COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise v «...7-8-9-10 Klasse!» - Das Sparwasser-Tor vor 40 Jahren Ein ?Nachspiel? für Deutschlandradio Kultur am 22. Juni 2014 von Frank Ulbricht Auszug aus Reportage von DDR-Radioreporter Wolfgang Hempel: ?Die BRD kommt auf der linken Seite. Auch da ist Tempo drin, Tempo durch Breitner. Breitner am Strafraum, abgegeben auf Müller und dann kommt der Schuss des Bayernverteidigers.? O-Ton Paul Breitner: ?Es hat für uns überhaupt nichts anderes bedeutet, als hätten wir gegen Frankreich, gegen Italien oder sonst jemand gespielt. Die DDR war nicht mein Bruderland.? Auszug aus Reportage von ARD-Radioreporter Heribert Fassbender: ?Einwurf für die in blau und weiß spielende Elf der DDR. Wätzlich zu Lauck, ganz frei steht Kreische, fünf Meter vor dem Tor.? O-Ton Hansi Kreische: Auch wenn ich diese Chance vergeben hab, allein die Tatsache den Leuten damals zu zeigen, dass wir eigentlich ebenbürtig sind, das war für mich damals das Nonplusultra, das war so.? ->Regie: Unter Sprechertext Eröffnungsmusik der WM - ?WM-Fanfare?- legen 1. Sprecher: Rückblende, ein halbes Jahr zuvor: Samstag der 5. Januar 1974. Im ersten Deutschen Fernsehen läuft um 21 Uhr die Auslosung zur Fußball-Weltmeisterschaft. Die ganze Welt guckt zu. Ein elfjähriger Junge darf die Lose ziehen. Um 21.23 Uhr hat er Geschichte geschrieben. Der Gastgeber, die Bundesrepublik, muss gegen Australien, Chile und ausgerechnet die DDR antreten. Dort im Arbeiter und Bauernstaat sind viele über die Auslosung wenig erfreut, man befürchtet ein Debakel. Allen voran der machtgewaltige SED-Sportfunktionär Manfred Ewald. Er möchte die Mannschaft am liebsten von der Weltmeisterschaft zurückziehen. ->Regie: Lied ?Fußball ist unser Leben einblenden? Während die bundesdeutsche Elf ihr WM-Lied einsingt, feiert die «Bild-Zeitung» nach der Auslosung: ?Jetzt werden wir Weltmeister?. Das «Neue Deutschland» vermeldet förmlich: ?DDR-Nationalmannschaft - In der WM-Endrundengruppe 1?. Deren Trainer, Georg Buschner, bleibt nach der Losentscheidung gelassen. Er weiß wie viel Potential in seiner Mannschaft steckt. Der DDR-Fußball erlebt gerade seine beste Zeit. Im Mai 1974 gewinnt der 1. FC Magdeburg den Europapokal gegen den AC Mailand. -> Regie: Atmo EC-Endspiel Magdeburg Mailand einblenden Ein gewisser Jürgen Sparwasser gehört zur siegreichen Elf. Bei den Olympischen Spielen in München 1972 gewinnt die DDR Bronze. Die Erfolge der Nationalmannschaft sind kein Zufall. Hans- Jürgen Kreische, genannt Hansi, DDR-Fußballer des Jahres 1973 und WM-Teilnehmer. 2. O-Ton Hansi Kreische: ?Georg Buschner hat 1970 die Aufgabe übernommen Nationaltrainer zu sein. Und hat dann natürlich auch vieles verändert und eine Mannschaft aufgebaut, die also auch perspektivisch her zusammengepasst hat. Vom Alter her, vom fußballerischen her sowieso. Und deshalb war die Mannschaft gewachsen. Sie war sicherlich noch nicht am Ende, denn 1976 wurde man dann ja Olympiasieger, aber grundsätzlich hat man sich ja super verstanden. Es gab keine Grüppchenbildung oder irgendwelche Einzelgänger, sondern es war eine verschworene Truppe. Und das war ein Grundsatz, wo man eben Erfolg haben musste.? 