DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 24.11.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 ? 20.00 Uhr Vom Schmuddelkind zum Königsmacher Wie eine radikal rechte Partei Dänemark verändert Von Jane Tversted und Martin Zähringer Co-Produktion SWR/DLF URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Folketinget Saalgeräusche, Gespräche, Handglocke O-Ton Bertel Haarder: Til posten som formand har Socialdemokratiet, Dansk Folkeparti, Venstre... Erzähler: Folketinget, das dänische Parlament, in Schloß Christiansborg. Zwei Wochen nach der Wahl im Sommer 2015, übernimmt Pia Kjaersgaard von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, das ehrenvollste und am höchsten dotierte Amt im dänischen Parlament. O-Ton Bertel Haarder: Afstemningen er slut. 87 stemte for, 16 imod, 8 hverken for eller imod... Sprecher Haarder: Die Abstimmung ist beendet. 87 haben dafür gestimmt, 16 waren dagegen, 8 Enthaltungen. Das Folketing hat hiermit Dänemarks erste weibliche Präsidentin gewählt. O-Ton Pia Kjærsgaard: Og så vil jeg gerne sige tak til tingets medlemmer for valget til folketingets formand... Sprecherin Pia K.: Ich möchte mich bei den Abgeordneten für die Wahl bedanken. Ich werde mich bemühen, Präsidentin des ganzen Parlaments zu sein und Vertrauensperson für alle, egal aus welcher Partei. Ich freue mich auf die kommende Arbeit. Musik Ansage: Vom Schmuddelkind zum Königsmacher Wie eine radikal rechte Partei Dänemark verändert Ein Feature von Jane Tversted und Martin Zähringer Erzähler: Die Wahl ist außergewöhnlich. Bisher gab es meist nur einen Kandidaten, der per Akklamation bestimmt wurde. Auch Pia Kjaersgaard hat keine Gegenkandidaten, aber die linke Partei Einheitsliste verlangte eine Abstimmung, um ihre entschiedene Ablehnung dieser Kandidatin dokumentieren zu können. Nur die neue Partei Die Alternative schließt sich diesem Protest an. Atmo Handglocke Rückblick. Donnerstag 7. Oktober 1999, der gleiche Ort, Schloss Christiansborg, Folketinget. Bei der Eröffnungssitzung zur neuen Legislaturperiode gibt es eine heftige Debatte über die Ideologie der Dänischen Volkspartei. An deren Ende schaltet sich auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen ein: O-Ton Poul Nyrup Rasmussen: Jeg blev spurgt af fjernsynet udenfor, om jeg synes, stemningen i denne debat havde været hadsk... Sprecher Poul Nyrup: Wenn man so grundlegende Fragen wie das Menschenverständnis diskutiert, inwiefern es einen Unterschied macht; ob man Ahnen aus einem fremden Land hat oder auch nicht, obwohl man doch dänischer Staatsbürger ist ? dann kann ich gut nachvollziehen, dass sehr schroffe Dinge von hier oben über die Dänische Volkspartei gesagt wurden. Ich fand sie alle sehr begründet. Deshalb sage ich zur Dänischen Volkspartei: Egal, wie sehr ihr euch auch bemüht ? aus meiner Sicht ? stubenrein, das werdet ihr niemals! Erzähler: Die Dänische Volkspartei vertritt radikale Standpunkte. Sie ist gegen Einwanderung, gegen Integration und gegen den Islam. Und das in einer Zeit scharfer Mediendebatten über Parallelgesellschaften, junge Einwandererbanden, Gewalt und Kriminalität vor ethnischem Hintergrund. Auf dem Parteitag 1999 fordert Pia Kjaersgaard, dass man kriminell gewordene Jugendliche mit Migrationshintergrund abschiebt, und zwar mit ihrer ganzen Familie: Eltern, Großeltern, bis in die dritte Generation. Die Empörung der Abgeordneten bei der folgenden Debatte im Folketing ist groß: Sprecher Zitate: ?Eine abgrundtief primitive Form von Hass gegen Muslime. Unwürdig, grenzenlos ekelhaft, undänisch, nicht stubenrein. Die Dänische Volkspartei verkleidet soziale als ethnische Konflikte. Die Dänische Volkspartei vereinnahmt die dänische Identität und teilt die Bevölkerung in gute und schlechte Dänen auf. Sie spaltet die Gesellschaft. Sie vergiftet die Gesellschaft. Sie spielt die Menschen gegeneinander aus. Sie schafft Vorurteile und Feindbilder in einem inakzeptablen Maße. Die Dänische Volkspartei unterteilt die Menschheit in Unter- und Übermenschen. Die Dänische Volkspartei sondert einen gemeinen Wortschwall ab.? Erzähler: Das sagten die Wortführer der im Folketing vertretenen Parteien: der Sozialdemokraten und der Linksparteien, ebenso der drei Parteien der politischen Mitte: Zentrumdemokraten, Sozialliberale und Christdemokraten. Nur die wirtschaftsliberale Partei Venstre und die Konservative Volkspartei schwiegen dazu, in nicht ferner Zeit werden sie mit der Dänischen Volkspartei regieren. Und was sagt Pia Kjaersgaard? Sie sagt, ?stubenrein? sei ihr Hund. Im Übrigen sei der Auftritt des Ministerpräsidenten heuchlerisch, denn im Landkreis Kopenhagen habe sich die sozialdemokratische Bürgermeisterin doch mit Hilfe der Dänischen Volkspartei