DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 23.06.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Kolumbiens Kohle - Deutschlands Doppelmoral Wie unsere Stromerzeuger von den Machenschaften internationaler Rohstoffkonzerne in Kolumbien profitieren Von Nicolas Martin URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik (Ostinato) O-Ton Opener Margoth (spanisch) Übersetzerin "Nur wegen der Kohle haben sie meine Familie umgebracht - nur deshalb." O-Ton Opener Arias (spanisch) 2. Übersetzer "Jedes Mal, wenn ihr in Europa eure Heizung anmacht, sterben hier Menschen. Euer Luxus kostet Leben in Kolumbien." O-Ton Opener Schwabe (deutsch) "Was ich verlangen würde ist natürlich, dass die Unternehmen sich ihrer Verantwortung stellen und dass sie selber mal hingehen und sagen: Wir klären auf, und haben ein Interesse daran, aufzuklären was da passiert ist." Ansage Kolumbiens Kohle - Deutschlands Doppelmoral Wie unsere Stromerzeuger von den Machenschaften internationaler Rohstoffkonzerne in Kolumbien profitieren Von Nicolas Martin Atmo Messe Predigtext Erzähler Cesar, eine Provinz im Nordosten Kolumbiens. In einer spärlich eingerichteten Turnhalle hält ein junger Priester eine Messe. Durch die kleinen Fenster dringt nur wenig Sonne. Neonlicht erhellt den Raum. Es ist ein politischer Gottesdienst: Der Priester spricht vom Bürgerkrieg, von der Versöhnung mit der Vergangenheit und von einem neuen Kolumbien. Atmo Messe Lied Erzähler Dann stimmt er ein Lied an. Die knapp 200 anwesenden Menschen stehen von ihren Plastikstühlen auf. Man riecht den Gummiboden der Turnhalle. Die Luft ist schwer. Die meisten haben jetzt die Arme über ihre Köpfe nach oben gestreckt und halten dabei ihre Nachbarn an den Händen. Fast alle haben die Augen geschlossen, manche weinen. O-Ton Culman (spanisch) 1. Übersetzer "Das ist das erste Mal, dass die Opfer der Vertreibung hier zusammen kommen können. Viele von uns haben noch nie die Gelegenheit gehabt, sich über die Vergangenheit auszutauschen. Darüber zu sprechen, was uns bei den Auseinandersetzungen alles passiert ist und wie wir heute noch immer von den großen Minenkonzernen eingeschüchtert werden." Atmo Messe Raum Erzähler Sifredy Culman ist 48 Jahre alt. Er ist stämmig, ungefähr 1,70 Meter groß und trägt einen schwarz-weiß gestreiften Sombrero, wie er bei den Bauern in Kolumbien üblich ist. Sein weißes Hemd ist verschwitzt. Culman ist Sprecher der Gemeinde Santa Fe. Für die rund 50 Familien des Dorfes kämpft er um eine Entschädigung oder die Rückgabe ihres Landes. 18 Jahre ist es her, dass bewaffnete Gruppen Silfredy Culman und die anderen Einwohner von Santa Fe gewaltsam von ihrem Zuhause vertrieben haben. O-Ton Culman (spanisch) 1. Übersetzer "Ich verlange von den Minenunternehmen, dass sie die Verantwortung für die Vertreibung übernehmen und sich bei uns entschuldigen. Nicht nur bei uns sondern bei ganz Kolumbien. Während die Konzerne die Rohstoffe des Landes ausbeuten, werden wir - die Opfer - noch immer von ihnen und von kriminellen Banden bedroht." Erzähler Ein Leibwächter, eine kugelsichere Weste und mehrere Handys gehören für Sifredy Culman zum Alltag. Im vergangenen Jahr erhielt er mehrere Drohanrufe, SMS und böse Briefe. Wer genau dahinter steckt, weiß er nicht. Er geht davon aus, dass es beauftragte Kriminelle sind. O-Ton Culman (spanisch) 1. Übersetzer "Diese Veranstaltung heute zeigt, die Ausmaße dessen, was geschehen ist. Hier im Cesar, dem wichtigsten Dreh- und Angelpunkt für die Kohleindustrie in Kolumbien. Vor allem für die beiden Unternehmen Drummond und Prodeco." Musik: Family Pictures Sprecherin: Deutschland ist einer der besten Kunden von kolumbianischer Kohle. Seit der Energiewende und der Abschaltung von Atomkraftwerken ist die Nachfrage nach Steinkohle in den vergangenen Jahren gestiegen. 2013 allein um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt hat Deutschland zehn Millionen Tonnen aus Kolumbien importiert. Jede fünfte Tonne Steinkohle, die deutsche Kraftwerke 2013 in Strom umgewandelt haben, kam aus Kolumbien. Die Energieerzeugung aus Steinkohle ist wesentlich billiger als beispielsweise die aus Gas. Dafür entsteht bei der Verbrennung mehr umweltschädliches Kohlendioxid. O-Ton Schwabe "Ich glaube, realistischerweise, kommt für mindestens die nächsten zwei Jahrzehnte ein großer, vielleicht der größte Teil der Steinkohle, die in Deutschland verstromt wird, aus Kolumbien." Erzähler Frank Schwabe sitzt in seinem Wahlkreisbüro im nordrheinwestfälischen Recklinghausen. Er ist 44 Jahre alt und SPD Abgeordneter im Bundestag. Dort ist er stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und Sprecher seiner Fraktion im Ausschuss für Menschenrechte. Als Wahlkreisabgeordneter einer ehemaligen Kohleregion kennt er sich im Energiegeschäft aus. Frank Schwabe war selbst in Kolumbien, um sich von den deutschen Zulieferern ein Bild zu machen. O-Ton Schwabe "Wenn sie auf einer vertraulichen Ebene