COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel 17.4.2011 Wir ecken überall an Warum sich der Sport mit Arbeitslosen schwer tut Autorin: Alexa Hennings _________________________________________________________ Atmo Fußballplatz, Kinder, Steinhoff 0.50 darauf Sprecherin Die Bilder gleichen sich, die Szene, die Menschen, die Jahreszeit. Frühling 2010 und Frühling 2011in Parchim. Alles zum Verwechseln ähnlich. Ein hagerer Mann im blauen Trainingsanzug steht auf einem Fußballplatz, um ihn herum Kinder. Atmo Platz, Steinhoff 0.26 - So jonglieren! Braucht ihr nicht laufen, könnt ihr Luft holen... Darauf Sprecherin Doch wer genauer hinschaut, bemerkt: Obwohl ein Jahr älter geworden, sieht Andreas Steinhoff jünger aus jetzt. Gesünder. Weniger verhärmt. Etwas von der alten Verbitterung ist gewichen aus seinem Gesicht. O-Ton Steinhoff 0.14 Viele sagen, ich habe mich in dieser Zeit erholt. Also, seelisch erholt. Ich bin ruhiger geworden. Nicht mehr so stressig. Und ich sehe gesünder aus wie vorher, sagen viele. Und ich sehe das auch so. Sprecherin 48 Jahre alt ist er jetzt. Ein Jahr lang wurde sein großer Traum erfüllt: Weg von Hartz IV. Gemeinsam mit dem Kreissportbund Parchim, für den er seit 20 Jahren als ehrenamtlicher Fußballtrainer arbeitet, hatte er lange um diese Stelle gekämpft. Und sie bekommen im Mai 2010. Seine Vorfreude war damals groß. Es schien ein Job zu sein, mit dem man etwas bewegen konnte. O-Ton Steinhoff 0.35 Das Projekt ist so angelegt, dass ich in Goldberg, Lübz und Parchim - hauptsächlich Hartz-IV-Empfänger - durch Sportkurse wieder fit mache für den Arbeitsmarkt. So ist es ausgelegt. Und Sportkurse heißt nicht Fußballspielen, sondern da hole ich mir dann Partner, das ist alles schon in der Vorbereitung: Rückenschule, die Krankenkassen, Suchtberatung usw. Wir wollen eine Plattform schaffen, wo sie sich ein bisschen bewegen, kennenlernen. Und dass wir die Familien mit den Kindern komplett unterbringen irgendwo. Ich denke, dass viele Scheu haben werden. Ich bin jetzt selber das sechste Jahr Hartz-IV-Empfänger, ich weiß ja, wie das ist. Sprecherin Sport als Rettungsanker - seine eigene Lebenserfahrung. Das wollte er vermitteln. Er wusste, wovon er spricht. O-Ton Steinhoff 0.15 Ich sitze nicht 24 Stunden in meiner Wohnung. Ich muß unter Leute kommen, muß raus kommen. Sonst hätte ich keine Chance. Ich bin ja auch schon ein paar Mal abgestürzt in den 20 Jahren, weil nichts mehr ging. Aber ich bin halt wieder alleine aufgestanden. Atmo Fußball, Kinder (s.oben) Darauf Sprecherin Herbst 2010 in Parchim. Halbzeit für Steinhoffs neuen Job. Das Fußballtraining mit den Kindern hat immer noch einen Platz in seinem Leben. Nur die Anfangszeiten haben sich etwas nach hinten verschoben. Denn die Zeit vorher gehört jetzt dem Projekt "Fit für den Arbeitsmarkt". Atmo Raum , Koffer-Radio, Kaffeemaschine 0.56 Darauf Sprecherin Ein Montagmorgen, halb acht. Erstmal Kaffee kochen. Andreas Steinhoff sitzt auf dem Sportplatz in seiner kleinen Trainerbude. Immer noch Original-DDR- Standard : Kofferradio, Sprelacart-Tisch und Pappwand., alte Schrankwandteile, abgenutzte Polsterstühle. So sieht es bei ihm zuhause jetzt nicht mehr aus. Von seinem ersten Geld kaufte er Möbel. O-Ton Steinhoff 0.26 Ich habe mich neu eingerichtet. Ich hatte noch vier Wochen vorher Möbel von der Möbelbörse bekommen - darf ich gar nicht sagen! Und habe die dann entsorgt wieder. Und ich habe mir für meine kleine