DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 08.12.2009 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Morde unter deutschem Schutz? Menschenrechtsverletzungen in Afghanistans Norden Von Marc Thörner Co-Produktion DLF/SWR/WDR O-Ton junger Bewohner: Dari Übersetzer 1 Der erste Helikopter kam hier runter, auf diesem Feld zwischen den Häusern. Als der zweite aufsetzte, sprangen die Soldaten raus. Sie liefen auf unsere Häuser zu und fingen sofort mit der Durchsuchung an. O-Ton alter Bewohner: Dari Übersetzer 2: Insgesamt waren es fünf Maschinen. Die Besatzungen von zweien kamen auf mein Haus zu, als ich gerade zum Morgengebet in die Moschee wollte. Einer schlug mich mit seinem Gewehr auf den Kopf, so stark, dass ich zu bluten anfing. O-Ton Oberst Karsten Steue Ich weiß darüber nichts. Sag' ich Ihnen auch nichts zu. Übersetzer 1: Sie erlaubten uns keine Fragen. Wann immer jemand wissen wollte, warum sie gekommen waren und was sie hier wollten, gab es als Antwort ein paar Schläge. O-Ton Oberst Karsten Steue: Erstens weiß ich's nicht, ich hab's auch nur gehört von dem Gouverneur. I don't know. Weiß ich nicht. O-Ton mehrere Bewohner: Dari: Übersetzer 1: Sie haben sich nicht zu erkennen gegeben, sondern uns befohlen die Hände auf den Rücken zu nehmen und uns flach auf den Boden zu legen. Oberstleutnant Rainer Zaude: Kann ich Ihnen nicht bestätigen.Ich kann nur wiederholen: es waren keine ISAF-Truppen beteiligt. Ansage: Morde unter deutschem Schutz? Menschenrechtsverletzungen in Afghanistans Norden Ein Feature von Marc Thörner Autor: Ende 2008 besuchte ich Alam Khail, einen Flecken etwa 30 Kilometer entfernt von Mazar-e Sharif, dem Sitz des ISAF-Regionalkommandos Nord, dort wo die deutsche Bundeswehr das Sagen hat. Lehmhäuser mit schmiedeeisernen Fenstergittern. Felder. Rissiger trockener Boden in derselben Farbe wie die Häuser. Im Gästehaus des Dörfchens saßen ein paar Anhänger einer fundamentalistischen Partei, der Hizb Islami. Unter ihnen auch "Kommandanten" ? wie man hier die ehemaligen Anführer im Krieg gegen die Sowjets nennt: Hochgewachsene knorrige Gestalten. Manche zitterten vor Nervosität. Bitte keine Fotos, sagten sie im Flüsterton. Und vor allem: keine Namen nennen. Einer prüfte, ob Fenster und Türen fest verschlossen waren. Dann las er eine Liste mit Namen vor: von Stammesführern, Gemeindechefs, einflussreichen Persönlichkeiten. Alle gehörten der paschtunischen Minderheit an; alle, die auf dieser Liste standen, waren im Lauf des Jahres 2008 getötet worden. 18 Personen. Unter ihnen auch Mitglieder der Hizb Islami. Es gibt hier im Norden zwei große Mudschaheddin-Organisationen, die damals gegen die sowjetischen Invasoren kämpften. Die paschtunisch geprägte Partei Hizb Islami und die Jamiat Islami, ihr gehören hauptsächlich Tadschiken an. Nach dem Abzug der Roten Armee, 1991, zerfleischten Hizb und Jamiat sich in einem mörderischen Bürgerkrieg. Tausende starben. Zwei Drittel der afghanischen Hauptstadt Kabul versanken damals in Schutt und Asche. Die paschtunische Hizb Islami ist in dieser Region der tadschikischen Jamiat Islami hoffnungslos unterlegen. Der hier herrschende Gouverneur Mohammed Atta ist ein Tadschike. Jedes unbedachte Wort gegen ihn, so machten die paschtunischen Männer deutlich, könnte für sie lebensgefährlich sein. Was uns der lokale Chef der Hizb Islami erklärte, ließ keinen Zweifel daran, wen er für die Morde an den 18 Paschtunen verantwortlich machte. O-Ton Hizb-Islami-Vertreter: Dari: Übersetzer 2: Die Provinzregierung geht diesen Morden nicht nach. Warum nicht? Die Behörden sollten endlich eine Untersuchung in die Wege leiten. Wenn diese Verbrechen nicht aufhören, wird sich eine Kluft zwischen unserer Bevölkerung und der Provinzergierung auftun. Unsere Menschen sind von der Regierung enttäuscht. Sollte weiterhin nichts bessern, dann werden sie ihr den Rücken kehren. Atmo: Dorf und Paschtunische Musik. Autor: Paschtunen bilden die Mehrheit der Gesamt-Bevölkerung Afghanistans. Sie leben auch auf der anderen Seite der Grenze, in Pakistan. In Balkh, Kundus, Sar-e Pol und den anderen Nordprovinzen allerdings ist ihre Volksgruppe in der Minderheit. Denn hier leben überwiegend Tadschiken, Usbeken und Hazara. Während wir auf dem Rückweg nach Mazar-e Sharif durch ähnliche Dörfer wie Alam Khail fahren, versuche ich, Unterschiede zwischen tadschikischen und paschtunischen Dörfern dingfest zu machen - vergeblich. Die Orte gleichen sich wie ein Ei dem andern. Überall Lehmhäuser, rissige Lehmmauern. Und in einstöckigen Ladenzeilen ärmliche Geschäfte. Zwischen den einzelnen Flecken und Weilern begegnen uns immer wieder kleine Karawanen von Kamelen, die ein Eselreiter an einer langen Leine zur Feldarbeit führt. Längs der Straße haben Kutschi-Nomaden ihre Zelte aufgeschlagen und weiden ihre Schafe auf der kargen Steppe. In der Ferne zeichnet sich die Silhouette von Mazar-e Sharif ab: der Kuppelblau der Blauen Moschee. Tiefer Friede, so scheint es, mitten in Afghanistan. Doch hinter dieser Kulisse haben sich Konflikte aufgestaut. Nicht erst seit Beginn des "Krieges gegen den Terror" 2001, sondern seit Generationen. O-Ton Tillmann Schmalzried: Im 19. Jahrhundert haben die paschtunischen Könige in Kabul versucht, ihre Macht nach Norden auszudehnen(/) Autor Tillmann Schmalzried ist Afghanistan-Koordinator bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. O-Ton Tillmann Schmalzried weiter: Sie haben eine Paschtunisierungspolitik betrieben.