COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen bgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Letzte Zuflucht Schwäbisch Hall: 15 000 Portugiesen suchen das Arbeitsparadies Reportage: Autor: Andreas Wenderoth Redakteur: Ellen Häring Regie: Atmo 1 (A223/ 1.29-54) Atmo Spedition. Tür auf und zu. Wortfetzen. Sehr gut, siehste, geht doch, ...Fährste rein, linke Seite, Exportseite, Papiere abgeben und dann auf die Rampe... Autor: Isabel Espirito Santo steht in Halle 6, hinten rechts, und schiebt Pakete zusammen. Ihr schulterlanges rötliches Haar fällt auf das blaue Firmensweatshirt mit einem gelben Schriftzug direkt über dem Herzen: Spedition Schmitt steht darauf. Gemäß ihrer Orderliste wuchtet sie aus hohen Regalen Hochdruckreiniger heraus, scannt sie ein, versieht die Pakete mit Außenkartons, die sie zuklebt, adressiert und auf eine Palette legt. Etwa 250 Pakete muss sie pro Schicht schaffen. Die Pakete sind schwer. Und die Portugiesin Isabel Espirito Santo, von Beruf Zahnarzthelferin, schon am Nachmittag so müde, dass der Abend für sie eigentlich gelaufen ist. O-Ton 1: (VO!) In Portugal bekommst du keinen Job in meinem Alter, ich bin 47. Sie suchen nur Junge. Erfahrung zählt nicht. Ich bin geschieden, meine Kinder sind verheiratet. Ich dachte, ich muss mein gesamtes Leben ändern. Regie: Atmo fortsetzen Autor: Das alte Leben hat Isabel zurückgelassen in Lissabon. Ihr neues spielt in Schwäbisch Hall, 37.000 Einwohner, sanfte Hügel, sattes Grün. Alle sprechen Schwäbisch, manche ein paar Brocken Englisch, Isabel kann sich ganz gut auf Englisch verständlich machen. Die Kommunikation ist trotzdem nicht einfach. Regie: Atmo 2 (A224/ 2.35-4.02) Stapler Paletten, Be careful, these guys drive with a lot of speed. This is my car, hier pack ich die Sachen rein, das ist mein Scanner, hier bekomm ich die Order (Piepen), in den Fluren hol ich die Sachen, und dann pack ich ein, dann wird's abgeholt. Ich zeig es dir... Autor: Isabel mag die Kollegen, sie sind nett zu ihr. Jedenfalls die, die sie verstehen kann. Sie muss täglich um fünf Uhr morgens raus, um sechs beginnt die Arbeit. Es gibt verschiedene Schichten, und sie weiß auch nicht, warum, aber sie ist immer in der Frühschicht. Irgendwie ist sie an ihr hängengeblieben. Vielleicht hätte sie etwas sagen müssen, ganz am Anfang. Aber eigentlich ist es ihr auch egal. Es gibt keinen Grund sich zu beschweren. Die Zahnarzthelferin ist froh, dass sie bei Schmitt die Paletten bestücken darf. O-Ton 2 (VO!) Es ist wegen der ökonomischen Situation in Portugal. Ich hab meinen Job verloren, das Geld war sehr knapp, mein Gehalt lag bei 600 Euro, 350 Euro hat die Miete gekostet und dann kamen noch Wasser, Strom und das Auto dazu, das geht nicht. Regie: Atmo fortsetzen? (evtl. zusätzliche Lageratmo besorgen!) Autor: Isabel ist zwar ohne Familie aus Portugal gekommen, aber dennoch nicht alleine. Tausende Portugiesen wollen ihr Glück ausgerechnet in Schwäbisch Hall suchen. Und daran ist die Stadt nicht ganz unschuldig. Durch schmale Gassen, über Kopfsteinpflaster und Holzbrücken, vorbei an Fachwerkhäusern gelangt der Besucher ins Rathaus. Regie: Atmo 3 (A236/0.00-) Atmo Rathaus innen. Die erste Tür links, steht dann draußen dran, Treppensteigen Autor: Dort sitzt Robert Gruner, Rathaussprecher, mit blau kariertem Hemd und jungenhaften, fast schelmischen Lächeln, im Konferenzraum