KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : LITERATUR 00.05 Die Teufel auf Samoa Autor : Holger Teschke Redaktion: : Sigried Wesener Sendetermin : 04.12.2011 Aufnahmetermin: : Stimmen: : Stevenson (Zitator) : Dr. Funk (Zitator) Regie : : Fanny (Zitatorin) Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig Die Teufel auf Samoa Robert Louis Stevenson in der Südsee Ein Hörstück von Holger Teschke Robert Louis Stevenson, Schriftsteller, 43 Jahre Fanny Vandegrift Stevenson, seine Frau, 53 Jahre Dr. Bernhard Funk, Arzt und Meteorologe, 50 Jahre Die Handlung spielt zwischen Juli und August 1893 auf Stevensons Plantage Vailima oberhalb der Hafenstadt Apia auf Samoa. Stevenson: Fair Isle at Sea, thy lovely name Soft in my ear like music came- That Sea I loved, and once or twice I touched on Isles of Paradise. Insel im Meer, dein Name klang Sanft an mein Ohr, wie ein Gesang- Ich lieb das Meer, Inseln wie diese Sind meine letzten Paradise. Arbeitszimmer von Stevenson auf Vailima, Samoa. Tropischer Regen schlägt aufs Dach. RLS diktiert einen Brief. Ab und an Hundegeheul aus dem Dorf, Kriegstrommeln von fern. Stevenson: Vailima, den 2. April 1893 Mein lieber Barrie, hier kommt der versprochene Katalog über meine Menagerie auf Samoa. Da wäre zunächst: Robert Louis Stevenson oder kurz RLS. Familienname : Die Gezähmte Berühmtheit. Eingeborenen-Name : Tusitala, der Geschichtenerzähler. Überaus abgemagert, dunkle, fast rötliche Hautfarbe. Schwarze Augen, Krähenfüße, beginnt langsam grauhaarig zu werden. Früher exzentrisch und obskur, heute arbeitsam und zufrieden. Sprach früher gern über Kunst, heute nicht mehr.Ein Lebensmittelhändler in Sydney sagte mir eines Tages: " Nette Überraschung, Sie kennengelernt zu haben, Mister Stevenson. Ich hätte niemals gedacht, daß Sie ein Literat sind!" Zigaretten ohne Pause, außer beim Husten und Küssen. Trinkt viel, flucht mäßig. Spielt in den Stunden zwischen Hund und Wolf sein Flageolett, sehr zum Kummer seiner Familie. Labiles Temperament. Invalide seit zehn Jahren, kann aber stolz behaupten, daß man es ihm nicht ansieht. Begabt genug, das Universum zu erklären. Ein Schotte, Sir - ein Schotte. Des weiteren : Fanny Vandegrift Stevenson. Familienname : Die Seltsame Frau. Eingeborenenen-Name : Die Plötzliche Wolke. Auf die müssen Sie Acht geben, Mister Barrie. Wenn Sie mit der nicht zurechtkommen, dann tut es mir Leid um Ihren Besuch. Unendlich klein, eine außerordentliche Haarpracht aus grauen Locken, ein hübsches, etwas wächsernes Gesicht - wie Napoleon. Wahnsinnige, schwarze Augen, die Hände eines Jungen, kleine, immer nackte Füße, eine Zigarette, ein wildes, blaues Eingeborenen-kleid, normalerweise gesprenkelt mit Gartenerde. Sie kann praktisch alles: ein Haus bauen oder eine ganze Häuserreihe, immer prächtig und groß, genau wie ihre Streitlust. Mein Onkel, nachdem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, sagte: " Gut gemacht, Louis! Ich hab selber so einen Besen geheiratet und es noch niemals bereut."Heilt jeden, wird auch Sie heilen, läßt sich selber aber nicht heilen. Wird entweder leidenschaftlich gehasst oder sklavisch verehrt, Gleichgültigkeit ist unmöglich. Die Eingeborenen glauben, daß der Teufel bei ihr im Dienst steht. Bitte versuchen Sie, uns bald auf Samoa einen Besuch abzustatten, hier braut sich etwas zusammen. Falls Sie um Ihre Gesundheit besorgt sind, wir haben hier einen deutschen Arzt, der sich früher um die Angestellten der Hamburger Firma Godeffroy kümmerte, nun aber auch uns unter seine medizinischen Fittiche genommen hat. Dr. Funk war zuerst mit der Tochter des berühmten Piraten Bully Hayes verheiratet. Aber die war offenbar selbst für einen germanischen Chirurgen zu schnittig, weshalb er jetzt in zweiter Ehe mit einer bildschönen Samoanerin lebt. Sie sehen, Sie werden hier soviele exotische Charaktere antreffen, daß sich Ihr nächstes Buch wie von selber schreiben wird. Wie immer der Ihre - Robert Louis Stevenson Vailima, Arbeitszimmer Stevensons am 10. Juli 1893, später Nachmittag. Offenes Fenster, Wind in den Bäumen und Papageiengeschrei. Das Trommeln hat aufgehört. Man hört Stevenson husten, Dr. Funk hört ihn ab. Dr. Funk : Tief einatmen. Luft anhalten. Gut. Und nocheinmal, bitte. Stevenson atmet tief und immer wieder hustend ein und aus. Dr. Funk seufzt und packt seine Instrumente ein. Dr. Funk : Sie müssen sich schonen, Mister Stevenson. Stevenson : Ich muss mein Buch zu Ende bringen, Herr Doktor. Davon lebe ich. Dr. Funk : Wenn Sie so weitermachen, werden Sie daran sterben. Stevenson : Besser an einem Buch sterben als an einem Medikament. Dr. Funk : Sie sind ein unverbesserlicher Romantiker. Stevenson : Ja. Und Sie sind ein gnadenloser teutonischer Medizinmann. Dr. Funk : Danke. Meine Pflicht besteht nun einmal darin, meine Patienten am Leben zu erhalten. Stevenson : Und meine Pflicht besteht darin, einen Roman pro Jahr zu schreiben. Dr. Funk : Gut. Aber dann hören Sie auf, wie ein wild gewordener Pflanzer den Busch zu roden und sich den Rest Ihrer Gesundheit mit Kettenrauchen zu ruinieren. Stevenson : Sie rauchen ja selber! Dr. Funk : Ich bin auch nicht lungenkrank, Mister Stevenson. Stevenson : Den Busch zu roden ist der körperliche Ausgleich, den Sie mir empfohlen haben! Dr. Funk : Ich habe Ihnen Spaziergänge am