Wohnung ´ne richtige Anbauwand gekauft, ´ne billige, aber gut. Waschmaschine, Dreier-Couch. So viel habe ich auch nicht verdient. Aber es war einfach ein ruhigeres Leben als vorher. Ich brauchte mir am Monatsende keine Gedanken machen. Sprecherin Der Stolz eines Mannes, der endlich wieder auf eigenen Füßen steht. Nirgendwo mehr bitten zu müssen. Er ist stolz - und trotzdem unglücklich. O-Ton Steinhoff 0.35 Ich selber bin total unzufrieden, absolut. Der Kreissportbund hat sich ja stark gemacht für die Stelle. Seit 1.Mai läuft das Projekt und die ersten sieben Arbeitslosen kamen erst am 21. Juni! So lange hat die Arge gebraucht, um Leute zu finden! Das Projekt ist angelegt auf 20 Teilnehmer á sechs Wochen. Es ist ein halber Euro-Job und die machen drei Stunden am Tag Sport, von Montag bis Freitag. 20 hatten wir noch nie, das höchste waren sieben. Sprecherin Ein "halber-Euro-Job"? In regelmäßigen Abständen bekommen die meisten Langzeitarbeitslosen, von der Arge, wie sich die Arbeitsagentur nennt, Ein-Euro- Jobs zugewiesen, meist gemeinnützige Arbeiten, Bewerbungstraining, Computerkurse. Hier nun: Drei Stunden Sport treiben als "Halbe-Euro-Stelle". O-Ton Steinhoff 0.11 Man sagt ja, 60 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger sind - wie sagt man - gesundheitlich nicht mehr in der Lage, einen Job auszuführen. Das Projekt soll eigentlich dazu dienen, sie ein bißchen fitter zu machen. Sprecherin Die klassischen Risikofaktoren: Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Alkohol, Übergewicht, Bewegungsmangel - in der Welt der Langzeitarbeitslosen sind sie viel mehr verbreitet als in der Welt, in der man noch Arbeit hat. Dazu kommen die seelischen Probleme. O-Ton Steinhoff 0.34 Ich habe auch schon welche gehabt, die froh waren, daß sie unter Menschen kommen. Viele haben kein Selbstbewußtsein. Das bekommen sie hier erst wieder langsam, allmählich. Also ängstlich. Und auch Leute, die schon sechs, sieben Maßnahmen hatten, Bewerbungsschreiben, alles Mögliche. Und trotzdem nichts gefunden haben. Die haben mir schon so viele Geschichten erzählt. Ich bin ja immer der Meinung, ich habe schon viel durch mit der Arge, aber die haben noch viel mehr durch. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Aber ich höre es halt täglich und - naja, -lacht kurz auf - Atmo Kaffeemaschine, läuft zuende Darauf Sprecherin Das Lachen ist so bitter wie der Kaffee, den sich Steinhoff eingießt. Er trinkt ihn ohne Zucker und ohne Milch. Auch heute wird er sie wieder hören, die Geschichten, das weiß er schon. Und auch wenn es nicht in der Stellenbeschreibung steht: Vielleicht gehört es mit zum Wichtigsten, sich diese Geschichten anzuhören. O-Ton Steinhoff 0.08 Doch, man kanns noch hören. Das Gute ist: Ich kann ja mitreden. Ist ja auch so gewollt, daß ein ehemaliger Hartz-IV-Empfänger die macht, diese Stelle. Sprecherin Er will seine Zeit gut nutzen, er will es gut machen. Deshalb ärgert er sich, daß das Arbeitsamt nicht genug Leute schickt. Seit einer Woche hat er drei neue Langzeitarbeitslose in seiner Gruppe, eine vierte Frau soll heute das erste Mal kommen. Na denn los, sagt Steinhoff, stellt die Kaffeemaschine aus und schließt seine Trainerbude ab. Er schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt zur Tischtennishalle. Dort warten sie schon auf ihn. Atmo Raum, Gespräche 0.27 Darauf Sprecherin Der Klubraum des Parchimer Tischtennisvereins. Man ist schon vertraut miteinander, man schwatzt, eine fast fröhliche Stimmung. O-Ton Steinhoff, Teilnehmer 0.22 Wie sieht's aus mit Turnschuhen, habt ihr schon welche gekauft? - Ja. - Quittung schon eingelöst?