Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Dossier Wohnungen in Volkes Hand Osteuropäische Großsiedlungen nach der Wende Autoren: Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Redaktion: Birgit Morgenrath Produktion: Dlf 2017 Erstsendung: Freitag, 05.05.2017, 19.15 Uhr Sprecher: Isis Krüger, Richard Hucke, Ernst-August Schepmann, Bernd Reheuser und Ilse Strambowski Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Angelika Brochhaus Regie: Birgit Morgenrath Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton Thomas Janicki: "Der Sanierungsstau, der eingetreten ist, der hat ja mittlerweile Ausmaße angenommen, die lebensgefährlich sind. Also es stürzen da die Lifte ab oder müssen stillgelegt werden, Balkons fallen ab und erschlagen die Leute. Die Dächer sind undicht und es regnet durch und verschleißt die Struktur der Gebäude. Also wenn nicht in absehbarer Zeit die Sanierungsleistungen dort steigen, dann wird sich der Wohnungsbestand dramatisch weiter verschlechtern." Sprecher: Wohnungen in Volkes Hand Osteuropäische Großsiedlungen nach der Wende Dossier von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz O-Ton Ieva Berzina-Hersel: "Ja, das ist wie ein Reisepass. Und da steht mein Name hier drauf, steht mein Personencode und davor habe ich eine Kontonummer. Das ist die Nummer von der Bank, wo dieses Büchlein ausgegeben wurde. [Blättern] Und da gleich kann man sehen, ich habe 29 Zertifikate bekommen, 29,5, und drei Tage später bin ich dann mit meiner Großtante zu der Bank gegangen." Erzählerin: Ieva Berzina-Hersel, 38 Jahre alt, treffen wir in Berlin. Die Diplom-Volkswirtin wurde in Riga geboren. Dort besitzt sie eine kleine Wohnung, so wie die meisten Letten. In den Ferien ist sie mit ihrem deutschen Mann und den beiden Söhnen regelmäßig dort. O-Ton Berzina-Hersel: "Das heißt, ich habe eine 34 Quadratmeter große Wohnung gehabt, dann habe ich 68 Zertifikate gebraucht. Es gab die Möglichkeit, eigene Wohnungen zu privatisieren, es gab die Möglichkeit, Zertifikate aufzukaufen von anderen Menschen, die das nicht machen wollten, weil sie einfach das Geld brauchen, weil sie einfach arm waren. Ich habe sehr viele Leute gekannt, die einfach sagen: Das ist mir bares Geld. Manche haben das ausgenutzt. Also das war richtig ein großes Spekulationsinstrument. Viele Leute, die Business machen wollten, haben das ausgenutzt. Ich habe nur meine Wohnung privatisiert." Erzählerin: 50 Jahre lang war Lettland eine Teilrepublik der Sowjetunion. Nahezu der gesamte Wohnungsbestand gehörte dem Staat. Das änderte sich mit der Unabhängigkeit ab 1990 schrittweise: Zuerst erhielten die Eigentümer ihre Immobilien zurück, die unter der Sowjetherrschaft zwangsenteignet worden waren. 1995 wurde dann ein Gesetz zur "Privatisierung von staatlichen und kommunalen Wohnhäusern" verabschiedet; heute leben 85 Prozent aller Haushalte im privaten Eigentum. Lettland steht damit in einer Reihe mit fast allen einstigen Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe: Ob in Rumänien oder Ungarn, in Tschechien, der Slowakei, Russland, den baltischen Staaten oder Polen - überall wurde nach der Wende staatlicher aber auch genossenschaftlicher Wohnraum privatisiert. O-Ton Ralf Protz: "Ich glaube, es ist so gelaufen, dass man gesagt hat, es ist ein Volksvermögen und wir wollen den Teil des Volksvermögens wieder denjenigen zurückgeben, dem es ja gehört hat - dem Volk." Sprecher: Ralf Protz, Leiter des Kompetenzzentrums Großsiedlungen in Berlin. einem gemeinnützigen Verein, der Wohnungswirtschaftler und Stadtplaner aus Großsiedlungen in ganz Europa an einen Tisch bringt und zum Erfahrungsaustausch einlädt. O-Ton Protz: "Und da gab es unterschiedliche Ansätze. Ich weiß, zum Beispiel in Russland hatten die Leute die Möglichkeit, einen Anteil an ihrem Betrieb zu bekommen oder eben ihre Wohnung. Die meisten haben sich für die Wohnung entschieden. Und in anderen Ländern hat man gleich gesagt: Du kannst deine Wohnung sozusagen kostenfrei übernehmen." Erzählerin: Für die meisten Menschen zwischen Warschau, Bukarest und Wladiwostok war das keine Frage: Wer würde nicht zugreifen, wenn ihm plötzlich seine Wohnung geschenkt würde? Eine Wohnung, auf die sie ja oft jahrelang gewartet hatten? So wie auch die Großmutter von Ieva Berzina-Hersel O-Ton Berzina-Hersel: "Diese Wohnung befindet sich in einer Großsiedlung in Riga. Und wurde 1986 gebaut, das ganze Haus und die ganze Siedlung. Und meine Großmutter hat mich auch da mitgenommen. Das erste Mal, den Schlüssel bekommen, die Tür aufgemacht - und das war Klasse. Das war einfach - zentrale Heizung, warmes Wasser - also ich komme ja auch aus einer Wohnung, wo wir heizen mussten, mit Kohle, mit Holz - und meine Großmutter plötzlich hatte warmes Wasser! Fließendes warmes Wasser, Klo drinnen in der Wohnung. Und ich wohne mit meiner Mutter in einer Wohnung, wo wir kein WC, sondern