COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitfragen. Politik und Soziales 23.6.2014 Kinderwunsch auf Eis gelegt Social Freezing und der Sieg über die biologische Uhr Von Jenni Roth ++++++ Tacken einer Uhr+++++++ +++++O-Ton-Collage der Experten:++++ Das ist ein Entwicklungsschub in der Reproduktionsmedizin. Das ist eine neue Stufe der Technisierung, der des medizinischen Zugriffs auf die Fortpflanzung. Aber das ist doch nicht per se negativ. Maio Die Medizin schafft ja nicht neue Wünsche, sie reagiert auf Wünsche die in der Gesellschaft präsent sind und zementiert diese Wünsche, verschärft sie noch. Der Wunsch ist nicht von Medizin geweckt worden, der Wunsch sich jederzeit alles offen zu halten, das ist ein Symptom unserer Zeit. Tandler-Schneider Es ist schon sehr bezeichnend. Es sagt, dass viele Frauen in Karriere gehen und Kinderwunsch deshalb nach hinten schieben. Beck-Gernsheim Es wäre besser, wenn wir das Modell Social Freezing vermeiden könnten. Ich sehe nicht einen Weg, dass es so fair werden kann und so ungefährlich und so erfolgssicher, wie wir uns das wünschen. Wünschen ist das Eine, Kriegen ist das andere. +++++Collage aus Werbeslogans+++++ "100% baby-take-come-rate" "Social Freezing - Heute schon an Morgen denken!" "Egg Freezing: Eine neue Technologie bringt neue Perspektiven." "Alles zu MEINER Zeit." "Schwanger werden wenn ICH es will" "Abgesichert - ich genieße das Leben, solange ich möchte." "Meine Träume - ich lasse mir die Chance nicht nehmen, meine Visionen zu verwirklichen." +++Musik, ++++ O1 Anke Bredow Ich kann auf natürliche Art Kinder bekommen. Für mich ist nur wichtig, dass ich nicht unter dem Druck bin. Ich möchte jemanden finden, wo ich sage, mit dem möchte ich leben. Vielleicht ist das eine romantische Vorstellung, aber ich hätte gern wen, in den ich mich ordentlich verliebe. Sprecherin Anke Bredow heißt eigentlich anders. Ihren wirklichen Namen, ihren Beruf oder Wohnort will sie nicht nennen: Social Freezing ist ein Thema, über das die wenigsten offen sprechen Sagen wir also, Bredow ist Mitarbeiterin einer Werbeagentur und lebt in einer kleinen Stadt in Ostdeutschland. +++++ Musik++++++ Sprecherin Bredow sitzt in ihrer Wohnung auf einem weißen Flokati, die Nägel hat sie kurz geschnitten und blutrot lackiert. Sie trägt einen unauffälligen grauen Rock. Keine Schminke, kein Schmuck. Die dunklen Haare hat sie zu einem kleinen Zopf zusammengebunden, eine Katze mit silbernem Fell streunt um ihre Beine. Anke Bredow ist 38 Jahre alt, vor zwei Jahren hat sich ihr langjähriger Freund von ihr getrennt. Dabei sollte er der Vater ihrer Kinder werden. O2 Bredow Ich hab Panik geschoben. Im Prinzip geht's darum, mit der Trennung bricht ganzer Lebensentwurf zusammen. Und ich hab versucht, dass das nicht auch noch flöten geht. Ich hab viel gelesen und gesurft. Ich bin dann auf das Zentrum gestoßen mit den Eizellen. Das war für mich sofort, ah, Mensch, das ist was. Je mehr ich darüber nachgedacht hab wusste ich, das würde mich entspannen. +++++ Musik++++++ Sprecherin Anke Bredow hatte verschiedene Möglichkeiten, um ein Kind zu bekommen: Sie hätte zur Samenbank gehen können oder ein Kind mit einem Partner zeugen, den sie nicht liebt. Aber Bredow will keinen Samenspender, sie will mehr