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Da sind die kleineren Containerschiffe bis 6000 Doile, das sind halt 6000 Container. Atmo Autofahrt Neben Yannick Gerhardts sitzt sein Chef, der Seemannspfarrer Walter Köhler. Ende fünfzig, schmale randlose Designerbrille. Den grauen Kinn- und Backenbart trägt Köhler akkurat gestutzt. Bevor er nach Rotterdam kam, hat er die Seemannsmission in Alexandria geleitet. Aber nach 20 Jahren Orient war die Sehnsucht nach Europa immer größer geworden. Am Fenster ziehen Raffinerielandschaften vorbei, mächtige zylindrische Öltanks, hohe Stahlzäune, ganz oben messerscharfer Stacheldraht. OT 2 Köhler: Das ist alles seit dem 11. September strikt abgeriegelt worden und man kommt nur noch mit bestimmten Genehmigungen in den Hafen. Und das Problem hier in Rotterdam ist, dass es viele Terminals sind. Und jeder Terminal hat seine eigene Policy in Bezug auf die Genehmigungen. Und deshalb muss man sich für jedes einzelne Schiff gesondert anmelden. Und das ist relativ aufwendig. Atmo Autofahrt, Türen II Yannick biegt scharf rechts ab und bremst den Wagen. Eine Schranke versperrt den Zugang zum Hafenterminal, die mächtigen Containerschiffe an den Kaianlagen sind schon zu sehen. Der Zivi steigt aus, verhandelt mit dem Sicherheitspersonal in einer Wellblechbude: Atmo Hafen, Türenklappen, Weiterfahrt Zehn Minuten später sind alle Papiere überprüft: die Schranke öffnet sich. Atmo Hafen, Türenklappen, Weiterfahrt Yannick steuert den Kleinbus durch ein Labyrinth aus Containerstapeln. Hinten im Bus sind 20 Weihnachtsgestecke verstaut, Tannenzweige mit kleinen roten Christbaumkugeln, Zieräpfeln und Zimtstangen. Eine Aufmerksamkeit für die Seefahrer kurz vor Weihnachten: OT 3 Yannick Gerhardts: Und ansonsten verteilen wir Zeitungen in unterschiedlichen Sprachen: philippinische Zeitungen über russische, ukrainische, polnische, kapverdische und indonesische. Atmo Autofahrt Mit im Gepäck haben die beiden auch Telefonkarten für die Seemänner: damit können sie zu besonders günstigen Tarifen nach Hause telefonieren. Die Nationalität der Seemänner spielt für die weltweit 52 Stützpunkte der deutschen Seemannsmission heute - wo immer weniger Deutsche ihr Geld auf See verdienen - kaum eine Rolle. Zumal Philippinos, Inder oder Pakistaner auf hunderten Schiffen von deutschen Reedern unterwegs sind. Atmo Hafen Yannick parkt den Bus direkt an der Kaimauer. Die rote Bordwand des Containerfrachters ragt steil nach oben, in dicken, weißen Lettern steht der Reederei-Name auf dem 250-Meter-Rumpf der "Rio de Janeiro": "Hamburg-Süd". Über die Gangway geht es an Bord: Atmo Gangway OT 4 Köhler: Hello, we are from the German Seaman's Mission! We have some newspapers and telephone-cards... Atmo OT4 läuft weiter Atmo Hafen II Oben steht die Schiffswache, zwei Männer schreiben Namen und Ausweisnummern ins Sicherheitsbuch. Walter Köhler sucht gleich das Gespräch, fragt nach der letzten Route, dem nächsten Ziel, den Heimatländern der Besatzung: OT 5 Köhler: You are Phillipino or Tuvalu? - Kiribati! Ah,... Atmo Schritte Atmo Fahrstuhl Ein Seemann führt hinein ins Schiff, zum Fahrstuhl rauf in die Messe: die eine Hälfte der 25köpfigen Besatzung ist mit dem Löschen der Ladung beschäftigt, mit der Wartung des Motors im stickig-heißen Maschinenraum. Andere ruhen sich aus in ihren kleinen Kammern. Atmo Messe Die andere Hälfte der Mannschaft sitzt in der Messe, einem kleinen neonbeleuchteten Aufenthaltsraum. Alle blättern in dicken Einkaufskatalogen