ein Plumpsklo haben. Und Brunnen draußen." Erzählerin: Der 52-jährige Bauingenieur Ralf Protz kennt solche Wohnsituationen sehr gut. Er ist in der DDR aufgewachsen und beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit der Sanierung und dem Stadtumbau in Großsiedlungen. O-Ton Protz: "Wir hatten fast die gleiche Ausgangssituation gehabt. Wir hatten immense Wohnungsbauprogramme nach dem Krieg in diesen Ländern gehabt und diese sind vor allem auf der grünen Wiese, am Rand der Stadt vorgenommen worden. Das Bauen auf der grünen Wiese war effizient, war kostengünstig und man hat damit Masse geschaffen, die man für die vielen Menschen, die Wohnungen gesucht haben, in den osteuropäischen Ländern natürlich brauchte." Erzählerin: Mitte der 1950er-Jahre begann die Ära des Plattenbaus. Zuerst wurden in der Sowjetunion einfachste Mehrfamilienhäuser schnell und massenhaft hochgezogen: Meist fünf Etagen, 2,50 Meter Deckenhöhe, schmale Flure, winzige Zimmer, ohne Wärme- und Schalldämmung. Die sogenannten Chruschtschowskas sollten 25 bis maximal 30 Jahre halten. Eine Übergangslösung für Millionen Menschen, die noch Jahre nach Kriegsende in Baracken oder Gemeinschaftswohnungen, den "Kommunalkis", lebten. Spätestens in den 1980er-Jahren, so versprach die Partei, würde jede sowjetische Familie ihre eigene komfortable Wohnung haben. O-Ton Protz: "Wir hatten über den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, wo die sozialistischen Staaten ja zusammengearbeitet haben, - gab es ja Kommissionen, die so weit gingen, dass man Standards formuliert hat, fürs Bauen, für die Stadtentwicklung, die versucht wurden einzuhalten." Erzählerin: Mit der Zeit stiegen die Standards. Für den Aufbau von Halle-Neustadt beispielsweise liefen in einem eigens dafür errichteten Plattenwerk 1965 erstmals sechs Meter lange Außenwandplatten von der Taktstraße direkt auf die Großbaustelle. Industrieller Wohnungsbau in einer ganz neuen Dimension. Atmo Museumswohnung: Treppengeräusche O-Ton Protz: "So, wir betreten jetzt unsere Museumswohnung, eine Wohnung, die aus DDR-Zeiten eingerichtet ist..." Erzählerin: Die Museumswohnung, die Ralf Protz Besuchern zeigt, liegt im Ostberliner Stadtteil Hellersdorf. Gemeinsam mit dem sich anschließenden Marzahn ist es die größte Plattenbausiedlung Deutschlands. O-Ton Protz: "... Korridor hier mit einem Spannteppich damit das Treten nicht ganz so laut wird und rechts das typische Kinderzimmer, nicht sehr groß aber gedacht für ein bis zwei Kinder. Auf der linken Seite ein typisches innen liegendes Bad mit einer freistehenden Badewanne - heute ein Zeichen von Luxus, freistehende Badewannen, früher Standard." Erzählerin: Eine Badzelle, die komplett in der Fabrik vorgefertigt wurde. - Die Drei-Zimmer-Wohnung gehörte zum Bau-Typ WBS 70. Von den rund zwei Millionen Plattenbauwohnungen, die zwischen 1970 und 1990 entstanden, kam der größte Teil aus dieser Wohnungsbauserie. Der Innenausbau einer solchen Wohnung mit allen Installationen dauerte in den 1980er-Jahren nur noch 18 Stunden. Und so wuchsen in dem neuen Ostberliner Stadtbezirk Hellersdorf innerhalb kürzester Zeit 42.000 Wohnungen in die Höhe. Es war das letzte große Neubauvorhaben der DDR. O-Ton Berzina-Hersel: "Also man hat gesehen, dass mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch viele Institutionen zusammengebrochen waren. Staatliche Fabriken wurden geschlossen und man hat einfach nicht mehr gesehen, wie soll der Staat jetzt alles machen? Wie soll er alles bewirtschaften, sich um alles kümmern - das ging einfach nicht mehr. Dann hat der Staat ein Gesetz ausgegeben, hat gesagt: Leute, jetzt privatisiert mal selber die Wohnung, damit ihr Euch selber kümmern könnt. Also das war ein Teil von dem Gedanken: Eigentumsbildung ist ein Teil der Marktwirtschaft und ein Teil der Entlastung des Staates. Und das hat auf jeden Fall funktioniert, dass man wirklich ein so großes Geschenk bekommen konnte. Also für mich ist diese Wohnung im Nachhinein ein großes Geschenk natürlich, weil ich hab für meine Wohnung vielleicht 600 Euro ausgegeben." Erzählerin: Ieva Berzina-Hersels Eigentumswohnung ist 34 Quadratmeter klein und liegt weit außerhalb des Rigaer Zentrums. Aber man konnte es auch noch schlechter antreffen: Das "Geschenk" konnte auch nur aus einem winzigen Zimmer in einer Kommunalka bestehen. Und wer gar keine eigene Wohnung hatte, weil er beispielsweise noch bei den Eltern wohnte oder in einem Ledigenwohnheim, ging völlig leer aus. O-Ton Janicki: "Wenn jeder seine Wohnung zum Nulltarif bekommt, dann ist natürlich die alte Nomenklatur, die um den Roten Platz eine gute Wohnung in Moskau hatte, die ist natürlich privilegiert. " Sprecher: Thomas Janicki, 73 Jahre alt, Ministerialdirigent a. D. und bis zu seinem Ruhestand zuständig für Wohnungspolitik und Bauwirtschaft im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Berlin. O-Ton