KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : Reihe : LITERATUR 19.30 Uhr Kostenträger : Titel der Sendung: Anrufung des schlafenden Geistes Von Die literarischen Nachfahren von Lederstrumpf und Winnetou Autor : Holmar Attila Mück Redaktion: : Sigried Wesener Sendetermin : 10.04.2015 - Wdh. v. 8.11.2014 Besetzung :Sprecher : Zitator o.Ton/ Musik Regie : Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio E Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Holmar Attila Mück Anrufung des schlafenden Geistes /Atmo, leiser indiansicher Gesang / Sprecher Trotz des Straßenlärms waren seine Stimme und die Trommeltöne schon von weitem zu hören. Keiner kannte den Namen des alten Man- nes. Wo kam er her? New York ist kein Indianerreservat. Er sei ein Iro- kese, sagten die einen, ein Dakota oder Navaho. 90 Jahre, nachdem die Native Americans, die Ureinwohner Nordamerikas, zu Bürgern der USA erklärt wurden, kam er vom Ufer des Hudson-Rivers zum Union Square Park hinaufgelaufen. Vor dem Mahatma- Gandhi-Denkmal breitete er ein braunes Fell aus, ließ sich darauf nieder und begann mit dem rechten Fuß über ein Pedal eine kleine Trommel zu schlagen, an der ein aus Holz oder Metall geformter und mit Federn geschmückter Ring befestigt war. Zitator Ein "Dreamcatcher, ein "Traumfänger" ! Dieser Ring oder Kreis soll, wie es die indianischen Mythen überliefern, alle bösen Träume abfangen. Er ist zudem das Symbol der Zeit, denn der Zeitablauf des Jahres ist ein Kreis, der um den Rand der Welt geschlagen ist. Sprecher Sagt ein älterer Passant mit gedämpfter Stimme. Seine Physiognomie ließ zweifelsfrei auf eine indigene Abstammung schließen. Was besang der Indianer, wen rief er an? Wen wozu auf? Keiner verstand ihn. Ganz offenbar war er doch "echt" und keine Hollywood-Filmwerbung. Am Ende des Liedes reichte der Alte einem jungen Afro-Amerikaner, der sich zu ihm gesetzt hatte, die Münzen, die man ihm zugeworfen hatte. Das ver- wirrte. War er nicht hier, um zu betteln? Nein, er erinnerte mit dieser Geste an eine Schicksalsgemeinschaft: Ein Leben nach der Vertreibung, an ein Dasein, das geprägt ist von dem Zwiespalt zwischen Anpassung und Widerstand. Zitator "Red and Black" - heißt das offenbar unlösbare Problem der USA. Was für die Afro-Amerikaner gilt, gilt auch für die Indianer: "Einen Stamm- baum kann man wohl beschneiden, aber nie völlig entwurzeln." Es gibt ein dem Menschen eingegebenes, unzerstörbares Erbe. Man hat aber seinen Lebensraum so verengt, dass ihm das Licht genommen war. Nur den Wind, der seine Lieder, Mythen, Träume in die Weite, zu ihrem "gro- ßen Geist" trug und tragen wird, können sie nicht aussperren. Sprecher Sagte James Baldwin in einem Interview in seinem Pariser Exil. Eine Entscheidung des afroamerikanischen Schriftstellers, der durch seine Romane über Rassismus und Sexualität bekannt wurde, für ein selbst- bestimmtes Leben. Zitator "Es ist das Lied über den "Trail oft Tears". Sprecher Flüstert der Herr mit den scharfgeschnittenen Gesichtszügen. Der Pfad der Tränen! Viele Bücherschränke sind noch immer angefüllt mit den Geschichten über General George Custer am Little Big Horn, über die Träume Te- cumsehs oder Sitting Bulls Ermordung. Die Gestalten aus dem Karl- May-Kosmos haben Generationen von deutschen Lesern geprägt. Lektü- re über den "Indian Removal Act", die Massendeportation, den Todes- marsch von 1830, die Geistertanz-Religion, die spirituelle Erweckungs- bewegung der Stämme, die im Dezember 1890 zum Massaker an den Sioux bei Wounded Knee führte oder die "Red-Power-Bewegung" der 1970-iger Jahre, wird kaum zu finden sein. Bestenfalls der Bestseller von 1972 von Dee Brown: "Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses". Zitator "Am nächsten Morgen ertönte ein Hornsignal, sagt Wasumaza, einer von Big Foots Kriegern, der einige Jahre später seinen Namen in Dewery Beard änderte. " Dann sah ich, wie die Soldaten ihre Pferde bestiegen und uns umzingelten. Man sagte uns, dass alle Männer in die Mitte zu einer Besprechung kommen sollten...Sie gingen in die Wigwams, kamen mit Bündeln heraus und rissen sie auf". sagte Dog Chief." Sie brachten unsere Beile, Messer und Zeltstangen und legten sie neben die Geweh- re." In den ersten Sekunden war das Krachen der Karabiner ohrenbetäubend und die Luft voller Pulverqualm. Unter den Sterbenden, die auf dem ge- frorenen Boden lagen, war Big Foot... Sie feuerten fast jede Sekunde eine Granate ab, beschossen das Indianerlager, zerfetzten mit ihren Schrapnells die Wigwams und töteten Männer, Frauen und Kinder. Es war der vierte Tag nach Weihnachten. Als die ersten zerfetzten und blu- tenden Indianer in die mit Kerzen beleuchtete Kirche getragen wurden, konnten jene, die bei Bewusstsein waren, die weihnachtlichen Tannen- zweige sehen, die an den Dachbalken hingen. Über den Altar und über die Kanzel war ein Tuch gespannt, auf dem die Worte standen: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. " Sprecher Marianne von Matuschka stellte 1971 in einem Essay zur Ausrottung der nordamerikanischen Urbevölkerung fest: Zitator "Das Weltgewissen hat den Indianer vorzeitig unter einem Berg von Phantasieblumen begraben!" Sprecher Gilt diese Erkenntnis nach vier Jahrzehnten immer noch? O-Ton / Prof. Florian Sedlmeier (1)Ich denke, die indigene Literatur innerhalb der amerikanischen Litera- tur hat nach wie vor eine marginale Bedeutung, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass es natürlich nicht so viele Autoren prinzipiell gibt.(2) ....und gerade im Vergleich zu afro-amerikanischen Autoren würde ich sagen, dass die Geschichte der Sklaverei im amerikanischen kulturellen Gedächtnis mittlerweile besser verankert ist, als die Auslöschung der Stämme; man muss das so radikal sagen, was ja damit zu tun hat, dass man sozusagen die Gründung der Republik in irgendeiner Form politisch reinwaschen will. Sprecher Sagt der Amerikanist Florian Sedlmeier. Er lehrt am John- F.- Kennedy- Institut der Freien Universität Berlin. OTon Schmäling Karl May ist durchaus ein sehr wichtiger Schriftsteller hier in Deutschland gewesen. Der hat zu einem Zeitpunkt, da drüben noch Massaker stattge- funden haben bereits positiv über Indianer geschrieben. Den Wert die- ser Bücher darf man nicht unterschätzen. Aber die ganze Literatur ist immer noch die 70iger und 80iger Jahre...,es gibt inzwischen ganz viele neue Literatur drüben in Amerika, auch neueste Forschung, da kommt fast nichts hier rüber...Indianer sind heute politisch sehr aktiv, davon er- fährt man in Deutschland wenig..."Indianer" ist zu nostalgisch, dass sie vielleicht eine Aussage haben, dass sie über den Genozid erzählen...es ist schwierig zu vermitteln.. Sprecher Kerstin Schmäling leitet im bayerischen Rosenheim mit ihrem Mann den kleinen "Traumfänger" Verlag. Seit einigen Jahren engagieren sie sich für die Verbreitung indigener Literatur in Deutschland. Eine akademi- sche Studie scheint ihre Ansicht zu bestätigen: Zitator Das Indianerbild "Made in Germany" ist wohl, blickt man auf das Angebot der Bibliotheken und Buchhandlungen an moderner indigener