Jens Rosbach Landesstudio Berlin Berlin, 19.11.2012 Redaktion: HEIDRUN WIMMERSBERG Länderreport: Stille Helden Berliner Geschichtsprojekt erinnert an deutsche Judenretter Anmod.: Als 1945 das ganze Ausmaß des Holocausts bekannt wurde, gaben sich die meisten Deutschen ahnungslos: Von der Judenvernichtung haben wir nichts gewusst, das konnte ja niemand ahnen - so die typische Reaktion des Durchschnittsbürgers. Doch heute ist klar, dass die Bevölkerung durchaus viel gesehen, viel gehört - und vor allem: stark mitgewirkt hat bei der Ausgrenzung, Diffamierung, Enteignung und Deportation ihrer jüdischen Nachbarn. Allerdings gab es Ausnahmen. Immer wieder halfen ganz normale Menschen heimlich den Verfolgten - nicht nur Prominente wie Oskar Schindler. Dass diese "stillen Helden" nicht vergessen werden - dafür setzt sich ein spezielles Berliner Geschichtsprojekt ein. Es handelt sich um eine kleine Gedenkstätte, die im nächsten Jahr ihr fünfjähriges Bestehen feiert. Jens Rosbach berichtet über die abenteuerlichen Rettungsgeschichten, die hier recherchiert und präsentiert werden. Atmo Vögel I Atmo Stimmengewirr 005 Ende August; eine ungewöhnliche Zusammenkunft in einer Berliner Datschensiedlung. An einem Gartentisch: eine kleine, alte Frau mit Brille. Sie trägt einen rosafarbenen Blazer, weiße Schuhe sowie, an einer Halskette, einen goldenen Davidstern. Ihr Name ist Ruth Winkelmann. Die 84-Jährige hat einst, in der Reichshauptstadt, den Holocaust überlebt - versteckt in solch einer Laubenkolonie. Winkelmann Es war wirklich nur eine Bretterbude, die außen mit Dachpappe fest gemacht wurde. Wo ... beim leichtesten Nullgrad ist das Wasser eingefroren in der Küche. Also - es war furchtbar! Die Berlinerin spricht vor zwei Dutzend Besuchern, die inmitten von Sonnenblumen, Apfelbäumen, Gemüsebeeten und Gartenzwergen Platz genommen haben. Barbara Schieb, Publizistin und Historikerin, befragt die Zeitzeugin. Moderatorin Das können wir uns heute ... Winkelmann ... nicht mehr vorstellen! (lacht). Moderatorin Gerade, wenn man hier in dieser wunderschönen Gegend sitzt, denkt man, das ist ja wirklich so etwas Lauschiges. Aber wie schwierig das Leben in der Zeit in solchen Kolonien gewesen ist - aber auch für die anderen, die hatten... (Winkelmann) Natürlich! (Moderatorin) genauso eingefrorene Leitungen... (Winkelmann) Ja, natürlich! (Moderatorin) ...und mussten zusehen, wo sie etwas zum Brennen herkriegten. (Winkelmann) Jajaja! (Moderatorin) Aber bei Ihnen kam erschwerend hinzu, dass die Angst.. (Winkelmann) Die Angst! (Moderatorin) ... und die Unwägbarkeit. Sie wussten tatsächlich nicht, was ist übermorgen? 048 Atmo Stimmen 003 Ruth Winkelmann ist Gast des Berliner Geschichts-Projektes "Stille Helden". Denn die Jüdin, die damals 15, 16 Jahre alt war, konnte nur mithilfe eines Retters überleben: Leo Lindenberg. Der Angestellte einer Krankenkasse hatte Ruth - sowie ihre Schwester und ihre Mutter - zwei Jahre lang in seinem Schrebergarten untergebracht. Illegal. Winkelmann Er selber war Parteigenosse, weil er ne Leiter hochgehen wollte als Beamter. Wenn das jemand gewusst hätte, dann wäre er nach Auschwitz oder irgendwo umgebracht worden, das ist klar. 010 Warum half der