(/)Paschtunen wurden hauptsächlich in die Gebiete des Nordens gesetzt, die landwirtschaftlich besonders fruchtbar waren.So sind die Paschtunen nach Norden gekommen, in bestimmte Gebiete und der Wille dahinter war tatsächlich eine Paschtunisierung. Autor: Aus den Dörfern führen alle Wege nach Mazar-e Sharif. Die Handelsstadt im Norden, unweit der Grenze zu Usbekistan, war immer schon ein Zentrum. Hier konzentrierte sich geistige Macht nicht weniger als wirtschaftliche und militärische. Rund um das zentrale Heiligtum, die Blaue Moschee, in der Ali, der Schwiegersohn des Propheten Mohammed begraben sein soll, finden sich verschiedene Märkte. Um diese Märkte ist wiederum die Stadt gewachsen: Gesichtslose beigefarbene Häuserzeilen, hier und da ein neueres Gebäude aus Beton, viele unfertige Rohbauten. In den Vororten stehen einfache Lehmhäuser, wie sie auch in den Dörfern der Umgebung zu sehen sind. Der Tadschikengeneral Mohammed Atta Nur ist der unumstrittene Herr über die Balkh-Provinz. Er hatte sich 2004 in den Diadochenkämpfen nach der Vertreibung der Taliban gegen seinen Rivalen von der sog. Nordallianz, gegen General Dostum, einen Usbeken, durchgesetzt. Dies Territorium baut Atta zu einem quasi unabhängigen Teilstaat aus. Und je mehr sich Atta von Kabul abnabelt, desto häufiger gebe es Übergriffe gegen die paschtunische Minderheit, erzählt mir Abaceen Nasimi. Er ist Redaktionsleiter beim Institute for War and Peace Reporting, einer internationalen Nachrichtenagentur mit Sitz in London und Kabul. Mit dieser Taktik versuche sich Gouverneur Atta bei seinen tadschikischen Unterführern populär zu halten. O-Ton Abaceen Nasimi:There have been ... Übersetzer 3 : Es gab eine Menge Morde. Stammesführer und einflussreiche Persönlichkeiten wurden umgebracht. Nach den uns vorliegenden Berichten, und den Beobachtungen lokaler Mitarbeiter steckt Gouverneur Atta hinter dieser Intrige gegen die paschtunische Bevölkerung. Das Ganze ist eine hochsensible Sache, weil Attas Geheimdienst in und um Mazar-e Sharif allgegenwärtig ist und weil er in der gesamten Bevölkerung eine Atmosphäre der Angst erzeugt. Niemand kann wagen, öffentlich etwas über diese Vorfälle zu sagen. - issues Autor: In sämtlichen paschtunischen Gemeinden, die wir in diesen Tagen Ende 2008 im Umkreis von Mazar-e Sharif besuchten, erzählten die Bewohner von Drangsalierungen durch die örtlichen Behörden. Immer wieder tauchte ein besonderes Szenario auf: Autor: Hubschrauber landen. Hubschrauber, aus denen unbekannte Kommandos steigen. Zum Beispiel im Dorf Khanabad. Dort landeten am 10. Oktober 2008 unbekannte Soldaten, misshandelten mehrere Dorfbewohner schwer, verwüsteten die Häuser und flogen anschließend ohne Erklärung wieder ab. Zitator: Thomas Kossendey: "Der Gouverneur der Provinz Balkh, Atta Mohammad Nur, hat am 11. Oktober 2008 zu dem erwähnten Vorfall eine Pressekonferenz gegeben. Er führte aus, dass diese Operation von afghanischen Kräften aus Kabul unter dem Befehl des Innenministeriums ohne Beteiligung von ISAF durchgeführt worden sei." Autor: ... teilt das Bundesverteidigungsministerium auf Anfrage zu dieser Aktion mit. Unterschrift: Thomas Kossendey, parlamentarischer Staatssekretär. Lässt Gouverneur Atta in der Umgegend seiner Provinzhauptstadt also die Paschtunen durch Kommandoeinheiten aus Kabul angreifen? Auf mein Ersuchen um ein Interview reagiert Atta ganz schnell, bittet mich umgehend in seinen Gouverneurspalast. O-Ton Gouverneur Atta:Dari Übersetzer 4: Es handelte sich nicht um einen Einsatz afghanischer, sondern ausländischer Soldaten. Operationen wie diese halte ich für äußerst kontraproduktiv. Sie tragen nur dazu bei, in dieser Gegend die Unsicherheit zu fördern. In der betreffenden Pressekonferenz haben wir der Bevölkerung gesagt: Lasst nicht zu, dass ausländische Truppen euch auf diese Art noch einmal angreifen. Lasst nicht zu, dass sie ohne Einverständnis der afghanischen Regierung handeln. Sollte so etwas noch einmal vorkommen, dann werden wir dem Widerstand entgegen setzen. Autor: Ich höre mir meine Aufnahmen vom Interview mit dem Gouverneur später ein paar Mal hintereinander an. Und dann betrachte ich wieder die Stellungnahme aus dem Bundesverteidigungsministerium. Die Behauptungen sind diametral entgegengesetzt. Ich suche einen Zeugen: Yaqub Ibrahimi, der lokale Korrespondent des Institut for War and Peace Reporting sieht sich die Erklärung von Verteidigungs-Staatssekretär Kossendey an und schüttelt den Kopf: O-Ton Yaqub Ibrahimi:No. It is completely wrong. Übersetzer 3: Das ist völlig falsch. (/) Ich war auf dieser