COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Literatur, 14.4.2009, 19.30 Uhr TRAUMHÄUSER UND UNBEHAGLICHE ORTE Stadtansichten aus Südafrika Eine Sendung von Gaby Mayr TAKE 1 (MUSIK 1) TAKE 2 (O-TON ROSE-INNES) They are often places.... ... the city. SPRECHERIN 2 "Es sind unbehagliche Orte. Man weiß nicht, ob sie (ÜBERSETZUNG) sicher sind oder gefährlich werden könnten. Es sind Orte am Übergang zwischen Kapstadts urbanen Quartieren und der Wildnis, welche die Stadt umgibt." MUSIK HOCH SPRECHERIN 2 "Daniela hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die (ZITAT) Stadt zu verlassen, wenn es wieder losging. Meistens konnte sie es schon an seiner Stimme hören, wenn es wieder so weit war... Der Ort war weiter entfernt, als sie gedacht hatte, und es war schon dunkel, als sie eincheckte und den Schlüssel für ihren Bungalow in Empfang nahm... Sie schaute auf ihr Handy, kein Empfang." TAKE 3 (O-TON VLADISLAVIC) "Johannesburg ... ... very unequal." SPRECHER "Für die Menschen in Johannesburg sind Sicherheit (ÜBERSETZUNG) und der Schutz ihres Eigentums ungeheuer wichtig. Die Leute leben sehr oft in einem Zustand der Angst. Deshalb wird öffentlicher Raum zunehmend privatisiert. Einkaufsmalls und gesicherte Wohnanlagen sind Reaktionen auf eine schwierige, unbehagliche Realität in einer sehr ungleichen Gesellschaft." MUSIK HOCH SPRECHER "Mein Vater arbeitet in der Autobranche, und ich (ZITAT) habe seine Meinung über Autos immer respektiert. Er unterzog den Mazda einer eingehenden Untersuchung und tat all die Dinge, die Männer so machen, um die Qualität eines Gebrauchtwagens zu bestimmen - gegen die Reifen treten, die Kotflügel hoch und runter wippen, um die Stoßdämpfer zu prüfen, ins Handschuhfach sehen, mit dem Lenkrad wackeln, unter die Motorhaube schauen. Er verkündete, dass ich einen vernünftigen Kauf getätigt hätte. Dann überreichte er mir das Geschenk. Es war ein Gorilla." TAKE 4 (MUSIK 2) UNTERLEGEN ODER WEGBLENDEN UND AB UND ZU HOCHZIEHEN SPRECHERIN 1 Traumhäuser und unbehagliche Orte SPRECHER Stadtansichten aus Südafrika SPRECHERIN 1 Schwarz und Weiß. Friedlicher Übergang zur Demokratie und horrende Vergewaltigungszahlen. Regenbogen-Nation und tödliche Hassattacken gegen Flüchtlinge. Dicht bevölkerte Townships und komfortable Vororte. Südafrika ist ein Land krasser Gegensätze. Die anstehende Präsidentschaftswahl mit einem aussichtsreichen Kandidaten, der wegen Vergewaltigung und Korruption angeklagt war, versetzt das Land in zusätzliche Anspannung. <> SPRECHERIN 1 Unter der spektakulären Oberfläche vollziehen sich Veränderungen - langsam. Man spürt sie vor allem in den Städten. Die Mauern, die einst die Apartheid errichtet hatte, bröckeln. Zugleich ziehen Wohlhabende neue Schutzwälle, mit Alarmanlagen gesichert, um ihre Häuser hoch. Autos werden mit Lenkradschlössern gesichert - das beste Schloss trägt den Namen "Gorilla". Auf städtischem Brachland, in Parks und sogar in der ausladenden Baumkrone auf einer Verkehrsinsel richten sich arme Bewohner ein. <> SPRECHERIN 1 Eine Künstlerin malt auf eine Gartenmauer im Auftrag der Eigentümer ein farbenfreudiges Bild im Stil der Ndebele-Frauen, die ihre Hütten auf diese Weise schmücken. Ein Stück "traditionelles Afrika", so scheint es, hält Einzug in den einst "weißen" Vorort. Als das Haus verkauft wird, lassen die neuen Eigentümer die Malerei übertünchen - sie sind übrigens Schwarze. Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Festgezurrte Zuordnungen lösen sich auf. Henrietta Rose-Innes und Ivan Vladislavic sind literarische Stimmen dieses Übergangs. TAKE 5 (O-TON ROSE-INNES) I was born... ... new South Africa. SPRECHERIN 2 "Ich wurde in eine englischsprachige (ÜBERSETZUNG) Mittelschichtfamilie hineingeboren und habe mein ganzes Leben in Kapstadt verbracht. Meine Familie wohnt seit vielen Generationen in Südafrika. Während meiner Jugend herrschte Apartheid mit all den Schwierigkeiten, der Heuchelei und den moralischen Zwangslagen, die es mit sich bringt, wenn man in solch einem System ein privilegiertes Dasein führt. Als die Rassentrennungsgesetze aufgehoben wurden, war ich alt genug, um die Begeisterung, die Aufregung und ein Gefühl für die Chancen im neuen Südafrika zu empfinden." SPRECHERIN 1 Henrietta Rose-Innes ist heute Ende 30. Sie hat ihre Heimatstadt zu ihrem literarischen Experimentierfeld gemacht. Nicht das Kapstadt der Reiseprospekte, die Metropole am Fuße des Tafelberges mit Blick auf den Atlantik, das Kapstadt der europäisch anmutenden Viertel und der Hochhäuser. Aber auch nicht das Kapstadt der Townships. Henrietta Rose-Innes stellt ihre Figuren an unwirtliche, beklemmende Ort "dazwischen", und wie ein Seismograph zeichnet sie deren Bewegungen und Erschütterungen auf. TAKE 6 (MUSIK 3: "KENNUNG LEOPARDENFALLE") SPRECHERIN 2 "Kurz bevor es aufwärts ging, teilte sich der Pfad (ZITAT) und ein weiterer Wegweiser dirigierte sie den Hügel zu ihrer Linken hinauf. Beim Aufstieg wäre sie beinahe an der Falle vorbeigelaufen. Sie war so gut getarnt, dass Daniela sie überhaupt nicht gesehen hatte. Doch plötzlich hörte der Pfad auf, und so blieb auch sie stehen und schaute sich um. Nicht sehr aufregend , dachte sie, als sie den Steinhaufen in Sargform erahnte... Eine Leopardenfalle. Um Leoparden zu töten... etwas für den endgültigen Schlussstrich." SPRECHERIN 1 "Die Leopardenfalle" ist eine Geschichte aus Henrietta Rose-Innes´ gerade auf Deutsch erschienener Sammlung "Dream Homes - Schnappschüsse und Kurzgeschichten aus Kapstadt". TAKE 7 (O-TON ROSE-INNES) They are.... ... of explosion. SPRECHERIN 2 "Gewalt, Verwicklung in Gewalt, spielt eine Rolle in (ÜBERSETZUNG) meinen Geschichten. Normalerweise spiele ich sie aber nicht so weit durch, dass Blut aus der Buchseite tropft. Ich werde angezogen von den Momenten, bevor das Böse körperlich zum Ausdruck kommt. Ich werde angezogen von der Unruhe, der Bedrohung und Spannung kurz vor der Explosion." SPRECHERIN 1 Die Hautfarbe - weiß, farbig oder schwarz - war bis vor Kurzem das alles entscheidende Merkmal, nach dem der südafrikanische Staat seine Menschen sortierte. In Henrietta Rose-Innes´ "Traumhäuser"-Geschichten ist die Hautfarbe der Protagonisten nur noch schwer zu erkennen, zumal für ein