Krankenkassen-Mann? Er hatte sich in Mutter Winkelmann verliebt. Sein Einsatz rettete Ruth und ihrer Mutter das Leben. Nach dem Krieg gab es ein romantisches Happy-End. Winkelmann Meine Mutti hat ihn dann geheiratet. Und er selber... Meine Mutter ist mit 82 verstorben. Und er ist 99 Jahre geworden. Also es fehlten noch fünf Tage und fünf Monate zum Hundertsten. Und mein Sohn hat ihn bis zur letzten Minute gepflegt. Die Dankbarkeit, die wir hatten oder die ich hatte, die hat sich auf meinen Sohn übertragen. 025 Atmo Hackescher Markt 005 Atmo Gedenkstätte Berlin-Mitte, am Touristen-Mekka Hackescher Markt. Eine Toreinfahrt, voll geklebt mit vergilbten Kino-Plakaten. Ein schmaler Aufgang, eine Tür, dahinter schließlich: strahlend weiße Ausstellungsräume. Touchscreen-Monitore, Recherche-Computer und Hörstationen - High-Tech für rund 600 dramatische Rettungsgeschichten. Überblenden: Atmo (Hörstation) Die Berliner Pfarrersfrau Agnes Wendland ist in ihrer Gemeinde für ihre unermüdliche Hilfsbereitschaft bekannt. Sie und ihre Familie beobachten mit Sorge die antijüdischen Maßnahmen ... 011 Atmo (Hörstation) Sioma Schönhaus muss seit Anfang 1942 Zwangsarbeit in einer Waffenfabrik leisten. Der jüdische junge Mann ... 007 Atmo (Hörstation) Im Mai 1943 kommt Charlotte Bamberg zu ihnen, eine Jüdin Anfang 50, deren vorheriges Quartier verraten worden ist... 009 Die Gedenkstätte Stille Helden hat jahrelang die Biografien zumeist unbekannter Judenhelfer zusammen getragen. Eine mühselige Recherche. Denn auch nach dem Ende der Nazi- Herrschaft wollten viele Retter lieber anonym bleiben. Bis heute sei nur ein kleiner Teil der Helfer bekannt, berichtet Barbara Schieb, die das Projekt mit leitet. Schieb Der Großteil der Deutschen waren tatsächlich Nazis. Es gab dann unter den Alliierten, den Westalliierten, dann die Entnazifizierung. Und da gab's doch etliche Leute, die Parteimitglieder waren, auch bei der SS waren - haben sich als Entschuldigung zurechtgelegt: Ja, aber ich habe doch mal einem Juden geholfen. Oder ich hatte etliche Juden im Keller. Ohne es aber genau zu benennen. Es war einfach so eine Entlastung. Und diejenigen, die tatsächlich Juden versteckt hatten, wirklich mit dem Risiko an Leib und Leben, habend das gehört und haben gesagt: Also mit diesen Nazis wollen wir uns nicht gemein machen. 036 Die Berliner Gedenkstätte hat eine ernüchternde Bilanz erstellt. Nach ihrer Schätzung gab es unter den 80 Millionen Reichsdeutschen nur einige Zehntausend, die verfolgten Juden halfen. Also höchstens 0,1 Prozent der Gesamt-Bevölkerung. Die Untergetauchten lebten zumeist in der Metropole Berlin. Hier versuchten sich bis zu 7000 Todgeweihte zu verstecken; circa 1800 von ihnen überlebten nachweislich - dank mutiger Unterstützer. Bislang konnten die Namen von rund 3000 "stillen Helden" in Berlin ermittelt werden. Was waren das für Menschen, was war ihr Motiv? Die Projektleiterinnen Barbara Schieb und Beate Kosmalla haben festgestellt, dass diese "guten Deutschen" in keine Schublade passen. Es handelt sich um Bekannte und Nachbarn von Verfolgten; aber auch um unbekannte Hausfrauen, Soldaten, Angestellte und Unternehmer - darunter Christen, Kommunisten und sogar NSDAP- Mitglieder. Schieb Was ihnen allen gemeinsam ist, ist eine Ablehnung der rassistischen Kategorien der Nazi- Ideologien. Sie haben immer Menschen als gleich angesehen. Selbst bei Christen, die manchmal auch noch so antijudaistisches Gedankengut in sich trugen. Wenn sie gefragt wurden, waren sie bereit, denn sie haben den Menschen gesehen. 