COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitfragen Feature vom 2. November 2016 Der lange Schatten der Sklaverei Die Afroamerikaner am Ende der Obama-Ära Von Christian Berndt Als Barack Obama 2008 zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen gekürt wurde, brach in den USA eine lange nicht gesehene Euphorie aus. Für viele Afroamerikaner verband sich mit der Wahl die Hoffnung auf eine neue Epoche. Doch im Laufe der Präsidentschaft Obamas stellte sich bei vielen auch Ernüchterung ein, der erhoffte gesellschaftliche Wandel schien sich nicht einzustellen. Nicht zuletzt die anhaltenden Fälle von Polizeigewalt gegen Afroamerikaner haben die Wut gerade in den letzten Jahren wachsen lassen, und einiges spricht dafür, dass der Rassismus in den USA seit Obamas Amtsantritt sogar gestiegen ist. Noch immer wirkt das Erbe von Sklaverei und Rassentrennung nach, und viele Afroamerikaner glauben, dass es mit einem Präsidenten Trump noch schlimmer kommen wird. Christian Berndt hat auf einer Reise von Washington in die Südstaaten Eindrücke gesammelt, wie in Amerika mit der historischen Erinnerung an die Zeit von Sklaverei und Rassentrennung umgegangen wird und wie Afroamerikaner über die Amtszeit Obamas denken. Autor Charleston, im Juni 2015. O-Ton Barack Obama (18 Sek.) "Our pain cuts that much deeper because it has happen in a church. The church is and always has been the center of African-American life." (Applaus) Autor In einer der ältesten afroamerikanischen Kirchen der USA hatte im Juni 2015 ein weißer Rassist neun Menschen erschossen. Der Schmerz sei viel größer, weil es in einer Kirche geschah, sagte US-Präsident Barack Obama in seiner Traueransprache, denn die Kirche sei das Zentrum afroamerikanischen Lebens. Und dann, am Ende seiner Rede, kam der Moment, in dem Obama das Land in Staunen versetzte: O-Ton Obama (30 Sek.) Obama beginnt "Amazing Grace" zu singen, daraufhin stimmt das Publikum in den Gesang ein. Autor Obama sang "Amazing Grace" - für die Afroamerikaner seit den Tagen der Sklaverei eine Hymne der Befreiung. Es war der Moment, von dem es hieß, nun sei er zum Präsidenten auch der Schwarzen geworden. Obama war oft vorgeworfen worden, zu zurückhaltend, etwa auf die Vorfälle von Polizeigewalt gegen Schwarze, zu reagieren. In Charleston hielt Obama zum ersten Mal eine Trauerrede für afroamerikanische Todesopfer: O-Ton Obama (11 Sek.) "For too long, we've been blind to the way past injustices continue to shape the present. Perhaps we see that now." (Applaus) Autor Zu lange sei man blind dafür gewesen, wie die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit die Gegenwart prägen, so Obama. Es war eine Rede, auf die viele Afroamerikaner lange gewartet hatten. Einerseits empfinden sie Stolz auf den ersten afroamerikanischen Präsidenten, zugleich sind sie enttäuscht über Obamas Präsidentschaft - wie man am Martin-Luther- King-Nationaldenkmal erleben kann. 2011 wurde es am Rande der National Mall in Washington D.C. errichtet. Seitdem ist es ein Anziehungspunkt für Schwarze aus ganz Amerika: O-Ton / Übersetzer "Ich bin tatsächlich zum ersten Mal hier, und ich genieße den Moment. Ich bin schwarz, und ich möchte, dass meine Kinder wissen, dass dies hier Teil ihrer Kultur ist - und wer sie sind." Autor Sagt ein junger Vater aus Connecticut. Das Denkmal vis à vis zum Jefferson Memorial rückt den Kampf um Bürgerrechte symbolisch ins