Literatur, in Stein geschlagen: Lagerfeuer-Fährtensucher-Kriegspfad -Bisonjagd- romantik, Sammlung von Reden großer Häuptlinge. Romantisierende Klischees, bekannte Zerrbilder sind nicht überwunden. Das Leben des Reservats - und Stadtindianers ist hierzulande noch nicht im Fokus der Leser. Die Wahrnehmung des "Native American" in der Öffentlichkeit ist sporadisch; so in Fällen, wenn er in spektakulären Gerichtsverfahren gegen die Annexionspläne der Erdölkonzerne - oder die Atomenergiebe- hörden auf verbriefte Rechte beharrt, er als Kriegsveteran, talentierter Dichter oder Künstler entdeckt, unter dem Sternenbanner gehuldigt wird - um bald wieder vergessen zu werden. (Musik - vom Anfang) Sprecher Mit Mahatma Gandhi scheint der sich in Trance singende Indianer auf der richtigen Seite zu sein. Er sitzt hier im Union Square Park nahe Broadway Nr. 828., Ecke East 12 th. Street. Das ist die Adresse des vermutlich größten Antiquariats der Welt: "Strand Book Store". In dem Secondhandbuch-Imperium gibt es auf fast dreißig Kilometer Regallänge auch eine "German- Abteilung". Mitunter findet man hier Bücher aus dem Gepäck deutscher Emigranten, darunter auch Indianer-Geschichten, die von Generation zu Generation weitergeben wurden: Zitator Prinzessin Pocahontas, der Apache Gironimo, der Lakota Crazy Horse oder literarische Figuren wie "Uncas, der letzte Mohikaner".. Old Shut- terhand...Winnetou... Sprecher der Lieblingshäuptling der Deutschen. In Strand Book Store stapeln sich Bücher wie. Zitator "Die fremde Seele" - Gedichte von Amerikareisenden: Nikolaus Lenau, Adelbert von Chamisso, Johann Gottfried Seume, "Tokeah oder die wei- ße Rose" von Charles Sealsfieldt, Friedrich Pajeken: "Jim, der Trapper", James Fenimore Coopers "Lederstrumpf - Erzählungen, ..... Sprecher Der Waldläufer Natty Bumppo, der beliebteste aller indianerfreundlichen Romanfiguren, Nachtlektüre von Goethe, Mark Twain, Hamsun und Kaf- ka. Cooper wurde von der Lebensgeschichte des mit 16 Jahren nach Amerika ausgewanderten Johann Adam Hartmann aus der Pfalz zu sei- nem Roman inspiriert. Zitator "Wo wird mein Bruder Wildtöter sein, wenn morgen die Sonne wieder über den Feldern steht", redet ihn der Delaware an. Kein Mensch kann im Voraus sagen, wo er am kommenden Tag sein wird", antwortete dieser," auch du mein Freund, kannst das von dir nicht wissen. Chingachgook wird an der Seite seines Freundes sein, wird er im Land der Geister weilen, so wird die Schlange neben ihm kriechen, wird er unter der Sonne atmen, so wer- den ihre Strahlen sie beide bescheinen." Ich danke dir, Schlange, ant- wortete Wildtöter, ergriffen von der Treue seines Freundes." Sprecher Beim Blättern entdecke ich die Widmung, Zitator "Für Aaron zu Weihnachten, Hannover 1936". Sprecher Viele Emigranten haben bei der Flucht aus Europa, Bücher mitgenom- men. Welche Geschichte mag sich in dieser Widmung verbergen, eine tragische oder eine, die in die Zukunft weist? Sprecher Weit weniger bekannt als James Fenimore Coopers sind Autoren, die die Geschichte der Indianer fortschreiben und über die Folgen des Vernich- tungsfeldzugs und der Zwangsassimilation erzählen. Zitator Gott ist rot! Sprecher .....eine indianische Provokation" -lautet der Titel eines kritischen Es- says des Sioux, Vine Deloria junior. Der Jurist und Theologe beklagt da- rin die "weiße" Erinnerungskultur. Zitator Die traumatischen Erfahrungen waren und bleiben immer unauslöschbar im indianischen Gedächtnis gespeichert, waren und sind eine Quelle, aus der die indigenen Schriftsteller eine moderne