Pressekonferenz des Gouverneurs anwesend, ebenso wie sämtliche meiner Kollegen. Atta lancierte so etwas wie einen öffentlichen Aufruf. Er sagte: Wenn diese Ausländer so eine Aktion noch mal durchführen, dann werde ich die Bevölkerung anweisen, sie mit Steinwürfen zu vertreiben. In dem Paschtunendorf sind Ausländer gelandet. Als ich einen Tag nach der Operation mit den Bewohnern von Khanabad sprach, äußerten auch sie sich mehr als deutlich. Manche hatten sogar die US-Flagge auf den Ärmeln der Soldaten erkannt. Außerdem hatten sie afghanische Dolmetscher bei sich. Die Leute können Afghanen durchaus von Ausländern unterscheiden. Und warum sollte ein afghanisches Kommando Dari- oder Paschtu-Übersetzer benötigen? -translators Autor: Meine Bitte, den Text der angeblichen Äußerungen des Gouverneurs Atta in Kopie zu übersenden, lässt das Verteidigungsministerium unbeantwortet. Könnte es tatsächlich sein, so fange ich zu überlegen an, dass das Bundesverteidigungsministerium ganz einfach platte Falschinformationen herausgibt, weil die Wahrheit nicht ins politische Konzept passt; weil korrekte Informationen die Bemühung stören, dem Mandat zum Aufbau Afghanistans die gewünschte breite Unterstützung zu verschaffen? Ende 2008 wuchs in der Regierungskoalition von SPD und CDU die Kritik, insbesondere an Aktionen der US-Armee und an deren brutalem Vorgehen, den sog. "Kollateralschäden" und den vielen zivilen Opfern. Dass die Koalitions-Regierung die Öffentlichkeit mit gezielten Falschinformationen fütterte, das galt unter Fachkundigen schon lange als ein offenes Geheimnis. Und zwar auch dort, wo man es besonders gut wissen muss: O-Ton Citha Maass: Die Amerikaner werfen der Bundeswehr vor, dass die Bundeswehr nicht robust genug im Norden vorgeht, Autor: Citha Maass ist Afghanistan-Beauftragte der Stiftung für Wissenschaft und Politik, der Denkfabrik des Bundeskanzleramts O-Ton Citha Maass weiter: insofern folgern sie daraus, dass sie als die stärkste Militärmacht in Afghanistan das Recht haben, die Möglichkeit haben, dann eigene Aktionen durchzuführen, wenn sie Informationen auf Nester, in denen sich Aufständische versteckt haben, erfahren. Offiziell wird das nicht zugegeben. Inoffiziell hört man immer wieder, dass es vor allem amerikanische Spezialeinheiten sind, die entweder in der Bekämpfung von aufständischen Gruppen, Taliban oder Hekmatyar oder möglicherweise auch in der Drogenbekämpfung im Norden eingesetzt werden. Ich gehe sogar davon aus, dass teilweise die Bundeswehr nicht darüber informiert wird von den amerikanischen Bündnispartnern. Und wenn sie's erfahren, dann werden sie's natürlich mit Rücksicht auf den großen Verbündeten auch nicht offen zugeben. Autor: Um die Jahreswende 2008 / 2009 setzten sich im Herrschaftsbereich des deutsch geführten Regionalkommandos Nord die Verbrechen an der paschtunischen Bevölkerung fort. Als Drahtzieher wird unter anderen Gouverneur Atta vermutet. O-Ton Gemeindeführer:Dari: Übersetzer 2: Mit Nasir Shah, einem der Getöteten, war ich noch 15 Minuten vor seinem Tod zusammen. Ausgeführt wurden einige der Morde durch die lokale Polizei und den Inlandsgeheimdienst NDS. Zum Beispiel der Mord an dem paschtunischen Direktor eines Gymnasiums. Nachdem man ihn dingfest gemacht hatte, fand man einen Geheimdienstausweis bei ihm. Als man den Mörder zur Lokalverwaltung brachte, sagte der zum Verwaltungschef: Hier ist die Telefonnummer des Gouverneurs, ruft ihn mal an. Das tat der Beamte. Und danach ordnete er unverzüglich an, den Mörder freizulassen. Ein anderes der Opfer heißt Ali Khan. Seine Mörder wurden von Dorfbewohnern verfolgt und dabei fanden sie die Kleidung der Täter, es waren Polizeiuniformen. Autor: Die gleichen Polizeiuniformen, wie sie die Männer tragen, die von Bundeswehr und Bundespolizei in Mazar-e Sharif im Schießen und in der Verfolgung von Verdächtigen gebildet werden, beklagte der überlebende paschtunische Gemeindechef: O-Ton Gemeindeführer:Dari Übersetzer 2: Als die ISAF nach Afghanistan gekommen ist ? ist sie gekommen, um hier zwei oder drei Persönlichkeiten militärisch zu unterstützen? Oder ist sie gekommen, um dem Land und der Bevölkerung zu helfen? Die deutsche Regierung hat doch selber Köpfe, um zu denken. Die deutschen Politiker können doch selbst beurteilen, was besser ist: den Afghanen zu helfen oder Gouverneur Mohammed Atta. Wenn die Deutschen sich für Atta entscheiden, wird sich das sehr schlecht auf unsere Situation auswirken. O-Ton Oberstleutnant Weckbach: In Sicherheitsfragen gibt es natürlich Berührungspunkte mit der Provinzregierung. Es gibt regelmäßige Sicherheitskoordinierungsbesprechungen, an denen eben alle afghanischen Sicherheitskräfte beteiligt sind, seien es Afghan National Police, Afghan National Army, der NDS und natürlich auch die Provinzregierung. Autor: Oberstleutnant Weckbach ist der Sprecher des deutschen Kommandeurs in Mazar-e Sharif. O-Ton Oberstleutnant Weckbach: Unsere Militärpolizei, also die Feldjäger, bilden zusammen mit der deutschen Polizei, also der Eupol