COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 15. Juni 2009, 19.30 Uhr Gesundheit aus dem Netz Von verwirrten Verbrauchern und autonomen Patienten Von Horst Gross O-Ton 1 Angehörige Man informiert sich im Internet und ich finde die Information von da immer so umfangreich, dass mich das eigentlich immer umhaut. Sprecher vom Dienst: Gesundheit aus dem Netz Von verwirrten Verbrauchern und autonomen Patienten Eine Sendung von Horst Gross. O-Ton 2 Patient Über das Internet kam ich dann eigentlich auch zu dem therapeutischen Ansatz, den ich dann für mich wählte. Sprecher Die eigene Krankheit nachrecherchieren, die Diagnose des Arztes überprüfen, Nebenwirkungen von Medikamenten abfragen oder ein passendes Krankenhaus finden. Alles nur ein paar Klicks entfernt. O-Ton 4 Eysenbach Also wir wissen das zwischen 75 und 80 % der Leute schon mal im Internet nach Gesundheitsinformationen gesucht haben. Nur ungefähr 20 % suchen wöchentlich. Rund 30 % suchen einmal im Monat. Und das sind eben vor allem die chronisch Kranken. Sprecher Professor Gunther Eysenbach von der Universität Toronto. Der deutsch-kanadische Gesundheitswissenschaftler erforscht seit Jahren, wie Laien in westlichen Industrieländern das Netz zu medizinischen Fragen nutzen. O-Ton 3 Eysenbach Also teilweise wird das wie ein Lexikon benutzt, insbesondere, wenn die Leute eben nach Informationen suchen, die sie jetzt selbst jetzt betrifft, weil sie mit einer neuen Diagnose konfrontiert sind, dann suchen sie natürlich auch nach emotionaler Unterstützung, also nach Leidensgenossen und suchen nach der Art von Informationen, die sie eben nicht vom Arzt bekommen und das sind vor allem Fragen des täglichen Lebens oder was bedeutet jetzt diese Krankheit eigentlich konkret für mich und so weiter. Atmo 1 Frau tippt auf Computer hörbar ein "Brustkrebsvorsorge". O-Ton 7 Patientin Das war erstmal so ein großer Schock, von dieser Diagnose zu erfahren, dass ich einfach auch überfordert war mit der Situation ... Sprecher Die Diagnose Brustkrebs traf die junge Frau völlig unvermittelt. O-Ton 8 Patientin Vor allem bei der Diagnose ist es so, dass man da sitzt und vielleicht schafft man es gerade noch die Frage zu stellen, die am meisten Bedeutung hat für einen. Also zum Beispiel, wie lange man noch leben wird oder wie groß die Heilungschancen sind. Und auch das wird eben meistens so schwammig beantwortet, dass man denkt, ein paar Stunden später, jetzt gebe ist erstmal die Todesrate oder die Sterbewahrscheinlichkeit bei meiner Krankheit ein. Einfach nur um zu gucken, ob man geschont wurde. Ob das stimmt. Natürlich ist das Quatsch. Sprecher Das Bedürfnis nach Information ist in dieser Situation übermächtig und das Internet kennt keine Sprechzeiten. O-Ton 11 Patientin Die Stunden eines Tages sind auf einmal nicht mehr die, die sie vorher waren. Man kreist nur noch um diese Krankheit und das Internet steht eben einfach da. Oder bei mir ist es zumindest so, dass ich sowieso sehr viel mit dem Internet arbeite und beruflich vorher sehr viel mit dem Internet gearbeitet habe. Und dann ist es so, dass man schnell bei jedem Gedanken, bei jeder Angst die man hat, bei jedem Bedürfnis nach Informationen, dann ist es gleich da und man kann was eingeben, auch wenn das Ergebnis manchmal weniger befriedigend ist, weil man vielleicht mehr Ängste hat als vorher, aber so ne erste Befriedigung ist da. O-Ton 9 Kirschning Also ich hatte eine qualitative Untersuchung gemacht zur Diagnoseaufklärung von Frauen mit Brustkrebs. Eine soziologische, eine