt am Ring. O-Ton 17 Marianne Müller Man ist natürlich auf spektakuläre Schläge aus, das ist schon ganz klar. Wobei man dann manchmal, wenn man sich das auf dem Bildschirm anguckt, sich auch im nachhinein noch erschrecken kann, mit was für einer Gewalt da zugeschlagen wird. (521, 6.39) Autorin Was für alle Profikämpfe gilt, meint Marianne Müller. Dennoch fällt ihr das Fotografieren bei den Boxerinnen schwerer. Einfach deshalb, weil sie sich mit den Frauen mehr identifiziert. Atmo 8 knipsen O-Ton 18 Marianne Müller Also ich habe vor zehn Jahren erlebt, dass Daisy Lang einen fürchterlichen Cut im Kampf bekommen hat, der wirklich so schlimm aussah wie der Cut von Vitali Klitschko damals gegen Lennox Louis. Also das hat mich doch sehr mitgenommen. Ich war dann auch sehr glücklich, sie eine Woche später wieder zu treffen - und das war gut verheilt und man hat im Grunde nichts mehr gesehen. Aber diese Wunde, das war für mich wirklich grenzwertig. Die habe ich auch prompt unscharf fotografiert. (521, 14.07) Atmo 9 Mädels Autorin Heute soll Marianne Müller die beiden Nationalteams vom Deutschen Boxsportverband fotografieren. Die Männer kennt sie schon von früheren Gruppensessions, die Frauen stehen heute zum ersten Mal vor ihrer Kamera. Einige hat sie auch schon bei Sparrings gesehen. O-Ton 19 Marianne Müller Die Frauen sind technisch teilweise sogar besser ausgebildet als die Männer. Wahrscheinlich wie in allen anderen Berufen auch, wo Frauen erstmal doppelt so gut sein müssen, um die gleichen Positionen wie der Mann zu erringen. Und von daher ist der Unterschied gar nicht mehr so groß. (521, 16.20) Atmo 10 Fotoshooting Witze machen Autorin Betont lässig stellen sie sich in einer Reihe auf, posieren vor der Kamera, reißen Witze und ziehen sich untereinander auf. Man spürt, dass die Frauen sich gut kennen und gegenseitig unterstützen - trotz der Konkurrenz. Atmo 11 Fotoshooting Azize Nimani Autorin Dann sind die Einzelportraits dran. Azize Nimani ballt die Fäuste und schaut sehr ernst in die Kamera. Sie ist die Kleinste im Team, tritt im Fliegengewicht an. Marianne Müller versucht, die junge Frau ein wenig aus der Reserve zu locken. Was ihr gelingt: Azize gibt die Pose auf, ihre Gesichtszüge entspannen sich. O-Ton 20 Azize Nimani Genau wie du im Ring bist, bist du auch außerhalb. Und das ist das, was mich am Boxen fasziniert. Wenn du ein frecher Typ bist, bist du auch im Ring frech. Wenn du ein ordentlicher Typ bist, dann boxt du auch im Ring ordentlich. Wenn du ein Draufgänger bist, dann bist du auch im Ring ein Draufgänger. Das ist das, was ich immer wieder sehe. (531, 13.59) Atmo 12 Boxhalle Autorin Azize Nimani selbst kämpft sehr temperamentvoll. Sie ist schnell, technisch versiert und greift oft plötzlich an. An Mut mangelt es der jungen Frau jedenfalls nicht. Ihr Trainer Zoltan Lunka muss sie eher mal bremsen, wenn sie zu viel auf einmal will. O-Ton 23 Zoltan Lunka Sie ist temperamentvoll, sie brennt immer. Ich musste sie öfter mal zurückhalten und sagen: Das reicht jetzt. Auch beim Training. (528, 13.37) Sie hat ihre Ruhe noch nicht gefunden. Sie will in den Fight rein - egal was es kostet. Sie will feuern, sie will wissen, wo sie steht. (528, 19.22) Autorin Azize grinst, nickt ihm zu und packt ihre Sporttasche. Vor dem Kampf gleich will sie noch einen Spaziergang machen. Atmo 13 Boxbirnen Musik 4 Luniz: I got five on it (Instrumental) Autorin Ob Männer- oder Frauenboxen - schon immer hat sich der Amateursport stark von den Profikämpfen abgegrenzt. Stark vereinfacht lässt sich sagen: Amateur- und Profiboxen sind wie olympisches Ringen und Wrestling. Es wird anders gezählt und gepunktet, die Meisterschaftskämpfe gehen über 12 Runden, bei den Amateuren nur über drei oder vier Runden. Die Profis verzichten außerdem auf einen Kopfschutz und setzen mehr auf einen Sieg durch K.O. Im Grunde handelt es sich um zwei verschiedene Sportarten, meint der Sportjournalist Martin Krauß. O-Ton 24 Martin Krauß Das Profiboxen war im Grunde immer die proletarische Variante, ein Arme-Leute-Sport. Das Amateurboxen war ein Gentleman-Sport. Es waren die Reichen, die sich sozusagen ihre Freizeit damit vertrieben haben, sich zu messen. Das hat sich eigentlich bis heute gehalten diese Differenz. Wer gut boxen kann und darauf angewiesen ist, der wird bald Profi. So funktioniert es eigentlich immer. (560, 4.51) Autorin Auch Frauen boxen schon lange gegen Geld - oft auch auf Rummelplätzen oder im Varieté. In den Zwanzigern fanden solche Schaukämpfe im Berliner Metropoltheater oder im Friedrichstadtpalast statt. Dieses Varietéboxen nahm allerdings niemand so richtig ernst. Dabei, sagt Martin Krauß, gibt es Hinweise darauf, dass es durchaus sportliche Veranstaltungen waren. Anders vermutlich als beim sogenannten "Damenboxen": O-Ton 25 Martin Krauß Es gab eine Tradition des Frauenamateurboxens, die man eher als "Damenboxen" bezeichnen müsste. Oder als Gesellschaftsboxen. Rund um 1900 etwa wurde in Salons geboxt, Damen haben fein die Ausfallschritte gelernt, die Kombinationen etc. Das setzt sich noch fort in den Zwanzigern, wo Frauen wie Marlene Dietrich oder Leni Riefenstahl geboxt haben. Das war Boxen mehr als Modeerscheinung, Boxen für die erfolgreiche Frau. (560, 5.34) Autorin Mitte der Neunziger, ungefähr zeitgleich mit den historischen Umwälzungen im Amateurverband, setzten sich zum ersten Mal auch im Profiboxsport Frauen durch. Zum einen war mit dem "Gentlemanboxer" Henry Maske der Boxsport gesellschaftsfähig geworden. Muhammad Ali schickte seine Tochter in den Ring, die Bundeswehr zum ersten Mal auch Frauen ins Kampfgebiet. Zum anderen drängten die Privatsender in den Markt - auf der Suche nach neuen Talenten, Werbeträgern hohen Einschaltquoten. Atmo 14 Schaukampf gegen Raab Autorin Zu diesem Zeitpunkt trat Regina Halmich auf die Bühne des Profiboxens. Die Rechtsanwaltsgehilfin aus Karlsruhe sah gut aus, hatte eine durchtrainierte, aber zarte Figur, konnte sich vermarkten und entsprach dem deutschen Ideal einer fleißigen, fairen Sportlerin. Einem größeren Publikum wurde sie allerdings erst 2001 bekannt, als sie dem Showmaster Stefan Raab vor laufender Kamera das Nasenbein brach. O-Ton 26 Martin Krauß Es hat natürlich eine gewisse Pointe: Die erste Frau, die dafür sorgt, dass Frauenprofiboxen in Deutschland als ein seriöser Sport wahrgenommen wird, die muss sich genau dieses Mittels des Rummelboxens bedienen, damit man sie ernst nimmt. (562, 7.48) Autorin Mit diesem Kampf, meint Martin Krauß, hat das Fliegengewicht Halmich den Männern auf schlagende Weise auch ihre eigenen Vorurteile vorgeführt. O-Ton 27 Martin Krauß Der Raab hat in gewisser Weise die männliche Mehrheitsmeinung repräsentiert. Von wegen: Ganz nett, was die Mädels da machen, aber wenn ich da mal komme und meine 90 Kilo da in den Schlag lege, dann ist aber die Halmich weg. Sie hat gezeigt, dass sie technisch die Sache so beherrscht, dass nicht irgendein Trottel mit 90 Kilo sie wegpusten kann. (562, 8.19) Autorin Regina Halmich war von 1995 bis 2007 Weltmeisterin, aber erst nach ihrem Kampf gegen Stefan Raab begann das ZDF, ihre