Polizisten aus. Autor: Könnte es sein, dass Bundeswehr und Bundespolizei zwar auf den ersten Blick "afghanische Polizisten" ausbilden, tatsächlich aber die Truppe des Provinzgouverneurs? O-Ton Oberstleutnant Weckbach: Nein. Die Polizei untersteht dem Innenministerium (lacht). In Kabul. Atmo: Patrouille bricht auf. Funksprüche, Kommandos Autor: Ein stabiles Stück Afghanistan ? dank der engen Zusammenarbeit mit einem tatkräftigen und umtriebigen Gouverneur: dieses Bild möchten die deutsche Regierung und Armee der heimischen Öffentlichkeit gern vermitteln. Das Militär bringt Journalisten in den eigenen Kommandobereich und führt ihnen einen genau abgezirkelten Ausschnitt der Realität vor. Wenn allerdings, wie der Sprecher des deutschen Kommandeurs angibt, die Polizisten in der Nordprovinz dem Innenministerium unterstehen, wieso kann Gouverneur Atta die Weisungen aus Kabul ganz einfach ignorieren und seine eigenen Männer als Polizeichefs einsetzen. Darauf hat der deutsche Oberstleutnant eine verblüffende Antwort: O-Ton Oberstleutnant Weckbach: Sie sehen doch, dass er kann (lacht). Autor: Dass Gouverneur Atta seine eigenen Günstlinge und Parteiangehörigen in die lokale Polizei zu delegieren pflegt, ist seit seinem Amtsantritt bekannt. Immer, wenn das Innenministerium einen Polizeichef aus Kabul geschickt hat, soll der sofort von Atta wieder verjagt worden sein. Atta braucht eigene Polizisten, heißt es, um seine Drogengeschäfte ungestört abwickeln zu können. O-Ton Oberstleutnant Weckbach: Ächzt... Ich (lange Pause) Ich kann Ihnen nicht sagen, wie weit er das kontrolliert, weil ich's definitiv nicht weiß. Er hat natürlich `n gewissen Einfluss und wir haben auch erlebt, dass er sich den Anordnungen aus Kabul erfolgreich widersetzt hat und diese drei Polizeichefs, die hätten abgelöst werden sollen, dass er das auch verhindert hat, O-Ton Oberstleutnant Weckbach: Die Bundeswehr bildet Polizei aus. Unter wessen Einfluss die hier stehen ? das kann wechseln. Atmo: Helikopter Autor: Im Frühjahr 2009 schwebten erneut unidentifizierte Hubschrauber im Bereich des deutschen Regionalkommandos ein. In Kundus, der Nachbarprovinz von Balkh, wurde das Haus des Ortsvorstehers von Imam Sahib angegriffen. Die Kleinstadt liegt nur wenige Kilometer vom deutschen Feldlager entfernt. Diesmal gab es nicht nur Verletzte, sondern Tote. - Atmo "Helikopter" und Schritte über den Hof Autor: Fünf afghanische Zivilisten wurden umgebracht, allesamt Hausangestellte des Ortsvorstehers. Zusammen mit Haroun, meinem afghanischen Begleiter und Übersetzer, gehe ich im Haus des Ortsvorstehers über den Innenhof. Ein Bediensteter führt uns. O-Ton Haroun: The person whose name was Abdelahmand, he was sleeping here and he killed. Übersetzer 3: Abdelahmad, schlief hier und er wurde hier getötet :He was cleaner...)Er arbeitete als Reiniger , er war geistig behindert. - not a normal guy O-Ton Bediensteter: Isme Hajji Naqibullah... Übersetzer 1: Der Mann, der hier erschossen wurde, hieß Naqibullah, er war auch eine unserer Reinigungskräfte. Stimme Haroun: They coloured again this place but it was very full of the blood of people here. Autor: Diesmal bestätigt die US-Armee: Ihre Spezialtruppen hätten unter dem Schirm des US-geführten Mandats Operation Enduring Freedom, kurz OEF, die Operation durchgeführt. Aber in Deutschland läuft die Debatte in die entgegengesetzte Richtung: Um dem Afghanistan-Mandat die gewünschte breite Unterstützung zu sichern und der Kritik von SPD und Grünen Rechnung zu tragen - man führt ja schließlich keinen Krieg und will den demokratischen Aufbau unterstützen - hat die Bundesregierung inzwischen einen symbolträchtigen Beschluss gefasst: Deutschland ist aus der US-geführten Operation Enduring Freedom ausgestiegen. Thomas Kossendey parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium sagt mir im Interview, US-Truppen würden seitdem nicht länger im deutschen Regionalkommando operieren. O-Ton Thomas Kossendey: Wir haben diese OEF-Operation seit dem 15. November aus dem Mandat rausgenommen. Derzeit finden im Bereich der ISAF-Nordregion, da wo Deutschland die Verantwortung trägt, keine OEF-Aktionen statt. Autor: Bei der Truppe vor Ort sieht man das anders und reagiert zunehmend verbittert auf die Falschinformationen, wie sie die Bundesregierung der Öffentlichkeit mitteilt. Natürlich, so lässt ein Offizier in Kundus durchsickern, natürlich fänden laufend US-geführte OEF-Spezialoperationen im deutschen Verantwortungsbereich statt. Die US-Aktion in Imam Sahib habe man nicht nur gedeckt, man habe den US-Spezialkräften auch logistische Unterstützung gewährt: O-Ton Major Markus Beck: Es ist kein Geheimnis, dass wir hier das Airfield haben, das ist eine ISAF-Einrichtung. Wo Hubschrauber sind, brauchen sie auch Landeplätze. Das: ja. Autor: Nachdem die US-Amerikaner in Imam Sahib einmal richtig zugeschlagen hätten, sei endlich Frieden rund ums deutsche Lager eingekehrt. O-Ton Major Markus Beck Man merkt das auch: Wir haben jetzt bereits seit 10 Tagen im Prinzip