mit den Leuten dort reden, dann gestehen die das auch zu. Dann sagen die, auch unser Unternehmen hat sich an Dingen beteiligt, die mit Menschenrechtsstandards nicht viel zu tun haben, das war falsch. Argumentieren dann aber, die Mehrheitsverhältnisse haben sich ja geändert, wir sind heute ein anderes Unternehmen und wir machen das ganz anders." Atmo Lied Valledupar Vallenato Erzähler In Valledupar, der Provinzhauptstadt der Region Cesar finden auf einem geräumigen Platz unter einigen großen Bäumen Dreharbeiten für einen Musikclip statt. Es ist heiß und die Sonne brennt. Eine achtköpfige Musikgruppe steht auf der Bühne und spielt Vallenato - eine Musikrichtung aus der Region, in der das Akkordeon den Takt angibt. Die Menschen auf dem Platz tanzen und jubeln nach den Anweisungen der Kameraleute. Atmo Musik Ende/ Klatschen Valledupar hat etwas mehr als 400.000 Einwohner und ist touristisch wenig erschlossen. Die Stadt befindet sich in einem Tal zwischen zwei massiven Bergketten: Im Norden verläuft die schneebedeckte Sierra Nevada, im Osten die Sierra de Perijá, die natürliche Grenze zu Venezuela. Ein kristallklarer Fluss zieht sich durch den nördlichen Teil der Stadt. Valledupar war lange Zeit ein wichtiger Stützpunkt der Paramilitärs. Auch heute noch gibt es hier überdurchschnittlich viele Überfälle, Einbrüche und auch Morde - die Provinzhauptstadt des Cesar hat deshalb keinen besonders guten Ruf. Musik (Ausencia) Atmo Culman, Ventilator und Küche Erzähler Sifredy Culman lebt seit seiner Vertreibung in Valledupar. Er wohnt mit seiner Frau bei Verwandten. Das einstöckige Haus ist mit einem Stahltor gesichert. Im Wohnzimmer surrt der Ventilator. Culmans Leibwächter steht neben der Eingangstür in der kühlen Luft. Seine Frau und seine Schwester bereiten das Essen zu. Es gibt Bohnen und Fleisch. Atmo Blättern Erzähler Er selbst sitzt in einem von allen Seiten zubetonierten Hinterhof an einem Plastiktisch und blättert in Fotos aus der Zeit vor der Vertreibung. O-Ton Culman (spanisch) 1. Übersetzer "Santa Fé war ein ruhiges Fleckchen Erde mit einem unglaublichen Reichtum. Dort gab es so viel Arbeit auf dem Feld. Wir haben Reis angebaut, Hirse, wir hatten Rinder und wir hatten vor allem die Hoffnung, dass die Familie dort endlich ihren Platz findet." Erzähler Das Land in Santa Fé hatte seine Familie 1989 im Rahmen einer Agrarreform von der kolumbianischen Behörde für ländliche Entwicklung erhalten. Als Vertriebene des Bürgerkrieges sollten sie eine neue Zuflucht finden. Acht Jahre lebten sie dort und konnten von ihrer Landwirtschaft ganz gut leben. Dann kamen die Paramilitärs und vertrieben die in Santa Fé angesiedelten fünfzig Familien. O-Ton Culman (spanisch) 1. Übersetzer "Mir bereitet es große Sorgen, wenn ich sehe, dass die Kohleproduktion im Cesar täglich steigt, und wie die Menschen weiterhin von Ihren Ländern vertrieben werden. Wir sind es doch, die auf diesen Ländern leben sollten und nicht die internationalen Unternehmen. Wie viele Kolumbianer sind mittlerweile ausgewandert? Wie viele von uns haben die Minenkonzerne vertrieben, um an die Steinkohle im Cesar zu kommen? Musik (Ausencia) Atmo Hühner O-Ton Margoth (spanisch) Übersetzerin "Sie kamen an einem Sonntag. Am Sonntag ist ja immer die ganze Familie zusammen. Sie haben unser Haus durchsucht, uns auf den Boden geworfen, haben die Männer geschlagen und dann alle meine Jungs mitgenommen. Nicht mal Schuhe hatten sie an. Es ist das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe und ich werde sie in meinem Leben auch nie wiedersehen." Erzähler Margoth Duran sitzt in ihrem Wohnzimmer auf einem abgegriffenen Holzstuhl. Zwei kleine abgemagerte Hühner laufen durch die Küche. Von den orange gestrichenen Wänden blättert die Farbe, der Beton darunter hat kleine Risse. Eine Tochter lauscht bei offener Tür der Geschichte ihrer Mutter. Auch Margoth Duran lebte viele Jahre im Cesar, da, wo heute die Kohle gefördert wird. Im Jahre 2002 kamen bewaffnete Männer auf ihr Grundstück in El Prado und nahmen ihre drei Söhne und ihren Mann mit. Eine Verschleppung, die auch als Drohung an alle Einwohner gedacht war und auch so verstanden wurde. Bereits am nächsten Tag floh Margoth Duran mit ihren sechs Töchtern in die Stadt. Ihren Mann und ihre drei Söhne hat sie seit diesem Tag im Mai 2002 nicht mehr wieder gesehen. Heute arbeitet sie auf dem Markt, wäscht Teller und putzt Bohnen, um ihre Kinder über Wasser zu halten. O-Ton Margoth (spanisch) Übersetzerin Mein Schicksal holt mich immer noch häufig ein. Fünf Jahre habe ich gebraucht, um darüber hinweg zu kommen. Aber auch heute noch mache ich mir Gedanken darüber, was sie mit ihnen gemacht haben. Musik (Ostinato) Sprecherin Seit knapp 70 Jahren kämpfen in Kolumbien unterschiedliche Gruppen um Macht, Geld und Territorien. Berüchtigt sind die sogenannten Paramilitärs. Anfang der 80er-Jahre waren sie von einigen Großgrundbesitzern gegründet worden. Mit größter Brutalität gingen diese Privatheere gegen die linke Guerilla vor, die den Eliten des Landes den Kampf angesagt hatte. Die paramilitärischen Verbände entfalteten schon bald ein Eigenleben - schlossen Allianzen mit dem regulären Militär und den großen Drogenkartellen des Landes. Dem Staat, der die Paramilitärs lange förderte und duldete, entglitt langsam die Kontrolle. 