Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62100 Organisationseinheit: 46 Reihe : Forschung und Gesellschaft Titel : Die Kork-Krise als Chance für die Umwelt. Neue Techniken bremsen den Siegeszug künstlicher Korken Autor : Ulf Lüdeke Redakteurin : Kim Kindermann / Anne Françoise Weber Sendung : 25.07.2013 / 19:30 Uhr Regie : Klaus-Michael Klingsporn Besetzung : Sprecherin: Eva Kryll Sprecher: Tonio Arango, Markus Hoffmann, Erwin Schastok Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Atmo 1 - Korkeichenwald Sprecherin: Leuchtend und finster zugleich wirken Korkeichenwälder, still und urwüchsig. Dunkel lösen sich aus sattem Grün knorrige Stämme und Äste, braun wie Bären, grau wie Wölfe. Und selbst wenn die kräftige Sonne des Mittelmeers im Sommer hinter einer Wolke kurz verschwindet, meint man Fratzen und Kobolde in dem verschlungenen Wuchs erkennen zu können. Sprecher: Die Welt des Korks ist wie ein Märchen. Sie steckt voll unglaublicher Superlative - und voll fataler Irrtümer. Der größte ist, dass Quercus suber, die Korkeiche, ihr Leben lassen muss, damit wir an den begehrten Rohstoff gelangen. Atmo 2 - Ernte: Sprecher: Spätestens eine Stunde vor Sonnenaufgang beginnen Korkschnitter in Sardinien im Sommer mit der Ernte. Wegen der großen Hitze, die in den Bergen der Gallura im Nordosten der Insel herrscht, arbeiten sie nur vormittags. Behutsam spalten die Männer in einem Korkeichenwald bei Calangianus mit Äxten die Rinde mannshoch längs an zwei Seiten des Stamms. Eine weitere kreisförmige Kerbe unter der ersten Astgabel genügt, und nach wenigen Minuten bricht die Rinde unter dem Druck der Axt in zwei großen Hälften vom Stamm. Geerntet wird nur von Mai bis August, wenn der Baum weniger Wasser führt und der abgestorbene Teil der Rinde sich von der empfindlichen Wachstumsschicht leicht trennen lässt, ohne sie zu verletzen. Sprecherin: Kork ist ein extrem vielseitiger Rohstoff. Ein Kubikzentimeter besteht aus 40 Millionen mit Luft gefüllten, abgestorbenen Zellen, die leicht, wasser- und gasfest sind, elastisch und schwer entflammbar. Sprecher: In Italien kennt sich keiner so gut mit der Biologie von Quercus suber aus wie Agostino Pintus, Direktor der Korkforschungsanstalt AGRIS in Tempio, dem Zentrum der Gallura. O-Ton 1, Pintus: Kork ist ein Rohstoff wie Holz - mit dem entscheidenden Vorteil, dass beim Ernten die Korkeiche nicht gefällt wird, sondern intakt stehen bleibt. Allein diese Tatsache erfüllt schon zu einem guten Teil das Kriterium der Nachhaltigkeit. Denn auf diese Art wird ein nachwachsender Rohstoff von hohem industriellen Wert produziert, ohne dass die Quelle ersetzt werden muss. Atmo 3 - Vögel vor AGRIS-Institut Sprecherin: Dass Italiens Korkexperten an diesem idyllischen Ort in Sardinien zu finden sind, ist kein Zufall. 