indianische Literatur schaffen. Ihre Werke gehören zur Geschichtsschreibung und sind daher nicht zu ignorieren. Sprecher Lyman Frank Baum, der Autor des berühmten Buches "Der Zauberer von Oz" glaubte nicht, dass die Werke nordamerikanischer Indianer und die der Afro-Amerikaner jemals ein Teil der Weltliteratur sein würden. Dem Indianer gestand er überhaupt keine Zukunft zu. Im "Aberdeen Sa- turday Pioneer" schreibt er: Zitator Die edlen Vertreter der Rothäute sind erloschen, und übrig ist nur noch ein Rudel heulender Köter, die die Hand lecken, die sie quält...Warum nicht Vernichtung? Ihr Ruhm ist dahin, ihr Mut gebrochen, ihre Männlich- keit ausgelöscht; sollten sie besser sterben als weiterleben als erbärmli- che Kerle, die sie sind. Sprecher In den 1970iger Jahren meldeten sich in der Zeit der "Native American Renaissance" Autoren zu Wort, die sich poetisch gegen das Ausblenden der Geschichte vor der Unabhängigkeitserklärung von 1776 wehrten, ihre anderen Traditionen in Erinnerung riefen. Zitator The warrior spirits We are the warrior spirits we fought for our lands at Wounded Knee we fought for our holy lands at Little Big Horn we ran with your generals through the fields of France we raised the flag on Iwo we died on Bataan and Corregidor must we die in the cities of New York an L. A. Detroit and Seattle? /darüber/ Die Geister der Krieger wir sind die Geister der Krieger wir kämpften um unser Land bei Wounded Knee wir kämpften um unser heiliges Land beim Little Big Horn wir stürmten mit euren Generälen über die Felder Frankreichs wir hissten die Fahne auf Iwo wir starben in Bataan und auf Corregidor müssen wir sterben in New York und L.A. Detroit und Seattle? Sprecher Der 1946 geborene R.A. Swanson erinnert an die Indianer, die für die USA in den großen europäischen Kriegen und in Asien kämpften, be- sonders an den Irokesen Frank Prewett, dessen Gedichte - er war vier- undzwanzig Jahre alt - von Virginia Woolf entdeckt und veröffentlicht wurden. Prewett war einer der fünfzehntausend nordamerikanischen Indianer, die im Ersten Welt- krieg in britischer Uniform neben den afroamerikanischen Soldaten für die USA gegen Deutschland kämpften. Und James Baldwin erinnert sich: Zitator Wer zurückkehrte, der wurde, wie der Mann aus Harlem, danklos in die Trostlosigkeit der Reservate oder Slums der Städte verabschiedet. Auf diesem Nährboden entstand eine ganz eigene Literatur. Sprecher Die Anglisten Werner Arens und Hans Martin Braun haben 1992 R.A. Swansons und Frank Prewetts Gedichte in ihre Lyrik-Anthologie " Der Gesang des schwarzen Bären", aufgenommen. Es war der erste zwei- sprachige Querschnitt indianischer Poesie im deutschen Sprachraum. Zitator Heutige indianische Dichter können die Grundannahmen und Traditionen ihrer Vorväter nicht einfach übernehmen, schon deshalb nicht, weil die Welt, in der sie galten, in ihrer ursprünglichen Art nicht mehr existiert. Sie müssen sich vielmehr kritisch mit ihnen auseinandersetzen. Sie sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob das Weltbild ihrer Vorväter für sie per- sönlich noch Relevanz besitzt... Sprecher In dieser Situation wirken die poetischen Wortmeldungen nicht selten ar- gumentativ und streitbar, sie spiegeln Zweifel und Verzweiflung, auch Resignation, wie der Text von Ray Young Bear zeigt: Zitator One winter thought everything i have ever counted upon as being something more than close, now seems farther and it passes me, disregarding the value of my feelings. so i change like seasons - except my winters... they