Zeitfragen 26. August 2015 Wenn alles Private politisch ist Erkundungen eines iranisch-deutschen Fotografen im Heiligen Land Von Jean-Claude Kuner Atmo: Party - Kinderchor Klagemauer O-Ton: Ali Ghandtschi Es gibt ja diesen Spruch: in Israel gibt es 7 Millionen Ministerpräsidenten. Weil jeder weiß, wie es richtig gemacht wird. "Mein Israel" könnte die Überschrift zu jedem Kapitel dieses Buches sein, weil jeder Protagonist über sein Israel erzählt, was unterschiedlicher nicht sein könnte. Mein Israel? Je mehr ich über dieses Land erfahren habe, desto weniger weiß ich dieses Land einzuschätzen. O-Ton: Amos Oz I am a child of refugees ........ Übersetzer: Ich bin ein Flu¨chtlingskind. Ich bin das Kind von Überlebenden. Und ich bin zwischen zwei Holocausts aufgewachsen. Der eine Holocaust hatte in Europa stattgefunden und der andere, drohende Holocaust war der, der uns Juden in Jerusalem erwarten wu¨rde, wenn die Engländer abgezogen wären, denn viele Menschen waren u¨berzeugt davon, dass die Araber sofort kommen und uns alle umbringen wu¨rden. Es war eine Kindheit voller Ängste und Unsicherheiten. Atmo: Gebet Klagemauer O-Ton: Ali Ghandtschi Ich bin Ali Ghandtschi. Ich stamme aus dem Iran und lebe seit 1980 in Berlin. Als wir nach Deutschland kamen, war ich elf Jahre alt. Ich bin zweisprachig aufgewachsen mit einer deutschen Mutter, war dort in der deutschen Schule und wurde im Iran von unserer großen Familie schon immer als der andere, der Deutsche, angesehen, was sich komplett umdrehte, als wir nach Deutschland kamen. Da wurde ich nämlich immer als der Perser angesehen. O-Ton: Amos Oz It was difficult to play as a normal child ........ O-Ton: Ali Ghandtschi Amos Oz ... der hochverehrte Amos Oz, den ich gelesen hatte und auch in Berlin schon einmal getroffen hatte. Und es war sehr beeindruckend in seiner Wohnung mit Büchern bis unter die Decke. Das Interview mit ihm wurde eigentlich überhaupt nicht lektoriert, weil er spricht komplett druckreif. O-Ton: Amos Oz And a normal childhood was out of the question ........ Übersetzer: Es war schwer, wie ein normales Kind zu spielen, denn die Briten verhängten in Jerusalem ab sechs oder sieben Uhr abends eine Ausgangssperre. Eine normale Kindheit war unmöglich, weil so viel Angst und Unsicherheit in der Luft lagen. O-Ton: Ali Ghandtschi Israel war immer ein Thema für mich. Es wurde immer darüber gesprochen. Jeder hatte irgendeine Meinung zu Israel. Irgendwann ist mir aufgefallen: ich rede eigentlich nur über ein Bild, das ich habe von den Medien. Ich dachte plötzlich: was redest Du da eigentlich? Das geht nicht. Komm, Du musst da selber mal hinfahren. Lustigerweise hatte ich tatsächlich Angst, nach Israel zu fahren. Es war eine ganz irrationale Angst gewesen. Ich war schon in anderen Ländern, wo es Unruhen gab. Aber Israel ... ich dachte, irgendetwas ist komisch. Vielleicht schicken sie mich auch zurück. Ich wusste natürlich auch, dass ich mit meinem Deutschsein und Persischsein den Leuten da unten wahrscheinlich sehr suspekt sein würde, was tatsächlich auch der Fall war. Atmo: Flughafen, dann Busfahrt Weil ich am Flughafen für mehrere Stunden von mehreren Leuten befragt wurde, was möchtest Du hier überhaupt? Sie haben tatsächlich auch jemanden hergebracht, der Persisch sprach. Sie wollten wissen, wie mein Großvater heißt. Wirklich absurd. Als