Auftritte zu übertragen. Das Ergebnis: Erstklassige Einschaltquoten. Halmich war die erste Frau im Fernsehen, die regelmäßig den Hauptkampf bestreiten durfte - auch bei einem gut besetzen Männerboxabend. Das Fernsehen hält der Sportjournalist Martin Krauß für DAS zentrale Vermarktungsinstrument des Profiboxens. Verabschieden sich die Sender, meint Krauß, dann gerät das Boxen in Rotlichthand. O-Ton 28 Martin Krauß Eine höhere mediale Aufmerksamkeit im Boxen bedeutet eine größere demokratische Kontrolle. (562, 30.32) Wenn diese Öffentlichkeit nicht da ist und niemand hinschaut und niemand Ahnung hat, dann wird auch massiv geschoben. (562, 31.15) Autorin Der Profiboxtrainer Dominik Junge findet es ein Unding, dass sich der Amateurboxverband so stark vom Profibereich abschottet und seine Athletinnen nicht an Profiwettkämpfen teilnehmen lässt - wenn er sie schon nicht zu internationalen Amateurturnieren schickt. In den letzten Jahren hat er immer wieder erlebt, dass Frauen zu den Profis gewechselt sind, obwohl sie technisch eigentlich noch nicht so weit waren. Wegen mangelnder Perspektiven, aus Frust über die "Vereinsmeierei" - wie Junge sagt - und weil sie sich mehr Anerkennung wünschen. O-Ton 29 Dominik Junge Oft höre ich die Beschwerde: Ich fahre dort und dort hin für einen Kampf - und dann fällt der wieder aus. Also die haben oft das Problem, das dann keine Gegnerinnen da sind, dass die Gegnerin nicht antritt, weil sie sagt: Ich habe schon zwei, dreimal gegen die geboxt und jedes Mal verloren. Und dann wird es irgendwann witzlos, weil man keine Kämpfe bekommt. (10.15) Autorin Dabei gäbe es auch jetzt schon die Gelegenheit dazu, meint Junge, Koordinator für den Nachwuchs beim Frauenprofiboxverband WIBF. O-Ton 30 Dominik Junge Ich organisiere jedes Jahr ein internationales Frauenboxmeeting. Und da lade ich eigentlich alle Frauen ein aus Europa. Jetzt haben mir aus Deutschland welche geschrieben, sie würden gerne kommen, aber sie haben jetzt vom nationalen Verband so eine Androhung bekommen, dass es sein könnte, dass sie lebenslang gesperrt werden, wenn sie da hingehen. Das kann nicht förderlich sein für den Sport. Und so lange man so handelt, glaube ich nicht, dass man im Amateurboxen die Frauen wirklich nach vorne bringt. (6.10) Atmo 15 aufwärmen vor Kampf Autorin Noch zehn Minuten, dann beginnt der nationale Ausscheidungskampf zwischen Azize Nimani und Pina Yilmaz. Die Halle rund um den Boxring füllt sich, das Kampfgericht hat schon Platz genommen, Gong und Punktemaschine stehen bereit. Azize Nimani hat sich zum Aufwärmen in die leere Turnhalle nebenan zurückgezogen. Der Trainer bandagiert ihre Hände. Auf Azizes Wunsch hin die linke zuerst. Atmo 16 Hände bandagieren O-Ton 31 Azize Nimani Also meistens ziehe ich mir die Sachen immer von links an: Den linken Handschuh zuerst, die linke Bandage zuerst, die linke Socke, den linken Schuh. (552, 9.30) Musik 5 einblenden Fugees: Ready or Not (Instrumental) Atmo 17 Boxhalle unauffällig dazu Autorin Die Zuschauer warten in der Boxhalle, die Frauen aus dem Nationalteam stehen an den Gummiseilen, die den Ring umspannen. Einige wärmen sich schon mal für ihren eigenen Kampf auf. Julia Irmen weiß, wie es Azize in diesem Moment zu Mute ist. O-Ton 32 Julia Irmen Und dann ist eigentlich der schlimmste Gang der zum Ring. Also da sieht man dann denjenigen, den man gleich im Ring vor die Hände bekommt. Da ist man wahnsinnig angespannt. Und dann geht man rein. Das kommt einem extrem lang vor. Manchmal geht man ja nur vier, fünf Meter bis zum Ring, aber das