025 Kosmalla Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Helferin, die sagte: Also ich konnte eigentlich Juden überhaupt nicht leiden. Aber die Familie Rosenberg war nett. Und da dachten wir uns, da helfen wir mal. Also es gab sehr viele, die durchaus Mitläufer waren, lange Zeit. Und dann war es manchmal so, dass wir sagen würden: Naja, es war eigentlich Zufall. Also sie wurden in einer bestimmten Situation von anderen gefragt: Könnt Ihr jemand aufnehmen, die sind ganz konkret bin Gefahr. Und dann haben sie plötzlich ja gesagt. 032 Atmo Türklopfen 003 So konnte auch die Berlinerin Hanni Levy überleben, eine mittlerweile 88 Jahre alte Dame. Als die Gestapo 1943 vor ihrer Tür steht, kann Levy fliehen und sich bei verschiedenen Leuten verstecken. Aber immer nur für kurze Zeit. In ihrer Not wendet sich die Untergetauchte an eine Kino-Kassiererin, die sie vom gelegentlichen Plaudern kennt: Viktoria Kolzer. Levy Ich habe ihr gesagt: Es ist nicht so, wie Sie denken, ich bin Jüdin. Ich habe ihr das klar und offen gesagt. Ich weiß nicht, wo ich schlafen werde in zwei Tagen. Da hat sie sofort gesagt: Dann kommen Sie zu mir! Mein Sohn ist im Feld, vielleicht wird ihm auch geholfen. 016 Levy lebt heute in Paris. Kürzlich besuchte sie, auf Einladung der Berliner Gedenkstätte die deutsche Hauptstadt. In einem schlichten Hotelzimmer erzählt die agile Seniorin ihre unglaubliche Rettungsgeschichte: Kinofrau Kolzer muss damals, in einer kleinen Wohnung, ihren kranken Ehemann pflegen - dennoch nimmt sie die junge Jüdin auf. Mitten im Bombenkrieg. Levy Und sie teilte die Lebensmittelkarte mit mir. Wir gingen Pferdefleisch holen. Sie tauschte alles ein, was nicht unbedingt nötig war, um Brot oder Kartoffeln oder sonst was zu haben. Aber das muss man sich vorstellen! Dann fielen die Bomben immer mehr. Wir gingen in Luftschutzkeller, blieben dort bis zum Morgengrauen. Ein wunderbares Verhältnis! Die Frau ist meine Mutter geworden. 025 Andere Berliner schreien zu jener Zeit Hass-Parolen, denunzieren Juden oder ziehen in die Wohnung von Deportierten ein. Die Kolzers jedoch riskieren ihr Leben für einen angeblichen Untermenschen. Levy Und eines Tages kam der Sohn auf Urlaub - und ich lag in seinem Bett. Und er hat die volle Verantwortung mit übernommen. 009 Atmo Türklopfen 003 Die barmherzigen Helfer, wie Familie Kolzer oder Krankenkassen-Mitarbeiter Leo Lindenberg, riskierten damals ihr Leben. Durch dutzende Interviews und durch das Studium Hunderter Akten weiß man beim Geschichtsprojekt "Stille Helden": Wurden die Helfer, die so genannten "Judenknechte", erwischt - landeten sie im Gefängnis oder im KZ. Kosmalla Aber wir finden ganz erstaunliche Dinge heraus. Also manchmal wurden Juden verraten, die sich bei Nichtjuden versteckt hatten. Und die Gestapo kam, hat die jüdische Person raus geholt - und die Helfer wurden nicht weiter belangt. Und man kann schlussfolgern, dass die Nationalsozialisten eigentlich dieses Thema gar nicht breit in der Bevölkerung haben wollten. Dass es sogar eine recht große Gruppe von Menschen gibt, die bereit ist, Juden zu verstecken. 