tie themselves to me. Never the spring, summer, or fall (darüber) Ein Wintergedanke Alles, worauf ich stets mich verlassen habe, dass es mir näher stünde als nah, scheint jetzt ferner und nimmt keine Notiz von mir missachtet den Wert meiner Gefühle, so verändere ich mich wie Jahreszeiten - ausgenommen meine Winter. sie heften sich an mich. - nie der Frühling, Sommer oder Herbst. Sprecher Simon J. Ortiz, einer der Wegbereiter dieser neuen indigenen Literatur, schrieb: Zitator Den Wert unserer Kultur für die amerikanische Gesellschaft über Jahr- hunderte nicht nur nicht erkannt, sondern ignoriert zu haben, sie sogar vernichtet zu sehen, gehört zu den Tragödien dieser Nation. Sprecher Auch Simon J.Ortiz Poesie unterzieht aktuelles Geschehen einer kri- tisch-ironischen Betrachtung und sagt, dass eine moderne "künstliche Welt" mit einer über Jahrtausenden gewachsene Tradition offensichtlich nicht verschmelzen kann. Zitator Washyuma Motor Hotel Beneath the cement foundations of the motel, the ancient spirits of the people conspire sacred tricks, They tell stories and jokes and laugh and laugh. The American passersby get out of their hot, stuffy cars at evening, pay their money wordlessly, and fall asleep without benefit of dreams. The next morning, they get up, dress automatically, brush their teeth, get in their cars and drive away. They haven´t noticed that the cement foundations of the motor hotel are crumbling, bit by bit. The ancient spirits tell stories and jokes and laugh and laugh. (darüber) Washyuma Motel Unter den Betonfundamenten des Motels hecken die altehrwürdigen Geister unseres Volkes heilige Späße aus. Sie erzählen Geschichten und Witze und lachen und lachen. Durchreisende Amerikaner steigen abends aus ihren heißen, stickigen Autos, zahlen wortlos ihr Geld und sinken in Schlaf ohne den Segen der Träume. Am nächsten Morgen stehen sie auf, ziehen sich automatisch an, putzen die Zähne, steigen in die Autos und fahren davon. Sie haben nicht bemerkt, dass die Beton- fundamente des Motels zerfallen, Stück für Stück. Die altehrwürdigen Geister erzählen Geschichten und Witze und lachen und lachen. Sprecher Der Korrespondent der Washington Post, schrieb im Herbst 1910 nach dem Besuch in Reservaten und Sammeln von Liedern, was Literatur- agenten, Verlage und Zeitungen noch Jahrzehnte dachten: Zitator Was in Ermangelung einer Schrift nur gesungen oder auf Kerbstöcken eingeritzt, als Piktogramm kursierte oder gebetet wurde und wird, kann nicht Literatur sein. Sprecher Was aber aus den Quellen der mündlichen Überlieferung und als Ergeb- nis der "Native American Renaissance" von Autoren wie Leslie Marmon Silko, James Welch, Vine Deloria junior. oder Jimmy Durham geschrie- ben wurde, konnte nicht mehr übersehen werden. Die Anerkennung durch das literarische Establishment gelingt 1969 N. Scott Momaday mit seinem Roman "Haus aus Dämmerung". Zitator "Abel betrat den Canon. Seine Rückkehr in die Stadt war gescheitert, so sehr er sich darauf gefreut hatte. Er hatte in den ersten Tagen versucht, mit seinem Großvater zu sprechen, aber er war nicht imstande, sich auszudrücken; er hatte mit Beten und Gesang den alten Rhythmus der Sprache wiederzufinden versucht, aber er war aus der Harmonie gefal- len. - Dort, wo das Pflaster sich ansteigend einem Hügel zu wand, ver- ließ er die Straße und empfand plötzlich eine tiefe Erleichterung über seine Einsamkeit in dem sonnenerhellten Canon.... Fast hatte er innerli- chen Frieden gefunden, so als habe er einen Schluck lauwarmen, süßen Wein getrunken, und