2. Sprecher: Wie die DDR - Mannschaft, bereitet sich auch die Stasi akribisch auf das WM-Turnier vor. MfS-Chef Mielke beschließt dafür die Aktion «Leder». Dahinter steck zum einem die Überwachung des National-Teams. Die Spitzel interessieren sich besonders für deren Westverwandtschaft. In den Stasi-Akten finden sich dazu zahlreiche Vermerke, etwa unter der Überschrift: 1. Zitator: ?Politisch-operative relevante Fakten zu einzelnen Personen? 3. Sprecher Der Inhalt ist jedoch meist banal. Über einen Spieler von Carl Zeiß Jena, der Name ist geschwärzt, heißt es: 2. Zitator: ?Die Ehefrau unterhält zu ihren Verwandten 2. Grades in der BRD postalischen Kontakt.? ->Regie: WM-Lied Frank Schöbel: ?Freunde gibt es überall, auf der ganzen Welt? einblenden 4. Sprecher: ?Freunde gibt es überall, auf der ganzen Welt?, wird DDR-Schlagerstar Frank Schöbel bei der WM-Eröffnungsfeier im Frankfurter Waldstadion singen. Schöbels Motto bleibt für die meisten Ostdeutschen jedoch reine Illusion. Schon Freundschaftsbesuche in die Bundesrepublik sind seit dem Mauerbau nahezu unmöglich. Immerhin beschließt die SED-Führung, dass zu jedem Spiel der DDR- Mannschaft 1.500 so genannte Touristen in den Westen reisen dürfen. Das Interesse an der WM ist eigentlich viel größer. Doch Ost-Berlin erlaubt nur ausgewählten Bürgen die Fahrt in die Bundesrepublik. Selbst bei diesen hat man Angst, dass sie nicht zurückkehren. Durch Mielkes Aktion «Leder», sollen daher auch potentielle Reisekandidaten kontrolliert und später überwacht werden. Hanns Leske hat umfangreich dazu geforscht. Seine Dissertation schrieb er über den DDR-Fußball. 2. O-Ton Hanns Leske (0:37): ?Die Mitglieder der Touristendelegation wurden operativ durchleuchtet. Es wurde geprüft, einmal SED-Mitgliedschaft, es wurde geprüft die Frage von Westkontakten, die Frage der Bewährung im gesellschaftlichen Leben. Und ein ganz wichtiges Kriterium war natürlich zum Schluss, dass immer nur eine Person fahren durfte, also nicht Ehepaare. Klar, weil da die Gefahr ist, dass beide sich absetzen. Die Frage der Kenntnis vom Fußball stand nicht so im Vordergrund. Und bei der WM oder auch später bei den Europapokalspielen ist bekannt, dass ein Großteil der Anhänger im Prinzip zum ersten oder zum zweiten Mal überhaupt ein Fußballspiel gesehen haben.? ->Regie: Unter Sprechertext Atmo vorbeifahrender D-Zug 5. Sprecher: Unter den 1500 Touristen die am 22. Juni nach Hamburg zum deutsch-deutschen Spiel reisen, ist auch Heinz Werner. Der damals 39-Jähirge wird von den so genannten Schlachtenbummlern erkannt. Werner arbeitet zu dieser Zeit als Trainer von Hansa Rostock, später coacht er viele Jahre Union Berlin. Er ist sauer. Zwei seiner Spieler, Joachim Streich und Gerd Kische, sind im Kader, aber er darf nicht zur WM. 3. O-Ton Heinz Werner (0:41): ?Wir hatten also die Orientierung, dass kein Cheftrainer der DDR zu den Spielen fährt. Darüber waren wir alle eigentlich ein wenig erbost. Und ich habe also den Versuch dann unternommen, am Fußballverband vor bei, Wege zu gehen, ob es doch möglich ist dahinzufahren. Und habe das dort über die Parteiführung in Rostock gemacht. Und habe gesagt, jetzt haben wir die Weltmeisterschaft