europäisches Publikum. Hiesige Leser wissen nicht, dass ein südafrikanischer Taxifahrer eigentlich nie ein Weißer ist, für die Menschen am Kap versteht sich das von selbst. Bei Rose-Innes kann eine Haut auch schon mal blau - angemalt - sein. Oder sie nutzt die einst unverrückbar scheinende "Rassenordnung", um zu verwirren. In ihrer kürzlich mit dem Caine-Preis ausgezeichneten Erzählung "Poison" - Gift - lässt Henrietta Rose-Innes Menschen an einer Tankstelle stranden, auf der Flucht vor einer Giftwolke über Kapstadt. Sie scheinen in Gruppen zusammenzugehören, sortiert nach Hautfarbe, allesamt wollen sie nur weg, aber die Plätze in den Autos sind rar und das Benzin ist knapp. Rose-Innes spielt mit den Erwartungen ihrer Leserinnen und Leser - und lässt sie ins Leere laufen: Wer zusammen ins Auto steigt, wer wen mitnimmt und rettet, entscheidet sich nicht mehr nach der Hautfarbe. Das ist: Nach-Apartheid-Literatur. TAKE 6 (MUSIK 3: "KENNUNG LEOPARDENFALLE") SPRECHERIN 2 "Unwillkürlich wollte sie hineinklettern, sich (ZITAT) hineinlegen. Doch das war gar nicht so einfach. Leoparden sind kleiner als sie vermutet hatte. Sie zog die Ellbogen ganz nah an sich heran und schlängelte sich auf dem Bauch hinein.... Indem sie mit großer Mühe die Hand vors Kinn hob, schaute sie hinab, dahin wo einst Leopardenpfoten gescharrt haben mussten - als erwarte sie dort Fußabdrücke zu sehen, eine letzte Botschaft. Doch nichts, glatt wie frisch gebügelt. Kein Lebewesen größer als eine Ameise war seit Jahren hier drin gewesen." SPRECHERIN 1 Beklemmende Situationen an bedrückenden Orten - es liegt nahe, Henrietta Rose-Innes´ Geschichten symbolisch zu verstehen, als Ausdruck für Südafrika im schwierigen Übergang vom Apartheidstaat zur Demokratie. Die Autorin - zurückhaltend-freundlich, mit ihrem glatten braunen Haar keine auffällige Erscheinung - widerspricht. Die Protagonistinnen ihrer Geschichten sind nicht zufällig jüngere Frauen wie sie selber: TAKE 8 (O-TON ROSE-INNES) My stories ... ... I experienced personally. <<.... around you.>> SPRECHERIN 2 "Meine Geschichten sind persönlich, und meine (ÜBERSETZUNG) Figuren spiegeln alle auf irgendeine Art mich selber. Literatur zieht mich wahrscheinlich an, weil ich beim Schreiben Unruhe und Unbehagen bearbeiten kann, die ich erlebt habe. <>" TAKE 6 (MUSIK 3: "KENNUNG LEOPARDENFALLE") SPRECHERIN 2 "Früh am nächsten Morgen fuhr Daniela in die Stadt (ZITAT) zurück... In der Wohnung stand sie einen Augenblick ganz still und lauschte. Ihre Augen hielten nach dem Schaden Ausschau. Bei früheren Gelegenheiten hatte sie bei ihrer Rückkehr ausgehängte Türen, aus den Rahmen gerissene Bilder, herausgebrochene Wasserrohre vorgefunden. Thom ließ seine Verzweiflung stets an materiellen Dingen aus. Es war keine blinde Gewalt; eher eine grimmig vollzogene Destruktion. Diesmal war die Rückenlehne des teuren Sofas von riesigen Krallen zerfurcht, die Füllung quoll heraus, als habe sie seit langem auf ihre Befreiung gewartet." SPRECHERIN 1 Während die Hautfarbe - wenn auch nur langsam - an Bedeutung verliert, entlädt sich die anhaltende soziale Spaltung