Zeit. Zeit, jemanden zu finden, mit dem sie Kinder haben will und er mit ihr. Im Social Freezing sieht sie nun die große Chance, ihren Traum von einer Familie doch nicht begraben zu müssen. Social Freezing, das heißt: die Frau friert ihre Eizellen ein, um sie bei Bedarf später auftauen und befruchten zu lassen. +++++ Musik+++++ Bredow machte einen Termin im "Fertility Center" im Berliner Westend, und ließ sich erst einmal aufklären über die Chancen und Risiken der Technik - die ihr Arzt Andreas Tandler-Schneider für wegweisend hält. Denn während Spermien sich leicht und in Massen einfrieren lassen, war die Langzeitaufbewahrung weiblicher Keimzellen lange schwierig, erklärt Tandler-Schneider, der durch den OP-Bereich der Praxis führt. O3 Tandler-Schneider Wenn man hier guckt, hinter dieser Glastür sind Kyrotanks, da sind die Eizellen drin gelagert. Hier rechts das ist eine spezielle Anlage, Invitrifikation nennt sich das, eine spezielle Technik, dass die Eizellen sehr sehr schnell eingefroren werden. Die haben also keine Zeit, um Eiskristalle zu bilden. Die werden in dieser Anlage eingefroren und kommen dann in Stickstofftanks, das sind so große Behälter, in denen kleine Straws sind, die nummeriert sind, und mit Farbcodes bezeichnet werden. Hier sind die gelagert, solange Stickstoff zugeführt wird, das wird von uns zweimal die Woche gemacht. Dann können sie so lange gelagert werden, wie gewünscht. Sprecherin Das Prozedere überleben neun von zehn unbefruchteten Eizellen - bisher lag die Wahrscheinlichkeit bei gerade mal zehn Prozent. Und war damit nur in medizinischen Ausnahmefällen angebracht. O4 Tandler-Schneider Das hat in erster Linie einen positiven Effekt gehabt für die Patienten, die zum Beispiel vor einer Krebstherapie, vor einer Chemotherapie, ihre Eizellen einfrieren wollten, weil danach der Eierstock häufig keine Eizellen mehr produziert. Es gibt jetzt eben die Möglichkeit, das auch aus sozialen Gründen zu tun. Sprecherin Sozial, das heißt bei Anke Bredow: Weil die Beziehung in die Brüche ging - in einem Alter, in dem nicht viel Zeit für die Familienplanung blieb. Andere Frauen wollen noch um die Welt reisen, etwas erleben, oder Karriere machen, bevor sie Kinder kriegen. Und frieren solange ihre Eizellen ein. In diesem Social Freezing sieht die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim eine logische Entwicklung der Reproduktionsmedizin. O5 Beck-Gernsheim Wenn Sie das technische Angebot haben, wird das ausgeweitet auf immer weitere Gruppen. Es war auch so bei der Invitrofertilisation, das war zuerst gedacht für einen eng begrenzten Patientinnenkreis, für Ehefrauen mit verklebten Eileitern. Dann kamen Ehefrauen mit nicht verklebten Eileitern, wo's andere Ursachen hatte. Dann kamen Ehefrauen, wo das physische Problem bei den Männern lag. Dann kamen Frauen, die gar nicht Ehefrauen waren, sondern unverheiratet. Dann kamen Frauen, die nicht mit einem Mann lebten, sondern mit einer Frau. Dann kamen Männer, die nicht mit Frauen zusammenlebten, sondern mit einem Mann. So ist es mit Social Freezing auch: Sie entwickeln die technische Methode, und dann wirkt das als Anreiz, dass auch andere Gruppen hinkommen und sagen, he, das kann ich brauchen für meine Lebensplanung. Der Technikphilosoph Hans Jonas hat gesagt: Der Appetit wird gelockt von der Möglichkeit. Das stimmt hier eindeutig. +++++++ MUSIK+++++ Sprecherin Die Anti-Baby-Pille entkoppelte in den 60er Jahren Fortpflanzung und Sexualität, man konnte Sex haben ohne schwanger zu werden. 