hier in Deutschland und wir können nicht einmal hospitieren, Spielbeobachtungen machen. Eine bessere Lernphase können wir eigentlich gar nicht haben. Und das muss so aufgenommen worden sein, jedenfalls kriegte ich dann den Bescheid, ja du fährst.? ->Regie: Unter Sprechertext Stadt-Atmo Hamburg- Hafen und Fischmarkt 6. Sprecher: In Hamburg steht vor dem Fußballspiel eine Stadtbesichtigung auf dem Programm. Neben einer Hafenrundfahrt ist ein Halt an der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte eingeplant. Um die Besucher aus dem Osten kümmert sich auch Wolfgang Gehrcke. 1974 ist er in Hamburg Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei, kurz DKP. Die Partei wird bis 1989 mit Millionen-Spenden von der SED unterstützt. Gehrcke kennt Erich Honecker persönlich. Der habe ihm aber keine Vorgaben für das Programm gemacht. Der Politiker sitzt heute für die Linke im Bundestag. Der 70-Jährige erinnert sich noch gut daran, wie er die Besucher empfangen hat. 4. O-Ton Wolfgang Gehrcke (0:34): ?Heiße sie herzlich willkommen in dieser Stadt Hamburg. Und sie wissen, dass aus dieser Stadt auch Ernst Thälmann stammte. Da fahren wir auch gleich mal zu seinem Wohnhaus hin. Und es kann sein, dass ein größerer Teil gesagt hat, so, das nehmen wir mit in kauf. Das ist eben im Programm vorgesehen. Ein Teil wird sich möglicherwiese auch verwundert haben, oh, das ist ja hier wie bei uns. Und wenn ich das richtig erinnere, hat die DDR-Sportleitung die da mit war, uns ein paar Eintrittskarten für das Spiel geschenkt. Ich selber war gar nicht da. Ich habe gesagt, schenk das anderen, die sich wirklich für Fußball interessieren.? 7. Sprecher: Die Touristen erlebt Wolfgang Gehrcke in einer Ausnahmesituation. 5. O-Ton Wolfgang Gehrcke (0:34): ?Die waren alle völlig aufgeregt. Erst einmal in den Westen, dann nach Hamburg, Hamburg hatte ja als Stadt schon immer einen besonderen Ruf gehabt. Und dann dieses Fußballspiel. Das war das Eintauchen in eine andere Welt. Und, das kann ich aber authentisch sagen, ich habe keinen getroffen, der nicht wollte, dass seine DDR-Mannschaft hier gewinnt und es den Großen mal zeigt. Und nachdem das Ergebnis klar war, 1:0, Sparwasser-Tor, waren die sowas an glücklich, so eins mit ihrem Staat waren die wahrscheinlich schon lange nicht mehr wie nach diesem Spiel.? 8. Sprecher: Bevor die beiden deutschen Mannschaften aufeinander treffen, müssen zunächst die Spiele gegen Chile und Australien bestritten werden. Nach dem Sturz des chilenischen Präsidenten Allende durch General Pinochet 1973, stehen besonders die Begegnungen gegen die Südamerikaner im Fokus. Die bundesdeutsche Mannschaft muss 1974 zuerst gegen Chile antreten. Das einzige Tor im Berliner Olympiastadion erzielt Paul Breitner. Der Bayernspieler ist bei der WM 21. Er gilt als unangepasst und kokettiert mit linken Idolen, wie Mao und Che Guevara. 6. O-Ton Paul Breitner (0:26): ?Ich muss gestehen, mich hat damals, all das was in Südamerika passiert ist, viel mehr interessiert. Als das, was in der DDR passiert ist, oder nicht passiert ist. Da ist ja für uns nichts passiert. Für einen jungen Menschen, der sich ein bisschen interessiert hat, war das langweilig sich mit der DDR zu beschäftigen. Aber, anders war es mit Südamerika. Also, das war für jemanden wie mich, viel, viel interessanter.? 