medizinsoziologische Untersuchung. Und damals war es noch so, dass die Frauen darunter gelitten haben, dass ihnen zu wenig Informationen bereitgestellt wurden. Sprecher Die Berliner Medizinsoziologin Silke Kirschning. O-Ton 9 weiter Und dann, so um 2001 war mir klar: mit dem Internet ist dieses Problem eigentlich beseitigt. Man hat eher die Flut der Informationen als neues Problem. Und da hat mich eben dann die Frage interessiert: Wie ist das eigentlich, Menschen mit einer schweren Erkrankung, und auch Angehörige von Menschen mit einer schweren Erkrankung, wie nutzen sie nun dieses neue Medium? Sprecher Die Wissenschaftlerin befragte per Internet und anonym Krebspatienten, unter anderen jüngere Frauen mit Brustkrebs. Vier Fünftel der Befragten fanden im Netz ein auf ihr Bedürfnis zugeschnittenes Informationsangebot. Viele Patientinnen fühlten sich aber durch die Flut von Informationen auch überfordert. O-Ton 12 Patientin Also jedes Mal, wenn ich tatsächlich Informationen gefunden habe, die mir Angst gemacht haben, dann musste ich mich natürlich in dem Moment erst einmal alleine damit auseinandersetzen. Und das hat zu sehr verschiedenen Reaktionen geführt. Also vielleicht weint man die ganze Zeit oder macht sich einfach nur so Gedanken oder ist auf jeden Fall bis zum nächsten Arztbesuch damit beschäftigt. O-Ton 13 Kirschning Über die Hälfte derjenigen, die wir befragt haben, gingen dann mit diesen Informationen zu ihren Ärzten und Ärztinnen und fragten sie: Was halten Sie davon? Und was heißt das für mich? Und das und das hab ich gelesen, können Sie mir sagen, wie ich damit für mich umgehen soll? Und da, das war eben sehr interessant, haben wir festgestellt, dass weniger als 40 % eine positive Erfahrung gemacht haben. Sprecher Im Klartext: fast zwei Drittel dieser Patientinnen wurden mit ihrer Verunsicherung vom Arzt im Stich gelassen. O-Ton 14 Seibt Sie bringen leider selten die genaue Seite mit. ... Sprecher Hannelore Seibt ist Fachärztin für Onkologie in Berlin. Weiter O-Ton 14 ... Weil wenn sie sich die Seite ausdrucken würden, also das könnte ich nur jedem empfehlen, ich sag dann: sag mir die Adresse, gibt mir die Adresse. Je konkreter die Information ist, die der Patient mitbringt, desto besser für das Gespräch. Sprecher Mancher Arzt tut sich schwer, wenn er auf internetinformierte Patienten trifft. Hier gibt es offenbar auch ein Generationsproblem. Hausärzte in Deutschland sind im Durchschnitt 52 Jahre alt. Sie gehören einer Generation an, die das Internet selbst weniger nutzt. Es ist aber auch der Patient, dem manchmal das nötige Einfühlungsvermögen für die Lage des Arztes fehlt. Wer seinen Arzt mit diffusen Fragen konfrontiert, muss damit rechnen, dass der auch diffus antwortet. Und: O-Ton 15 Seibt Die Gespräche werden aufwändiger. Unglaublich viel aufwändiger finde ich. Weil, der Patient eignet sich so eine Pseudokompetenz an. Das, was er sich nicht aneignen kann, sind 20 Jahre ärztlicher Erfahrung. Sprecher Deshalb macht das Internet die Gespräche oft zum Geduldsspiel für beide Seiten. O-Ton 16 Seibt Und das dann sozusagen zu klären. Zu sagen, warum ist die Substanz nix für dich. Ja, warum, das steht doch da soundso? Ja, das ist halt für dich nichts in dieser individuellen Situation, in der du jetzt bist, ist es nicht zugelassen. Ja, warum nicht? Na ja usw. Also sehr, sehr aufwändige Diskussionen sind das. Sprecher Zwar propagiert die Gesundheitspolitik allenthalben den mündigen und internetinformierten Patienten, doch für den daraus resultierenden hohen