der Gesellschaft in Gewaltexzessen. Die meisten Opfer von Mord und Vergewaltigung sind schwarz. Schwarze Menschen aus Südafrika. Und aus anderen afrikanischen Ländern: Im vergangenen Jahr lösten tödliche Attacken auf Flüchtlinge in südafrikanischen Townships weltweit Entsetzen aus. Bei den Einbrüchen in besseren Wohnvierteln, nicht selten verbunden mit Gewalttaten gegen die dort lebenden Menschen, sind die Opfer Schwarze und Weiße. Die Täter sind mit aggressiven Männlichkeitsvorstellungen aufgeladene und zugleich maßlos enttäuschte junge Männer. Sie tun, was während der Apartheidszeit Staatsdoktrin war - sie üben Gewalt aus. Nur bleiben sie nicht länger in den Townships. TAKE 9 (O-TON ROSE-INNES) For the first time... ...used to be. SPRECHERIN 2 "Zum ersten Mal stößt die Mittelschicht auf (ÜBERSETZUNG) Erscheinungen von Gewalt und Verzweiflung, die früher durch Apartheidsgesetze und Rassenschranken von den weißen Wohngebieten ferngehalten wurden. Die Kriminalität erscheint ihr auch deshalb wie eine Welle, weil Vieles für sie sichtbarer ist als früher." SPRECHERIN 1 Henrietta Rose-Innes verweigert sich dennoch einem unter Weißen zunehmenden Pessimismus. Und sie verweigert sich dem Eindeutigen. Manche ihrer Geschichten enden hoffnungsvoll - einige bleiben in der Schwebe. TAKE 6 (MUSIK 3: "KENNUNG LEOPARDENFALLE") SPRECHERIN 2 "Nicht einmal jetzt hätte sie zu sagen vermocht, was (ZITAT) sie war: der Leopard oder der Jäger. Derjenige in der Steinkiste; oder derjenige, der daneben stand und zuschaute, wie die Falle zuschnappte, unaufhörlich, immer und immer wieder." TAKE 10 (ATMO UFER DIANASEE, BERLIN-GRUNEWALD - AUTO/VÖGEL) 2 CUTS ZUR AUSWAHL SPRECHERIN 1 Berlin-Grunewald, am Dianasee, unter hohen Bäumen. Gegenüber, auf der anderen Seite der Straße die Villa Walther: ein spätwilhelminischer Prachtbau mit einem Mosaik "römischer Streitwagen" im Giebel. Ein dreiviertel Jahr lang bewohnte Antjie Krog (AUSSPRACHE: ANKJI KROCH, R LEICHT GEROLLT, NICHT ENGLISCH) ein Apartment in dem Gästehaus des Berliner Wissenschaftskollegs. Sie forscht zu Gedichten in südafrikanischen Sprachen - in deutschen Archiven gibt es dazu Unterlagen. In Südafrika ist Antjie Krog als Lyrikerin und Schriftstellerin bekannt. Als Radiojournalistin berichtete sie außerdem über die Wahrheits- und Versöhnungskommission, vor der Täter und Opfer der Apartheidszeit aussagten. Antjie Krog lebt, wie Henrietta Rose-Innes, in Kapstadt. Und lange genug in Berlin, um vergleichen zu können. TAKE 11 (O-TON KROG) The biggest difference... ... Give me some bread. Can I have water? (DIESE LETZTEN BEIDEN SÄTZE SOLLTEN FREI STEHEN) SPRECHERIN 3 "In Berlin bin ich geschützt vor den Armen - das ist (ÜBERSETZUNG) der größte Unterschied. Den letzten armen Menschen habe ich gesehen, als ich Kapstadt verließ. Wenn ich hier jemand betteln sehe, weiß ich, dass es ein Sicherheitsnetz für diesen Menschen gibt, dass diese Person zum Beispiel irgendwohin gehen kann und zu essen bekommt. Man versteht hier gar nicht, was ich meine. Ich kann hier auf der Straße essen und niemand kommt und sagt: Gib mir ein Stück Brot. Kann