Janicki: "Und der arme Bauer, der in irgendeinem Feld-, Wald- und Wiesennest seine Plattenwohnung übernimmt, der kriegt also quasi einen Nichtwert angeboten und das ist natürlich völlig unmöglich aus unserer Sicht. Aber offensichtlich angesichts der Wohnungsknappheit, die dort ja herrschte, hat man das in Kauf genommen. Hat dann gesagt: Wenn ich meine Wohnung habe, das ist für mich das Optimum. Ich brauch mich nicht zu verändern, das kenn' ich und da bleib' ich und wenn ich das zum Nulltarif kriege - o.k., dann akzeptiere ich das. Und dass der alte Parteikreisvorsitzende dann das Dreifache in Moskau bekommt, darüber sehe ich dann großzügig hinweg, nich?" O-Ton Vitalis Apetjonoks Übersetzer 1: "Es gab keine andere Möglichkeit als zu privatisieren." Sprecher: Vitalis Apetjonoks, Rentner in der 60.000-Einwohnerstadt Jelgava, in Lettland, 40 Autominuten südwestlich von Riga. O-Ton Apetjonoks Übersetzer 1: "Das wäre sehr nachteilig gewesen, wenn alle privatisieren und man privatisiert als einziger die Wohnung nicht. Dann könnten auch andere entscheiden, zum Beispiel diese Wohnung zu verkaufen." Erzählerin: Der einstige Hochschullehrer kann sich noch gut an die Aufregung in den '90er-Jahren erinnern. Privatisierung war das Thema unter den Nachbarn. Die dafür notwendigen Voucher - oder auch Zertifikate - wurden in Lettland als eine Art der "Entschädigung" für jedes Jahr unter sowjetischer Besatzung ausgegeben. Wer seine eigene Wohnung - oder auch eine andere - erwerben wollte, benötigte zwei solcher Gutscheine pro Quadratmeter. O-Ton Protz: "Ja, das ist eine typische Küche, klein aber fein. Interessant ist hier diese Wand aus Spanplatte, dahinter befinden sich die ganzen Versorgungsleitungen der Wohnung also Wasser, Abwasser, Heizung, Strom, Regenwasser, Lüftung. All das ist dahinter und das ist das größte Problem bei der Sanierung - die Stränge." Erzählerin: In der DDR betrugen die Mieten in der Regel nur fünf bis zehn Prozent des Einkommens. Geld, das kaum für die Betriebskosten reichte, geschweige denn für Sanierungen und Reparaturen. Zwei Drittel der Bewirtschaftungskosten für den Wohnungsbau kamen aus dem Staatshaushalt: 1988 waren das 16 Milliarden Mark - das Achtfache gegenüber 1970. Das Geld floss fast ausschließlich in den Neubau; Reparaturen und Instandhaltungen blieben auf der Strecke. Bauingenieur Ralf Protz: O-Ton Protz: "Wir wussten, wir müssen was an den Häusern machen. Viele dieser Häuser waren viele Jahre in der DDR nicht ordentlich bewirtschaftet und gepflegt worden. Das kennen wir alle noch - braunes Wasser aus den Leitungen, undichte Fenster, Türen, die nicht richtig schließen, Thermostate, die nicht da waren oder nicht funktionierten an den Heizungen - all das musste ja zumindestens repariert werden. Und wenn man daran denkt, dies zu machen, wäre sozusagen ein aufgeteiltes Eigentum unglaublich kompliziert gewesen." Erzählerin: Nach 1989 galten auch in Ostdeutschland die Gesetze der Bundesrepublik - mit einigen Übergangsregelungen. Schritt für Schritt wurden die Mieten an bundesdeutsches Niveau angepasst. Dann aber mussten auch die Wohnungen modernem Standard entsprechen. Thomas Janicki: O-Ton Janicki: "Der Sonderweg in Ostdeutschland war der, dass wir der Meinung waren, wir würden keine breite Privatisierung zum Nulltarif machen, sondern wir würden nur sanierte Wohnungen privatisieren. Und jeder, der eine Wohnung erwirbt, der muss dann auch den Preis dafür zahlen. Wir sind deshalb dazu übergegangen, die früheren sozialistischen Wohnungsbetriebe in privatwirtschaftliche Rechtsformen zu überführen, das heißt, die Genossenschaften wurden Genossenschaften des privatwirtschaftlichen Raumes und die kommunalen Wohnungsgesellschaften wurden häufig in AGs oder GmbHs, die zu 100 Prozent in der öffentlichen Hand waren, umgewandelt. Und dadurch hatten wir eine Struktur, wo die Investoren potente Organisationen waren mit einem professionellen Management, was nach marktwirtschaftlichen Methoden auch investieren konnte." Erzählerin: Millionen flossen in die Sanierung der ostdeutschen Plattenbauten - auch Fördermittel. Außerdem verzichtete die Bundesrepublik als Nachfolgegläubigerin teilweise auf die Rückzahlung ehemaliger Bau-Kredite an die DDR. Bedingung war, dass ein Teil der sanierten Wohnungen verkauft wurde - zu marktüblichen Preisen. Nur wenige Mieter konnten diesen Weg beschreiten. Große Immobilienunternehmen - oft international aufgestellte Aktiengesellschaften - sprangen ein. O-Ton Lilita Baskevica Übersetzerin: "Das ist meine Wohnung." Interviewerin: "Hier sind Sie 1978 eingezogen? Übersetzerin: "Ja, ich bin '78 eingezogen." Interviewerin: Da war das eine Mietwohnung?" Übersetzerin: "Ja, aber jetzt ist privatisch." Sprecher: Lilita Baskevica ist heute 71 Jahre alt. Die Rentnerin lebt seit fast 40 Jahren in dieser Neubausiedlung am Rand von Jelgava. O-Ton Baskevica Übersetzerin: "Zwischen 1995 und 96 begann die Privatisierung. Wir haben diese Wohnung für Zertifikate erworben. Wie viele Zertifikate wir brauchten, weiß ich gar nicht mehr. Damals haben wir zu dritt hier gewohnt - mein Mann, meine Tochter und ich. Davor haben wir weit draußen gelebt, außerhalb der Stadtgrenze." Erzählerin: Von den einst herrschaftlichen Stadtvillen, die das Straßenbild einmal geprägt haben, war am Ende des Zweiten Weltkrieges kaum etwas geblieben. An ihrer Stelle dominieren heute vor allem schmucklose vier- bis fünfgeschossige Würfel aus den 1950er-Jahren. Das Neubaugebiet, in dem Lilita Baskevica lebt, entstand 20 Jahre später. Die Häuser haben mehr Aufgänge und sind zwischen fünf und elf Stockwerken hoch. Die meisten Bewohner waren einmal Mieter - und sind heute Eigentümer ihrer Wohnung. O-Ton Baskevica [blättert in Ordnern, zeigt alte Aufnahmen von ihrem Keller] Übersetzerin: "Sehen Sie selbst, wie das früher hier war. Unser Haus gehörte erst verwaltungsorganisatorisch zur Akademie hier gleich nebenan. Aber da fühlte sich absolut niemand zuständig. Ich war ja damals nicht die Hausälteste hier. Aber als ich gesehen habe, wie das im Keller tropft und läuft und wie das riecht, bin ich nach meiner Arbeit dort hingegangen. Da gab es eine Wirtschaftsabteilung, eine zuständige Person - und da hab ich einfach jeden Tag gesessen! Bis die hier im Haus was gemacht haben. Wenigstens im Keller." Erzählerin: Hinter dieser Nachlässigkeit steckte System, meint Thomas Janicki: O-Ton Janicki: "Den Bewohnern hat man halt gesagt: Ihr seid quasi Eigentümer der Wohnungen und wir, der Staat, wir kümmern uns jetzt um die Verwaltung wie bisher auch schon. Wenn man den Leuten reinen Wein eingeschenkt hätte und gesagt hätte: Ihr seid jetzt finanziell für alles verantwortlich, ihr müsst auch planen - dann hätten viele gesagt: Um Gottes Willen, dann nehme ich die Wohnung gar nicht. Ich weiß ja gar nicht, was ich mir da auflade. Um den Erfolg nicht zu gefährden, hat man de facto die Wohnungsverwaltung so weitergeführt wie bisher auch schon." O-Ton Berzina-Hersel: "Nach der Privatisierung hieß es nicht mehr Miete, sondern Bewirtschaftung. Aber die Preise waren die gleichen. Es hat sich nicht verändert. Weil Miete war fünf Lats, das sind ungefähr zehn Euro. Und die ist geblieben. Obwohl, das ist ja keine Miete. Das ist eine kleine Abgabe, dass meine Wohnung sich in einem großen Haus befindet und dass die Verwaltungsfirma dann einen kleinen Teil für sich nehmen kann und dann das Dach reparieren kann oder sowas." Erzählerin: Ieva Berzina-Hersel studierte gerade in Deutschland Volkswirtschaft, als die Privatisierung jener Wohnung anstand, die sie von ihrer Großmutter übernommen hatte. Immer wieder flog die junge Frau nach Lettland, um die nötigen Papiere zusammenzubringen. An Eigentümerverantwortung dachte sie damals noch nicht. O-Ton Berzina-Hersel: "Nein, damals hatte ich dieses Bewusstsein nicht. Man hat sich gefreut, man hat jetzt ein Eigentum, man hat nur gedacht: Ich kann die Wohnung verkaufen, ich kann die vermieten. An solche Probleme: Wie saniere ich? Was passiert? Ich bin jetzt wirklich für meine Wohnung zuständig, habe ich nicht gedacht, nein." O-Ton Juris Vidzis Übersetzer: "Also vor der Privatisierung wenn das Dach undicht war, ist jemand aus dem Haus zur Stadtverwaltung gegangen und hat gesagt: Bitte reparier' mir mein Dach. Sogar ohne das Bitte: Repariere es!!!" Sprecher: Juris Vidzis, heute 60 Jahre alt, ist seit Ende der '90er-Jahre Hausverwalter in Jelgava O-Ton Juris Vidzis Übersetzer: "Und wenn heute der Eigentümer zur Stadtverwaltung ginge, würde die sagen: Reparier' dein Dach selbst. Und der Mensch denkt dann: Aber ich zahl' doch die ganze Zeit. Wenn ich zahle, muss doch auch alles bezahlt worden sein! Und niemand denkt darüber nach, ob denn diese eingezahlten Mittel überhaupt ausreichen, um alles in Ordnung zu halten." O-Ton Berzina-Hersel: "Wir hatten ganz große Probleme mit der Dämmung. Die Fenster waren sehr alt, weil der Eigentümer, der Staat, hat eigentlich bis zu diesem Privatisierungsprozess nichts gemacht. Es waren ganz große Spalten in den Balkontüren, in den Fensterrahmen. Wenn man den Vorhang zugemacht hat, dann wehte der Vorhang richtig, ja. Und wir haben mit Decken zugemacht hier und mit Watte zugestopft, aber das ging nicht mehr. Ich habe neue Klinken für die Fenster gemacht, damit es vielleicht doch ein bisschen dichter wird, habe Dichtungen selber eingeklebt, aber mit der Zeit, das musste eigentlich alles neu gemacht werden. Die Kommune hat im Prinzip nix investiert in der Zeit." Erzählerin: Was Ieva Berzina-Hersel aus Riga erzählt, lässt sich von Jelgava nicht sagen. Jedenfalls nicht von der Innenstadt. Die ist lebendig und attraktiv; mit dem restaurierten Barockschloss, der neuen geschwungenen Fußgängerbrücke auf die Insel mitten im Fluss. Mit seinen geschäftigen Straßen, dem