Ruhe, seit über drei Wochen keinen einzigen Raketenangriff mehr. Autor: Im Frühjahr 2009 ist im Bereich des deutschen Regionalkommandos Nord die Zahl der getöteten Paschtunenführer auf 24 angestiegen. Und die Taliban werden sonderbarerweise immer stärker. Zudem häufen sich Berichte über Landraub. Als wir durch Sari Pol fahren, die Nachbarprovinz von Balkh ? und ebenfalls eine Region unter dem deutsch geführtem Regionalkommando Nord ? können wir beobachten, dass hier schon die ersten Bewohner flüchten. Im Gästehaus ihres Dorfes hat sich eine Handvoll Dorfältester und Führern des Paschtunenstammes der Ishaqzai zusammengefunden. Sie gehören zu den letzten, die in dieser Gegend noch ausharren, sagt Assadullah Ishaqzai, einer der Stammeschefs: O-Ton Assadullah Ishaqzai: Dari Übersetzer 2: Etwa 10 000 paschtunische Familien sind von hier geflohen, in Richtung Pakistan oder Iran. Mehr als 5000 dieser Familien sind gewaltsam von ihrem Land vertrieben worden. (/) Wenn Sie von Sar- e Pol über Shiberghan zurück nach Mazar-e Sharif fahren, kommen Sie an all dem Land vorbei, das unsere Angehörigen verlassen mussten Autor: Ähnlich wie in der benachbarten Provinz von Balkh berichten die Paschtunen auch hier von gezielten Morden an ihren Repräsentanten. 75 Stammeschefs oder Gemeindeführer seien seit 2002 umgebracht worden. Eine Strafverfolgung habe es bisher nicht gegeben. Verantwortlich dafür sei ein Kommandeur der Junbesh-Miliz von Usbekengeneral Dostum. Dostum habe in dieser Provinz de facto die Macht in Händen. O-Ton Assadullah Ishaqzai: Dari Übersetzer 2: Der Name dieses Dostum-Kommandeurs ist Kommandeur Kamal.Es gibt keinen Staat in unserer Gegend. Der Polizeichef ist ein Verwandter von Kommandeur Kamal, Der Gouverneur gehört zur Jamiat-Partei, zu der auch Gouverneur Atta in der Balkh-Provinz gehört. Und Kommandeur Kamal hat sich mit Gouverneur Atta verbündet. Beide unterstützen sie den Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah. Kamal und Atta arbeiten jetzt zusammen. Autor Der paschtunische Stammesführer Assadullah Ishaqzai versteht nicht, weshalb die sog. internationale Gemeinschaft zwar mit einem massiven Aufgebot an ISAF-Truppen und zivilen Angestellten vor Ort ist, aber Vertreibungen, Morde und andere Verbrechen nicht zur Kenntnis nimmt. Er legt ein gutes Dutzend Dokumente vor. O-Ton Assadullah Ishaqzai: Dari Übersetzer 2: Wir haben unsere Klagen überall eingereicht: Beim Parlament, dem obersten Gericht, der afghanischen Menschenrechtskommission und der UN-Vertretung in Afghanistan, UNAMA. Auf dieser Aktenkopie sehen Sie sogar die Unterschrift von Präsident Karzai. Er hat alles gelesen. Aber geschehen ist nichts. Autor: Als ich nach einem Zwischenstopp in Kabul erneut in Richtung Norden aufbrechen will, erhalte ich eine sonderbare Nachricht von unserem afghanischen Fahrer. Bei ihm habe sich ein Taliban-Kommandeur gemeldet, zugleich ein Führungskader der al Kaida in Afghanistan. Dieser Mann habe mich als Journalisten des deutschen Rundfunks ausgemacht und sei daran interessiert, mit meiner Hilfe der Bundeswehr und der deutschen Regierung eine Nachricht zu übermitteln. Das Treffen dürfe aber nur im fahrenden Auto stattfinden. Es könne auch mein Auto sein, aber er werde seinen eigenen Dolmetscher mitbringen. Atmo: Autofahrt / Verkehr Autor: Der Mann hält Wort. Äußerlich unterscheidet er sich nicht von vielen Passanten in Kabul: Anfang oder Mitte 50, Paschtunenkappe, Shalvar-Khamis-Gewand, eine gedrungene Figur, graumelierter Bart. Sein Dolmetscher steigt neben mir ein. Er setzt sich auf den Vorderplatz neben dem Fahrer und fängt sofort zu sprechen an. O-Ton Talib: Dari... Übersetzer 5: Von Anfang an muss eines klar sein: Wir wollen keinen Kontakt zur afghanischen Regierung. Wir trauen niemandem außer Ihnen. Sie sind die einzige Person, an die wir uns wenden. Autor: Er sei ein Paschtune, ebenso wie ein Gutteil seiner paschtunischen Freunde, Landsleute und Mitkämpfer aus dem afghanischen Norden. O-Ton Talib: Dari Übersetzer 5: Viele von uns hatten sich Mitte der 90er-Jahre den Taliban angeschlossen. Nach deren Sturz wollten wir ursprünglich zu kämpfen aufhören. Aber seitdem die Nordallianz gesiegt hat und die internationalen Truppen einmarschiert sind, gibt es für uns alle ein großes Problem, mit General Dostum und den Anhängern der Warlords im Norden. Diese Leute bringen unsere Brüder, Onkel und Väter um und sie nehmen ihnen ihre Häuser weg. Dostum will, dass keine Paschtunen mehr im Norden bleiben. Deshalb fühlen viele sich unter Druck weiterzukämpfen. Unseren Kämpfern geht es aber ausschließlich darum, ihre eigene Bevölkerung, ihre eigenen Familien gegen General Dostum und Gouverneur Atta zu beschützen, unter denen ihnen ihr Land weggenommen wird. In dieser Situation mussten wir bei den Taliban bleiben, wir hatten keine andere Wahl. Aber jetzt haben wir vom Kampf genug. Wir wollen unsere Waffen niederlegen. Aber vorher benötigen wir Garantien. In unserer Gegend sind jetzt Dostum und Atta die Machthaber. Wir brauchen eine