1996 entstanden die AUC - die Autodefensas de Colombia. Ein straff hierarchisch organisierter Dachverband der paramilitärischen Gruppen. Die blutige Spur der AUC zieht sich durch das ganze Land. Und quer durch die kohlehaltigen Gebiete im Cesar. Atmo TV-Bericht über AUC Im Jahr 2005 unterzeichnete Alvaró Uribe ein Gesetz, das den rechtlichen Rahmen für eine Demobilisierung schuf. Im Kern ging der damalige kolumbianische Präsident einen bis heute umstrittenen Tauschhandel mit den AUC ein: Waffen und Zeugenaussagen gegen milde Haftstrafen. Seitdem haben mehr als 30.000 Kämpfer die Waffen abgegeben. Nur ein Bruchteil davon gehört zu den obersten Kommandoebenen. Dennoch belasten die Gerichtsaussagen einiger Paramilitärs Politiker und Unternehmen. Hochrangige Abgeordnete sind zurückgetreten, einige wurden inhaftiert. Auch die Minenkonzerne im Cesar stehen unter Druck. Ihnen wird vorgeworfen, die Paramilitärs beauftragt zu haben. Im Zusammenspiel mit Grundbesitzern und korrupten Regierungsbeamten sollen sie so an große Grundstücke in den heutigen Kohlegebieten gekommen sein. Zu den Konzernen gehören der Drummond-Konzern aus den USA und der Schweizer Rohstoffgigant Glencore Xstrata, der im Cesar durch seine Tochterfirma Prodeco vertreten ist. Atmo Utrecht Einkaufsstraße Erzähler Utrecht in den Niederlanden. In einer überdachten Einkaufsstraße neben dem schmucklosen Hauptbahnhof hat der niederländische Ableger der Nichtregierungsorganisation Pax seinen Sitz. Dass es gerade eine NGO aus den Niederlanden ist, die den Kohlekonzernen nachspürt, überrascht nicht. Die Niederlande sind mit den industriellen Häfen in Rotterdam und Amsterdam das wichtigste Tor für kolumbianische Kohle auf dem Weg nach Deutschland und ganz Europa. O-Ton van de Sandt (englisch) 2. Übersetzer "Wir müssen realistisch sein. In Europa wird Kohle in den nächsten Jahren weiterhin ein wichtiger Teil des Energiemixes sein. Und das ist auch wichtig für die regionale Entwicklung im Norden Kolumbiens. Es wäre auch nicht gut, wenn die Unternehmen von einem auf den anderen Tag schließen würden. Was wir fordern ist, dass die verstromenden Unternehmen für die sozialen Aspekte in ihren Lieferketten Verantwortung übernehmen." Erzähler Joris van de Sandt arbeitet seit 15 Jahren in Kolumbien. Der große, schlaksige Niederländer trägt eine moderne Brille mit einem dicken, grünen Gestell. Für Pax hat er die Studie die "dunkle Seite der Kohle" geschrieben. In den letzten vier Jahren ist er dafür viele Male nach Kolumbien gereist und hat ehemalige Angestellte und Dienstleister von Drummond und Glencore interviewt. In kolumbianischen Gefängnissen hat er inhaftierte Paramilitärs über ihre Vergangenheit und ihre Verbindung zu den Kohlekonzernen befragt. O-Ton Van de Sandt (englisch) 2. Übersetzer "Viele der Aussagen legen nahe, dass die Kohlekonzerne, die Paramilitärs finanziert haben. Die Aussagen sind so detailliert, dass wir sicher sind, dass dort etwas sehr Ernstes vonstattenging. Wir glauben, dass eine Zusammenarbeit bestanden hat, aber solange es kein Urteil gibt, ist es juristisch natürlich schwer zu sagen, dass das auch 100 Prozent so war." Erzähler 150 klein gedruckte Seiten umfasst der Bericht von Pax. Es ist die Geschichte eines gut strukturierten Netzwerks zwischen den Minenkonzernen und den Paramilitärs und es ist die Geschichte einer strategisch angelegten Landnahme. Insgesamt kommt die NGO auf mehr als 2.500 gezielte Ermordungen und knapp 60.000 Vertriebene. Die Gräueltaten spielten sich in den Jahren der großen Expansionsphase der Kohleindustrie ab, zwischen 1996 und 2006. O-Ton Van de Sandt (englisch) 2. Übersetzer "Es gibt genügend Zeugenaussagen und auch einige Anwälte, die den Staat dazu drängen, die Machenschaften der Unternehmen zu untersuchen. Aber bis heute ist da sehr wenig passiert. Das ist typisch für Kolumbien - das Problem ist die Straflosigkeit." Musik (Murky Seven) Sprecherin Schriftliche Anfrage an Drummond: Erzähler Für eine Recherche über die Abbaubedingungen im Cesar möchten wir gerne eine ihrer Minen besichtigen und mit Verantwortlichen dort sprechen. Sprecherin Antwort: Besuche sind so spontan nicht möglich - wir haben ihre Anfrage an die Konzernzentrale in die USA weitergeleitet und halten Sie auf dem Laufenden. Atmo Autofahrt Mine Erzähler Unterwegs im Minengebiet des Cesar. Links und rechts entlang der gut betonierten, rund 40 Kilometer langen Strecke teilen sich die Konzerne Drummond, Glencore und ein Ableger der Investmentgruppe Goldman Sachs die Kohlevorkommen der Region. Große abgedeckte LKW sind auf der Straße