ins Amt wählen lassen. Und genau auf diesem Weg werde man in Zukunft noch mehr Einfluss bekommen. Das aber liegt damals weit jenseits aller Vorstellungen. Atmo 1999 können auch wir Pia Kjaersgaard, wie so viele, nicht mit seriöser dänischer Politik in Verbindung bringen. Aber bereits drei Jahre später bekommt die Dänische Volkspartei 12% aller Stimmen und wird zur Mehrheitsbeschafferin der bürgerlichen Regierung unter Anders Fogh Rasmussen, und das wird sie bis 2011 auch bleiben. Danach kommt eine sozialdemokratische Regierung. Im Wahljahr 2015 aber sind die Prognosen für die Dänische Volkspartei so gut wie noch nie: bis zu 21% der Wählerstimmen könnte sie holen und zweitgrößte Partei Dänemarks werden. Das ehemalige ?Schmuddelkind? könnte also sogar in Regierungsverantwortung kommen oder erneut zum Königsmacher einer bürgerlichen Regierung werden. Wie konnte es so weit kommen? Wir hören uns um und fahren zu dem Ideenhistoriker Rune Engelbreth Larsen nach Aarhus. O-Ton Rune E.: Altsaa, Fremskridtspartiet eksisterer jo ikke laengere... Sprecher Rune E.: Die Fortschrittspartei ? heute existiert sie nicht mehr - begann mit dem charismatischen dänischen Rechtsanwalt Mogens Glistrup, der seinen Durchbruch 1973 hatte. Das war die sogenannte Erdrutschwahl, eine ganze Reihe neuer Parteien kam ins Parlament, seit Jahrzehnten hat man das nicht gesehen, dass die etablierten Parteien derart erschüttert werden können. Sie verloren zahlreiche Stimmen und Mandate, und die Fortschrittspartei allein erhielt auf Anhieb über 19%. Erzähler: Die Dänische Volkspartei. Alle Gründungsmitglieder kommen aus Mogens Glistrups Fortschrittspartei, auch der heutige Parteichef Kristian Thulesen Dahl. Pia Kjaersgaard ist die treibende Kraft. Sie beginnt ihr politisches Engagement als unermüdliche Leserbriefschreiberin, tritt in die Fortschrittspartei ein und wird dort bald Glistrups Vertraute. Als ihr politisches Idol Glistrup 1983 wegen Steuerbetrugs für drei Jahre ins Gefängnis wandert, nimmt sie dessen Platz im Folketing ein. Sie dominiert die kleine Gruppe der ultraliberalen Abgeordneten, will auch an die Spitze der Partei. Aber nicht alle sind mit dem autoritären Habitus von Pia Kjaersgaard einverstanden, es kommt zu einer Spaltung der Fortschrittspartei. 1995 gründen Pia Kjaersgaard und ihre Anhänger eine eigene Partei, die Dänische Volkspartei. Hier kann sie bis 2012 unangefochten herrschen und hetzen: O-Ton Pia K: Nutidens indvandrere er for det meste mennesker... Sprecherin Pia K: Die heutigen Einwanderer kommen zum größten Teil aus der Dritten Welt und sind vor allem Muslime, die nicht im Geringsten die Absicht haben, Dänisch zu werden. Sehr oft kommen sie mit der tiefsten Verachtung für alles Westliche, alles Dänische und alles Christliche. Im Gepäck haben sie Männerchauvinismus, rituelle Schlachtungen, Beschneidung von kleinen Mädchen, Frauenunterdrückung und Traditionen aus dem tiefsten Mittelalter. Und vor allem haben sie Religionsfanatismus, Besserwisserei und Arroganz im Gepäck. Erzähler: Das war auf dem Parteitag 1999. Von diesem Geist ist auch das Programm der Dänischen Volkspartei geprägt. In den Medien gibt sich Pia Kjaersgard als einfache Frau aus dem Volk, die geradeaus sagt, was ?man ja mal sagen darf?. Sie ist immer präsent, ihr Markenzeichen ist die permanente Empörung. Pia Kjaersgaards Botschaft wird in endlosen Varianten wiederholt: O-Ton Pia K: Men lad mig bare gentage vi har intet imod folk fra fremmede kulturer... Sprecherin Pia K: Aber lassen Sie mich wiederholen, wir haben nichts gegen Leute aus fremden Kulturen. Wir haben nichts gegen Leute mit anderem Haar, anderer Haut oder Augenfarbe. Aber sie müssen sich positiv mit der dänischen Gesellschaft verbinden. O-Ton Peter Hervik: Det vil sige hun er den perfekte populist paa en maade... Sprecher Hervik: Pia Kjaersgard ist die perfekte Populistin. Da haben wir eine Partei, die von oben, von einer Elite geführt wird. Pia Kjaersgaard verdient Millionen und gleichzeitig betreibt sie eine Politik auf der Seite der am niedrigsten Bezahlten. Das ist ein typisches Zeichen für Populismus, man sieht es überall in Europa: Straffe Führungshierarchie, super tüchtige Leute, super clevere Führer, hohe Einkommen - und diese Leute führen die am geringsten Ausgebildeten im Lande an. Erzähler: Peter Hervik, Medienanthropologe am Institut für Kultur und Globale Studien in Aalborg, er vergleicht populistische Mediendiskurse mit den in der Bevölkerung kursierenden Meinungen selbst. Wir sprechen mit Hervik über ein Fernseherlebnis, das wir kürzlich hatten. Titel der Sendung: So wurde ich Pia Kjaersgaard. Atmo Film Erzähler: Pia Kjaersgaard sitzt gemütlich in ihrer feinen Stube und plaudert über ihre Vergangenheit. Sie