Zentrum der amerikanischen Geschichte - und weckt zugleich zwiespältige Gefühle: O-Ton / Übersetzer "Dr. King kämpfte für Gerechtigkeit für alle Schwarzen in Amerika, und es ist traurig, dass wir 2016 die gleiche Ungerechtigkeit erleben. Es scheint sogar schlimmer geworden zu sein. Wir haben einen schwarzen Präsidenten, das ist großartig, aber es gibt weiterhin diese Fälle von Polizeigewalt, jeden Tag wird ein junger Schwarzer ermordet." Autor Die 23jährige Cristina meint: O-Ton / Übersetzerin "Es gab viel Hoffnung bei den Schwarzen auf einen Wandel, aber bei einem Senat und einem Repräsentantenhaus, die nicht mit Präsident Obama übereinstimmten, gab es nicht den Wandel, der nötig gewesen wäre. Ja, ich bin enttäuscht." Autor Obwohl Obama geschätzt wird, gibt es das verbreitete Gefühl, dass die soziale Ungleichheit und Benachteiligung von Afroamerikanern sogar zugenommen hat. Auch bei den Studenten an der Howard University in Washington D.C., einer der wichtigsten, traditionell afroamerikanischen Universitäten des Landes. Edna Greene-Medford, ist Historikerin an der Howard University: O-Ton / Übersetzerin "Es gibt eine Kultur, die sich über die Jahre in Amerika entwickelt hat: Kriminalität als typisch afroamerikanisch zu betrachten und auf uns zu schauen, als wären wir alle arm und schlecht ausgebildet. Aber das ist nicht wahr, es gibt so viele, die etwas erreicht haben." Autor Die Gründe liegen für die Historikerin auf der Hand. O-Ton / Übersetzerin "Das Erbe der Sklaverei hat viel mit heutigen Einstellungen zu tun. Wenn Du aus einem anderen Land stammst, wirst Du akzeptiert, aber nicht, wenn Deine Vorfahren Sklaven waren. Und es hat damit zu tun, was nach der Sklaverei passierte. Die Entwicklung von Jim Crow." Regie (1): Blues-Musik (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor Die sogenannten Jim-Crow-Gesetze zementierten ab Ende des 19. Jahrhunderts die Rassentrennung in den USA. 1865, am Ende des Bürgerkrieges, hatten die Nordstaaten die Abschaffung der Sklaverei in allen Staaten durchgesetzt. Die Südstaaten blieben zwölf Jahre lang von Unionstruppen, Truppen des Nordens, besetzt. Ziel der Besetzung war, dass die Rechte der befreiten Sklaven geschützt wurden. Als aber die Besatzung endete, wurden die neuen Bürgerrechte für Schwarze durch Sondergesetze de facto wieder abgeschafft. Schon ein falscher Blick gegenüber einem Weißen konnte zu Auspeitschung und Haft führen - in den Südstaaten wurde ein System der Halbsklaverei mit Spezial- Strafregeln und Arbeitszwang für Schwarze etabliert. Auch im Norden gab es Rassentrennung. Der Oberste Gerichtshof legitimierte 1896 die Diskriminierung mit dem Grundsatz "getrennt, aber gleich". Von Gleichheit konnte indes keine Rede sein. Bis zur Bürgerrechtsbewegung in den Sechzigerjahren blieben die Afroamerikaner gesetzlich diskriminiert. Das hinterließ tiefe mentale Spuren im weißen Amerika. O-Ton Greene-Medford / Übersetzerin "Die USA waren eine moderne Demokratie, aber auch eine sich industrialisierende Nation. Und sie entschieden, dass Sklaverei der Grundstein der Wirtschaft war. Es gab sie zwar nur im Süden, aber der Norden profitierte ebenso davon. Die Sklaverei wurde dafür genutzt, Amerika zu industrialisieren." Autor Die Grundlagen für die Entwicklung des Kontinents und den phänomenalen Aufstieg der USA zur führenden Industrienation der Welt schuf die Sklavenarbeit. Baumwolle war im 