des prächtig restaurierten Barockbaus. Er versucht zu erklären: O-Ton 3 (A 237/ 0.36) Gruner: Ziel war es, für Fachkräfte in Südeuropa zu werben, der OB hatte die Idee, Anzeigen zu schalten, hat man ihm abgeraten. Dann hat uns das Goetheinstitut auf die Idee gebracht, Journalisten einzuladen, dann haben wir zusammen mit dem Institut eine Reise organisiert. Regie: Atmo Wasser (4), Flussrauschen Autor: Schwäbisch Hall, ein 37.000 Seelenort rund 60 km nordöstlich von Stuttgart, ist zwar vor allem bekannt wegen seiner ortsansässigen Bausparkasse, aber das ist nicht die ganze Geschichte. Schwäbisch Hall ist auch eine Hochburg der größten deutschen Familienunternehmen. Die Wirtschaft brummt und die Arbeitslosigkeit liegt mit 2,9 Prozent nahezu im homöopathischen Bereich. Es herrscht Fachkräftemangel. 2500 freie Stellen. Alle Versuche, sie zu besetzen, schlagen regelmäßig fehl. Deshalb die Idee, im kriselnden Südeuropa zu werben. Deshalb die unverbindliche Einladung an die Journalisten aus Spanien, Italien, Griechenland und eben auch Portugal sich Schwäbisch Hall persönlich anzusehen. Regie: Atmo 5 besorgen! Altbau innen? Autor: Die Kosten überschaubar, insgesamt 10 000 Euro. Vier Griechen kommen, ein Italiener, ein Spanier und die Redakteurin der portugiesischen Wirtschaftszeitung "Diario Economico". Das Programm laut Gruner, "ein wenig zu straff für die südeuropäische Mentalität." Oft sitzen sie noch beim Frühstück, wenn er sie schon abholen will. Als die portugiesische Redakteurin ihren Artikel veröffentlicht, ist er mit sechs Seiten länger als alle anderen Artikel der Kollegen zusammen. Gruner breitet ihn auf dem Konferenztisch aus. O-Ton 4 (237/ 5,27 - 7.34) Zeitungsrascheln. Also ist ´ne Wirtschaftszeitung, Diario economico, Tagebuch der Wirtschaft, wenn ich meinem Portugiesisch trauen darf. Hier eine ganze Beilage mit Bild von Schwäbisch Hall, und dann geht das eben los mit unheimlich vielen Statistiken... Hier sieht man zum Beispiel diesen Fehler mit den Durchschnittsgehältern, also 3450 Euro brutto ist durchaus möglich in einigen Berufen, aber als Bäcker werden sie das nicht bekommen. Regie Atmo verlängern! Autor: Der Artikel erscheint unter der schmissigen Überschrift "Die Stadt, wo die Jobs Leute suchen." Eine Hymne auf Schwäbisch Hall. Dummerweise mit ein paar Fehlern. Zum Beispiel sind Brutto- und Nettolohn irgendwie durcheinander geraten. Für den portugiesischen Leser schraubt sich das schwäbische Durchschnittsgehalt dadurch in schwindelerregende Höhe. Dass Schwäbisch Hall das Paradies auf Erden ist, wird durch die Aussage gestützt, dass Arbeitslose in der Regel binnen drei Monaten einen Job finden. Und Deutsch nicht unbedingt erforderlich sei. Die Schule heißt es, ist umsonst, Studiengebühren abgeschafft, die Ernährung gesund und die Häuser den deutschen Wintern gewachsen. Außerdem gäbe es keine Staus, nicht einmal zu den Hauptverkehrszeiten. Von hohen Lebenshaltungskosten ist nicht die Rede. Dann bricht eine Lawine los. O-Ton 5 (237/ 8.11) Alle Beteiligten, die mit dabei waren, da hat keiner damit gerechnet, dass da so ein Bewerberansturm losgeht. Gut, man denkt sich, vielleicht kommen 20 oder 30 aus jedem Land, aus Griechenland war's auch in etwas so, aber man rechnet nicht damit, dass in den ersten drei Tagen 2500 Bewerbungen eingehen. Also, die Postfächer sind ja übergelaufen. Die haben wirklich alles