Beratungsaufwand fühlt sich niemand verantwortlich. Ganz im Gegenteil, den Hausärzten wurde gerade zu Beginn des Jahres die Betreuungspauschale gekürzt. In Berlin etwa gibt es pro Quartal und Patient nur noch 30 Euro pauschal für die Beratungsleistung durch den Hausarzt. Viele Hausärzte reagieren gereizt auf das Thema Internet. O-Ton 17 Marold-Richardson Man verschlechtert ja dadurch das Arzt-Patienten-Verhältnis. ... Sprecher Die Berliner Hausärztin Birgit Marold-Richardson Weiter O-Ton 17 ... Ja weil kein Arzt bereit ist, jetzt noch 20 Minuten oder 30 Minuten außerhalb dieser Pauschale eben sich mit den Patienten beziehungsweise mit den Internetseiten zu befassen. Das ist überhaupt nicht vorgesehen und kann auch in der Praxis nicht geleistet werden, weil der zeitliche Rahmen überhaupt nicht gegeben ist. Und es einfach nervig ist, wenn jeder dritte Patient dann, wenn man ungefähr 80 Patienten am Tag hat in der Praxis, mit diesen Internetzetteln ankommt. Sprecher Manche Ärzte warnen ihre Patienten sogar davor, sich über ihre Krankheit im Netz zu informieren. Die junge Brustkrebspatientin tat es dennoch: O-Ton 19 Patientin Wenn man sich in die Obhut von Ärzten begibt, bei so einer schweren Erkrankung, also dann fühlt man sich generell entmündigt. Und wenn einem dann auch noch Hinweise gegeben werden beziehungsweise eigentlich sogar schon fast Verbote, nicht im Internet nachzugucken, dann fühlt man sich wie ein kleines Kind, dem gesagt wird, was gut für es ist. Was nicht gut ist. Was man tun und lassen soll und man wird dann natürlich auch trotzig. Und das hat auch den Effekt wie bei einem Kind. Dass man denkt: die Grenze überschreite ich jetzt, also da will ich wissen, ob mir etwas vorenthalten wird. Sprecher Konfrontieren mit dem Schlimmsten - diese Strategie hat die interneterfahrene Patientin für sich gewählt. Wer sich im Netz nicht auskennt, wem Ansprechpartner fehlen, fühlt sich schnell hilflos. O-Ton 20 Hohmann Das Internet ist ja kein Selbstzweck und die Recherche auch nicht - sondern für uns geht es darum, egal auf welchen Wegen, für diese Menschen dann einen Ansprechpartner zu finden oder ihnen zumindest weiterzuhelfen. Oder ihnen eben auch konkret Informationen oder Lösungen anzubieten. Sprecher Evelyne Hohmann, Geschäftsführerin der Theodor Springmann Stiftung. Über das Patiententelefon vermittelt die Stiftung beispielsweise Kontakte zu Selbsthilfegruppen, bietet aber auch Internetrecherchen und Internettraining an. O-Ton 21 Hohmann Zum einen ist es sehr unübersichtlich, wenn sie ein Thema ganz, wie Krebs zum Beispiel, ganz unkonkret eingeben haben sie allein im deutschsprachigen Raum mehrere Millionen Seiten. Das heißt, sie haben einfach den Frust, dass sie unter einer Unmenge von unsortierten Informationen auswählen müssen. Wenn Sie etwas genauer eingeben können, da haben Sie manchmal das Problem, wenn sie sich nicht auskennen, dass sie dann einfach bei Anbietern landen, die gar nicht so viel Informationen bieten, sondern eigentlich ihre Dienstleistungen an den Mann bringen wollen. Sprecher In konventionellen Medien muss Werbung klar vom redaktionellen Teil getrennt werden. Im Internet dagegen herrscht immer noch Werbeanarchie. Pharmafirmen oder Anbieter obskurer Therapien locken Interessierte geschickt auf anscheinend neutrale Informationsportale. Rainer Sbrzesny von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands. O-Ton 22 Sbrzesny Man sollte vielleicht schauen, stehen wirtschaftliche Interessen dahinter. Wer wirbt auf der Seite? Wer steht überhaupt