90 Prozent der Korkeichenwälder des Landes stehen auf dieser Insel, allein 80 Prozent davon in der Gallura. Die immergrünen Korkeichenwälder, die es nur im Mittelmeerraum gibt, existieren seit 60 Millionen Jahren. Sie sind damit eine der ältesten Kulturlandschaften Europas. An kaum einem anderen Ort der Erde ist die Biodiversität größer als hier. Bis zu 25.000 verschiedene Pflanzen- und Tierspezies leben in diesem Wald, 13.000 davon endemisch. Lediglich im tropischen Regenwald der Anden finden sich noch mehr. Korkeichen sind perfekt ans Klima angepasst, trotzen Feuer, wirken Erosion und Versteppung entgegen. Sprecher: Die Phönizier gelten als die Ersten, die vor rund 2500 Jahren Weinkrüge mit Kork versiegelten. Als sich Mitte des 18. Jahrhunderts Glasflaschen zur Weinkonservierung durchsetzten, wurde Kork endgültig zum klassischen Weinverschluss. Sein Monopol blühte fast 250 Jahre. Doch dann, um den Millenniumswechsel herum, stürzten Plastik, Silikon und Aluminium den Kork in eine schwere Krise. Wofür es mehrere Gründe gibt, sagt Agostino Pintus. O-Ton 2, Pintus Einer war, dass wir natürlich zugeben müssen, dass der Naturkork den Winzern hin und wieder Probleme mit dem so genannten Korkton bereitet. Und es wundert kaum, dass zuerst vor allem angelsächsische Winzer auf Alternativverschlüsse umstiegen - junge Weinbetriebe in Ländern also, die im Gegensatz zum alten Europa über keine lange Weintradition verfügten. Als nächstes kam dann die globale Finanzkrise hinzu. Und auch die Einführung des Euros trug ihren Teil dazu bei, dass die Weinexporte in Länder außerhalb der Euro-Zone zurückgegangen sind - und damit die Korknachfrage. Atmo 3 - Vögel vor AGRIS-Institut kurz hochziehen Sprecherin: Lange spielten die künstlichen Stopfen, die es seit den 80er Jahren gibt, keine größere Rolle für die Korkindustrie, deren Gesamt-Jahresumsatz auf zwei Milliarden Dollar geschätzt wird. Doch aufgrund von Qualitätsproblemen und Finanzkrise verlor sie satte 30 Prozent im Marktsegment der Flaschenverschlüsse - dem wichtigsten Produkt der Branche. Denn zwei Drittel der 300.000 Tonnen Rohkork, die jährlich zwischen Portugal und der Türkei geerntet werden, landen als Verschluss in einer Weinflasche. Und auch die meisten der 100.000 Menschen, die dieser Industriezweig inklusive Saisonarbeitern jährlich beschäftigt, arbeiten in diesem Bereich. Das übrige Drittel Rohkork wird zu Dämmstoffen für die Bauindustrie, zu Korkpulver für Linoleum oder in der Schuhindustrie verarbeitet. Sprecher: Die Korkpreise kollabierten in Folge der Krise. Zahlten Produzenten für einen Doppelzentner guten Rohkorks noch in den 90er Jahren bis zu 1000 Euro, ist es heute mit 300 Euro nicht mal mehr ein Drittel davon. Viele Kleinbetriebe mussten schließen. Als dann noch die ersten Korkeichenwälder verwilderten oder gerodet wurden, schlug der World Wildlife Fund Alarm. Mit dem Forrest Stewardship Council - kurz FSC, der größten internationalen Organisation für nachhaltige Forstwirtschaft - starteten die Umweltschützer im Jahr 2004 ein Zertifizierungs-Programm für Korkeichenwälder. Um das begehrte Gütesiegel zu erhalten, müssen die Betreiber einen strengen ökologischen Wirtschaftsplan einhalten. Sie sollen alte Bäume durch junge ersetzen und neue Waldflächen ausweisen und dürfen weder Pflanzenschutzmittel noch Insektizide einsetzen. O-Ton 3, Pintus Eine schlechte Bewirtschaftung kann sich negativ auf die Qualität des Korks auswirken, kann dazu führen, dass der Wald verkümmert, was zum Beispiel wiederum seine Widerstandfähigkeit gegen Feuer herabsetzt. Dass so etwas nicht passiert, dafür soll die nachhaltige Wirtschaft sorgen. Atmo 4 - Korkschneiden im Labor Sprecher: In einem Laborraum des