ich dann aber aus dem Flughafen und diesen Befragungen ausgespuckt wurde, war das ein ganz merkwürdiges Gefühl. Ich bin erstmal mit einem Minibus nach Jerusalem gefahren, wurde dann von einem Freund, bei dem ich schlafen konnte, herzlichst empfangen und hatte das Gefühl, eigentlich eher zu Hause zu sein, als ich es hier in Deutschland bin. Weil es ist dann ja doch der Orient. Atmo: Markt, Muezzin Denn es leben ja unendlich viele Iraner in Israel. An jeder Ecke hört man Persisch. Das hört man hier in Berlin zum Beispiel nicht. Alles war ganz ähnlich wie es zum Beispiel in Teheran sein würde. O-Ton: Amos Oz I was very political. As a child I was extremely nationalist ........ Übersetzer: Ich war sehr politisch. Als Kind war ich extrem nationalistisch. Ich war ein kleiner Chauvinist. Ich war ein militanter Zionist. Anfangs war ich kein Experte fu¨r arabische Angelegenheiten. Als Kind kannte ich nicht viele Araber. Aber ich hatte genug Phantasie, um mir vorzustellen, was ich denken wu¨rde, wenn Fremde von einem anderen Planeten in mein Land einfallen und behaupten wu¨rden, das Land gehöre ihnen, weil ihre Vorväter hier gelebt hätten. Und ich erkannte schon sehr fru¨h, dass dies kein Western war, mit Guten und Bösen, sondern eine große Tragödie, in der die Rechte der einen auf die Rechte der anderen prallten. Mit zwölf oder dreizehn wurde mir vollkommen klar, dass die palästinensischen Araber nirgendwo anders hingehen konnten, und wir ebensowenig. Das ist noch immer so. Das ist eine traurige Realität. O-Ton: Ali Ghandtschi Anfangs war der Plan, nicht einfach nur so nach Israel zu fahren, sondern hatte mir halt ein Projekt überlegt. Und da ich ja für das Literaturfestival hier arbeite, dachte ich: Ich fahre nach Israel, mache Porträts von Autoren, und stelle die dann während des Literaturfestivals aus. Nachdem ich eine Woche in Israel verbracht hatte, habe ich gemerkt, das reicht nicht, mit Fotos von Autoren wieder zurückzukommen. Das sagt zu wenig aus über das, was ich da mitbekomme und lerne. Ich hatte ein kleines Tonbandgerät mitgenommen, weil ich dachte, ich könnte so ein bisschen O-Töne auf den Straßen aufnehmen. Ich wusste gar nicht, was ich damit überhaupt anfangen will. Aber ich hatte das Gerät dabei und hab relativ bald angefangen, die Leute nach einer Kindheitserinnerung zu fragen. So zusätzlich zu dem Foto, was ich eigentlich machen wollte. Nachdem ich die ersten zwei, drei Kindheitserinnerungen gehört hatte, habe ich gemerkt, dass das Fotografieren eigentlich vollkommen unwichtig wurde. O-Ton: Judith Rothem My name is Judith Rothem. I was born in Budapest ..... O-Ton: Ali Ghandtschi Judith Rothem ist eine wahnsinnig interessante Frau. Ich glaube, sie ist jetzt 70 Jahre alt. Sieht irre gut aus. Kommt aus einem ultraorthodoxen Umfeld. Hat, glaube ich, sieben Kinder. Mittlerweile sind ihre Kinder erwachsen. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt. Sie ist nicht mehr orthodox. Und schreibt aber über diese Themen. Wir haben uns in einem Café in Tel Aviv getroffen. In so einer Shopping Mall. O-Ton: Judith Rothem Übersetzerin: Die meisten Menschen in Israel haben Angst. Sie haben Angst vor der Zukunft. Wir hatten noch nie eine lange Zeit der Entspannung. In der Bibel gibt es Stellen, die mit dem folgenden Satz enden: "Da ward das Land still vierzig Jahre." Aber wir hatten nicht einmal diese vierzig Jahre. Nie. Alle zehn Jahre, alle zwölf Jahre, alle sieben Jahre haben wir seit 1948 einen Krieg erlebt, und dazwischen wurden und werden von Gaza aus Raketen abgefeuert, unter anderem auf Sderot und Beer Sheva. Ich behaupte nicht, wir hätten damit nichts zu tun, aber wir haben das Gefu¨hl, dass wir hergekommen sind, um endlich Ruhe zu finden, um auf sicherem Boden zu stehen. Aber diese Hoffnung ist vergeblich. O-Ton: Mohammad Ali Taha (auf Arabisch) Übersetzer: Ich wurde 1941 geboren. Noch vor der Geburt Israels. O-Ton: Ali Ghandtschi Das Gespräch mit Mohammad Ali Taha war auch sehr interessant. Ehemaliger Lehrer, mittlerweile Schriftsteller, ein älterer Herr, der kein Wort Englisch redet. Es gibt viele arabische Israelis, palästinensische Israelis, die verständlicherweise mit extremem Groll sprechen. Es ist schwer, sachlich über dieses Thema zu sprechen. Ich habe nur wenige paar getroffen, die das geschafft haben. O-Ton: Mohammad Ali Taha Übersetzer: Mir stand es nicht frei, Israel zu wählen. Israel hat mich gewählt. Israel kam zu mir. Seine Ankunft war nicht schön, sie war eine Katastrophe. Sie hat mein Haus und mein Dorf zerstört und mich zu einem Flu¨chtling gemacht, der unter Hunger und Armut litt. Ich lebte daraufhin mit meiner ganzen Familie vier Monate lang auf einem Berg, unter einem Baum. Wir lebten unter diesem Baum auf dem Berg von Juni bis Oktober 1948. In dieser Zeit erlebten wir eine Tragödie. Ich war zusammen mit meinem Vater, meiner Mutter, meinem Bruder und meiner Schwester. Unter dem Baum wurde meine Schwester krank. Wir konnten sie nicht behandeln, und sie starb. Sie starb unter dem Baum. Das Problem war, wo wir sie hinbringen sollten, wo wir ein Grab fu¨r sie finden konnten. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater sie in den Armen hielt, wie er mit ihr in das Dorf Sakhnin ging und sie auf dem Friedhof begrub. Ich weiß nicht, wo ihr Grab ist, bis heute nicht. O-Ton: Uri Avnery (auf Deutsch) 1936 ist der arabische Aufstand ausgebrochen. Da war ich noch in der Schule. Da kam mein Vater zur Schule, andere Eltern auch, und haben ihre Kinder abgeholt. So habe ich mit vierzehn Jahren die Schule verlassen. Da bin ich in einer Terrororganisation beigetreten. O-Ton: Ali Ghandtschi Als ich Uri Avnery zu Hause aufgesucht habe, traf ich einen sehr beeindruckenden 90-Jährigen, dessen Stimme ich natürlich seit Jahren schon kannte. Er hat damals Peace Now gegründet, die Friedensbewegung, und war als Politiker jahrelang in der Knesset aktiv. Aber auch immer um Frieden mit den Palästinensern bemüht. Ich glaube, er war der erste israelische Politiker, der Jassir Arafat getroffen hat. Und sogar eine Freundschaft mit ihm eingegangen ist. O-Ton: Uri Avnery Es hat die Leute oft gewundert, auch heute noch, wenn ich sage, dass ich große Sympathie fu¨r arabische Kultur, arabische Sprache und so weiter hege, fu¨r arabische Geschichte. Ich habe sehr früh in meinem Leben Araber kennengelernt, auch persönlich. Darum waren die Irgun-Leute so entsetzt, als ich gesagt habe, dass ich die Araber nicht hasse. Juden und Araber lebten geographisch nebeneinander ü¨berall im ganzen Land, waren aber von Anfang an total verfeindet und lebten getrennt, total getrennt. Ali: Das ist doch heute immer noch so! Heute ist es noch schlimmer. Aber es hat sich nichts verändert. Es gibt Leute, die sagen, das Land habe sich total verändert. 