Meer empfohlen, nicht Holzhacken im Regenwald. Stevenson : Ich würde gern einen Pfad von Vailima zum Gipfel des Mount Vaea schlagen, damit unsere Gäste den herrlichen Ausblick über den Pazifik geniessen können. An klaren Tagen kann man bis nach Savai`i sehen. Dr. Funk : Unsinn. Sie bringen sich um, Mister Stevenson. Ihre Lebensweise ist ein Selbstmord auf Raten und das wissen Sie. Machen Sie einmal den Mund auf und sagen Sie Ah! Stevenson : Ah ! Dr. Funk : Ihr Rachen sieht aus wie der Höllenpfuhl von Breughel. Sie haben wieder zu lange diktiert. Stevenson : Wir kommen gerade sehr gut voran. Wenn das Buch fertig ist, mache ich eine Pause. Dr. Funk : Das versprechen Sie mir seit zwei Jahren. Ich werde mit Ihrer Frau sprechen müssen. Stevenson : Auf keinen Fall ! Die hat schon genug Sorgen. Das Haus und die Plantage, unsere verrückte Familie und die Dienerschaft, und jetzt auch noch die Angst vor diesem idiotischen Krieg. Haben Sie Fanny schon untersucht? Dr. Funk : Ja. Stevenson : Und ? Dr. Funk : Körperlich ist ihre Frau von erstaunlicher Robustheit, wenn man bedenkt, was sie sich in den letzten Jahren zugemutet hat. Ihr seelischer Zustand macht mir Sorgen. Stevenson : Meinen Sie ...? Dr. Funk : Ich bin kein Psychologe, Mister Stevenson. Aber ich habe von meinem alten Lehrer Griesinger nicht nur viel über Gelbfieber und Malaria gelernt, sondern auch einiges über Nervenkrankheiten. Das ist ein weites und kompliziertes Feld und ich halte mich darauf keineswegs für bewandert. Doch in diesem Fall erscheinen mir die Symptome einigermaßen klar. Stevenson : Und die wären? Dr. Funk : Ihre Frau macht einen sehr verschlossenen Eindruck. Ich fürchte, sie ist nicht gerade glücklich auf Samoa. Stevenson : Aber warum nicht ? Für die meisten Menschen wäre diese Insel das Paradies auf Erden. Ewiger Sommer und immergrüne Wälder, kristallklare Wasser und blühende Gärten. Mangos und Papayas, Helikonien und Frangipani ! Dr. Funk : Was nützt das alles, wenn man unglücklich ist. Stevenson : Aber worüber denn ? Dr. Funk : Das müssen Sie sie schon selber fragen. Stevenson : Mit mir will sie darüber schon gar nicht reden. Jedesmal, wenn ihr Dämon sie wieder packt, wie sie sagt, dann erschreckt sie ganz Vailima mit ihren Anfällen. Dr. Funk : Seit wann treten diese Anfälle auf? Stevenson : Seit ihre Tochter mit diesem Ersatzdarsteller von Ehemann aus Sydney zu uns gezogen sind. Ich bin sehr froh, dass Belle dem Kerl jetzt endlich den Laufpass gegeben hat und sich nützlich machen kann. Dr. Funk : Sie ist ihre Mitarbeiterin geworden? Stevenson : Eine bessere hätte ich mir nicht wünschen können! Wir arbeiten zusammen an meinem Roman. Mit ihr kann ich nächtelang über Gott und die Welt reden und lachen. Sie inspiriert mich auf eine leichte und heitere Weise, wie ich sie seit Jahren nicht mehr gekannt habe. Sie erträgt sogar mein Flageolettspiel. Dr. Funk : Sie meinen, wie Sie es von Ihrer Frau seit Jahren nicht mehr gekannt haben. Stevenson : Ja. Fanny war nicht gerade glücklich mit den letzten Büchern. Die Arbeit an meinem Reiseführer durch die Südsee und meine polynesischen Forschungen hielt sie für Zeitverschwendung. Und den Aufsatz zur politischen Situation auf Samoa für leichtsinnig und dumm. Dr. Funk : Offen gestanden, ich habe mich gewundert, daß man Sie dafür nicht deportiert hat. Stevenson : Es hätte nicht viel gefehlt. Das Foreign Office hat mich in einer diskreten Note wissen lassen, ich solle mich auf das Verfassen von Abenteuerromanen beschränken und die pazifische Politik Sache der Regierung Ihrer Majestät sein lassen. Dr. Funk : Auch die amerikanischen Diplomaten haben offenbar ein Interesse daran, den Berliner Friedensvertrag zu den Akten zu legen. Stevenson : Für die Amerikaner ist der Pazifik ihr neuer Wilder Westen. Die Grenze nach Asien, das Tor zu den Quellen unerschöpflicher Reichtümer.Fische und Meeresfrüchte, ausreichend, um einen Kontinent ein Jahrhundert damit zu füttern. Und die Amerikaner haben vorgesorgt. Erst kamen die Walfänger, dann die Missionare, danach die Pflanzer und Händler und am Ende die Marine, um sie gegen die unberechenbaren Wilden zu schützen. Und mit der Marine kam die Zerstörung einer uralten Kultur. Dr. Funk : Aber warum haben Sie sich dann hier niedergelassen? Stevenson : Das Klima tut meiner Lunge gut und die Samoaner meiner Seele. Wir haben Hurrikane und Grippe-epedemie überstanden, Ihre deutsche Bürokratieund unsere Snobs vom Konsulat, wir werden auch noch die Amerikaner überstehen. Dr. Funk : Aber ihre Frau ist doch selber Amerikanerin... Stevenson : Sicher, aber Amerikaner ist ja nicht gleich Amerikaner. So wie Deutscher nicht gleich Deutscher ist, wie ich auf Samoa lernen durfte. Dr. Funk : Nur die Schotten sind einer wie der andere: tapfer, gütig und edel. Stevenson lacht : Das versteht sich ja von selber. For Auld Lang Syne ! Stevenson : Seit wann sind Sie auf Samoa, Herr Doktor? Dr. Funk : Seit dreizehn Jahren. Ich habe Regierungspräsidenten und Konsule kommen und gehen sehen. Aber ich habe keinen kennengelernt, der nicht seinen Schnitt machen wollte. Das schnelle Geld, der Fluch unseres Jahrhunderts. Was für die einen das schnelle Geld ist, ist für die anderen das langsame Elend. Darum dürfen sich dann die Missionare kümmern, mit ihren frommen Sprüchen und ihren dünnen