1978 wurde dann das erste künstlich befruchtete Baby geboren. Und mit Social Freezing sollen Frauen jetzt den Zeitpunkt ihrer Familienplanung noch besser selbst bestimmen können - ein Meilenstein in der Gleichberechtigung. Oder etwa nicht? Beck-Gernsheim hat ihre Zweifel. O6 Beck-Gernsheim Da haben mir die Reproduktionsmediziner gesagt, das sei nun die eigentliche Befreiung für Frauen, DER große Emanzipationsschritt. Denn Frauen könnten damit zweierlei vereinbaren: Sie können einerseits Karriere machen UND den Kinderwunsch erfüllen. Und zwar zeitlich gestaffelt. Das klang erstmal wunderbar. Ich sag ihnen einen parallelen Fall. Als die Pille auf den Markt kam, waren alle glücklich: Jetzt können wir alles haben, Kinder und Beruf. Und dann: Große Überraschung bei vielen Frauen: Sie haben verhütet, das hat geklappt, aber das Kinderkriegen hat nicht geklappt, weil die Fruchtbarkeit abnahm. Das hatten sie vorher alle nicht bedacht. Es könnte auch bei Social Freezing Überraschungen geben, die wir heute noch nicht voraussehen. Sprecherin Zudem ist die Behandlung physisch belastend. Zwei Wochen lang hat Anke Bredow sich zu Hause einen Hormoncocktail gespritzt, um die Eizellproduktion zu stimulieren. Bei einer anschließenden Operation wurden dann die reifen Keimzellen entnommen - im Idealfall sind es 10 bis 15. Aber bei Bredow waren es zu wenig. Um genügend Eizellen von guter Qualität einlagern zu können, musste sie sich der Prozedur zweimal unterziehen. Keine Seltenheit, wie ihr Arzt Tandler-Schneider erklärt: O7 Tandler-Schneider +++(Atmo: TS blättert in Broschüre)+++ Das geht damit einher, da muss man mal in diese Register gucken, dass die Frauen oder Paare immer älter werden. Der Wunsch, sich fortzupflanzen, wird immer weiter nach hinten geschoben. Und Der Höhepunkt, wenn die Eizellen am fruchtbarsten sind, ist bei 27 bis 29. Wir wollen niemand verrückt machen, aber man muss sagen, ab 35 nimmt's ab. Sprecherin Also in einem Alter, in dem die Qualität und Menge der Eizellen oft zu wünschen übrig lässt. In dem aber vielen Frauen erst klar wird, dass ihnen die Zeit davonläuft. O8 Tandler-Schneider Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt! Es ist also ein Zeitphänomen, das wir bedienen. Trotzdem sehen wir das kritisch. Man müsste man arbeiten dafür, dass Paare früher beginnen, sich schon vor 30 mit Gedanken beschäftigen. Nicht erst dieser Karriereschritt, und zum Kyten nach Fuerteventura, und wenn dann noch Zeit ist, dann kümmere ich mich. Uns geht es so gut, dass wir das so genießen wollen, dass wir keine Verantwortung übernehmen. Sprecherin Und doch bietet der Arzt Social Freezing an - die Entscheidung liege letztlich im Ermessen der Frau. +++++ tack tack tack tack++++++ O9 Maio Die optimale Situation wäre, wenn Sie die Eizellen mit 25 einfrieren, um sie mit 34 auftauen zu lassen. Dafür wäre es die richtige Methode. Aber so wie sie jetzt verstanden wird, ist es ein Geschäft mit der Torschlusspanik. Wenn ich schon an der Grenze bin, dann noch schnell einfrieren. Sprecherin Giovanni