Garantie, dass uns trotz Atta und Dostum unser Land zurückgegeben wird und alles, was sie uns gestohlen haben. Autor: Er sei nicht der einzige Taliban-Führer, der den Widerstand beenden wolle. Bei befreundeten Kommandeuren sei die Stimmung ähnlich. O-Ton Talib: Dari Übersetzer 5: Vor zwei Wochen ist Mullah Abdelsamak zu mir nach Hause gekommen, er ist einer der Kommandeure der Taliban im Norden. Er hat mir gesagt (/) In unseren Dörfern Alnar und Taysar hat sich einer von Dostums Kommandeuren eingenistet, er heißt Fatallah. Er hat unsere Häuser zerstört und unsere Grundstücke weggenommen. Deshalb sind wir mit unseren Familien nach Pakistan geflohen. (/) Aus den Männern unserer Dörfer haben wir eine Truppe von 250 Kämpfern gebildet. Wir kämpfen ausschließlich gegen Dostum, wir kämpfen nicht gegen die afghanische Regierung. Mullah Abdelsamak hat mir versichert: Ich habe nichts gegen die ausländischen Truppen. Ich will keine Ausländer umbringen. Ich kämpfe nicht gegen das Ausland, sondern gegen Dostum. Aber wenn dabei ausländische Flugzeuge Bomben auf uns abwerfen, kämpfe ich auch gegen die Ausländer. Autor: Sollten die Bedingungen erfüllt werden, dann sichere er zu, dass die afghanischen al Kaida- und Taliban-Kämpfer ihren Widerstand aufgäben. Er werde sich verpflichten, ihre wichtigsten Entscheidungsträger mit Vertretern der Bundeswehr oder der deutschen Regierung zusammenzubringen. Als Beleg für seinen Kenntnisstand und Zeichen des guten Willens enthüllt mir der al Kaida-Mann das Netzwerk der Taliban-Führer im Norden: O-Ton Talib: Dari Übersetzer 5: In Badris gibt es einen neuen Taliban-Verwaltungschef, sein Name ist Mullah Abdelmanam.Der Taliban-Kommandeur von Kundus ist Mullah Nurrullah Der Taliban-Chef von Baghlan ist Mullah Abdel Jabar... Autor: Mein afghanischer Begleiter und Übersetzer Haroun und ich denken über dieses völlig überraschende Angebot und die mir zugedachte Übermittlerfunktion noch immer nach, als wir im Auto durchs Gebirge Richtung Kundus fahren. Ich werde die Bundeswehr vor Ort über unser Gespräch mit dem Talibanchef informieren. Haroun ist aufgrund seiner Nachforschungen sicher, dass die Angaben des Talib ernst zu nehmen sind. In Kundus hat die Bundeswehr bereits seit längerem eine Gruppe der Aufständischen als ihre schärfsten Gegner identifiziert: die Paschtunen. Auf einem Aussichtshügel beim deutschen Feldlager steht ein Offizier und späht hinab in deren Dörfer. O-Ton dt. Offizier Dieser Punkt bietet beste Beobachtungsmöglichkeiten Richtung Westen und Richtung Südwesten in das sogenannte Kundus-River-Tal.In diesem Bereich Kundus-River und in den davor- oder dahintergelagerten Ortschaften (/), diese Dörfer bieten den Insurgents, die es in diesem Bereich gibt, genügend Möglichkeiten, sich wie Fische im Wasser zu bewegen. (/)Sie können sie nicht erkennen. Sie sind gekleidet wie normale Afghanen, sie bewegen sich wie normale Afghanen, tun aber irgendwann mal folgendes: Legen Raketen hin (/), bringen diese in Stellung, zünden sie, möglicherweise durch einen ganz normalen Wecker, mit denen die Raketen dann gekoppelt sind, und verschwinden dann wieder in diesen Gehöften, die man hier sieht ? und wir können sie nicht lokalisieren. Autor: Am 4. September 2009 hatte das Bundesverteidigungsministerium einen erfolgreichen Luftschlag im Raum Kundus gemeldet. Zwei vom Kommandeur des deutschen Feldlagers angeforderte USA-Kampfjets hatten nach der Entführung zweier Tanklaster etwa 50 Taliban getötet, hieß es zunächst. Zitator: "... weil keine Unbeteiligten hätten zu Schaden kommen können. Unbeteiligte sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen." Autor: Am 4. September starben 142 Menschen, darunter eine unbekannte Zahl Zivilisten. Seitdem, so hatte mir der al Kaida-Mann gesagt, schicke die Taliban-Führung im pakistanischen Quetta unausgesetzt Verstärkungen über die Grenze. O-Ton Talib:Dari Übersetzer 5: Im Augenblick sind 700 Taliban- und al Kaida- Kämpfer aus Nuristan, im Waighal-Distrikt unterwegs nach Takhar im Norden. Sie bewegen sich auf zwei Routen zu Tal. Einer führt aus Poshal nach Karan und die Badakshan-Provinz in Richtung Takhar und von dort weiter nach Kundus. Die zweite Route führt vom pakistanischen Quetta aus nach Helmand, von dort in Richtung Faryab und Sari Pol. (/) Ich habe Informationen, dass die Taliban im Norden in den Provinzen Faryab und Baghlan Angriffe vorbereiten und in der Stadt Khanabad in der Provinz Kundus. Sie machen sich zur Zeit bereit. Der Kommandant, derjenige, der alle Aktionen im Norden dirigiert, heißt Hadschi Mullah Khairmamat und ist bekannt unter dem Namen Mullah Damullah. Er kommandiert elf Provinzen im Norden. Er lebt in Jawjzan im Dara-Distrikt und ist ausgestattet mit einem Satellitentelefon und einem Funkgerät. Sobald er es anordnet, werden die Kämpfer angreifen. Wenn die Bundeswehr oder die deutsche Regierung Informationen über al Kaida in jeder Provinz haben möchten, ist das möglich. Aber unter einer Bedingung: Ich brauche die besagten Garantien über unser Land