Suppen. Oder ich, mit meiner weißen Salbe und dem bißchen Morphium, das ich aus Sydney bekomme. Stevenson : Sie glauben also auch nicht, daß Samoa noch zu retten ist? Dr. Funk : Es gab einen einzigen Tag, an dem ich diese Hoffnung hatte. Das war am 16. März 1889, als der große Hurrikan über die Insel hereinbrach. Ich habe von der Veranda meines Hauses aus zugesehen, wie sich die amerikanischen und die deutschen Kanonenboote gegenseitig versenkten. Ein Bild für die Götter. In diesem Moment dachte ich, wenn Mutter Natur eines Tages ihre geballte Macht über ganz Polynesien schicken und alle Kirchen und Kasernen, sämtliche Kaufmannsstationen und Konsulate in Trümmer legen würde, es wäre ein Tag der Befreiung. Aber das war nur ein kurzer apokalyptischer Traum. Stevenson : So kenne ich Sie ja gar nicht, Herr Doktor. Ich habe Sie immer für einen flammenden Patrioten gehalten. Dr. Funk : Wenn man sieht, wie der Patriotismus überall auf der Welt für die Gier des Börsengesindels instrumentalisiert wird, dann ist es schnell vorbei damit. Es wird einem übel, diesen Schmocks zuzuhören, ihrem Dünkel und ihrem Größenwahn. Natürlich geht es immer nur um die Segnungen der Kultur, die wir den Barbaren bringen müssen, um Demokratie und Menschenrechte und die Werte des Christentums. Ich bin mit einer Samoanerin verheiratet und die hat mehr Christentum im Herzen als alle diese Anbeter der Aktienkurse zusammen. Stevenson : Wir befinden uns im Zeitalter des Finanzkapitals, während die Samoaner noch in einer Periode des Kommunismus leben. Deshalb können wir ihre Kultur auch nicht verstehen. Dr. Funk : Wenn uns die Samoaner eines Tages samt und sonders ins Meer jagen oder über ihren Feuern rösten, es wäre ihr gutes Recht. Mir tut es zwar wie Heine leid, dass sie dann Taro und Kopra in meine meteorologischen Tabellen einwickeln werden, aber was solls ? Sie sind auch ohne Wetterkarten über den ganzen Pazifik gesegelt. Unsere Furie des Fortschritts hat ihnen außer Krankheiten und Zwangs- arbeit gar nichts gebracht. Stevenson : Herr Doktor, Sie erstaunen mich wirklich. Darf ich Sie auf ein Glas Burgunder einladen? Dr. Funk : Sie wollen mich nur davon abbringen, mit Ihnen über Ihre Gesundheit zu reden Stevenson : Selbstverständlich. Es gibt weit interessantere Themen. Also, trinken wir ein Glas auf der Veranda? Dr. Funk : Mit dem größten Vergnügen. Fannys Zimmer, am gleichen Abend. Man hört die Stimmen der Männer von fern auf der Veranda. Die Kriegstrommeln haben wieder eingesetzt. Fanny schreibt Tagebuch. Fanny : Alle Gespräche und Gerüchte werden von dem drohenden Kriegsausbruch beherrscht. Der Präsident ist schon abgereist und der Oberrichter wird ihm bald folgen. Die drei Konsuln halten mit Mühe und Not die längst bankrotte Regierung aufrecht. Die Samoaner bewaffnen sich und überall trifft man auf Männer in schwarzer Kriegsbemalung mit roten Tüchern. Es wird nicht einfach sein dafür zu sorgen, daß Louis nicht vollständig den Kopf verliert. Er redet nur noch über Politik und glaubt, er könne das Ruder noch im letzten Augenblick herumreißen. Dabei hört kein Mensch mehr auf ihn. Auf mich allerdings auch nicht. Auf der Veranda von Vailima, am gleichen Abend. Wind in den Bäumen, Vogelgeschrei, ab und an die Trommeln. Stevenson und Dr. Funk trinken ihren Burgunder und rauchen. Dr. Funk : Herrlich haben Sie es hier. Vailima erinnert tatsächlich an das berühmte Glänzende Haus aus Ihrem "Flaschenteufel". Stevenson : Seit Reverend Clarke den "Flaschenteufel" ins Samoanische übersetzt und in seiner Missionszeitschrift abgedruckt hat, sind alle Eingeborenen davon überzeugt, daß ich der Besitzer dieser höllischen Flasche sein muß. Wie anders könnte ein Mann, der den lieben langen Tag am Schreibtisch sitzt, nicht mit Kopra handelt und auch kein richtiger Pflanzer ist, sich auch ein solches Haus leisten? Ich habe es aufgegeben, die Samoaner vom Gegenteil zu überzeugen. Sie können den Unterschied zwischen Literatur und Leben nicht verstehen. Aber den verstehen die meisten Kritiker ja auch nicht. Außerdem ist es ganz praktisch, den Teufel im Haus zu haben. Er hält jede Menge ungebetene Besucher fern. Selbst die gute Gesellschaft von Apia fragt sich langsam, ob mein rätselhafter Wohlstand mitten im Urwald nicht vielleicht doch des Teufels ist. Auf die Idee, dass er von meiner Arbeit stammen könnte, kommt keiner. Dr. Funk : Natürlich nicht. Wie sind Sie eigentlich nach Samoa gekommen? Stevenson : Ich habe schon als kleiner Junge von der Südsee geträumt. Zitiert: " Ich will reisen, ich will streifen/ Wo die goldnen Äpfel reifen,/ Wo unter fernen blauen Himmeln, / Papageieninseln schwimmeln." Dann bot mir Mister McClure von der New York World ein erfreuliches Honorar für eine Reihe von Briefen aus der Südsee. Wir charterten die Yacht " Equator"und segelten von San Francisco via Hawaii und die Marshall Inseln hierher. Eigentlich wollten wir nur ein paar Tage bleiben, denn ich hatte bei meiner Ankunft den denkbar schlechtesten Eindruck. Nicht nur wegen Apia, das man mir schon in Honolulu als den Höllenpfuhl der Südsee beschrieben hatte. Auch Mister Moors, unser Gastgeber, gefiel mir nicht besonders. Noch weniger gefielen mir allerdings Ihre Landsleute, die mit Umptata-Musik in Uniform durch die Strassen zogen und die Kokospalmen in Reih und Glied gepflanzt hatten wie preußische Garderegimenter. Dr. Funk : Aber dennoch haben Sie sich hier niedergelassen. Stevenson : Wie waren wir des Vagabundierens durch die Südsee müde und Mister Moors hatte dieses paradiesische Stück Land im Angebot. 