Maio ist Mitglied der von der Bundesregierung berufenen "Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung" - und sieht den Trend sehr kritisch. O9 weiter Und da muss man sagen, wenn Sie so spät dran sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es gelingt, gering. Das ist eine Scheinsicherheit. Es ist so, dass Sie eine Wahrscheinlichkeit von 8% pro Eizelle haben, dass das glückt. Da finde ich es fahrlässig so zu tun, als würde diese Methode die biologische Uhr anhalten. Das als Versprechen zu werten, dass wir jetzt diese tickende Uhr gar nicht mehr haben, sondern wir eine Entzeitlichung, eine Entfristung haben, das ist trügerisch. +++++ Musik++++++ O10 Maio Wir haben heute den besonnen Umgang mit Grenzen komplett verlernt. Die zeitliche Begrenzung selbst ist etwas in sich Sinnvolles und kann den Menschen anhalten, sich frühzeitig auf das Wesentliche zu besinnen, ihn anhalten, sich klar zu werden, welches Leben er leben möchte. Sie können die Eizellen einfrieren, aber sie frieren nicht ihr Leben ein, nicht Ihr Alter ein, Ihr Umfeld. Das ist ein Symptom unserer Zeit, dass man sich nicht festlegt auf bestimmtes Lebenskonzept. O11 Anke Also ich wollte bis Ende 20 - da habe ich nicht darüber nachgedacht. Da waren Kinder nicht in meinen Lebensvorstellungen enthalten. Dann wurde es konkreter, will man mit Partner zusammenleben, mit dem man lebt, möchte man mit dem Kinder, dass solche Themen ins Lebensumfeld drängen. Ich bin nicht Familienfrau, die immer auf berufliche Pause gewartet hat um Kinder zu bekommen. Und als es konkret werden sollte, kam die Trennung. Sprecherin Für Anke Bredow war Social Freezing eine Rettung - und eine wohl überlegte Entscheidung. So sieht auch der Soziologe und Theologe Hartmut Kreß die Behandlungsmethode nicht als Modeerscheinung aus Hollywood, oder als "Anti-Aging-Methode" der Reproduktionsmedizin: O12 Kreß Ich würde nicht sagen, im abschätzigen Sinne, das ist bloße Lifestylemedizin. Die Frau, die so was erwägt, nimmt einiges an Opfer und Lasten auf sich, auch die hormonelle Stimulation. Das ist keine oberflächliche Entscheidung. Sondern es ist ein wirklicher Kinderwunsch. Prinzipiell ist das ethisch vertretbar. Es erhöht noch einmal die Chance von Frauen, selbstbestimmt über die Fortpflanzung zu entscheiden. Frauen, die das überlegen, stehen unter sozialen Zwängen, unter Druck. Sprecherin Tatsächlich sehen die meisten Kritiker das größte Problem nicht in der Methode selbst, sondern vor allem in den sozialen Verhältnisse, die es Frauen schwer machen, Karriere und Kinder zu vereinbaren. Der Medizinethiker Giovanni Maio: O13 Maio Und jetzt sagt man, wir haben doch die technischen Möglichkeiten, da kann man das ja später machen. Das finde ich schlecht, weil so werden schlechte soziale Verhältnisse zementiert auf dem Rücken der Frauen, die biologisch verändert werden müssen, damit sie in diese Verhältnisse passen, die widrig sind. Das heißt, Sie haben eine biologische Lösung für soziale Probleme. Sprecherin Besonders kritisch sei dabei die "Rush Hour" des Lebens, findet die Soziologin Beck-Gernsheim - also die Zeit Ende 20, Anfang 30, in der die Frau alles auf einmal schaffen soll: Karriere, Kinder, Partnerschaft. O14 Beck-Gernsheim Die Frau ist eine Fehlkonstruktion aus der Sicht