unterwegs. Die Landschaft ist flach. Die am Horizont erscheinenden Schuttberge erinnern an eine Mondlandschaft. Die Luft ist staubig und trocken. Nirgendwo kann man einen Blick auf die offenen Löcher des Tagebaus werfen. Schilder mit der Aufschrift "Privatgelände" stehen am Straßenrand. Die Grundstücke sind mit Stacheldraht eingezäunt - in regelmäßigem Abstand patrouilliert ein privater Sicherheitsdienst. O-Ton Präsident Santos "La Minería en Colombia es una de los principales cajas de nuestro desarrollo y una de nuestros principales sectors que palanca nuestro avance social y productivo" Erzähler Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat den Bergbau zu einer Lokomotive der Entwicklung ernannt. Mit dem Export von Rohstoffen will er das Wachstum des Landes vorantreiben. Kohle ist dabei nach Öl der wichtigste Rohstoff - seit dem Jahre 2.000 hat sich die Förderung mehr als verdoppelt. Heute machen die Erlöse aus der Kohle zwischen einem und zwei Prozent des gesamten Bruttoinlandprodukts aus. Die meiste Kohle wird von den großen internationalen Konzernen gefördert. Sie sind in der Guajira tätig - der nördlichsten Provinz Kolumbiens und in noch größerem Maße in der angrenzenden Provinz Cesar. Dort begann der US-Konzern Drummond Anfang der 90er-Jahre mit der Produktion. Kurz darauf folgte Glencore aus der Schweiz. Die Förderzahlen explodierten rasant. In nur zehn Jahren hat beispielsweise Drummond sein Fördervolumen beinahe verzwanzigfacht. O-Ton Cepeda (spanisch) 2. Übersetzer "In den Minengebieten hat sich der Staat mit seinen Funktionen völlig aufgelöst. Hier in Kolumbien haben die großen Minenkonzerne ein sehr effizientes Netz von Alliierten. So entsteht ein Staat im Staat. In den Minengebieten ist es nicht die Politik, die über die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte des öffentlichen Lebens entscheidet. Es sind die Unternehmen. Erzähler Iván Cepeda Castro sitzt in Bogota für den Polo Democratico Alternativo - eine linke Sammlungsbewegung - im kolumbianischen Senat. Castro ist Menschenrechtsanwalt und Sprecher der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen. Sein Buch über die Netzwerke der Paramilitärs war ein Verkaufsschlager in Kolumbien. Castro gilt als einer der größten Kritiker des Bergbaus. O-Ton Cepeda (spanisch) 2. Übersetzer "Wenn wir bei der Metapher von unserem Präsidenten Santos bleiben, dann halte ich dagegen: Der Bergbau ist keine Lokomotive, sondern eine Planierwalze, die alles auf ihrem Weg zerstört. Kolumbien verliert nicht nur in ökologischer und demografischer Hinsicht, sondern auch wirtschaftlich. Es ist nicht gut, wenn wir uns auf den Minensektor verlassen und dabei die Industrie und die Landwirtschaft völlig vergessen." Musik (Ausencia) Atmo Motorrad, Dorf, Kinder Erzähler El Hatillo - ein kleines Dorf tief im Minengebiet. Eine holprige Buckelpiste führt von der geteerten Hauptstraße hierher. Ein paar wenige Motorräder fahren durch das Dorf. El Hatillo besteht größtenteils aus braunen Lehmhütten. Es ist Mittagszeit und weit über 30 Grad heiß. Einige Bewohner sitzen vor ihren Hütten und fächern sich Luft zu. An der Schule spielen ein paar Kinder mit Steinen. Das Gebäude hat einen großen mit roter Erde panierten Innenhof. In der Mitte steht eine offene Toilette und verströmt Uringeruch. O-Ton Mejia (spanisch) 1. Übersetzer "Schaut diese Kinder hier. Die Minenunternehmen helfen uns nicht - nicht wenn sie krank sind, auch nicht mit der Schule. Was soziales Engagement angeht, machen die überhaupt nichts. Dabei sind die Kinder das wichtigste. Unsere Zukunft." Atmo Kinder Erzähler Alberto Mejía ist 70 Jahre alt. Er hat graue, krause Locken, die Augen sind rot unterlaufen. Vor 46 Jahren kam er nach el Hatillo, heiratete und blieb. Lange lebte er von der Landwirtschaft. Vor Beginn der Kohleförderung, Anfang der 90er-Jahre, sei hier alles flach und grün gewesen, erzählen die Dorfbewohner. Heute umgeben vier Minen der Konzerne Drummond, Glencore und Goldman Sachs das 619-Seelen-Dorf. Ein circa hundert Meter hoher und mehrere hundert Meter langer, schwarzgrauer Abraumberg liegt direkt vor dem Dorf. Die Krankheitsraten in El Hatillo stiegen seit Jahren, erzählen die Einwohner. Vor allem bei den älteren Menschen komme es zu Atemwegserkrankungen. Die Kinder hätten häufig und sehr lange Fieber. Alberto Mejías Sohn ist an Krebs gestorben - einen Zusammenhang mit der Kohleförderung konnte nicht nachgewiesen werden. O-Ton Mejía (spanisch) 1. Übersetzer "Wir verdienen es nicht, in dieser verschmutzten Umwelt zu leben. Es ist nachgewiesen, dass die Luftqualität nicht den gesetzlichen Normen entspricht. Den Minenunternehmen gefällt es nicht, wenn wir über die negativen Einflüsse reden. Als sie hier ankamen, da haben wir sie nicht aufgehalten. Sie kamen und heute haben wir dreckiges Wasser. Die Pflanzen sind zerstört, die Bäume sind nicht mehr fruchtbar. Früher haben wir hier viel Yuca angebaut. Heute wächst