130 Hektar Land mit Blick über den Pazifik ! Vailima hat nicht nur fünf Flüsse, sondern auch kühle Nächte, frische Bergluft und fruchtbares Land. Ich fühlte mich über Nacht gesund und konnte endlich wieder arbeiten. Außerdem stellte sich heraus, daß es bei den Samoanern als fale aitu, als von Geistern bewohnt gilt, und das ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Dr. Funk : Dadurch sind Ihnen viele Besuche und Gegenbesuche erspart worden. Haben sie die Geister je zu Gesicht bekommen? Stevenson : Darüber darf ich nicht reden. Sie wissen ja, Geister sind diskret und mögen es nicht, wenn man über sie spricht. Dr. Funk : Dann können es keine samoanischen Geister gewesen sein! Wie haben Sie es eigentlich geschafft, unter diesen Umständen Eingeborene für Ihren Haushalt zu bekommen? Stevenson : Oh, das ist einzig und allein Fannys Verdienst. Sie kann mit Engelszungen reden, wenn sie will. Allerdings auch mit sehr irdischen, wenn ihr etwas nicht in den Kram passt. Unser chinesischer Koch hatte uns gerade schmählich verlassen und die weißen Angestellten entpuppten sich allesamt als Säufer und Diebe. Fanny hat nicht nur die zuverlässigsten Samoaner von der ganzen Insel gefunden, sondern sie auch zu treuen Familienmitgliedern gemacht. Dr. Funk : Nun braucht sie jemanden, der sich um sie kümmert. Stevenson : Was raten Sie mir, Doktor? Dr. Funk: Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben, vielleicht besänftigt das ihre Dämonen ein wenig. Was das andere betrifft, Mister Stevenson - was soll ich Ihnen raten? Sie können Belle ja nicht aus dem Haus werfen, zumal sie jetzt nicht nur ihre Mitarbeiterin, sondern auch die Tochter Ihrer Frau ist. Versuchen Sie wenigstens, ihr die Situation so erträglich wie möglich zu machen. Beziehen sie sie wieder in Ihre Arbeit ein, lesen Sie ihr vor, fragen Sie um Rat. Stevenson : Ich habe gern mit ihr zusammengearbeitet, aber sie hat sich immer dagegen gewehrt. Sie wollte unbedingt ihren eigenen Weg finden. Darin ist sie so starrsinnig wie eine Edinburgher Fischfrau. Dann gab es diesen Ärger wegen ihrer Nixengeschichte, die mein Freund Henley öffentlich als ein Plagiat bezeichnete und Fanny jedes Talent zur Schriftstellerin absprach. Das hat sie schwer getroffen, mich übrigens auch. Wenn wir auf Reisen waren, ging es uns meistens sehr gut und sie war voller Neugier und Abenteuerlust. Aber sobald wir versuchten, irgendwo sesshaft zu werden, zogen die Dämonen wieder bei uns ein. Aber genuig davon. Sie bleiben doch zum Abendessen? Dr. Funk : Ich möchte nicht unhöflich sein, aber meine Frau wartet auf mich. Stevenson : Sie ahnen nicht, was Ihnen entgeht. Gebackene Bananen und Papaya, frisches Brot aus dem Ofen , Ananas in Claret und eine zweite Flasche Burgunder ! Ihre Gesellschaft wird Fanny aufheitern. Dr.Funk : Zuviel der Ehre, Mister Stevenson. Ich komme gern wieder. Es ist spät geworden und ich bin kein besonders guter Reiter. Weiß der Teufel, wer in diesen Nächten durch den Busch schleicht. Stevenson : Dämonen, Herr Doktor. Heerscharen von Dämonen. Dr. Funk : Aber ich habe keinen Flaschenteufel, den ich rufen könnte. Stevenson : Warten Sie. Ich bringe Sie noch zu ihrem Pferd. Stevensons Arbeitszimmer, abends. Der Regen hat wieder eingesetzt und schlägt auf das Dach. Wieder Kriegstrommeln von fern. Stevenson diktiert . Stevenson : Meine liebe Adelaide, Ihr letzter Brief hat hier alle sehr erfreut. Bitte grüßen Sie Ihre Schüler von uns und sagen Sie Ihnen, daß ein langer, magerer Mann, der am anderen Ende der Welt wohnt, so daß sie ihm in ihren Kellern näher sind als auf der Strasse, sich sehr über ihre Komplimente zu seinen Gedichten freut ! Dieser Mann lebt auf einer Insel, die nicht sehr lang ist und ziemlich schmal. Die See schlägt schwer gegen ihre Küsten und es ist schwierig, an ihr Ufer zu kommen. Es gibt nur einen Hafen und der ist sehr gefährlich. Die Straße zum Haus des mageren Mannes geht bergauf durch den Busch, vorbei an Palmen und uralten Bäumen, die mit roten Hagedornblüten bedeckt sind. Von diesen riesigen Bäumen hängen Schlingpflanzen wie Anakondas herunter und ein Unkraut, das man hier Orchideen nennt, blüht schmarotzerisch in den Astgabeln. Auf dem Weg zu des mageren Mannes Haus kommt ihr auch durch ein kleines Dorf mit palmblattgedeckten Hütten, in denen man die Bewohner beim Abendessen sehen kann. Nachts brennen in jeder Hütte kleine Lichter, denn die Menschen hier haben schreckliche Angst vor Geistern und würden um nichts in der Welt im Dunklen schlafen. Wenn der magere Mann in den Busch gehen muss - so sehr er sich auch schämt, euch dies einzu-gestehen- hat er mindestens soviel Angst wie die Dorfbewohner. Denn der Busch ist groß und dunkel, heiss wie die Hölle und immer voll entsetzlichem Lärm: Vögel, die schreien wie kleine Kinder oder heulen wie Hunde, Baumfrösche, die quarren wie Gnome, und Eidechsen, die über das tote Laub huschen wie unsichtbare Gespenster. Deswegen glauben die Eingeborenen auch, daß der Busch voller Teufel steckt, vor allem nachts, wenn der Wind in den Bäumen tobt