1967, als wir diese Gebiete erobert haben, habe sich total viel verändert. 1948, als der Staat gegru¨ndet wurde. Alles Unsinn. Vom ersten Tag hier im Lande am Ende des 19. Jahrhunderts bis heute hat sich im Grunde u¨berhaupt nichts verändert. Die äußeren Erscheinungen haben sich verändert, aber im Grunde war der Konflikt vom ersten Augenblick an da. Ich war nie Teil dieses Konflikts, denn, wie gesagt, ich habe die Araber nie als Feinde betrachtet, ganz im Gegenteil. Und so habe ich mich auch nicht verändert. Atmo: Gebet Klagemauer/Muezzin O-Ton: Ali Ghandtschi Ich hatte überlegt, wie kann ich das bebildern, was ich höre. Ich wollte nicht zu konkret werden in den Bildern und habe angefangen, Wände zu fotografieren. Denn mich interessierte Graffiti schon seit jeher. Und in Israel wie auch im Iran ist mir das aufgefallen, dass Graffiti natürlich viel politischer sind. Mir fiel gleich ins Auge, dass sehr viel Politik, sehr viel Religion dort an den Wänden steht. Sehr viel Ausstreichungen. Dass Leute etwas an die Wand bringen und andere Leute das übermalen, überstreichen. Also jeder seine Meinung über die Meinung des anderen setzt. Ich habe das fotografiert. Das wurde dann zu einer Serie, die ich diesen Geschichten entgegen gesetzt habe, weil in Serie sind diese Kindheitserinnerungen ja auch übereinander gelegte Wahrheiten. Ich habe mit so viel unterschiedlichen Menschen gesprochen, die unterschiedlichste Ansichten haben. Und jeder, der mir eine Kindheitsgeschichte erzählt hat, ist ja auch weiter gegangen und hat sich und sein Leben erklärt oder seine politischen Ansichten noch erklärt. Und das sind Ausstreichungen. Letztendlich sagt der Eine etwas und negiert sozusagen die Geschichte des Andern und umgekehrt. O-Ton: Ayman Sikseck Both my grandparents on both sides were alive when Arabs were being deported .... Übersetzer: Meine Großeltern väter- und mu¨tterlicherseits lebten noch, als die Araber vertrieben wurden. Ihre Familien sind ins Gebiet des heutigen Libanon geflu¨chtet. O-Ton: Ali Ghandtschi Ayman Sikseck ist ein sehr interessanter junger Mann. Er hat 2014 ein Buch im Arche Verlag veröffentlicht, Reise nach Jerusalem heißt es. Er arbeitet als Kolumnist für die Ha'aretz und arbeitet auch für einen Fernsehsender. Ihn traf ich im Café Tamar, das mittlerweile leider geschlossen wurde. Es war das Café der linken Intellektuellen über 70 Jahre lang. O-Ton: Ayman Sikseck Übersetzer: Ich habe nichts u¨ber die palästinensische Vergangenheit gehört, denn in dieser Generation fing man an, die Geschichte zu verleugnen. Die siebziger und achtziger Jahre - ich bin 1984 geboren - standen ganz unter dem Vorzeichen der Integration der arabischen Israelis. Die Integration war ausgemachte Sache, denn es war klar, dass der Staat nicht verschwinden wu¨rde, es ist ein ju¨discher Staat, ganz einfach, und man muss irgendwie klarkommen. Deshalb gaben sich meine Eltern alle Mu¨he, die Integration ihrer Kinder in die israelische Gesellschaft so reibungslos wie möglich zu gestalten. Ich lernte von Anfang an Hebräisch, genauso wie Arabisch. Erst mit siebzehn oder achtzehn begann ich auf eigene Faust, den Skandal unserer Vergangenheit zu erforschen. Ich musste alles ganz alleine herausfinden, weil meine Eltern völlig stumm