AGRIS-Instituts zerschneiden Mitarbeiter Korkrinde für Konsistenz-Tests. Direktor Agostino Pintus steht daneben und erklärt, dass die Italiener mit einem Produktionsanteil von rund sechs Prozent eher zu den kleinen Kork-Erzeugern zählen, während Portugal mehr als die Hälfte liefert. Sprecherin: Doch die Qualität des sardischen Korks, der jeden Prosecco frisch hält und auch in vielen der bekanntesten Champagner-Flaschen steckt, ist legendär. Denn auf sardischem Granit wachsen Eichen noch langsamer, was den Kork noch dichter und damit hochwertiger macht. Und auch in der Forschung hat Italien dank der Sarden eine Vorreiterrolle übernommen. Als weltweit erster Korkeichenwald wurde 2005 ein 70 Hektar umfassender Hain des AGRIS-Instituts bei Tempio als nachhaltiger Wald mit dem FSC-Siegel versehen. Atmo 5 - Hofverkehrslärm Molinas Sprecher: Nur zehn Minuten Autofahrt entfernt vom ruhig am Stadtrand gelegenen Forschungsinstitut in Tempio herrscht auf dem Firmengelände der Molinas AG in Calangianus hektische Betriebsamkeit. Mit Rohkork und Paletten beladene Lkw und Gabelstapler brummen ununterbrochen zwischen Lagerplätzen und Fertigungshallen hin und her. 300 Mitarbeiter fertigen hier im Hauptsitz von Italiens größtem Korkproduzenten bis zu zwei Millionen Korken pro Tag, Stückpreis zwischen fünf Cent und ein Euro. Junior-Chef Giuseppe Molinas erinnert sich noch gut an den Weinboom zum Jahrtausendwechsel, in dessen Folge auch die Korknachfrage kräftig stieg - was die Branche jedoch zu einem fatalen Fehler verleitete und die Krise drastisch verschärfte. O-Ton 4, Molinas Die Erzeuger haben damals ihre Bestände fast komplett verkauft - auch Kork minderer Qualität, und das zum Teil in großen Mengen. Als Stopfen in den Weinflaschen begann dieser Kork dann drei, vier Jahre später, enorme Probleme zu bereiten, weil er als Weinverschluss nicht geeignet oder nicht entsprechend bearbeitet worden war. Mit zwei großen Strategien sind wir der Krise dann entgegengetreten: Erstens mit einer Verbesserung der Produktionsbedingungen, und zweitens mit neuen Produkten. Atmo 6 - Korkplattenstapeln Sprecher: Bei der Verbesserung der Korken-Produktion kommt es vor allem auf zwei Dinge an: Den Rohkork von Schadstoffen zu reinigen, die später den Wein in der Flasche verderben können sowie zu verhindern, dass der Kork mit diesen Schadstoffen überhaupt in Berührung kommt. Die ersten Schritte setzen da schon beim Stapeln der Rohkork-Platten zum einjährigen Reifen an: früher wurden sie im Freien auf der Erde gelagert, heute hingegen auf Zementböden in separaten Höfen. Sprecherin: Der größte Feind des Naturkorks heißt Trichloranisol, kurz TCA genannt. Dahinter verbirgt sich ein chlorhaltiger, aromatischer Kohlenwasserstoff, der entsteht, wenn Pilze bei der Zersetzung phenolhaltiger Stoffwechselprodukte von Kork oder Holz auf Chlorverbindungen stoßen. Bei Kontakt mit Alkohol wird dieses Trichloranisol sofort flüchtig. Gesundheitsschädigend wirkt das nicht, löst im Wein aber einen dumpf muffigen, schimmeligen Geruch und Geschmack aus, der gemeinhin als Korkton bezeichnet wird. Antonio Bianco, Chemiker und Qualitätskontrolleur bei Molinas, weiß, wie das Risiko gemindert werden kann. O-Ton 5, Bianco Nachdem der Rohkork gereift ist, wird der