des so genannten Sunny-Shops: ganz vertieft in die Duty-Free-Angebote. Kaum jemand nimmt Notiz von Walter Köhler und seinem Helfer: spannender sind gerade die neuesten Mobiltelefone, Hifi-Anlagen, Parfum oder Kinderspielzeug im Katalog. Noch vor der Abreise bringt ihnen ein Sunny-Vertreter die Ware direkt aufs Schiff. Jetzt sitzt er am Tisch, nimmt die Bestellungen auf, zählt Zehn- und Zwanzig-Euro- Scheine, tippt alles in seinen Laptop, kassiert gleich wieder. Diesmal für zwei Stangen Zigaretten: OT 6 Sunny-Shop-Man Aard Kock (Voice-Over): Ich bin Aard Kock. Ein Vertreter von "Sunny Europe". Wir verkaufen zollfreie Waren an Schiffsbesatzungen und Botschaften. Alles steuerfrei, aber alle Waren müssen dann auch das Land verlassen. Atmo Messe Bei Aard Kock stehen die Seemänner Schlange, einer bestellt noch schnell ein neues Handy: weiß und edel, mit Touchscreen. Für 280 Euro. Yannick Gerhardts steht etwas missmutig am anderen Ende des Raums. Er kann die Vertreter nicht leiden. Die ziehen den Männern, die sowieso kaum was haben, das letzte Geld aus der Tasche, flüstert Yannick. Aard Kock hört das nicht, ist viel zu beschäftigt mit dem Scheinezählen. OT 7 Sunny-Shop-Man Aard Kock: Ja, manchmal sind unsere Waren genauso teuer wie an Land... Aber es gibt auch Dinge, die sind viel billiger: Alkohol und Zigaretten zum Beispiel... Eine Stange Zigaretten kostet normalerweise 50 Euro - und an Bord zahlen sie dafür gerade mal 17 Euro... Das ist schon ein Unterschied! Atmo Messe Einer nach dem anderen schließt seine Bestellung ab. Yannick Gerhardts und Walter Köhler verteilen Zeitungen und verkaufen Telefonkarten. Mit dabei ist auch der Chief-Mate, der 1. Offizier des Schiffs. Slavobi Valniuko ist der zweite Mann an Bord, gleich nach dem Kapitän. Beide stammen aus Polen, fahren schon seit Jahren zusammen auf der "Rio de Janeiro". Valniuko ist ein schlaksiger, fast dürrer Mann. Er lehnt an der Wand vor der Messe und erklärt, wie die Häfen der Welt zu Hochsicherheitszonen wurden: OT 8 Valniuko (Voice-Over): Seit 2004 haben wir auf der ganzen Welt diese neuen Vorschriften: den ISPS-Code! Das hat alle Abläufe, unser gesamte Arbeitswelt völlig umgekrempelt. Und jedes Jahr kommen neue Sicherheitsregeln dazu. Da könnte ich Einiges zu erzählen, aber dazu die Zeit wird kaum reichen... Atmo Schiff innen Seit dem 11. September dürfen Schiffe nur dann die Vereinigten Staaten anlaufen, wenn alle Container an Bord geprüft, registriert und verplombt und alle Angaben vorab übermittelt werden. Alle Hafenanlagen sind gegen unbefugten Zugang geschützt, videoüberwacht, Hafenarbeiter in besonders sensiblen Bereichen werden sicherheitsüberprüft. Wegen ISPS müssen die Besatzungen auf einfache Landausflüge verzichten: die Schiffe liegen manchmal nur wenige Stunden im Hafen - die Seeleute dürfen dann gerade noch die Gangway hinuntersteigen. Von dort aus müssen sie abgeholt werden, vom Shuttle-Bus des Seemannsclubs, von Yannick Gerhardts oder Walter Köhler. Der Weg in die Stadt ist kann dann je nach Liegeplatz sehr weit sein: OT 9 Köhler: Der Rotterdamer Hafen ist 50 Kilometer lang. Von daher ist es für die Seeleute schwierig runter zu kommen, an Land zu kommen. OT 10 Valniuko: Und das ist schade! Natürlich würden wir gern mal runter von Bord, uns die schönen Seiten der Hafenstädte anschauen... Aber in einem Hafen wie hier in Rotterdam ist das kaum zu machen. - Erstmal müssen wir hier an Bord schuften. Und wenn wir mal frei haben, dann ruhen wir uns einfach nur aus. Das wäre