032 Atmo Gong Pendeluhr 005 Atmo Holzdielen Berlin-Charlottenburg, ein Ziegelflachbau in einem verwilderten Garten. Eine schwere Pendeluhr, dunkle Holzdielen und Stühle aus geflochtenem Bast. Hier lebt der Mediziner Eugen Kahl, 85 Jahre alt. Kahls Familie hat einst Juden vor dem Tod bewahrt - in Frankfurt am Main. Eugen Kahl erinnert sich noch genau: Anfang 1943 war er, als 16-jähriger Schüler, zur Flak in der Umgebung abkommandiert. Da er warme Winterkleidung brauchte, durfte er kurz nach Hause fahren. Kahl Also erschien ich unangemeldet zu Hause, ging auf unseren Dachboden, wo ich Trainingshosen und andere warme Kleider vermutete. Und sehe auf einmal einen Mann vor mir stehen. Es ist ein ziemlich dunkler Dachboden gewesen, der aber einen Lichtschacht hatte. Und dieser Mann kriegte einen Riesenschreck - und verschwand hinter diesem Lichtschacht. Ich selbst habe aber auch einen Schreck bekommen. Bin also drei Stockwerke runter zu meinem Vater gegangen, habe ich gefragt: Was ist denn hier bei uns los? Und da erfuhr ich dann, dass meine Eltern einen Flüchtling aus Majdanek zurzeit verbergen. 038 Der KZ-Flüchtling hieß Robert Eisenstädt; er hatte es - mit Mut, Tricks und Glück - geschafft, aus dem besetzten Polen zurück ins heimatliche Hessen zu gelangen. Die Kahls nahmen den Häftling heimlich auf - ohne den eigenen Kindern davon zu erzählen. Als Eugen schließlich davon erfuhr, war er nicht besonders erstaunt. Denn die Familie hatte seit Jahren Kontakte zu Juden sowie zur Bekennenden Kirche; die Kahls lehnten die Naziideologie entschieden ab. So wurden auch die Kinder früh einbezogen, diskriminierten Juden zu helfen. Eugen belieferte auf seinem Fahrrad - trotz großer Gefahr - die Entrechteten mit Essen. Darunter ein Rentner-Ehepaar, das im Winter 1941/42 in einer Mansardenwohnung dahinvegetieren musste. Kahl Und die saßen in Mänteln, ungeheizt, und hungerten. Und von denen weiß ich, dass sie deportiert wurden. Dieses Elend, in denen diese beiden Leute vegetieren mussten, aus keinem anderen Grund als ihre jüdische Religion .... das, das kann ich auch bis heute nicht vergessen. Diese... diese Wut über diese Willkür! 025 Familie Kahl versteckte - neben dem Flüchtling auf dem Dachboden - auch noch eine Jüdin in der Waschküche. KZ-Häftling Eisenstädt musste allerdings schnellstens verschwinden. Zusammen mit seiner jüdischen Freundin sollte er in die Schweiz geschleust werden. Doch die Schweiz schob damals geflohene Juden wieder ab - es sei denn, es handelte sich um Paare, die ein Kind erwarteten. Vater Kahl, ebenfalls Mediziner, empfahl den beiden eine Schwangerschaft. Doch Robert Eisenstädt war - aufgrund schwerer Haft-Verletzungen - nicht fähig zu einer Zeugung. Kahl Sodass mein Vater sich entschloss zu einer künstlichen Befruchtung. Eisenstädt schreibt es in seinen Erinnerungen selber, dass er zweimal in der Praxis auftauchte und Samen spendete und dass dann schließlich daraus eine Schwangerschaft wurde. In seinen Erinnerungen schreibt Eisenstädt: Es hat funktioniert! 