kommt einem vor, als wenn man da zum Schlachter gebracht wird. Das Schlimmste am Kämpfen ist wirklich der Gang zum Ring. (546, 6.23-7.26) Autorin Azize steigt mit ernstem Blick und durchgedrücktem Rücken die Stufen zum Ring hoch, begrüßt die Gegnerin, kehrt zurück in ihre Ecke und lässt sich von ihrem Trainer den Zahnschutz in den Mund schieben. Der Gong ertönt. Atmo 18 Kampf geht los Autorin Azize versucht eine rechte Gerade, scheint aber nicht so ganz da zu sein. Sie steckt einen Treffer ein, findet ihren Rhythmus nicht, weicht zurück. Ihr Trainer ruft ihr aus der Ecke Anweisungen zu. Auch die Zuschauer mischen sich lauthals ins Kampfgeschehen ein. O-Ton 33 Julia Irmen Als Außenstehender hört man diese wahnsinnige Geräuschkulisse und fragt sich: Wie kann die sich überhaupt konzentrieren? Da schreien jetzt 6oo Leute was rein, die muss ja wahnsinnig werden. Hört man aber nicht. Das Coole ist, dass man das alles komplett ausblendet. Man steht wie in so einem Schacht, wo niemand ist außer meiner Gegnerin. Und mein Trainer, der von ganz weit hinten irgendwas ruft. (546, 16.15) Atmo 19 Kampfpause Autorin Zwei Minuten. Die erste Runde ist um. Der Trainer drückt Azize auf den Hocker, hält ihr die Wasserflasche hin und redet auf sie ein. Die nickt abwesend, steht wieder auf, lockert die Beine und macht sich bereit für die nächste Runde. Julia wärmt sich auf, wendet den Blick aber nicht ab vom Ring. Atmo 20 zweite Runde O-Ton 34 Julia Irmen Was man spürt, ist Hitze. Wenn man da oben steht, dann spürt man die Schweinwerfer. Dann fühlt man sich, als ob man da gekocht wird. Weil man schwitzt, man ist angespannt und dann noch diese Schweinwerfer. Am liebsten würde man sich in die Ecke setzen und mit Eis übergossen werden. (546, 16.15) Atmo 21 Runde vier - Publikum ruft rein Autorin Und dann wendet sich mit einem Mal der Kampf: Azize gewinnt an Sicherheit und Selbstbewusstsein, fängt an, umherzutänzeln und ihre Gegnerin durch ihre Beinarbeit durcheinander zu bringen. Dann lässt sie erst einen linken Haken, dann ihre rechte Gerade nach vorne schnellen. Nochmal. Und nochmal. Ihre Schläge treffen. Auch in der folgenden Runde. Dann ist der Kampf vorbei. Der Trainer klopft Azize anerkennend auf die Schulter. Alles hält gespannt inne - bis ein Kampfrichter das Urteil bekannt gibt. Atmo 22 Kampfgericht verkündet Azizes Sieg O-Ton 35 Azize Nimani Also erste Runde habe ich ein bisschen verschlafen, ich musste mich auch ehrlich gesagt ein wenig fangen. Da kommen ja auch manche Emotionen hoch, die man eigentlich vermeiden sollte. Ein bisschen eine Aufregung. Aber Mitte zweite Runde habe ich mich gefangen und das Ding nochmal gedreht. (559, 0.17) Autorin Azize hat es geschafft. Die WM in China wartet - und vielleicht ja sogar Olympia. Aber sie hat heute auch ganz schön viele Treffer einstecken müssen. Musik 6 einblenden Fugees: Ready or Not (Instrumental) O-Ton 36 Azize Nimani Im Kampf spürt man eigentlich nicht vieles. Jetzt auch, wenn ich einen kriege: Ich merke das schon, aber das tut mir in dem Moment nicht weh. Erst wenn nach dem Kampf im Bett liege, denke ich: Ach Scheiße, meine Schulter, mein Ellbogen, wo du gerade einen drauf bekommen hast. (552, 14.42) Autorin Nase gebrochen, Schulter ausgekugelt - alles keine große Sache, sagt Azize - solange man nicht k.o. geht. Ist ihr aber zum Glück noch nicht passiert. Da schlägt sie vorher lieber selbst zu. O-Ton 37 Azize Nimani Das gehört dazu: Treffen, ohne selbst getroffen zu werden. Das ist Boxen. (552, 16.49) Musik nochmal hochziehen und langsam ausblenden 18