und schweigsam waren. Nie sagte uns jemand etwas u¨ber die Vergangenheit. Niemals gab es den Versuch, uns als Palästinenser zu betrachten. Wir waren alle Israelis. Später ist mir klargeworden, dass es bei den Palästinensern so etwas wie das Gegenteil zum Umgang mit dem Holocaust gibt. Der Holocaust ist fu¨r die ju¨dischen Israelis eine gewaltige Erinnerungsfabrik gegen das Vergessen. Mit der palästinensischen Nakba - der sogenannten palästinensischen Katastrophe - ist es genau das Gegenteil. Es hieß: "Vergessen wir es. Erzählen wir unseren Kinder nichts daru¨ber. Es wu¨rde ihnen nichts nu¨tzen." Ich spreche natu¨rlich von Palästinensern in Israel, nicht in den besetzten Gebieten. Bei denen ist es eine ganz andere Geschichte. Ich bin damit aufgewachsen. Es erzeugte einen großen Konflikt: Wer bin ich, verdammt noch mal? Denn das ist die Vergangenheit, und ich kann sie nicht verleugnen und möchte es auch nicht. Andererseits bin ich ein Israeli in jeder Hinsicht. Ich bin hier in einem israelischen Krankenhaus geboren, ich habe einen israelischen Pass, ich habe an einer israelischen Universität studiert, ich lebe jeden Tag meines Lebens hier. Also wer bin ich? Hier gibt es eine palästinensische Vergangenheit, die ich nicht verleugnen kann, aber ich kann auch nicht verleugnen, dass ich gleichzeitig hundertprozentig Israeli bin und auf Hebräisch schreibe. O-Ton: Hava Pinhas-Cohen I didn't get to know or do my best with Palastinians. That is my fault .... Übersetzerin: Mit den Palästinensern ... da habe ich nicht mein Bestes gegeben, um sie kennenzulernen. Das ist mein Fehler ... Als ich 1973 zur Armee ging, begann ein Krieg, der mich und meine ganze Generation prägte. Tatsache ist, dass es meine Generation am schlimmsten getroffen hat. Wir nahmen am Krieg teil, aber das war nicht alles. Diese Generation hatte in ihrer Kindheit den Sechstagekrieg erlebt. Vor diesem Krieg hatte eine mythische Angst geherrscht, Israel könne aufhören zu existieren. Dass sich eine Katastrophe wie der Holocaust hier wiederholen könnte. Als ich im Gymnasium war, gab es im Sinai einen Krieg mit Ägypten, an der Grenze. Wir nennen ihn den Zermu¨rbungskrieg. Er dauerte von 1967 bis 1970, das waren genau die Jahre, in denen ich das Gymnasium besuchte. Dann, 1973, war ich Soldatin, und im Oktober fing der Jom-Kippur-Krieg an. Alle meine Freunde waren frisch eingezogen. Unser ganzer Jahrgang war dort. Unsere Generation war zerschnitten. Ich meine damit, dass bei uns immer jemand fehlt, wenn wir ein Klassentreffen von der Grundschule oder dem Gymnasium veranstalten. Nicht nur einer oder zwei fehlen, sondern mehr. Das ist also meine Generation. Und nicht erst heute, wo ich älter geworden bin, sehe ich unter den Menschen meines Jahrgangs viele, die entweder verkru¨ppelt oder seelisch gestört sind. Meiner Meinung nach sind wir eine sehr kranke Generation. O-Ton: Mohammad Bakri This is my land .... Übersetzer: Dies ist mein Land. Ich bin hier geboren worden. Aber die israelischen Behörden behaupten, dieses Land sei fu¨r die Juden bestimmt. Leider bin ich kein Jude. Aber dies ist mein Land. Sie können sagen, was sie wollen, dieses Gefu¨hl können sie mir nicht wegnehmen. Dies ist mein Land! O-Ton: Ali Ghandtschi Mohammad Bakri ist eine extrem interessante Person. Mohammad Bakri hat einen Dokumentarfilm gemacht namens