sie fast nicht mehr, weil der Boden verseucht ist." Atmo Gang Hatillo Erzähler Die Blätter der verbliebenen Bäume in El Hatillo wirken auf den ersten Blick gesund. Doch wenn man mit den Fingern darüber streicht, hat man winzige schwarze Partikel auf der Haut. Vor fünf Jahren hat der kolumbianische Staat die Minenunternehmen aufgefordert, das Dorf umzusiedeln. Das Umweltministerium hatte mehrere Tests durchgeführt und die Luftverschmutzung als gesundheitsgefährdend eingestuft. Die Einwohner wählten Alberto Mejia in ein Komitee, das mit den Minen über die Umsiedlung verhandeln sollte. O-Ton Mejia (spanisch) 1. Übersetzer Der Traum ist ein neues Hatillo. Wir denken da nicht an Reichtümer, aber an einen Ort, in dem wir in Würde leben können. Mit anständigen Häusern, mit landwirtschaftlichen Möglichkeiten, wo jeder für sich und seine Familie sorgen kann. Das fordern wir! Erzähler Mit den Konzernen verhandeln sie nun schon seit mehreren Jahren. Ohne Erfolg. In dieser Zeit wurde gegen den Willen des Dorfes der Fluss umgeleitet. Den Einwohnern blieb fortan nur noch ein Rinnsal. Dennoch setzen sich Meiía und das Komitee jeden letzten Donnerstag im Monat mit den Minenbetreibern an einen Tisch. O-Ton Mejia (spanisch) 1. Übersetzer "Die Minenunternehmen haben viele unserer Vorschläge abgelehnt, haben die Verhandlungen verzögert und die Verhandlungsführer gewechselt. Jeder hat da dann wieder seine eigene Strategie. Für die sind wir ein kleiner Stein, der im Schuh drückt. Aber wenn wir keine Lösung finden, bleibt uns nichts übrig, als weiter zu drücken - und uns aufzulehnen." Erzähler Anfang 2013 gab es eine Dürre im Dorf. Die wenigen landwirtschaftlichen Erträge blieben aus. Die Einwohner riefen eine Hungerkrise aus. Mit der Hilfe einiger NGOS wandte sich das Dorf an die Vereinten Nationen. Abgesandte der UN-Nothilfekoordination kamen daraufhin nach El Hatillo und stellten bei mehr als 60 Prozent der Kinder Unterernährung fest. Seitdem zahlen die Minenbetreiber jeder Familie bis zur Umsiedlung ein monatliches Übergangsgeld von umgerechnet 115 Euro. Der Mindestlohn in Kolumbien liegt bei knapp 400 Euro. Sanktionen gegen die Minenunternehmen von Seiten des kolumbianischen Staates gab es keine. O-Ton Mejia (spanisch) 1. Übersetzer "Der Staat hat uns vergessen. Er kümmert sich nicht mehr um uns. Ist ja auch logisch, wir sollten von den Konzernen ja eigentlich schon längst umgesiedelt werden." Erzähler Im Kohlering des Cesars teilen mehrere kleine Dörfer das Schicksal von El Hatillo. Auch in der größten Stadt ist wenig vom eigentlichen Reichtum der Region zu sehen. In La Jagua de Iberico liegt die Arbeitslosenquote bei fast 90 Prozent. Die meisten Straßen sind unbetoniert - die Häuser mit Wellblech abgedeckt. Musik (Murky Seven) Sprecherin Interviewanfragen an den US-Konzern Drummond und an Prodeco - die kolumbianische Tochterfirma des Schweizer Unternehmens Glencore Xstrata Erzähler (abstrakte Musik) Nach der Besichtigung der Minengebiete im Cesar würden wir Sie gerne zu den sozialen und umweltpolitischen Aspekten des Bergbaus in der Vergangenheit und heute interviewen. Sprecherin Antwort: Wir haben ihre Anfrage an die Konzernzentrale weitergeleitet. Dort wird sie bearbeitet. Atmo Zug Erzähler Züge mit bis zu 100 offenen Waggons bringen die Kohle von Drummond und Glencore zur Verladestation. Viele Tausend Tonnen Kohle werden so täglich vom Abbaugebiet im Cesar an die mehr als 200 Kilometer entfernte Karibikküste transportiert. Atmo Tengo Swing Erzähler In Santa Marta an der Karibikküste klimpert ein Straßenmusiker auf einem selbstgebauten Instrument. Santa Martas kolonialer Altstadtkern und der nahegelegene Strand sind in den letzten Jahren zu einem Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland geworden. Atmo Strand, Promenade, Eisverkäufer Erzähler An der lang gezogenen Strandpromenade bieten mobile Verkäufer geraspeltes Wassereis, Zuckerwatte und Shrimpscocktails an. Das Meer schlägt sanft an die Promenade. Die Luft hinterlässt einen salzig-süßen Geschmack auf der Zunge. Einige Kinder baden in der untergehenden Sonne. Direkt am Strand - in einem der besten Wohnviertel von Santa Marta lebt der Rechtsanwalt und Journalist Alejando Arias. O-Ton Arias (spanisch) 2. Übersetzer "Schau dort unten an den Strand. Wenn Du genau hinsiehst, wenn sich das Meer bewegt, erkennst du einen schwarzen Kranz? Das ist Kohle - ganz feiner Kohlestaub. Der Wind und die Strömung haben ihn rübergetrieben und so landet er hier mitten in der Bucht dieses wunderschönen Strandes." Erzähler Von Alejandro Arias Balkon sind am Horizont die riesigen Transportschiffe von Drummond und Glencore zu sehen. Arias kämpft seit vielen Jahren gegen den offenen Transport und die offene Verladung der Kohle. Dafür erhielt er einen der renommiertesten Journalistenpreise Kolumbiens, den "Premio Bolivar". Arias hatte Fotos veröffentlicht, auf denen eine mit Kohle beladene Barkasse im Hafen von Drummond zu