19. Jahrhundert das wichtigste Exportgut der USA - produziert durch Sklavenarbeit. Es gab ein zähes Ringen zwischen den weißen Herren und den recht-, aber nicht ganz machtlosen Schwarzen. Ira Berlin, emeritierter Professor der University of Maryland, gehörte in den Siebzigerjahren zu den wenigen weißen Historikern, die über die Sklaverei forschten: O-Ton Ira Berlin / Übersetzer "Auf der einen Seite hatte der Master alle Macht, der Sklave gar keine. Aber indem der Sklave zum Beispiel statt der Baumwolle das Unkraut pflügen konnte, hatte er Macht. Der Master konnte ihm die Scheiße rausprügeln, aber dann bekam er auch keine Baumwolle. Die meisten Sklaven verstanden, dass sie ein kleines bisschen Macht besaßen." Autor Gesetzlich war es verboten, Sklaven zu töten, aber kein Weißer musste fürchten, wegen der Ermordung eines Sklaven bestraft zu werden. Andererseits schufen die Schwarzen ihre eigene Kultur - und damit die Grundlagen für ihre gesellschaftliche Emanzipation: O-Ton Ira Berlin / Übersetzer "Während der Sklaverei entwickelten die Schwarzen Religion, Musik, alle möglichen Arten amerikanischer Kultur. Sklaverei ist die Geschichte von Gewalt und Tod, aber auch von Leben und Schöpfung." Autor Eine wichtige Funktion kam den Kirchen zu, denn sie waren die einzigen Orte, an dem Sklaven ohne Aufsicht zusammenkommen konnten. Bis heute hat sie eine zentrale Bedeutung für Afroamerikaner, worauf Obama in seiner Rede in Charleston hinwies. Familien wurden durch Weiterverkauf häufig auseinandergerissen, trotzdem gelang es den Sklaven, Gemeinschaften zu bilden: O-Ton Edna Greene-Medford / Übersetzerin "Wenn zum Beispiel die Eltern verkauft wurden und die Kinder zurückblieben, gab es jemanden in der Sklavengemeinschaft, der für die Kinder sorgte, auch emotional. Trotz des Horrors konnten sie überleben, weil sie eine Gemeinschaft hatten und eine Kultur. Ohne das würde es heute keine Afroamerikaner geben." Autor Und nicht die Kraft der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren... O-Ton M.L. King "I have a dream...." Autor Martin Luther Kings Traum ist bis heute nicht in Erfüllung gegangen, die Diskriminierungen sind nicht überwunden, trotzdem hat sich die rechtliche und die gesellschaftliche Situation der Schwarzen verändert. Das New Yorker Einwanderungsmuseum auf Ellis Island thematisiert ausführlich das Unrecht der Sklaverei, und es gibt inzwischen sogar Diskussionen über Reparationszahlungen. Die Georgetown University in Washington hat kürzlich angekündigt, Nachfahren von Sklaven kostenlos studieren zu lassen, weil auch diese Elite-Universität am Sklavenhandel beteiligt war. Das Thema Sklaverei ist mittlerweile in den Focus von Öffentlichkeit, Medien und Film gerückt: O-Ton Ira Berlin / Übersetzer "Als ich studierte, wussten die meisten Amerikaner nichts über die Geschichte der Sklaverei. Heute ist sie zentral für die amerikanische Identität. Was das Thema in die Öffentlichkeit brachte, war in den Siebzigerjahren die Fernsehserie 'Roots'. Das war der moderne Anfang." Autor Polizeigewalt gegen Schwarze ist nicht neu, aber sie wühlt die amerikanische Öffentlichkeit auf, weil sie von einem Teil als Unrecht wahrgenommen wird. Die Black-Lives-Matter-Bewegung ist ein Indiz für das wachsende Bewusstsein, dass sich etwas ändern muss. Zu einem Infoabend der Washingtoner Gruppe in einem Privathaus kommen ungefähr 20 junge Leute. Die Atmosphäre ist familiär, es