erst einmal hinter der Seite? Das ist ja wie bei jeder, auch schriftlichen, gedruckten Information. Wer ist der Herausgeber? Wer ist der Autor? Das sind natürlich die harten Facts. Patienten können gerade in diesem großen Gesundheitsbereich und mit den ganzen Akteuren, die natürlich auch jeweils Interessengruppen zuzuordnen sind, sehr, sehr schwer erkennen, was eine seriöse Information ist. Sprecher Die unabhängige Patientenberatung Deutschlands - kurz UPD - wird mit öffentlichen Mitteln gefördert. Auch sie hilft in ihren 22 Beratungsstellen Ratsuchenden, sich besser im Internet zurechtzufinden. O-Ton 23 Sbrzesny Es gibt leider noch keine Standards für die Patienteninformationen. Sie werden gerade entwickelt. Es gibt ein deutsches Netzwerk Evidenz basierte Medizin, die haben 2006 ein Modul erstellt für seriöse Patienteninformation. Ist aber letztendlich natürlich überhaupt nicht verbindlich. Das Internet ist natürlich ein sehr weiter, weltweiter Spielraum. Über Google zu Information zu bekommen ist häufig auch ein kleines Lotteriespiel. Sprecher Mittlerweile gibt es einige Institutionen, die Medizinportale seriös zertifizieren. Dazu gehört das von der Schweizer Organisation Health on the Net Foundation vergebene HON-Siegel oder das vom Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem vergebene Zertifikat AGFIS. Diese Zertifikate prüfen allerdings nur Formalien, etwa ob ein aussagekräftiges Impressum vorhanden ist. Die Qualität der medizinischen Inhalte überprüft niemand. Atmo 2 Nutzer tippt auf Computer hörbar ein "Ursache Kopfschmerzen" Sprecher Immer mehr Menschen recherchieren im Netz nach den möglichen Ursachen von Alltagsbeschwerden, wie etwa Kopfschmerzen. Etwa zwei Drittel der Internetnutzer haben dabei schon einmal bei sich vermeintlich eine schwere Erkrankung entdeckt und sich unnötig geängstigt, fand Microsoft in einer Nutzerbefragung heraus. Die meisten blieben mit den Befürchtungen und Ängsten ohne Beratung zurück. In welchem Umfang der Missbrauch des Internets als Diagnosesuchmaschine zu echten psychischen Problemen führt, ist noch unklar. Die Forscher sehen aber durchaus die Gefahr, dass sich solche Ängste verselbstständigen. Sie sprechen von einer neuen Form der Hypochondrie im Cyberspace: der Cyberchondrie. Wie realistisch ist diese Gefahr der Selbstschädigung? Rainer Sbrzesny : O-Ton 25 Sbrzesny Ich halte das für sehr glaubwürdig. Gerade bei Krankheitsbildern, die auch noch nicht letztendlich erforscht sind. Nehmen wir einmal den Fall Borreliose. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten auf die die Symptome zurückzuführen sind. Sehr häufig bedarf es mehrerer Diagnosen und mehrerer Fachärzte, um dieses Krankheitsbild letztendlich herauszubekommen. Und wenn ich schon durch die Ärzte verunsichert bin, dann mir selbst auch noch Informationen aus dem Internet besorge, die in alle Richtungen gehen können und auch das Schlimmste vermuten lassen können, ist völlig klar, dass ich da aufgrund des Unsicherheitszustandes Angstzustände ergeben können. Sprecher Das Internet ist also für Laien durchaus ein sehr ambivalentes Hilfsangebot. Viele profitieren, andere bleiben ratlos und verängstigt zurück. In dieser Situation suchen viele in Internetforen nach Unterstützung. Virtuelle Schwarze Bretter, auf denen man anonym seine Fragen, Sorgen oder Probleme veröffentlichen kann und andere Betroffene um Hilfe bittet. Evelyne Hohmann von der Theodor Springmann Stiftung O-Ton 26 Hohmann Mir scheint sogar, dass diese Möglichkeit, sich in Foren zu