Jenin, Jenin. Der sozusagen nach einem angeblichen in Anführungsstrichen Massaker, was die israelische Armee angeblich in einem palästinensischen Flüchtlingslager bei Jenin verübt haben soll. Er wurde der Lüge bezichtigt. Er wird in Israel extrem angefeindet. Entweder man mag ihn, oder man mag ihn nicht. Aber die meisten mögen ihn nicht. Aber er ist eine tolle Person. O-Ton: Mohammad Bakri Übersetzer: Das Gefühl, benachteiligt zu sein, hat mich dazu gebracht, Fragen zu stellen, die ich nicht gestellt hätte, wenn ich so wäre wie die anderen. Ich bin anders als die anderen. Ich gehöre einer Minderheit an, ich bin Palästinenser, ich lebe in einem Land, das mein Land ist, aber das Land will mich nicht haben, weil es ein ju¨disches Land ist. Bis Ende der siebziger Jahre war es in Israel verboten, das Wort Palästinenser zu benutzen, das war gegen das Gesetz. Wenn man sagt, man ist Palästinenser, bekommen die anderen Angst, denn du bist der Feind. Palästinenser sind Feinde der Israelis. Die Probleme der Identität, der Zugehörigkeit, der Bedeutung des Landes, der Bedeutung meiner Beziehungen zu Israelis haben in meiner fru¨hesten Kindheit begonnen. Seit damals, meine Jugendzeit hindurch bis heute, gab es ständig Kriege. Fast alle zehn Jahre entflammt wieder ein Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen Israelis und Arabern. Und ich war in der Mitte. Es ist, als wu¨rde man an einem Platz stehen, der von beiden Seiten beschossen wird, und man selbst befindet sich mittendrin. Das ist das Gefu¨hl, das ich habe. O-Ton: Ali Ghandtschi Ich wurde da sehr freundlich aufgenommen von den arabischen Intellektuellen, die aber fast durch die Bank weg sagten, dass sie nicht interessiert seien, an einem Projekt zusammen mit Juden teilzunehmen. Und das war wirklich sehr schwer. Da war eigentlich fast keine Überzeugungsarbeit zu leisten. Es gab einige, die mitgemacht haben. Andere wiederum wollten partout nicht mitmachen und haben mir sogar vorgeschlagen: macht doch einfach zwei Bücher. Eins mit Juden, eins mit Arabern. Die haben das Konzept leider nicht verstanden. Es gab natürlich auch Leute, die in einem Buch, was ein Deutscher macht, nicht erscheinen wollten. Atmo: Alarmsirene O-Ton: Ben Kadishman I wasn't born here in Israel .... Übersetzer: Ich bin nicht in Israel geboren, ich bin 1964 in London auf die Welt gekommen. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, und mein Vater ist 1972 mit mir und meiner Schwester nach Tel Aviv gekommen. Ein Jahr danach war der Jom-Kippur-Krieg. Ich war da neun Jahre alt. In Israel heulen die Sirenen an den Gedenktagen fu¨r die gefallenen Soldaten und fu¨r die Opfer des Holocaust. Es dauert eine oder zwei Minuten, man steht still, aus Respekt vor den Toten. Als der Jom-Kippur-Krieg begann, saß ich gerade mit einem Freund auf einer Mauer, und die Sirenen heulten ganz anders. Der Ton wurde leiser und lauter. Wir wussten nicht, was wir machen sollten, so etwas hatten wir noch nie gehört. Wir rutschten von der Mauer und standen still, wie man das am Gedenktag macht. Doch sie hörte auch nach zwei Minuten nicht auf, sie heulte immer weiter, und mein Freund und ich standen wie zwei Idioten da, bis meine Tante angerannt kam und schrie: "Kommt rein, kommt rein." Das war meine erste Kriegserfahrung. Atmo: Kinderchor Klagemauer O-Ton: Ali Ghandtschi Ich hatte