herrlich: länger im Hafen bleiben, was sehen von der Welt da draußen oder mal die landeseigene Küche auszuprobieren. Aber das ist kaum möglich.... Atmo Schiff innen Der schmächtige Valniuko zuckt mit den Schultern, verabschiedet sich. Er muss hoch auf die Brücke. Und er verspricht, dem Kapitän Bescheid zu sagen. Der kann mehr über ISPS erzählen, sagt er. Und will sicher auch über ein anderes Thema sprechen, das uns Seeleute besonders beschäftigt: die Piratenüberfälle am Horn von Afrika. Atmo Kombüse Gleich neben der Messe liegt der Speisesaal. Die Tische sind schon fürs Mittagessen eingedeckt. Weiße Teller auf rot-weiß-karierten Wachstischdecken, Ketchup und Sojasauce, Salz und Pfeffer. In der Kombüse: Koch und Chefkoch, einer paniert Schweinekoteletts, der andere wirft tiefgefrorene Pommes Frites ins heiße Fett, schneidet Salat mit einem riesigen Messer. Temaua Tebarine fährt seit 40 Jahren zur See, als Chefkoch verdient er knapp 2000 US-Dollar, umgerechnet 1500 Euro. Seit 40 Jahren ist er immer ein halbes Jahr unterwegs, danach drei Monate zu Hause in Kiribati. Der Inselstaat liegt im Pazifik, zwischen Hawaii und Australien. Eigentlich wollte Tebarine schon längst in Rente sein, aber ein bisschen muss der vierfache Vater noch warten: OT 11 Tebarine (Voice-Over): Naja - vielleicht muss ich zwei, drei Jahre machen... Dann bin ich fertig! Dann hab ich keine Lust mehr! Ich muss einfach noch weitermachen, weil mein jüngster Sohn noch zur Schule geht und die kostet Geld. Aber 2012 ist er fertig mit der Schule! Genau weiß man das natürlich nicht, aber das ist erstmal mein Plan... Atmo Kombüse II Tebarine greift sich das nächste Kotelett, drückt es mit dem Handrücken in die Panade. Deutsches Essen - Bratwurst, Sauerkraut oder Kasseler - ist seine Spezialität, erzählt er. Kochen gelernt hat er in den Siebzigerjahren bei seinem deutschen Chef. Atmo Köhler im Gespräch mit Kapitän Nebenan plaudert jetzt Kapitän Kristof Goretzki mit Seemannspfarrer Walter Köhler. Für das Thema ISPS hat der Kapitän nur eine wegwerfende Handbewegung übrig. Unterm Strich, sagt er, ist die Sicherheit in den Häfen kaum gewachsen. Aber dafür muss er nun mehr Papierkram denn je erledigen. Mittlerweile ist er kaum noch Kapitän, so Goretzki, eher ein "Bloody Pen-Pusher": OT 12 Goretzki (Voice-Over): Und dann arbeiten wir mal 15, mal 20, mal 30 Stunden am Stück, weil das Schiff in einer Tour die Liegeplätze wechselt. - Wir verletzen also sämtliche Regeln zum Arbeitsschutz und wenn wir dann im Hafen liegen, bleiben uns nur wenige Stunden Pause und dann kommen all die Offiziellen und prüfen die Unterlagen. Die interessiert es nicht, wie viel Schlaf man hatte. Atmo Schiff innen .. und auch nicht, dass die Seeleute manchmal bis zu 70 Stunden pro Woche arbeiten. Die Kontrolleure interessieren sich für die Sicherheitsstandards an Bord und schauen nach, ob die Gangway rund um die Uhr bewacht wird und wer Zugang zum Schiff hat. Und seit einigen Jahren, erzählt Kapitän Goretzki, wird die Besatzung ab und zu mitten in der Nacht aufgeschreckt. Dann rücken die Beamten der Einwanderungsbehörde an und prüfen die Personalien der Seeleute: OT 13 Goretzki (Voice-Over): Ich hab keine Ahnung, warum sie nachts kommen... Vielleicht gibt es da besonders gut bezahlte Überstunden... Ich hab wirklich keine Ahnung, was das soll! - Das sind Überprüfungen durch die Einwanderungsbehörde und auch wenn es nicht jedesmal passiert, und auch wenn sie sich gut benehmen und höflich sind - das sind doch