herrscht ein gewisses Misstrauen gegenüber den fremden Besuchern. Der Veranstalter sagt, das Haus werde überwacht. Der junge Anwalt Naji referiert an dem Abend über die Geschichte schwarzen Widerstands. Er meint, dass sich in der Amtszeit Obamas die wirtschaftliche Situation der Schwarzen als Folge der Finanzkrise von 2007 verschlechtert habe: O-Ton / Übersetzer "Man verweist auf Leute wie Oprah Winfrey oder Barack Obama und stellt sie als Ideal hin. Aber das sind die Ausnahmen. Wenn man auf die durchschnittliche Situation von Schwarzen schaut, hat sich nichts geändert. In vielerlei Hinsicht ist es schlimmer geworden." Autor Naji leistet Rechtshilfe für Schwarze, die statistisch gesehen für die gleichen Verbrechen härter bestraft werden als Weiße. Obwohl nur 12 % der Bevölkerung schwarz sind, machen Afroamerikaner 40 % der Gefängnisinsassen aus. Intensiv wird die Frage von gewaltsamem Widerstand diskutiert. O-Ton (15 Sek.) "I think, the black people have been in a constant state of survival, and I think, that's what we're doing here. I don't think things will ever be equal and fair and just her. Unless we gonna have a mass exodus, we have to figure out a way to survive." Übersetzer Ich glaube, die Schwarzen stehen in einem dauernden Überlebenskampf und wir werden nie gleich und fair behandelt werden. Und solange wir nicht alle abhauen, müssen wir irgendwie damit klarkommen. Regie (2): Hip-Hop-Musik und Stimmengewirr (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor In der Südstaatenmetropole Atlanta spielt das Thema Gewalt eine wichtige Rolle in Gesprächen. An der Clark Atlanta University findet auf dem Campus gerade eine Spendenaktion für die Flutopfer in Louisiana statt. An dieser traditionell afroamerikanischen Universität trifft man sehr engagierte Studenten. Die 30jährige Dizhanigue studiert Jura, weil sie Schwarzen helfen will. Zwischen ihr und der 19jährigen Modedesignstudentin Kandice entspinnt sich eine Diskussion über die Frage von Gewalt: O-Töne (24 Sek.) "Rebellion, that's the only thing, that changes things. - But you can't act with violence. - Civil War? - Even the Civil War, they used brutality... - But they got, what they needed. - And Ferguson? They reacted by burning their own city, and the media showed the black people, destroying their city..." Autor Dizhanigue meint, nur eine Rebellion könne etwas ändern - zum Beispiel habe der Bürgerkrieg Veränderung gebracht. Kandice widerspricht und verweist auf Ferguson, wo es nach den polizeilichen Todesschüssen auf einen Schüler 2014 zu Unruhen kam und die Schwarzen deshalb in den Medien als Gewalttäter dagestanden hätten. Marcus und Nadica erzählen, dass man als afroamerikanischer Teenager nur in der Gruppe ausgehe, weil man allein schnell was angehängt bekomme: O-Ton (erhitztes Durcheinanderreden) (26 Sek.) "As black teens, we go through so much, it sucks. It doesn't matter who is the president, we could have 12 black presidents...we are so low down, it's like illegal to be black. - When everyone wants to speak about ,Black Lives Matter', we knew that already. - Just having a black president isn't gonna change..." Autor Schwarz sein, wäre wie illegal zu sein, meint Nadica. Die Stimmung ist aufgeheizt. Der 19jährige Marquese, der Drehbuchautor werden möchte, erzählt: O-Ton / Übersetzer "Für mich als männlichen Schwarzen ist wirklich traurig, dass ich hier nicht mal joggen