abgegrast. Regie: Atmo verlängern! Autor: Praktisch im Sekundentakt treffen mails ein, In der Agentur für Arbeit stürzen die Server mehrfach ab, die Speicherkapazitäten müssen erhöht werden. Und die Bewerbungen halten an. 15 000 sind es inzwischen - und täglich immer noch neue. Jeder erhält ein Antwortschreiben. Aber einige kommen auch einfach direkt vorbei. Regie: Atmo 5 (249/ 0.05) Folgen Sie mir einfach....so, Computergetippe,..250 arbeitslos 10, muss jetzt grad Ordner zuordnen, und hoff..., Autor: Die Vorhut der möglicherweise stärksten Gastarbeiterwelle seit den 60er Jahren wird von Petra Hildenbrandt abgefangen. Die Arbeitsvermittlerin mit grauem Hosenanzug und rotem Lippenstift, sitzt im 2. Stock des modernen Licht durchfluteten Gebäudes der örtlichen Arbeitsagentur und wird vom Empfang angerufen, "wenn wieder einer aufgeschlagen ist." Weil sie das beste Englisch des ganzen Hauses spricht. Sie haben auch noch jemand, der Spanisch kann, was ja immerhin in dieselbe Richtung geht. Oft kommen die Portugiesen direkt vom Flughafen oder Bahnhof vorbei - ohne ein Wort Deutsch, aber mit großen Erwartungen. Die muss sie leider nur zu oft zerstören. O-Ton 6 (A248/ 5.25) In dem Zeitungsbericht, insbesondere aber auch in der Fernsehberichterstattung, sprach man davon, Englischsprachkenntnisse würden ausreichen, und dem ist definitiv nicht so. Das ist vereinzelt so bei hochqualifizierten Ingenieuren, wenn die Betriebe auch international aufgestellt sind, aber in aller Regel brauchen die Bewerber wenigstens Grundlagen in Deutsch. Und das war diese große Diskrepanz und auch die große Enttäuschung bei den portugiesischen Bewerbern. Die Mehrheit der Arbeitgeber sagt ganz klar: Um Arbeitsanweisungen befolgen zu können, muss ein Grundverständnis da sein in der deutschen Sprache. Regie: Atmo 6 Büro (besorgen!) Autor: 20 Portugiesen haben sie jetzt in Hilfsjobs vermittelt. Bei McDonalds, Speditionen oder in Hotelküchen. Die meisten Bewerber stammen nicht unbedingt aus Berufen, die hier gebraucht werden. Und viele sind eigentlich überqualifiziert, für das was sie tun. So wie Zahnarzthelferin Isabel, die jetzt als Packerin bei der Spedition Schmitt arbeitet. Regie: Atmo 7 (A224/ 4.09 - 6.15) Packgeräusche. Hier pack ich das in die Box, einige Sachen auch nicht, Klebeband Autor: Isabel geht an ihrem ersten Tag in Deutschland vom Bahnhof direkt ins Rathaus. Man sagt ihr, sie muss zunächst eine Arbeit vorweisen können, bevor man ihr bei der Wohnungssuche behilflich ist. Sie bekommt einen Stadtplan, auf dem die Arbeitsagentur mit einem Kreuz gekennzeichnet ist. Dort teilte man ihr auf einem standardisierten Zettel in portugiesischer Sprache sinngemäß mit: O-Ton 7 (C212/ 12.35) (VO!) Wenn Sie Portugiesin sind, und keinen Job haben, sollten Sie zurück nach Portugal. O je, was mach ich? Sie schaute mich an und sagte, warten Sie: Dann kam ein englischsprechender Vermittler, Christian, wir sprachen 20 Minuten, und er meinte: Ich werde einen Job für dich finden, kannst du 5 Minuten warten? Ja, ich kann den ganzen Tag warten. Ich glaube, er machte einen Anruf. Und dann fragte er mich: Willst du ein Vorstellungsgespräch noch heute Nachmittag? Ja natürlich. Ich bin zu allem bereit! Regie: Atmo fortsetzen Autor: Dass die Arbeit schwer ist, die Familie weit weg ist und Isabel statt in ihrem gelernten Beruf jetzt als Hilfsarbeiterin schuftet, das