macht dabei den Eindruck einer harmlosen Oma, die nach viel erlittenem Unrecht und Anfeindungen von vielen Seiten endlich anerkannt wird. Wir haben sie anders im Ohr, als selbstgerechte, schrille Chefanklägerin gegen alles Muslimische, für die der Islam keine Religion, sondern eine politische Ideologie ist O-Ton Peter Hervik: Men billedet af hende som noget hysterisk og meget moraliserende ja det var der... Sprecher Hervik: Das Bild von Pia Kjaersgaard als eine etwas hysterische und sehr moralisierende Person, ja das traf schon zu. Aber sie wirkte eben anders, weil sie so jung war. Jetzt wo sie älter geworden ist, erscheint sie kontrollierter in ihren Wutausbrüchen, aber fast jedes Mal, wenn sie etwas zu sagen hat, dann moralisiert sie. Erzähler: Ihre Argumentation, so Hervik, sei zwar schlicht und moralisch und doch eine wohlüberlegte dramatische Inszenierung: Hier sind wir Dänen, so wie wir schon immer waren, wir sind die Guten! - dort ist der Islam, das ist das Fremde und das kann nicht gut sein! Wenn der Anthropologe Hervik gebürtige Dänen befragt, können diese selten etwas Konkretes über Muslime oder den Islam sagen, viele scheinen nur sicher, dass man den Islam ablehnen müsse. Als Medienforscher weiß er, dass die Vorurteile fast alle medial vermittelt sind, und weil es vor allem in den privaten Medien nur um Einschaltquoten gehe, seien die spektakulären publikumswirksamen Geschichten mit den schlichten Feindbildern eben begehrt. Und da politische Figuren wie Kjaersgaard permanent solche Geschichten lieferten, ergäbe sich daraus eine starke Symbiose von Politik und Medien: O-Ton Peter Hervik: Jeg mener ikke at der eksisterer en antagonisme... Sprecher Peter Hervik: Ich glaube nicht dass es einen Antagonismus zwischen der dänischen Gesellschaft und dem Islam gibt. Aber was es gibt, das ist die sehr verbreitete Erzählung über einen Konflikt zwischen dem Dänischen und dem Muslimischen. Diese Erzählung kommt von den radikalen Rechten und hat die öffentliche Debatte in den Medien bestimmt. Von einem Mainstreaming kann man in dem Moment sprechen, wo man sich bis hin zur extremen Linken immer wieder auf das Thema bezieht, und je öfter man diese Erzählung wiederholt, umso mehr wird sie verstärkt. Erzähler: Zu den großen Erzählern gehört der Pastor Soeren Krarup, der im Lauf weniger Jahre hunderte von fremdenfeindlichen Artikeln in der Boulevardzeitung Ekstra Bladet publiziert. Heute werden die Medienkonsumenten über Twitter, Facebook und die Blogs der bürgerlichen Zeitungen ununterbrochen mit neurechter Propaganda bespielt, auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und den Radiostationen werden die Neurechten immer präsenter. Dahinter sieht Hervik klare politische Strategien. Als Anders Fogh Rasmussen 2001 an die Regierung kommt und auf die Tolerierung durch die Dänische Volkspartei angewiesen ist, sei es erst richtig losgegangen mit dem Kulturkampf. Das angeblich links unterwanderte öffentlich-rechtliche Danmarks Radio sei eines der Hauptangriffsziele geworden. Der Generaldirektor wird ausgetauscht, man erlebt zahlreiche Wechsel in den Chefetagen, sieht zeitweilig Soeren Krarup in den Vorstand einziehen, später seine Tochter Kathrine Winkel Holm, die dort zehn Jahre aktiv sein wird. Und immer stärker dringt ein Thema in den Vordergrund, das nicht so recht zu fassen ist, das sogenannte Dänischsein: O-Ton Peter Hervik: Den form for Danskhed som Dansk Folkeparti, de stiller op, det er jo et redskab... Sprecher Hervik: Diese Form von Dänischsein, die die Dänische Volkspartei propagiert, ist ein Werkzeug, ein Moralisierungswerkzeug, das sie effektiv auf verschiedene Weise einsetzt. Sie erzeugt damit eine Gemeinsamkeit, und zwar aus der Opposition gegen Muslime, die man die ganze Zeit niedermacht. Diese Form von Dänischsein hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Die Dänische Volkspartei hat gewissermaßen das Besitzrecht an dem Begriff Dänischsein erworben. Das ist ja kommunikationstechnisch durchaus ein Erfolg. Erzähler: Durch den die regierende Partei Venstre, die von der Duldung durch die Dänische Volkspartei abhängt, zusätzlich unter Druck gerät. Sie glaubt, sich anpassen zu müssen. Ein gezielter konservativer Feldzug für eine dänische Leitkultur beginnt, Lehrpläne an Schulen sollen beeinflusst werden, angebliche kulturelle Werte werden neu definiert. 