großen Markt. Auch erste sanierte Wohngebäude sind zu sehen, in die große Mengen EU-Fördermittel geflossen sind. Drum herum aber tragen die meisten Wohnblöcke noch ihr altes schmutziges Einheitsgrau. Aber auch hier sind die Anstrengungen der Eigentümer, ihre Wohnungen zu gestalten, deutlich sichtbar: frisch gestrichene Balkone, aufgearbeitete oder gar neue Fenster. O-Ton Berzina-Hersel: "Natürlich kannst du nicht eine neue Eingangstür einbauen mit einem Codeschlüssel oder ein neues Dach machen oder neues Treppenhaus. Aber das, was man in der Wohnung machen kann, haben wir gemacht. Wir haben gleich neue Fenster reingesetzt und Heizung kannst du auch nicht machen neu. Mit Thermostaten hätte ich gerne auch das gehabt, aber das geht nicht. Zentralheizung heißt bei uns wirklich: Du hast einen Kessel unten und da müssten alle Heizkörper in allen Wohneinheiten umgebaut werden und neu gemacht werden und da brauchst du eine große Absprache mit den Eigentümern und so. Also das ist ganz großes Problem - ich kann für meine Wohnung was entscheiden, ob ich gute Fenster haben will oder nicht, aber im Ganzen, dann ist es ganz schwierig." O-Ton Knut Höller: "Im Ergebnis dieser Privatisierung haben wir eine sehr inhomogene Bewohnerschaft bekommen. Also Leute mit geringem oder gar keinem Einkommen wie zum Beispiel Pensionäre, Arbeitslose, Familien mit Doppelverdiener-Einkommen oder auch Alleinstehende, die nun gezwungen sind, sich gemeinschaftlich über die Belange des Hauses auseinanderzusetzen und auch zu entscheiden, wie mit dem Gemeinschaftseigentum umgegangen werden soll." Sprecher: Knut Höller, Geschäftsführer der Initiative Wohnungswirtschaft Ost, einem gemeinnützigen Verein, zur "Förderung marktwirtschaftlicher Strukturen in der Bau- und Wohnungswirtschaft in Osteuropa": O-Ton Höller: "Vielfach kam es gar nicht dazu, dass diese Entscheidungen gemeinsam gesucht wurden. Jeder dachte im Prinzip an sich, die meisten versuchten ihre Wohnungen erst mal so gut es geht herzurichten und haben auch Veränderungen in den Wohnungen vorgenommen. Üblich war, erst mal die Wohnungen abzuschotten mit Stahltüren um das Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Dann in der Wohnung zu renovieren, so dass sicher manche Eigentümer auch mit ihrer Wohnung sehr zufrieden sind und sehr sehr schöne Wohnungen auch haben innen. Aber sobald man ins Treppenhaus kommt und das Haus von außen sieht, sieht man eben den großen Instandhaltungsstau, der in der Mentalität der Bewohner immer noch vom Staat, oder von der Stadt gerichtet werden sollte." O-Ton Apetjonoks Übersetzer: "Es gab dieses sowjetisch geprägte Denken. Man nimmt an, die werden schon kommen und das in Ordnung bringen, das Gemeinschaftseigentum. Das Bewusstsein ist noch nicht da und es wird auch noch eine Weile dauern, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass das hier nicht irgendwie denen gehört, sondern dass dieses Haus Privateigentum ist. Und dass man sich entsprechend kümmern muss." Erzählerin: Der Rentner Vitalis Apetjonoks stemmt sich in Jelgava seit Jahren gegen altes Denken und hat selbst die Initiative ergriffen. Er ist mit seinen Nachbarn aufs Dach ihres Wohnblocks gestiegen und hat ihnen die schadhaften Stellen gezeigt. Er hat erste Reparaturen auf ihre Kosten durchgesetzt und seit einiger Zeit hängt auch ein Hausreinigungsplan unten neben den Briefkästen. Anstelle des Putztrupps der Verwaltung kümmern sich jetzt alle selbst um ihr Treppenhaus. Das Ergebnis: Es ist viel sauberer als vorher. Nun hofft er, dass sie sich endlich auch auf eine wärmetechnische Sanierung des gesamten Hauses einigen können. O-Ton Baskevica Übersetzerin: "Die Entscheidung ist schon schwer gefallen. Es war ja auch etwas Neues und etwas Neues einzuführen ist immer schwierig. Schließlich ist so eine Sanierung ja auch mit großen Kosten verbunden; da müssen sie die Bewohner erst einmal überzeugen. - Nehmen Sie nur meinen Mann. Mein damaliger Mann. Der war total dagegen. Wenn Du Deine Zustimmung gibst und das unterschreibst, hat er mir gedroht, reich' ich die Scheidung ein!" Sprecher: Die Fachleute haben das Grundproblem längst erkannt. Thomas Janicki: O-Ton Janicki: "Wenn ich 'ne Zwangsgemeinschaft schaffe, die letzten Endes nicht investitionsfähig ist, dann bedeutet das, dass dieser Bestand eigentlich wirtschaftlich nicht fortentwickelt werden kann. Es driftet in prekäre Bereiche 'rein. Wir kriegen einen Riesen-Investitionsstau, und den wird man aus meiner Sicht auch nicht los. Sie kriegen einfach nicht die Entscheidungen hin, Ich brauche ja nur fünf Prozent Alte zu haben, die sagen: Ich sterbe in den nächsten fünf oder zehn Jahren, die Investition sollen meine Kinder machen oder wer auch immer. Ich nicht! So und dann sind sie blockiert." Sprecher: Knut Höller: O-Ton Höller: "Die Privatisierung der Wohnungen ohne die Rahmenbedingungen gleichzeitig mit zu entwickeln, das