ziemlich seltsame Vorschriften... Das ist wirklich unangenehm! Und führt dazu, dass wir noch mehr arbeiten müssen und weniger Zeit haben, uns mal auszuruhen. Atmo Schiff innen Kapitän Goretzki schaut auf den blank gewischten Boden. Nachdenklich, eine Hand am Kinn, am dichten Vollbart. OT 14 Goretzki (Voice-Over): Ich kann mich noch erinnern, dass es Zeiten gab, als wir nicht wie Feinde behandelt wurden, wie Verdächtige oder Schmuggler... Die Leute waren freundlich zu uns, wenn wir in den Hafen eingelaufen sind und wir konnten ohne Probleme an Land gehen. Ohne Überprüfung und ohne Kontrollen... Und heutzutage sind wir plötzlich Verdächtige...!? Atmo Schiff innen Froh ist Goretzki, dass er mit der "Rio de Janeiro" zwischen Europa und Südamerika unterwegs ist. Zwar vermutet der Zoll dabei regelmäßig Rauschgift an Bord. Aber dafür haben er und seine Mannschaft keine Probleme mit den Piraten vor der somalischen Küste. Dass diese nur aus wirtschaftlicher Not zur Waffe greifen - Goretzki glaubt nicht daran: OT 15 Goretzki (Voice-Over): Sie benutzen Waffen, sie beschießen die Schiffe und unschuldige Seeleute. Und sie sind kaum zur Rechenschaft zu ziehen... Alle heulen rum, was für arme, arme Leute das sind und dass sie ja nicht anders können, weil sie Familien haben. - Nun gut. Aber für mich ist das keine Entschuldigung! - Nur weil ich eine Familie habe, habe ich doch nicht das Recht, andere Leute zu töten und zu kidnappen! Oder das Eigentum anderer Leute zu zerstören und andere Leute einzusperren! Das ist doch kein Argument! Atmo Schiff innen Der Kapitän schüttelt den Kopf. Bedankt sich bei Walter Köhler und Yannick Gerhardts für das kleine Weihnachtsgesteck, die Zeitungen, das Zuhören. Ein fester Händedruck und Goretzki nimmt den Fahrstuhl hoch zur Brücke. Atmo Raus aus Schiff, Schritte Die Männer von der Seemannsmission steigen die schmalen Treppen hinunter, machen sich auf den Weg zum nächsten Schiff. Kurz vor der Gangway fängt ein Seemann aus Indien die beiden ab. Atmo Hafen Er muss etwas loswerden: Die Piraten im Golf von Aden braucht er selbst nicht zu fürchten. Aber Freunde von ihm sind regelmäßig in diesen Gewässern unterwegs: OT 16 Seemann (Voice-Over): Es fördert nun mal nicht die Gesundheit der Seeleute, wenn sie in dieser Gegend, im Golf von Aden unterwegs sind. Und es ist nicht nur das physische Risiko durch die Kidnapper... Genauso schwer wiegt die psychische Anspannung! Monatelang in so einem Gebiet unterwegs zu sein! Für mich ist das schon aus der Entfernung kaum auszuhalten. Aber wie fühlen sich die Leute, die dort unterwegs sind? Immer, wenn meine Freunde auslaufen, und diese Gegend durchqueren, habe ich Angst, dass mein Handy klingelt. Ich will nicht, dass sie anrufen. Denn dann ist irgendwas passiert... Atmo Hafen Der Seemannspfarrer nimmt sich Zeit. Er lehnt an der Bordwand, hört zu. Immer wieder passiert es, dass Reedereien ihre Schiffe ohne Bewachung durch Piratengebiete schicken. Im globalen Transportgeschäft ist kaum etwas so wertvoll wie eingesparte Zeit und jede Abkürzung, egal wie gefährlich sie ist, spart viele tausend Dollar. Damit Profit nicht vor Sicherheit geht, empfiehlt die Gewerkschaft der Seeleute, die International Transport-Workers Federation ITF, ein einfaches Mittel: Arbeitsverweigerung. Ein paar Mal haben sich so schon ganze Besatzungen gegen die gefährliche Passage gewehrt. Am Ende mussten neue Crews eingeflogen werden. Auf Druck der ITF zahlt ein Teil der Reederschaft nun die doppelte Heuer für jene