2001 wird ein dänischer Kulturkanon eingeführt, später ein Geschichtskanon und ein Demokratiekanon. Die neue Gesellschaftspolitik wartet mit einem Sprach- und Einbürgerungstest auf, 2010 kommt ein Ghettoplan hinzu. Der erklärt 29 Gebiete in strukturschwachen Stadtbezirken oder Regionen zu Ghettos, Inseln einer Parallelgesellschaft, die es zu beseitigen gilt. Man könne diese Enklaven des Undänischen nur noch durch Abriss der Plattenbauten, Privatisierung oder langfristige Umstrukturierungen in die dänische Normalität zurückführen. Soeren Krarup erklärt derweil die Staatsbürgerschaft zu einer Art Naturgesetz. Das Grundideal sei echtes Dänischsein, an das man sich durch Assimilation annähern könne. O-Ton Peter Hervik: Men integrationen bliver et mere og mere negativt ladet ord... Sprecher Peter Hervik: Das Wort Integration wird mehr und mehr negativ aufgeladen. Gleichzeitig breitet sich eine Überzeugung aus, dass der Islam mit den dänischen Werten unvereinbar sei. Dabei hat das Bild, das man vom Islam hat, überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun, aber zum Zeitpunkt der Krise um die Mohammedkarikaturen hat man bereits ein Feindbild. Jetzt wird es leicht, eine Unvereinbarkeit zu behaupten, und wenn es eine Unvereinbarkeit gibt, dann kann man ja Muslime nicht integrieren. Und sicherlich auch deshalb ist die Dänische Volkspartei gegen die Finanzierung von Integration, das sei nur Zeitverschwendung. Atmo Susi Meret Erzähler: Im Institut für Kultur und Globale Studien in Aalborg sprechen wir darüber auch mit Herviks Kollegin Susi Meret. Sie ist Historikerin, stammt aus Oberitalien und lebt seit 2001 in Dänemark. Im Moment schreibt sie mit einer Kollegin an einem Essay über charismatische Frauen im europäischen Rechtspopulismus. Thema ihrer Dissertation 2010 sind die Lega Nord in Italien, die FPÖ in Österreich und die Dänische Volkspartei. Susi Meret erzählt von ihrem eigenen kleinen Kulturschock, als sie nach all der Zeit in Italien mit Lega Nord, Berlusconi und den Neofaschisten endlich nach Dänemark zog, in das skandinavische Wohlfahrtsland, Vorreiter in humanitären Fragen und sozialer Gleichheit - um auf eine wohlfahrtschauvinistische Dänische Volkspartei zu treffen, die den Minderheiten die Leistungen kürzen will und gerade in das Folketing einzieht. Atmo Wahlvideo 2007 Erzähler: Susi Meret hat Anschauungsmaterial parat. Wahlvideos der Dänischen Volkspartei, allesamt im Internet abrufbar. Wir beginnen mit dem Wahlkampf 2007. Der Spot dauert drei Minuten. Die ersten Minuten gibt es idyllische dänische Szenen ohne Worte, dann kommt unvermittelt eine Warnung: Aber etwas droht! Schnitt bei Minute 1?45. Ein Flugzeug rast in einen Wolkenkratzer, weitere Bilder von Gewalt und immer wieder kopftuchtragende Frauen und bärtige Männer. Die Botschaft ist klar: Fremde bedrohen uns. Atmo Wahlvideo 2007 Erzähler: In einem Wahlvideo vier Jahre später sieht man fast die gleichen Dänemarkidyllen, aber in einer Art historischem Kanon sortiert. Die dänische Flagge spielt eine große Rolle, Wikinger, ein Bauer mäht Weizen mit der Sense, ein kleines Fischerboot tuckert auf das flache Meer hinaus, Dänemark erzählt in der ersten Person, und zu den einprägsamen Bildern kommt eine wichtige Parole. Atmo Video 2011 Jeg er Danmark Jeg er Danmark - Ich bin Dänemark! Diese kleine Dänemark-Geschichte könnte aus einem Schulbuch von 1950 stammen, aber wichtiger als soziale Wirklichkeit ist einmal mehr der kulturelle Gegensatz, das was nicht Dänemark ist: Es beginnt mit dem typischen Aber: ?Ich bin Dänemark, Aber: Ich lehne mich auf gegen Kulturen, die das ändern wollen, wofür ich gekämpft habe.? Und wieder die explodierenden Twin Towers, verschleierte Frauen, betende Muslime, brennende Dänemarkfahnen während der Karikaturenkrise. Jeg er Danmark - Ich bin Dänemark! Kurz und gut: Wenn ich die Dänische Volkspartei wähle, dann bin ich Dänemark. Und wer anders wählt, steht im Verdacht, nicht Dänemark zu sein. Eine weitere Variante der Strategie von Einschluss und Ausschluss, mit der die Dänische Volkspartei so gut gefahren ist und die ihre Anhänger verinnerlicht haben, als Kulturkampf gegen die Fremden, die Ausländer und alles Nichtdänische. O-Ton Susi Meret: I de sidste aar har de aendret en lille smule paa deres retorik... Sprecherin Susi Meret: Sie haben ihre Rhetorik ein wenig verändert in den letzten Jahren und führen einen Diskurs über den Sozialstaat. Und so hat man das Gefühl, die Partei hat sich verändert, aber sie hat sich nicht wesentlich verändert. Sie lassen bestimmte Themen ruhen und reden jetzt viel darüber, wie man den Wohlfahrtsstaat bewahren kann, aber das tun sie wieder auf ihre ganz bestimmte Art. Wohlfahrtsstaat, das liegt in Dänemark wieder sehr nah am Thema Gemeinschaft, und wie man die Gemeinschaft bewahrt. Erzähler: Tatsächlich hat sich die Dänische Volkspartei schon länger von Glistrups Ultraliberalismus verabschiedet. Ihr Wohlfahrtsstaat bezieht sich nur noch auf die sehr eng begrenzte Gemeinschaft der ?echten? Dänen. Das Bewahren dieser Gemeinschaft beruht auf dem Ausschluss der Anderen, die nicht