war kein besonders gutes Geschenk für die Bewohner. Die Bewohner haben eine Menge Probleme damit bekommen. Einige wenige konnten dieses Geschenk gut für sich nutzen und viele andere konnten es gar nicht nutzen, sind Eigentümer und gleichzeitig arm. Sie sitzen auf einem Vermögen, das sie aber nicht nutzen können. Weil wer gibt seine Wohnung auf um sozusagen Geld zu machen? Dann wissen die Leute nicht wo sie hin sollen. Also bleiben sie dort und die Wohnverhältnisse sind nicht besonders gut. Die Wohnungen sind unsaniert, sie verbrauchen sehr viel Energie und zunehmend kommen immer mehr Leute von diesem hohen Energieverbrauch bei gleichzeitig steigenden Energiekosten damit in finanzielle Schwierigkeiten. Also Rentner in Lettland werden Energiekosten haben für ihre Wohnung von 80 Euro und selber‚ ne Rente von 150 Euro. Das heißt, da bleibt kaum noch was zum Leben übrig, der Rest muss für Heizkosten aufgewendet werden." Erzählerin: Jelgava, Helmer Straße 3. Das fünfstöckige Wohnhaus hebt sich deutlich von seiner Umgebung ab. Freundliche helle Pastellfarben, neue Fenster, im Treppenhaus hängt eine moderne Briefkastenanlage, daneben stehen Grünpflanzen. Das fünfgeschossige Haus gehört zu den ersten, die energiesparend saniert wurden. Sieben Jahre liegt das nun zurück. Die Dolmetscherin, die uns durch das Gebiet führt, liest uns die Tafeln vor, die an diesem Haus daran erinnern. Atmo Jelgava, Helmer Straße: "Das ist das Gebäude Helmer Straße und wir sehen hier drei Plaketten. Dort steht, dass eben diese Gebäudesanierung realisiert wurde mit der Unterstützung des deutschen Umweltministeriums, gefördert im Auftrag der KFW und mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Und dieses Gebäude hat die Plakette erhalten: Das energieeffizienteste Gebäude Lettland 2010." Erzählerin: Auch die "Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa" war beteiligt. Geschäftsführer Knut Höller: O-Ton Höller: "Wir als gemeinnütziger Verein haben natürlich keine Mittel, um Häuser in Osteuropa komplex zu sanieren. Gleichwohl versuchen wir, Lösungen zu entwickeln, um diese komplexe Herangehensweise den Bewohnern und lokalen Verantwortlichen in den Städten oder auf Regierungsebene zu vermitteln." Erzählerin: Ein erstes Großprojekt verwirklichten sie bereits kurz nach ihrer Gründung im Jahr 2001 - die Sanierung eines Plattenbaus in Riga. O-Ton Höller: "Wir konnten da als Verein mit einsteigen und Vereinsmitglieder haben die Planung in Lettland durchgeführt und den Sanierungsbedarf ermittelt und die einzelnen Maßnahmen also Fenster, Dämmung der Außenwände, Erneuerung des Heizungssystems, also Umbau des alten Einrohrheizungssystems zu einem Zweirohrheizungssystem mit neuen Heizkörpern und Thermostatventilen und Möglichkeiten, den Heizverbrauch zu messen, geplant und Firmen, die in Berlin auch Sanierungsarbeiten durchgeführt haben, haben dann das Material zur Verfügung gestellt. Der Berliner Senat hat die Planung finanziert und die Ausführung der Arbeiten durch eine lokale lettische Firma. Ich denke, die Sanierung die dann 2001 in den Sommermonaten ohne Auszug der Bewohner durchgeführt wurde, war ein Erfolg, auch wenn es ein Sponsoring-Projekt war. Aber es ging erstmal darum zu zeigen, dass auch diese Häuser energetisch zu sanieren sind. Und dass es möglich ist, 50 Prozent Energie einzusparen durch diese energetische Sanierung. Erzählerin: Geschenkt wird solch eine Sanierung inzwischen niemandem mehr. Ein Teil der Kosten ist von den Bewohnern selbst zu tragen. Und darüber müssen sie sich erst einmal einigen. Lilita Baskevica ist in ihrem Wohnblock von Tür zu Tür gelaufen, hat mit jedem einzeln gesprochen und schließlich alle zusammengebracht. Die Hausälteste wollte sich ganz einfach das Angebot aus Deutschland nicht entgehen lassen und ihre Chance nutzen. O-Ton Baskevica: Übersetzerin: "Es war so, dass der Hausverwalter in unserem Namen den Kredit aufgenommen hat, den wir dann nach der Wohnfläche aufgeteilt haben. Es gab übrigens sehr viele, die gleich die gesamte Summe abbezahlt haben. Mit mir sind es vielleicht noch vier oder fünf Eigentümer, die das Monat für Monat tilgen. Wirklich Probleme hatte keiner. Es gab Ältere, da haben die Kinder den Kredit übernommen." Erzählerin: Im Schnitt knapp 11.000 Euro kostete die Komplettsanierung pro Wohnung. 