9. Sprecher: Nach dem Auftaktsieg über Australien spielt auch die DDR-Elf gegen Chile. Das Match gegen die Südamerikaner in West-Berlin bereitet der SED-Führung bereits vor der Weltmeisterschaft ordentlich Kopfzerbrechen. Soll man, wie die Sowjetunion, nicht gegen Chile antreten? Und wie geht man mit dem Spielort West-Berlin um? Die Stadt ist für die DDR kein Teil der Bundesrepublik, also auch kein legitimier Austragungsort für ein WM-Spiel. Der Deutsche Fußball Bund hatte das Berliner Olympiastadion ursprünglich nicht auf der Liste, doch der Berliner Senat drängte darauf. Sporthistoriker Hanns Leske. 7. O-Ton Hanns Leske (0:37): ?Die DDR war natürlich in einem Dilemma. Gerade unter dem Aspekt, sich nun zum ersten Mal qualifiziert zu haben. Und sie haben das Problem auch relativ pragmatisch gelöst. Mit dem Spielstandort West-Berlin sind sie davon ausgegangen und haben es begründet, im internationalen Sportverkehr ist es üblich, dass West-Berliner Sportler vertreten werden durch den Sportbund und das NOK der BRD. Das war der Punkt West-Berlin. Und mit Chile stand sie in der Tat vor der Frage: sollen wir deshalb nicht antreten? Und man hat dann zu der Parole gefunden, wer sich für eine Weltmeisterschaft qualifiziert, muss auch die Spielregeln akzeptieren. Und damit war das Thema gegessen.? 10. Sprecher: Neben dem Training erhalten die DDR-Fußballer regelmäßig Polit-Schulungen. Unter Nationaltrainer Georg Buschner kommt das weniger vor, so Hansi Kreische. Bei seinem Verein Dynamo Dresden ist die so genannte «Rotlichtbestrahlung» viel intensiver. Kreische gilt, wie Paul Breitner im Westen, als unbequem und als Fußballer mit eigner Meinung. Im Gegensatz zu den politischen Offiziellen hat er mit Chile und dem Spielort West-Berlin kein Problem, im Gegenteil. 8. O-Ton Hansi Kreische(0:28): ?Sicherlich hat man das alles registriert was in Chile passiert, nur es hat uns nicht in dem Maße beschäftigt das man gedacht hat, oh Gott, jetzt spielen wir in West-Berlin ausgerechnet noch gegen Chile. Dieses Spiel wurde von uns auch rein sportlich gesehen. Das sich das so ergeben hat war doch eigentlich eine schöne Sache. Wer wollte nicht endlich auch mal im Olympiastadion spielen, in West-Berlin? Deshalb, uns Spieler, also überwiegend, hat Politik null interessiert. Weil, mit Politik gewinnst Du kein Spiel.? ->Regie: Stadion-Atmo unter Text 11. Sprecher: Die Partie in Berlin endet 1:1. Beide deutschen Mannschaften gewinnen ihre Begegnungen gegen Australien. Doch die Stimmung in der bundesdeutschen Elf von Trainer Helmut Schön ist schlecht. Das Team spielt nur mäßig und streitet im Mannschaftsquartier, im holsteinischen Malente, über Siegprämien. Die DDR-Auswahl wohnt in der Nähe von Hamburg, im «Sporthotel Quickborn». Pächter ist damals der Niederländer Theo Rebergen. Sein Hotel schlägt er 1973 beim DFB als WM-Quartier vor. Der damals 30jährige träumt von den Brasilianern und bekommt die Ostdeutschen. Mit DDR-Funktionären trifft Rebergen (zuvor) eine Abmachung. Während der WM soll das Hotel für Stammgäste geöffnet bleiben. Am