kann. Dahinten ist ein Walmart. Wenn ich hier laufen würde, würden sie denken, ich renne, weil ich was gestohlen habe. Weiße können das einfach machen, ich habe 6, 7 Schüsse in meinem Rücken, bevor ich das Ende des Blocks erreicht habe." Autor Auf einer Busfahrt von Atlanta nach Nashville erzählt der 74jährige Afroamerikaner Temple Ragland vom Aufwachsen im Süden. Es gab strikte Rassentrennung, aber Polizeigewalt kannte er nicht: O-Ton (6 Sek.) "When I grew up, it wasn't accepted. My father and my mother never accepted police violence." Autor Seine Eltern hätten Polizeigewalt niemals akzeptiert. Er erzählt von krasser Diskriminierung, dass man Weißen nicht mal in die Augen schauen durfte. Aber gelitten habe er nicht: O-Ton (10 Sek.) "I didn't suffer. Blacks were more a community than today, we had to stick together. We didn't associate with Whites. We realized, that there was separation, but not a separation, that damaged us." Autor Das ist ein merkwürdiges Phänomen: Der 74jährige erinnert sich geradezu nostalgisch an die Rassentrennung, die sie nicht zerbrochen habe, weil die Schwarzen eine Gemeinschaft gewesen seien und man Weißen aus dem Weg ging. Dass die Gemeinschaft Schutz vor den Demütigungen bot: das fehle heute, meint Professor Edna Greene-Medford: O-Ton / Übersetzer "In einer städtischen Umgebung ist es heute extrem schwierig für afroamerikanische Kinder. Es ist schlimmer als in den Sechzigerjahren. Denn damals gab es Communities, die sich gegenseitig halfen. Das ist ein Teil davon, was wir heute tun müssen: Afroamerikaner helfen Afroamerikanern." Regie (3): Banjo-Musik (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor Die gute, alte Zeit der Rassentrennung? Dass die Afroamerikaner nicht mehr in geschlossenen Gemeinschaften leben, sondern unterschiedliche Wege in der amerikanischen Gesellschaft gehen, bis hin zum Aufstieg in Führungspositionen, hinterlässt offenbar auch ein Gefühl des Verlusts von Geborgenheit. Die Realität jener alten Zeit indes war erst einmal hart. Der frühere Bürgerrechtsaktivist Fredrick Douglas Reese, der in den Sechzigerjahren in Selma Kampagnen zur Durchsetzung des Wahlrechts anführte, lebt bis heute in Selma, einem kleinen Ort, der wie eine alte Westernstadt ausschaut. Der freundlich-würdevolle 86jährige erzählt, dass im Süden bis in die Sechzigerjahre Afroamerikaner am Wählen gehindert wurden, indem man ihnen absurde Fragen stellte, die sie beantworten mussten: O-Ton (10 Sek.) "They asked you, how many jelly beans are in a jar? How many bubbles in a bar of soap?" (lacht) Autor Sie fragten zum Beispiel, wie viele Geleebohnen sind in diesem Glas. Zur Unterstützung im Kampf ums Wahlrecht lud Reese Martin Luther King nach Selma ein. 1965 starteten die Protestmärsche von Selma nach Montgomery - der Hauptstadt Alabamas. Sie wurden berühmt, weil das Fernsehen übertrug und das ganze Land sehen konnte, wie die Polizei auf die Demonstranten einschlug: O-Ton / Übersetzer "Es war ein großartiges Gefühl, nach all den Schwierigkeiten, durch die wir gehen mussten, zusammen zu marschieren. Und immer standen am Rand Leute, die Dir Schimpfworte zubrüllten. Sie schrien uns an, stachen uns mit Stöcken in die Seite. Aber wir hatten gelernt, dem keine Aufmerksamkeit zu schenken." Regie (4): Chorgesang "We shall overcome" (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor Vor einer Baptistenkirche in Birmingham, von der aus