der Arbeitswelt und bestimmter Ärzte. Weil die Biologie so angelegt ist, dass sie die fruchtbarste Zeit hat zwischen 20 und 30. Das heißt, wenn sie mehrere Kinder will, sollte sie mit Anfang 20 anfangen. Das wäre biologisch ideal. Aber da spielen Erwartungen der Arbeitswelt, die Anforderungen der Arbeitswelt und Zwänge der Arbeitswelt dagegen und die Schwierigkeit der Partnerwahl. Ist ja kaum der Fall heute, dass man mit der ersten Liebe gleich zum Standesamt geht und macht, was man früher nannte, love/ marriage/ baby carriage: Also (direkt hintereinander), wir geben unsere Herzen , die Ringe und dann kriegen wir das erste Kind. +++++ Musik++++++ Sprecherin Diese Zeiten sind vorbei. Meistens schaut man sich eine Weile auf dem "Markt" um, und hat mehrere Partnerschaften. Und währenddessen tickt die Uhr und tickt - auf Kosten des Kindes, findet Familienexpertin Beck-Gernsheim. O15 Beck-Gernsheim Es kann sein, dass damit mehr Gleichberechtigung erreicht ist, aber dass das Kindeswohl nicht profitiert. An diesem Punkt bin ich eisern. Wir fragen nach Mutter, nach Vater, aber die Frage nach dem Kindeswohl wird bei der Reproduktionsmedizin viel zu wenig gestellt. Es ist nicht dasselbe, ob die Mutter 25 oder 55 ist. Sprecherin Sicher, es hat seine Vorteile, wenn eine Mutter alt ist: Sie hat dann schon viel erlebt und nicht Gefühl, etwas zu verpassen. Aber für Beck-Gernsheim überwiegen die Nachteile. O16 Beck-Gernsheim Je älter die Frau, desto größer die Wahrscheinlichkeit von chronischen Krankheiten wie Diabetes. Die Lebenszeit der Mutter verkürzt sich, und damit auch die Zeit, die sie mit dem Kind verbringen und für es sorgen kann. Dazu kommt, dass mit gesteigertem Lebensalter die Fitness der Frau nicht gerade zunimmt, sagen wir es mal offen: Sie nimmt deutlich ab. Das heißt, das Kind hat eine Mutter, die es nicht so toll findet, dass sie nachts herausgerissen wird aus dem Schlaf, die Schlafentzug als großes Problem erlebt und auch sonst physisch weniger machen kann mit dem Kind. Es kommt noch was dazu. Wenn die Frau das Kind relativ früh bekommt, mit 25 bis 35, sind die eigenen Eltern in einer Lebensphase, wo sie selbst gern auch mal nach dem Enkelkind schauen. Wenn die Eltern der Frau aber selbst schon 80 sind, würden sie vielleicht gern, können aber nicht, weil sie physisch nicht in der Lage sind. UND brauchen selbst Pflege. O17 Anke Ich denke, es gibt eine Schwierigkeit bei diesem Entwurf nach wie vor: Das ist nicht das biologische Alter, sondern das soziale Alter. Wenn man für das Kind sorgen und Verantwortung tragen will, muss man das ungefähr 20 Jahre auf jeden Fall leisten. Wenn ich mit 70 sage, ich hab noch Eizellen eingefroren, ist das ne Ego-Sache, die geht auf Kosten des Kindes. Sprecherin Deshalb will Bredow auch möglichst bald ein Kind. Ohnehin sind ihre Eizellen höchstens noch gut zehn Jahre verfügbar, sagt ihr Arzt. O18 Tandler-Schneider Nach dem 49. Lebensjahr werden wir keine Transfers mehr durchführen. - Warum? - Weil das ethisch schwer vertretbar ist, wenn Kinder so gezeugt werden, dass sie so alte Eltern haben. Wir haben uns im Team drauf geeignet. Klar kann eine Frau auch noch mit 52 schwanger werden wollen, das will ich ethisch nicht verurteilen. Aber wir glauben, wenn die Patientinnen ins Klimakterium