Anreisetag wird die DDR-Mannschaft von einer kleinen Delegation, darunter HSV-Legende Uwe Seeler, einem DFB-Funktionär und über 50 Journalisten empfangen. Dieser Trubel ist den ostdeutschen Offiziellen allerdings zu viel, sie wollen das Quartier komplett abriegeln. Doch Hotel-Manager Theo Rebergen weigert sich. 9. O-Ton Theo Rebergen (0:30): ?Dann sagten die, ok dann fliegen wir zurück nach Ost-Berlin und werden von Ost-Berlin aus zu den Spielen anreisen. Da zog es mir die Füße weg, natürlich. Aber dann stieß Uwe Seeler mich an und sagte, dass ist gegen die FIFA-Regeln, dass dürfen die nicht. Dann ist der DFB-Mann mit denen in den Bus gegangen und plötzlich nach fünf Minuten kamen sie alle aus dem Bus und checkten ein. Da war dann alles geregelt.? 12. Sprecher: Zwischen Theo Rebergen und der Mannschaft entwickelt sich schnell ein freundschaftliches Verhältnis. Dabei hilft, dass der Hotel-Manger kein Westdeutscher sondern Niederländer ist. Als zwei Spieler verletzt sind, soll er sogar beim Training aushelfen. 11. O-Ton Theo Rebergen (0:22): ?Die hatten nur 20 Spieler und da wollten sie doch mal elf gegen elf Spielen. Und dann wurde ich eingeladen, Chef, Du musst mitspielen. Damals habe ich das ganz normal empfunden. Erst nachher, wenn man darüber nachdachte, war das doch wohl etwas Besonderes. Und sie wurden dann so entspannt, dass sie mich Kamerad Theo nannten.? ->Regie: Atmo ?Zeitungen werden gedruckt? unter Text legen 13. Sprecher: Am 22. Juni, dem Tag des großen Spiels, schaltet die «Bild-Zeitung» auf Angriff. ?Warum wir heute gewinnen? steht fett gedruckt auf Seite eins. Und damit sind nicht die Deutschen aus der DDR gemeint. Das «Neue Deutschland» formuliert ganz nüchtern: ?DDR bestreitet heute ihr Vorrundenspiel gegen die BRD?. In der ostdeutschen Presse wird ein Name möglichst nicht erwähnt, der von Bundestrainer Helmut Schön. In der DDR zählt er als unerwünschte Person. Vor dem deutsch-deutschen WM-Duell schlägt der Bundestrainer eher leise Töne an, die lauten überlässt er dem Boulevard. Auch viele DFB-Offizielle fordern gegen die DDR einen klaren Sieg. Paul Breitner, heute Scout für den FC Bayern 12. O-Ton Paul Breitner (0:43): ?Helmut Schön war, wie soll ich jetzt sagen, weise genug, um diese, von vielen gesehene politische Bedeutung dieses Spiels nicht zu dramatisieren. Er hat uns natürlich erzählt, wen er jetzt treffen könnte, aus seinen früheren aktiven Zeiten. Wer irgendwo als Funktionär, als Betreuer im Spiel mit dabei ist und das er sich freut. Aber ansonsten war er derjenige, der am wenigsten Hokuspokus um dieses Spiel gemacht hat, einige andere ja. Die eben gemeint haben, sie müssten da einige Reden schwingen, um uns die Bedeutung dieses Bruderkampfes zu verdeutlichen. Wir haben gesagt, komm schleich dich mit dem Schmarrn, was willst Du denn.? 14. Sprecher Auch DDR-Trainer Georg Buschner erspart seiner Mannschaft in der Kabine die politischen Floskeln. Das Team ist hochmotiviert und will allen zeigen, dass auch im Osten guter Fußball gespielt wird. Ganz besonders auch den eigenen Landsleuten. Die interessieren sich zwar für Dynamo Dresden oder den 1. FC Magdeburg, aber kaum für die Nationalmannschaft. Das viele Ostdeutsche mit der bundesdeutschen Elf sympathisieren, ist ein offenes Geheimnis. Rein sportlich hat die Begegnung nur noch wenig Bedeutung. Nach dem Unentschieden zwischen Australien und Chile sind beide deutsche Mannschaften schon eine Runde weiter. Für die DDR-Spieler ist das ein Vorteil. Hansi Kreische, heute arbeitet er für RB Leipzig. 