sehen war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Konzern stets bestritten, dass bei der Verklappung Kohle ins Meer gelangen könne. Der Präsident Kolumbiens ergriff medienwirksam das Wort und verdonnerte den Konzern zu einer Geldstrafe und zu Nachbesserungen. Heute wird die Kohle mit langen, überdeckten Transportbändern zu den Schiffen befördert. Die Lagerung und der Transport bis hin zum Hafen finden aber noch immer ohne solche Schutzmaßnahmen statt. O-Ton Arias (spanisch) 2. Übersetzer "Der Wind in der Karibik ist unberechenbar und wirbelt die Kohle auf. Viele winzige Partikel werden so in die Luft geblasen. Auch wenn Drummond und Glencore nun eine neue Verladungstechnik einsetzen, die Luftverschmutzung hier ist genauso hoch wie früher. Erzähler Alejandro Arias hat die Luft von einer unabhängigen Universität messen lassen. Die Ergebnisse fallen deutlich schlechter aus als die Messdaten der regionalen Umweltbehörden. Die Partikel seien winzig klein und könnten sich so den Weg in die Lungen der mehr als 400.000 Einwohner der Hafenstadt bahnen. Weil die Umweltbehörde bisher keinen Anlass zum Handeln sah, vermutete Arias Korruption und spielte seine Messergebnisse an die Staatsanwaltschaft weiter. O-Ton Arias (spanisch) 2. Übersetzer "Mit der Staatsanwaltschaft haben wir nun unseren ersten Beleg dafür gesammelt, dass die Berichte über die Luftqualität falsch sind. Diese Berichte sind wichtig, damit die Kohle überhaupt auf den europäischen Markt darf. Und diese Berichte sind bisher nicht korrekt gewesen, weil die Messstationen für die Luftverschmutzung manipuliert waren und/oder weil die Messgeräte an Stellen angebracht waren, die den wahren Einfluss der Luftverschmutzung gar nicht erfassen konnten. Erzähler Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die regionale Umweltbehörde. Regelmäßig erhält Alejandro Arias anonyme Drohungen. Er vermutet, dass sie aus dem Umfeld der Kohleindustrie stammen. Er hat deshalb stets einen Leibwächter bei sich. Um seine Recherchen weiter zu untermauern, führt Arias auch Interviews mit Lungenkranken entlang der Zuglinie und ist davon überzeugt, dass der offene Transport der Kohle die Sterberaten in der Region erhöht hat. O-Ton Arias (spanisch) 2. Übersetzer "Die Tatsache, dass wir hier immer mehr Beweise finden und dennoch immer mehr Kohle gekauft wird, lässt uns denken, dass in Deutschland eine Doppelmoral existiert. Auf der einen Seite gibt es doch dort diesen umweltpolitischen Diskurs - auf der anderen Seite sterben hier Menschen, jedes Mal, wenn ihr eure Heizung oder Klimaanlage anmacht. Euer Luxus kostet Leben in Kolumbien. Deswegen verstehe ich nicht, warum keine Maßnahmen getroffen werden, um die Kohle-Firmen unter Druck zu setzen. Musik (Murky Seven) Sprecherin Schriftliche Anfrage an die vier größten deutschen Energieversorger E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW: Erzähler Wir recherchieren zu Kohleimporten aus Kolumbien. Es liegen konkrete Vorwürfe bezüglich der Abbaubedingungen Ihrer Zulieferer vor. In Ihren Geschäftsberichten ist leider nicht aufgelistet, welche Mengen Sie von welchen Unternehmen bezogen haben. Könnten Sie dies konkretisieren? Sprecherin Der größte Energieversorger Deutschlands E.ON schreibt: "Die Vertragsverhältnisse mit Einzelunternehmen in diesen Ländern unterliegen der gegenseitigen Vertraulichkeit." Bei RWE in Essen heißt es: "Leider können wir diese Frage nicht kommentieren, da es sich hierbei um vertrauliche Geschäftsinformationen handelt." Auch bei Vattenfall und EnBW fallen die Antworten nicht anders aus. Erzähler Trotz dieser Verschwiegenheit ist davon auszugehen, dass die vier größten Energieversorger Deutschlands wohl alle ihre kolumbianischen Kohleimporte aus dem Cesar beziehen. E.ON listet in seinem Nachhaltigkeitsbericht für 2014 einen Import von mehr als 4,5 Millionen Tonnen aus ganz Kolumbien auf - 2013 waren es sogar sechs Millionen Tonnen. Der Konzern mit Sitz in Düsseldorf verfügt damit über die wohl größte Position kolumbianischer Steinkohle in seinem Stromportfolio. RWE, Vattenfall und EnBW teilen den Rest unter sich auf. Doch wer nach den Namen der Zulieferer sucht, stochert im Dunkeln. Nur RWE hat sich nach den Vorwürfen über die Zusammenarbeit mit Paramilitärs 2014 offiziell vom US-Konzern Drummond distanziert. Nun überlegt RWE allerdings, die Beziehungen wieder aufzunehmen. Drummond gehört laut Branchen-Insidern zu den günstigsten Lieferanten von Kohle. Während die Bundesregierung in der Textilindustrie beispielsweise an Richtlinien für mehr Transparenz arbeitet, gilt das nicht für den Strom aus der Steckdose. Auf eine Anfrage einiger Grünen-Abgeordneter im vergangenen Jahr an das Wirtschafts- und Energieministerium antwortete dessen Staatssekretär: Sprecherin "Der offene Kohletagebau hat Auswirkungen auf Menschen, die in Abbaugebieten und deren Nähe leben, so auch in Kolumbien." Erzähler Weiter heißt es dort: Sprecherin "Die