022 Atmo Vögel II Atmo Stimmengewirr 004 Schäfer Also ich hab schon einige solche Veranstaltungen mitgemacht, aber jedes Mal merkt man wieder, wie unterschiedlich die Geschichten sind und dass man sich eigentlich nie satt hören kann und man immer wieder fasziniert und erschreckt ist, wie die Leute das überlebt haben irgendwie. 013 Ulrike Schäfer, 26 Jahre alt und Besucherin des Zeitzeugengesprächs in der Berliner Laubensiedlung. Die Kulturwissenschafts-Studentin hat dem Bericht der Jüdin Ruth Winkelmann gelauscht. Hätte sie damals, genauso wie der Krankenkassenmitarbeiter, Verfolgten geholfen? Und damit ihr eigenes Leben riskiert? Schäfer Das stellt man sich natürlich vor und man möchte denken, dass man sicher jemand gewesen wäre, der geholfen hätte. Aber ... das kann ich nicht wissen. Weil ich es nie erlebt habe. Also ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, ich hätte auf jeden Fall geholfen. Ich glaube, mein Misstrauen in mich selbst ist zu groß. 016 Never Die Nazis haben es ja geschickt gemacht, nicht. Ergänzt Besucher Holger Never, ein 46-jähriger Bauingenieur. Never Die haben die Menschen so für sich eingenommen. Ich bin sehr sportlich. Ich habe immer eine zeitlang, ansatzweise Leistungssport betrieben. Und wenn die Nazis auf diese Weise Zugang zu mir gekriegt hätten, dann hätten sie es vielleicht schaffen können. Das lässt mich heute erschaudern, dieser Gedanke. Irgendwann wäre man vielleicht aufgewacht, wenn man jemanden kennen lernt, der jüdischer Abstammung gewesen wäre oder so. Hätte gemerkt, dass das falsch läuft. Aber es sind alles hypothetische Fragen, das kann ich nicht sagen. 028 Atmo Applaus 004 Holocaust-Überlebende Ruth Winkelmann freut sich über die Resonanz auf ihre Erinnerungen. Trotz ihrer 84 Jahre hält sie immer wieder Vorträge über ihre Rettung im Schrebergarten. Winkelmann Jetzt ist im Augenblick, gerade bei den jungen Menschen, also so zwischen - möchte sagen - von 25 an bis 35 ist ganz ... wie ein Löschblatt wird das aufgenommen. Sehr schön! Sehr schön! Finde ich sehr gut! 015 Ruth Winkelmann hat allerdings jahrzehntelang über ihr Schicksal geschwiegen. Denn sie musste verarbeiten, dass sie es zwar geschafft hatte, ihr Vater aber nicht. Er war früh deportiert und dann in Auschwitz vergast worden. Auch ihre kleine Schwester überlebte nicht. Sie hatte im Laubenversteck Diphterie bekommen. So konnte sich Winkelmann erst vor zehn Jahren dazu durchringen, ihre Geschichte aufzuschreiben - Notizen, die später in ihre gedruckte Biografie "Plötzlich hieß ich Sara" einflossen. Winkelmanns nichtjüdischer Lebenspartner, der 85-jährige Karl-Heinz Gensow, erzählt von der schweren Zeit der Aufarbeitung. Gensow Na, dann hat sie sich hingesetzt und dann hat sie geschrieben. Aber immer wieder mit Abständen, mit Ausbrüchen, Tränenausbrüchen. Dann wieder raus und Spaziergang gemacht, kam sie wieder. Dann waren natürlich ... für uns beide nicht ein gespanntes Verhältnis, aber wir mussten Abstand nehmen, verstehen Sie? Ja, ich bin ihr aus dem Weg gegangen, hab mich dann zurück gezogen, hab dann Bastelzeug genommen und hab mich verzogen ja (schmunzelt). 