- Hab ich mit dabei. -- Ich hatte unheimlich Glück, ich war in jedem Schuhladen. Das Problem war, daß da draufsteht Sportschuh. Und Sportschuh fangen an bei 40 Euro aufwärts. Ich hab jetzt welche gekriegt bei Reno. Sprecherin 20 Euro bekommt jeder für ein paar Turnschuhe. Es gehört zu den eher kleinen Problemen eines Langzeitarbeitslosen, die Verkäuferin zu überzeugen, daß auf der Rechnung "Sportschuh" statt "Freizeitschuh" stehen muß. Die Arbeitsagentur will das so. Die Frau, die heute zum ersten Mal da ist, bekam von ihrer Vermittlerin einen Flyer: "Sport für jedermann" steht darauf, "Bowling, Tennis, Badminton, Fitneß, Nordic Walking". O-.Ton Frau, Steinhoff 0.48 Da ich ja nun auch nicht mehr die Jüngste bin und die Fitteste gesundheitlich, hat sie gesagt: Los mit dir! - lachen - Steinhoff: Ich erzähl's ja jedem Teilnehmer: Die Erwartungen nicht so hochschrauben. Weil das ,was hier draufsteht so nicht gemacht wird. Wir haben keine finanziellen Mittel, um irgendwo reinzukommen. Wir können wirklich froh sein, daß Tischtennis sagt: Okay, ihr dürft hier rein in die Halle. Ansonsten haben wir Halt den Jahn- Sportplatz und den Weststadt-Sportkomplex. Das kostet im Moment kein Geld. Aber es gibt keine Fitneß-Center, die sagen: Wir nehmen euch kostenlos. Keine Bowling-Bahn sagt: Wir nehmen euch kostenlos mal rein. Und so weiter. - Pause--- Darauf Sprecherin Alle schweigen. Lange. Dann ein Satz. O-Ton hoch bei 0.46, Frau Eigentlich traurig. Sprecherin Damit hatte Andreas Steinhoff nicht gerechnet: Daß keiner ihnen helfen wird. O-Ton Steinhoff 0.40 Sicherlich hat die Arge gedacht, alle empfangen uns mit offenen Armen und sagen: Wir helfen euch. Aber jeder möchte für die Nutzung eine Pacht haben, es muß bezahlt werden. Dann haben sie Angst um ihre Sportgeräte, weil sie wissen, es sind Hartz-IV-Empfänger. Sie wissen nicht, wer kommt. Es sind halt nur Vorurteile. Und da wird abgeblockt. Sie haben auch Angst um ihre Kundschaft, die dort Sport macht und wenn dann solche Leute kommen. - Pause... Darauf Sprecherin Wieder eine sehr lange Pause. O-Ton Steinhoff hoch bei 0.33 Für mich ist das eine Diskriminierung. Absolut. Menschen 2. Klasse. Sprecherin Nicht immer erzählt Steinhoff seinen Schützlingen alles. Vor zu viel Wahrheit will er sie bewahren. Er weiß, wie sehr sie eine Bemerkung treffen kann. Jahrelang arbeitslos zu sein, das macht dünnhäutig. Er hat es weggesteckt für sie alle, auf seiner Bittstellerunde durch die Sporträume der Stadt. O-Ton Steinhoff 0.14 Selbst die Caritas, DRK, hat uns abgelehnt. Das ist ja auch so ein Fall für sich. Die mich dann fragten: Was sind das für Leute? Ich sagte: Das sind alles Hartz-IV-Empfänger. Die kommen nicht bei uns rein! Die geben einen Sportraum kostenlos ab, den man nutzen kann. Sprecherin Auch die Ernährungsberatung, auf die sich viele gefreut hatten, fällt aus. Bei so wenig Teilnehmern schickt die Krankenkasse keine Beraterin, bekam Steinhoff zu hören. O-Ton Steinhoff 0.16 Der Träger der Maßnahme sagt einfach: Gehen Sie doch mal durch die Geschäfte und gucken sich Obst und Gemüse an! Das hat auch was mit gesunder Ernährung zu tun! - lacht - ja, ist wirklich so! Sprecherin So bleiben nur die Tischtennishalle und zwei Freiluft-Sportplätze. Doch selbst sein eigener Sportklub, in dem