stört sie nicht. Und auch nicht die anderen Portugiesen, die in Schwäbisch Hall gelandet sind. O-Ton 8 (C212/ 42.28) (VO!) Die Portugiesen nehmen jeden Job, wir haben keine Angst zu arbeiten. Kein Problem. Die Mehrheit der Portugiesen ist genau so. Den meisten geht es so wie mir, sie hatten ein gutes Leben. Sie verloren alles und müssen noch einmal ganz von vorn anfangen... Regie: Atmo fortsetzen Autor: Nach Portugal möchte sie nicht zurück, sagt sie und schaut aus großen melancholischen Augen. Die Wirtschaft dort werde sich frühestens in zehn bis zwölf Jahren erholen. Zu lange, um einfach zu warten. O-Ton 9 (C212/ 34.25) (VO!) Ich kam mit einem One Way Ticket. Ich möchte Leben von Null aus neu starten. Natürlich möchte ich meine Kinder ab und zu sehen, aber dort wieder leben? Nein! ich habe alles verloren. Vor zehn Jahren führte ich ein sehr gutes Leben, hatte mit meinem Mann eine große Firma für Auto-Zubehör. Ein großes Haus, gute Autos, aber dann ist das Autogeschäft in Portugal innerhalb von zwei, drei Jahren komplett zusammengebrochen. 37.35 Im Augenblick möchte ich nicht wieder dorthin (weint). Regie: Atmo 8 (A224/ 7.11 - 8.12) Computerklackern, Klebeband, Piepen. Autor: 1000 Euro netto verdient Isabel jetzt, immerhin fast doppelt soviel wie bei ihrem letzten Job in Portugal. Und doch deutlich weniger als es in dem Zeitungsartikel versprochen wurde. O-Ton 10 (C212/ 46.40) (VO!) Ich dachte schon, dass die Auswahl der Jobs und auch das Gehalt etwas besser sein würden, aber ich beschwere mich nicht, denn in Portugal ist es viel schlechter. In der Zeitung hieß es, 2700 bis 3000 Euro, na ja so ist es nicht. Sie sagten, die Sprache sei kein Problem, aber die Sprache ist sehr wohl ein Problem! Regie: Atmo Lager Autor: Geschäftsführer Eric Leuchters, grauer Anzug, offenes Hemd, hat inzwischen sieben Portugiesen eingestellt. Unter der hohen Decke des Lagers sagt er, die Neuen machen sich gut. O-Ton 11 (A227/ 3.10-3.50) Geschäftsführer: Wir haben einen Migrationsanteil im Lager von etwa 90 Prozent, das ist mitunter natürlich schwierig, aber sie verständigen sich mit Händen und Füßen. Papier, Zeichnen. Das klappt schon ganz gut. Hier ist ja alles sehr getaktet, muss ja alles übergreifen, ist ja was, was die in Südeuropa nicht so kennen: Wenn da steht, der Bus kommt um halbacht, dann kommt der eben um halbzehn. (lacht) Regie: Atmo Lager Autor: Leuchters nimmt die Probleme seiner Angestellten ernst. Man kann die Portugiesen hier "nicht einfach so reinschmeißen", sagt er. O-Ton 12 (A 229/ 0.00-0.56) Man muss aufpassen, das ist auch so'n bisschen meine Kritik. So rauszuschreien, und die Leute von den Familien wegzuholen, das kann ja hier auch ganz andere Brennpunkte wieder erzeugen. Wir haben die Einstellung, dass wir darauf sehr sensibel reagieren. Wir haben jemand abgestellt, der bei Behörden hilft, Wohnungssuche und so weiter, die machen jetzt einen Sprachkurs. Das sind die Dinge, da können wir unterstützen und viel müssen sie selber machen. Regie: Atmo 9 (C215 /0.00-1.37) Atmo Grill, Wortfetzen, Holzkohle Autor: Inzwischen gibt es so etwas wie eine "portugiesische Kolonie" in Schwäbisch Hall. Von den 15.000 portugiesischen Bewerbern sind zwar bisher nur wenige tatsächlich im Schwäbischen gelandet, aber es werden mehr. Man trifft sich oft zum Grillen bei Renate und Manuel. Renate Duarte Santos arbeitet seit 33 Jahren