kommen, soll keine Schwangerschaft mehr entstehen. Sprecherin Andere Praxen in Deutschland handhaben das anders. Doch auch eine Altersgrenze schützt das Kind nicht vor den Problemen, die mit einer künstlichen Befruchtung einhergehen, warnt der Medizinethiker Maio. O19 Maio Sie müssen sich vorstellen, und das sagen viele Kinder, die aus Samenspenden entstanden sind, oft Probleme haben mit der Vorstellung, tiefgefroren zu sein und Hälfte der Existenz in Bottich gelagert gewesen zu sein. Das ist auch bei Social Freezing das gleiche, die Vorstellung, ich war tiefgefroren. Sprecherin Mit dem Gedanken an eine künstliche Befruchtung will Anke Bredow sich gar nicht auseinandersetzen. Unromantisch, findet sie. Schließlich will sie ja erst einmal versuchen, weiter auf natürlichem Weg ein Kind zeugen. O20 Anke Was mir aufgefallen ist, dass ich so was wie Schuld empfinde. Ich glaube aber, dass das nicht angebracht ist. Weil Kinder binden Frauen ja an bestimmte Lebensverhältnisse und berufliche Möglichkeiten. Ich denke, dass das eine Freiheit ermöglicht, die ich ganz wichtig finde. Ich weiß nicht genau, woher die Schuldgefühle kommen, dass ich das getan habe. Dass ich Eizellen habe einfrieren lassen... Es ist schon so eine Art Eingriff in natürliche Prozesse. Und das ist glaub ich der Punkt, der sich nicht gut anfühlt. Sprecherin In der Tat sei aus moralischen oder theologischen Gesichtspunkten prinzipiell nichts gegen Social Freezing einzuwenden, glaubt der Theologe Hartmut Kreß. O21 Kreß Es geht um Fragen der eigenen freien Gewissensentscheidung, die abgewogen werden will. Aber eine eigenverantwortliche Gewissensentscheidung zu treffen, das ist in der westlichen Tradition und in anderen Religionen immer herausgestellt worden. Theologisch ausgedrückt: Eine eigenverantwortliche Gewissensentscheidung ist Teil der menschlichen Gott-Ebenbildlichkeit. Sprecherin Und auch der Kritiker Maio findet, dass der Mensch prinzipiell dazu angehalten ist, seine Möglichkeiten auszuschöpfen. O22 Maio Das ist der Auftrag an den Menschen: Durch die Vernunft, die er hat, die Welt zu gestalten, selbst nach christlichem Menschenbild. Die Aufgabe des Menschen besteht nicht darin, seine Fähigkeiten ungenutzt zu lassen, sondern die Welt auch in die Hand zu nehmen. Aber wir leben in einer Zeit, wo wir sehr technikgläubig sind und verkennen, dass diese Prophezeihung der Freiheit über die Technik nicht aufgehen wird, die Freiheit, die die Technik verspricht, subtil immer weiter umschlägt in ein Diktat des Machbaren: Wenn die Möglichkeit da ist, dann besteht auch die soziale Erwartung, dass sie in Anspruch genommen wird. Und jede Frau, die keine Kinder kriegen kann, ist selbst schuld daran. Und das Verständnis, dass sie die Technik nicht in Anspruch nimmt, wird schwinden. Sprecherin Noch ist es aber nicht soweit - und zumindest in Deutschland auch nicht absehbar, dass Social Freezing bald Standard werden könnte. Während die Therapie in Ländern wie Spanien oder der USA großen Zulauf findet, ließen sich bundesweit im vergangenen Jahr ein paar Hundert Frauen behandeln. Schuld sei auch die deutsche Mentalität, sagt Hartmut Kreß. O23 Kreß In Deutschland neigt man zu Verbotsnormen, auch im medizinischen Bereich, des Lebensanfangs, Lebensendes. Das mag ein