er so viele Jahre ehrenamtlich als Trainer arbeitet, tat sich anfangs schwer, den Platz herzugeben für das Projekt. O-Ton Steinhoff 0.45 Hier war ja auch erst Theater, wo die angestellten Platzwarte sagten: Nö. Die kommen hier nicht rauf, wird bloß getrunken! So ein Quatsch. Das sind Vorurteile. Das sagen die ja auch immer: Wir werden abgestempelt als Alkoholiker. Man kann ja in die Stadt gehen, da sieht man sie vor den Discountern. Mit denen werden sie ja verglichen. Mit diesen Vorurteilen haben sie zu tun. Und da ecken wir auch überall mit an. Wir müssen immer erst lange erklären: Das sind eure Arbeitslosen hier, von der Stadt Parchim! Das sind unsere Leute! Und da führt manchmal auch ein Weg rein. Atmo Tischtennis 1.00 Darauf Sprecherin Zum Beispiel in die Tischtennishalle. Rainer Marquardt ist hier der Vereinssportlehrer. Schon lange kennt er Andreas Steinhoff und arbeitet mit ihm zusammen. Für ihn war es keine Frage, zu helfen. Zumal - einen Nutzen hat sein Verein ja auch- und ebenso die Gesellschaft. Findet der Tischtennis-Trainer. O-Ton Marquardt 0.53 Es geht ja auch darum, Leute als Vereinsmitglieder zu werben. Und das sind Sachen, wenn man es von der finanziellen Seite betrachtet, das rentiert sich ja irgendwo doch, auch für die Arge und für die Gesellschaft. Denn wenn sie Sport treiben, dann sind sie auf keinen Fall so kostenintensiv. Weil sie einfach nicht so oft krank werden. Und dann ist es eigentlich unverständlich, daß so wenige wie ihr kommt und das in Anspruch nehmt. Und die Arge sogar einen Teil davon übernimmt. Dann ist es für Arbeitende unverständlich, daß dieses Angebot nicht so angenommen wird. Das muß man ganz klar sagen. Daß die voller Lethargie zuhause sitzen und traurig über ihre Gesamtsituation sind. Hierdurch werden sicherlich keine Arbeitsplätze geschaffen, aber die Lebensqualität kann man sich kostenfrei erhöhen, indem man einfach Vereinssport irgendwo mit in Anspruch nimmt. Sprecherin Ein bißchen war die Motivation in der kleinen Gruppe schon im Keller, als Andreas Steinhoff verkündete, was alles nicht stattfinden kann. Doch er hat es gelernt, aus wenig etwas zu machen. Da gehen seine Ideen nie aus. O-Ton Steinhoff, Marquardt 0.12 Also wir haben ja Freitag schon neue Projekte geboren, nicht Rainer, telefonisch? Das heißt, wir werden dich unterstützen bei der Abnahme des Tischtennisabzeichens, daß auch paar Schulklassen kommen, da haben wir ja auch Bewegung. Atmo Tischtennis 0.24 Darauf Sprecherin Die Kursteilnehmer ziehen vom Klubraum in die Tischtennishalle. Für viele ist es seit ihrer Jugend das erste Mal, daß sie wieder einen Tischtennisschläger in der Hand haben. Atmo Halle, üben, dann Frau und Steinhoff 0.47 ...huch... Also, acht habe ich geschafft, und das ist ja nicht schlimm. Vor allen Dingen, wenn er runterfällt, dann muß ich hinterherlaufen und ihn holen, also bewege ich mich doch auch!/ Steinhoff: Wenn ihr das zwei Stunden am Tag macht, habt ihr viel gemacht,. Dann kommt ihr auch schon ins Schwitzen!... Darauf O-Ton Steinhoff 0.23 Viele schimpfen auf das Projekt und sagen: Das kann doch nicht sein, daß die noch für Sport Geld kriegen! Vielleicht ist es Angst. Ich weiß es nicht. Aber es kommt nicht sehr gut an bei den anderen Leuten. Sie können sich nicht vorstellen, daß es dafür noch Geld gibt. Neiddebatte. Das höre ich täglich hier. Und ich sage manchmal: Da müßt ihr mal herkommen, müßt euch die Leute mal angucken! Das sieht man doch, daß die