und der Regen strömt. Sie glauben auch an Fledermaus- und Totengeister. Es tut mir Leid, daß diese polynesischen Märchen und Sagen fast alle unheimlich sind, aber so ist es nun mal. Geht in euren Keller und lauscht, da werdet ihr die Gespenster heulen und wimmern hören. Ihre Geschichten müßt ihr unbedingt aufschreiben und auf die Insel des mageren Mannes schicken und zwar an Tusitala, den Geschichtenerzähler, auch bekannt als - Euer Robert Louis Stevenson. Veranda von Vailima, nachts. Der Regen hat aufgehört, man hört wieder das Zirpen der Zikaden, das Quarren der Baumfrösche und die fernen Trommeln. Stevenson tritt auf die Veranda und erschrickt. Stevenson : Fanny ?! Um Gottes Willen, hast du mich erschreckt. Warum sitzt du hier mutterseelenallein, mitten in der Nacht? Fanny : Und warum schleichst du hier noch herum? Stevenson : Ich konnte nicht schlafen und wollte eine Zigarette rauchen. Fanny : So ? Hat Doktor Funk dir nicht gesagt, daß du mit dem Rauchen aufhören sollst? Stevenson : Das sagt er ja immer. Ein Streichholz flammt auf. Fanny : Und was hat er über mich gesagt? Stevenson : Das gleiche, was ich dir seit Jahren sage. Daß du dich ausruhen und schonen sollst. Fanny : Lüg nicht. Er hat dir gesagt, daß ich verrückt werde. Stevenson : Unsinn. Wie kommst du darauf? Fanny : Weil ich es selber spüre, von Tag zu Tag mehr. Wie die Dämonen immer näher kommen, langsam und lautlos.Sie wittern den Krieg und das Blut. Stevenson : Ich wittere etwas Gebratenes aus dem Küchenhaus. Wollen wir hinübergehen und noch einen Happen essen? Fanny : Behandle mich nicht wie eine Idiotin. Noch ist es nicht soweit. Stevenson : Das war nicht meine Absicht. Fanny : So ? Und was habt ihr den ganzen Abend lang geflüstert? Über die Wahnsinnige, die amerikanische Irre, den hoffnungslosen Fall ? Ein Beruhigungsmittel, eine Reise nach Neuseeland ? Aber so leicht wirst du dein schlechtes Gewissen nicht los. Weißt du, was ich mit Doktor Funks Mittelchen gemacht habe? Ich habe es den Schweinen in den Trog gekippt. Die schlafen jetzt selig und träumen vom ewigen Frieden. Bis sie zur Schlachtbank geführt werden, wie Mataafas Leute. Stevenson : Fanny, ich bitte dich! Fanny : Worum bittest du? Daß ich den Mund halten soll, weil ich nichts von Politik verstehe? Soviel wir ihr verstehe ich davon allemal. Hörst du die Trommeln? Der Krieg wird ausbrechen, Louis, und du kannst dann mit Belle ein neues Buch darüber schreiben. Ich habe auch schon einen Titel für euch. " Die Teufel auf Samoa". Wie findest du das? Darin kannst du dann allen anderen Schuld an diesem Krieg geben und wieder auf deinem hohen moralischen Ross über die Insel galoppieren. Stevenson : Soll ich dir einen Tee machen? Fanny lacht: Hat dir Doktor Funk noch ein Fläschchen mit Tropfen gegeben, für alle Fälle? Behalt sie. Vielleicht brauchst du sie ja noch, wenn Laupepas Leute nach Vailima hinaufkommen und die ersten Brandpfeile fliegen. Stevenson : Würdest du unser Haus gern in Flammen aufgehen sehen? Fanny : Unser Haus ? Jetzt ist es euer Haus. Ich habe es zwar mit meinen Händen aufgebaut, mit den plumpen Händen der amerikanischen Bäuerin aus Indiana, aber was zählt das noch? Stevenson : Wir sollten zu Bett gehen, Fanny. Es ist spät. Fanny : Wenn du mich so einfach loswerden könntest wie ein trotziges Kind, wie? Aber vorher werde ich dir noch ein paar Wahrheiten sagen. Du hast geglaubt, du bist schlauer als jedermann auf Samoa. Auf deine wohlgesetzten Worte hin würden sich die Deutschen und Amerikaner und die Engländer vor die Stirn schlagen und ihre Waffen jubelnd ins Meer werfen und weiße Tauben in den blauen Himmel schicken. Aber stattdessen wird nun ein viel blutigerer Krieg ausbrechen und das ist deine Schuld. Du hast Mataafa überredet, das Lager von Laupepa nicht anzugreifen, obwohl es ein Kinderspiel gewesen wäre und höchstens eine Handvoll Tote gegeben hätte. Dann hätten die Herren Konsuln sich mit einem Krieger an einen Tisch setzen müssen statt mit einem Hampelmann. Aber du wolltest ja Frieden um jeden Preis, so wie du es auf deiner vornehmen Sonntagsschule in Edinburgh gelernt hast. Stevenson : Dir wäre ein Krieg lieber gewesen? Fanny : Wie oft habe ich dir gesagt, misch dich nicht ein, es ist schlimm genug, dass die Konsuln die Samoaner aufeinander hetzen. Denkst du, Mataafa hat das nicht begriffen? Er wußte, was auf dem Spiel stand. Aber weil du immer wieder auf ihn eingeredet hast und er ein höflicher Mann ist, hat er den Angriff wieder und wieder verschoben. In der Zwischenzeit haben die Deutschen Laupepa mit soviel Waffen und Munition versorgt, daß er ganz Samoa damit auf den Mars jagen kann. Darum haben die Deutschen dich nicht deportiert. Nicht, weil du so schrecklich berühmt bist, sondern weil du ihr nützlicher Idiot warst ! Stevenson : Schön, ich war ein Idiot. Warum hast du mich dann nicht von meiner Idiotie abgebracht? Fanny : Hast du mich je nach meiner Meinung gefragt? Du hast doch Belle und Doktor Funk und all die anderen Samoakenner! Was brauchtest du da noch die Meinung einer dummen Amerikanerin, die zwar als Krankenschwester und Gärtnerin ganz nützlich ist, aber die von Kunst und Politik keine Ahnung hat? Sie steht wütend auf und wirft ihren Stuhl um. Stevenson : Fanny ! Fanny : Lass mich los! Stevenson : Fanny, warte! Sie läuft fort. Das