Tage, die die Mannschaft im Golf von Aden verbringt. Im Schnitt rund 100 Euro pro Tag. - Nach zehn Minuten schüttelt Walter Köhler die Hand des Seemanns, er muss los zum nächsten Schiff: OT 17 Köhler: Es ist einfach wichtig, für die Seeleute Zeit zu haben. Und das ist was, was mich manchmal bedrückt. Wenn ich weiß, ich sollte so und so viele Schiffe besuchen, habe so und so viele Anfragen und ich habe für den Einzelnen nicht genug Zeit... Das ist ja quasi auch der Sinn unserer Arbeit, dass wir uns den Seeleuten zuwenden können, dass sie jemanden haben, der für sie Zeit zum Gespräch hat. Atmo Gangway runter Köhler steigt die Gangway hinunter, unten im Bus wartet schon Yannick Gerhardts. Heute nehmen sie keine Seeleute von der "Rio de Janeiro" mit raus aus dem Hafen. Alle sind eingespannt, sichern die an Bord gehievten Container, bereiten das Auslaufen des Schiffes vor. Dafür warten ein paar Kilometer weiter fünf Crewmitglieder von einem chinesischen Öltanker. Sie wollen raus zum Seemannsclub De Beer, den Abend dort verbringen. Atmo Autofahrt II Mittlerweile dämmert es im Hafen, das gelb-orange Licht der hohen Laternen erleuchtet die Containerburgen, den nassen Asphalt. Vor drei Jahren hatte die Deutsche Seemannsmission im Rotterdamer Hafen noch vier Angestellte und einen eigenen Stützpunkt in der Stadt. Heute erledigt Pfarrer Köhler alle Büroarbeiten von Zuhause aus, sein einziger Helfer ist Zivi Yannick. Und im nächsten Jahr gehen die Sparmaßnahmen weiter: OT 18 Köhler: Die Bundesregierung hat bis zu diesem Jahr einen Zuschuss für unsere Arbeit gegeben, weil wir eben auch deutsche Staatsbürger im Ausland betreuen und für die erreichbar sind. Und jetzt, ab diesem Jahr werden keine Zuschüsse mehr gegeben. Ab nächstem Jahr müssen wir ohne die Zuschüsse auskommen und wir müssen mal schauen, wie das weitergeht. Atmo Autofahrt (die vom Anfang) Yannick tritt auf die Bremse, wartet kurz ab bis der Schlagbaum den Weg frei gibt. Es geht raus aus dem Hafen, zurück in Richtung Rotterdam. Die Raffinerien sind jetzt erleuchtet von tausend Strahlern an Rohrleitungen, Leitern und Tanks. Unzählige Sattelschlepper sind unterwegs, tragen Container huckepack. Nach zehn Kilometern lenkt Yannick den Bus auf den nächsten Terminal. Wieder werden alle Papiere und die Anmeldungen gründlich geprüft. Zehn Minuten später rollt der Wagen an die Gangway der Yang Mai, ein Öltanker mit 250 Meter Länge. Atmo Türen auf und zu Atmo Autofahrt III Fünf durchgefrorene Seemänner steigen ein, freuen sich über den Shuttle-Service, ärgern sich über ISPS: OT 19 Seemann (Voice-Over): Wir arbeiten für die gesamte Menschheit. Wir bringen Öl von einem Land zum anderen, überall auf der Welt. Und die Welt sollte die Seeleute deshalb als ein Teil von ihr ansehen. OT 20 Seemann II (Voice-Over): Und die Regeln sollten schon etwas gelockert werden! Gerade für Leute, die auf den Schiffen arbeiten. Es ist sowieso schon ein sehr einsames Leben, mit 22 Männern an Bord, tagein, tagaus, ganz allein, ohne soziale Außenkontakte... Und wenn wir dann mal Land kommen, hätten wir einfach gern mehr Möglichkeiten! Atmo Autofahrt III Die anderen nicken, freuen sich auf den Seemannsclub De Beer. Der liegt weit vor den Toren Rotterdams, gleich gegenüber der Terminals. Im Sommer steht die Stiftung, die den Club betreibt, kurz vor der Pleite. Nun führen neue Besitzer den Club, viel besser als vorher, mit mehr Herz und dichter an den Bedürfnissen der Seeleute, findet Walter Köhler. Atmo rein in Club, Musik