dazugehören. Und das sind solche Menschen, die nicht schon seit Generationen in den Wohlfahrtstaat eingezahlt und das Dänischsein nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben. Susi Meret erzählt uns von einem oft propagierten Bild der Dänischen Volkspartei, der Sozialstaat als Selbstbedienungsbuffet, an das die Ausländer sich selbst einladen. Es ist dieser populistische Ton in den Medien, der diskutiert wird, sollte einmal Kritik an den Positionen der Dänischen Volkspartei laut werden. Für uns ist es noch etwas mehr. Volksverhetzung fällt uns dazu ein, und außerdem etliche Gerichtsurteile gegen die neurechte Szene wegen Rassismus: Atmo Parteilied DF als ironischer Kontrapunkt, es ist eher heimelig Sprecher Zitate: Mogens Glistrup: im Jahr 2000 erhielt er zwanzig Tage Haft auf Bewährung wegen rassistischer Äußerungen, 2003 musste er die Strafe absitzen. Morten Messerschmidt, derzeit Europa-Abgeordneter der Dänischen Volkspartei: im Jahr 2003 wurde er zu einer Geldbuße wegen Propaganda gegen Minderheiten verurteilt. Jesper Langballe: Theologe und Folketingabgeordneter der Dänischen Volkspartei von 2001 bis 2011, im Jahr 2008 erhielt er eine Geldbuße wegen Ehrverletzung nach dem Rassismusparagraphen. Mogens Camre: wechselt 1999 von den Sozialdemokraten zur Dänischen Volkspartei, berüchtigt für einen radikalen Anti-Islamismus und mehrfach unter Anklage: im August 2015 verurteilt zu zehn Tagessätzen, weil er auf Twitter die Muslime mit Hitler gleichsetzte. Pia Kjaersgaard mahnt, er solle sich zurückhalten im Ton, Camre wird aber nicht aus der Partei ausgeschlossen. Erzähler: Und Pia Kjaersgaard selbst wird immer wieder wegen Rassismus angezeigt. Sie klagt regelmäßig dagegen wegen Ehrverletzung, bis 2006 das Oberste Gericht feststellt, dass es nicht verwerflich sei, Pia Kjaersgaards Haltungen rassistisch zu nennen. Und trotzdem wird sie im Jahr 2015 zur Präsidentin des dänischen Folketing gewählt. Warum kommt diese Frau mit ihrem Rassismus in der Mitte der Gesellschaft so gut an? Warum gilt sie nicht mehr als das rechtsradikale Schmuddelkind? O-Ton Susi Meret: Det er selvfoelgelig fordi de andre, de har ogsaa bevaeget sig... Sprecherin Susi Meret: Der Grund ist, die anderen haben sich auch bewegt, das geht nicht nur in eine Richtung. Mainstreaming des Populismus bedeutet auch immer, dass die anderen Parteien sich im Takt mit der Dänischen Volkspartei bewegt haben, Schritt für Schritt. Sie benutzen jetzt in hohem Maß eine Rhetorik und Erzählmuster, die nicht mehr so weit von der Dänischen Volkspartei entfernt sind. Wenn die Leute hier zum Beispiel im Radio bestimmte Stimmen von Politikern nicht schon kennen würden, dann wären die Aussagen von Sozialdemokraten und Konservativen, Venstre und der Dänischen Volkspartei nicht mehr zu unterscheiden. Atmo Bahnhof Erzähler: Wir wollen wissen, wie das aussieht und fahren im Sommer 2015 nach Kopenhagen. Es ist der 18. Juni. Heute wird ein neues Folketing gewählt, die Ministerpräsidentin Helle Thorning Schmidt von den Sozialdemokraten hat den Wahltag auf dieses Datum festgelegt. Wir wollen den Abend im Folketing miterleben und studieren auf dem Weg dorthin noch einmal die Wahl-Plakate. Auf einem blickt uns der smarte Kristian Thulesen Dahl an, seit 2012 neuer Chef der Dänischen Volkspartei. Er gilt als Mann der Zahlen, ein nüchterner Stratege, vor allem aber das neue Gesicht einer erneuerten Partei. Das Wahlplakat zeigt ihn in legerer Kleidung auf einer Treppe sitzend, seine blauen Augen blicken vertrauenserweckend. Der Wahlkampftext: Sprecher Zitat: "Du weißt wofür wir stehen!" Erzähler: Eine geschlossene Gesellschaft, die auf Danskhed, also dem Dänischsein beruht, bedroht durch die Fremden ? dafür steht die Dänische Volkspartei, soviel wissen wir. Außerdem steht sie für effektives Topstyring, das heißt: alle Entscheidungen trifft der enge Führungs-Zirkel um Kjaersgaard und Thulesen Dahl von oben. Sie stehen für stramme Parteidisziplin und professionelle Medienkampagnen, die ununterbrochen ihre ausländerfeindliche Agenda am Laufen halten. Und Programmatik sowie Rhetorik sind deutlich von der rechtsradikalen Denkfabrik Die Dänische Vereinigung inspiriert. Das angeblich neue Profil der Dänischen Volkspartei leuchtet uns nicht recht ein, völlig klar dagegen ist das Profil des Wahlkampfes 2015: Nie waren rechte Parolen so populär, fast alle Parteien behandeln das Ausländerthema. Ein Wahlplakat in Grün mit einem einzigen Schriftzug: Sprecher Zitat: "Stop Nazi-Islam-Ismus!" Erzähler: Ein Plakat der Traditionspartei Die Konservativen, die einmal den Ministerpräsidenten stellte, sich heute aber der 2%-Hürde nähert. Auch die Sozialdemokraten setzen im Wahljahr 2015 auf eine Rhetorik der Abschreckung. Die