Bereich der Korkplatten, der den Fuß des Baumes bedeckte, systematisch weggeschnitten, denn das ist der Teil des Korks, der statistisch die höchsten TCA-Werte enthalten kann. Das wurde zwar auch schon früher gemacht. Aber heute tun wir es mit sehr viel größerer und wissenschaftlicher Sorgfalt. Atmo 7 - Korkkochen Sprecher: Die erste Station des Rohkorks in der Fabrik ist das einstündige Auskochen in autogroßen Wasserbassins. Ein Kran hebt die zwischen zwei schwere Stahlplatten gequetschten Rindenstücke hinein. Ein Großteil der Pilze, Bakterien und Tannine, die später Probleme bereiten könnten, werden so eliminiert, erklärt der Chemiker. Zudem ist der Rohstoff danach geschmeidiger und verliert beim Trocken die gebogene Form, in der er gewachsen ist. So lassen sich später leichter die Korken-Rohlinge aus der bis zu zehn Zentimeter dicken Rinde stanzen. Der für die Korkenproduktion mit Abstand wichtigste Arbeitsschritt allerdings ist die Säuberung der gestanzten Rohlinge von TCA-Molekülen, erklärt Giuseppe Molinas. O-Ton 6, Molinas Mit der Gruppe Pernod-Ricard haben wir gemeinsam ein Dampfbehandlungsverfahren für die Sterilisation des Korks entwickelt. Das verwenden wir nicht nur für den Rohstoff, also den Rohkork, sondern für die Weinflaschenkorken genauso wie für Kork in Granulat- oder Palettenform. Sprecher: Die genauen Details der Verfahren werden meist sorgfältig als Betriebsgeheimnis gehütet. Bei Molinas handelt es sich um rein thermisch- mechanische Prozesse frei von chemischen Zusatzstoffen, denn für die Weinkorkhersteller gelten inzwischen Hygienestandards der Lebensmittelindustrie. Die Reinigung mit gasförmigen Substanzen ist zwar nicht ganz neu. Doch die Wasserdampf-Methode stammt aus dem Haus Molinas, ist weit weniger aufwändig und längst nicht so kostenintensiv wie die bekannte Behandlung mit superkritischem Kohlenstoffdioxid. Atmo 8 - Laborroboter Sprecher: Während überall sonst in der Branche wegen der Krise gespart und entlassen wurde, stockte Molinas das Laborpersonal auf und schaffte teure, neue Geräte an - darunter auch hochsensible Gas-Chromatografen, die Flüssigkeiten in Windeseile verdampfen und danach genauestens die einzelnen chemischen Bestandteile erkennen können. Antonio Bianco steht vor einem dieser Geräte, das surrend kleine Ampullen aus einem Sortiergestell greift und Flüssigkeiten daraus absaugt, die zuvor 24 Stunden in Kontakt mit Weinkorken waren. Selbst winzige Mengen Trichloranisol können so nachgewiesen werden, die weit unterhalb der Mindestmenge liegen, die ein Mensch mit seinen Sinnesorganen noch wahrnehmen kann: zwei Nanogramm auf einen Liter. Atmo hochziehen Sprecherin: Eine Milliarde Nanogramm bilden ein einziges Gramm. Um die gespenstische Wirkung des Stoffes zu verdeutlichen: Zwei Nanogramm in einem Liter entsprechen in etwa sechs Kilogramm auf das Volumen des Starnberger Sees verteilt. Sechs Kilogramm TCA würden also den 130 Meter tiefen, zweitwasserreichsten See Deutschlands sofort muffig riechen lassen. O-Ton 7, Bianco (Gläserklirren) Hier in diesem Rotwein steckt zum Beispiel ein stark erhöhter TCA-Anteil. Das könnten sogar 20 Nanogramm pro Liter sein. Sprecher: Durch die Verbesserungen der Hygienebedingungen und der Bearbeitungsprozesse vom Rohkork