13. O-Ton Hansi Kreische (0:35): ?Das es dann zum 1:0 gereicht hat, das hat auch sicherlich die Ursache gehabt, dass wir zu dem Zeitpunkt also relativ befreit in das Spiel gehen konnten, weil wir für die zweite Finalrunde qualifiziert waren. Und wir, wenn ich mich recht erinnere, ins Stadion gefahren sind, vor dem Spiel, wir im Bus gesungen haben. Weil, damit waren ja auch ein paar Ostmark verbunden, dass man sich für die zweite Runde qualifiziert hat. Und es hat doch in dem Spiel auch jeder versucht, das letzte aus sich rauszuholen, um eben zu gewinnen. Anders ist das doch auch nicht möglich gewesen. Da müssen wir doch auch mal ehrlich sein, dass die individuell sicherlich besser besetzt waren, das muss man ja mal sagen.? ->Regie: Atmo Stadio ?DDR-Rufe? einblenden 15. Sprecher Nach der Stadtbesichtigung treffen die 1.500 DDR-Touristen pünktlich im Hamburger Volksparstadion ein. Heinz Werner, der Rostocker Oberliga-Trainer, ist auch darunter. Seinem Vereins-Spieler Joachim Streich will Werner unbedingt eine motivierende Nachricht überbringen. Wegen guter Leistungen bei Hansa Rostock kann Streich ein neues Auto -Marke Wartburg- kaufen, nach nur vier Jahren. Im Schnitt warten DDR-Bürger 15 Jahre auf einen neuen Wagen. 14. O-Ton Heinz Werner (0:30): ?So bin ich dann dort im Volksparstadion die Treppen runter gewankelt dort, bis an den Zaun, weiter kam ich ja nicht. Durch den Zaun habe ich dann immer gerufen, Achim, Achim. Und er hat dann auch geguckt, hier ich hab etwas für Sie. Lesen Sie, es ist ein Auto. Und er jaja. Ja, ich schmunzle heute natürlich auch darüber, über so eine Begegnung. Aber das war eben halt so. Und ich habe mir damals eingebildet, ich würde ihm damit eine große Freude machen.? ->Regie: Auszug Reportage Heribert Fassbender (Zuschauer singen:) 7-8-9-10-Klasse! (Dazu Fassbender:) ?Jetzt ein weiteres Zitat aus dem DDR-Schlachtenbummler-Schatz: 7-8-9-10-Klasse!? 16. Sprecher: 7- 8- 9- 10-Klasse! Der offizielle Schlachtruf der DDR-Fans ist unter den 60.000 im Stadion immer wieder deutlich zu hören. Besonders gut für den westdeutschen Radio-Reporter Heribert Fassbender. Die Touristen sitzen direkt unter ihm. 1974 ist Fassbender 33 und kommentiert das Spiel ganz allein. Später moderiert er viele Jahre die ARD-Sportschau. Das Prestige-Duell ist für den jungen Reporter auch sprachlich eine Herausforderung. 15. -Ton Heribert Fassbender (0:40): ?Damals hat es sogar extra eine Programmdirektorenkonferenz gegeben über dieses Spiel, weil das natürlich im Vorfeld eine ganze Menge Wellen geschlagen hatte. Natürlich hat man sich überlegt, was sagst Du denn? Deutsche Nationalmannschaft kam natürlich aus Verwechslungsgründen nicht in Betracht. Aber da hat man sich sehr schnell geholfen. Die DDR-Auswahl und die bundesdeutsche Mannschaft. Es war etwas besonders, zweifellos, aber es gab auch keinerlei Vorgaben. Sondern man hat mir das Spiel anvertraut und hat gesagt, der Junge macht das schon. Also es gab keinerlei Sprachreglung.? 