ich Wasser haben?" SPRECHERIN 1 Antjie Krog schrieb ein Aufsehen erregendes Buch über die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Zuletzt veröffentlichte sie Geschichten aus dem Südafrika des Übergangs: The Change of Tongue - Sprachwechsel. Gewalt sieht Antjie Krog in engem Zusammenhang mit Armut. Zumal in Südafrika, nach der langen Gewaltherrschaft durch Weiße: TAKE 12 (O-TON KROG) What we now... ... don´t know where. SPRECHERIN 3 "Was wir jetzt erleben ist furchtbar, aber es (ÜBERSETZUNG) passiert nicht grundlos. Es ist keine sinnlose, grausame Gewalt, die aus dem Nichts kommt." SPRECHERIN 1 Antjie Krog wurde in eine burische Familie in der früheren Provinz Oranje Vrystaat (AUSSPRACHE AFRIKAANS/NIEDERLÄNDISCH) hineingeboren. Der "Freistaat" ist burisches Kerngebiet. Mit 17 Jahren veröffentlichte sie ein Gedicht in einer Schülerzeitung, darin wünschte sie sich ein Land, in dem Schwarze und Weiße Hand in Hand leben könnten. Das war 1970, zu finsterster Apartheid-Zeit. TAKE 13 (GEDICHT ANTJIE KROG) UNTERLEGEN SPRECHERIN 1 Mit ihrem Gedicht entfachte Antjie Krog einen Aufruhr unter konservativen Buren. Seit dieser Zeit schreibt sie Gedichte. "Mein Leben habe ich durch die Poesie gelernt", sagt sie. Ihre Sprache ist das Afrikaans. TAKE 13 HOCH SPRECHERIN 1 Ihre beiden Prosa-Bücher, die in Südafrika auf Englisch erschienen sind, wurden von Ivan Vladislavic herausgegeben. TAKE 14 (MUSIK 4) SPRECHER "Der Gorilla ist der beste seiner Art. Er besteht (ZITAT) aus einem einzigen massiven Stück. <> Das ist "superharter Stahl", wie die Verpackung verrät, dazu bestimmt, dem "Unfug des Autodiebstahls" ein Ende zu setzen. Das brutale Aussehen des Gerätes spiegelt sich in einem Werbespruch des Herstellers: "Rohe Kraft kennt keinen Ersatz."" SPRECHERIN 1 Ivan Vladislavic ist Anfang 50, Sohn einer Irin und eines Kroaten. "Seine" Stadt ist Johannesburg, die Millionenmetropole im Landesinnern, als Goldgräbersiedlung Ende des 19. Jahrhunderts gegründet, heute als Hort brutaler Übergriffe und Morde verschrieen. Auch Ivan Vladislavic beschäftigt sich in einigen seiner 138 fein ziselierten literarischen Miniaturen mit Gewalt und der Angst vor der Gewalt. Sein Buch ist kürzlich auf Deutsch unter dem Titel "Johannesburg. Insel aus Zufall" erschienen. Zu seinen Protagonisten gehört der "Gorilla". Bei aller Beunruhigung - Ivan Valdislavic liebt das Absurde. Beängstigendem gewinnt er komische Seiten ab - zur großen Freude seiner Leserinnen und Leser. TAKE 15 (O-TON VLADISLAVIC) People get used.... .... fall asleep. SPRECHER "Menschen gewöhnen sich an alles. In Südafrika ist (ÜBERSETZUNG) die Sicherheitsbesessenheit ein gutes Beispiel, wie man sich an Dinge gewöhnt, wenn man täglich mit ihnen zu tun hat. Es ist Aufgabe des Schriftstellers, ein Bewusstsein für das Absonderliche am Gewohnten wach zu halten, Kleinigkeiten wahrzunehmen, munter zu bleiben und nicht einzuschlafen." SPRECHERIN 1 Anders als bei Henrietta Rose-Innes spielt die Hautfarbe in Ivan Vladislavics literarischen Skizzen mitunter eine Rolle. Er ist eine halbe Generation älter als die Autorin der "Traumhäuser", hat also bis weit hinein ins Erwachsenenalter unter dem Diktat der Rassentrennung gelebt - vielleicht ist das ein Grund. Aber er macht die Rassenfrage auch mit Bedacht zum Thema. Denn mit Nelson Mandelas Wahl zum Präsidenten im Jahr 1994 sind ja nicht von einem Tag auf den anderen die alten Muster aus den Köpfen und Herzen der Menschen verschwunden. TAKE 16 (O-TON VLADISLAVIC) What´s encouraging... ... in the society. SPRECHER "Es ermutigt mich, dass die Debatte über (ÜBERSETZUNG) Rassenfragen zunehmend offener geführt wird. Die Leute reden darüber leichter als vor ein paar Jahren. In der Zeit unmittelbar nach dem Übergang zur Demokratie gab es eine starke Sensibilität im Umgang mit Rassenfragen, und eine Form der Sensibilität bestand darin, das Thema zu meiden, um eine friedliches Miteinander in der Gesellschaft zu erreichen." TAKE 14 (MUSIK 4) SPRECHER "Am Vorabend des neuen Jahrtausends betrat der (ÜBERSETZUNG) frisch gebackene südafrikanische Police Commissioner Jackie Selebi die Polizeiwache Brooklyn ... zum Zwecke einer Besichtigung. Späteren Zeitungsberichten zufolge war der Commissioner alles andere als erbaut über die Zustände, die er dort vorfand. Er war wütend, weil man ihn nicht erkannte und die diensthabende Mannschaft eine ziemlich lässige Einstellung an den Tag legte, und in seiner Wut bezeichnete er Sergeant Jeanette Mothiba als "verdammten Gorilla"... Lang und breit wurde über diesen Zwischenfall berichtet. Manch einer tat ihn als Witz ab oder schlimmstenfalls als Unbesonnenheit. Andere hingegen vertraten die Meinung, dass die Ausdrucksweise des Commissioners nicht nur unangebracht, sondern unverzeihlich abwertend und rassistisch war. In ihr hallte jenes beleidigende "Pavian" wider, das weiße Rassisten so oft Schwarzen gegenüber verwendet hatten, und das in diesem Fall umso schockierender wirkte, weil es ein prominenter und mächtiger schwarzer Mann einer schwarzen Frau gegenüber benutzt hatte, die seinem Kommando unterstand.... Nach heftigen Kontroversen... veröffentlichte das Independent Complaints Directorate {- das unabhängige Beschwerdedirektorat -}, dem der Fall übergeben worden war, einen Bericht, demzufolge Commissioner Selebi den Begriff "Gorilla" gar nicht verwendet hätte, sondern den Begriff "Schimpanse". Dieser Begriff werde, so der Bericht, gewöhnlich nicht in beleidigender Absicht benutzt. <>" SPRECHERIN 1 Manche Geschichten erscheinen so absurd, dass man nicht wagen würde, sie zu erfinden, um nicht in den Verdacht billiger Effekthascherei zu geraten. Ivan Vladislavic bedient sich genussvoll aus dem Schatz alltäglichen Wahnsinns und nimmt sich die Freiheit des Literaten mit Lust am Absurden, weiterzudenken und grotesk zuzuspitzen. TAKE 17 (O-TON VLADISLAVIC) It´s difficult for me to unpick.... .... circumstances. SPRECHER "Es ist schwierig für mich, im Nachhinein die (ÜBERSETZUNG) erfundenen und die realen Passagen auseinander zu halten. Aber ich kann sagen: Das Buch ist in ganz starkem Maße das Ergebnis von Beobachtung und die Zusammenstellung von Vorhandenem. Zuerst dachte ich, dass ich es dabei bewenden lasse. Ich