bis zum Endprodukt konnte die Ausschussquote von rund vier Prozent vor der Krise mittlerweile auf etwa zwei Prozent gesenkt werden. Bei Molinas, sagt Antonio Bianco, liege sie unter einem Prozent. Die Anstrengungen, den Prestigeverlust des Korkens durch Forschung und Innovation wieder wettzumachen, haben aber auch noch zu einer anderen Erkenntnis geführt. Und die ist für die Kork- und Weinindustrie, die vor gerade einmal drei Jahrzehnten auf die ersten TCA- Spuren als Verursacher von Mufftönen stieß, von noch größerer Bedeutung. Atmo 9, Roboter leise O-Ton 8, Bianco Mit unseren Gas-Chromatografen sind wir heute auch in der Lage, herausfinden, ob es sich bei den Mufftönen um TCA oder Derivate handelt und ob diese wirklich vom Korken stammen oder etwa dem Wein selbst. Wenn wir zum Beispiel mehr TCA im Wein als im Korken finden, ist dies meist ein klarer Hinweis darauf, dass es sich um TCA handelt, das nicht vom Korken stammt, sondern direkt vom Wein. Atmo 10, Gläserklirren im Labor Sprecher: Längst sei die Bezeichnung "Korkton" als Synonym für Muff- oder andere Fehltöne im Wein überholt, wettern der Chemiker und seine Kollegen im Molinas-Labor. Denn das Phänomen, das früher vor allem vom Korken stammte, ist ihm - wie man inzwischen weiß -nicht mehr allein zuzuschreiben, zumal sich die Korkenqualität stark verbessert hat. O-Ton 9, Bianco Ich wusste schon lange sehr gut, dass TCA nicht nur in Korken vorkommt. Zu Hause bei mir hängt ein Gemälde an der Wand, das auf Leinwand gemalt ist. Und jedes Mal, wenn man sich ihm nähert, riecht man Trichloranisol. TCA ist keinesfalls nur allein dem Kork zuzuordnen. Sprecherin: Auch unabhängige Forschungseinrichtungen haben bestätigt, dass der Muffton durch eine ganze Reihe von anderen, dem TCA ähnlichen Stoffen ausgelöst werden kann. Tribromanisol zum Beispiel entsteht wie Trichloranisol beim mikrobiologischen Abbau. In diesem Fall von Tribromphenol, das zum Beispiel auch bei der Imprägnierung von Holz oder als feuerhemmender Zusatz bei Kunststoffen und Kartonagen eingesetzt wird. Dinge, die rein gar nichts mit Naturkork zu tun haben, wohl aber häufig in Weinkellern anzutreffen sind. Da Tribromphenol sich wie Trichloranisol auch in der Luft auflöst, können Holzbalken und Verpackungsmaterialien den Wein völlig unbemerkt über die Raumluft kontaminieren. Das renommierte Weinforschungsinstitut im hessischen Geisenheim stellte schon vor Jahren fest, dass Mufftöne immer wieder auch bei Weinen auftreten, die mit Plastik, Aluminium, Silikon oder Glas verschlossen sind. Atmo 11 - Granulatschreddern Sprecher: In einer fußballplatzgroßen Fabrikhalle der Molinas AG steht eine Schredderanlage, die Korken aus Granulat herstellt. Zwar ist die Idee nicht neu, sondern lediglich eine Weiterentwicklung des Champagnerkorkens, der schon lange aus Korkgranluat und ganzen Korkstücken besteht. Eine überarbeitete Variante aus reinem Granulat funktioniert auch bei Weinflaschen hervorragend. O-Ton 10, Bianco Unser Ziel war es, einen Weinverschluss aus Kork zu schaffen, der zwar nicht aus einem einzigen Stück besteht, dafür aber mit den künstlichen Verschlüssen wie Plastikkorken konkurrieren - oder besser noch: sie preislich und funktionell sogar schlagen kann. Sprecher: Feinkork besteht