mal rausmüssen! Sprecherin Eine der Frauen wurde vor vielen Jahren zur Bürokauffrau umgeschult. Arbeit gab es keine, nur "Maßnahmen". O-Ton Frau 0.23 Wenn man Jahr für Jahr immer wieder in diese Maßnahmen gesteckt wird, dann hat man irgendwann so ein Level erreicht. Das schafft man dann einfach nicht mehr. Mir gingen diese Maßnahmen nachher so auf den Keks. Das muß ich mal ganz ehrlich sagen, weil nichts Sinnvolles bei rauskam. Und das schafft man nachher von der Psyche her nicht mehr wegzustecken. Sprecherin Bei einem Euro-Job sollte sie irgendwann die Bushaltestelle schrubben. Da hat sie ihren Mut zusammen genommen und das verweigert. Das nächste Mal sollte sie als "Jobcoach" Leute motivieren, sich einen Job zu suchen. O-Ton Frau 0.14 Ich selber war in der Situation, ich hatte nicht den Druck oder konnte nicht den Druck auf die Leute ausüben, zu sagen: Kommt, ihr müßt euch jetzt bewerben! Ihr müßt jetzt in Arbeit kommen. Ging nicht. Da bin ich psychisch zusammengeklappt. Sprecherin Diese Geschichten. Jeder bringt seine mit, erzählt sie. Zum wievielten Mal wohl? Immer wieder hört Andreas Steinhoff zu. Sport kann eure Rettung sein, sagt er immer wieder. Macht weiter im Verein, wenn dieser Euro-Job zu ende ist, kommt raus aus eurem Schneckenhaus, beschwört er die Leute. Eigentlich wollte er ja auch die Kinder aus den Hartz-IV-Familien mit im Kurs dabei haben - so war es geplant. Doch das wurde von der Arbeitsagentur ebenso gestrichen wie das Vorhaben, auch noch in anderen Städten des Landkreises solche Kurse anzubieten. Junge Leute werden kaum geschickt, weil sie angeblich zu gesund sind. Werbung für sein Projekt darf Steinhoff in Parchim nicht machen. Den Flyer mit dem Angebot "Fit für den Arbeitsmarkt - Sport für jedermann" darf er nirgends verteilen. Er hat ihn ans Fenster seiner Trainerbude gepappt. Illegal sozusagen. O-Ton Steinhoff 0.11 Naja, jedenfalls so ganz glücklich sind wir nicht damit. Und manchmal kommt bei mir auch so die Einstellung durch: Eigentlich kann mir das auch egal sein,, ich verdiene mein Geld. Das ist wirklich so. Sprecherin Natürlich ist es ihm nicht egal. Wenn irgendjemandem in dieser Geschichte etwas nicht egal ist, dann Steinhoff. Atmo Trainerbude, Kaffeemaschine, Radio Darauf Sprecherin Frühling 2011. Einen Monat vor Ende des Projekts. Der Kaffee tröpfelt in die Glaskanne, in der Trainerbude ist es kalt und klamm. Atmo Bude, Steinhoff 0.52 So, Kaffee ist fertig. Ist immer das Wichtigste. Willst einen Kaffee haben?...reden... Darauf Sprecherin Andreas Steinhoff und ein Fußball-Freund wärmen sich die Hände an der heißen Kaffeetasse. Atmo hoch, Steinhoff ...Die wollten Montag hier hinten den Wald abfackeln, hast schon gehört? - Nee. - Polizei, Feuerwehr, alles da, hat schon gebrannt! Da haben sie die gejagt, Polizei, alles, aber die waren zu schnell!... Darauf Sprecherin Die Parchimer Weststadt, ein Plattenbaugebiet, ist ein Problemviertel, daran hat sich nichts geändert. Und Steinhoff hält immer noch die Fahne hoch hier, trainiert die Kinder der Arbeitslosen, der Alleinerziehenden, der Migranten, Heimkinder. Ehrenamtlich. Jetzt wartet er auf die Teilnehmer seines letzten Kurses "Fit für den Arbeitsmarkt", der ihm ein Jahr lang einen festen Job bescherte. Eine junge Frau mit ihrem Sohn kommt herein. Atmo Bude, Steinhoff, Kind 0.58 Oh, Matthew! Kannst dich gar nicht trennen von uns? Bist du ein bißchen krank? Was hast du? Bauchweh? Ach, das ist doch keine