amtierende Ministerpräsidentin Helle Thorning Schmidt lässt sich auf öffentlichen Bussen abbilden mit dem Schriftzug: Sprecher Zitat: "Kommst du nach Dänemark, musst du arbeiten!" Atmo Duell der Spitzenkandidaten Erzähler: Die beiden Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten und der Bürgerlichen übertrumpfen sich in der Selbstdarstellung als Hardliner. Beide sind gegen eine multikulturelle Gesellschaft. Beide bezeichnen Asylbewerber als Bedrohung für die dänische Wohlfahrtsgesellschaft und beide pflegen eine Rhetorik der Ausgrenzung. Helle Thorning betont, sie selbst hätte die schärfste Änderung des Asylrechts seit zwölf Jahren veranlasst. So habe ihre Regierung verfügt, dass Kriegsflüchtlingen zunächst nur ein vorläufiger Aufenthalt gewährt wird. Familienzusammenführung soll erst nach einem Jahr möglich sein. Der bürgerliche Spitzenkandidat Lars Loekke Rasmussen hält dagegen, Helle Thorning habe die Leistungskürzungen rückgängig gemacht, die er selbst als Regierungschef vor ihr eingeführt hat. Das habe zu der steigenden Zahl von Asylbewerbern geführt. Er will diese Kürzungen wieder einführen. Ergänzt durch Einsparungen bei der Entwicklungshilfe soll damit das Nullwachstum im öffentlichen Sektor finanziert werden. Lars Loekke hält das für so dringend, dass er die Kürzungen am liebsten noch vor den Parlamentsferien durchpeitschen würde, als Sofortbremse gegen den Flüchtlingsstrom. Dieser Wahlkampf der Abschreckung scheint völlig offen, nur die Prognose für die Dänische Volkspartei steht fest, sie wird nochmals mehr Stimmen erhalten. Atmo Folketing Erzähler: Wahlabend 18. Juni 2015. In den steinernen Hallen von Schloss Christiansborg herrscht Hochbetrieb. Die Teams der großen Sender TV2 und Danmarks Radio spurten durch die Gänge, jeder Winkel wird von Kameras erfasst, meterdicke Kabelbündel ziehen sich durch die Flure, verzweigen sich in die verschiedenen Säle der Parteien. Atmo Snapsting Die Dänische Volkspartei feiert im Snapsting, wie die geräumige Abgeordnetenkantine genannt wird. Ihr Chef Kristian Thulesen Dahl kommt um 21 Uhr an und ist sofort von Journalisten umringt: Atmo Snapsting, Tosender Applaus O-Ton Thulesen Dahl: Jeg kan knap nok se jer, og jeg glæder mig vildt til at komme rundt og hilse på jer alle... Sprecher Thulesen Dahl: Ich kann euch ja kaum sehen, und ich freue mich wahnsinnig darauf, euch nachher alle persönlich zu begrüßen. Das ist ein Festtag, ein ganz fantastischer Festtag, ach, das ist der Festtag der Demokratie. Wir haben gekämpft, wir haben geschuftet um hier anzukommen, an diesem Tag, an dem die Dänen mit ihrem Wählerkreuz mitbestimmen werden, wie stark der Einfluss sein wird, mit dem wir die Tagesordnung setzen werden. Erzähler: Bei allem Enthusiasmus der Stunde ist das sehr überlegt formuliert - "Wie stark der Einfluss sein wird..." Einfluss, das ist nicht gleich Regierungsmacht und somit nicht gleich politische Verantwortung. Der offen propagierte Leitspruch hinter dieser machtpolitischen Strategie heißt: Wir sind dort, wo unser Einfluss am stärksten ist! Und dieser sogenannte Einfluss ist eine Größe, die das politische System Dänemarks nachhaltig verändert hat, denn als die bürgerlichen Parteien 2001 eine feste Zusammenarbeit mit der Dänischen Volkspartei eingingen, war es erstmals seit 1929 möglich, eine dominante Lagerpolitik zu betreiben. Damit war das bewährte dänische Prinzip des parlamentarischen Konsens? gebrochen, die Tradition der breiten Einigkeit. Diese Konsenspolitik galt als Garant für die Stabilität des skandinavischen Wohlfahrtsstaates. Mit dem Durchregieren des konservativen, sogenannten Blauen Blocks von 2001 bis 2011 hat sich das entscheidend verändert. O-Ton Thulesen Dahl: Dansk Folkeparti er på vej til at blive det rigtige folkeparti, som vi har stræbt efter... Sprecher Thulesen Dahl: Die Dänische Volkspartei ist auf dem Weg diese echte Volkspartei zu werden, die wir so lange Jahre gewollt haben. Deshalb, egal wie das Resultat am Ende aussieht, egal wie groß der Rückhalt ist, den wir heute Abend erfahren werden, dieser Wahlkampf hat bewiesen, dass wir eine Partei sind, um die die anderen nicht mehr herumkommen. Wir sind eine Partei, die ernst zu nehmen ist. Danke für heute, und jetzt legt los, einen schönen Abend. Atmo Fest Erzähler: Was aber hat diese angebliche Volkspartei dem Volk zu bieten? Das Ausländergesetz wurde seit 2001 64 Mal geändert. Die Bedingungen für den unbefristeten Aufenthalt wurden verschärft, ebenso die Kriterien für die Erlangung der Staatsbürgerschaft, eine 24-Jahreregelung für Nicht-EU-Ausländer sollte angebliche Zwangsehen verhindern. Mit einer sogenannten ?Starthilfe? wurde die Sozialhilfe für Flüchtlinge um 50% gekürzt. Atmo Folketing Dragsted