vergewissern, also in Foren, die relativ seriös gemacht werden, vielleicht auch eine Möglichkeit ist, dass sie ihre Krankheitsängste besser loswerden. Sprecher Das Angebot an solchen Foren nimmt stetig zu. Ihre Anonymität ermöglicht es, dass man auch delikate Fragen stellen kann. Fragen, mit denen man sich nicht zum Arzt traut. Ein Patient hat aufgrund seines Prostatakarzinoms den Weg in solche Foren gefunden: O-Ton 27 Patient Und dann interessierten mich auch immer die Erfahrungsberichte derjenigen, die mit der gleichen Diagnose leben oder vielleicht eben kurz vor dem Sterben sind. Ich suchte nach Selbsterfahrungsberichten. Und genau auch über das Internet ein Stück weit und den Kontakt mit Selbsthilfegruppen, kam ich dann auch zu dem therapeutischen Ansatz, den ich dann für mich wählte. Sprecher Internetforen sind völlig unverbindlich. Man muss nichts von sich berichten und kann doch profitieren. O-Ton 28 Patient Ich selbst habe nie einen Erlebnisbericht ins Internet gestellt. Aber ich hab sie gelesen. Und ich hab sie mit Neugierde gelesen. Und sie haben mir dann teilweise, weil so unterschiedlich berichtet wurde, mir auch ein bisschen Mut gemacht. Und ich war dann ganz überrascht, wie ausführlich Einzelne mehr oder weniger ihr Krankheitsbild beschrieben, ihre Probleme. Fand das also ganz erstaunlich, wie so manche Ehefrau sich für ihren wahrscheinlich schon sehr angeschlagenen Ehemann bemühte, hilfreiche Informationen zu bekommen von Betroffenen. Sprecher In diesen Foren wird viel über Krankheitssymptome und Nebenwirkungen berichtet. O-Ton 29 Patientin Bestimmte Nebenwirkungen, wie zum Beispiel von der Chemotherapie, wie zum Beispiel das einem die Fingernägel abfallen können, dass die Haare nicht wieder wachsen, dass man irgendwelche Hautprobleme, bleibende, bekommt. Das sind alles Dinge, die passieren in seltenen Fällen, aber die tauchen sehr, sehr gehäuft in diesen Foren auf. Und wenn man so was liest, dann geht man nicht gestärkt heraus, sondern dann denkt man jeden Tag; meine Fingernägel werden mir abfallen, meine Haare werden nicht mehr wachsen und ich werde wahrscheinlich sonst was für Ausschläge haben. Und unter Umständen ist es dann vielleicht auch so, weil man sich da so rein steigert. Ich weiß es nicht inwiefern, dass die Psyche gar nicht sogar den Verlauf der Krankheit beeinflussen kann. Sprecher Wer ein solches Internetforum trotzdem nutzen will, muss streng auf seine Anonymität achten. Denn selbst nach Jahren können solche Forumsbeiträge noch abgefragt werden. Evelyne Hohmann: O-Ton 30 Hohmann Wenn die Leute sich bewerben, die melden das auch so an uns zurück. Dass ihre Chefs gegoogelt haben oder die Personalchefs googeln nach ihrem Namen und finden sie dann in diesen Foren und sehen dann: Ach, die Frau Meier hat mal Krebs gehabt. Atmo 3 Nutzer tippt auf Computer hörbar ein "Hamburger Krankenhausspiegel". Sprecher Immer häufiger versuchen Patienten im Internet den "passenden" Arzt oder das "richtige" Krankenhaus zu finden. Im Hamburger Krankenhausspiegel nutzt man wissenschaftlich erhobene Daten, um die Qualität der regionalen Krankenhäuser bei den häufigsten chirurgischen Eingriffen vergleichbar zu machen. Ein Projekt, das in Deutschland bisher einmalig ist. Jörg Weidenhammer von den Hamburger Asklepios Kliniken. Mitinitiator des Hamburger Krankenhausspiegels. O-Ton 31 Weidenhammer Wir waren der Auffassung, dass nicht nur irgendeine Klinikgruppe, sondern alle Klinikgruppen gemeinsam auftreten sollten, um Patienteninformationen so zur Verfügung zu