im Stadtarchiv. Hat einen rot gefärbten Pony, eine getönte Brille und ein Herz, das größer ist als der Marktplatz von Schwäbisch Hall. Irgendwann hat die Stadt sie gebeten, eine Einladung ins Portugiesische zu übersetzen. Sie ist mit einem Spanier verheiratet und die Sprachen sind ja doch irgendwie ähnlich. Es ist eine Einladung gewesen zu einem Portugiesen- Stammtisch. Beim Griechen. Wobei Stammtisch vielleicht ein bisschen hoch gegriffen ist, denn das Treffen hat sich bisher nicht wiederholt. Der inoffizielle Stammtisch ist jedenfalls seitdem bei Renate und Manuel. Während die Steaks auf dem Grill brutzeln, deutet sie an, dass die PR-Aktion der Stadt ja irgendwie ein bisschen nach hinten losgegangen ist... O-Ton 13 (C211/ 10.20) Wir brauchen Ingenieure für die Richtung, oder Arbeitnehmer für die und die Richtung und nicht. Wir haben Arbeit, bei uns gibt's Arbeit, Ist ja klar, dass dann die Leute sagen, oh ja prima! Weil, jetzt kam unlängst auch ein Fischer, der wohnt in Künzelsau? Was macht der Fischer hier? Der hat für eine spanische Gesellschaft gearbeitet. Ein Polizist demnächst, da hat mich ne Frau drauf angerufen, ja bei uns war jemand, der ist wieder nach Hause gegangen, aber der kommt wieder. Und er ist Polizist. Was macht der Polizist hier? Regie: Atmo 10 (A216/ 0.28) Atmo Papa wo hast du Cerveza? Worte....Hast du Feuer? Wortwechsel, Musik Autor: Renate und Manuel sind für die Portugiesen so etwas wie die Engel der Stadt. Weil sie helfen, wo sie können. Bei der Wohnungssuche, mit den Behörden, bei Übersetzungen. Manuel, den sie "Papa" nennen, sammelt Möbel und besorgt Fahrräder für diejenigen, deren Weg zur Arbeit zu weit ist. Louis und Vitor haben ein einfaches 1- Zimmerapartment, ein möblierter Schlauch mit Kiefernholzdecke und Dachschräge, Toilette auf dem Flur. 400 Euro, nicht eben billig, aber immerhin nur 10 Minuten entfernt von der Spedition Schmitt, wo sie jetzt Gabelstapler fahren. Es ist schwer Wohnungen zu bekommen, selbst für Deutsche: für Ausländer ist es fast unmöglich. Renate hat ihnen die Wohnung besorgt. O-Ton 14 (A220/ 29.30) (VO!) Ohne Manuel und Renate würde ich heute wahrscheinlich unter der Brücke schlafen... Regie: Atmo 10 fortsetzen Autor: ...sagt Victor, gelernter Schlosser. Die erste Woche in Deutschland erscheint ihm so hart und die Menschen so fremd, dass er eigentlich sofort wieder nach Portugal zurück will. Er spricht ja weder Deutsch noch Englisch und so irrt er, wie viele seiner versprengten Schicksalsgenossen in jenen Tagen orientierungslos an den prächtigen Renaissancebauten der Stadt vorüber. Aber dann trifft er am Fluss auf Luis, den Steuerberater, der in Portugal zum Schluss nur noch zwei Kunden hatte. In seiner ruhigen und sanften Art sagt er zu ihm, man müsse der Zeit vertrauen. Auch Luis ist wegen des Zeitungsartikels gekommen. O-Ton 15 (A220/ 1.33 - 2.16) Luis: (VO!) Hab im Internet eigentlich in anderen Ländern nach Jobs gesucht, aber dann ist mir der Artikel im "Diario Economico" in die Hände gefallen. Viele Jobs und gutes Geld hieß es dort, da habe ich mir ein One Way Ticket nach Frankfurt gekauft. Die Nachrichten waren falsch, das Geld ist nicht so wie angegeben, aber die Lage in Portugal war so schlecht, dass es trotzdem für mich ok ist. Regie: Atmo 11 (A 219/ 1.20- 3.45) Atmo laute Stimmen, Lachen, Schritte, Kinder Autor: Gut, der Anfang gerät für ihn zur