Protestmärsche gestartet waren, steht Raymond Goolsby. Die damalige Industriestadt war ein Zentrum der Bürgerrechtsbewegung. Martin Luther King kam 1963, um die Protestierer zu unterstützen. Weil den Eltern gedroht wurde, sie würden ihre Jobs verlieren, demonstrierten Kinder und Jugendliche: O-Ton / Übersetzer "Meine Gruppe war die erste, die aus der Kirche kam. Da waren über 100 Motorräder mit Polizisten, die Gummiknüppel trugen. Wir sahen uns einer ziemlichen Brutalität gegenüber. Aber Dr. King stand direkt neben mir. Er sagte: Kinder, streckt den Rücken. Man kann auf einem Rücken nur reiten, wenn er gebeugt ist. Das war alles, was ich hören musste." Regie (5): Billie Holiday "Strange Fruit" (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor Traurige Berühmtheit erlangte die Baptistenkirche, als der Ku-Klux-Klan 1963 ein Bombenattentat auf das Gotteshaus verübte, bei dem 4 Mädchen starben. Heute gibt der frühere Bürgerrechtler Raymond Goolsby Seminare, in denen er der Gewalt unter jungen Afroamerikanern entgegenwirken will. O-Ton (9 Sek.) "We have to stop! Like I tell my young men: The main thing is a good education and respect yourself." Autor Goolsby sagt, er wolle den jungen Männern Selbstrespekt vermitteln - und dass eine gute Ausbildung das Wichtigste sei. Das sagt auch Derryn Moten, Historiker an der Alabama State University in Montgomery. Nach dem Bürgerkrieg von ehemaligen Sklaven gegründet gehört die afroamerikanische Geschichte zur Identität der Universität. O-Ton Derryn Moten / Übersetzer "Ich bin überzeugt, dass eine gute Ausbildung fast jedes Hindernis überwindet. Ich sage meinen Studenten, wenn Du eine gute Ausbildung bekommst, ist es egal, wo Du herkommst. Es gibt so viele Beispiele, der Präsident der Vereinigten Staaten ist ein Musterbeispiel, wenn man seinen Background betrachtet." Autor Statistisch ist die Arbeitslosigkeit unter Afroamerikanern viel höher als im Durchschnitt, das Vermögen einer schwarzen Durchschnittsfamilie beträgt nur ein Dreizehntel einer weißen Durchschnittsfamilie. Aber, so Moten, die wirtschaftliche Krisensituation betreffe zunehmend auch Weiße: O-Ton Moten / Übersetzer "Die Occupy-Bewegung wurde initiiert von weißen Studenten. Die Angst vor der Zukunft betrifft nicht nur schwarze Studenten. Das Land hat sich verändert, viele Jobs sind verschwunden. Mehr Afroamerikaner müssen ihre eigenen Arbeitsmöglichkeiten entwickeln." Autor Die früheren Bürgerrechtler sprechen davon, wieviel erreicht worden ist seit den Fünfzigerjahren, die Jüngeren dagegen erleben die anhaltenden Probleme: Rassismus und eine immer noch erschreckende Ungleichheit. Im Süden sieht man überall Straßenzüge mit verfallenen Häusern, die von Afroamerikanern bewohnt werden und an Dritte-Welt-Länder erinnern. Bis heute existiert eine Form der Segregation, wie auch der 43jährige Deutsche Patrick Kraut erzählt, der seit einem Jahr in Alabama lebt und arbeitet: O-Ton Patrick Kraut (25 Sek.) "Ich bin überrascht gewesen, als ich hierher gekommen bin, wie groß der Unterschied heute noch ist. Von der Stadt, in der ich lebe, eine Studentenstadt mit ca. 50.000 Einwohnern, Norden und Süden ist getrennt, im Süden wohnen die Schwarzen, im Norden wohnen die Weißen. Kontakt mit Schwarzen, das ist sehr, sehr schwierig. Die Lokalitäten sind sehr getrennt, auch von den Studenten her. Die Studenten treffen sich selten gemeinsam, es gibt schwarze Clubs, es