die große Ehre, einen ganz bedeutenden Rabbiner kennenzulernen, Adin Steinsaltz, der mich empfing mit der Frage: was machst Du? Was willst Du wissen? Als ich ihm erzählte, was ich vorhabe, dass ich eine Kindheitsgeschichte hören möchte und dass es mir einfach darum ginge, die Geschichten der Menschen in Israel zu sammeln, erzählte er mir einen Witz: dass ein Journalist zu ihm kommt und er ihn fragt, was machst Du? Der Journalist sagt, er schreibe ein Buch. Wann er denn angekommen sei? "Gestern." Und wann er denn wieder abreise? "Morgen." Und wie soll das Buch heißen? "Israel gestern, heute und morgen". Da steckt eine ganze Menge Wahrheit drin, denn auf diesen Reisen, die ich gemacht habe, hab ich nur einen kleinen Einblick in das Land bekommen. (Musik) Ich habe versucht, in diesen Gesprächen meine Ansichten draußen zu lassen. Vielleicht konnte sich der eine oder andere denken, was ich denke. Aber ich wollte mich nie in den Mittelpunkt stellen. Ich wollte einfach nur zuhören, was die für Geschichten erzählen. Ich hab mich in meinem Leben schon viel mit rechten Israelis unterhalten. Und ich habe mich mit denen gestritten. Da habe ich aber gemerkt, ich antworte ihnen mit meiner Meinung, damit höre ich ihnen aber nicht richtig zu. Genau das wollte ich in diesen Gesprächen nicht. Ich habe mich komplett rausgehalten. Und darum geht es mir eigentlich auch mit diesem Buch. Ich möchte niemandem sagen, was richtig oder falsch ist. Ich möchte niemandem sagen, wie es da unten wirklich ist, sondern mit diesem Buch kann man sich halt ein eigenes Bild machen von diesen Ansichten. O-Ton: Ariel Zilber Übersetzer: Das ist sehr verdächtig. Du bist Iraner, und, schlimmer: du bist auch Deutscher. Was hast du hier vor? Was bedeutet dein Projekt? Ich glaube nicht, dass es etwas bringt. Es gibt in Israel sieben Millionen Juden, und jeder hat eine eigene Meinung und eine eigene Geschichte. Musik: Ariel Zilber Smoke Screen (Eigenaufnahme) O-Ton: Ariel Zilber In the third grade we had a teacher ..... Übersetzer Ich wuchs in einem kommunistischen Kibbuz auf, aber es war ein sehr guter Kibbuz. In der dritten Klasse, als wir zehn Jahre alt waren, bekamen wir einen neuen Klassenlehrer. Er sagte zu uns: "Gut, ich zwinge euch nicht, am Unterricht teilzunehmen. Wer möchte, kann den Klassenraum verlassen." Wir gingen alle raus. Er sagte: "Okay, ihr wollt nicht lernen, dann schauen wir uns also das Land an." Wir machten viele Ausflu¨ge durch ganz Israel. Dieser Klassenlehrer brachte mir die Liebe zum Land Israel bei. O-Ton: Ali Ghandtschi Es war sehr schwierig, locker zu bleiben im Gespräch mit Ariel Zilber. Ariel Zilber war und ist immer noch in Israel ein hochverehrter Musiker. Allerdings nur noch hochverehrt wegen seiner Musik, nicht wegen seinen politischen Ansichten. Denn er ist ein extrem ultrarechter Siedler geworden. Das Gespräch mit ihm war ganz interessant, aber ich musste mir echt oft auf die Zunge beißen. O-Ton: Ariel Zilber The only thing I am working today ... is to unite Israel. Übersetzer: Das Einzige, was mich jetzt interessiert, ist, das Land zu einen. Das ist mein einziges Ziel. Sonst interessiert mich nichts. Wir streiten uns innerhalb der religiösen Gruppen und innerhalb der nichtreligiösen Gruppen, wir haben so viele Gruppen und Untergruppen. Das finde ich sehr schlecht. Weißt du, ich glaube