Trommeln wird lauter. Stevensons Arbeitszimmer. Stevenson diktiert. Durchs offene Fenster wieder Papageiengeschrei. Das Trommeln hat aufgehört. Mein lieber Colvin, wir warten alle mit Ungeduld, daß endlich der Krieg erklärt oder ein für alle Mal abgeblasen wird. In der Zwischenzeit leben wir in einer Art von Märchenstunde zwischen Feuer, Schatten und grotesken Gerüchten. König Laupepa wurde gesehen, wie er nachts in unbekannter Mission unsere Straße hinaufgaloppiert und dabei sein Gesicht verhüllt haben soll, als er an unserem Koch vorbeiritt. Sein Widersacher Häuptling Mataafa sieht sich täglich, wenn er aufwacht, von immer mehr "Kisten des weißen Mannes" umstellte, die Munition enthalten sollen. Er behauptet nicht zu wissen, wo sie alle herkommen. Märsche von Eingeborenentrupps quer über die Insel, heimliche Zusammenkünfte im Busch , ein Kommen und Gehen verschiedener Häuptlinge und eine solch fürchterliche Verwirrung, daß selbst der Teufel sie nicht mehr entwirren könnte. Fannys Zimmer Morgen, Regen, Hundegebell und wildes Trommeln von fern. Fanny schreibt Tagebuch. Fanny : Wir bekommen die Nachricht, daß Mataafa geschlagen und nach Manono geflohen ist. Die Krieger Laupepas haben nach der Schlacht angeblich drei Frauenköpfe nach Mulinuu gebracht haben, was es auf Samoa seit Menschengedenken nicht gegeben hat. Die Frauen sollen mit ihren Männern in den Krieg gezogen sein und sich die Haare abgeschnitten haben, um mit ihnen kämpfen zu können. Angeblich haben die Kopfjäger, die das Schlachtfeld nach Verwundeten absuchten, sie mit Männern verwechselt, weil sie schwarze Kriegsbemalung trugen und ihre Gesichter blutüberströmt waren. Doch das will niemand als Entschuldigung gelten lassen. Wenn ein Krieger den Kopf einer Frau erbeutet, so bringt das Schande über seine Familie und seine Kindeskinder. Über diese Greuel ist man entsetzter als über den Krieg und sämtliche Tote, die er gefordert hat. Fanny : Ich bin fassungslos über die Engelsgeduld der Samoaner. Wenn ich Samoanerin wäre, dann würde ich ein Massaker an den Weißen anzetteln. Jedenfalls habe ich vor, alles zu tun, um Mataafa zu helfen, auch wenn das herzlich wenig sein wird. Sollte sich auch Louis von ihm abwenden und sollte Mataafa getötet werden, dann werde ich öffentlich Trauer tragen.Und ich bin verrückt genug, jetzt nach Apia zu gehen und Mataafa zu besuchen. Stevensons Zimmer, gegen Mittag. Der Regen hat aufgehört und auch die Vögel schweigen. Gespenstische Stille im ganzen Haus. Stevenson diktiert. Stevenson : An Seine Hoheit Mataafa. Hoheit: schwer ist die Botschaft, die ich vernommen habe. Der Kapitän des Britischen Kriegsschiffs, das eben eingelaufen ist, hat zu mir das Folgende gesprochen: "Wenn Mataafa und seine Häuptlinge und Verwundeten an Bord meines Schiffes kommen, will ich mich getreulich um sie kümmern. Aber sollte Mataafa nicht kommen, so habe ich Befehl von den Drei Mächten, ihn sofort mit Krieg zu überziehen. Hoheit: es ist unmöglich für euch, Krieg mit den Drei Großen Mächten zu führen. Aus diesem Grunde bitte ich euch um der Liebe des Herrn willen, dem Kapitän zu gehorchen. Er wird verantwortlich für euer Leben sein. Es gibt keinen anderen Weg, euer Leben zu retten. Mein Herz ist wund wegen der großen Liebe, die ich für euch alle empfinde. Meine Familie weint um die toten Häuptlinge. Unsere Liebe für euch ist groß und groß ist unser Schmerz. Euer treuer und besorgter Freund - Tusitala. Stevensons Arbeitszimmer am Nachmittag. Leichter Regen auf dem Dach, ansonsten Stille. Stevenson hustet schwer Dr. Funk : Ihre Lunge gefällt mir ebensowenig wie ihr Puls. Das ist eine schwere Grippe, Mister Stevenson. Sie gehören ins Bett. Sie haben sich zu sehr aufgeregt in den letzten Tagen. Stevenson : Es gab genügend Gründe. Dr. Funk : Es war sehr mutig von ihnen, Mataafa und seine Häuptlinge besuchen zu wollen. Sie hätten hören sollen, wie unser Konsul getobt hat. Was wird nun aus den Gefangenen? Stevenson : Man ist übereingekommen, sie fürs erste nach Tokelau zu verbannen. Dr. Funk : Wo sie vorher Laupepa festgesetzt hatten? Erstaunliche Diplomatie. Die Herren scheinen wirklich an einem dritten Bürgerkrieg interessiert zu sein. Stevenson : Es gibt eben immer noch zu viele Samoaner, die es wagen, ihre Freiheit einzufordern. Reverend Clarke hat mir die Geschichte eines Kriegers erzählt, der den Kopf eines Toten nach Mulinuu brachte und erst, als er das Blut und die Farbe abwusch, sah, daß es der Kopf seines Bruders war. Sind Sie gläubig, Herr Doktor? Dr. Funk : Ich ? Ich gehe am Sonntag mit meiner Frau in die Kirche, wenn Sie das meinen. Sie betet jede Nacht, daß dieser Wahnsinn endlich aufhört. Stevenson : Ich meine, ob Sie an ein Leben nach dem Tode glauben. Dr. Funk : Ich war 1870 im Krieg, Mister Stevenson, und offen gesagt, da ist mir mein Glauben abhanden gekommen. Wenn es nicht auf den Schlachtfeldern Frankreichs passiert wäre, dann spätestens hier. Ein Gott, der solche Gemetzel zuläßt, hat wohl die Geschäfte dieser Welt dem Teufel übergeben. Wenn ich nach dem urteile, was ich in den letzten zwanzig Jahren erlebt habe, dann sollte ich wohl sagen, daß ich an den Teufel glaube. Stevenson : An die Teufel auf Samoa ? Dr. Funk : Wie bitte ? Stevenson : Ach, nichts. Hier, wie finden Sie das? Dr. Funk liest: " Der Teufel und der