für eine kurze Zeit vergaß er sich selbst. Er war mit sich allein und er hätte gern aus der Buntheit des Canons ein Lied ge- sungen." Sprecher Als erstem indigenen Autor wird N. Scott Momaday der Pulitzerpreis zu- erkannt. Er erzählt die Geschichte des jungen Abel. Wie der Dichter Frank Prewett oder die Cree-Indianer Xavier und Elijah in Joseph Boy- dens Roman "Der lange Weg", eine eindringliche Parabel über Verlust und Entfremdung, Hoffnung und Erlösung, überlebt er den Krieg und muss erkennen: Die Stammesidentität ist verloren; es gibt keine Hoff- nung für einen, der zwischen zwei Welten geraten ist. Über die immer kompromissloser werdende Literatur indigener Autoren sagt Florian Sedlmeier. OTon Sedlmeier (1)Für die indigene Literatur gilt die Konvention, Autorschaft ist immer der Gemeinschafft verpflichtet, es geht immer um kollektive Repräsenta- tion. (2) Es gibt ganz bestimmte Themenkreise, die immer wieder auf- tauchen; es ist durchaus eine Literatur, die sehr stark auf Reservation zentriert ist, wo es darum geht eine komplett andere Weltsicht im Grunde bewahren zu wollen. (3)Es gibt allerdings Autoren wie etwa Sherman Alexie, der in manchen Werken darüber hinausgeht, ob man das jetzt verstehen will als eine Assimilation, das sei dahingestellt. Aber es geht um eine Positionierung einer anderen Autorschaft, die sich nicht mehr unbedingt der Gesellschaft verpflichtet fühlt. Zitator "Der ärmste weiße Mann der Welt stahl Aluminiumdosen aus Johns Müll- tonne. Nein, das stimmt nicht ganz. Wenn John montags die Dosen für die Altmetallsammlung nach draußen stellte, war der ärmste weiße Mann immer schneller. John beobachtete ihn immer vom Schlafzimmer- fenster aus. Der ärmste weiße Mann trug zerfetzte Lumpen. Er sah krank aus. Sein Gesicht war mit tiefen Pockennarben übersät, die fetten Haare trug er zum Pferdeschwanz gebunden...Womöglich hatte er eine Fami- lie, eine weiße Frau und weiße Kinder, die irgendwo hungrig in einem Park auf ihn warteten. Dabei war John klar, dass er sich von dem Dosengeld Schnaps kaufte. John hasste arme weiße Männer, aber er konnte sich die Mühe sparen, sie zu töten. Sie waren bereits tot." OTON Sedlmeier (1)Ein Autor wie Sharman Alexie ist sehr der Postmoderne verpflichtet; man merkt in seinem Werk sehr deutlich, dass die Konvention dieser Li- teratur, die auf gemeinschaftliche Darstellung und Repräsentation zielt, bei ihm eher unterminiert wird. Natürlich hat man bei den indigenen Au- toren das Phänomen, dass sie an diesen Instituten für kreatives Schrei- ben ausgebildet sind. Und das hat natürlich ganz große Auswirkungen darauf, wie sich diese Literatur auch verändert. Sprecher Das ist deutlich bei Louise Erdrich zu erkennen. Sie ist Tochter einer In- dianerin und eines Deutsch-Amerikaners; ihr Roman "Das Haus des Windes" stand 2012 monatelang auf der Bestsellerliste der New York Times und steht gerade in deutschen Buchhandlungen. Zitator Eine von drei indigenen Frauen in den USA werden im Lauf ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung, 86 Prozent werden von nicht -indigenen Männern begangen; nur wenige werden strafrechtlich verfolgt. Sprecher In ihrem Roman "Das Haus des Windes" gelingt es der erfolgreichen Au- torin, über die ironisch-spannende Erzählung des 13jährigen Joe, der das Gewaltverbrechens an seiner Mutter aufklärt und rächt, eine ein drucksvolle, atmosphärisch dichte Milieustudie des heutigen Lebens im Reservat zu beschreiben. Zitator "Eine Menge Leute hatten was gegen Lark, sagte ich. Jede Nacht ver- folgte er uns in unseren Träumen.