Katastrophe. Er bekommt einen Job als LKW-Fahrer bei einer Möbelspeditionsfirma, die einen Monat später pleite macht. Vier Wochen hat er umsonst gearbeitet. Fast wie in Portugal, denkt er da. Aber jetzt ist er bei Schmitt. Wie auch Isabel und Victor. Am großen Esstisch neben ihm sitzt Catia Peres mit Bratwurst und Pferdeschwanz. Sie war Küchenhilfe in einem Hotel am Marktplatz. Sagt, sie sei dort nicht fair behandelt worden. Bisher tut sie sich mit den Deutschen schwer. O-Ton 16 (C214/ 10.28) (VO!) (Catia Peres: Ich will nicht sagen, die Deutschen sind nicht nett, aber im Allgemeinen sind sie anders als wir Portugiesen. Sie machen keinen Versuch, uns zu verstehen, ich gehe zum Beispiel zum Supermarkt und frage die Angestellte, ich hätte gern Eier, ich hab es in Deutsch gesagt. Sie hat gesagt, dass sie es nicht versteht, und ob ich Türkin bin oder so. Das würden wir nie mit einem Fremden machen, auch wenn er das Wort falsch sagt, würden wir probieren herauszufinden, was er meint. Ich glaube, die Leute machen einfach keinen Versuch, uns zu verstehen, sogar wenn wir versuchen Deutsch zu sprechen. Regie Atmo 4 wiederholen Autor: In Schwäbisch Hall leben Menschen aus 115 Nationen, "Bunt. Friedlich. Weltoffen" ist der Slogan der Stadt und Ausländerfeindlichkeit eigentlich kein Thema. Dennoch gibt es zuweilen Vorbehalte gegen die Anwerbungsaktion, insbesondere von jenen, die selbst arbeitslos sind. Natzke zum Beispiel. Regie: Atmo 13 (A230/ 0.18-1.17) Motorrad, Tür, Guten Morgen: Kommen Sie rein, wenn sie wollen, dürfen sie! Treppen hoch...sie sehen was hier für Verhältnisse sind, alles krumm und schief, so... Autor: Matthias Natzke wohnt in einem 300 Jahre alten windschiefen Haus mit integrierter Schmiede. Der arbeitslose Kunsttherapeut erinnert stark an John Malkovich. In Berlin haben sie ihn dauernd darauf angesprochen und sogar Autogramme verlangt. In Schwäbisch Hall spricht ihn niemand darauf an. Vielleicht, weil man denkt, dass sich John Malkovich nicht hierher verirren würde. Die Stadt hat nicht langfristig gedacht, sagt Natzke. O-Ton 17 (A231/ 1.50-2.04) Dann hat es immer auch eine emotionale Geschichte, dann krieg ich irgendwann langsam a Wut so, wollen wir eigentlich alle versorgen hier in Deutschland? Ist das hier alles das Paradies? Regie: Atmo 14 Altbau innen besorgen! Autor: Im Grunde ist er persönlich gar nicht betroffen, denn Kunsttherapeuten sind bisher nicht aus Portugal erschienen, und werden es vermutlich auch nicht, aber Natzke lächelt sein leicht irres Malkowich-Lächeln und sagt, weil man das ja mal sagen kann: O-Ton 18 (A231/ 8.28) Ich befürcht, dass die Stadt, die nicht groß ist, mit 37 000 Einwohnern, diese, wie soll ich sagen, ähm, das es doch in ne gewisse Chaotisierung führt, in ne zu starke Zersplitterung. Wenn Se die Häuser weitergehen, Türken, nochmal Türken, nochmal Türken, da Chinesen, da Vietnamesen, ich hab hier ne Kultur, und i frag mi, was ist unsere Kultur hier, und die würd i gern mehr stützen, unsere, sagen wir mal, auch deutsche Kultur, und die seh ich ein bisschen in Gefahr, dass die zu kurz kommt, verstehen Sie? Das Paket wird zu groß! Regie: Kreuzblende Regie: Atmo 15 (A239/ 1.05 - 2.24) Atmo Glocken Kirche Autor: Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim, der zum blütenweißen Oberhemd eine blaue Krawatte mit Blumenmotiven trägt, schaut durch seine randlose Brille