halten, dass jedermann das auch lesen kann und insbesondere natürlich der Patient. Sprecher Das entscheidend Neue am Hamburger Krankenhausspiegel ist die direkte Vergleichsmöglichkeit. Wer sich zum Beispiel die Gallenblase entfernen lassen muss, findet hier eine Aufstellung aller Kliniken, die in Hamburg diesen Eingriff ausführen. Tabellarisch aufgelistet erfährt man, wie oft ein Haus diese Operation pro Jahr ausführt und wie oft Komplikationen auftreten. Das Hamburger Projekt war nur möglich, weil alle Beteiligten sich einig waren: O-Ton 32 Weidenhammer Das heißt alle Hamburger Krankenhäuser, die Hamburger Ärztekammer, die Technikerkrankenkasse, damals als erste Versicherung, mittlerweile haben sich viele andere Versicherungen angeschlossen, wollten etwas haben, wo man mit wenigen Klicks Informationen bekommt, die man in der Umgangssprache erläutert und trotzdem fachlich korrekt ist. Sprecher Der Hamburger Krankenhausspiegel gibt Hinweise. Die Entscheidung muss der Patient dann, am besten zusammen mit seinem behandelnden Arzt, selbst treffen. Aber der Hamburger Krankenhausspiegel hat auch ein entscheidendes Manko: Er benutzt wissenschaftliche Qualitätsparameter. Die sind für den Laien wenig anschaulich. O-Ton 34 Betroffener Ich hab da relativ wenig Information bekommen. Ich hatte den Eindruck, dass ich genauso schlau bin wie vorher. Sprecher Ein Ratsuchender, der versucht hat im Hamburger Krankenhausspiegel eine geeignete Klinik zu finden. Er vermisst etwas Entscheidendes: O-Ton 35 Betroffener Eine Patientenbewertung fände ich gut, der Krankenhäuser, wie sie die Operation erlebt haben, welchen Eindruck sie von dem Krankenhaus hatten, welchen Eindruck sie vom behandelnden Arzt hatten. Ob sie sich gut versorgt gefühlt haben? Das hätte ich informativ gefunden in dem Zusammenhang. Sprecher Bewertungsportale, die genau auf diese subjektiven Erfahrungsberichte setzen gibt es. Sie erfreuen sich sogar zunehmender Beliebtheit. Zwei typische Beispiele aus dem Portal klinikbewertungen.de: Anne 01 berichtet über Ihre Erfahrung in einer Spezialklinik für endoskopische Chirurgie: Zitator "Super Eindruck von allem. Es gab weder an fachlicher Kompetenz noch an Freundlichkeit einen Mangel anzumelden. Vorabberatung, Untersuchung, Behandlung, Unterbringung und Essen - alles Top! Personal las den Patienten die Wünsche von den Augen ab. Es gab wirklich keine Beschwerden, man fühlte sich eher im Hotel als im Krankenhaus." Gesamturteil: Sehr zufrieden Sprecher Wenige Tage später: gleiches Bewertungsportal, gleiche Klinik, gleiche Art des Eingriffs: Der Patient "Leidensweg" berichtet. Zitator "Nach wenigen Tagen entzündete sich die Wunde und vereiterte. Mein Operateur, meist in Cowboystiefeln unterwegs, öffnete die Naht mit einer Knopfkanüle, spülte die Wunde ... Schon nach einer Woche hatte ich massive Schmerzen und die Wunde nässte. Habe ... einen Arzt aufsuchen müssen, der mich umgehend in ein Krankenhaus einwies. ... Nur Sprüche klopfen und die Patienten dann im Regen stehenlassen, ist zu wenig. Gesamturteil: unzufrieden Sprecher Ob solche anonymisierten, subjektiven Erfahrungen mit Krankenhäusern und Ärzten aber wirklich hilfreich sind, darf man bezweifeln. Trotzdem sind diese Portale auch kommerziell auf dem Erfolgsweg. Verlagsgruppen wie Holtzbrinck und Burda sind groß in das digitale Business eingestiegen. Es lockt der potenzielle Patient als ideales Werbeopfer. Nicht nur für die Pharmaindustrie. Auch Ärzte und Praxen möchten sich gerne ins rechte Licht setzen. Auf dem Arztbewertungsportal