6.700 Euro mussten die Bewohner selbst aufbringen, der Rest wurde gefördert. Wer für die gesamte Summe einen Bankkredit aufnehmen muss, hat 15 Jahre lang monatlich 55 Euro zu zahlen. Die eingesparten Heizkosten aber betragen über 80 Euro. O-Ton Baskevica Übersetzerin: "Der Hauptpunkt war für mich die Heizung. Also die Heizkosten haben sich um 60 - 70 Prozent verringert. Und wir hatten seit der Sanierung keine großen Reparaturarbeiten mehr im Haus, wie regelmäßig in den Jahren davor. Ja, und wie das in den Treppenhäusern drin aussieht, das ist natürlich mit früher nicht zu vergleichen. Ich bin ganz stolz auf mein Haus. Hier unten auf dem Weg laufen manchmal Leute entlang und ich hab' mal gehört, wie die gesagt haben: Ach was würde ich gern in diesem Haus wohnen." Erzählerin: An diesem Erfolg hat auch das Verwaltungsunternehmen Jelgavas einen großen Anteil; Der Hausverwalter Juris Vidzis ist stolz darauf, was sie im Laufe der letzten zehn Jahre geschafft und wieviel Überzeugungsarbeit sie geleistet haben. Aber er macht sich auch keine Illusionen: Von 420 Wohnhäusern in der Stadt, die sie betreuen, sind gerade einmal 18 Gebäude energetisch saniert. O-Ton Vidzis Übersetzer: "Als erstes haben wir 1998, nachdem wir die Gebäude übernommen hatten, alle Dächer repariert. Wenn es nämlich von oben tropft, geht auch drunter alles kaputt. Als nächstes haben wir begonnen, für jedes Haus die Finanzmittel einzeln zu betrachten. Dann haben wir jedem Haus eine Bescheinigung ausgestellt, in der genau aufgelistet ist, welche Gelder wir in den zurückliegenden anderthalb Jahren bekommen haben - und was dafür geleistet wurde. Wir wollten diese Kosten endlich transparent machen. So haben wir auch begonnen die Bewohner langsam zu erziehen. Dass sie verstehen: Wir können nicht mehr Mittel für ihr Haus verbrauchen, als sie bei uns eingezahlt haben." O-Ton Apetjonoks Übersetzer 2: "Und wenn ich bedenke, dass wir damals für die Instandhaltung des Hauses pro Quadratmeter Wohnfläche um die 16/17 Cent bezahlt haben! Was kann der Verwalter für dieses Geld erledigen? Und dann sind wir zusammengekommen und jetzt zahlen wir 42 Cent pro Quadratmeter Wohnfläche. Instandhaltungskosten." Erzählerin: In Lettland fordert das Gesetz zur Wohngebäudeprivatisierung ähnlich wie in westlichen Staaten: Gehören mehr als die Hälfte der Wohnungen privaten Eigentümern, müssen diese gemeinsam einen Verwalter suchen. Sie müssen konferieren, beraten und sich letztendlich auch darüber einig werden, wie der Zustand ihres Hauses verbessert werden soll und wie das bezahlt werden kann. O-Ton Janicki: "Das Umdenken setzt meines Erachtens immer dann ein, wenn die Leute am Ende ihrer Zahlungsfähigkeit angekommen sind. Wo sich jetzt was tut, ist die Ukraine, weil denen das Wasser am Halse steht. Und die sind von westlichen Krediten abhängig und die westlichen Kreditgeber, die verlangen jetzt Reformen. Aber im Prinzip ist das, was wir hier auch in Ostdeutschland gemacht haben, genau richtig, wir gehen weg von der generellen Tarifsubventionierung und machen jetzt eine gezieltere Subventionierung der Kreise, wo wir der Meinung sind, dass sie sich das alleine nicht leisten können." Erzählerin: Westdeutschland hat Ostdeutschland die Regeln diktiert. Und das wiederholt sich nun auf europäischer Ebene. Natürlich mit Differenzierungen. Letztendlich aber müssen alle postsowjetischen Länder, die Teil der EU wurden, diese marktwirtschaftlich ausgerichteten Regeln übernehmen. Druck von den Geldgebern ist die eine Sache. Wichtig für ein Umsteuern ist aber auch der Austausch. Auf Augenhöhe. Der gelingt im Ostberliner Stadtteil Hellersdorf. Seit 2001 gibt es hier das Kompetenzzentrum Großsiedlungen. Es hat seinen Sitz im einstigen Ausstellungspavillon der EXPO 2000, in dem Berlin vor 17 Jahren sein "Hellersdorf-Projekt" präsentierte: Sanierungsstrategien, mit der hier Tausende von Mietwohnungen energetisch auf den neusten Stand gebracht wurden. Der Stadtteil hat ein neues Gesicht bekommen: Helle freundliche Fassaden, neue Balkone und Loggien, phantasievolle Spielplätze, liebevoll gestaltete Innenhöfe. Das Interesse war von Anfang an riesig; 20.000 Besucher strömten im ersten halben Jahr nach Hellersdorf, die meisten von ihnen aus den einstigen Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Inzwischen kommen sie auch aus Frankreich, Spanien, den nordafrikanischen Staaten. Erfahrungsaustausch und Beratung drehen sich immer wieder um die Verteilung der finanziellen Lasten des Wohnens. O-Ton Janicki: "Also in Deutschland muss nach Wohngeld 25 bis 30 Prozent der Wohnlast von den Bewohnern selbst getragen werden. Und das ist dort nicht der Fall. Beispiel aus der Ukraine, aber in Russland ist es ähnlich - da mutet man den Leuten nur 15 Prozent zu. Und für die ärmeren Kreise, die zahlen sogar nur zehn Prozent. Und das ist natürlich eine Sozialkulisse, die ihren Preis hat." Erzählerin: Das Geld fehlt. Dem Staat, der weniger an Sanierungszuschüssen ausgeben kann. Und den Eigentümern im Haus. Das dann weiter ohne Erhaltung vor sich hin altert - so wie ehedem. O-Ton Janicki: "Es müssen viele Dinge zusammenkommen, um diesen Sanierungsprozess in Gang zu setzen. Preisstabilität, billige Kredite, solider Bankenwettbewerb. Dann muss natürlich ne Sozialunterstützung da sein, die ausreichend ist, und es muss vom Staat das politische Risiko übernommen werden, dass man eben der Bevölkerung, die finanzielle Wohnlasten tragen kann, dass man