zu 75 Prozent aus Korkgranulat, zu 25 aus Lebensmittelklebstoff. Wegen der größeren Oberfläche des Granulats, die bei der Dampfbehandlung sterilisiert werden kann, können die Korkfabriken bei diesem Korkentyp TCA-Geschmack hundertprozentig ausschließen. Die TCA-Werte, die die Labortruppe von Giuseppe Molinas bei diesem Korkentyp nachweist, liegen konstant unter zwei Nanogramm pro Liter. O-Ton 11, Molinas Weinhersteller, die Kork als Stopfen benutzen, stecken inzwischen in jede fünfte Flasche Verschlüsse aus Feinkork, und diese Quote steigt immer weiter an! Dieser Korken ist ideal für Produkte, die relativ schnell konsumiert werden, aber auch bis zu drei Jahre in der Flasche bleiben können. Wir reden hier also über 80 Prozent der Weine des gesamten Weltmarktes. Atmo 12 - Zikaden Sprecherin: Viele jener Kellereien, die schon Beginn der Krise auf alternative Flaschenverschlüsse umgestiegen waren, sind inzwischen wieder zum Naturkorken zurückgekehrt, berichten Korkforscher Pintus und Korkunternehmer Molinas. Dennoch fällt es schwer, Entscheidungsträger in Regional- und Landesparlamenten vom ökologischen Nutzen der Korkeichen als Investiton in die Zukunft zu überzeugen. Wegen des schnelleren Wachstums bevorzugen sie Eukalyptus und Pinien. O-Ton 12, Molinas: Diese Baumarten haben sich auch im Süden Sardiniens ausgebreitet, obwohl der Boden dort perfekt für Korkeichen geeignet ist. Und es wird sehr schwer sein, dort jetzt wieder Korkeichen zu pflanzen. Ein Politiker denkt in kurzen Zeitabständen - zwei, drei, vier Jahre. Die Investition in Korkeichen hingegen rentiert sich erst nach 30 Jahren Wachstum, wenn man das erste Mal ernten kann. Sprecherin: Zehn Jahre dauert es dann, bis die Korkrinde wieder vollständig nachgewachsen ist. Bei der nachhaltigen Bewirtschaftung der Korkeichenwälder müssen diese langen Erntezyklen penibel eingehalten werden. Doch es lohnt sich, weiß Giuseppe Molinas aus eigener Erfahrung, denn die Qualität des Korks wird dadurch noch besser. Auch nach einem Brand darf man die Bäume nicht aufgeben, sagt er, sondern muss die Rinde abernten. O-Ton 13, Molinas Es ist ein großer Fehler, das nicht zu tun. Von außen ist der Baum zwar verbrannt, von innen aber wächst er weiter. Wenn der Baum wieder guten Kork geben soll, muss man die verbrannte Rinde entfernen. Denn nur so nimmt die Pflanze wieder ihren normalen Wachstumszyklus auf. Leider gibt es viele Wälder, die unnötigerweise nicht mehr produktiv sind. Die Pflanze wächst weiter, produziert aber keinen Kork mehr. Atmo 13 - Korkeichenwald Sprecher: Die Ausweisung neuer nachhaltiger Korkeichenwälder liegt zwar mit etwa fünf Prozent im gesamten Mittelmeerraum und nur zwei Prozent in Sardinien noch weit hinter den politischen Zielen. Doch es gibt positive Ergebnisse. Denn wenigstens 50 Prozent der großen korkproduzierenden Betriebe, berichtet Agostino Pintus vom AGRIS-Institut, erfüllen bereits die Nachhaltigkeitsstandards für die gesamte Produktionskette - bis hin zur Fertigstellung des Endprodukts. Das trifft auch auf die Molinas AG zu. Bis zu 85 Prozent der Energie, die für das Abkochen und die Sterilisation der Korken notwendig sind, können laut Guiseppe Molinas durch Verbrennen von nicht verwertbaren Korkabfällen und Unterholz abgedeckt werden. Mit seiner hundertprozentigen Recyclingfähigkeit hat der Naturkork umweltbelastenden Materialien wie Aluminium oder Plastik einiges voraus. O-Ton 14, Molinas Der Korkstopfen hat zwei Leben. Wir stellen hauptsächlich Korken her, und dieser Korken kann vollständig von uns selbst recycelt werden! Wir machen Dämmmaterial für die Bauindustrie daraus. Oder Schuhabsätze. Oder Korkpulver für Linoleum. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, geschredderte Weinkorken wiederzuverwerten. Sprecher: Diese Argumente könnten bei den umweltbewussten Verbrauchern in Deutschland, Österreich oder den skandinavischen Ländern auf großes Interesse stoßen, sollte man meinen. Aber: O-Ton 15, Molinas Absurderweise gibt es Marktsegmente wie Bioweine, die selbst in Italien inzwischen starke Zuwachsraten verzeichnen, aber ausgerechnet von jenen umweltbewussten Ländern, die über eine boomende "Green Economy" verfügen und alles mögliche recyceln, mit Plastikstopfen oder Alu-Schraubverschlüssen verschlossen werden. Es ist doch komisch, auf der einen Seite alles ökologisch zu handhaben mit dem Wein und dem Glas und diese Produkte dann aber mit einem Material zu verschließen, das überhaupt nichts mit Mutter Erde zu tun hat. Sprecher: Noch deutlicher werden die Gegensätze bei der CO2-Bilanz des Korks und der künstlichen Stopfen. So fällt bei der Herstellung von Plastikkorken nach Angaben des Deutschen Korkverbandes selbst bei Recycling im Verlauf ihres Lebenszyklus zehnmal mehr Kohlendioxid an als bei Naturkorken. Sprecherin: Bei den Alu-Schraubverschlüssen liegt dieser Wert sogar ums 24fache über jenem des Naturkorks. Ausgerechnet der Schraubverschluss also, der die Umwelt am meisten belastet, sitzt in der Schweiz inzwischen auf etwa 60 Prozent aller Weinflaschen, in Deutschland sind es 70 Prozent und in Österreich sogar 80 Prozent. Die Italiener hingegen, so Giuseppe Molinas, die nicht gerade für ausgeprägtes Umweltbewusstsein bekannt seien, versiegelten hingegen bis zu 85 Prozent ihrer Weine noch immer mit dem traditionellen Kork. O-Ton 16, Molinas Bei Deutschland wundert mich das umso mehr, denn im Gegensatz zu England zum Beispiel kann das Land auf eine lange Tradition in der Weinherstellung zurückblicken. Regionen wie der Rheingau, Rheinhessen, die Mosel, Baden-Württemberg - da wird doch seit etlichen Jahrhunderten Wein angebaut. Sprecher: Während Alu- und Plastikverschlüsse die Umwelt vor allem durch CO2- Emission bei ihrer Herstellung belasten, entlastet der Kork hingegen die Erdatmosphäre. Sprecherin: Die Korkeichen in Portugal zum Beispiel binden bei regelmäßigem Abernten ihrer Rinde fast fünf Prozent der Kohlendioxid-Emissionen des gesamten Landes. Rechnet man alle Korkeichenwälder des Mittelmeerraums zusammen, die mit 23.000 Quadratkilometern eine Fläche bildeten, die nur etwa nur halb so groß ist wie die Schweiz, bindet Quercus suber jedes Jahr 14 Millionen Tonnen CO2 in seiner Korkrinde. Das entspricht einem Zehntel des jährlichen Kohlendioxid-Ausstoßes im deutschen Straßenverkehr. - Musikzäsur? - Atmo 14 - Entkorken und Gläserklirren Sprecher: Ausgerechnet jene Weinmärkte haben zur Rettung und Rehabilitierung des Kork beigetragen, die erst seit wenigen Jahren Wein anbauen: China und