Jameda.de können Mediziner gegen Bezahlung ganz besondere Dienstleistungen buchen: "Auffällige Darstellung in den Suchergebnissen", "Auffällige Darstellung auf den Internetportalen unserer Partner: FOCUS Online, Brigitte.de und GoYellow.de" und als besonderes Highlight: die Berechtigung als Autor auf Jameda.de über Fachinformationen zu referieren. Bei potenziellen neuen Patienten, und um die geht es hier offensichtlich, soll dies den Eindruck von ärztlicher Kompetenz verstärken. Dass der Arzt für diese Art der Imageverbesserung bezahlt hat, erfährt der Leser erst über Umwege. Dabei basiert das Geschäftsmodell dieser Portale im Wesentlichen auf der unentgeltlichen Mitarbeit der Patienten. Je mehr Bewertungen und Kommentare eingehen, umso höher die Werbepreise. Für Laienbewertungen gibt es sogar einen grauen Markt. Kleinere Portale können Bewertungen von anderen Portalen zukaufen, das erhöht die Werberelevanz. Atmo 4 Sprecher tippt auf Computer hörbar ein "Qualität in der Medizin". Sprecher Kommerzielle Bewertungsportale sind zwar emotionaler und scheinbar übersichtlicher. Objektiver sind sie aber nicht. Vielleicht lohnt es also doch die Mühe, auf Portalen nachzusehen, die sich an wissenschaftlichen Standards orientieren. Dazu gehört neben dem Hamburger Krankenhausspiegel auch die bundesweite Weiße Liste der Bertelsmann Stiftung. Beide beziehen ihre Daten von einem staatlich kontrollierten Institut: der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung - kurz BQS -. O-Ton 36 Veit Also den Qualitätsbegriff hat es sicher schon immer gegeben. ... Sprecher Christof Veit, Geschäftsführer der BQS. Weiter O-Ton 36 ... Patienten waren mit ihrem Arzt und seinem Behandlungsergebnis zufrieden oder nicht zufrieden. Was man gelernt hat in den letzten Jahren ist jedoch Methoden zu entwickeln, wie man die Qualität eines Krankenhauses oder eines niedergelassenen Arztes darstellen kann, als Messung, Qualitätsindikatoren nennt man das. Daraus macht man eine Statistik. Sprecher Solche Indikatoren sind zum Beispiel: die Komplikationsrate, die Einhaltung von Therapieleitlinien oder die Rückfallrate. Das Datenmaterial müssen die Krankenhäuser an BQS melden. Die wertet dann, im Auftrag des Gesetzgebers, die Daten aus und stellt sie zur Veröffentlichung bereit. O-Ton 37 Veit Eines der Ziele unserer Verfahren ist ja nicht, dass wir herausfinden, wer der Beste ist. Sondern dass, wenn irgendwo Patientenbehandlung noch nicht mit der Qualität geschieht, wie sie geschehen könnte, dass das verbessert wird. So dass Patienten wissen: Egal wo ich hingehe, ich werde wirklich sehr gut behandelt. Sprecher Gegenwärtig erfasst die BQS nur die Kurzzeitergebnisse der Krankenhäuser. Aber man denkt schon weiter. O-Ton 38 Veit In bestimmten Bereichen, die besonders häufig sind, die besonders interessieren, wird man durchaus auch Langzeitergebnisse von Patienten mit hereinnehmen. So dass man nicht mehr sagen kann: Sie sind dort gut mit der Hüfte operiert worden. Sondern den Patienten, die dort operiert wurden oder nachbehandelt wurden, geht es nach fünf Jahren ganz prima mit ihrer Hüfte. Sprecher Auch die Erfassung der ambulant tätigen Ärzte ist geplant und angesichts des Wildwuchses, der gerade bei Arztbewertungsportalen aufblüht sicher sinnvoll. Atmo 5 Nutzer tippt auf Computer hörbar ein "evidenzbasierte Medizin". Sprecher Wer im Netz wissenschaftliche Informationen über eine Krankheit sucht, hat in der Regel keinen Zugriff auf die Fachartikel. Stattdessen findet er in den einschlägigen Informationsportalen