aus dem Fenster seines Büros auf die romanische Kirche St. Michael, die majestätisch über dem Marktplatz thront. Er glaubt nicht, dass Schwäbisch Hall durch den Zuzug der Portugiesen aus dem Gleichgewicht geraten könnte. Sicher gibt es Stimmen wie die von dem Kunsttherapeuten Natzke. Sicher sind jetzt viele Portugiesen ein bisschen enttäuscht, weil Schwäbisch Hall eine schöne Stadt, aber eben doch nicht das Paradies ist, das sie sich erträumt haben. Er spricht von Missverständnissen. O-Ton 19 (A257/ 3.18) Das ist das menschliche Dasein, Sie kennen das alte Spiel "Stille Post", auch dort geben sie eine Botschaft rein, und wenn es fünfmal weitergegeben wird, dann ist die Botschaft am Ende eine andere. Über die Weitervermittlung über Facebook, über Freunde, irgendwo ist dann eine Dynamik offensichtlich in Portugal entstanden, die dann davon vollständig abstrahiert hat. Regie: Atmo 15 (fortsetzen?) Autor: Es ist ja nicht so, dass sie jemals gesagt haben, man muss die deutsche Sprache nicht sprechen. Im Gegenteil. Es lässt sich nicht genau rekonstruieren, wie das in die Welt kam. O-Ton 20 (257/ 2.33) Das was, zugegeben übereilt im Grunde geschehen ist, es gab den von uns mehrfach genannten Hinweis der Sprachkompetenz, das wurde offensichtlich nicht als Schlüsselqualifikation wahrgenommen, die allermeisten Bewerber haben keine Deutschkenntnisse und damit stehen sie faktisch dem Arbeitsmarkt hier nicht zur Verfügung. Regie: Atmo 16 (A 235/ 0.00-) Atmo Marktplatz Autor: Die Portugiesen sprechen kein Deutsch, die Schwäbisch Haller kein Portugiesisch, und die Portugiesen, die Englisch sprechen, kommen damit auch nicht besonders weit in Schwäbisch Hall. Ein Kommunikationsproblem, sagt der Oberbürgermeister und lobt die Aktion dennoch als Erfolg. Wenn die Vorstellungsgespräche bei ihren Weltmarktführer-Firmen - dem Schraubenriesen "Würth" oder dem Verpackungshersteller "Optima" - vorüber sind, könnten mit ein bisschen Glück am Ende 300 Portugiesen einen Job haben. Bis dahin nimmt der Bürgermeister seine Schwäbisch Haller in Schutz gegen den gelegentlichen Vorwurf, sie ließen ihre portugiesischen Gäste im Regen stehen. O-Ton 21 (A257/ 18.50) Also es ist nicht vornherein so, dass man hier die Smalltalk-Experten per se sind, es sind alles bodenständige Leute, die keine Schranken haben, sehr offene Personen, aber man ist nicht sofort per Du auf der Straße. Regie: Atmo 16 fortsetzen... Autor: Schon gar nicht mit Leuten, die man nicht verstehen kann. Aber das kann sich bald ändern. Wenn erstmal 300 Portugiesen in Schwäbisch Hall arbeiten, dann wird es nicht lange dauern, bis der erste ein portugiesisches Café, ein Restaurant, einen Imbiss eröffnet. Regie: Atmo Grill/Stimmen (aus Atmo 10 bzw. 11) Autor: Der Garten von Renate und Manuel wird dann nicht mehr ausreichen. Die beiden freuen sich darauf. Sie sehen den portugiesischen Zuzug als Bereicherung. Und als wunderbare Chance für ihren Hang zur Geselligkeit. Isabel, die frühere Zahnarzthelferin und heutige Packerin, legt die nächste Portion Fleisch auf den Profi-Grill. Die Portugiesen vergessen für ein paar Stunden, dass ihre Familien 2000 Kilometer entfernt sind. Sie singen und scherzen und tun so, als hätten sie ihre Heimat nie verloren. Isabel wohnt inzwischen bei Renate und Manuel in einer separaten Wohnung unter dem Dach Dach. Das neue Leben, das sie sucht - es hat begonnen. 1