Bundesregierung misst der Einhaltung international anerkannter Menschenrechte sowie ökologischer und sozialer Standards (...) einen hohen Stellenwert bei." Erzähler Von der möglichen Zusammenarbeit zwischen Paramilitärs und Konzernen ist in der Antwort keine Rede. Zur Frage nach mehr Transparenz über die Abbaubedingungen und die genaue Herkunft der Kohle heißt es in der Stellungnahme des Ministeriums: Sprecherin "...es ist nicht beabsichtigt, den Steinkohle importierenden und verstromenden Unternehmen im nationalen Rahmen aufwendige Nachweis- oder Beweispflichten aufzuerlegen." Erzähler Transparenz gilt wohl als Wettbewerbsnachteil. Das SPD geführte Wirtschafts- und Energieministerium verweist ganz allgemein auf internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und auf freiwillige Initiativen seitens der Wirtschaft. Frank Schwabe, selbst SPD-Bundestagsmitglied und Sprecher seiner Partei im Ausschuss für Menschenrechte: O-Ton Schwabe "Das ist leider so. Und deswegen begrüße ich alle Formen der Freiwilligkeit, sich jetzt diesem Thema zu widmen, am Ende glaube ich aber, dass man eine gesetzliche Regelung braucht, dass Unternehmen, zumindest ab einer bestimmten Größenordnung - und darüber reden wir ja bei diesen Kohleimporten - zu einer Transparenz verpflichtet werden. Ich möchte nachlesen können, woher kommt die Kohle und ich möchte wissen, unter welchen Bedingungen wird sie gefördert, damit am Ende auch ein mündiger Verbraucher darüber entscheiden kann, ob er denn eigentlich einen solchen Strom haben will, der aus einer solchen Kohle letztlich kommt." Erzähler Die Liste von internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und ökologischer und sozialer Standards ist lang. Da ist der Global Compact, eine Initiative der Vereinten Nationen, da sind die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die Leitsätze der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Außerdem die Transparenzinitiative für Rohstoff fördernde Industrien (EITI). Fragt man bei den großen deutschen Energieversorgern nach ihrer Verantwortung in Kolumbien - verweisen sie fast ausschließlich auf die Initiative "Bettercoal", die von RWE und sieben weiteren europäischen Energieversorgern gegründet wurde. Seit etwas mehr als drei Jahren beschäftigt sich Bettercoal mit der Wertschöpfungskette im Rohstoffsektor. Der Vorstand setzt sich aus Repräsentanten der teilnehmenden Energieversorger zusammen. Unabhängige Beratungsfirmen schauen sich die Lieferketten der Energieversorger an und sollen prüfen, ob sie die von Bettercoal definierten Standards erfüllen. Vor knapp einem Jahr hat Bettercoal die erste Inspektion durchgeführt - zufälligerweise bei Drummond in Kolumbien. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden nicht veröffentlicht. Der Konzern lässt auf seiner Homepage trotzdem verlauten: Sprecherin "Es war beruhigend, zu wissen, dass wir im Einklang mit vielen Bettercoal-Standards sind" O-Ton Schwabe "Also Bettercoal ist, bei dem was da drin steht, absolut nicht ausreichend. Das ist alles viel Absichtserklärung, aber wenig Konkretes und hat wenig mit Transparenz zu tun. Auf der anderen Seite ist es doch der Beweis, dass bei den Unternehmen mittlerweile angekommen ist, so ohne weiteres können sie sich das, was sie bisher gemacht haben, nicht leisten. Deswegen begrüße ich grundsätzlich den Ansatz..." Erzähler sagt der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe. O-Ton Schwabe "...aber verlange am Ende, dass es wirklich eine vernünftige transparente Herangehensweise gibt und nicht so eine Art Greenwashing mit dieser Initiative entsprechend verfolgt wird. Und noch mal: Ganz am Ende, finde ich, braucht es gesetzliche Regelungen." Erzähler Sifredy Culman, Margoth Duran und den rund 60.000 anderen Vertriebenen aus dem Cesar wird Bettercoal nichts nützen. Denn die Vergangenheit der Zulieferer ist nicht Teil des Verhaltenskodex der deutschen Energieversorger. Bei Bettercoal schaut man lediglich in die Zukunft. Musik (Ausencia) Atmo Sifredy Laufen Erzähler Santa Fé - im Cesar. Sifredy Culman ist zurückgekehrt, an den Ort, von dem er mit seiner Familie vertrieben wurde. Sein altes einstöckiges Zement-Häuschen mit zwei Zimmern und kleiner Veranda steht noch an seinem alten Platz. Heute wohnt ein von Glencore angestellter Gärtner darin. Der Mann steht vor dem Haus und kürzt mit einer Machete das Unkraut. Atmo Machete Erzähler 18 Jahre ist es her, dass die Paramilitärs hier früh morgens auftauchten. Im Schlepptau hatten Sie mehrere entführte Bewohner aus den Nachbardörfern. Einen Mann ermordeten sie in der Nähe, eine Frau vergewaltigten sie sogar in Culmans Haus, während er draußen warten musste. O-Ton Culman (spanisch) 1 Übersetzer "Die haben uns psychologisch misshandelt. Wäre ich damals nicht direkt abgehauen, sie wären zurückgekommen und hätten auch mich ermordet. Das hat der Anführer der Paramilitärs später auch vor Gericht ausgesagt. Sie hätten dann