Zusammenfassungen der Studien. Internetgeübte Nutzer, wie die junge Brustkrebspatientin sind frustriert. O-Ton 39 Patientin Von der Pharmaindustrie beispielsweise findet man sehr oft Beiträge oder Informationsseiten, die offensichtlich manipuliert sind und man merkt auch, wie man manipuliert wird und das macht einen noch unsicherer. Und das macht einen nicht nur unsicher. Das macht einen auch wütend. Das macht einen wütend, weil man plötzlich merkt, dass man von allen Seiten auch funktional manipuliert wird. Sprecher An diesem Punkt setzt die evidenzbasierte Medizin an. Eine neue Denkrichtung, die die entscheidenden Fragen stellt: Ist eine medizinische Maßnahme ausreichend wissenschaftlich belegt. Gibt es zuverlässige Studien? Nach klar definierten Regeln beantwortet die evidenzbasierte Medizin diese Fragen auch so, dass der Laie das nachvollziehen kann. Eine Methode, ideal um im Netz wissenschaftliche Informationen zu vermitteln. Doch dieses Konzept setzt sich nur langsam durch, denn evidenzbasiert heißt auch: frei von Einflüssen durch die Pharmaindustrie und damit schlecht für die Werbung. Pionier auf diesem Gebiet ist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen - kurz IQWIG. Eine Stiftung, die überwiegend durch die Gesetzliche Krankenversicherung finanziert wird. O-Ton 40 Bastian Also ich komme aus Australien. Und das ist etwas, das die englischsprachigen Länder haben ganz schnell, vor vielen Jahren haben gemacht. Sprecher Hilda Bastian leitet am IQWIG das Ressort Patienteninformation und ist verantwortlich für das Portal Gesundheitsinformation.de. Hier informiert das IGWIQ Patienten, streng nach den Regeln der evidenzbasierten Medizin. O-Ton 41 Bastian Eigentlich das war eine Idee vom Gesetzgeber. Also es war also gedacht: o.k., wir brauchen irgendein Portal, also irgendetwas, das hat Informationen, aber der ist auf Forschung gebaut. Sprecher Ob etwas tatsächlich hilft oder nicht, das war früher eigentlich medizinische Insiderinformation. Auf Gesundheitsinformation.de will man sie allen Interessierten zugänglich machen. Für Ratsuchende kann so viel Offenheit aber auch zur Überraschung werden. O-Ton 42 Bastian Ja, wenn ich bin krank, ich würde ich gerne hören: Hier ist die perfekte Lösung. Mach mal das und dann ist alles wieder super. Das wäre gut. Aber leider, das ist nicht die Realität. Ist das ein Schock auch manchmal so irgendwie: Was die Ärzte wissen das nicht? Und das ist nicht immer bequem. Sprecher Gesundheitsinformation.de will und kann auch gar nicht das gesamte medizinische Wissen für Laien aufbereiten. Es geht viel mehr darum, exemplarisch den Nutzen der evidenz-basierten Medizin aufzuzeigen. Denn diese Art der Informationsaufbereitung sollte im Internet Schule machen. Die entscheidende Frage bleibt allerdings auch auf dem besten Internetportal unbeantwortet: Soll man sich überhaupt mit seiner eigenen Krankheit, seinen Symptomen oder Ängsten ins Internet wagen? O-Ton 43 Patient Ich würde jedem dazu raten unter der Bedingung, dass er das, was er liest, auch mit andern gemeinsam dann auch bespricht. Wenn jemand wirklich alleine wäre und er würde ganz alleine diese Vielzahl von Informationen, die einen ja dann im Internet begegnen, dann verarbeiten wollen, dann ist jeder für sich alleine gesehen überfordert. Sprecher vom Dienst: Gesundheit aus dem Netz Von verwirrten Verbrauchern und autonomen Patienten Eine Sendung von Horst Gross Es sprach: Thomas Holländer Ton: Andreas Narr Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 18 1