und unsere Häuser.Vielleicht kann ich die Angriffe in Kundus, Samarghan, Baghlan und der Balkh-Provinz, wenn nicht um 100 Prozent, wahrscheinlich aber um 50 Prozent zurückfahren. Autor: Zubair Babarkarkhail ist einer der erfahrendsten Berichterstatter bei der afghanischen Nachrichtenagentur Pajhwok und kennt sich gut im Norden aus. Er hält es für einen frommen Wunsch, dass die Bundesregierung auf die Interessen der afghanischen Bevölkerung eingehen könnte. Sämtliche ISAF-Staaten und die USA hätten sich mit den Warlords assoziiert. Ihre Informationen bezögen die ausländischen Militärs von Spionen oder Dolmetschern, die meist der jeweiligen Mehrheitsethnie angehörten und mit den politischen Interessen General Dostums oder Gouverneur Attas verbandelt seien. Das habe sich auch am Beispiel des deutsch gelenkten Luftschlages in Kundus gezeigt. O-Ton Zubair Babarkarkhail: In Kundus ... Übersetzer 3: In Kundus leben hauptsächlich persisch-sprachige Leute, Tadschiken und so weiter. (/) Vermutlich haben die afghanischen Spione der Bundeswehr Falschmeldungen geliefert (: I heard from a soldier...)Ein ISAF-Soldat erzählte mir: Wir fuhren an einer Gegend mit paschtunischen Nomaden vorbei und der Übersetzer sagte mir: da wohnen die Taliban, und die al Kaida-Leute. (On the next day ... )Als wir am Tag nach dem Luftschlag im deutschen Feldlager mit dem tadschikischen Chef des Lokalrats von Kundus zusammenkamen, wandte der sich an General Mc Chrystal und sagte ihm: Alle, die gestern getötet wurden, waren Taliban. Wenn es noch mehr von diesen Operationen gibt, dann wird die Gegend sich beruhigen und wir werden keine Taliban mehr hier haben. Ich traute meinen Ohren nicht. Ich sagte mir: Um Himmels Willen: Was für einen Unsinn redet der zusammen? (/)Ich hätte ihm gerne gesagt: Komm mit zu den Gräbern und sieh dir mal die Opfer an. Wie kann ein Chef eines Lokalrats so etwas verbreiten? - like this Autor: Auf die Provinzmachthaber, die ihr eigenes Spiel treiben, stützt sich die neue US-dominierte Strategie in Afghanistan, meint Abaceen Nasimi, der Redaktionsleiter des Institute for War and Peace Reporting. Lokalratsabgeordnete wie der in Kundus, Verwaltungs- oder Polizeichef ? sie alle gehörten im Norden zum Netzwerk der zwei großen Warlords Dostum und Atta. O-Ton Abaceen Nasimi: You rely... Übersetzer 3: Wenn die Militärs zu Beginn des Afghanistan-Feldzugs mit den Warlords zusammengearbeitet haben ? schön und gut. Sie waren die einzige lokale Macht gegen die Taliban. (/) Seitdem sind acht Jahre vergangenen und unglaublich viele Chancen wurden vertan. Im Augenblick ist Afghanistan unter der Kontrolle einer Handvoll Warlords. Mohammed Atta im Norden. Ismael Khan im Westen. Ahmed Wali, den Bruder Karzais, im Süden.Nicht zu vergessen Dostum im Norden.( these are ... )Das sind die Leute, in die die USA und der Westen im allgemeinen investieren. O-Ton Col Greg Julian:I'm Colonel... Übersetzer 6: Mein Name ist Colonel Greg Julian. Ich bin Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan. Und ich meine: (There are many lessons ... )Es gibt viele Lehren, die sich aus unserer Erfahrung im Irak auf Afghanistan übertragen lassen. (/) Es gibt da eine Menge Ähnlichkeiten. O-Ton Abaceen Nasimi: If you talk ... Übersetzer 3: Wenn Sie beispielsweise zu einem durchschnittlichen Afghanen, der im Norden lebt, über Gouverneur Atta sprechen, würden Sie hören: Er ist ein Mörder, ein Killer, ein Krimineller. Aber die ISAF-Staaten stellen sich taub. Der einzige Grund ist: Die Militärs können mithilfe Lokalherrscher die Lage leichter kontrollieren. O-Ton Thomas Kossendey, Staatssekretär Verteidigungsministerium: Im Norden wäre insgesamt die vergleichbar ruhige Situation nicht möglich, wenn wir nicht mit dem Gouverneur und mit den administrativen Spitzen gut zusammenarbeiten könnten. (/) Das konnten wir nur gemeinsam (/) schaffen, das konnte ISAF gar nicht alleine schaffen. O-Ton Col Greg Julian:The counterinsurgency doctrine ... Übersetzer 6: Die Doktrin der Aufstandsbekämpfung lässt sich so ziemlich universell anwenden. Mit einzelnen kleinen Abweichungen von einer gesellschaftlichen Gruppe zur anderen. (One of...)Einer der Aspekte die sich gut auf Afghanistan übertragen lassen, ist das Programm, eine lokal verwurzelte Schutzmiliz zu bilden, mit der die Einwohner die Sicherheit ihrer eigenen Gouverneure und Einrichtungen gewährleisten. O-Ton Abaceen Nasimi: As long... Übersetzer 3: Aber geht es darum jemanden zu unterstützen, so lange er für uns die Lage kontrolliert? Ist das das Ziel des Afghanistan-Einsatzes? (/) Wenn Sie Saddam Hussein aus dem Grab holten und ihm den Job in Mazar-e Sharif übertrügen, würde er die Lage vielleicht noch besser kontrollieren. Atmo:Helikopter O-Ton Ghulam Ali:Dari Übersetzer 6: Es war zwischen ein und zwei Uhr morgens, auf einem Melonenfeld bei Chimtal. Ich wollte gerade mit der Arbeit beginnen, da tauchten vor mir diese Helikopter auf, ein großer mit zwei Rotoren und ein kleiner. O-Ton Zubair Babarkarkhail: This topic ... Übersetzer 