Krankheit!... Darauf Sprecherin Steinhoff kennt den Jungen vom Fußballtraining. Er steht auf und schiebt ihm seinen Stuhl hin. Atmo hoch bei 0.16 Komm, setz dich hin. Ich muß ja Herrn Axelbach seine Spieler hegen und pflegen - lachen...Du willst doch mal Bayern-Spieler werden, München, nicht? - Kind: München? - Jetzt kommen so langsam die Frauen, die kennst du ja schon. - Hallo . - Dann sind alle hier. Dann gehen wir jetzt alle in die Fahrradwerkstatt, die kennst du auch. -Ach, alle? - Hast du deins mitgebracht? - Nein. - Aber deins ist doch kaputt? - Ja. - Deine Mutti hätte das doch mitbringen können. - Das mußten wir dann tragen! - Ich kann ja nicht noch `nen LKW bestellen für euch hier!... Sprecherin Die Mutter des Jungen kniet am Boden und klebt ihre Turnschuhe. O-Ton Frau, Steinhoff Die sind kaputt gegangen, ich bin eben gestolpert. - Steinhoff: Das sind die leider die billigen, bis 20 Euro, dann hält das nicht lange! -Lachen - Alles schon einkalkuliert. -Ist noch ein Tässchen übrig? -Ja, natürlich... Sprecherin Elisabeth Küchenmeister, alleinerziehend, zwei Kinder, beginnt im Juni eine Umschulung zur Alten- und Krankenpflegerin. Vier Ein-Euro-Jobs hatte sie bisher. O-Ton Küchenmeister 0.17 Das hier macht mir Spaß. Das andere war mehr schlecht als recht. Nur schade, daß da nicht so viele mitmachen wollen, weil es halt freiwillig ist. - Steinhoff: Das ist dieser Punkt Freiwilligkeit. - Aber ich find halt, so eine Bewegung hat auch viel mit Disziplin zu tun und mit Motivation. Und das haben anscheinend nicht viele. Sprecherin Ronny Hinz, Anfang 30, konnte wegen gesundheitlicher Handicaps lange keine Arbeit finden, er engagiert sich ehrenamtlich in der Hospizbewegung. O-Ton Hinz 0.35 Was ich auch bezeichnend finde, die ganzen Couch-Potatoes, die man damit halt nicht hervorlockt. Außer wenn Sanktionen drohen - ich denk mal, dann wäre die Maßnahme auch proppig voll. Ich finde es eine gute Idee, die Leute auch fit zu machen. Viele werden so in den Arbeitsmarkt reingestoßen, die sind fünf, sechs Jahre langzeitarbeitslos. Die auch gar nicht mehr die körperliche Fitness haben. Und die dann in die Produktion zu stecken - deswegen kapitulieren auch viele Leute. Und kriegen dann im Nachhinein Sanktionen aufgedrückt, weil sie dem gar nicht mehr gewachsen sind, weil sie die Strukturen gar nicht mehr kennen. Sprecherin Es sind die, die noch etwas aus sich machen wollen, die hierher zu Steinhoff in die Trainerbude kommen. Die sich noch nicht aufgegeben haben. Die unter dem Image leiden, das "ihresgleichen" in der Gesellschaft hat. O-Ton Frauen 0.36 Wir sind halt Hartz-IV-Empfänger. Wir sind so - ja, unterste Schicht halt. Und viele denken schlecht über Hartz-IV-Empfänger. Das ist einfach so. Man stellt mich einfach nicht ein, weil ich zwei Kinder habe. Ich habe so viele Bewerbungsgespräche hinter mir. Dann heißt es immer: Ja, Sie haben zwei Kinder. Was machen sie mit den Kindern, wenn die krank sind? Ich sage: Dann muß ich zuhause bleiben oder meine Mutti muß kommen. Nee, dann wird`s nichts. Das habe ich schon ganz, ganz oft erlebt. Ich will ja arbeiten, ich will! Aber ich krieg einfach nichts, weil ich zwei Kinder habe. Sprecherin Auch Ines Dräger ist alleinerziehend. Gelernt hat sie Altenpflegerin. O-Ton Dräger 0.26 Ich ärgere mich da auch tierisch drüber. Ich bin z.B. zuhause, weil mein Sohn krank ist und ich nicht arbeiten gehen kann. Er darf nicht in die Kita. Ich glaube, jeder Mensch