etwas, was alle Propheten gesagt haben, auch Moses: Wenn man eins ist, wird es keinen Feind mehr geben. Das ist es, worum wir uns bemu¨hen. Ich möchte nicht mit Arabern reden. Nichts. Ali: Are you in touch with them? .... Wir fu¨hren Krieg gegeneinander. Egal, wie man es nennt, wir befinden uns im Krieg mit ihnen. Sie sind von Israel abhängig. Wenn wir nicht hier wären, wären sie auch nicht hier. Es gibt viele Chachamim in Israel, weise Männer, die sagen: "Laut der Bibel spielen die Araber, unsere Feinde, hier eine große Rolle. Sonst wären sie nicht hier." Weil wir glauben, dass alles passiert, weil Gott es so will. Weil es sonst anders wäre. Also spielen sie eine Rolle, und ihre Rolle ist, Israel zusammenzuhalten. Ich glaube, wenn es die Palästinenser nicht gegeben hätte, wäre der Staat schon längst auseinandergebrochen. O-Ton: Orly Castel-Bloom You are moving from war to war .... Übersetzerin: Wir bewegen uns hier von einem Krieg zum anderen. Das macht einen sprachlos. Ich weiß nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Fru¨her waren wir naiv. Jetzt warten wir einfach ab. Ich habe heute Pflanzen beim Gärtner gekauft. Lasst uns mit der Erde spielen, solange sie uns noch gehört. Atmo: Kinderchor Klagemauer O-Ton: Judith Rothem We should risk something very brave .... Übersetzerin: Ich denke, wir sollten etwas sehr Mutiges riskieren. Denn wenn wir nichts riskieren, werden wir nichts erreichen. Vielleicht sollten wir einen anderen Weg gehen. Es gibt eine Geschichte von einem beru¨hmten chassidischen Rabbi. Eines Tages, als er mit seinen Schu¨lern zusammensaß, wurde er gefragt: "Rabbi, sag uns, wie wir bessere Juden werden können. Wie wir Gott näherkommen können." Und er antwortete: "Gut, ich erzähle euch eine Geschichte. Ein König hatte zwei sehr gute Freunde. Eines Tages erfuhr er, dass sie eine Untreue begangen hatten, die Strafe sollte sehr streng sein, sie sollten getötet werden. Aber er liebte sie, deshalb beschloss er etwas anderes. Er ließ ein langes Seil zwischen zwei Punkten ziehen, daru¨ber sollten sie gehen, wie im Zirkus. Wer das Seil u¨berquere und nicht hinunterfalle, der solle am Leben bleiben. Der erste betrat das Seil und u¨berquerte die Strecke, ohne hinunterzufallen. Er blieb am Leben. Sein Freund fragte ihn: ›Moische, wie hast du das geschafft? Wie hast du es geschafft, nicht vom Seil zu fallen?‹ Er sagte: ›Ich weiß es nicht, aber als ich merkte, dass ich fallen wu¨rde, habe ich das Gewicht auf die andere Seite verlagert.‹ Das war sein Ratschlag." Das ist es, was ich sagen will. Wir gehen auf einem Seil. Das Seil ist sehr du¨nn. Und wir kommen nirgendwo an, wir können nur hinunterfallen. Wenn wir aber eine deutliche Bewegung hin zur anderen Seite machen, werden wir vielleicht gerettet. O-Ton: Ali Ghandtschi Ich würde gerne einmal ein großes Fest feiern mit all den 80 Leuten, die ich getroffen habe. Ich habe öfters gedacht: diese Person, mit der ich gerade spreche, könnte sich irre gut mit der anderen Person, die ich eben getroffen habe, verstehen. Aber die werden sich in ihrem Leben nicht kennenlernen. Denn wenn Du aus diesem Politischen herausgehst und ins Persönliche gehst, entstehen natürlich Freundschaften, Verständnis, und das verändert, glaube ich mehr, als irgendwelche politischen Entscheidungen. Atmo: Kinderchor Klagemauer blendet sich aus 16