17. Sprecher: Die Radio-Reporter der DDR, Wolfgang Hempel und Werner Ebrhardt, sowie Heinz Florian Oertel für das Fernsehen, sprechen von ?unserer Elf?, oder der ?DDR-Mannschaft?. Als eine ?deutsche Mannschaft? wird das in blau-weiß spielende Team in den DDR-Medien nie bezeichnet. Im Hamburger Volksparkstadion steht es lange 0:0, für die meisten Zuschauer eine Überraschung. Der Sieg für Franz Beckenbauer und Co. schien reine Formsache, auch für Reporter Heribert Fassbender. Doch das Spiel ist ausgeglichen, auf beiden Seiten gibt es nur wenige Chancen. Dann, in der berühmtesten 78. Minute der deutschen Fußball-Geschichte passiert es. Um 21:03 Uhr erschüttert ein Schuss die Bundesrepublik. ->Regie: Auszug Reportage Heribert Fassbender ?Hamann, der Auswechselspieler von Vorwärts Ost-Berlin hat die Mittellinie überdribbelt. Sieht sich jetzt Beckenbauer gegenüber, zieht es vor, steil zu spielen, schöne Aktion, Schussmöglichkeit und Tor.? 18. Sprecher: ?So nicht Herr Schön? titelt die «Bild-Zeitung» nach der Niederlage. Das «Neue Deutschland» ganz ohne Emotionen: ?DDR ist Gruppensieger nach dem 1:0 gegen die BRD?. Im DDR-Mannschaftsquartier in Quickborn holt Hotel-Manager Theo Rebergen alles aus den Kühlschränken was trinkbar ist, natürlich auch den extra mitgebrachten Rotkäppchen-Sekt. Ungewollt hat die DDR der Bundesrepublik Bruderhilfe geleistet. Die Ostdeutschen müssen als Gruppensieger gegen Brasilien, Argentinien und die Niederlande ran. Einen Punkt, beim Unentschieden gegen Argentinien erkämpft man noch, dann ist für die DDR-Mannschaft die WM vorbei. In der Endabrechnung springt der sechste Platz heraus. Hansi Kreische gewinnt dennoch etwas. Im Flugzeug geht er mit seinem Nebenmann eine Wette ein. Die Bundesrepublik wird nicht Weltmeister, behauptet der unbekannte Fluggast, Kreische hält dagegen. Mit wem er da eigentlich wettet, weiß der Dresdner nicht. Das erfährt der Mittelfeldspieler erst nach der Weltmeisterschaft. 18.-Ton Hansi Kreische (0:31): ?14 Tage später, als die WM gelaufen war, BRD wurde Weltmeister, wurde ich zum Clubvorsitzenden in Dresden vom Trainingsplatz weggerufen. Auf dem Tisch stand ein Karton, mit einem Brief versehen, bzw. mit fünf Flaschen Whisky. Mit den Glückwünschen für den Gewinn der Wette. Der Absender war der damalige Finanzminister, der Hans Apel. Und mit dem Beisatz, der mir also viel geschadet hat; hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder.? 19. Sprecher: Apels Schlussworte ?hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder? deutet die Stasi als Aufforderung zur Flucht, so die Lesart von Hansi Kreische. Obwohl er 1976 noch einmal Torschützenkönig in der Oberliga wird, darf Hansi Kreische nicht zu den Olympischen Spielen nach Montreal reisen. Bis zum Ende der DDR kommt es nie wieder zu einem deutsch-deutschen Länderspiel. Im September 1990, wenige Tage vor der Wiedervereinigung, spielt zum letzten Mal eine DDR-Fußballnationalmannschaft. Das Team verabschiedet sich mit einem 2:0-Sieg gegen Belgien. Beide Treffer erzielt Matthias Sammer. 1