026 Atmo Pendeluhr 004 Die Verfolgungs- und Rettungsgeschichten wieder aufleben zu lassen, ist für viele Überlebende ein Kraftakt. Mediziner Eugen Kahl hat es selbst erlebt. Der 85-Jährige erinnert sich, dass der versteckte KZ-Häftling in seinem Elternhaus - sowie dessen Freundin - tatsächlich in die Schweiz fliehen konnten, dank der künstlichen Befruchtung. Die Tochter, die kurz darauf zur Welt kam, lebt heute in den USA. Sie heißt Maja Hill und besuchte vor vier Jahren Berlin. Die Tochter der Überlebenden und der Sohn des Retters sahen sich hier zum ersten Mal. Kahl Es war ja doch letztlich eine fremde Person, der man aber das anmerkte, wie sie richtig erschüttert war, ja. Denn für sie war das ja die Begegnung mit dem Sohn des Arztes, dem sie ihr Leben verdankten. Wir lagen uns schon in den Armen, ja. 019 Dennoch lag ein Schatten über dem Treffen: Die amerikanische Jüdin und der nichtjüdische Deutsche sprachen kein Wort über die unglaubliche Rettung 65 Jahre zuvor. Kahl Wir haben nicht... wir sind darüber... sie sagte dann einfach, hat das wohl auch abgebrochen dann: Wir wissen ja, was uns verbindet. Wir wissen das ja. Es war deutlich, dass Ihr Wunsch das war, nicht darüber zu sprechen und den habe ich respektiert. 017 Barbara Schieb vom Projekt Stille Helden kennt das Problem: Nach dem Krieg haben sich Helfer und Überlebende häufig aus den Augen verloren, mitunter wollten sie auch keinen Kontakt mehr miteinander haben. So verliefen persönliche Begegnungen, die die Gedenkstätte in den vergangenen Jahren initiiert hat, mitunter recht kühl. Schieb Man muss sich vorstellen, eine Untergetauchte ist so gefährlich wie Dynamit. Und das ... über einen längeren Zeitraum muss man wirklich einen Tag gut organisieren. Seiner eigenen Arbeit nachgehen, die eigenen Kinder betreuen, wenn man welche hat. Und die Untergetauchten auch so gut versorgen, dass sie nicht zusammen brechen. Also es kam öfter mal auch zu ganz ganz schwierigen Situationen, die jeder auch noch gut im Gedächtnis hat. Da wurde sich angeschrieen. Da wurden sich Vorwürfe gemacht. Es konnte auch mal Misstrauen in der Wohnung herrschen. Und deswegen waren auch die Treffen dann danach nicht immer einfach. 039 Die Historikerin versucht in solchen Fällen, die "Heldengeschichten" gerade zu rücken. Schieb Wenn dann nicht einer von außen kam oder sagte: Ihr habt das alle ganz toll gemacht. Und Ihr habt ne ganz schwierige Situation hier gemeinsam gemeistert, dann haben die das selbst zum Teil gar nicht so gesehen. 012 Atmo Türklopfen 004 Hanny Levy, die den Gestapo-Häschern entkommen konnte, lässt dagegen nichts auf ihre Retterin, die Kino-Kassiererin Viktoria Kolzer, kommen. Jahrzehntelang hatten die beiden innigen Kontakt, bis Kolzer 1976 starb. Levy schaffte es, dass ihre "Ersatzmutter" heute in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem geehrt wird - als "Gerechte unter den Völkern". Die 88-jährige Pariser Jüdin trat kürzlich in Berlin auf, um öffentlich Zeugnis abzulegen von den guten Deutschen, von den wenigen Mutigen. Levy Ich kann heute noch nicht anders sagen, als dass ich einen unendlichen Dank an diesen Menschen ... dass ich das eigentlich alles tue, damit diese Menschen nicht vergessen werden. 012 1