Gastwirt. Es war einmal, da kam der Teufel in ein Wirtshaus, wo ihn niemand kannte, denn die Bildung der Leute war an diesem Ort sträflich vernachlässigt worden. Er erging sich in allerhand Bosheiten und quälte die Gäste, daß es nicht auszuhalten war. Schließlich legte sich der Wirt auf die Lauer und ertappte den Teufel auf frischer Tat. Er schleifte ihn durch die Gaststube, holte ein dickes Tauende und sagte ruhig: "So, jetzt werde ich dich verdreschen." " Du hast kein Recht darauf, mir böse zu sein", antwortete der Leibhaftige. " Ich bin der Teufel und es ist meine Natur, böse zu sein." "Tatsächlich?", fragte der Wirt erstaunt. " Wenn ich es dir doch sage", erwiderte der Teufel. " Du kannst also nichts dagegen tun?" fragte der Wirt weiter. " Nicht das Geringste.", bestätigte der Teufel. "Es wäre eine nutzlose Grausamkeit, mich zu bestrafen." " Nun denn", nickte der Wirt gedankenvoll, machte eine feste Schlinge, hängte den Teufel darin auf und sprach: "So." Dr. Funk lacht: Ich wußte nicht, daß Sie unter die Fabeldichter gegangen sind. Aber wem schieben wir nun die Schuld für das Elend der Welt zu, wenn der Teufel tot ist? Stevenson : Baudelaire hatte Recht. Alle Welt dient dem Teufel, aber keiner glaubt mehr an ihn. Dr. Funk : Bleiben die Engel. Die Tür öffnet sich, Fanny tritt ein. Stevenson : Wenn man von ihnen spricht. Fanny : Es tut mir Leid, Louis, wegen gestern Nacht. Guten Abend, Doktor. Dr. Funk : Guten Abend, Miss Stevenson. Na, ich glaube, für mich wird es langsam Zeit. Fanny : Nein, bleiben Sie. Sie haben mir noch nicht gesagt, wie es um mich steht. Louis soll wissen warum ich manchmal nicht mehr ich selber bin. Oder haben Sie es ihm schon gesagt? Dr. Funk : Meine liebe Miss Stevenson, wie Sie wissen, bin ich kein Nervenarzt. Aber es wäre gut, wenn Sie einen konsultuieren würden. Der nächste, den ich kenne, praktiziert in Auckland. Vielleicht wäre es angesichts der Situation auf Samoa keine schlechte Idee, Doktor Davidoff dort aufzusuchen. Fanny : Ich kann Samoa jetzt nicht verlassen. Das würde wie Flucht aussehen. Ich will Mataafa und seinen Leuten zeigen, daß ich in der Stunde der Not an ihrer Seite bin. Dr. Funk : Dazu müssen Sie gesund sein. Sie brauchen Ruhe und Erholung. Aber an Ruhe und Erholung ist hier zur Zeit nicht zu denken, das wissen Sie so gut wie ich. Besuchen Sie Mataafa und erklären Sie ihm den Grund Ihrer Reise. Er wird Sie verstehen. Ich schreibe Ihnen die Adresse meines Kollegen in Auckland auf. Fanny : Ich kann jetzt nicht wegfahren, Doktor! Dr. Funk : Meine Beruhigungsmittel werden auf die Dauer nicht helfen. Sie müssen zu ihrer inneren Ruhe zurückfinden. Fanny : Ich bin noch nie in meinem Leben zur Ruhe gekommen. Zur Ruhe kommen kann ich auf dem Friedhof. Dr. Funk: Davor möchte ich Sie vorerst bewahren. Stevenson : Steht es so schlimm? Dr. Funk : Das habe ich nicht gesagt. Aber mit Mataafas Niederlage ist der Krieg nicht zu Ende. Und Aufregung und Schrecken sind das Letzte, was die Nerven ihrer Frau brauchen. Fanny : Sie glauben also auch, daß der Krieg weitergehen wird? Dr. Funk: Solange unsere Herren Konsuln kein Interesse an seinem Ende haben, ja. Fanny : Sehen Sie? Deshalb muß ich bleiben. Dr. Funk : Eben nicht. Deshalb müssen Sie gehen. Ein Schlachtfeld ist kein Sanatorium. Fanny : Ich bin also zu nichts nütze? Obwohl ich Verbände wechseln kann, Medikamente austeilen, Bettwäsche waschen? Dr. Funk : Ich bin zweifle nicht daran, daß Sie das können! Aber der Anblick von Verwundeten und Sterbenden würde Ihren momentanen Zustand nur verschlimmern. Fanny : Wie der Anblick von geköpften Frauen, deren Tod niemand verhindert hat und für den sich keiner verantworten muß ? Dr. Funk : Ich bin davon überzeugt, daß die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Fanny : Nicht, solange Samoa von feigen Männern regiert wird, denen eine tote Frau ebenso gleichgültig ist wie ein totes Schwein! Stevenson : Fanny ! Setz Dich bitte und laß uns das Thema wechseln. Ich hole uns eine Flasche Burgunder. Fanny : Du willst mich ablenken. Stevenson : Ja.Ich bin gleich zurück. Er geht ab. Fanny : Auf den Marquesas gibt es ein altes Sprichwort: Die Palme soll wachsen, Koralle sich breiten, aber der Mensch soll vergehen. Finden Sie es nicht verrückt, unter den jetzigen Umständen einen Roman zu schreiben? Dr. Funk : Nein, das finde ich nicht.Romane sind meiner Meinung ebenso wichtig wie Medizin. Fanny : Hier sitzen wir und schwingen kluge Reden und da unten im Tal sterben Menschen, die mit all dem nichts zu tun haben. Wir sind auf ihre Inseln gekommen, haben ihnen ihr Land und ihre Götter genommen und ihnen nichts anderes dafür gegeben als leere Worte: Freiheit, Gleichheit, Religion! Sie konnten auch ohne diese Phrasen leben. Jetzt müssen sie dafür sterben und es ist alles noch viel schlimmer als es vorher war. Stevensonkommt zurück, öffnet die Flasche und füllt Wein in die Gläser. Stevenson : Diesen Burgunder habe ich in Paris entdeckt, als wir uns kennenlernten. Dr. Funk : In Paris ? Wann war das? Stevenson : Im Herbst 1876. Eine Zeit voller Liebe und leerer Portmonaies. Dr. Funk : Fünf Jahre nach meiner Zeit. Paris war selbst im Krieg noch ein Traum. Fanny : Ist das der Burgunder, den Du damals im "Café Parasol" gegen die Wand geworfen hast? Stevenson lacht: Keine Sorge, der