gibt weiße Clubs, es ist immer noch sehr getrennt." Autor Historiker Derrin Moten hat festgestellt: O-Ton Derryn Moten / Übersetzer "Trotz des Fortschritts in Rassenfragen leben afroamerikanische und weiße Amerikaner in vielerlei Hinsicht in getrennten Welten. Ein Historiker sagte einmal, es ist fast so, als wären Afroamerikaner und weiße Amerikaner kulturelle Fremde." Autor Spricht man mit Studenten an der Alabama State University, wie dem 21jährigen JC, gibt es viel Wut über Vorurteile: O-Ton "The stereotype, Drug Dealer, Troublemaker, we don't like that. When I started my Senior Year at High School...." Autor An der High School hätten ihn weiße Mitschüler anfangs für einen Drogendealer gehalten. So etwas kennt auch JCs Cousin, der 19jährige Jeremy. O-Ton "I recently moved to a new neighbourhood, with town houses. I walked to the pool..." Autor Jeremy erzählt, dass er neulich in eine Appartement-Anlage gezogen ist. Als er zum Pool ging, sei nach 5 Minuten ein Polizist erschienen. Er hatte einen Anruf bekommen, dass hier ein verdächtiger Schwarzer rumläuft: O-Ton "..and he said, sorry, I had a call about a suspicious black male walking around the area." Autor An der Universität fühlt sich Jeremy wohl, er ist ein fröhlicher Kerl, der viele kennt auf dem Campus. Zukunftssorgen hat er keine - bis die Frage auf die Präsidentschaftswahlen kommt: O-Ton (20 Sek.) "If Donald Trump wins presidency, I walk to Canada. (Lachen) Donald Trump is the next Adolf Hitler! - I have faith in America, they won't let him. - But I have the fear..." Autor Besuch im National Civil Rights Museum in Memphis: O-Ton / Übersetzerin "Oh nein, ich bin keine Trump-Unterstützerin. Wenn er gewinnt, gehe ich nach Kanada, ernsthaft. Denn ich glaube, der Rassismus würde wieder wachsen und er würde uns zurück in die Fünfzigerjahre bringen. Nicht in die Sechziger- oder Siebzigerjahre, sondern in die Fünfzigerjahre, so nach der Art: Dieses Restaurant ist nur für Weiße." Regie (6): Blues-Musik (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor So die Mitdreißigerin Lavitria, die mit ihrem Mann aus St. Louis gekommen ist, um das Museum in Memphis zu besuchen. Es hat besondere Bedeutung, weil im gegenüberliegenden Motel, das man ebenfalls besichtigen kann, Martin Luther King erschossen wurde. In den Südstaaten ist die historische Erinnerung an Sklaverei und Rassentrennung sehr präsent - in Museen, Gedenkstätten und öffentlichen Plätzen. Regie (9): Glockenschläge (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor Die Whitney Plantage nördlich von New Orleans. Man hört die Glocke, die den täglichen Arbeitsbeginn und das Arbeitsende einläutete. 2014 hat der ehemalige Anwalt John Cummings auf dieser früheren Plantage das erste Sklaverei-Museum der USA eröffnet. Und es ist die erste Plantage, die auch afroamerikanische Besucher anzieht - so erzählt der aus dem Senegal stammende Historiker Ibrahima Seck, der über die Anlage führt. Man erfährt hier sehr anschaulich, unter welch elenden Bedingungen die Schwarzen hier lebten. Trotzdem schufen die Sklaven am Mississippi Erstaunliches: O-Ton / Übersetzer "Es gab kulturellen Widerstand in der Art, dass der Sklave zum Master sagt: Okay, Dir gehört mein Körper, aber nicht meine Seele. Ich behalte meine Religion, meine Musik. Und so überlebte afrikanische Kultur und floss in die amerikanische. Sklaverei ist nicht nur die Geschichte von