sollte vielleicht mal hinterfragen: Warum, wieso, weshalb? Weil: Hinter jedem gibt es eine Geschichte, warum jemand zuhause ist. Das tut manchmal ganz schön weh. Sprecherin Ines Dräger hat mit den Tränen zu kämpfen. Sie führt ein Leben am Limit, bekommt weder Unterhalt noch Zuschlag zum Hartz-IV-Geld, obwohl ihr 4jähriger Sohn wegen schwerer Allergien spezielle und teure Lebensmittel braucht. Selbst Fahrkosten zur Spezialklinik in der Berliner Charité muß sie alleine tragen. Wenn sie ihre Mutter nicht in Parchim hätte, die das kranke Kind für drei Stunden am Tag hüten kann, könnte sie nicht zum Sport mit Andreas Steinhoff. Für sie ist das seit Jahren die erste Möglichkeit, mal unter Leute zu kommen - abgesehen vom Billard-Abend im Verein, für den sie eisern spart - und dennoch manchmal nicht hingehen kann, wenn es wieder nicht reicht. O-Ton Dräger 0.13 Also in meinem Fall, ich fand das richtig super, daß ich Sport machen konnte. Man kam raus, man hatte eine kleine Möglichkeit, was dazu zu verdienen. Ich finde das in allen Punkten gut. Sprecherin Das Geld für die "Halbe-Euro-Stelle" beim Sport, 60 Euro im Monat, könne man sich ja zurücklegen, schlägt Elisabeth Küchenmeister vor. Aber nicht aufs Konto bringen, ruft Andreas Steinhoff und wedelt mit der Tageszeitung. Er wird vor Empörung ganz rot. O-Ton Steinhoff 0.50 Ich hab sie schon rumgereicht hier. Soll ich erzählen? -Ja. -Ich kann da so den Frust ablassen! Da hat eine Frau das ganze Jahr gespart, Hartz-IV- Empfängerin. Überweist das Kleingeld auf ihr Konto. Und das war der Fehler. 67 Euro. Und da haben sie ihr 37 Euro abgezogen von ihren Hartz- IV-Bezügen, weil sie zuviel Geld hat! Sie hat gespart, damit sie sich paar Stiefel kaufen kann. Ich kann mich gar nicht beruhigen über die Geschichte!! Ich gehe heute noch ins Internet, da ist ein Forum, und da werde ich einen Artikel schreiben, meinen Kommentar reinschreiben. Und die berufen sich auf Vorschriften. Vorschrift hin, Vorschrift her: Aber die Menschlichkeit bleibt total weg. - Genau. -Und im Endeffekt werden die Hartz-IV-Empfänger noch ermutigt, zu betrügen. Das Geld, das kleine, was sie ersparen, noch irgendwo verschwinden zu lassen. Das kommt dabei raus. - Ja, wir sparen auch Kleingeld, nicht? Atmo draußen 0.19 Darauf Sprecherin Zeit, aufzubrechen. Andreas Steinhoff will seinen Leuten die Parchimer Fahrradwerkstatt zeigen. Atmo hoch ...So, heute nennen wir das mal Wanderung. Und Hospitation eines anderen Projektes. Mal gucken, was die machen mit den Leuten. So, jetzt den kürzesten Weg... Darauf Sprecherin Der Trupp setzt sich in Bewegung. Zuerst bei Küchenmeisters vorbei, das liegt auf dem Weg, damit auch Matthew sein kaputtes Fahrrad holen kann. O-Ton Steinhoff 0.22 Das ist ein einmaliges Angebot. Das kennen ja auch kaum Parchimer, daß da ein Projekt läuft über die Bosch-Stiftung, wo Jugendliche, Kinder, Hartz-IV- Empfänger, Arbeitslose ihre Fahrräder kostenlos reparieren lassen können. Daß sie selber aufs Fahrrad steigen, daß sie wieder beweglich sind und auch mal mit ihrem Kind fahren können. Privat ist so eine Fahrradreparatur sehr teuer beim Unternehmer. Atmo reingehen 1.10 ...Tag schön... Darauf Sprecherin Eine riesig große, aufgeräumte Werkstatt, ein Mitarbeiter, der nichts zu tun hat. Ein Migrant im Ein-Euro-Job, er freut sich, daß gleich so viele kommen mit ihren Rädern. Schon hat er das erste an den Flaschenzug gehängt und hochgedreht, damit er bequem heranreicht. O-Ton