Indien. O-Ton 17, Pintus Im Jahr 2000 hat niemand die chinesische Produktion gekannt. Sie ist vor allem in quantitativer Hinsicht sehr bedeutsam. Noch ist es schwierig, diese Produkte in unseren Weinläden zu finden. Aber früher oder später werden sie dort stehen. O-Ton 18, Molinas Die Länder, die heute die Neue Welt sind - China, Indien - die wollen einen Stopfen aus Kork. China könnte alles aus Plastik herstellen, was es wollte. Aber sie - sie ziehen bei einer Weinflasche einen Naturkorken vor. Atmo 15 - Schafherde Sprecher: Wie viel Weinstopfen darüber hinaus mit Kultur und subjektivem Empfinden zu tun haben, kann man zum Beispiel in Siddùra erfahren - einem kleinen, neuen Weingut bei Luogosanto, das in der Gallura auf halber Strecke zwischen Tempio und der Costa Smeralda liegt. Irgendetwas verbinde zweifellos Sehsinn und Geruchssinn miteinander, sagt Winzer Massimo Ruggero, der vor seinem Weingut im Schatten einer Korkeiche auf einer Natursteinmauer sitzt. O-Ton 19, Ruggero Vor einem Jahr etwa gab es eine experimentelle Weinverköstigung mit einigen der erfahrensten internationalen Experten. Sie wurden in einen Raum geführt, in dem fünf Weinflaschen standen, die alle - ohne dass die Personen davon wussten - mit dem selben Wein abgefüllt, aber unterschiedlich verschlossen waren: mit Plastik, Aludeckel, PVC, Silikon und Kork. Alle Tester haben als besten Wein denjenigen gewählt, der mit Kork verschlossen war - wer weiß, warum... Die Wahrheit ist: der Wein war überall derselbe! Sprecher: Ruggeros Gut, das er mit einem Partner betreibt, hat sich ausschließlich auf hochqualitative Weine spezialisiert. Und natürlich gehören zum Sortiment auch drei Vermentino - jener legendäre, sardische Weißwein, der nirgendwo so gut gerät wie auf den Granitböden der Gallura, die auch dem sardischen Kork seine außergewöhnliche Güte verleihen. Bedenken, der Kork könne die dezenten Geschmacksnoten des Weißweins beeinträchtigen, hat der Winzer überhaupt keine. O-Ton 20, Ruggero Für mich schützt der Kork den Wein in der besten Art und Weise. Und auch die Kunst, eine Flasche zu entkorken, ist etwas Besonderes. Kork vermittelt mehr Gefühl, weniger Mechanik. Hinter ihm verbirgt sich eine Handwerkskunst, die hier seit Jahrhunderten existiert. All das vermittelt nur der natürliche Korken, nicht der künstliche. Atmo 16- Enothek Sprecherin: Weinkorken-Fans ist der traditionelle Stopfen einiges wert - das zeigt eine Umfrage in Deutschland. Mehr als 50 Prozent derer, die Naturkorken als Weinflaschenverschluss bevorzugen, sind demnach sogar bereit, für diesen bis zu fünf Prozent auf den Flaschenpreis draufzulegen. Sprecher: Der Kork holt auf - und Giuseppe Molinas aus Calangianus ist zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder mit den Umsatzzahlen zufrieden. 2013 wird für Italiens größten Korkhersteller das erste Jahr seit Beginn der Krise sein, in dem die Umsatzzahlen wieder steigen. Auch der Chemiker Antonio Bianco, der in der Regel um sein nach TCA riechendes Ölgemälde einen großen Bogen macht, ist sich sicher, dass der Bedarf am nachwachsenden Rohstoff Kork wachsen wird. Denn die "grüne Lunge Europas", wie die Korkeichenwälder gelegentlich genannt werden, kann gar nicht groß genug sein. Atmo Wald und Musik ENDE 3