den Auftrag gehabt, mich zu ermorden. Mein Kopf wäre das nächste Ziel gewesen." Atmo Palme Erzähler Sifredy Culman fährt mit den Händen hektisch über den Stamm einer der vielen Ölpalmen. Früher hätten hier Mangobäume gestanden, erzählt er. Heute dienen die vielen Ölpalmen Glencore als grüner Gürtel rund um die nahegelegene Kohlemine. O-Ton Culman (spanisch) 1 Übersetzer "Ich bin traurig. Dieser Ort macht mich sehr nostalgisch. Hier wird die Zerstörung meines Lebens sehr greifbar. Ich bin eigentlich stark und mutig - aber hier zu sein, das macht mich wirklich sehr traurig. Es erinnert mich auch an die gute Zeit, die wir hier hatten." Erzähler Sifredy Culman hat seinen Kampf vorerst verloren. Im Rahmen eines Gesetzes für Vertriebene hat er einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Der kolumbianische Staat hat ihn kürzlich abgelehnt. Culman will nun in Berufung gehen und auch weiter öffentlich gegen die Minenkonzerne kämpfen. O-Ton Culman (spanisch) 1 Übersetzer "Damit diejenigen, die zuhören auch wissen, wer dieser Sifredy Culman ist: Ich werde nicht aufhören, mich zu wehren. Ich weiß, dass mein Leben dabei in Gefahr ist, aber dafür gibt es Verantwortliche und in dem Moment, wo mir etwas geschieht, wissen wir, wer diese Verantwortlichen sind." Erzähler Anders als im Falle von Sifredy Culman hat ein kolumbianisches Gericht Margoth Duran und 53 weiteren Klägern umgerechnet vier Millionen Euro Schadensersatz zugesprochen. Die Entschädigung bezahlt allerdings der kolumbianische Staat. Den Minenbetreibern, die heute von ihrem Grundstück profitieren, konnte keine Schuld an ihrer Vertreibung nachgewiesen werden. O-Ton Margoth (spanisch) Übersetzerin "Mit diesem Geld haben sie sich nun reingewaschen. Nur wegen der Kohle haben sie meine Familie umgebracht - nur deshalb. Aber das Leid, dass sie mir zugefügt haben, werden sie niemals bezahlen können. Bei dem Schaden, den sie angerichtet haben, niemals!" Erzähler Die kolumbianischen Behörden fahnden schon seit Jahren nach ihren drei Söhnen und ihrem Mann. Vor kurzem haben sie die Überreste ihres jüngsten Sohnes gefunden und identifiziert. In einem kleinen Holzkästchen hat Margoth Duran die ihr ausgehändigten Knochen auf dem zentralen Friedhof von Valledupar beigesetzt. Ihre verbliebenen sechs Töchter waren bei der Beerdigung dabei. O-Ton Margoth Übersetzerin "Man kann nun eine Blume ans Grab legen - das gibt schon etwas Trost. Aber die anderen sind ja noch immer verschollen. Eine solche Geschichte wird man nie vergessen, mit den Jahren kann man sie zwar verarbeiten, aber nicht, wenn man einfach nicht weiß, wo sie sind." Musik (Family Pictures) Erzähler 500 weitere Vertriebene aus dem Cesar klagen nun in den USA gegen den Drummond-Konzern. In diesem Sommer soll der Prozess beginnen. Sollten die Kläger Recht bekommen, wird der Konzern hohe Entschädigungssummen bezahlen müssen. Es ist die zweite Klage gegen Drummond in den USA. Seit einigen Jahren klagen auch mehrere Angehörige von ermordeten Gewerkschaftsführern gegen den Konzern. Die Kläger glauben, dass Drummond der Auftraggeber der Killer war. In Deutschland ist im Jahr 2014 der Import von kolumbianischer Steinkohle leicht zurückgegangen. Langfristig ist Deutschland aber auf mehr Kohle aus dem Ausland angewiesen. Nach aktuellen Plänen werden im Jahr 2018 die letzten deutschen Zechen schließen. Die heimische Produktion wird dann durch Importe ersetzt. In Kolumbien - knapp 9.000 Kilometer entfernt - erhoffen sich Betroffene wie Sifredy Culman, dass bei der Kohle aus ihrem Land etwas genauer hingeschaut wird. O-Ton Culman (spanisch) 1. Übersetzer "Die deutsche Regierung hat auch eine Verantwortung: Sie muss untersuchen, wie die Minenunternehmen, die das Land mit Rohstoffen versorgen, Geschäfte machen. Die Kohle aus Kolumbien ist auch heute noch dreckig. Auf ihr sammeln sich das Blut vieler Toter und die Sorgen vieler Vertriebener." Erzähler Gerne hätten wir auch die Minenkonzerne interviewt. Doch auch ein halbes Jahr nach der ersten Kontaktaufnahme sind unsere Interviewanfragen noch immer in Bearbeitung. Via E-Mail haben die Unternehmen jedoch jegliche Vorwürfe dementiert. Und auch die großen Importeure kolumbianischer Kohle wie E.ON und RWE waren nicht zu einem Interview bereit. In einer Email von E.ON heißt es: Sprecherin "Zum Thema Kohlebeschaffung haben wir in der Vergangenheit bereits Dutzende Male Stellung bezogen." Musik (Ostinato) Abspann Kolumbiens Kohle - Deutschlands Doppelmoral Wie unsere Stromerzeuger von den Machenschaften internationaler Rohstoffkonzerne in Kolumbien profitieren Von Nicolas Martin Es sprachen: Hüseyin Michael Cirpici Christiane Bruhn Thomas Balou Martin Volker Risch und Katherina Wolter Ton und Technik: Gunther Rose und Anna D'Hein Regie: Anna Panknin Redaktion: Hermann Theißen Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Die Recherchen in Kolumbien wurden durch ein Stipendium der Heinz-Kühn-Stiftung ermöglicht. 4