- Wir sind wieder auf dem Goldplatz, in dem Moment, wo sich Larks und meine Blicke treffen. Dieser grauen- volle Blickkontakt. Dann der Schuss. Lark ist in meinem Körper und sieht mir zu. Ich bin in seinem Körper und sterbe. Cappy läuft mit Joe und dem Gewehr den Hügel hoch, und er weiß nicht, dass in Joe Larks See- le steckt. Ich liege sterbend auf dem Golfplatz und weiß, dass Lark Cap- py töten wird, sobald sie den Ausguck erreicht. Ich versuche zu schreien und Cappy zu warnen, aber ich spüre, wie mein Leben aus mir heraus- blutet und in den gestutzten Rasen sickert." Sprecher Der "Traumfänger" Verlag versammelt in seinem bunten Programm Kin- derbücher, Biographien, Krimis, Ethno-Thriller und gibt moderne indige- ne Autoren und deutsche Erzähler heraus, die neue, gut recherchierte "Indianer-Romane" schreiben, von Mitch Walking Elks "Ich werde mich nie ergeben", über Kerstin Groepers "Der scharlachrote Pfad", Dallas Chief Eagles "Dämmerung über dem Land der Siuox" bis hin zu Ulrich Wißmanns "Wer die Geister stört". Der Völkerkundler weist, indem er sei- ne Kriminalgeschichte im Umfeld des vom Vatikan betriebenen Riesen- teleskops in Arizona, auf heiligem Apachenland, ansiedelt auch auf ein immer noch gern verdrängtes Vergehen vieler christlicher Missionare hin: Die brutal vollzogene "Zwangschristianisierung" der Indianerkinder. Zitator Little Eagle war auf eine der berüchtigten Indianerschulen gebracht wor- den. Dort hatte man ihm seine langen Haare abgeschnitten und ihm ver- boten, in seiner Sprache zu sprechen oder indianische Kleidung zu tra- gen. Es wurde darauf Wert gelegt, dass Kinder aus dem selben Stamm möglichst keinen Kontakt aufbauen konnten. Wenn er erwischt wurde, wie er doch einmal seine Muttersprache benutzte, wurde er fruchtbar verprügelt. So lernte Little Eagle Englisch. Als er vom Internat zurück- kam, fand er sich auf der Reservation nicht mehr zurecht. OTONSchmäling Das Interesse an tatsächlicher Geschichte ist nicht groß. Unsere Autoren haben ganz viel Kontakt und sind in Amerika gewesen. Das merkt man immer, wenn man ein Manuskript bekommt: hat der Mensch schon mal einen Indianer gesehen? Das prüfen wir auch, Stereotypen und Kli- schees haben wir genug in Deutschland, brauchen wir nicht. Über span- nende Geschichten kann man ja auch Geschichte und Wissen vermit- teln. Und wir wollen über diese Romane auch auf die jetzige Situation aufmerksam machen, auch das Geschichtsbild geraderücken.(2) Das Problem ist einfach, dass der Buchhandel so träge ist, die bestellen Bü- cher einfach nicht. Die wissen gar nicht, wo sie es hinstellen sollen. "In- dianer" ist für den Buchhandel immer noch "Kinder-Jugendecke". "India- ner" ist seit mehreren Jahren für die Großverlage überhaupt kein The- ma. (Musik - unterlegen) Es gibt einen schönen Satz in Lakota: "Matuwe slolwaye ca heon toka- takkiya munikte slowayinkte" - Weil ich weiß, wer ich bin, weiß ich auch, wohin ich in Zukunft gehe. (Musik s. Anfang) Sprecher (einblenden) Trotz des Straßenlärms waren seine Stimme und die Trommeltöne schon von weitem zu hören. Keiner kannte den Namen des alten Man- nes. 90 Jahre, nachdem die Native Americans, die Ureinwohner Nord- amerikas, zu Bürgern der USA erklärt wurden, kam er vom Ufer des Hudson-Rivers zum Union Square Park hinaufgelaufen. Vor dem Ma- hatma- Gandhi-Denkmal breitete er ein braunes Fell aus.... (Musik) Musikauswahl/Archiv Authentic Music of the American Indian Nr. 39-03473 39-03469 39-03470 Indians Sacred Spirit 91 - 53741 Sacred Spirit 90 - 72379 1