3: Vor ein paar Tagen hat sich Präsident Karzai besorgt über diese ungeklärten Hubschrauberbewegungen gezeigt. Aber wir berichten schon seit fünf Monaten über diese Vorgänge im Norden und sprechen immer wieder mit den Ortsansässigen, der Lokalbevölkerung. Erst gestern abend (/) sprach ich mit jemandem aus Kundus. Und er sagte mir: Ich habe Unbekannte hier herumlaufen sehen und gesehen, wie sie nachts von Hubschraubern abgesetzt wurden und wie die Hubschrauber dann wieder wegflogen. Er sagte mir, ich habe tschetschenische Kämpfer in unserer Gegend gesehen. (/HR VI, Tr. 10, 4:10: This is:)Die Informationen über die Hubschrauberflüge sind bestätigt. -confirmed O-Ton Ghulam Ali:Dari: Übersetzer 6: Der größere der beiden Helikopter war bereits gelandet. Der kleinere schwebte noch in der Luft. In seinem Scheinwerferlicht erkannte ich, dass aus dem großen Hubschrauber Männer ausstiegen. Viele Motorradfahrer standen um den Landeplatz herum. Sie nahmen die Männer in Empfang. Es waren Taliban. Ich konnte ihre weißen Turbane erkennen. O-Ton Zubair Babakarkhail: I don't think ... Übersetzer 3 Ich glaube nicht, dass ein Hubschrauber etwa aus Pakistan kommen, die Grenze überqueren in einer der nördlichen Provinzen landen und dort Leute absetzen kann, ohne die ISAF oder die afghanische Regierung vorher zu informieren Die ISAF kontrolliert den afghanischen Luftraum. Niemand kann nach Afghanistan einfliegen, weder aus Pakistan, noch aus Tadschikistan, noch aus Tschetschenien, ohne vorher die Genehmigung der internationalen Truppen einzuholen -forces O-Ton Oberstleutnant Weckbach: Kontrolle über den Luftraum übt hier eigentlich niemand aus. Es gibt hier eigentlich keine richtige Kontrolle des Luftraumes. Wir kontrollieren wahrscheinlich den Luftraum hier um den Platz, den kontrollieren wir, natürlich. Das ist auch nicht die Frage. Die Frage ist, inwieweit wird eben die ganze Region abgedeckt, das kann ich Ihnen im Moment nicht beantworten. O-Ton Zubair Babarkarkhail: I think ... Übersetzer 3: Meine persönliche Analyse ist: Teile der internationalen Truppensteller sind daran interessiert, die Nordprovinzen unsicher zu machen. Vermutlich lassen sie deshalb bestimmte Gruppen von Kämpfern (/) hier einfliegen, damit die ihre Basen im Norden errichten. Auf diese Weise lassen sich Länder wie China unter Druck setzen. (/) Die chinesischen Uighuren kämpfen seit Langem für ihre Freiheit. Vielleicht ist das eine Taktik, China zu schwächen oder mindestens eine Drohkulisse gegenüber China aufzubauen -threat to China O-Ton Oberstleutnant Weckbach: Es sind auch Spezialkräfte hier, ja. Klar! (lacht.) Ja! (lacht) O-Ton Ghulam Ali:Dari Übersetzer 6: Die Taliban fuhren alle gemeinsam in Richtung des Dorfes Nauschar weg, und zeitgleich hoben auch die Helikopter wieder ab Ich hatte große Angst. Ich dachte: Wenn die mich jetzt treffen und wenn sie merken, dass ich ein glattgeschorenes Gesicht habe oder von der Wählerregistrierung noch Tinte am Finger - vielleicht bringen sie mich einfach um. Oberstleutnant Weckbach: Herr Thörner, sorry: Spezialkräfte... no go. Atmo: Paschtunische Musik Autor: Als wir im Spätherbst 2009 noch einmal Alam Khail besuchen, das Paschtunendorf, 30 Kilometer von Mazar-e Sharif, finden wir die Stimmung sehr verändert. Wieder führen uns dieselben Hizb Islami-Mitglieder in ihr Gästehaus, aber diesmal bieten sie uns nichts mehr an. Keinen Tee. Kein Essen. Stattdessen: betretene Mienen. Ein Minimum an Höflichkeit. Diesmal bedeutet man uns: nein, man könne und man wolle mit uns nicht mehr reden. Kein Wunder, meint Haroun, als wir zurückfahren. Die Männer hätten außer uns noch einen anderen Gast gehabt. O-Ton Haroun: The guy ... Übersetzer 3: Der Typ, der eben neben dir gesessen hat, ist einer der bekanntesten Kommandeure der Aufständischen in dieser Gegend, sein Name Sabi Khanshar. (/) Er stellt die Verbindung zu den Taliban und zu den anderen Aufständischen dieser Gegend her. (they did ... )Vor zwei drei Wochen, haben seine Leute ausländische Truppen auf der Straße angegriffen, auf der wir fahren. (They killed...)Und in einem der Dörfer hier haben sie einen Angehörigen der Wahlkontrollkommission getötete und eine Wahlurne zerstört. Collage: Deutsche Soldaten "Kann ich Ihnen nicht bestätigen. Können Sie nicht ... ..? Nein kann ich nicht." "Ersten weiß ich nicht, hab's auch nur gehört vom Gouverneur. I don't know, weiß ich nicht." "Herr Thörner sorry, Spezialkräfte ... ... no go." Absage Morde unter deutschem Schutz? Menschenrechtsverletzungen in Afghanistans Norden Ein Feature von Marc Thörner Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Südwestrundfunk und dem Westdeutschen Rundfunk 2009 Es sprachen: Frank Arnold, Daniel Wiemer, Axel Gottschick, Hüsseyn Michael Cirpici. Walter Gontermann, BrUNO Winzen und Wolf Aniol Ton und Technik: Christoph Bette, Christoph Rieseberg und Beate Braun Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Karin Beindorff O-Ton Oberst Karsten Steue: "Ich weiß darüber nichts, sag ich Ihnen auch nichts zu." 28