entdeckte aber, dass Techniken literarischen Schreibens tief in meinem kreativen Arbeiten verankert sind und dass ich das Interesse kaum unterdrücken kann, die Dinge aufzuspüren, die unter den gegebenen Umständen passiert sein mögen." SPRECHERIN 1 Verbrechen und die Angst vor Verbrechen als ständige Begleiter des Lebens in Johannesburg sind für Ivan Vladislavic nur ein kleiner Teil der Realität, die ihn reizt. Seine große Liebe gehört der bildenden Kunst und der Architektur. Bei seinen zahllosen Gängen durch die Stadt registriert er die Veränderungen im öffentlichen Raum und macht sie zum Material seiner Geschichten. TAKE 14 (MUSIK 4)- ODER EIN ANDERES STÜCK AUS DEM MATERIAL SPRECHER "Springende Impalas", eine Skulptur von Herman (ZITAT) Walde, wurde 1960 im Ernest Oppenheimer Park aufgestellt. Achtzehn Tiere in schnellster Bewegung, ein Bogen aus Hufen und Hörnern, rasant wie eine Schlittenfahrt, zwanzig Meter lang, anderthalb Tonnen Wild in Bronze gegossen. In den sechziger und siebziger Jahren besprengten Fontänen die Flanken der durchgehenden Tiere, während Büroangestellte auf den Bänken (nur für Weiße) ihre Pausenbrote verzehrten... Gegen Ende des Jahres 1999 jedoch fingen die Wilderer an, sie zu zerlegen, Köpfe und Beine mit Schneidbrennern und Kettensägen abzusäbeln... Vierzehn Tage später schleppten vier Männer ein ganzes Impala aus dem Park. Den Sicherheitskräften erklärten sie, sie brächten es in einen anderen Park. Metalldiebe. Eine Woche später wurden weitere zehn Köpfe entwendet. Später rettete die Polizei einen davon bei einem Schrotthändler in Boksburg. In einem Gebrauchtwarenladen... fand man ein Bein. In Johannesburg gibt es unzählige wilde Tiere, und die Wilderer nutzen die Jagdzeit ohne Schonung...." SPRECHERIN 1 Wilderer sind Menschen, die kein Land besitzen, auf dem sie Tiere jagen könnten, und die nicht einmal genug Geld für eine Jagderlaubnis haben. Die Metallwilderer von Johannesburg können ihren Lebensunterhalt offenbar nicht auf legalem Wege verdienen. Übrig bleiben Denkmalsruinen, am Ende vielleicht nur noch der steinerne Sockel. Bei seinen Gängen durch die Stadt stößt Ivan Vladislavic auch auf andere Überreste - stehen geblieben nicht als Ergebnis Einkommen schaffender Maßnahmen oder als Überbleibsel von Zerstörungswut. Es sind Zeichen von Veränderung: die Tomasons. TAKE 18 (O-TON VLADISLAVIC) The tomason... ... nature of cities. SPRECHER "Auf den Ausdruck "Tomason" bin ich durch die Arbeit (ÜBERSETZUNG) des japanischen Konzeptkünstlers Genpei Akasegawa gestoßen. Vor ein paar Jahren habe ich eine Ausstellung von ihm in der Tate Gallery in London gesehen. Sie hat mich fasziniert, denn er hat einem Phänomen einen Namen gegeben, das mir auch schon aufgefallen war, nämlich dass bestimmte Dinge in Städten einfach stehen bleiben. Wenn Sie durch die Stadt gehen, stoßen Sie auf merkwürdige, zurückgelassene Objekte, oft Überreste eines früheren Bauwerks oder Teil eines Gebäudes, das verlassen wurde. Oder der Rest einer Vorrichtung, die demontiert wurde. Diese seltsamen Dinge, die man nicht identifizieren kann, könnte man überall