Erzähler: Die Dänische Volkspartei hat bei der Foketingwahl 2015 37 Sitze erhalten, ist nach den Sozialdemokraten zweitstärkste Partei, die Liberalen sind mit 34 Sitzen auf den dritten Platz abgerutscht. Wir kommen nach dem Wahltag noch einmal ins Folketing. Pelle Dragsted von der linken Einheitsliste gibt uns ein Interview, wir wollen mit ihm über die Spaltung der dänischen Gesellschaft sprechen. Vor allem in den ländlichen Gebieten haben die Rechten enorm zugelegt, wogegen die linke Partei Einheitsliste in den multikulturellen Bezirken Kopenhagens stark gewachsen ist. Hier ist sogar eine neue Partei entstanden, die Alternative, die mit neun Abgeordneten ins Parlament einzieht. O-Ton Dragsted: Danskerne er meget stærke tilhængere af vores velfærdssamfund... Sprecher Dragsted: Die Dänen sind überhaupt kein liberaler Volksschlag, es gibt grundsätzlich einen sehr starken Rückhalt für den steuerfinanzierten Sozialstaat, das sagen alle Umfragen. Nun hat die Dänische Volkspartei erfolgreich jene Themen besetzt, die viele Dänen beunruhigen: Sie sind besorgt wegen der Einwanderung, sie sind besorgt wegen der wachsenden Kriminalität infolge von Schengen, besonders über Einbrecherbanden aus Osteuropa. Vor allem wünschen sich die Dänen einen starken Sozialstaat, und auch dieses Thema hat die Dänische Volkspartei besetzt. Gleichzeitig hat sie es geschafft, die politische Verantwortung für Reformen des Sozialstaates von sich abzuschütteln, die sie selbst von 2001 bis 2011 unter Anders Fogh Rasmussen mitgetragen hat. Die Reform des Arbeitslosengeldes, die Reform der Vorruhestandsregelungen, der Renten und die Kommunalreform. Diese Reform ist die Ursache für die zunehmende Zentralisierung, durch die sich die Lage auf dem Land immer weiter verschlechtert hat. Wenn die Wähler auf dem Land also mehrheitlich für die Dänische Volkspartei gestimmt haben, dann ist das eine Reaktion auf diese Zentralisierung. Sie ist die Ursache für das Verschwinden lokaler Arbeitsplätze, lokaler öffentlicher Institutionen, Polizeistationen, Schulen und Kindergärten. Erzähler: Wir kennen die Lage in den dänischen Dörfern aus eigener Anschauung, viele Häuser stehen leer, die kleinen Läden machen dicht, die Jugend wandert immer weiter in die Städte ab. Die wichtige Fleischindustrie geht nach Polen und Deutschland, wo die Arbeit billig ist, die Automatisierung der Landwirtschaft schreitet voran, die Preise verfallen aufgrund einer Absatzkrise. Es ist klar, dass sich hier eine weitere Beschäftigungskrise anbahnt, und gleichzeitig wird der öffentliche Sektor durch die Zentralisierung von kommunalen Aufgaben geschwächt. Atmo RUC O-Ton Bent Greve: Jeg tror Dansk Folkeparti er et udtryk for en tendens vi har set ikke kun i Danmark... Sprecher Greve: Ich verstehe die Dänische Volkspartei als Ausdruck einer Tendenz, die wir in ganz Europa sehen. Auf der einen Seite ist man skeptisch gegenüber einem großen Teil des europäischen Projektes, gegen die Einwanderung, aber gleichzeitig ist man für gute Sozialleistungen für jene Gruppen, die sich sozusagen in einem historischen Sinn als würdige Leistungsempfänger erweisen. Erzähler: Professor Bent Greve, arbeitet an der Universität Roskilde zu Fragen des Wohlfahrtstaates. Sprecher Greve: Würdige Leistungsempfänger, das kommt aus dem 19. Jahrhundert, es gab im Wohlfahrtssystem eine Aufteilung zwischen würdigen und unwürdigen Fürsorgeempfängern, zum Beispiel Alkoholiker und Frauen mit unehelichen Kindern. Die Dänische Volkspartei hat von Anfang an die älteren Dänen als würdige Leistungsempfänger angeführt, die ja ihre Ansprüche in einem langen Arbeitsleben erworben haben. Flüchtlinge und Einwanderer, die oft nicht so lange auf dem Arbeitsmarkt waren, sind für sie unwürdige Leistungsempfänger. Das ist nicht genau ihre Wortwahl, aber das steht hinter der Forderung, dass die Flüchtlinge nicht die gleichen Leistungen in Anspruch nehmen dürfen, und man will ja auch kein Magnet sein. Sie sind also eine Mischung aus Wohlfahrtspartei und damit sozial -, auf der anderen Seite sind sie Hardliner in Bezug auf Ausländer und in ihrem Selbstverständnis national. Erzähler: Allerdings hätten es die Regierungen der letzten Jahre versäumt, Visionen für einen zukünftig funktionierenden Sozialstaat zu entwickeln, stattdessen habe man dessen zentrale Elemente demontiert: Arbeitslosenversicherung und Vorruhestandsregelung, das gesellschaftsverbindende Sicherheitsnetz, das nicht nur die soziale Notlage Einzelner abfedere, sondern im wirtschaftlichen Krisenfall auch die Nachfrage auf dem dänischen Binnenmarkt stabilisiere. Für das diskrete Abnicken dieser Reformen erhält die Dänische Volkspartei: Die Wiedereinführung dauerhafter Grenzkontrollen und ein sogenanntes