Frau, Monteur 0.36 Die Bremse? - Nee, die Kette, die springt immer hoch... Darauf Sprecherin In Nullkommanichts hat der Monteur das Problem gelöst und die junge Frau kann zur Probefahrt starten. Matthew hat inzwischen sein kleines Fahrrad am zweiten Flaschenzug befestigt und schaut schon mal selber nach dem Rechten. Seine Hände sehen bald so richtig nach Arbeit aus. Atmo Werkstatt 0.18 Küchenmeister: Geht's wieder? Zeig mal deine Hände! -Oh - lachen - Steinhoff: Das ist ja super, so müssen Kinder aussehen!... Darauf Sprecherin Es sind Steinhoffs letzte Arbeitstage im Projekt "Fit für den Arbeitsmarkt". Seine Ernüchterung über das immerhin bundesweit einmalige Vorhaben ist komplett. O-Ton Steinhoff 0.54 Ja, es war ne gute Idee, aber es ist nichts draus geworden. Außer daß die Euro-Jobber ein bisschen Geld verdienen. Also, wenn ich alles zusammenrechne, waren in diesem einen Jahr vielleicht 25 Teilnehmer. Echt. Enttäuschung pur, auch hier beim Kreissportbund. Die Gleichgültigkeit der Arge. In diesem einen Jahr war nicht einer von der Arge vor Ort. Wir haben Gegenvorschläge gemacht, wie es dann abzusehen war, daß die Maßnahme nicht läuft. Daß man einfach auch Leute bis 27 verdonnert, an der Maßnahme teilzunehmen. Das wird ja bei jedem Staplerfahrerlehrgang gemacht, bei jedem Bewerbungstraining. Und wer dann das nicht gesundheitlich kann, das kann man ja einschätzen, den kann man immer noch ohne Sanktionen nach Hause schicken. Aber auch das Argument wurde nicht angenommen. Weil, es gibt ja wirklich genug Arbeitslose, auch Jugendliche. Atmo Fußball, Kinder, Steinhoff 0.36 ...dribbeln...Die Mädchen machen euch das vor, guckt! Gut, Johanna... darauf Sprecherin Andreas Steinhoff ist mit seinem reparierten Fahrrad zum Fußballplatz zurückgeradelt. Auch an diesem Nachmittag kommen wieder die Kinder zum Training. Sechs Tage in der Woche ist das so, dann ist er Fußballtrainer im Ehrenamt. Das wird so bleiben. Und überhaupt: Wenn er es recht bedenkt, bleibt auch noch anderes nach diesem Jahr. O-Ton Steinhoff 0.36 Das einzige Positive ist, daß wir Leute untergebracht haben im Verein, die auch jetzt später noch aktiv sind. Die Kontakte bleiben ja. Und ich bin ja viel ehrenamtlich tätig, und wenn ich jetzt Unterstützung brauche, dann rufe ich diese Leute auch an. Und dann kommen die auch und helfen. Das bleibt nach wie vor. Und ich konnte ein paar Leuten ein paar kleine Erfolge vermitteln, sie haben ihr Geld verdient, sie haben ihren Spaß gehabt. Und ich konnte auch bei anderen Sachen helfen, Ansprechpartner besorgen. Doch, doch, das eine Jahr hat mir sehr gut getan. Sprecherin Steinhoff ahnte: Dieses Jahr wird nur ein Intermezzo sein. Darauf hat er sich eingestellt, vom ersten Arbeitstag an. Um dann am letzten nicht allzu sehr zu erschrecken, wenn er zu ende ist, der Traum. O-Ton Steinhoff 0.17 Es geht ganz normal weiter mit Hartz IV. Bin ja gewöhnt daran, ist nicht schwer, sich umzustellen wieder. Aber ich gehe auf die 50 zu und jetzt ist irgendwann Schluß ich glaube nicht, daß ich noch was kriege irgendwo. Ich habe zwar eine Trainerlizenz, die ist gültig bis 2012, aber es ist ja hier in Mecklenburg keiner bereit, die Leute zu bezahlen. Atmo Fußball 0.49 O-Ton Steinhoff 0.17 Mir wird eigentlich wieder richtig angst und bange, ab 1.Mai mit der Arge wieder zu tun zu haben. - lange Pause - Da habe ich am meisten Angst vor. -Lange Pause - Aber was soll's. - Pause - Muß ja. Atmo Fußball hoch, ENDE 14