Deportation und Misshandlung. Wir müssen unsere Kinder lehren, dass die Sklaven zur Schaffung der amerikanischen Kultur entscheidend beitrugen. Jazz, Blues, Rock'n'Roll wurden an diesem Fluss geboren." Regie (10): Straßen-Jazzmusik, jubelnde Menge (Unter folgendem Text weiterlaufen lassen) Autor Die Plantage liegt in der Nähe von New Orleans. In der Hauptstadt von Louisiana befand sich im 19. Jahrhundert der größte Sklavenmarkt der USA. Heute gilt die Stadt als kultureller Schmelztiegel, wie der Journalist Jim Amoss erzählt, der als Kind in Deutschland gelebt hat: O-Ton (auf Deutsch) "New Orleans ist eine totale Insel. Kulturell, katholische Stadt inmitten eines protestantischen Südens, viel weltoffener. Wenn man hier eine Stunde entfernt nach Mississippi fährt, hat man noch dieses starke Segregationsgefühl. Und die Leute äußern sich auch viel offener rassistisch, ungehemmt." Autor 2005 wurde New Orleans von Hurrikan Katrina schwer verwüstet. Katrina gilt als Geburtsstunde der "Black-Lives-Matter"-Bewegung. Denn die schleppend anlaufende Hilfe vertiefte den Eindruck, das Leben von Afroamerikanern, deren Stadtteile am meisten vom Hurrikan betroffen waren, zähle nicht. Auch beim Wiederaufbau der Stadt wurden Schwarze benachteiligt, sagt der frühere Verleger Jack Davis: O-Ton / Übersetzer "Das Wiedergutmachungs-Geld richtete sich nach dem Wert des zerstörten Hauses. Wenn ein zerstörtes Haus in einer afroamerikanischen Nachbarschaft war, wurde es als weniger wertvoll eingeschätzt als Häuser in weißen Wohngegenden, und man bekam weniger Geld." Autor New Orleans ist Symbol für Integration und Benachteiligung von Afroamerikanern zugleich. Das Erbe von Rassentrennung und Sklaverei lebt fort, aber das Thema ist stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Am 24. September 2016 wurde in Washington D.C. das National Museum of African American History and Culture an der Constitution Avenue eröffnet, im Herzen der US-Hauptstadt, der National Mall. O-Ton Obama (ohne Übersetzung) So this National Museum helps to tell a richer and fuller story of who we are. The Afroamerican history is not somehow separate from our larger story, it´s not the underside of the American story, it is central to the American story. Der Präsidentschafts-Wahlkampf, der danach in seine heiße Phase eintrat, hat wiederum viele verunsichert. Donald Trumps Kampagne bestärkte Ängste vor einem wiedererstarkenden Rassismus. Die Gefahr sieht auch der Historiker Ira Berlin: O-Ton / Übersetzer "In der großen Feier der Wahl Obamas sagten manche, das ist das Ende des Rassenbegriffs. Aber es hat sich herausgestellt, dass das Gegenteil der Fall ist. In mancher Hinsicht hat sich der Rassismus intensiviert. Der Hass gegen Obama bei großen Teilen der amerikanischen Bevölkerung ist erschreckend, einfach erschreckend." Autor Auch Professorin Edna Greene-Medford beobachtet wachsenden Rassismus, trotzdem ist Obamas Präsidentschaft für sie ein Beleg, dass sie mit Grund an Amerika glaubt. O-Ton / Übersetzerin "Ich habe nie erwartet, in meiner Lebenszeit einen afroamerikanischen Präsidenten zu sehen. Ich denke, alles ist möglich für Amerika, wird sind eine großartige Nation. Wir werden eine immer buntere Gesellschaft, das wird viel ändern. Interessant ist, dass wir nun afroamerikanische Kinder haben, die nur einen schwarzen Präsidenten kennen. Für die existieren keine Grenzen mehr, das ist so wichtig." 2