finden. Aber man stößt vor allem in der Stadt auf sie, weil es in der Natur von Städten liegt, sich zu verändern." SPRECHERIN 1 Wobei, das jedenfalls fällt der deutschen Leserin auf, Ivan Vladislavics Tomasons recht häufig mit dem Bemühen um Sicherheit zu tun haben. SPRECHER "Unsere Spezialität ist der Tomason der Zufahrten. (ZITAT) Überall finden sich verschwundene Toreinfahrten. In jeder Straße kann man eine Fläche in einer Mauer entdecken, auf der die Ziegel eine andere Farbe haben oder die Ziegellagen schlecht miteinander verbunden sind und so darauf verweisen, dass hier eine Lücke geschlossen worden ist. Ein Gartenweg endet an einem Zaun statt an einem Tor, am Fuß einer fest gefügten Mauer springt plötzlich eine Türschwelle hervor. Oft ist durch den Anbau eines Sicherheitszaunes oder einer Mauer der Briefkasten außer Reichweite des Briefträgers geraten. Die Geister kommen und gehen... Der häufigste Zufahrts-Tomason ist die Metallangel. In Torpfosten aus Ziegel oder Stein eingelassen und deshalb zu schwierig oder kostspielig zu entfernen, bleiben diese Angeln zurück, um die Stelle zu kennzeichnen, an der einst die alten Torflügel schwangen, bevor man sie abnahm und durch Sicherheitstore oder fernbediente Barrieren ersetzte." SPRECHERIN 1 Die Idee vom Tomason ist eine globale Geschichte: Von einem japanischen Künstler "entdeckt" und mit einem Namen ausgestattet, an einem renommierten Ausstellungsort in London der internationalen Öffentlichkeit präsentiert und anschließend von einem südafrikanischen Schriftsteller in seine Heimat mitgenommen und auf die dortigen Verhältnisse angewandt sowie per Buch weitergeleitet, zum Beispiel nach Deutschland. Eine weltweite Tomason-Kette. Wobei die Tomasons in Südafrika besonders günstige Existenzbedingungen vorfinden: TAKE 19 (O-TON VLADISLAVIC) When you have... ... wealthy places. SPRECHER "Es gibt sie vor allem in dynamischen Städten, wo (ÜBERSETZUNG) Veränderungen schnell vor sich gehen und Dinge zurückbleiben. Aber die Stadt darf auch nicht zu geordnet sein, denn dort wird andauernd aufgerämut, die Vergangenheit wird entsorgt. Das passiert an wohlhabenden Orten." SPRECHERIN 1 Nicht wohlhabend - auch wenn es Wohlhabende gibt - und stark in Bewegung: Das ist Südafrika. Stark in Bewegung ist auch die südafrikanische Literatur, vor allem in Form der Kurzgeschichte, wie sie Ivan Vladislavic und Henrietta Rose-Innes schreiben. Das hat einen einfachen Grund: Kurzgeschichten kann man leichter veröffentlichen. Man muss keinen Verlag für ein dickes, teueres Buch finden, um sie zu publizieren. TAKE 1 (MUSIK 1) SPRECHERIN 1 Henrietta Rose-Innes und Ivan Vladislavic, deren Bücher kürzlich auf Deutsch publiziert wurden, sind beide Weiße. "Stadtgeschichten", Kurzgeschichten aus dem heutigen Südafrika, neu und packend, haben auch schwarze Autoren geschrieben. In Südafrika blüht die literarische Landschaft. Deutschsprachige Verlage hat diese Nachricht bislang kaum erreicht. Immerhin, mit Rassismus hat es wohl weniger zu tun: Auch Antjie Krogs Bücher wurden bisher nicht auf Deutsch veröffentlicht. Nicht ein Einziges. MUSIK HOCH 16