Stück weit historische Hintergründe haben: In Deutschland hat man die Erfahrung der NS-Zeit, dass eugenische Vorstellungen bestanden. Und auf diesen Abweg möchte man nicht wieder geraten. Israel ist dagegen ein liberales Land, das hat kulturelle religiöse Hintergründe: Es gibt einen Pro-Natalismus, die Hochschätzung von Kindern im Judentum. Sie gelten als Zeichen der Hoffnung, als Segen Gottes. Social Freezing wird in Israel als Form der präventiven Medizin angesehen, man möchte Frauen ein eigenes Kind ermöglichen, und mit eingefrorenen Eizellen wird eine Eizellspende nicht nötig sein. Ich denke, dass unsere Neigung zu gesetzlichem Verbot oft überzogen ist. O24 Anke +++Atmo: Das ist der Vertrag. (Blättert.)...+++++ "Konservierung von Eizellen bei nicht-medizinischer Indikation... Ich hab u.a. unterschrieben, das finde ich einen wichtigen Punkt, dass eine Befruchtung nur mit Partner(in) stattfindet" (+++Katze, Lachen+++), "dass die Eizellen nur in einer festen Beziehung herausgegeben werden." O25 Tandler-Schneider Beide unterschreiben, dass sie eine Behandlung wünschen. Wenn es ein Freund ist oder ein Partner, mit dem sie nicht verheiratet ist, das ist in Ordnung. Da sind wir sehr offen, auch homosexuelle Paare können das machen. Es ist nicht juristisch geklärt endgültig, wir haben in Berlin eine liberale Lösung. Es können auch zwei Frauen sein mit Samen aus Samenbank. Wir wollen nur nicht alleinstehende Frauen, weil das evtl. problematisch ist für das Kind Auch aus juristischen Gründen. Bei Alleinstehenden kann der Arzt später in Regress gezogen werden. Das Risiko können wir nicht eingehen. Sprecherin In Regress gezogen heißt in diesem Fall: Die Möglichkeit, dass die Mutter das Kind nicht ernähren kann - und das Sozialamt nach dem Vater fragt. Das ist natürlich nicht der einzige Grund, weshalb Bredow seit anderthalb Jahren auf Dating-Portalen im Internet nach einem Partner sucht. Gar nicht so einfach, den passenden Mann zu finden. +++++ Stimmen aus Datingportal +++++ O26 Anke Man guckt sich nochmal mit andern Augen an, wenn es darum geht, wollen wir eine Familie. Da geht's nicht drum, harmoniert es im Bett. Ich schau den so an: Möchte ich mit dem Kinder haben? Da kommen ganz andere Qualitäten dazu. Es steht in meiner Selbstbeschreibung, dass ich mir ein Kind wünsche. Männer, die ne Familie gründen wollen, suchen ne Frau bis 35. Ich bin 38 und tatsächlich ist es schwer zu vermitteln, dass dieser Kinderwunsch mit 35 nicht besiegelt ist. O27 Beck-Gernsheim Und vorher kommt dazu, dass Männer mit Frauen in einer bestimmten Altergruppe schon ihre Erfahrungen haben. Die wissen, dass die jetzt ihr Kind haben will. Die reagieren da manchmal sehr kritisch oder ablehnend. Das sind häufig Männer, die andere Beziehungen hinter sich haben und schon ein oder zwei Kinder haben und sagen, ne, das Thema haben wir hinter uns. Und dann kommt diese Frau und sagt, Hallochen, ich mag dich und hab noch Eizellen eingefroren, Süßer. O28 Anke Ich bin glaub ich eine mögliche Stellvertreterfrau dieser Zeit. Ich denke, dass irgendwann in diesen Partnerportalen drin stehen wird, ich habe Eizellen eingefroren. Dass das möglicherweise ne feste Frage wird. Sprecherin Aber noch spricht sie beim Date das Thema lieber nicht an. Auch wenn sie glaubt, dass das sich bald ändern wird. +++++ Musik++++++ Sprecherin Die Kritiker sind da skeptisch. Allein schon wegen der Kosten. 