Geborgenheitspaket, das heißt härtere Strafen für kriminelle Einwanderer und Verdoppelung der Strafen für Einbruchdiebstahl und Vergewaltigung, außerdem eine Änderung des Strafgesetzes, das die Ausweisung krimineller Einwanderer erleichtert. Nach dem Machtwechsel 2011 wurde die Grenzregelung wieder rückgängig gemacht, aber Kristian Thulesen Dahl versucht es einmal mehr. Das hohe Wahlergebnis 2015 zwingt ihn praktisch zu einer Regierungsbeteiligung, doch die lehnt er am Ende ab, eben weil der Wirtschaftsliberale Lars Loekke Rasmussen die Grenzkontrollen nicht haben will. Die Dänische Volkspartei toleriert also eine Minderheitsregierung der Partei Venstre, die sich gerade einmal auf 34 von 179 Abgeordneten stützen kann. Thulesen Dahl wählt einmal mehr den Einfluss im Hintergrund, die Macht des Königsmachers. Seine Weste kann daher sauber bleiben, wenn die versprochenen Wohltaten ausbleiben. Unsere Vermutung wird zur Gewissheit: Mit dem dröhnenden Spektakel über Einwanderung, Islam und Flüchtlinge, das unermüdlich von einem rechten Netzwerk inszeniert und von fast allen politischen Parteien mitgetragen wird, wird die Demontage des dänischen Sozialstaates übertönt. Und diese Demontage zerstört die wirklichen Werte der modernen dänischen Identität. Sie führt zu einer gesellschaftlichen Spaltung, und die neuen Rechten können sich mit ihren politischen Scheinangeboten dauerhaft etablieren. Atmo Straße, Syrische Familien auf dem Weg Erzähler: Es sind die Tage im Spätsommer 2015, als tausende Flüchtlinge Dänemark durchqueren. Viele Dänen sind plötzlich betroffen von den Bildern jener syrischen Familien, die über dänische Autobahnen in Richtung Schweden wandern, um dort und nicht in Dänemark Asyl zu beantragen. Der neue Regierungschef Lars Loekke Rasmussen sieht sich mit der Forderung anderer EU-Staaten konfrontiert, die 140.000 Flüchtlinge in den Schengenländern umzuverteilen. Eigentlich könnte sich Dänemark auf den mit der EU ausgehandelten Rechtsvorbehalt zurückziehen, der besagt, dass Flüchtlingsfragen allein nationale Angelegenheit Dänemarks sind. Aber Loekke stimmt der Aufnahme von 1000 Flüchtlingen zu. Atmo Jingle Debatten In einem Politmagazin von Danmarks Radio wird über diese Entscheidung diskutiert. Zwei Politikerinnen sind im Studio: Die Folketingabgeordnete Marie Krarup von der Dänischen Volkspartei und Inger Stojberg von der Regierungspartei Venstre. Der Moderator fragt Marie Krarup, wie lange Flüchtlinge in Lagern bleiben sollten: O-Ton Marie Krarup: Indtil de skal hjem... Sprecherin Marie Krarup: Bis sie nach Hause geschickt werden. Wenn man sie vom ersten Moment an integriert, wie das im Moment der Fall ist, dann kriegt man sie ja nie mehr los. Und man produziert einen noch größeren Ansturm von Flüchtlingen, weil es superattraktiv ist. Und man weiß ja auch, wenn die Kinder mal dänische Schulen besucht haben oder Leute in Dänemark gearbeitet haben und man sie dann zurückschicken will, dann gibt es sofort ein Medientrara und dann kommen die nie nach Hause. Auf jeden Fall müssen sie in staatlichen Lagern bleiben, auf keinen Fall dürfen sie raus in die Gesellschaft und den Dänen die Arbeitsplätze wegnehmen. Und wir müssen denen wohl kein Schlaraffenland bieten, solange sie hier in Dänemark sind. Dänemark soll kein Magnet sein. Erzähler: Marie Krarups Werte, da bleibt kein Zweifel, unterscheiden sich nicht von jenen Positionen, die 1999 im dänischen Folketing mehrheitlich abgelehnt wurden ? sie sind nach wie vor ?nicht stubenrein!? Aber die Dänische Volkspartei scheint es mittlerweile geschafft zu haben: Dänemark steht nicht mehr für eine weltoffene Gesellschaft auf hohem sozialem Niveau, sondern für einen rückwärtsgewandten Kulturkampf, in dessen Getöse ein vorbildlicher Sozialstaat zu verschwinden droht. Selbst die neue Integrationsministerin Inger Stojberg formuliert jetzt politische Ziele ganz im Sinne der Rechtspopulisten: O-Ton Inger Stojberg: Jamen du faa simpelthen ikke asyl i Danmark hvis du ikke du er forfulgt... Sprecherin Stojberg: Also wenn du nicht verfolgt wirrst, dann bekommst du schlicht und einfach kein Asyl in Dänemark. Wenn du Migrant bist, dann wirst du nach Hause geschickt. Und darin sind wir hier in Dänemark wirklich gut. Hier können wir den anderen Ländern noch etwas beibringen. Atmo Handglocke Folketing Absage: Vom Schmuddelkind zum Königsmacher Wie eine radikal rechte Partei Dänemark verändert Ein Feature von Jane Tversted und Martin Zähringer Es sprachen: Philipp Schepmann, Edgar M. Marcus, Patrick Blank, Udo Rau, Susanne Bleicher und Stephanie Brehme Ton und Technik: Wolfgang Rein und Angela Raymond Regie: Tobias Krebs Redaktion: Wolfram Wessels Eine Produktion des Südwestrundfunks und Deutschlandfunk 2015. 20