ist ausgezeichnet. Dr. Funk : Burgunder gegen die Wand ? Fanny : Oh, ich bin nicht die einzige Verrückte in diesem Haus. Louis hatte mich in Paris in ein vornehmes Café eingeladen und bestellte eine teure Flasche Burgunder, um mich mit seinen Weinkenntnissen zu beeindrucken. Sie kam, er probierte und schickte die Flasche zurück. Man brachte eine neue, Louis probierte noch einmal und dann stand er auf und warf die Flasche gegen die Wand, daß die Splitter quer durch das ganze Lokal flogen. Dr. Funk : Eine ziemlich ungewöhnliche Art, einen Burgunder zurückzuschicken. Stevenson : Weil der Schnösel von Sommelier mich für einen Dorftrottel hielt. Es war derselbe korkige Wein, den ich gerade hatte zurückgehen lassen. Sie haben ihn einfach in eine andere Flasche umgefüllt. Sollte ich mich dafür etwa mit einem Trinkgeld bedanken? Dr. Funk : Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Mister Stevenson. Stevenson : Jetzt klingen Sie wie der Lebensmittelhändler aus Sydney. Damals war ich noch leicht auf die Palme zu bringen. Heute bin ich die Gelassenheit selber. Fanny : Wenn du schläfst vielleicht. Oder wenn du am Schreibtisch sitzt und an einem Roman arbeitest statt an einem Flugblatt. Stevenson : Doktor Funk weiß bereits, daß du meine politischen Schriften nicht schätzt. Fanny : Weil sie reine Zeitverschwendung sind, deshalb. Stevenson : Sie haben immerhin zur Abberufung der beiden verbohrtesten Kriegstreiber auf Samoa geführt. Fanny : Der Krieg ist trotzdem ausgebrochen. Stevenson verliert die Contenance : Ja, Fanny ! Ich habe versagt. Wie oft willst du das noch hören? Fanny erschrocken : Ich wollte mich nur entschuldigen. Aber selbst das gelingt mir nicht mehr. Sie geht schnell und schliesst die Tür. Stevenson : Tut mir Leid, Herr Doktor. Dr. Funk : Keine Ursache. Ihre Frau braucht wirklich dringend Ruhe. Sie übrigens auch. Wollten Sie nicht nach Hawaii fahren, um Ihren neuen Roman zu beginnen? Nehmen Sie sie mit, ein Ortswechsel wird Wunder wirken. Ich bin sicher, daß Sie auch in Honululu einen guten Arzt für sie finden. Ich werde mich umhören. Stevenson gereizt: Fanny wird nicht mitkommen. Sie haben doch gesehen, wie störrisch sie ist. Dr. Funk : Wie eine Fischfrau aus Edinburgh. Stevenson lacht und gießt Wein nach. Ein Augenblick Stille, nur der Regen ist zu hören. Dr.Funk : Eine schöne Figur da auf Ihrem Schreibtisch. Aus Tonga ? Stevenson : Ja, das ist Hikule, die tonganische Göttin der Geisterwelt. Und die Göttin des Großen Ozeans, die uns an das Ufer der Welt gebracht hat und eines Tages auch wieder aufnehmen wird. Ein tröstlicherer Gedanke als der vom Jüngsten Gericht und von der Ewigen Verdammnis. Verdammnis wofür ? Weil wir schwache und irrende Geschöpfe sind? Wenn Gott uns als sein Ebenbild erschaffen hat, warum sollte er uns dann dafür bestrafen? Wenn er allerdings so selbstsüchtig und grausam sein kann wie wir, dann müssen wir wohl mit dem Schlimmsten rechnen. Dr. Funk : Es sei denn, eine Frau erlöst uns im letzten Moment. Sie wissen ja, der Chorus Mysticus: das Ewig-Weibliche, das uns gen Himmel zieht. Stevenson : Ja, ihr alter Goethe. Seinetwegen habe ich damals auf der Universität sogar Deutsch gelernt. Ein schönes Bild, auf dem Theater. Aber wenn unsere große Liebe und unser kleines Paradies in Trümmern liegen, was bleibt dann noch? Dr. Funk : Burgunder ? Stevenson : Burgunder und Bücher. Dr. Funk : Der Trost der alten Südseevagabunden, die nicht mehr nach Hause finden. Stevenson : Haben Sie auch Heimweh? Dr. Funk : Es hält sich in Grenzen. Samoa kann übrigens nicht der Garten Eden gewesen sein. Stevenson : Warum nicht ? Dr. Funk : Keine Schlangen. Stevenson lacht : Ich wußte gar nicht, daß die Deutschen auch über schwarzen Humor verfügen. Dr. Funk : Nach dreizehn Jahren Südsee ? Aber ich will nicht klagen. Als ich hier ankam, fühlte ich mich wie ein alter Mann, der zuviel Tod und Vernichtung gesehen hatte und nur noch seinen Rotwein und seine Ruhe haben wollte. Aber dann habe ich mich noch einmal verliebt und bin auf meine alten Tage pfeifend durch Apia gelaufen, wie ein Student. Diese Liebe hat mich aus aus meiner Bücherecke herausgelockt und mich dazu gebracht, noch einmal etwas zu wagen. Der alte Griesinger hat immer gesagt: die Welt kann man nicht ändern, aber gewisse Schweinereien kann man abstellen. Stevenson : Darauf lassen Sie uns trinken! Dr. Funk : Und auf Ihre Reise nach Hawaii. Gläserklingen. Auf der Veranda von Vailima, nachts. Der Regen hat aufgehört, nur ab und an noch ein paar Tropfen, die aus den Bäumen auf die Veranda fallen. In der Ferne hört man die donnernde Brandung des Pazifik. Fanny rezitiert leise: Und ich dachte: Schönheit und Schrecken sind eins, nicht zwei. Und Raum hat die Welt für Liebe und Tod, für Donner und Regen dabei. Die höllischen Scharen schlummern im Sommerlicht, Und Gottes Gesicht ist ein Stein, doch wir sehen es nicht. Ströme von Tränen über Händen voll Schmerz, wie ein Segen, Und aus den Wolken endlos, Ströme von Regen. Oben in Stevensons Arbeitszimmer erklingt sein Flageolett mit der schottischen Volksweise: "Betsy Bell and Mary Gray." Fannys Schritte auf der Veranda, man hört, wie sie die Stufen zum Arbeitszimmer hinaufgeht und die Tür öffnet. Für einen Moment hört man das Flageolett lauter, dann wird die Tür geschlossen. Regen. 2