denen die auch zumutet. Und nicht einfach sagt: Wir zahlen das aus dem Staatssäckel und ihr könnt in die Türkei fahren oder n dicket Auto Euch vor die Tür stellen. Das ist nämlich die Situation in vielen osteuropäischen Ländern." Erzählerin: Eine Situation, die sich viele längst nicht mehr leisten können. So wandte sich Dnepropetrowsk, mit 1,1 Millionen Einwohnern drittgrößte Stadt in der Ukraine, in seiner Not an das reiche Deutschland und stellte einen Antrag auf Hilfe zur Sanierung von Plattenbauten. Der Grund: Zahlungsausfälle bei Heizungs- und Warmwasserkosten von 20 Prozent - und mehr. Die vielen Wohnungseigentümer in der Stadt können ganz einfach die gestiegenen Energiepreise nicht mehr zahlen. Bauingenieur Ralf Protz: O-Ton Protz: "Die meisten Verluste sind in den Leitungsführungen. Die Fernwärmewerke liegen irgendwo, kilometerweit von dem eigentlichen Ort des Verbrauchs entfernt. Und auf dem Weg dorthin gehen 50 Prozent und mehr Wärme schon mal verloren. Im Winter, da blühen teilweise Blumen an den Leitungen." Erzählerin Erschwerend kam hinzu, dass die Betreiber der Fernwärme wegen fehlender Mess- und Zähleinrichtungen ständig Verluste einfuhren und die Bewohner dafür zahlen ließen. O-Ton Protz: "Und man muss auch sagen, durch die Form von Privatisierung von Wirtschaft, sind auch ganz andere Interessenlagen entstanden. Das Energiewerk war plötzlich privat, und die haben natürlich zugesehen, sozusagen Gewinne zu organisieren. Ist doch ganz klar. Und deswegen war für die: billig einkaufen, Verluste auf den Bewohnern überhelfen, wenig Instandhaltung zu haben, die ich selber finanzieren muss. Was Besseres kann mir dann nicht passieren. Also diese merkwürdigen Oligarchenstrukturen befördern ja auch nicht unbedingt die Sanierung im Wohnungsbereich." O-Ton Höller: "Es gibt sehr wenige Beispiele von Komplexsanierung bisher in Osteuropa, sehr wenig Erfahrungen über durchgeführte Komplexsanierung und eben Vergleichszahlen. Und das ist natürlich eine große Belastung, wenn also meine Wohnung für 10.000 Euro saniert werden muss, ich selber Rentner bin mit einer Rente von 150 Euro, dann ist das ohne Hilfe nicht zu stemmen." Erzählerin: In vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks gelten inzwischen Regelungen über die Bildung von Eigentümergemeinschaften und deren Verwaltung. Durchgesetzt werden sie nur schleppend oder gar nicht. In Russland und in der Ukraine beispielsweise wird nach wie vor fast das gesamte Wohnungseigentum staatlich verwaltet. Das heißt im Grunde: Die staatliche Verwaltung ist für alles zuständig, macht nur das Nötigste und hält für alle die Wohnkosten niedrig. Der Einzelne aber ist mit den Problemen ganz auf sich gestellt. Das hat auch der Hausverwalter Juris Vidzis im lettischen Jelgava beobachtet. O-Ton Vidzis Übersetzer 2: "Also es gibt ja noch eine andere Seite. Die ist vielleicht ein wenig unbarmherzig. Wenn jemand dort lebt und der Großteil der Bewohner und der anderen möchte die Umgebung in Ordnung bringen, dann muss derjenige sich fügen. Oder er muss sich nach einem anderen Wohnort umschauen." Erzählerin: Vereinzelung verhindert auch Solidarität. Etwa mit den sozial Schwachen in einem Block. Knut Höller, Geschäftsführer der Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa. O-Ton Höller: "Die Privatisierung wieder rückgängig zu machen denke ich, ist unmöglich. Die Bewohner werden ihre Eigentumswohnungen nicht mehr hergeben. Und der Zustand in vielen Häusern ist leider schlecht und erbärmlich und auch in den 25 Jahren nach der Unabhängigkeit ist in vielen Häusern nichts passiert. Das heißt: Um diese Privatisierung letztendlich erfolgreich irgendwie zum Ende zu bringen, muss man jetzt den Bewohnern helfen, ihre Belange hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums also Dach, Außenwände, Fenster, Heizungsanlage zu regeln. Und ihnen entsprechende Angebote machen." Erzählerin Auch darüber hinaus bleibt noch sehr viel zu tun. O-Ton Berzina-Hersel: "Wenn ich in meine Wohnung reingehe, freue ich mich, dass sie hell ist und die ist relativ warm, weil da kein Durchzug mehr ist. Aber es ist auch ein bisschen Traurigkeit da, weil ich merke, auch die Mentalität, die hat sich nicht verändert. Mein Briefkasten wird noch immer aufgebrochen und die Menschen grüßen nicht, die sind relativ laut, es ist dunkel und stinkig und der Aufzug ist genauso unangenehm einzusteigen, da gehe ich lieber die vier Etagen zu Fuß. Es ist ein bisschen traurig, ja." Absage: Wohnungen in Volkes Hand Osteuropäische Großsiedlungen nach der Wende Ein Dossier von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Es sprachen: Isis Krüger, Ernst-August Schepmann, Bernd Reheuser, Ilse Strambowski und Richard Hucke Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Angelika Brochhaus Redaktion und Regie: Birgit Morgenrath Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2017 1