3000 Euro hat Bredow bezahlt - pro Eingriff. Hinzu kommen jährliche Einlagerungsgebühren von 200 bis 300 Euro. So sieht der Soziologe Kreß im Social Freezing eine Versicherungspolice nur für Privilegierte - und Giovanni Maio eine Geschäftemacherei. O29 Kreß Man muss das kritisch diskutieren: Ist das eine neue Form der Zweiklassenmedizin? Es werden sicher eher Frauen sein mit hohem Bildungsstandard, sozialem Standard, mit entsprechendem Einkommen, die das in Anspruch nehmen wollen und können.. Aber wenn sie das können, das ist ja kein kleiner Betrag, dann sollte man ihnen das offenhalten. Das Gegenmodell wäre ja eine Kassenfinanzierung. Das sollte nur gegeben sein, wenn medizinische Notwendigkeit besteht. O30 Maio Sie werden sehen, dass das zum Geschäftsmodell werden wird, weil da ein kommerzielles Interesse dahinter steckt. Wenn Sie die technische Neuerung nicht als Bestanteil ärztlicher Hilfe ansehen, sondern als Dienstleistungsprodukt. Ab dem Moment, wo es ein kommerzielles Interesse gibt, - und das sind alles privat getragene Reproduktions-Kliniken -, ist die Gefahr der Übertölpelung groß. Das hat nicht damit zu tun, dass die Frauen nicht mündig sind, sie sind natürlich gut aufgeklärt und selbstsicher. Aber in ihrer Not sind sie verführbar. Je nachdem, wie der Arzt mit ihnen redet, werden sie hinterher das Gefühl haben, ja das ist gut, wenn ich das mache oder eben nicht. Also Sie haben schon im Gespräch mit dieser Frau als Experte schon eine Steuerungsmacht. Sprecherin Und in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Dass die Ärzte offen mit ihren Patientinnen auch über Risiken und Nachteile sprechen sollten. Zum Beispiel darüber, dass es noch keine Langzeitstudien zu Social Freezing gibt. Dass also kein Mensch weiß, wie die Eizellen auf die Schockfrostung reagieren. Wie lange sie sich überhaupt wirklich lagern und auftauen lassen. Und wie groß die Wahrscheinlichkeit, daraus ein Kind zu zeugen, tatsächlich ist. O31 Anke Ich war anstrengend, glaub ich. Und jetzt hab ich das Gefühl, ich kann in Ruhe schauen und suchen. ich hab trotzdem noch genug damit zu tun, dass ich das Gefühl habe, dass diese Familie, dass das halt nichts wird. Was aber Quatsch ist, ich sollte so nicht denken. Sprecherin Und es dann weiter auf natürlichem Weg versuchen - so wie andere Frauen an ihrer Stelle auch: Bei einer Befragung fand die Freie Universität Brüssel heraus, dass jede dritte Frau glaubt, dass sie die Eizellen am Ende gar nicht brauchen wird - und das Kind doch in einer heißen Liebesnacht entsteht statt im Reagenzglas. So ähnlich sieht es auch der Soziologe Kreß. O32 Kreß Der Normalfall wird natürliche Zeugung sein. Es hat sich ja viel verändert, konventionelle bürgerliche Ehe ist nicht mehr kulturell selbstverständlich. Viele Kinder werden unehelich geboren, aber eben doch natürliche Weise, das ist nach wie vor Normalfall. Also insofern sollte man das als neu entstandene Handlungsmöglichkeit sehen, aber jetzt nicht sofort einen tiefgreifenden Kulturwandel prognostizieren. Sprecherin: Anika Mauer Ton: Peter Seyferrt Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion Deutschlandradio Kultur