Drinnen gibt es vier Computer mit Internetverbindung, für Seeleute mit eigenem Laptop steht Wireless LAN zur Verfügung. Alle vier Rechner sind besetzt: die Männer chatten mit ihren Familien, schreiben E-Mails oder telefonieren übers Internet. Es gibt einen Billard-, zwei Kickertische, eine Karaoke-Anlage. Atmo De Beer Und es gibt Bier vom Fass am Tresen von Romana de Witt. Ihren Bürojob hat sie gekündigt, jetzt verkauft die kleine Frau mit der blonden Fönfrisur Bier, Saft und Cola an die Seemänner, serviert kleine Speisen. Aber vor allem kann sie gut zu hören, wenn die Seeleute am Tresen sitzen und drauf los reden. OT 21 de Witt (Voice-Over): Was mir besonders gefällt an meinem Job? Ich glaube, die vielen verschiedenen Menschen hier. Die Freundlichkeit der Menschen und ihre Dankbarkeit. Das ist eine Freude, hier zu arbeiten.... Atmo De Beer Eine Hand hat Romana de Witt am Zapfhahn, nimmt eine neue Bestellung auf. Und dann verrät sie, was die Männer in ihren Augen am meisten vermissen: OT 22 de Witt (Voice-Over): Sie vermissen Mädchen! Die sind wochenlang auf See, kommen hier rein und sagen: "Wir wollen Mädchen, wo sind die Mädchen?" Aber leider, leider sind hier keine.... Sie vermissen natürlich ihr Zuhause, ihre Frauen, die Kinder, die ganze Familie! Die vermissen sie sehr! Atmo De Beer Vor ihr, auf dem Barhocker, sitzt Khalid Aschisch Djandel, ein junger Seemann aus Indien. Es ist seine erste Fahrt, als Trainee verdient er gerade mal 500 Euro im Monat und Heimweh kennt er nicht. Dazu ist alles viel zu aufregend: OT 23 Khalid Aschisch Djandel (Voice-Over): Es ist schon ein besonderes Gefühl, so weit weg von zu Hause. Alles ist neu und ich genieße das... Und die Crew an Bord ist auch eine Art Familie. Und man muss sich drauf einlassen, das ist der Trick dabei. Atmo De Beer Khalids Tresennachbar hört ihm zu. Der Kapitän Ramesh Dixit fährt seit drei Jahrzehnten zur See, sein Schiff liefert Eisenerz aus Südamerika nach Europa. Er hat sein eigenes Rezept gegen die Einsamkeit auf See: OT 24 Kapitän Dixit (Voice-Over): Man muss ein bisschen abstumpfen. Und sich immer wieder klar machen, dass man sich eben für dieses Leben entschieden hat. Das ist das eine. Und dann muss man einfach das Beste daraus machen: positives Denken gehört dazu, eine motivierte Mannschaft, ein paar Aktivitäten an Bord... Das ist schon alles... Atmo De Beer Ramesh Dixit muss noch vier Jahre zwischen den Kontinenten pendeln. Er nimmt einen großen Schluck Bier aus seinem Glas und vergleicht die fast entspannte Seefahrt aus seinen Lehrjahren mit den eng getakteten Zeitplänen von heute. OT 25 Kapitän Dixit (Voice-Over): Es ist schon härter geworden... Weil immer mehr Personal abgebaut wird, die Bezahlung ist nicht mehr sehr lukrativ. Und deshalb entscheiden sich viele Männer gegen den Job. Die suchen sich lieber etwas anderes, irgendwas, was anständig bezahlt wird. Atmo Karaoke Der Kapitän dreht sich um, schaut rüber zur kleinen Gruppe an der Karaoke- Maschine. Kurz bevor es losgeht, machen sich Walter Köhler und Yannick Gerhardts auf den Weg zurück in die Stadt. Atmo Hafen Draußen schaut Köhler noch einmal rüber zum hell erleuchteten Terminal. Deren Betreiber, fordert er, sollten sich zusammen mit den großen Reedereien viel stärker für die Seeleute einsetzen. OT 26 Köhler: Hier wird viel Geld gemacht! Es ist schon eine Enttäuschung und ich wünsche mir, dass der Hafen ein offenes Ohr für die soziale Seite bekommt. Sprich: für die Seeleute und deren Bedürfnisse! Atmo Hafen 2 1